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ID0700908900

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    Deutscher Bundestag 9. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1973 Inhalt: Verzicht des Abg. Augstein (Hamburg) auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag 243 A Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Opitz (FDP) . . . . . .. . . 243 B Dr. Wulff (CDU/CSU) . . . . . . 244 D Dr. Eppler, Bundesminister (BMZ) . 246 A, 249 D Dr. Freiherr von Weizsäcker (CDU/CSU) . . . . . . . . . 249 B Dr. Barzel (CDU/CSU) . . 250 B, 252 C, 257 A, 263 B Brandt, Bundeskanzler . 251 B, 262 B Wehner (SPD) . . . . 253 C, 262 B Scheel. Bundesminister (AA) . . . 257 A Dr. Mikat (CDU/CSU) . . . . . . 262 A Dr. Ehmke, Bundesminister (BMP) . 264 A Mischnick (FDP) . . . . . . . . 264 C Dr. Friderichs, Bundesminister (BMW) 264 D Dr. Narjes (CDU/CSU) . . . . . 268 D Junghans (SPD) 273 D Dr. Graf Lambsdorff (FDP) . . . 277 B Frau Dr. Wex (CDU/CSU) . . . 280 B Arendt, Bundesminister (BMA) . . 283 C Frau Dr. Focke, Bundesminister (BMJFG) . . . . . . . . 286 B Katzer (CDU/CSU) 288 D Dr. Schellenberg (SPD) 293 D Frau Funcke (FDP) 296 D Frau Eilers (Bielefeld) (SPD) . . 300 D Genscher, Bundesminister (BMI) . 303 B, 323 D Dr. Dregger (CDU/CSU) 307 C Dr. Schäfer (Tübingen) (SPD) . . 312 C Vogel (Ennepetal) (CDU/CSU) . . 318 A Dr. Hirsch (FDP) . . . . . . . 321 A Dr. Meinecke (Hamburg) (SPD) . 324 D Dr. Martin (CDU/CSU) 327 C Frau Schuchardt (FDP) . . . . . 331 A Dr. von Dohnanyi, Bundesminister (BMBW) 333 A Nächste Sitzung 336 C Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 337* Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1973 243 9. Sitzung Bonn, den 25. Januar 1973 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Adams * 26. 1. Dr. Ahrens ** 27. 1. Alber ** 27. 1. Amrehn ** 27. 1. Augstein (Hattingen) 26. 1. Behrendt * 26. 1. Blumenfeld ** 27. 1. Dr. Dollinger 10. 2. Dr. Enders ** 27. 1. Flämig * 26. 1. Gerlach (Emsiand) * 26. 1. Hösl ** 27. 1. Jung ** 27. 1. * Für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** Für die Teilnahme an Sitzungen der Beratenden Versammlung des Europarates Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich Kahn-Ackermann ** 27. 1. Dr. Kempfler ** 27. 1. Dr. h. c. Kiesinger 27. 1. Lampersbach 25. 1. Lemmrich ** 27. 1. Memmel * 26. 1. Dr. Miltner 2. 2. Dr. Müller (München) ** 27. 1. Pawelczyk ** 27. 1. Richter ** 27. 1. Roser ** 27. 1. Schmidt (Wattenscheid) 25. 1. Schmidt (Würgendorf) ** 27. 1. Dr. Schulz (Berlin) ** 27. 1. Sieglerschmidt ** 27. 1. Dr. Slotta 2. 2. Springorum * 26. 1. Stücklen 26. 1. Dr. Todenhoefer 24. 2. Frau Dr. Walz ** 27. 1. Westphal 26. 1. Frau Will-Feld 24. 2. Wolfram * 26. 1.
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    Herr Präsident! Sehr verehrte Damen! Meine Herren! In der ersten Runde der Debatte über die Regierungserklärung in der vergangenen Woche hat die Opposition bemängelt, daß in der Regierungserklärung das Wort „soziale Marktwirtschaft" nicht enthalten sei. Die Opposition hat hinzugefügt, dies sei



    Bundesminister Dr. Friderichs
    nach ihrer Meinung kein Zufall, aber es wundere um so mehr, als verkündet worden sei, diese Regierungserklärung enthalte eine liberale Handschrift. Erlauben Sie mir zu diesem Teil zunächst einige Bemerkungen.
    Ich bin der Meinung, daß unsere Wirtschaftsordnung und damit auch die Wirtschaftspolitik dieser Regierung nicht von Formeln, sondern von dem Inhalt der von ihr zu betreibenden Politik bestimmt wird. Die Wirtschaftspolitik dieser Regierung wird — da braucht die Opposition gar nicht besorgt zu sein — in einer bestehenden freiheitlichen Wirtschaftsordnung verankert bleiben. Das sage ich, um jede Spekulation, ob sie nun auf Besorgnis oder gar Hoffnung beruhen mag, von vornherein auszuschalten. Es ist ebenso keine Frage, daß diese Wirtschaftsordnung vom Handeln nicht nur der Bundesregierung, sondern auch der Arbeitnehmer, der Unternehmer, der Verbraucher, der Gewerkschaften und Verbände, schlicht: von dem Verhalten all derer bestimmt wird, die daran beteiligt sind.
    Herr Dr. Barzel, Sie haben das Fehlen des Wortes als eines Formelbegriffs oder als eines Begriffs moniert. Erlauben Sie mir dazu zwei Bemerkungen:
    Erstens. Im Sitzungsbericht ist auf Seite 126 in den Ausführungen des Bundeskanzlers klar der Satz enthalten, in dem von der Leistungs- und Anpassungsfähigkeit der marktwirtschaftlichen Ordnung gesprochen wird. Das wird dort ausdrücklich hervorgehoben. Dies nur zur Klarstellung.
    Zweitens. Für sehr viel wichtiger halte ich aber die Tatsache, daß in der Regierungserklärung Ausführungen zum Inhalt der Politik enthalten sind. Diese Regierung hat eben nicht die Absicht, mit Formeln, sondern mit Inhalten Politik zu machen. Da ist einmal der Teil, der sich mit der Stabilitätspolitik befaßt. Da geht es um die Anforderungen an die Weltwährungsordnung, die Tarifautonomie der Sozialpartner, den Schutz des Eigentums, die Sicherung des Wettbewerbs, den Verbraucherschutz und eine aktive Verbraucherpolitik. Dies ist Inhalt von Politik. Wenn man das zusammenfaßt, könnte man auf das Wort sogar ganz verzichten, weil es wichtiger ist, den Inhalt darzustellen und zu praktizieren.

    (Beifall bei der FDP.)

    Die Sorge, die hier ausgedrückt wird, ist völlig überflüssig.
    Herr Dr. Barzel, bitte, erlauben Sie mir gleich die Bemerkung: Sie können davon ausgehen, daß sich dieser Wirtschaftsminister als ein Offizialverteidiger unserer Wirtschaftsordnung empfindet, so daß die Sorge, sofern sie echt gewesen sein sollte, überflüssig ist.

