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ID0700909100

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    Deutscher Bundestag 9. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1973 Inhalt: Verzicht des Abg. Augstein (Hamburg) auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag 243 A Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Opitz (FDP) . . . . . .. . . 243 B Dr. Wulff (CDU/CSU) . . . . . . 244 D Dr. Eppler, Bundesminister (BMZ) . 246 A, 249 D Dr. Freiherr von Weizsäcker (CDU/CSU) . . . . . . . . . 249 B Dr. Barzel (CDU/CSU) . . 250 B, 252 C, 257 A, 263 B Brandt, Bundeskanzler . 251 B, 262 B Wehner (SPD) . . . . 253 C, 262 B Scheel. Bundesminister (AA) . . . 257 A Dr. Mikat (CDU/CSU) . . . . . . 262 A Dr. Ehmke, Bundesminister (BMP) . 264 A Mischnick (FDP) . . . . . . . . 264 C Dr. Friderichs, Bundesminister (BMW) 264 D Dr. Narjes (CDU/CSU) . . . . . 268 D Junghans (SPD) 273 D Dr. Graf Lambsdorff (FDP) . . . 277 B Frau Dr. Wex (CDU/CSU) . . . 280 B Arendt, Bundesminister (BMA) . . 283 C Frau Dr. Focke, Bundesminister (BMJFG) . . . . . . . . 286 B Katzer (CDU/CSU) 288 D Dr. Schellenberg (SPD) 293 D Frau Funcke (FDP) 296 D Frau Eilers (Bielefeld) (SPD) . . 300 D Genscher, Bundesminister (BMI) . 303 B, 323 D Dr. Dregger (CDU/CSU) 307 C Dr. Schäfer (Tübingen) (SPD) . . 312 C Vogel (Ennepetal) (CDU/CSU) . . 318 A Dr. Hirsch (FDP) . . . . . . . 321 A Dr. Meinecke (Hamburg) (SPD) . 324 D Dr. Martin (CDU/CSU) 327 C Frau Schuchardt (FDP) . . . . . 331 A Dr. von Dohnanyi, Bundesminister (BMBW) 333 A Nächste Sitzung 336 C Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 337* Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1973 243 9. Sitzung Bonn, den 25. Januar 1973 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Adams * 26. 1. Dr. Ahrens ** 27. 1. Alber ** 27. 1. Amrehn ** 27. 1. Augstein (Hattingen) 26. 1. Behrendt * 26. 1. Blumenfeld ** 27. 1. Dr. Dollinger 10. 2. Dr. Enders ** 27. 1. Flämig * 26. 1. Gerlach (Emsiand) * 26. 1. Hösl ** 27. 1. Jung ** 27. 1. * Für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** Für die Teilnahme an Sitzungen der Beratenden Versammlung des Europarates Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich Kahn-Ackermann ** 27. 1. Dr. Kempfler ** 27. 1. Dr. h. c. Kiesinger 27. 1. Lampersbach 25. 1. Lemmrich ** 27. 1. Memmel * 26. 1. Dr. Miltner 2. 2. Dr. Müller (München) ** 27. 1. Pawelczyk ** 27. 1. Richter ** 27. 1. Roser ** 27. 1. Schmidt (Wattenscheid) 25. 1. Schmidt (Würgendorf) ** 27. 1. Dr. Schulz (Berlin) ** 27. 1. Sieglerschmidt ** 27. 1. Dr. Slotta 2. 2. Springorum * 26. 1. Stücklen 26. 1. Dr. Todenhoefer 24. 2. Frau Dr. Walz ** 27. 1. Westphal 26. 1. Frau Will-Feld 24. 2. Wolfram * 26. 1.
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    Rede von Dr. Karl-Heinz Narjes


