Rede:
ID0618225400

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 19
    1. der: 2
    2. Das: 1
    3. Wort: 1
    4. hat: 1
    5. Abgeordnete: 1
    6. Barzel.: 1
    7. Es: 1
    8. ist: 1
    9. eine: 1
    10. verlängerte: 1
    11. Redezeit: 1
    12. beantragt,: 1
    13. die: 1
    14. des: 1
    15. Herrn: 1
    16. Bundeskanzlers: 1
    17. entspricht:\n: 1
    18. 100: 1
    19. Minuten.\n: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 182. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 26. April 1972 Inhalt: Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Dr. Artzinger und Scheu . . . . 10589 A Verzicht des Abg. Blank auf die Mitgliedschaft und Eintritt des Abg. Löher (Dortmund) 10589 B Eintritt des Abg. Schlichting-von Rönn in den Bundestag . . . . . . . . . . 10589 B Abg. Helms scheidet aus der Fraktion der FDP aus . . . . . . . . . . . . 10589 B Wahl des Abg. Wende als stellvertretendes Mitglied für den Kontrollausschuß beim Bundesausgleichsamt 10589 B Überweisung von Vorlagen an Ausschüsse 10589 C Amtliche Mitteilungen 10589 D Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1972 (Haushaltsgesetz 1972) (Drucksachen V1/2650, zu VI/2650, Nachtrag zu VI/2650); Berichte des Haushaltsausschusses — Zweite Beratung — Einzelplan 01 Bundespräsident und Bundespräsidialamt (Drucksache VI/3350) . . . 10590 B Einzelplan 02 Deutscher Bundestag (Drucksache VI/3351) Franke (Osnabrück) (CDU/CSU) . . 10590 C Dr. Lenz (Bergstraße) (CDU/CSU) . 10591 C Dichgans (CDU/CSU) . . . . . . 10592 C Jung (FDP) . . . . . . . . . 10594 C Dr. Althammer (CDU/CSU) 10594 D, 10597 C Dr. Apel (SPD) . . . . . . . . 10596 D Kirst (FDP) . . . . . . . . . 10593 B Dr. Ehmke, Bundesminister . . . 10598 B Ertl, Bundesminister 10598 B Spitzmüller (FDP) 10599 A Stücklen (CDU/CSU) 10599 C Wehner (SPD) 10600 A Leicht (CDU/CSU) . . . ... . 10600 D Dorn (FDP) 10601 B Dr. Stark (Nürtingen) (CDU/CSU) . 10601 D Dr. Sperling (SPD) 10602 D II Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. April 1972 Einzelplan 03 Bundesrat (Drucksache VI/3352) 10603 B Einzelplan 04 Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes (Drucksache VI/3353) Katzer (CDU/CSU) . . . . . . . 10603 C Dr. Schäfer (Tübingen) (SPD) . . . 10609 D Kirst (FDP) . . . . . . . . . 10618 B Baron von Wrangel (CDU/CSU) . . 10624 A Brandt, Bundeskanzler . . . . . 10639 D Dr. Barzel (CDU/CSU) . . . . 10652 A Scheel, Bundesminister 10662 A Dr. Arndt (Berlin) (SPD) . . . . 10670 B Arendt, Bundesminister 10673 B Strauß (CDU/CSU) . . . . . . 106e A Dr. Schiller, Bundesminister . . 10688 D Fragestunde (Drucksachen VI/3377, VI/3378) Fragen des Abg. Reddemann (CDU/CSU): Verstöße gegen die Geheimhaltungsvorschriften im Auswärtigen Amt Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär 10626 B, C, D, 10627 A, B, C, D, 10628 A, C, D Reddemann (CDU/CSU) . . . . 10626 C, D, 10627 B, C Dr. Schulze-Vorberg (CDU/CSU) . . 10626 D, 10628 A Niegel (CDU/CSU) . . . . . . . 10627 A Dr.-Ing. Bach (CDU/CSU) . • . . 10627 D Freiherr Ostman von der Leye (SPD) 10628 A Frau Renger (SPD) 10628 B Ott (CDU/CSU) . . . . . . . 10628 C Dr. Kliesing (Honnef) (CDU/CSU) 10628 D Frage des Abg. Niegel (CDU/CSU) : Auswirkung der Ostverträge auf das Zonenrandgebiet, insbesondere das östliche Oberfranken Herold, Parlamentarischer Staatssekretär 10629 A, C, D, 10630 A, B, C Niegel (CDU/CSU) 10629 B, D Ott (CDU/CSU) . . . . . . . 