    (Abg. Dr. Luda: Sehr gut!)

    Dies bestätigen auch namhafte, politisch angehauchte oder nicht angehauchte Autoren. Ich denke z. B. an „Die Welt" — ich meine diese begrenzte „Welt", die in Papierform hier zu kaufen ist, nicht die übrige Welt —, die sehr klare Ausführungen dazu gemacht hat, ebenso wie Herr Professor Biedenkopf.
    Aber wir sollten am Beginn dieser Periode genauso deutlich sagen, daß diese Wirtschaftsordnung keine für Schönwetterlagen ist. Bei manchen draußen im Lande habe ich den Eindruck, daß sie den Begriff dann sehr gern gebrauchen, wenn es sehr angenehm ist, daß sie ihn aber sehr schnell nicht mehr oder anders gebrauchen, wenn es um die andere Seite dieses Systems geht, wenn ihnen nämlich der verschärfte und harte Wind des Wettbewerbs ins Gesicht bläst.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die Bundesregierung wird die Ernsthaftigkeit des Willens der Opposition, zur Ausgestaltung dieser Wirtschaftsordnung beizutragen, daran messen, ob sie dann, wenn opportunistische Gruppeninteressen Dinge fordern, die mit dem freiheitlichen Teil dieses Systems nichts zu tun haben, auf der Seite der Rufer oder der Seite der Verteidiger stehen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.) Dies wird mit Spannung erwartet.

    Lassen Sie mich gleich eine Bemerkung hinzufügen. Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung mehrfach das Wort „Leistung" gebraucht. Ich habe den Eindruck, daß es von einigen Damen und Herren dieses Hohen Hauses so verstanden worden ist, als ob sich dieses Wort ausschließlich an die Tätigen in unserem Volk richtet, nämlich an die Arbeitnehmer. Nein, meine Damen und Herren, das Wort „Leistung" richtet sich im selben Umfang an diejenigen, die in anderer Funktion, nämlich als Unternehmer, in unserem Staat, in unserer Gesellschaft mitwirken. Auch an sie ist dieser Anspruch in aller Deutlichkeit zu richten.

    (Abg. Dr. Luda: Das hatten wir unterstellt!)

    — Vielen Dank, Herr Abgeordneter. Die Bundesregierung ist daher bereit, einen konstruktiven Dialog mit allen Gruppen zu führen, aber sie ist nicht bereit, den Querschnitt von Gruppeninteressen zum Leitbild ihrer Wirtschaftspolitik zu machen. Dies muß in aller Deutlichkeit gesagt werden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Unser Volk hat eine eindeutige Mehrheit in dieses Parlament geschickt. Daraus ist eine Regierung gebildet worden. Diese Regierung hat auch ihre wirtschaftspolitischen Zielvorstellungen formuliert, und sie wird sie durchsetzen. Sie wird bereit sein, Ratschläge anzunehmen, aber sie wird eben nicht bereit sein, faule Kompromisse im Sinne von Querschnittsmeinungen oder unterschiedlichen Gruppenkartellen zu Lasten des Gemeinwohls zum Gegenstand ihrer Politik zu machen.

    (Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/ CSU.)

    Dies soll auch die Opposition am Beginn dieser Periode wissen.
    Auch das soll gesagt sein: Marktwirtschaft ist keine Veranstaltung zugunsten von Unternehmern, sondern Marktwirtschaft ist eine Veranstaltung zu-



    Bundesminister Dr. Friderichs
    gunsten der Verbraucher, das heißt, der Gesamtheit dieses Volkes.

    (Beifall bei den Regierungsparteien und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

    So werden wir uns mit diesen Fragen auseinander- setzen.
    Lassen Sie mich gleich ein Wort zu dem Begriff „Gewinn" sagen, der manchmal in Zweifel gezogen wird. Meine Damen und Herren, diese Regierung ist auch gewillt, das Ziel, Leistung zu erbringen und Gewinne zu erwirtschaften, im richtigen Rahmen zu sehen. Das bedeutet, daß bei voller Aufrechterhaltung einer freiheitlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung die jeweiligen konkreten Daten, die den Rahmen abstecken, neu gesetzt werden müssen. Zu den Daten, die den Rahmen abstecken, gehört, daß in einer veränderten Welt, in einer veränderten Umwelt die Bezüge — auch bezüglich des Verhaltens der Gruppierungen — neu definiert werden müssen. Anders ausgedrückt: Der Begriff „Gewinnmaximierung" — ich möchte lieber sagen: Gewinnoptimierung — muß auch im Rahmen der anderen, übergeordneten Ziele gesehen werden, in die er einzuordnen ist. Dies ist manchmal nicht deutlich genug gesagt worden. Daß wir sie brauchen, steht außer jedem Zweifel.
    Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang ein paar Worte zu dem vielleicht wichtigsten Gesetz sagen, das in den nächsten Monaten — genau genommen, in der nächsten Woche eingebracht wird, das mit dem ordnungspolitischen Teil zu tun hat. Wenn in der nächsten Woche die Koalitionsfraktionen die alte, aus der vorigen Legislaturperiode bekannte Novelle zum Kartellgesetz einbringen und sie dann beraten wird, werden wir ermessen können, wo die Bereitschaft zur Verschärfung von wettbewerbsrechtlichen Vorstellungen enthalten ist. Wir wollen — und diese Regierung wird das auch tun — die Einführung einer vorbeugenden Fusionskontrolle, die Verbesserung der Mißbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen sowie Kooperationserleichterungen für kleine und mittlere Unternehmen. Herr Abgeordneter Dr. Strauß, natürlich wissen wir — und beachten dies auch —, daß wir eine Wirtschaft brauchen, die im Wettbewerb auch außerhalb Deutschlands, auch außerhalb Europas leistungsfähig ist. Aber wir sind nicht bereit, unter dem Vorwand — ich betone: unter dem Vorwand — von Leistungsfähigkeit draußen den Wettbewerb im Innern weiterhin einschränken zu lassen. Dafür wird es in diesem Hause keine Mehrheit geben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Deswegen werden die Koalitionsfraktionen und die Bundesregierung auch z. B. die Frage abgestimmter Verhaltensweisen — eine Frage, deren Bedeutung häufig unterschätzt wird — in die Beratung dieses Gesetzes einbeziehen. Ich weiß, daß es nicht leicht sein wird, abgestimmte Verhaltensweisen von zufälligem gleichförmigen Verhalten zu unterscheiden. Sie selber können einen Beitrag dazu leisten, wenn Sie bei der Formulierung dieses Teiles des Gesetzentwurfs mitwirken mit dem Ziel, daß
    klar von zufälligem gleichförmigen Verhalten abgegrenzt wird und daß am Ende eine sowohl praktikable wie justiziable Lösung herauskommt.
    Ich meine, wir sollten das Verhalten dieser Regierung und der Mehrheit dieses Parlaments nicht daran messen, ob es permanent mit Formeln und Begriffen um sich wirft, sondern daran, ob es bereit ist, mit Mehrheitsentscheidungen auch unpopuläre Dinge durchzusetzen, wenn sie zu einer fortschreitenden Entwicklung dieser Ordnung führen. Ich betone: zu einer Entwicklung, nicht zu einem starren Festhalten. Ich kann mich manchmal des Eindrucks nicht erwehren, als ob Sie sich bei diesem Teil — der sehr kritisch wird — ähnlich wie bei der vorangegangenen Debatte über die Außenpolitik lieber mit Begriffen auseinandersetzen als mit Inhalten von Politik. Damit allerdings werden wir nicht weiterkommen.