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der Rede des Herrn Bundesministers Friderichs haben wir die Diskussion über die Wirtschaftspolitik begonnen. Ich möchte diese punktuelle liberale Offizialinterpretation der Regierungserklärung an den Punkten im einzelnen berücksichtigen, wo sie in der Antwort auf die Regierungserklärung ihren Platz finden. Ich halte es aber von vornherein für richtig, zu sagen, daß wir die Energiepolitik als Ganzes später in diesem Jahr diskutieren, wenn das Konzert im Detail vorliegt, das uns jetzt in seinem größeren Rahmen angekündigt worden ist.
    Die Bundesregierung hat in ihrer Erklärung die Gesellschaftspolitik in den Mittelpunkt gestellt, mehr als die Wirtschaftspolitik. Mit dieser Feststellung ist kein Vorwurf verbunden; sie macht es nur nötig, darauf hinzuweisen, daß die Wirtschaftspolitik eine Schlüsselfunktion für nahezu alle Bereiche der Politik hat; ohne eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik kann es auch keine erfolgreiche Gesellschafts- und Sozialpolitik geben. Jeder Zuwachs des Sozialprodukts kann nur einmal verteilt werden. Eine alle Aspekte der Wirtschafts-, Sozial-, Gesellschafts- und Verfassungspolitik berücksichtigende und ordnende wirtschaftspolitische Gesamtkonzeption ist, wie dieser Hinweis und auch die liberale Offizialinterpretation der Regierungserklärung beweisen, unabdingbar. Diese Regierungserklärung läßt in ihren spärlichen Aussagen grundsätzlicher Natur wie in ihren wirtschaftspolitischen Einzel-Inhaltsangaben einen konzeptionellen Gesamtzusammenhang indessen nicht erkennen.



    Dr. Narjes
    Unsere eigenen wirtschaftspolitischen Ordnungsvorstellungen sind gewachsen aus der geschichtlichen Bewährung des mit dem Namen und dem Erfolg Ludwig Erhards unlösbar verbundenen Leitbildes der sozialen Marktwirtschaft.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Unsere Politik ist der Ausdruck unseres Willens zu einer offenen, allein dem Menschen und seinem Wohl verpflichteten, sozial gerechten Wirtschaftsordnung, die sich auch uneingeschränkt dem Geist und dem Buchstaben des Grundgesetzes verpflichtet weiß. Sie erlaubt es, verantwortete Freiheit des einzelnen und die soziale und humane Berufung und Verpflichtung des Staates miteinander in Einklang zu bringen. Unsere Wirtschaftspolitik ist kein Selbstzweck, sie ist immer ein Stück praktischer Gesellschaftspolitik im Dienste des Bürgers.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Sie ermöglicht soziale Gerechtigkeit ohne Kollektivismus. Das Wohl der Bürger als Arbeitnehmer, als Verbraucher, als Angehörige freier Berufe, als Handwerker, als Kaufleute, als Unternehmer ist die Richtschnur unseres Handelns. Ihrer aller Leistungen sind jedoch unverzichtbare Voraussetzungen für den Erfolg. Wir wissen nach 20 Jahren erfolgreicher Anwendung unserer Wirtschaftspolitik, daß sie ihre Bewährungsprobe im Alltag — um dieses Kriterium aufzugreifen — besser bestanden hat als jede andere bisher bekannte und erprobte Wirtschaftsform.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Dabei ist sie anpassungsfähiger und elastischer als I alle ideologisch fixierten Ordnungsvorstellungen der Marxisten oder jener Zeitgenossen, die meinen, daß man sich mit dem Marxismus irgendwo auf halbem Wege treffen könne.

    (Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!)

