Rede von
Walter
Scheel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Ich wiederhole noch einmal, Herr Kiep, was ich vorhin gesagt habe. Entschließungen, die von Mehrheiten gefaßt werden,
müssen notwendigerweise Kompromisse sein. Man weiß hier im Raume ja immer sehr genau, was in den Entschließungen fehlt, weil es nicht gemeinsame Politik der Beteiligten sein kann. Man weiß sogar, welche Nuancen zu einzelnen Punkten einer großen Entschließung bei den einzelnen beteiligten Gruppen festzustellen sind. Wir wollen doch der Öffentlichkeit kein falsches Bild von dem geben, was wir hier im Parlament tun. Es wäre doch ganz falsch, der Öffentlichkeit den Eindruck zu vermitteln, daß von verschiedenen Gruppen im Parlament gefaßte Entschließungen hinsichtlich der einzelnen Punkte von allen gleich, ganz gleich, beurteilt werden. Es ist doch vielmehr so, daß es Unterschiede und Nuancen in der Beurteilung gibt.
Jeder hat gewußt, daß die Ziff. 6 der von Ihnen immer herangezogenen Entschließung des vorletzten Bundestages im ganzen Parlament sehr unterschiedlich beurteilt worden ist, und zwar nicht nur
von den Freien Demokraten. Die konnten es sich leisten — ich wiederhole es noch einmal —, als einzige Oppositionspartei ganz klar zu sagen: dies ist Unsinn! Die konnten es sich leisten. Aber die Koalitionsparteien haben einfach eine Gemeinsamkeit finden müssen, die in diesem Punkte unter dem starken Druck der größeren Koalitionsfraktion, nämlich der CDU, zustande gekommen ist.
Aber hier hat jeder gewußt, auch der Vorsitzende der CDU-Fraktion und alle anderen Mitglieder, wie der Partner, die SPD, schon damals über diesen bestimmten Passus gedacht hat. Man hat sie mit dem Appell an die Loyalität zur Koalition dazu gebracht, hier eine solche Entschließung zu fassen. Meine Damen und Herren, das ist die Wahrheit; so müssen wir die Dinge sehen.
Ich wiederhole noch einmal: Entschließungen sind von Mehrheiten auf der Basis der aktuellen politischen Situation gefaßt und sind als Grundlage gemeinsamen Handelns zu verstehen. Sie können doch als CDU der SPD nicht den Vorwurf machen, sie habe in dem Zeitraum, in dem sie mit Ihnen zusammen die Mehrheit in diesem Bundestag vertreten und in dem sie mit Ihnen zusammen eine Regierung gebildet hat, etwa gegen die gemeinsame Entschließung verstoßen. Das ist ja nicht der Fall. Die Sozialdemokratische Partei hat sich in diesem ganzen Zeitraum absolut an diese Entschließung gehalten, obgleich einige Politiker der Meinung gewesen sind, daß das vielleicht sogar nicht sehr nützlich für ihre Wahlinteressen gewesen ist. Erst nachdem die Mehrheiten in diesem Parlament verändert worden sind und sich neue Mehrheiten gruppiert haben, ist auch in diesem Punkt eine neue Politik entstanden. So ist die Wirklichkeit.
Was nun die Gemeinsamkeiten des Parlaments angeht: Hier, Herr Kiep, glaube ich, sind wir völlig einer Meinung. Es gibt fundamentale Grundüberzeugungen und fundamentale Ziele nationaler Politik, die sich auch nie geändert haben in der Zeit, in der ich dem Parlament angehöre, zu denen ich stehen werde, auch wenn ich dem Parlament noch mehrere Legislaturperioden angehören sollte. Diese fundamentalen Ziele und fundamentalen Grundsätze —der Grundsatz der Freiheit für die Menschen in unserem Lande, der Grundsatz, alles zu versuchen, die Spaltung Deutschlands zu überwinden — sind ganz zweifelsohne gemeinsame politische Grundlage für alle demokratischen Parteien, die in diesem Parlament vertreten sind.
Aber zu diesen fundamentalen Grundsätzen in der Politik gehört zweifellos nicht das Urteil, ob die DDR ein Staat ist, staatlichen Charakter hat oder nicht. Das hat nie zu den Grundsätzen der Politik gehört. Das war eine politische Meinung, die nur aus der Zeit und den jeweiligen politischen taktischen Zielen heraus zu verstehen gewesen ist.
Darauf, glaube ich, sollten wir hinweisen, wenn wir jetzt über den kleinen Zwischenfall diskutieren, von dem Herr Rawe ja soeben gesagt hat, daß sich die CDU/CSU-Fraktion gestern abend sehr viel Zeit gelassen hat, um heute morgen
— nein, nein! —, um heute morgen — sage ich das etwa falsch? — darüber zu diskutieren.
Es war die Zeit, die nötig war, um sehr sorgfältig zu prüfen und herauszufinden, ob daraus nicht eine Chance zu konstruieren wäre.
Ich wiederhole noch einmal: Das war ein Fehlschuß. Ich bin fest davon überzeugt. Jetzt werden Sie es selber schon bereuen, daß Sie die Diskussion über diesen Punkt in dieser Form angefangen haben.