    (Abg. Dr. Luda: Abwarten!)

    — Ich warte mit Spannung ab, und ich warte natürlich mit Freude darauf.

    (Abg. van Delden: Denken Sie an den § 102, Herr Minister!)

    Lassen Sie mich ein paar Zusatzbemerkungen zur Stabilitätspolitik machen. Der Gegenstand dieser Fragen, dessen ausfürliche Behandlung in der Regierungserklärung von der Opposition ebenfalls vermißt worden ist, wird im Zusammenhang mit dem Jahreswirtschaftsbericht behandelt werden, der, was die Bundesregierung anbelangt, ohne Problem Mitte Februar in diesem Parlament behandelt werden kann. Eine frühere Vorlage, meine Damen und Herren, war — dies hatte ich mit dem Oppositionsführer auch besprochen — allein schon deswegen nicht möglich, weil es kaum angegangen wäre, den Konjunkturrat und die Konzertierte Aktion zu einem Zeitpunkt einzuberufen, zu dem die Regierungserklärung entweder nicht abgegeben oder nicht diskutiert worden war. Frühester Termin ist deshalb die kommende Woche. Sie werden daher eine einoder zweiwöchige Verspätung der Vorlage in Kauf nehmen müssen. Das hat aber auch den Vorteil, daß die Erfahrungen aus dieser Debatte und die Entwicklungen in den ersten Monaten dieses Jahres, einschließlich der Abschlüsse der Tarifvertragsparteien, noch Gegenstand des Jahreswirtschaftsberichts werden können, so daß wir auf Grund eines auf neuestem Stand befindlichen Datenmaterials über die wirtschaftliche Entwicklung miteinander sprechen und diskutieren können.
    Wir sind gespannt darauf, ob außer dem Bemängeln in bezug auf ausreichende Stabilität auch die Bereitschaft vorhanden ist — die Regierungsparteien sind dazu bereit —, Entscheidungen zu treffen, die dem einen oder anderen oder der einen oder anderen Gruppe nicht sehr angenehm sind, weil sie wiederum Leistungen im Sinne von stabilitätsorientierter Leistung erfordern. Denn, meine Damen und Herren, mit der Methode: „Wasch mir den Pelz und mach mich nicht naß!" werden Sie nicht weiterkommen.

    (Abg. Dr. Müller-Hermann: Wer ist „Sie"?)

    — Herr Abgeordneter Müller-Hermann, ich meine
    auch Sie. Denn bis jetzt ist ja von dem, was Sie wol-



    Bundesminister Dr. Friderichs
    len, nichts gesagt worden, sondern Sie haben ausschließlich gesagt, was Ihnen nicht gefällt. Ich warte mit Spannung auf den ersten nennenswerten Streichungsantrag der Opposition bei den Haushaltsberatungen.

    (Abg. Dr. Barzel: Wenn wir erst mal einen Haushalt haben!)

    Ich warte mit Spannung auf Ihre Beiträge bei der Diskussion des Jahreswirtschaftsberichts, angesichts des Ziels, das die europäischen Staaten vereinbart haben,

    (Abg. Rawe: Bei der mittelfristigen Finanzplanung!)

    im Dezember 1973 eine andere, nämlich eine niedrigere Preissteigerungsrate zu haben und damit den Trend bei diesem Teil des wirtschaftspolitischen Verhaltens umzukehren. Für mich und für diese Regierung hat der Hinweis auf die Währungsproblerme anderer Länder — auch das soll klar gesagt sein — keine Alibifunktion.

    (Abg. van Delden: Sehr gut!)

    Wir wissen, daß wir im eigenen Lande genug zu tun haben. Wir wissen aber auch, daß leider ein Teil unserer Maßnahmen in europäische Verhaltensweisen eingebettet sein muß und daß hier nicht immer alles so ganz einfach ist. Das kam bei der Diskussion über die Wirtschafts- und Währungsunion ja auch hinreichend zur Sprache und wird in diesem Zusammenhang noch einmal zur Sprache kommen.
    Lassen Sie mich alles in allem folgendes ganz deutlich sagen. Wir stehen am Beginn einer Aufschwungphase, die auch durch die Behauptungen vom Herbst des vergangenen Jahres nicht abgebremst worden ist. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich genauso deutlich sagen: Niemand sollte glauben, daß die Schwarzmalerei der Monate September, Oktober und der ersten Hälfte November 1972, was die wirtschaftliche Lage anbelangt, dazu beigetragen hätte, diese Lage zu stabilisieren. Im Gegenteil!

    (Beifall bei der FDP.)

    Sie müssen sich sagen lassen, daß auch in einem Bundestagswahlkampf die Fragen, die ihrerseits psychologische Wirkungen auf das Verhalten einer großen Zahl von Verbrauchern haben, mit einer gewissen Art von Disziplinen behandelt werden müssen. Weil das nicht geschehen ist, wird Ihnen das hier und heute vorgehalten.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Luda: Dann hat auch das Sachverständigengutachten geschadet! Die Sachverständigen haben nämlich dasselbe gesagt wie wir!)

    — Das hat eben nicht geschadet, weil die Form des Sagens für Meinungsbildungsprozesse unendlich wichtig ist, Herr Abgeordneter.

    (Abg. van Delden: Das sagen Sie mal Helmut Schmidt! Er sprach von 5 º/o Arbeitslosen!)

    — Sie nennen das Stichwort „Arbeitslose". Es ist Ihnen gelungen, in einer bestimmten Phase des
    vorigen Deutschen Bundestages so zu tun, als ob selbst die Arbeitsplätze gefährdet seien. Meine Damen und Herren, ich verkenne nicht, daß die Arbeitsplätze einiger Abgeordneter bei Wahlen gefährdet sind. Aber das bedeutet doch nicht automatisch, daß die Arbeitsplätze draußen gefährdet sind. Das ist doch der Unterschied.

    (Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Rawe: Gut, daß Sie das sagen, denn das war ja von Herrn Schmidt, nicht von uns!)

    Genauso können Sie das Floaten von Abgeordneten doch auch nicht mit dem Floaten von Währungen vergleichen.

    (Erneute Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Rawe: Nett, daß Sie dem Schmidt so eine Ohrfeige verpaßt haben!)