    Die Organisation des arbeitsteiligen Produktionsprozesses in der sozialen Marktwirtschaft ist auch menschenwürdiger, und ihre Möglichkeiten für eine sozial gerechte Verteilung des Sozialprodukts sind ergiebiger als die anderer Ordnungssysteme, die überdies sämtlich ein geringeres Maß an Freiheit und damit an Würde des Menschen bieten. Sie sichert aber nicht nur die materielle Seite der Freiheit und der Selbstbestimmung des einzelnen Menschen. Sie gibt ihm zugleich die Chance der persönlichen Bewährung in der eigenständigen Leistung, und ich beziehe mich auf alles, was dazu gestern hier gesagt worden ist.
    Weil sie wirksamer ist als andere Wirtschaftsordnungen, erlaubt sie es schließlich auch, mehr Mittel, etwa — um ein praktisches Beispiel zu nennen — für die Humanisierung des Produktionsverlaufes bereitzustellen. Denn die ständige Verbesserung der Qualität des Arbeitsplatzes, an dem die Menschen auf absehbare Zeit immer noch den größten Teil ihrer Zeit verbringen und ihrer Kraft einsetzen werden, ist für uns auch weiterhin ein Ziel besonderer Priorität.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Unsere Wirtschaftspolitik lehnt den Irrweg in das Kollektiv ab, selbst wenn er mit einer entliehenen,
    frömmelnden Sprache angeboten werden sollte. Unsere Freiheit ist prinzipiell die persönliche Freiheit, die der citoyen — um das Wort des Herrn Bundeskanzlers aufzugreifen — einst dem absoluten Fürsten abgetrotzt und in Verfassungs- und Grundrechten, auch für seine wirtschaftliche Handlungsfreiheit, abgesichert hat. Diese Freiheit ist etwas anderes als eine sich unter dem irreführenden Namen „Sicherung der realen Freiheit" vollziehende Zuweisung begrenzter Wahlmöglichkeiten an die einzelnen Angehörigen eines Kollektivs. Das führt allenfalls zu einem geborgenen Leben in der stickigen Luft eines allmächtigen Wohlfahrtsamtes.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die Regierungserklärung hat sich im Gegensatz zu der des Jahres 1969 nicht zur marktwirtschaftlichen Ordnung bekannt, und dies kann kein Zufall sein. Sie hat sich auch nicht zu den Bedingungen ihrer Funktionsfähigkeit und ihrem sozialen Nutzen geäußert. Dies wäre um so notwendiger gewesen, als nach dem Wahlkampf im Zeichen des demokratischen Sozialismus erhebliche Zweifel über die Ordnungsvorstellungen der Sozialdemokratie bestehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf des Abg. Dr. Schäfer [Tübingen].)

    Dieser vieldeutige Begriff des demokratischen Sozialismus kann auch Ordnungssysteme meinen, die mit dem, was wir, was der Herr Bundesminister Friderichs und was die Menschen im Lande unter sozialer Marktwirtschaft verstehen, nichts mehr zu tun haben.

    (Zurufe von der SPD.)

    Da der Bundeskanzler in der sozialen Marktwirtschaft anscheinend auch — so seine Rede vom 10. Dezember — eine Tarnbezeichnung für die Verfestigung ihm unliebsamer Machtstrukturen sieht, da er selbst sich Demokratie nur im Sozialismus vollendet vorstellen kann und da der Vorsitzende der Jungsozialisten schon heute die Existenz der sozialen Marktwirtschaft überhaupt leugnet, hätte diese Koalition aus FDP und SPD noch mehr Veranlassung gehabt, die verdächtige Flucht ins Schweigen in der Regierungserklärung zu unterlassen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Eine Erklärung zur sozialen Marktwirtschaft wäre schließlich wünschenswert gewesen, weil die SPD die dynamischen Kräfte der Wirtschaft, ohne deren Leistung eine freiheitliche Wirtschaftsordnung gar nicht funktionieren kann, fortlaufend zu verunsichern sucht. Dabei trifft die Nichtbeachtung der Selbständigen nicht nur diejenigen, die jetzt hier und heute in Handwerk, Industrie, Landwirtschaft und freien Berufen, Handel und Banken auf eigenes Risiko arbeiten und wirtschaften, sondern zugleich auch solche Menschen, deren Leben bereits heute durch die Hoffnung oder die Chance bestimmt wird, später einmal die Selbständigkeit zu erreichen; ob es sich um den jungen Handwerker handelt, der sich selbständig machen will, den Ingenieur, der ein Beratungsbüro eröffnen möchte, oder den Kaufmann, der seine eigene Existenz zu gründen sucht:

    (Abg. Dr. Schäfer ]Tübingen[: Immer Angst machen! Immer Angst machen!)




    Dr. Narjes
    Sie alle müssen durch das spürbare negative Schweigen der Regierungserklärung eher abgeschreckt sein. Sie finden kein Wort der Anerkennung für die breiten mittelständischen Schichten unseres Volkes.

    (Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!)

    Sie werden den Widerspruch spüren, der zwischen diesem Verhalten und den Festtagsreden über die Erweiterung des Freiheitsraumes des einzelnen Menschen liegt.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Auch der Satz der Regierungserklärung über das Eigentum und seine Sozialpflichtigkeit ist angesichts der Diskussion innerhalb der SPD über Staat, Wirtschaft und Gesellschaft unzureichend. Für die „guten Hände", in denen sich das Eigentum befinden soll, bietet nach allem, was in ihr dazu gesagt wird, diese Partei keine Gewähr. Statt einer klaren Aussage wird uns eine Schön-Wetter-Formel zugemutet.

    (Abg. Wehner: Holen Sie mal Luft!)

