Frau Präsident! Meine Damen und Herren! In den hinter uns liegenden Monaten haben wir das Grundgesetz auf einigen Gebieten neu erproben können oder es neu erproben müssen. Die vorzeitige Auflösung des vorigen Bundestages hat nun auch dazu geführt, daß sich die zeitlichen Planungen im Vergleich zu früheren Wahljahren verschieben.
Nach den gründlichen Beratungen zwischen Vertretern der beiden Fraktionen, der Sozialdemokraten und der Freien Demokraten, die meine Regierung tragen, hätte ich heute oder Anfang der kommenden Woche ohne Schwierigkeit eine ausführliche Erklärung über die Regierungsarbeit in den nächsten Jahren abgeben können. Zu einer eingeienden Debatte wäre es dann allerdings vor Weihnachten vermutlich nicht mehr gekommen. Deshall hatten sich schon kurz nach den Neuwahlen Ver treter aller Fraktionen verständigt, die Regierungs erklärung am 18. Januar, also nach der Unterbre chung der Parlamentsarbeit durch die Weihnachts ferien, entgegenzunehmen und in der darauffolgen den Woche ausführlich darüber zu debattieren.
Die Regierungserklärung vom Januar 1973 wirr natürlich an die vom Oktober 1969 anknüpfen. Si( wird die gemeinsame Arbeit der beiden Regierungs. parteien und deren Wahlprogramme einbeziehen.
Am 28. Oktober 1969 sagte ich von dieser Steil( aus, die Politik meiner Regierung werde im Zeichen der Kontinuität und der Erneuerung stehen Am 18. Januar 1973 werde ich darzulegen haben, wc es in den nächsten vier Jahren darum geht, fortzuführen und weiterzuentwickeln, und wo es sich aus unserer Sicht um notwendige neue Vorhaben handelt.
Gestern hat das Vertrauen der Wähler im Vertrauen der Mehrheit dieses Hauses seinen Niederschlag gefunden. Dafür möchte ich danken. Der Bundeskanzler und seine Regierung fühlen sich neu und verstärkt in die Pflicht genommen. Das deutlichere Mandat, das uns die Wähler am 19. November erteilt haben, bedeutet aus meiner Sicht ein überzeugendes Votum für die Fortsetzung dessen, worum wir uns schon bisher in der Außen- und Innenpolitik bemüht haben.
Aber ich will gleich hinzufügen: mein Respekt gilt natürlich auch den vielen Wählern, die sich aus ihren Gründen gegen uns entschieden. Mein Bestreben wird dahin gehen, in diesem Hause nichts zu verschleiern, was ausgetragen werden muß; aber ich will gern Brücken des Zueinander und Miteinander betreten, wo immer dies sachlich möglich ist und im Interesse unseres Volkes Erfolg verspricht.
Ohne dem Regierungsprogramm für die Arbeitsperiode dieses Bundestages vorgreifen zu wollen, erscheint es mir notwendig, ja, dem Parlament gegenüber unerläßlich, heute kurz von den Aufgaben zu sprechen, die in den nächsten Wochen, also noch bevor über die Regierungserklärung, die auch noch erst abzugeben ist, gesprochen werden kann, zu leisten sind.
Wir gehen, um mit einem Gegenstand zu beginnen, der den Bundestag heute und Anfang der kommenden Woche im Plenum und in den Ausschüssen befassen wird, davon aus, daß der heute der Form nach neu einzubringende Bundeshaushalt 1972 in der nächsten Woche verabschiedet werden kann, nachdem der Bundesrat, was ich wohl zu würdigen weiß, auf die volle Ausschöpfung seiner Beratungsfrist verzichtet hat.
Zweitens. Den Haushalt 1973 und die Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung wird die Bundesregierung so vorbereiten, daß die abschließende Behandlung im Kabinett wahrscheinlich noch im Februar erfolgen kann. Dabei werden wir von dem Rahmen ausgehen, den das vorige Kabinett am
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Bundeskanzler Brandt
6. September festgelegt hat und über den damals öffentlich Auskunft gegeben worden ist.
Drittens. Die Bundesregierung oder auch die Koalitionsfraktionen werden wichtige und dringende Gesetzentwürfe unverzüglich wieder einbringen, die den gesetzgebenden Körperschaften bereits vorlagen, wegen der Auflösung des 6. Deutschen Bundestages aber nicht mehr verabschiedet werden konnten. Diese Entwürfe werden dem Bundesrat, soweit sie seitens der Regierung unverändert wiederkehren, so zugeleitet, daß die üblichen Fristen möglichst verkürzt werden können.