    Das Floaten von Währungen schafft zwar andere Paritäten, aber es ist im letzten Deutschen Bundestag nicht einmal gelungen, die Paritäten durch das Floaten nachhaltig zu verändern, weil bei der endgültigen Festsetzung der „Kurse" am 19. November die Paritäten anders festgesetzt worden sind,

    (Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien)

    weil — um es ganz deutlich zu sagen; lassen Sie es mich einmal so formulieren — es beim Floaten sehr häufig so ist, daß das schlechte Geld dahin geht, wo es glaubt, im Moment eine bessere Marktchance zu haben. Das hat nicht geklappt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Sie müssen sich jetzt damit abfinden, daß diese Regierung von ihrer Mehrheit auch in der Wirtschaftspolitik Gebrauch machen und auf der Basis unserer wirtschaftlichen Grundordnung — Sie brauchen gar keine Sorge zu haben, daß wir diese Grundordnung verlassen — Entscheidungen fällen wird. Sie ist auch bereit, jeden konstruktiven Beitrag aus diesem Hause und insbesondere von der Opposition aufzunehmen und zu prüfen und, wenn er sich in die wirtschaftliche Gesamtsituation richtig einordnet, in ihrem Programm zu berücksichtigen. Wir warten mit Spannung auf solche konstruktiven Beiträge von Ihnen.

    (Abg. Dr. Luda: Gilt das auch für Steuerreform, Mitbestimmung und Vermögensbildung?)

    — Herr Abgeordneter, darüber werden wir in den jeweiligen Debatten diskutieren. Wenn Sie in der Lage sein sollten, sogar zur Frage der Mitbestimmung einen konstruktiven Beitrag zu leisten, würden wir ihn beispielsweise dankbar aufnehmen,

    (Beifall bei den Regierungsparteien)

    wobei ich unter „konstruktiv" nicht verstehe: so nicht!, jetzt nicht! und Enthaltung. Das ist nicht konstruktiv im Sinne einer Fortentwicklung der Teilnahme der Arbeitnehmer an den Entscheidungsprozessen in einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung, in der sich aber ganz bestimmte Konstellationen entwickelt haben.



    Bundesminister Dr. Friderichs
    Lassen Sie mich zu einem Gebiet noch etwas sagen, weil die Presse hinreichend darauf eingegangen ist. Diese Bundesregierung wird in diesem Jahr ein Konzept für das Gebiet der Energiepolitik vorlegen. Ich möchte hier nicht in die Details gehen. Weil ich aber weiß, daß dieses Thema draußen im Lande, insbesondere in den Regionen, in denen der Energieträger Kohle zu Hause ist, heiß diskutiert wird, möchte ich mir einige Bemerkungen dazu erlauben.
    Erstens. Diese Bundesregierung ist nicht bereit — auch nicht unter dem Druck bestimmter Interessenten —, Einzelprobleme des Gesamtkonzeptes vorzuziehen und damit die Erarbeitung eines Gesamtkonzeptes zu gefährden.

    (Beifall bei der FDP.)

    Dies sei hier gesagt, weil veröffentlichte Briefe mir dazu einen Anlaß ,geben. Sie wissen, wen und was ich meine.
    Zweitens. Die Energieversorgung war in den letzten Jahren relativ problemlos. Es ist nicht zu verkennen, daß es sich dabei um eine so langfristige Aufgabe handelt, daß auch die Versorgungsfragen des nächsten Jahrzehnts jetzt in strukturellen Beziehungen aufgerissen und geklärt werden müssen.
    Drittens. Die Risiken vom Weltenergiemarkt her sind in letzter Zeit größer geworden, und sie werden nach unserer Überzeugung weiterhin größer werden. Daher müssen diese Risiken in das Gesamtkonzept einbezogen werden.
    Viertens. Die Situation des deutschen Steinkohlenbergbaus hat sich entscheidend verschlechtert. Diese Problematik ist bei der Energiekonzeption zu berücksichtigen.
    Dazu stellen wir uns folgende Aufgaben. Wir müssen eine Verminderung der Risiken im Mineralölbereich herbeiführen. Die Weltmärkte scheinen sich umzukehren, was für uns als überaus großes Importland dieses Energieträgers von Bedeutung ist. Wir werden den Versuch machen, die Förderung kostengünstigerer und sicherer Ersatzenergien vorzunehmen. Und schließlich: Die Konsolidierung des einheimischen Steinkohlenbergbaus wird auch Bestandteil des Energiekonzepts sein.
    Bei der Lösung der Gesamtproblematik wird auch der Zielkonflikt Umweltschutz, Preisgünstigkeit und Sicherheit der Versorgung aufeinander abzustimmen sein.
    Ich weiß, daß dies nicht einfach ist; aber die Bundesregierung hat die Absicht — und sie wird diese Absicht verwirklichen —, sich nicht nur mit einem Energieträger zu befassen, sondern eine Konzeption vorzulegen, die auch eine Voraussetzung für die dauerhafte Wettbewerbsfähigkeit dieser Wirtschaft und damit für die weitere Entwicklung unserer Gesellschaft bedeutet, weil Energie — und deswegen äußere ich mich bewußt nur zu diesem Einzelteil — eben nicht irgend eine Art von Produktion ist, sondern weil Produktion und Versorgung mit Energie im Grunde genommen eine infrastrukturelle Aufgabe in dieser Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung darstellen. Auch hier sind ,die Probleme der europäischen Politik mit zu berücksichtigen.
    Eine letzte Bemerkung zum strukturellen Teil. Neben einer Überprüfung unserer Regionalstrukturpolitik, wo sicher auch der eine oder andere Aspekt persönlicher Interessen aus dem jeweiligen Wahlkreis mit übergeordneten Interessen einer sinnvollen regionalen Strukturpolitik in Widerstreit geraten werden, wind es darauf ankommen, mehr als früher in der sektoralen Strukturpolitik den Mut zu einer aktiven Strukturpolitik zu haben und nicht nur die Dinge sich entwickeln zu lassen, um die eine oder andere Ungereimtheit durch eine staatliche Anpassungsmaßnahme etwas zu erleichtern — eine Art Sterbehilfe zu leisten —, sondern wir müssen unsere wirtschaftlichen Strukturen rechtzeitig dem sich verschärfenden Wettbewerb auf den Weltmärkten mit dem Ziel anpassen, durch eine rechtzeitige Umstrukturierung auch langfristig — ich betone: langfristig — einen Beitrag zu einer stabilitätsorientierten Politik zu leisten.
    An diesen Maximen wird sich diese Bundesregierung in diesem Jahr auf wirtschaftspolitischem Gebiet messen lassen.