    Wir müssen uns bei der Diskussion der Wirtschaftspolitik der Regierungserklärung eben des Umstandes bewußt sein, daß es sich um die Erklärung einer Regierungskoalition handelt, deren Parteien, namentlich in den Flügelgruppen, in ihren wirtschaftspolitischen Vorstellungen durch unauflösbare Gegensätze getrennt sind. Der demokratische Sozialismus ist mit einer vom freien Unternehmer getragenen und dem Prinzip des Privateigentums verpflichteten Marktwirtschaft, zu der sich weite Teile der FDP bekennen, kaum vereinbar, jedenfalls ist dieses System

    (Abg. Dr. Schäfer [Tübingen] : Kennen Sie das überhaupt?)

    nicht mehr zu vereinbaren mit dem, was die auf Sprengung unserer bewährten marktwirtschaftlichen Ordnung angelegten Entmachtungsstrategien der radikalen Linken beabsichtigen.
    Dieser Geburtsfehler der Regierungserklärung, der eben offenbar nicht einmal mehr einen Formelkompromiß erlaubt hat, muß sich also mit der Koexistenz im Gewande des Schweigens begnügen, ein Schweigen, das es wohl der Regierung erlauben soll, zur Wirtschaft hin die Sprache des Marktes und mit den lautstarken Radikalen die andere Sprache des nur aus taktischen Gründen für eine Legislaturperiode an der Systemüberwindung Verhinderten zu sprechen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Für die Opposition muß gelten, daß Unklarheit zu Lasten der Regierung und ihrer Glaubwürdigkeit geht. Die maßvollen Vertreter der Mehrheit dürfen sich nicht wundern, wenn in Zweifelsfällen die letzten Absichten dieser Regierung auch im Lichte der Forderungen der extremen Flügel bewertet werden müssen, solange die Parteiführungen ihnen nicht glaubhaft und ausdrücklich widersprochen haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Letzteres ist um so mehr geboten, als in den vergangenen Jahren in Langzeitprogrammen und Langzeitstrategien die zweifelhafte Kunst entwickelt worden ist, radikale Ziele in einer harmlosen Sprache zu formulieren und sie in psychologisch wohl bemessene Teilabschnitte mit Überschriften der allgemeinen Weltbeglückung zu zerlegen. Unser Atem wird indessen länger sein.
    Als zweiten Geburtsfehler der Wirtschaftspolitik muß ich auf den drastischen Kompetenzabbau hinweisen, den das Bundeswirtschaftsministerium erfahren hat. Dieses stolze und mit der wohl glanzvollsten Periode der deutschen Wirtschaftsgeschichte verbundene Haus ist unnötig verkleinert worden. Das ist mehr als Koalitionsproporz und Organisationstechnik. Das muß auch als die Verkennung der Notwendigkeit einer übergreifenden, alle Teilbereiche der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik umfassenden Gesamtkonzeption verstanden werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wie sonst soll jetzt eine Wirtschaftspolitik aus einem Guß gesichert sein? Etwa durch die Führungskraft des Bundeskanzleramtes oder durch den Rotstift des Herrn ersten Ministers der Sozialdemokratie in dieser Regierung? Wir werden praktisch, so fürchten wir, wohl so viele Formen von Wirtschaftspolitik haben, wie es Ministerien gibt. Wir von der Opposition jedenfalls werden dem Bundeswirtschaftsministerium jede Hilfe geben, wenn es darum geht, einem weiteren Abbröseln der Kompetenzen entgegenzutreten.
    Die soziale Marktwirtschaft ist für uns die Wirtschaftsordnung der Freiheit, also der Freiheit der Konsumenten, der Freiheit der Arbeitsplatzwahl der Arbeitnehmer und auch ihrer Koalitionsfreiheit, der Gewerbefreiheit der Unternehmer und auch der Meinungsfreiheit der Bürger. Sie kann nur funktionieren, wenn sich ihr über den Markt gesteuerter Produktionsprozeß in einem Rahmen von Daten entwickelt, die von einem starken Staat gesetzt und auch wirksam durchgesetzt werden. Ein starker Staat ist ein Staat, der mächtiger ist als die großen Gruppen, auch wenn sie einmal gemeinsam auftreten oder einen Querschnitt von Gruppeninteressen anbieten, um den Herrn Bundeswirtschaftsminister zu zitieren.
    Ein unverzichtbares Element der marktwirtschaftlichen Ordnung ist der leistungsbezogene, funktionsfähige Wettbewerb. Er führt zu einer optimalen Kombination der Produktivkräfte und dient damit allen. Wir kämpfen für das Prinzip des Wettbewerbs aber nicht nur, weil er ein nützliches Instrument ist, um einen gut funktionierenden Marktablauf sicherzustellen, sondern auch, weil er ein hervorragendes, nicht autoritäres Koordinierungsinstrument der Einzelpläne der Bürger und der Unternehmer ist und weil schließlich nur im Wettbewerb unser politisches Grundziel der persönlichen Freiheit seinen wirtschaftlichen Ausdruck finden kann.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Marktmechanismus und Wettbewerb sind schließlich auch Machtkontrolleure von verfassungspolitischem Rang. Sie verhindern das Zusammenfallen von wirtschaftlichere und politischer Macht. In dem Maße nun, wie wir durch einen funktionsfähigen Wettbewerb diesem Ziele näherkommen, gewinnen wir zugleich an Legitimation, um über alle Formen