Viertens. Die sachliche Anpassung des Rentenreformgesetzes mußte von den Koalitionsfraktionen in Übereinstimmung mit der Regierung unverzüglich eingeleitet werden. Nur so sichern wir unserer Meinung nach das Ziel dieses Gesetzes, mit Hilfe der flexiblen Altersgrenze einen reibungslosen Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand zu erleichtern.
Fünftens. Noch im Januar sollte auch der vom Bundesrat bereits gebilligte Entwurf zur Verbesserung des Bundeskriminalamtgesetzes beraten werden. Dieses Gesetz wird das gemeinsame Sicherheitskonzept von Bund und Ländern wirksam ergänzen.
Was nun, meine Damen und Herren, die wirtschaftspolitischen Aufgaben angeht, so werden sich die verehrten Kolleginnen und Kollegen unbeschadet aller Polemik während des Wahlkampfes gewiß an das 15-Punkte-Programm erinnern, das die vorige Bundesregierung Ende Oktober beschlossen hatte und dem die Luxemburger Beschlüsse des Rates der Europäischen Gemeinschaft folgten. Schon auf der Pariser Konferenz der Regierungschefs der erweiterten Gemeinschaft hatten wir uns mit Nachdruck für gemeinsame stabilitätspolitische Maßnahmen eingesetzt, und wir haben auch im eigenen Haus — der Bundesrepublik Deutschland — im Rahmen unserer Möglichkeiten notwendige Entscheidungen getroffen. So hat die Bundesbank in enger Abstimmung mit der Bundesregierung in den letzten Monaten, wie Sie wissen, mehrfach Maßnahmen zur Eindämmung der Kreditausweitung getroffen. Das vor kurzem vorgelegte Jahresgutachten 1972 des Sachverständigenrats zur Beurteilung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat uns wertvolle Anregungen vermittelt. Diese werden wir in unseren Jahreswirtschaftsbericht einbeziehen.
Meine Damen und Herren, das Ergebnis der jetzt anlaufenden Tarifverhandlungen wird von großer Bedeutung sein für den Erfolg unserer stabilitätspolitischen Bemühungen. Ich muß daher die Erwartung aussprechen, daß die Tarifpartner neben der Verfolgung ihrer berechtigten Interessen in diesen Monaten noch mehr als sonst ihre Mitverantwortung für das Ganze berücksichtigen; den öffentlichen Dienst beziehe ich dabei ausdrücklich mit ein.
Was für die Löhne gilt, gilt auch für die Preise. Die Unternehmer müssen in all den Bereichen, in denen dies tatsächlich möglich ist, zu einer Preispolitik finden, die im Einklang mit dem gemeinsamen stabilitätspolitischen Ziel steht.
Die Förderung des Wettbewerbs — —
— Ja, man darf doch nicht nur, wenn wir schon — — Wir haben 1969 das schon mal gehabt, meine Damen und Herren, ich fand, das war ein schlechter Stil, die erste Erklärung der Regierung bereits mit polemischen Zwischenbemerkungen zu beginnen.
Wenn Sie das jetzt haben wollen— nach meinen Bemerkungen über den Unternehmer —, dann reden wir darüber, wofür Unternehmer — ich sage nicht „die", sondern „einige" — im Wahlkampf Geld ausgegeben haben.
Ich meine heute alle Kräfte in unserem Volk, wenn es um Stabilitätspolitik geht.
Die Förderung des Wettbewerbs kann zu dem, wovon ich jetzt spreche, einen wichtigen Beitrag leisten. Die Bundesregierung begrüßt es, daß die Koalitionsfraktionen die Novelle zum Kartellgesetz bald wieder einbringen werden. Wir sind uns darin einig, daß die Novelle zum Kartellgesetz in den Ausschußberatungen weiter verbessert werden soll.