10629 D Reddemann (CDU/CSU) 10630 A Sieglerschmidt (SPD) 10630 C Frage des Abg. Dr. Wittmann (München) .(CDU/CSU) : Einsatz von Hubschraubern der Bundeswehr für Sanitätszwecke Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . 10630 D, 10631 A Dr. Wittmann (München) (CDU/CSU) 10631 A Frage des Abg. Freiherr Ostman von der Leye (SPD) : Beschäftigung von Angehörigen der NPD und ihrer Jugend- und Studentenorganisationen sowie von Mitgliedern anderer rechtsradikaler Organisationen im öffentlichen Dienst Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . .10631 B, C, D Freiherr Ostman von der Leye (SPD) 10631 C Hansen (SPD) . . . . . . . . . 10631 D Frage des Abg. Walkhoff (SPD) : Störung der Olympischen Spiele durch militante neonazistische europäische Gruppen Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . 10632 A Walkhoff (SPD) 10632 A Frage des Abg. Müller (Mülheim) (SPD) : Versalzung der Werra und der Weser durch Abwässer des Kalibergbaues Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär 10632 B Frage des Abg. Müller (Mülheim) (SPD) Verhandlungen mit der DDR über Schutzmaßnahmen im Kalibergbau Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär 10632 C, D Müller (Mülheim) (SPD) 10632 D Frage des Abg. Dr. Schneider (Nürnberg) (CDU/CSU) : Beurteilung des vom Deutschen Städtetag vorgelegten „Negativkatalogs der zivilen Verteidigung" Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär 10633 A, B, C Dr. Schneider (Nürnberg) (CDU/CSU) 10633 B Müller (Mülheim) (SPD) 10633 C Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. April 1972 III Frage des Abg. Freiherr von Fircks (CDU/CSU) : Ablehnungsquote im Feststellungsverfahren auf Grund des 21. Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär 10634 A, B Freiherr von Fircks (CDU/CSU) . 10634 B Frage des Abg. Freiherr von Fircks (CDU/CSU) : Grundbetrag nach § 4 des 21. Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär 10634 B, D Freiherr von Fircks (CDU/CSU) . 10634 C Frage des Abg. Dasch (CDU/CSU) : Verbesserung der Wettbewerbsfähig- keit der Aluminiumindustrie Offergeld, Parlamentarischer Staatssekretär . . . 10634 D, 10635 A, B Dasch (CDU/CSU) . . . . .10635 A, B Fragen des Abg. Wolfram (SPD) : Anzeige der Landesvereinigung der industriellen Arbeitgeberverbände Nordrhein-Westfalen e. V. betr. Auswirkungen der Steuerreform Offergeld, Parlamentarischer Staatssekretär . 10635 B, C, D 10636 A, B Wolfram (SPD) 10635 D, 10636 A Haase (Kassel) (CDU/CSU) . . . . 10636 A Fragen des Abg. Schmidt (Braunschweig) (SPD) : Mißbräuchliche Anwendung des Blindenprivilegs bei der Berechnung der Mehrwertsteuer durch Tankstellenunternehmer Offergeld, Parlamentarischer Staatssekretär 10636 B, D Schmidt (Braunschweig) (SPD) . 10636 C, D Fragen des Abg. Biehle (CDU/CSU) und des Abg. Niegel (CDU/CSU) : Stellungnahme von Präsident Mansholt zu den Agrarpreisen Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär 10637 A, B , C, D, 10638 A, B, C, 10639 A Biehle (CDU/CSU) . . . . . 10637 A, B, C, 10638 A, B Niegel (CDU/CSU) . . . . . . . 10637 D, 10638 B, D, 10639 A Fragen des Abg. Dr. Kempfler (CDU/CSU) : Industriehoiz aus Bauernwäldern Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . 10639 B, C Dr. Kempfler (CDU/CSU) . . . 