    Dr. Narjes
    von Macht in Wirtschaft und Gesellschaft zu sprechen, z. B. auch über die der nichthoheitlichen Kollektivvermögen.
    Die richtigen Daten für die Ordnung des Wettbewerbs zu setzen, seine Funktionsfähigkeit sicherzustellen ist eine permanente Aufgabe, weil auch das Verhalten am Markt und die Art und Größe der Märkte einem fortlaufenden Wandel unterworfen sind. Wir haben mit dem Kartellgesetz, dem wettbewerbspolitischen Grundgesetz der sozialen Marktwirtschaft, 1958 einen umfassenden Anfang gemacht. Im gleichen Sinne ist es unsere Initiative gewesen, entsprechende Vorschriften in die Römischen Verträge einzufügen. Wir bekennen uns zu einer aktiven Wettbewerbspolitik und halten deshalb ebenfalls die Tatbestände der in der letzten Legislaturperiode nicht verabschiedeten Kartellnovelle für schnell regelungsbedürftig.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Das gilt für die vorbeugende Fusionskontrolle ebenso wie für die Verstärkung der Mißbrauchsaufsicht über marktbeherrschende und marktstarke Unternehmen, schon um der Chancengleichheit der mittelständischen Betriebe willen. Durch neue Formen von Kooperation müssen die kleinen und die Mittelbetriebe überdies die Möglichkeit zu einer leistungssteigernden Zusammenarbeit erhalten, die ihre Produktivität verbessert und ihre strukturbedingten Nachteile auszugleichen sucht.
    Der Bundesregierung hat offenkundig die Führungskraft gefehlt, diese Kartellnovelle selbst fortzuschreiben und in den Bundestag einzubringen.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