In der Außenpolitik ging und geht es in diesen Wochen um folgende Termine:
Erstens. Zum 1. Januar 1973 vollziehen Großbritannien, Dänemark und Irland ihren Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft. Die Einigung Westeuropas kommt damit einen wesentlichen Schritt voran. Ich nehme an, daß dies von uns allen begrüßt wird.
Zweitens. Die neue, erweiterte Kommission, für die die Bundesregierung die beiden bewährten deutschen Mitglieder wieder vorgeschlagen hat, nimmt am 6. Januar ihre Arbeit auf. Der Rat wird am 15. Januar 1973 zum erstenmal in der erweiterten Zusammensetzung tagen.
Ein großer Arbeitskatalog liegt vor den Organen der Gemeinschaft. Wir werden es an Initiativen, die mehr als Worte zum Inhalt und zum Ziel haben, weiterhin nicht fehlen lassen.
Drittens. Im Rahmen der Nato haben die Absprachen über die Europa-Gruppe — die Eurogroup — kürzlich in Brüssel bedeutende Fortschritte gemacht. Dem zuständigen Ausschuß wird darüber im einzelnen berichtet werden.
Viertens. Auf der Nato-Konferenz Anfang dieses Monats wurden unter anderem gemeinsame Richtlinien verabschiedet für Möglichkeiten einer beiderseitigen ausgewogenen Truppenverminderung in Europa. Das ist ein weiterer Schritt zur Entspannung, der langfristig auch zur Verminderung der
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Rüstungslasten führen soll und der vor viereinhalb Jahren durch das, was man damals das „Signal von Reykjavik" nannte, vorbereitet worden ist. Im Januar 1973 werden die ersten exploratorischen Gespräche zwischen Ost und West über dieses schwierige Thema stattfinden.
Fünftens. Die Bundesregierung ]eistet parallel dazu in diesen Wochen in Helsinki ihren Beitrag zur multilateralen Vorbereitung der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Wir haben ein besonderes Interesse daran, daß die erste große Begegnung der europäischen sowie der nordamerikanischen Staaten eine Verbesserung der Lage im geteilten Europa einleitet.
Im Verhältnis der beiden deutschen Staaten zueinander wird in der kommenden Woche eine wichtige Etappe auf dem Weg zur Normalisierung festzustellen sein, den wir im Herbst 1969 eingeleitet haben. Am 21. Dezember 1972 werden die beiden Verhandlungsführer ihre Unterschriften unter den Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten setzen. Uns schien eine baldige Unterzeichnung des Vertrages wünschenswert, damit die Erleichterungen im Reiseverkehr und bei der Familienzusammenführung nicht verzögert werden.
Im übrigen wird die Bundesregierung die Gesetzentwürfe zum Grundvertrag und zum Beitritt zu den Vereinten Nationen noch vor Weihnachten dem Bundesrat zuleiten. Die im Grundvertrag vorgesehenen Verhandlungen zwischen den zuständigen Stellen für das Post- und Fernmeldewesen sind inzwischen aufgenommen worden.
Abschließend möchte ich zur Struktur und Organisation des neuen Kabinetts noch folgendes bemerken dürfen. Die meisten unserer Mitbürger werden es, so denke ich, unbeschadet der Meinungsverschiedenheiten in diesem Hause verstehen, daß ich die Arbeit im wesentlichen mit jener Regierungsmannschaft fortzuführen wünsche, der am 19. November 1972 gemeinsam mit mir ein eindrucksvolles Vertrauensvotum ausgesprochen worden ist.
In diesem Hause wird es andererseits auch — wiederum unbeschadet der bekannten Gegensätze — sicherlich richtig verstanden werden, wenn ich der bisherigen Bundesministerin für Jugend, Familie und Gesundheit, Frau Käte Strobel, sehr, sehr herzlich für langjährige und erfolgreiche Arbeit danke schön sage.
Trotz der weitgehenden personellen Kontinuität hat sich die Struktur des Kabinetts in einigen Punkten geändert. Dabei ging es im wesentlichen um eine solche Zuordnung von Zuständigkeiten, die uns im Interesse einer wirksamen Regierungsarbeit sinnvoll erschien.