    (Beifall bei ,den Regierungsparteien und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)



Rede von Dr. Hermann Schmitt
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Narjes.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Karl-Heinz Narjes


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der Rede des Herrn Bundesministers Friderichs haben wir die Diskussion über die Wirtschaftspolitik begonnen. Ich möchte diese punktuelle liberale Offizialinterpretation der Regierungserklärung an den Punkten im einzelnen berücksichtigen, wo sie in der Antwort auf die Regierungserklärung ihren Platz finden. Ich halte es aber von vornherein für richtig, zu sagen, daß wir die Energiepolitik als Ganzes später in diesem Jahr diskutieren, wenn das Konzert im Detail vorliegt, das uns jetzt in seinem größeren Rahmen angekündigt worden ist.
    Die Bundesregierung hat in ihrer Erklärung die Gesellschaftspolitik in den Mittelpunkt gestellt, mehr als die Wirtschaftspolitik. Mit dieser Feststellung ist kein Vorwurf verbunden; sie macht es nur nötig, darauf hinzuweisen, daß die Wirtschaftspolitik eine Schlüsselfunktion für nahezu alle Bereiche der Politik hat; ohne eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik kann es auch keine erfolgreiche Gesellschafts- und Sozialpolitik geben. Jeder Zuwachs des Sozialprodukts kann nur einmal verteilt werden. Eine alle Aspekte der Wirtschafts-, Sozial-, Gesellschafts- und Verfassungspolitik berücksichtigende und ordnende wirtschaftspolitische Gesamtkonzeption ist, wie dieser Hinweis und auch die liberale Offizialinterpretation der Regierungserklärung beweisen, unabdingbar. Diese Regierungserklärung läßt in ihren spärlichen Aussagen grundsätzlicher Natur wie in ihren wirtschaftspolitischen Einzel-Inhaltsangaben einen konzeptionellen Gesamtzusammenhang indessen nicht erkennen.



    Dr. Narjes
    Unsere eigenen wirtschaftspolitischen Ordnungsvorstellungen sind gewachsen aus der geschichtlichen Bewährung des mit dem Namen und dem Erfolg Ludwig Erhards unlösbar verbundenen Leitbildes der sozialen Marktwirtschaft.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Unsere Politik ist der Ausdruck unseres Willens zu einer offenen, allein dem Menschen und seinem Wohl verpflichteten, sozial gerechten Wirtschaftsordnung, die sich auch uneingeschränkt dem Geist und dem Buchstaben des Grundgesetzes verpflichtet weiß. Sie erlaubt es, verantwortete Freiheit des einzelnen und die soziale und humane Berufung und Verpflichtung des Staates miteinander in Einklang zu bringen. Unsere Wirtschaftspolitik ist kein Selbstzweck, sie ist immer ein Stück praktischer Gesellschaftspolitik im Dienste des Bürgers.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Sie ermöglicht soziale Gerechtigkeit ohne Kollektivismus. Das Wohl der Bürger als Arbeitnehmer, als Verbraucher, als Angehörige freier Berufe, als Handwerker, als Kaufleute, als Unternehmer ist die Richtschnur unseres Handelns. Ihrer aller Leistungen sind jedoch unverzichtbare Voraussetzungen für den Erfolg. Wir wissen nach 20 Jahren erfolgreicher Anwendung unserer Wirtschaftspolitik, daß sie ihre Bewährungsprobe im Alltag — um dieses Kriterium aufzugreifen — besser bestanden hat als jede andere bisher bekannte und erprobte Wirtschaftsform.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Dabei ist sie anpassungsfähiger und elastischer als I alle ideologisch fixierten Ordnungsvorstellungen der Marxisten oder jener Zeitgenossen, die meinen, daß man sich mit dem Marxismus irgendwo auf halbem Wege treffen könne.

    (Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!)

    Die Organisation des arbeitsteiligen Produktionsprozesses in der sozialen Marktwirtschaft ist auch menschenwürdiger, und ihre Möglichkeiten für eine sozial gerechte Verteilung des Sozialprodukts sind ergiebiger als die anderer Ordnungssysteme, die überdies sämtlich ein geringeres Maß an Freiheit und damit an Würde des Menschen bieten. Sie sichert aber nicht nur die materielle Seite der Freiheit und der Selbstbestimmung des einzelnen Menschen. Sie gibt ihm zugleich die Chance der persönlichen Bewährung in der eigenständigen Leistung, und ich beziehe mich auf alles, was dazu gestern hier gesagt worden ist.
    Weil sie wirksamer ist als andere Wirtschaftsordnungen, erlaubt sie es schließlich auch, mehr Mittel, etwa — um ein praktisches Beispiel zu nennen — für die Humanisierung des Produktionsverlaufes bereitzustellen. Denn die ständige Verbesserung der Qualität des Arbeitsplatzes, an dem die Menschen auf absehbare Zeit immer noch den größten Teil ihrer Zeit verbringen und ihrer Kraft einsetzen werden, ist für uns auch weiterhin ein Ziel besonderer Priorität.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Unsere Wirtschaftspolitik lehnt den Irrweg in das Kollektiv ab, selbst wenn er mit einer entliehenen,
    frömmelnden Sprache angeboten werden sollte. Unsere Freiheit ist prinzipiell die persönliche Freiheit, die der citoyen — um das Wort des Herrn Bundeskanzlers aufzugreifen — einst dem absoluten Fürsten abgetrotzt und in Verfassungs- und Grundrechten, auch für seine wirtschaftliche Handlungsfreiheit, abgesichert hat. Diese Freiheit ist etwas anderes als eine sich unter dem irreführenden Namen „Sicherung der realen Freiheit" vollziehende Zuweisung begrenzter Wahlmöglichkeiten an die einzelnen Angehörigen eines Kollektivs. Das führt allenfalls zu einem geborgenen Leben in der stickigen Luft eines allmächtigen Wohlfahrtsamtes.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die Regierungserklärung hat sich im Gegensatz zu der des Jahres 1969 nicht zur marktwirtschaftlichen Ordnung bekannt, und dies kann kein Zufall sein. Sie hat sich auch nicht zu den Bedingungen ihrer Funktionsfähigkeit und ihrem sozialen Nutzen geäußert. Dies wäre um so notwendiger gewesen, als nach dem Wahlkampf im Zeichen des demokratischen Sozialismus erhebliche Zweifel über die Ordnungsvorstellungen der Sozialdemokratie bestehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf des Abg. Dr. Schäfer [Tübingen].)

    Dieser vieldeutige Begriff des demokratischen Sozialismus kann auch Ordnungssysteme meinen, die mit dem, was wir, was der Herr Bundesminister Friderichs und was die Menschen im Lande unter sozialer Marktwirtschaft verstehen, nichts mehr zu tun haben.

    (Zurufe von der SPD.)