    Sie überläßt es den Initiativen des Bundestages, dies zu tun, mit allen sich daraus ergebenden Unklarheiten, etwa für den Zeitbedarf bis zur Verabschiedung. An unserer konstruktiven Mitarbeit wird es nicht fehlen.
    Für die CDU/CSU wird es jedoch bei der Novellierung dort Grenzen geben, wo mit Hilfe der Wettbewerbsgesetzgebung Dirigismus und Staatswirtschaft erschlichen werden sollen. Wir werden uns auch an keinem Gesetz beteiligen, das die europäischen und internationalen Verpflichtungen, Verflechtungen und Dimensionen außer acht läßt, nicht in dem Sinne, wie Sie es zu unterstellen scheinen, hier Vorwände zu konstruieren, sondern um den Realitäten des Marktes gerecht zu werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Integrierter Bestandteil jeder Wettbewerbspolitik ist sodann für uns eine wirksame Verbraucherpolitik, wo immer sich die Notwendigkeit von Schutz und Aufklärung abzeichnet oder die Preispolitik helfen kann.
    Die wichtigste Aufgabe der Konjunkturpolitik, der ich mich jetzt zuwenden möchte, ist der Kampf gegen das soziale Unrecht der Inflation, gegen die weitere Entwertung des Geldes. Der Sachverständigenrat hat seinen Bericht diesem Ziele gewidmet und vieles bestätigt, was die Opposition dazu im Wahlkampf gesagt hat. Wir werden bei der Vorlage des Jahreswirtschaftsberichts darüber sprechen.
    Nach dem, was die Regierungserklärung jedoch zu
    diesem Thema gesagt hat, erscheint es mir unerläßlich, schon heute einige Feststellungen zu treffen.
    Zunächst noch zum Tatbestand! Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie haben eine Disziplin bei der Darstellung der konjunkturpolitischen Situation gefordert und die Mitverantwortung all derer hervorgehoben, die mit einer gewissen Autorität zu diesem Thema sprechen. Ich halte dies für richtig. Auch ich teile die Ansicht, daß jeder, der mit Verantwortung dazu spricht, eine gewisse Disziplin zu wahren hat. Aber ich meine, daß, wenn einmal das Vertrauen erschüttert ist, wenn einmal eine Preissituation inflatorischen Ausmaßes eingetreten ist, es dann umgekehrt die Pflicht aller Beteiligten sein sollte, möglichst klar und deutlich darüber zu sprechen, damit diese Wunde ein für allemal ausgebrannt werden kann und wir zu einer neuen Basis des Vertrauens kommen können.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die Regierungserklärung enthält noch kein umfassendes längerfristiges Stabilitätsprogramm, so wie wir es dringend benötigen. Bei einer Inflationsrate von 61/2 % für den Normal- und 7,1 % für den Rentnerhaushalt und weiter steigender Tendenz dieser Raten haben wir schon am Anfang dieser Aufschwungperiode eine Situation, für die es in der Nachkriegsperiode keinen Vergleich gibt. In dieser Lage und nach allem, was die Regierung in den vergangenen Jahren getan und versäumt hat, ist der Weg zurück zur Stabilität in jedem Fall für sie mühsam und steinig und erfordert viel Entscheidungskraft und Zähigkeit. Je länger aber die Bundesregierung zögert, ihn zu gehen, um so schwieriger wird er werden.
    Ein Dilemma ist schon am Jahresbeginn offenkundig geworden. Eine der Bundesregierung recht nahestehende Illustrierte hat in der vergangenen Woche eine Tabelle veröffentlicht, aus der sich ergibt, daß Gehaltserhöhungen von wenigstens 10 % nötig wären, wenn am Zahltag die Kasse stimmen soll. Eine solche Erhöhung kann jedoch die Bundesregierung aus stabilitätspolitischen Gründen als Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes z. B. weder bewilligen noch einkommenspolitisch gutheißen. Der Bundeskanzler muß also schon heute eingestehen, daß seine Wahlkampferklärung an die Arbeitnehmer, „unter dem Strich" werde immer noch ein realer Zuwachs übrigbleiben, nicht mehr wahr ist,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    weder wahr, noch wirklich in der Terminologie von heute morgen.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Barzel: Aber sonderbar!)

    — Ja, sonderbar!
    Wenn die Bundesregierung nicht schnell eine umfassende Stabilitätspolitik einleitet, kann es sich ergeben, daß sie in dieser Legislaturperiode wiederholt vor ein solches Dilemma gestellt werden wird. Wäre es dann nicht besser gewesen, die volle Autorität des Bundeskanzlers sofort nach der Wahl in einer vorgezogenen Konzertierten Aktion zu nutzen,



