Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben soeben eine kurze Rede des Kollegen Seidel über einen Haushalt gehört, den diese Regierung offenbar gar nicht zur Verabschiedung bringen will oder den sie in einem ganz eigenartigen Verfahren mit einem Endergebnis zur Verabschiedung bringen will, das diese Zahlen gar nicht mehr ermöglicht.
Herr Minister Schiller hat vorhin gesagt: Man kann über alles reden. Ich habe den Eindruck, daß diese Regierung nicht über alles reden kann oder nicht über alles reden will, mindestens aber nicht an dem Platz, an dem es geschehen muß, nämlich hier in diesem Hause.
Lassen Sie mich etwas zu dem sagen, was nun eigentlich ansteht. Das ist ja nicht nur der Haushaltsplan 1972, sondern — ich beziehe mich hier auf das, was der Herr Minister Schiller selber gesagt hat — das ist auch der Haushalt 1973 und das ist die mittelfristige Finanzplanung. Da ist vorhin in der Fragestunde ein eigenartiges Wort, ein Wort von den zu erwartenden Mehreinnahmen gefallen, nämlich von zu erwartenden Mehreinnahmen in Steuern — und das von einer Regierung, die vor drei Jahren, nicht nur im Wahlkampf, sondern auch in der Regierungserklärung und monatelang hinterher, mit dem verbindlichen Versprechen von Steuerermäßigungen angetreten ist!
Ich erinnere hier wieder einmal an den Arbeitnehmerfreibetrag und an die Wiederherstellung der Kilometerpauschale. Viele haben das schon vergessen; aber der kleine Mann draußen, dessen Interessenvertreter doch diese Regierung sein will, der hat das nicht vergessen.
Er kann nur mit großem Erstaunen hören, daß der Ausgleich der kommenden Jahre nicht nur erzielt werden soll durch Reduzierungen um 2,5 Milliarden DM in diesem Haushalt, die sich, wenn man es genau besieht, auf 0,4 Milliarden DM zurückführen lassen, Herr Minister Schiller. Damit kann man ja keinen Haushalt ausgleichen. Dann kommt eben die Idee, die man in der Presse lesen kann wie viele andere Ideen von Ihnen — in der Presse vielleicht deshalb, weil Sie im Kabinett nicht das nötige Gehör gefunden haben —, die Idee nämlich, daß die Mehrwertsteuer um einen Punkt erhöht werden soll und damit 4,5 Milliarden DM mehr erzielt werden sollen. Was bedeutet denn das? Das bedeutet doch, daß von der Erhöhung der Mehrwertsteuer, von dem Mehr von 4,5 Milliarden DM der Verbraucher und am stärksten der kleine Mann betroffen ist. Betroffen ist der Rentner, betroffen ist der Arbeiter.
Das ist wieder eine Steuererhöhung, deren Ziel offenbar nichts anderes ist als das, was der Kollege Althammer soeben hier vorgetragen hat: Inflationslücken zu stopfen, aber nicht Stabilität herbeizuführen. Jede Steuererhöhung bringt doch schon allein vom psychologischen Effekt der Ankündigung her eine weitere Preissteigerung und Kaufkraftentwertung mit sich, weil der Verbraucher natürlich sagt: Mein Gott, wenn ich im nächsten Jahr mehr bezahlen muß, gehe ich jetzt hinein. Dann haben wir den Preissteigerungseffekt, und wir werden zu fürchten haben, Herr Minister Schiller, daß Ihre einmal als Idealzahl genannte Kaufkraftentwertung oder Preissteigerung von vielleicht 2 oder 1 °/o mit einem solchen Verfahren nicht nur nie erreicht werden wird, sondern daß wir uns immer weiter von dem entfernen, was wir doch wohl bis vor kurzem noch gemeinsam unter Stabilität verstanden haben.
Was wir in dieser Aktuellen Stunde wissen wollen, das muß dem Parlament und damit der Öffentlichkeit gesagt werden: Wie wollen Sie nicht nur im Haushalt 1972, sondern auch im Haushalt 1973 verfahren und wie wollen Sie die mittelfristige Finanzplanung, die nach Ihren eigenen Worten selbst das, was die Kabinettsbeschlüsse umfassen, bei weitem nicht erträglich macht, ausgleichen? Wollen Sie wirklich Steuererhöhungen? Wenn Sie Steuererhöhungen wollen, dann sagen Sie uns das bitte jetzt und machen Sie nicht wieder ein solches Verfahren, daß man, weil eine Wahl bevorsteht, nicht von Steuererhöhungen spricht,
sondern das Gegenteil ankündigt, aber hinterher mit Steuererhöhungen die Bürger nicht nur um ihre Hoffnungen betrügt, sondern, man kann beinahe sagen, tatsächlich betrügt.
Was wir weiter wissen wollen, ist dies: Wozu wollen Sie Steuererhöhungen haben? Wollen Sie Steuererhöhungen, um Stabilität herzustellen, also — was man kann — um die Gelder stillzulegen, oder wollen Sie Steuererhöhungen, um eventuell geplante Kreditaufnahmen — sie sind ja auch so hoch — zu reduzieren? Oder wollen Sie Steuererhöhungen einfach so hinnehmen, weil Sie keinen anderen Ausweg mehr wissen, den Haushalt 1972, den Haushalt 1973 und die mittelfristige Finanzplanung auszugleichen?