    Da der Bundeskanzler in der sozialen Marktwirtschaft anscheinend auch — so seine Rede vom 10. Dezember — eine Tarnbezeichnung für die Verfestigung ihm unliebsamer Machtstrukturen sieht, da er selbst sich Demokratie nur im Sozialismus vollendet vorstellen kann und da der Vorsitzende der Jungsozialisten schon heute die Existenz der sozialen Marktwirtschaft überhaupt leugnet, hätte diese Koalition aus FDP und SPD noch mehr Veranlassung gehabt, die verdächtige Flucht ins Schweigen in der Regierungserklärung zu unterlassen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Eine Erklärung zur sozialen Marktwirtschaft wäre schließlich wünschenswert gewesen, weil die SPD die dynamischen Kräfte der Wirtschaft, ohne deren Leistung eine freiheitliche Wirtschaftsordnung gar nicht funktionieren kann, fortlaufend zu verunsichern sucht. Dabei trifft die Nichtbeachtung der Selbständigen nicht nur diejenigen, die jetzt hier und heute in Handwerk, Industrie, Landwirtschaft und freien Berufen, Handel und Banken auf eigenes Risiko arbeiten und wirtschaften, sondern zugleich auch solche Menschen, deren Leben bereits heute durch die Hoffnung oder die Chance bestimmt wird, später einmal die Selbständigkeit zu erreichen; ob es sich um den jungen Handwerker handelt, der sich selbständig machen will, den Ingenieur, der ein Beratungsbüro eröffnen möchte, oder den Kaufmann, der seine eigene Existenz zu gründen sucht:

    (Abg. Dr. Schäfer ]Tübingen[: Immer Angst machen! Immer Angst machen!)




    Dr. Narjes
    Sie alle müssen durch das spürbare negative Schweigen der Regierungserklärung eher abgeschreckt sein. Sie finden kein Wort der Anerkennung für die breiten mittelständischen Schichten unseres Volkes.

    (Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!)

    Sie werden den Widerspruch spüren, der zwischen diesem Verhalten und den Festtagsreden über die Erweiterung des Freiheitsraumes des einzelnen Menschen liegt.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Auch der Satz der Regierungserklärung über das Eigentum und seine Sozialpflichtigkeit ist angesichts der Diskussion innerhalb der SPD über Staat, Wirtschaft und Gesellschaft unzureichend. Für die „guten Hände", in denen sich das Eigentum befinden soll, bietet nach allem, was in ihr dazu gesagt wird, diese Partei keine Gewähr. Statt einer klaren Aussage wird uns eine Schön-Wetter-Formel zugemutet.

    (Abg. Wehner: Holen Sie mal Luft!)

    Wir müssen uns bei der Diskussion der Wirtschaftspolitik der Regierungserklärung eben des Umstandes bewußt sein, daß es sich um die Erklärung einer Regierungskoalition handelt, deren Parteien, namentlich in den Flügelgruppen, in ihren wirtschaftspolitischen Vorstellungen durch unauflösbare Gegensätze getrennt sind. Der demokratische Sozialismus ist mit einer vom freien Unternehmer getragenen und dem Prinzip des Privateigentums verpflichteten Marktwirtschaft, zu der sich weite Teile der FDP bekennen, kaum vereinbar, jedenfalls ist dieses System

    (Abg. Dr. Schäfer [Tübingen] : Kennen Sie das überhaupt?)

    nicht mehr zu vereinbaren mit dem, was die auf Sprengung unserer bewährten marktwirtschaftlichen Ordnung angelegten Entmachtungsstrategien der radikalen Linken beabsichtigen.
    Dieser Geburtsfehler der Regierungserklärung, der eben offenbar nicht einmal mehr einen Formelkompromiß erlaubt hat, muß sich also mit der Koexistenz im Gewande des Schweigens begnügen, ein Schweigen, das es wohl der Regierung erlauben soll, zur Wirtschaft hin die Sprache des Marktes und mit den lautstarken Radikalen die andere Sprache des nur aus taktischen Gründen für eine Legislaturperiode an der Systemüberwindung Verhinderten zu sprechen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Für die Opposition muß gelten, daß Unklarheit zu Lasten der Regierung und ihrer Glaubwürdigkeit geht. Die maßvollen Vertreter der Mehrheit dürfen sich nicht wundern, wenn in Zweifelsfällen die letzten Absichten dieser Regierung auch im Lichte der Forderungen der extremen Flügel bewertet werden müssen, solange die Parteiführungen ihnen nicht glaubhaft und ausdrücklich widersprochen haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Letzteres ist um so mehr geboten, als in den vergangenen Jahren in Langzeitprogrammen und Langzeitstrategien die zweifelhafte Kunst entwickelt worden ist, radikale Ziele in einer harmlosen Sprache zu formulieren und sie in psychologisch wohl bemessene Teilabschnitte mit Überschriften der allgemeinen Weltbeglückung zu zerlegen. Unser Atem wird indessen länger sein.
    Als zweiten Geburtsfehler der Wirtschaftspolitik muß ich auf den drastischen Kompetenzabbau hinweisen, den das Bundeswirtschaftsministerium erfahren hat. Dieses stolze und mit der wohl glanzvollsten Periode der deutschen Wirtschaftsgeschichte verbundene Haus ist unnötig verkleinert worden. Das ist mehr als Koalitionsproporz und Organisationstechnik. Das muß auch als die Verkennung der Notwendigkeit einer übergreifenden, alle Teilbereiche der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik umfassenden Gesamtkonzeption verstanden werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wie sonst soll jetzt eine Wirtschaftspolitik aus einem Guß gesichert sein? Etwa durch die Führungskraft des Bundeskanzleramtes oder durch den Rotstift des Herrn ersten Ministers der Sozialdemokratie in dieser Regierung? Wir werden praktisch, so fürchten wir, wohl so viele Formen von Wirtschaftspolitik haben, wie es Ministerien gibt. Wir von der Opposition jedenfalls werden dem Bundeswirtschaftsministerium jede Hilfe geben, wenn es darum geht, einem weiteren Abbröseln der Kompetenzen entgegenzutreten.
    Die soziale Marktwirtschaft ist für uns die Wirtschaftsordnung der Freiheit, also der Freiheit der Konsumenten, der Freiheit der Arbeitsplatzwahl der Arbeitnehmer und auch ihrer Koalitionsfreiheit, der Gewerbefreiheit der Unternehmer und auch der Meinungsfreiheit der Bürger. Sie kann nur funktionieren, wenn sich ihr über den Markt gesteuerter Produktionsprozeß in einem Rahmen von Daten entwickelt, die von einem starken Staat gesetzt und auch wirksam durchgesetzt werden. Ein starker Staat ist ein Staat, der mächtiger ist als die großen Gruppen, auch wenn sie einmal gemeinsam auftreten oder einen Querschnitt von Gruppeninteressen anbieten, um den Herrn Bundeswirtschaftsminister zu zitieren.
    Ein unverzichtbares Element der marktwirtschaftlichen Ordnung ist der leistungsbezogene, funktionsfähige Wettbewerb. Er führt zu einer optimalen Kombination der Produktivkräfte und dient damit allen. Wir kämpfen für das Prinzip des Wettbewerbs aber nicht nur, weil er ein nützliches Instrument ist, um einen gut funktionierenden Marktablauf sicherzustellen, sondern auch, weil er ein hervorragendes, nicht autoritäres Koordinierungsinstrument der Einzelpläne der Bürger und der Unternehmer ist und weil schließlich nur im Wettbewerb unser politisches Grundziel der persönlichen Freiheit seinen wirtschaftlichen Ausdruck finden kann.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Marktmechanismus und Wettbewerb sind schließlich auch Machtkontrolleure von verfassungspolitischem Rang. Sie verhindern das Zusammenfallen von wirtschaftlichere und politischer Macht. In dem Maße nun, wie wir durch einen funktionsfähigen Wettbewerb diesem Ziele näherkommen, gewinnen wir zugleich an Legitimation, um über alle Formen