    Dr. Narjes
    um in einer nationalen Anstrengung aller Beteiligten den dornenvollen Weg zurück zur Stabilität abzukürzen? So hat die Bundesregierung bereits heute die erste Runde im Kampf um die Stabilität nach Punkten verloren.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Es ist heute auch nicht mehr klar ersichtlich, wie die Bundesregierung angesichts der erwähnten Auftriebskräfte und Vorbelastungen noch das in diesem Jahr notwendige Ziel einer Tendenzwende der Preisentwicklung erreichen kann, ein Ziel, das um so notwendiger erreicht werden muß, als sonst die gefährliche Inflationsmentalität nicht gebrochen werden kann.
    Ist es schließlich richtig, so müssen wir fragen, die Geld- und Kreditpolitik formal an die erste Stelle der stabilitätspolitischen Instrumente zu setzen? Gibt es dafür sachlich Gründe, oder sollte damit nur einer gewiß zögernden Bundesbank die Hauptlast der Stabilitätsbekämpfung zugeschoben werden?
    Weitere Fragen schließen sich an: Gibt das derzeitige Wetterleuchten an der Währungsfront der Bundesbank überhaupt für längere Zeit die notwendige außenwirtschaftliche Handlungsfreiheit? Ist man sich darüber klar, daß geld- und kreditpolitische Maßnahmen längere Vorlaufzeiten brauchen, daß sie aber, wenn sie einmal greifen, besonders hart die Beschäftigung treffen können? Ist sich die Bundesregierung darüber klar, daß eine extreme Kreditverteuerung und -verknappung, zu der eine isoliert handelnde Bundesbank gezwungen werden könnte, zugleich auch die Kosten und Preise nachhaltig beeinflußt und dabei besonders die mittelständische Wirtschaft schwächen kann?
    Neben die Geld- und Kreditpolitik müssen nach Ansicht der CDU/CSU als gleichrangige Instrumente die Einkommens- und Haushaltspolitik treten. In der Einkommenspolitik sollte durch ein abgestimmtes und in sich widerspruchsfreies Verhalten der Gruppen und des Staates unter Führung einer um das gegenseitige Vertrauen aller Partner bemühten Bundesregierung eine gleichmäßige und nur deshalb zumutbare Lastenverteilung der Inflationsbekämpfung versucht werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Dem Herrn Bundeskanzler und seiner Regierungsmannschaft fehlt offensichtlich die Kraft zur Führung, etwa durch Herausgabe der im Stabilitäts-
    und Wachstumsgesetz vorgeschriebenen Orientierungsdaten.
    Wäre es, um eine Frage hinzuzufügen, in der gegenwärtigen Phase des sich beschleunigenden Preisauftriebs nicht auch an der Zeit gewesen, daß der Bundeskanzler die Gewerkschaften auf die falsche Anlage ihrer Lohnstrategie hingewiesen hätte? Die Sachverständigen, deren Gutachten seit November vorigen Jahres vorliegt, heben hervor, daß nur geringe Chancen bestehen — ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten —,
    durch Ausübung von Marktmacht auf den
    Arbeits- und Gütermärkten die volkswirtschaftlichen Anteile der Arbeitseinkommen oder der
    Besitzeinkommen auf längere Sicht zu beeinflussen.
    Mit dem Sachverständigenrat stimmt die CDU/ CSU darin überein, daß die strategische Größe für die Verteilungspolitik, die Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand, die wachsende Beteiligung der Arbeitnehmer an den Kapitalerträgen darstellt und sein muß. Hier hätte die Bundesregierung deshalb schon heute konkret ansetzen müssen

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    und nicht ihre vagen Absichtserklärungen zur Vermögensbildung zum wer weiß wievielten Male wiederholen sollen. Dann hätte sie es den Gewerkschaften und ihren Mitgliedern sicherlich leichter gemacht, den Weg zurück zur Stabilität zu gehen.
    Auch die Statistenrolle, die die Bundesregierung der Ausgabenpolitik der öffentlichen Hände einräumen will, kann unter den gegenwärtigen Umständen nicht befriedigen. Auf die Ausführungen von Herrn Kollegen Strauß kann ich insoweit verweisen.

    (Abg. Wehner: Nur insoweit!)

    Natürlich ist es politisch mißlich, auf der Ausgabenseite der Haushalte zu streichen. Aber wenn uns eine Regierung in die derzeitigen außergewöhnlichen Inflationsraten hineinmanövriert hat, so muß von ihr mit Fug und Recht erwartet werden, daß sie wenigstens in diesem kritischen Jahr alle Instrumente und damit auch den Haushalt vielleicht auf beiden Seiten benutzt, um den Exponentialtrend des Preisauftriebs zu brechen.
    Im übrigen ist die angekündigte Wachstumsrate des Haushalts 1973 weder konjunkturgerecht, noch entspricht sie dem Geist der dazu vorliegenden Empfehlungen der EWG.
    Insgesamt vermitteln die konjunkturpolitischen Ausführungen der Regierungserklärung noch nicht den Eindruck, daß die Politik des Treibenlassens beendet werden soll. Um so gespannter erwarten wir den Jahreswirtschaftsbericht in der Absicht, durch konstruktive Kritik und Mitwirkung bei vernünftigen Maßnahmen zur Rückgewinnung der Stabilität beizutragen.
    Die fortlaufende Beschäftigung mit dem Thema der Inflation birgt die Gefahr in sich, daß wir die längerfristige Entwicklung der Qualität und Struktur unserer Wirtschaft und die Konsequenzen der Konjunkturpolitik für ihre Entwicklung nicht immer rechtzeitig erkennen. Das gilt nicht nur für die Rückwirkungen unserer Außenwirtschaft auf unsere Binnenstruktur oder für die unterschiedliche regionale Wirkung unserer konjunkturpolitischen Maß nahmen.
    Das gilt besonders für die zu Recht als Lohn kostenexplosion angesprochene Lohnentwicklung der letzten drei Jahre.
    Selbstverständlich wollen wir eine ständige Steigerung der Reallöhne in einer gewissen Anlehnung an die Entwicklung der Produktivität. Das ist dei wesentliche Inhalt jeder Politik, die den Lebens standard und den Massenwohlstand heben will. Das