Ich möchte dies in folgenden Punkten erläutern.
1. Die Bereiche Finanzen und Wirtschaft werden neu gegliedert, und dabei übernehmen, wie wir es
vor den Wahlen erklärt hatten, beide Regierungsparteien ministerielle Verantwortung.
2. Eine wesentliche Zusammenfassung von Aufgaben ergibt sich durch das erweiterte Ministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau.
3. Im Bereich von Bildung und Wissenschaft haben wir die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß der Bund auf dem wichtigen Gebiet der beruflichen Bildung stärker initiativ werden kann.
4. Als einziges neues Ministerium haben wir das für Forschung und Technologie geschaffen.
— Ich bin in diesem Fall für Ihre Zwischenrufe dankbar; sie geben mir die Möglichkeit, den folgenden Satz hinzuzufügen. Wegen der Bedeutung der Nachrichtentechnologie
geht auch die Zuständigkeit für die Bundespost auf dieses Haus über.
5. Die bilaterale und die multilaterale Kapitalhilfe werden dem Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit übertragen.
6. Das Ministerium für Jugend, Familie und Gesundheit wird mit der Federführung für einige besonders wichtige, wichtiger gewordene und wichtiger werdende Aufgaben betraut. Es ist außer für Frauenfragen auch für Fragen von Freizeit und Erholung — außer der Zuständigkeit für den Sport, die dort bleibt, wo sie ist und wo sie war — und für die gesellschaftliche Integration der Alten in unserem Volk zuständig.
7. Zur Intensivierung der Kabinettsarbeit haben wir es für richtig gehalten, zwei Minister ohne Geschäftsbereich zu ernennen. Einer von ihnen wird mir in erster Linie für meine Arbeit im Kanzleramt zur Verfügung stehen. Zum Chef des Bundeskanzleramtes habe ich einen Staatssekretär berufen.
8. Was die Institution der Parlamentarischen Staatssekretäre angeht, eine Institution, die nun in zweimal drei Jahren erprobt werden konnte, so wird die Regierung eine Änderung des Gesetzes vorschlagen, ohne daß ich diese jetzt schon zu begründen brauchte. Die Amtsbezeichnung „Staatsminister", von der in öffentlichen Erörterungen dieser Tage wiederholt die Rede war, soll den beiden Kollegen vorbehalten sein, die dem Außenminister zur Seite stehen. Einer der beiden Kollegen wird mit der Koordinierung der Europapolitik beauftragt sein.
Dies, meine Damen und Herren, ist das, was ich vor der Regierungserklärung mitzuteilen für erforderlich hielt.
Für diejenigen, die uns über dieses Haus und über die Grenzen unseres Landes hinaus zuhören, will ich schon heute sagen: Das Regierungsbündnis von Sozialdemokraten und Freien Demokraten wird die Außen-, Europa- und Sicherheitspolitik, die Deutschland- und Berlinpolitik, die Verteidigungspolitik sowie die Politik für die innere Sicherheit zielstrebig fortsetzen.
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Bundeskanzler Brandt
Zur Wirtschafts- und Finanzpolitik habe ich den Kurs bestätigt, zu dem wir uns noch im alten Bundestag und in der Zeit seitdem bekannt haben.
Über die Schwierigkeiten der Bundespolitik einerseits, über die Notwendigkeit innerer Reformen andererseits wird im Januar eingehend zu sprechen sein. Lassen Sie mich nur noch hinzufügen: Ich hoffe auf möglichst viel Sachlichkeit in den vier Jahren, für die wir gewählt sind;
möglichst viel Sachlichkeit auch dort, wo die Meinungen zuweilen weit auseinandergehen.
Am 19. November ist meiner Überzeugung nach auch gegen Übertreibungen und Fehlentwicklungen entschieden worden, die den 6. Bundestag leider nicht nur z. B. daran hinderten, einen Bundeshaushalt zu verabschieden, wie das Grundgesetz es uns auferlegt.
Ich will hier nichts verniedlichen, sondern ich will ohne Selbstgerechtigkeit
nur dies sagen: Wer sich hier um mehr Sachlichkeit bemüht, wird den Bundeskanzler und die Regierung auf seiner Seite haben.