    Dr. Narjes
    von Macht in Wirtschaft und Gesellschaft zu sprechen, z. B. auch über die der nichthoheitlichen Kollektivvermögen.
    Die richtigen Daten für die Ordnung des Wettbewerbs zu setzen, seine Funktionsfähigkeit sicherzustellen ist eine permanente Aufgabe, weil auch das Verhalten am Markt und die Art und Größe der Märkte einem fortlaufenden Wandel unterworfen sind. Wir haben mit dem Kartellgesetz, dem wettbewerbspolitischen Grundgesetz der sozialen Marktwirtschaft, 1958 einen umfassenden Anfang gemacht. Im gleichen Sinne ist es unsere Initiative gewesen, entsprechende Vorschriften in die Römischen Verträge einzufügen. Wir bekennen uns zu einer aktiven Wettbewerbspolitik und halten deshalb ebenfalls die Tatbestände der in der letzten Legislaturperiode nicht verabschiedeten Kartellnovelle für schnell regelungsbedürftig.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Das gilt für die vorbeugende Fusionskontrolle ebenso wie für die Verstärkung der Mißbrauchsaufsicht über marktbeherrschende und marktstarke Unternehmen, schon um der Chancengleichheit der mittelständischen Betriebe willen. Durch neue Formen von Kooperation müssen die kleinen und die Mittelbetriebe überdies die Möglichkeit zu einer leistungssteigernden Zusammenarbeit erhalten, die ihre Produktivität verbessert und ihre strukturbedingten Nachteile auszugleichen sucht.
    Der Bundesregierung hat offenkundig die Führungskraft gefehlt, diese Kartellnovelle selbst fortzuschreiben und in den Bundestag einzubringen.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

    Sie überläßt es den Initiativen des Bundestages, dies zu tun, mit allen sich daraus ergebenden Unklarheiten, etwa für den Zeitbedarf bis zur Verabschiedung. An unserer konstruktiven Mitarbeit wird es nicht fehlen.
    Für die CDU/CSU wird es jedoch bei der Novellierung dort Grenzen geben, wo mit Hilfe der Wettbewerbsgesetzgebung Dirigismus und Staatswirtschaft erschlichen werden sollen. Wir werden uns auch an keinem Gesetz beteiligen, das die europäischen und internationalen Verpflichtungen, Verflechtungen und Dimensionen außer acht läßt, nicht in dem Sinne, wie Sie es zu unterstellen scheinen, hier Vorwände zu konstruieren, sondern um den Realitäten des Marktes gerecht zu werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Integrierter Bestandteil jeder Wettbewerbspolitik ist sodann für uns eine wirksame Verbraucherpolitik, wo immer sich die Notwendigkeit von Schutz und Aufklärung abzeichnet oder die Preispolitik helfen kann.
    Die wichtigste Aufgabe der Konjunkturpolitik, der ich mich jetzt zuwenden möchte, ist der Kampf gegen das soziale Unrecht der Inflation, gegen die weitere Entwertung des Geldes. Der Sachverständigenrat hat seinen Bericht diesem Ziele gewidmet und vieles bestätigt, was die Opposition dazu im Wahlkampf gesagt hat. Wir werden bei der Vorlage des Jahreswirtschaftsberichts darüber sprechen.
    Nach dem, was die Regierungserklärung jedoch zu
    diesem Thema gesagt hat, erscheint es mir unerläßlich, schon heute einige Feststellungen zu treffen.
    Zunächst noch zum Tatbestand! Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie haben eine Disziplin bei der Darstellung der konjunkturpolitischen Situation gefordert und die Mitverantwortung all derer hervorgehoben, die mit einer gewissen Autorität zu diesem Thema sprechen. Ich halte dies für richtig. Auch ich teile die Ansicht, daß jeder, der mit Verantwortung dazu spricht, eine gewisse Disziplin zu wahren hat. Aber ich meine, daß, wenn einmal das Vertrauen erschüttert ist, wenn einmal eine Preissituation inflatorischen Ausmaßes eingetreten ist, es dann umgekehrt die Pflicht aller Beteiligten sein sollte, möglichst klar und deutlich darüber zu sprechen, damit diese Wunde ein für allemal ausgebrannt werden kann und wir zu einer neuen Basis des Vertrauens kommen können.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die Regierungserklärung enthält noch kein umfassendes längerfristiges Stabilitätsprogramm, so wie wir es dringend benötigen. Bei einer Inflationsrate von 61/2 % für den Normal- und 7,1 % für den Rentnerhaushalt und weiter steigender Tendenz dieser Raten haben wir schon am Anfang dieser Aufschwungperiode eine Situation, für die es in der Nachkriegsperiode keinen Vergleich gibt. In dieser Lage und nach allem, was die Regierung in den vergangenen Jahren getan und versäumt hat, ist der Weg zurück zur Stabilität in jedem Fall für sie mühsam und steinig und erfordert viel Entscheidungskraft und Zähigkeit. Je länger aber die Bundesregierung zögert, ihn zu gehen, um so schwieriger wird er werden.
    Ein Dilemma ist schon am Jahresbeginn offenkundig geworden. Eine der Bundesregierung recht nahestehende Illustrierte hat in der vergangenen Woche eine Tabelle veröffentlicht, aus der sich ergibt, daß Gehaltserhöhungen von wenigstens 10 % nötig wären, wenn am Zahltag die Kasse stimmen soll. Eine solche Erhöhung kann jedoch die Bundesregierung aus stabilitätspolitischen Gründen als Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes z. B. weder bewilligen noch einkommenspolitisch gutheißen. Der Bundeskanzler muß also schon heute eingestehen, daß seine Wahlkampferklärung an die Arbeitnehmer, „unter dem Strich" werde immer noch ein realer Zuwachs übrigbleiben, nicht mehr wahr ist,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    weder wahr, noch wirklich in der Terminologie von heute morgen.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Barzel: Aber sonderbar!)