    Dr. Narjes
    ist etwas anderes als der Rückgriff auf das süße Gift und die Scheinwelt der inflatorisch wirkenden Nominallohnsteigerungen. Diese hohen Nominallohnsteigerungen wirken als ein Faktor der Beschleunigung in unseren ohnehin beachtlichen Strukturwandlungsprozeß besonders hinein, Sie zwingen unsere Wirtschaft, den Übergang von der lohnintensiven zur kapitalintensiven Produktion noch schneller zu vollziehen, einen Übergang, den wir bisher dank der Elastizität unserer Wirtschaftsordnung im Ganzen gut meistern konnten. Diese 'Beobachtung darf uns aber nicht an der Feststellung hindern, ,daß der deutsche Produktionsstandort in den letzten Jahren im internationalen Vergleich eine grundlegend neue Bewertung erfahren hat, die sich auf die Investitionsprogramme dieser Jahre schon ausgewirkt hat und weiter auswirken wird und ,die erst in drei bis fünf Jahren in ihren Konsequenzen voll wirksam werden dürfte,


Rede von Dr. Hermann Schmitt
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Kollege, ich muß Sie leider auf den Ablauf der Redezeit aufmerksam machen.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Karl-Heinz Narjes


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Ich darf es einer späteren Debatte über den Jahreswirtschaftsbericht vorbehalten, zu den regionalstrukturpolitischen Ausführungen Stellung zu nehmen, desgleichen zu den Auswirkungen der Technologieprogramme der Bundesregierung auf die Struktur unserer Wirtschaftspolitik, und darf mich abschließend auf ein Wort zum Thema Europa beschränken.
    Die Regierungserklärung hat an mehreren Stellen im Zusammenhang mit der Wirtschaftspolitik von Europa gesprochen. Der Bundesaußenminister hat mit Recht die zunehmend irreversible Verflechtung des politischen und ides wirtschaftlichen Bereichs hervorgehoben. Politisch geht es im wirtschaftlichen Bereich insbesondere um die Fragen der Institutionen, um Fragen, die noch in diesem Jahr auf die Tagesordnung kommen, wenn es darum geht, über die kommende Etappe der Wirtschafts- und Währungsunion zu befinden und über die europäische Union insgesamt zu beraten.
    Wir müssen dazu daran erinnern, daß wir die Europäische Gemeinschaft in den Römischen Verträgen als eine Gemeinschaft der Völker vereinbart und Organe für sie gefunden haben, die unter Verwendung föderaler Verfassungserfahrungen konzipiert worden sind. und daß wir uns bereits in den Rämischen Verträgen verpflichtet haben, die in der Gemeinschaft angesiedelte und künftig anzusiedelnde öffentliche Gewalt demokratisch zu legitimieren und demokratisch zu kontrollieren.
    Um so größer ist unser Bedauern, daß die Regierungserklärung entgegen dem Votum des Europäischen Parlaments auch für die kommende Legislaturperiode die vertragliche Verpflichtung zu direkten Wahlen für das Europäische Parlament mit Schweigen übergeht.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Damit wird die Regierung noch in diesem Jahr in
    ein Dilemma kommen, wenn sie ihre Vorstellungen
    über die Institutionen der Wirtschafts- und Währungsunion festlegen und im einzelnen ,darüber verhandeln muß. Zu dieser Teilunion stelle ich nur fest, daß sie sinnvollerweise überhaupt nur dann in ihre zweite Etappe eintreten kann, wenn eine in der Sache ausgefeilte Synchronisierung wirtschafts- und währungspolitischer Fortschritte in ihr sichergestellt ist.
    Auf das 15-Punkte-Programm — —