    — Ja, sonderbar!
    Wenn die Bundesregierung nicht schnell eine umfassende Stabilitätspolitik einleitet, kann es sich ergeben, daß sie in dieser Legislaturperiode wiederholt vor ein solches Dilemma gestellt werden wird. Wäre es dann nicht besser gewesen, die volle Autorität des Bundeskanzlers sofort nach der Wahl in einer vorgezogenen Konzertierten Aktion zu nutzen,



    Dr. Narjes
    um in einer nationalen Anstrengung aller Beteiligten den dornenvollen Weg zurück zur Stabilität abzukürzen? So hat die Bundesregierung bereits heute die erste Runde im Kampf um die Stabilität nach Punkten verloren.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Es ist heute auch nicht mehr klar ersichtlich, wie die Bundesregierung angesichts der erwähnten Auftriebskräfte und Vorbelastungen noch das in diesem Jahr notwendige Ziel einer Tendenzwende der Preisentwicklung erreichen kann, ein Ziel, das um so notwendiger erreicht werden muß, als sonst die gefährliche Inflationsmentalität nicht gebrochen werden kann.
    Ist es schließlich richtig, so müssen wir fragen, die Geld- und Kreditpolitik formal an die erste Stelle der stabilitätspolitischen Instrumente zu setzen? Gibt es dafür sachlich Gründe, oder sollte damit nur einer gewiß zögernden Bundesbank die Hauptlast der Stabilitätsbekämpfung zugeschoben werden?
    Weitere Fragen schließen sich an: Gibt das derzeitige Wetterleuchten an der Währungsfront der Bundesbank überhaupt für längere Zeit die notwendige außenwirtschaftliche Handlungsfreiheit? Ist man sich darüber klar, daß geld- und kreditpolitische Maßnahmen längere Vorlaufzeiten brauchen, daß sie aber, wenn sie einmal greifen, besonders hart die Beschäftigung treffen können? Ist sich die Bundesregierung darüber klar, daß eine extreme Kreditverteuerung und -verknappung, zu der eine isoliert handelnde Bundesbank gezwungen werden könnte, zugleich auch die Kosten und Preise nachhaltig beeinflußt und dabei besonders die mittelständische Wirtschaft schwächen kann?
    Neben die Geld- und Kreditpolitik müssen nach Ansicht der CDU/CSU als gleichrangige Instrumente die Einkommens- und Haushaltspolitik treten. In der Einkommenspolitik sollte durch ein abgestimmtes und in sich widerspruchsfreies Verhalten der Gruppen und des Staates unter Führung einer um das gegenseitige Vertrauen aller Partner bemühten Bundesregierung eine gleichmäßige und nur deshalb zumutbare Lastenverteilung der Inflationsbekämpfung versucht werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Dem Herrn Bundeskanzler und seiner Regierungsmannschaft fehlt offensichtlich die Kraft zur Führung, etwa durch Herausgabe der im Stabilitäts-
    und Wachstumsgesetz vorgeschriebenen Orientierungsdaten.
    Wäre es, um eine Frage hinzuzufügen, in der gegenwärtigen Phase des sich beschleunigenden Preisauftriebs nicht auch an der Zeit gewesen, daß der Bundeskanzler die Gewerkschaften auf die falsche Anlage ihrer Lohnstrategie hingewiesen hätte? Die Sachverständigen, deren Gutachten seit November vorigen Jahres vorliegt, heben hervor, daß nur geringe Chancen bestehen — ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten —,
    durch Ausübung von Marktmacht auf den
    Arbeits- und Gütermärkten die volkswirtschaftlichen Anteile der Arbeitseinkommen oder der
    Besitzeinkommen auf längere Sicht zu beeinflussen.
    Mit dem Sachverständigenrat stimmt die CDU/ CSU darin überein, daß die strategische Größe für die Verteilungspolitik, die Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand, die wachsende Beteiligung der Arbeitnehmer an den Kapitalerträgen darstellt und sein muß. Hier hätte die Bundesregierung deshalb schon heute konkret ansetzen müssen

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    und nicht ihre vagen Absichtserklärungen zur Vermögensbildung zum wer weiß wievielten Male wiederholen sollen. Dann hätte sie es den Gewerkschaften und ihren Mitgliedern sicherlich leichter gemacht, den Weg zurück zur Stabilität zu gehen.
    Auch die Statistenrolle, die die Bundesregierung der Ausgabenpolitik der öffentlichen Hände einräumen will, kann unter den gegenwärtigen Umständen nicht befriedigen. Auf die Ausführungen von Herrn Kollegen Strauß kann ich insoweit verweisen.

    (Abg. Wehner: Nur insoweit!)

    Natürlich ist es politisch mißlich, auf der Ausgabenseite der Haushalte zu streichen. Aber wenn uns eine Regierung in die derzeitigen außergewöhnlichen Inflationsraten hineinmanövriert hat, so muß von ihr mit Fug und Recht erwartet werden, daß sie wenigstens in diesem kritischen Jahr alle Instrumente und damit auch den Haushalt vielleicht auf beiden Seiten benutzt, um den Exponentialtrend des Preisauftriebs zu brechen.
    Im übrigen ist die angekündigte Wachstumsrate des Haushalts 1973 weder konjunkturgerecht, noch entspricht sie dem Geist der dazu vorliegenden Empfehlungen der EWG.
    Insgesamt vermitteln die konjunkturpolitischen Ausführungen der Regierungserklärung noch nicht den Eindruck, daß die Politik des Treibenlassens beendet werden soll. Um so gespannter erwarten wir den Jahreswirtschaftsbericht in der Absicht, durch konstruktive Kritik und Mitwirkung bei vernünftigen Maßnahmen zur Rückgewinnung der Stabilität beizutragen.
    Die fortlaufende Beschäftigung mit dem Thema der Inflation birgt die Gefahr in sich, daß wir die längerfristige Entwicklung der Qualität und Struktur unserer Wirtschaft und die Konsequenzen der Konjunkturpolitik für ihre Entwicklung nicht immer rechtzeitig erkennen. Das gilt nicht nur für die Rückwirkungen unserer Außenwirtschaft auf unsere Binnenstruktur oder für die unterschiedliche regionale Wirkung unserer konjunkturpolitischen Maß nahmen.
    Das gilt besonders für die zu Recht als Lohn kostenexplosion angesprochene Lohnentwicklung der letzten drei Jahre.
    Selbstverständlich wollen wir eine ständige Steigerung der Reallöhne in einer gewissen Anlehnung an die Entwicklung der Produktivität. Das ist dei wesentliche Inhalt jeder Politik, die den Lebens standard und den Massenwohlstand heben will. Das



    Dr. Narjes
    ist etwas anderes als der Rückgriff auf das süße Gift und die Scheinwelt der inflatorisch wirkenden Nominallohnsteigerungen. Diese hohen Nominallohnsteigerungen wirken als ein Faktor der Beschleunigung in unseren ohnehin beachtlichen Strukturwandlungsprozeß besonders hinein, Sie zwingen unsere Wirtschaft, den Übergang von der lohnintensiven zur kapitalintensiven Produktion noch schneller zu vollziehen, einen Übergang, den wir bisher dank der Elastizität unserer Wirtschaftsordnung im Ganzen gut meistern konnten. Diese 'Beobachtung darf uns aber nicht an der Feststellung hindern, ,daß der deutsche Produktionsstandort in den letzten Jahren im internationalen Vergleich eine grundlegend neue Bewertung erfahren hat, die sich auf die Investitionsprogramme dieser Jahre schon ausgewirkt hat und weiter auswirken wird und ,die erst in drei bis fünf Jahren in ihren Konsequenzen voll wirksam werden dürfte,