10639 B nächste Sitzung 10690 A Anlagen Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 10691 A Anlage 2 Schriftliche Antwort auf die Mündliche Frage des Abg. Dr. Schmitt-Vockenhausen (SPD) betr. Sicherung des Rechts auf Gegendarstellung in Presseorganen . . 10691 A Anlage 3 Schriftliche Antwort auf die Mündlichen Fragen des Abg. Schmidt (Kempten) (FDP) betr. Gefährdung des Grundwassers sowie der Flüsse und Seen durch phosphathaltige Waschmittel 10691 C Anlage 4 Schriftliche Antwort auf die Mündlichen Fragen des Abg. Metzger (SPD) betr Vortragsdienst über die Olympischen Spiele 10692 A Anlage 5 Schriftliche Antwort auf die Mündliche Frage des Abg. Weigl (CDU/CSU) betr. Grenzschutzstandorte in Ostbayern, insbesondere in der nördlichen Oberpfalz . 10692 C Anlage 6 Schriftliche Antwort auf die. Mündliche Frage des Abg. Wagner (Günzburg) (CDU/CSU) betr. Gesetzentwurf zur Neuordnung der Besoldung für Hochschullehrer und Fachhochschullehrer . . . . 10692 C Anlage 7 Schriftliche Antwort auf die Mündliche Frage des Abg. Dr. Schmitt-Vockenhausen (SPD) betr. Sicherung bzw. Neuschaffung von Arbeitsplätzen . . . . . . 10692 D Anlage 8 Schriftliche Antwort auf die Mündliche Frage des Abg. Gewandt (CDU/CSU) betr. Verminderung der Auswirkungen der Rückzahlung des Konjunkturzuschlages . 10693 A IV Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. April 1972 Anlage 9 Schriftliche Antwort auf die Mündliche Frage der Abg. Frau von Bothmer (SPD) betr. Förderung deutscher Investitionen in Namibia, Angola, Mozambique und Südrhodesien 10693 B Anlage 10 Schriftliche Antwort auf die Mündliche Frage des Abg. Weigl (CDU/CSU) betr. Stichtag der Neuregelung der Brennrechte 10693 C Anlage 11 Schriftliche Antwort auf die Schriftlichen Fragen des Abg. Dr. Hubrig (CDU/CSU) betr. Aufwendungen der Wirtschaft für Forschung und Entwicklung 10693 D Anlage 12 Schriftliche Antwort auf die Schriftliche Frage des Abg. Leicht (CDU/CSU) betr. finanzielle Aufwendungen für die Verwirklichung der Gesamtschule und Gesamthochschule 10694 C Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. April 1972 10589 182 Sitzung Bonn, den 26. April 1972 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Berichtigung 178. Sitzung, Seite II, rechte Spalte: Vor den Worten „Sammelübersicht 36" ist einzufügen: Entwurf eines Fünfzehnten Gesetzes über die Anpassung der Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen (Fünfzehntes Rentenanpassungsgesetz) (Bundesrat) (Drucksache VI/3214) 181. Sitzung, Seite 10551 C: Zwischen den Worten „Art. Satz 2" ist einzufügen: 2 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. April 1972 10691 Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Breidbach 29. 4. Frau Dr. Diemer-Nicolaus 29. 4. Freiherr von und zu Guttenberg 5. 5. Lemp 26. 4. Lücker( München) 26. 4. Pöhler*** 26. 4. *Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments ** Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen der Beratenden Versammlung des Europarats *** Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen der Versammlung der Westeuropäischen Union Anlage 2 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dorn vom 26. April 1972 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. Schmitt-Vockenhausen (SPD) (Drucksache VI/3377 Frage A 2) : Was gedenkt die Bundesregierung zu einer besseren Sicherung des Gegendarstellungsrechts zu unternehmen, nachdem in zunehmendem Maße Presseorgane Gegendarstellungen dadurch zu unterlaufen suchen, indem sie Gegendarstellungen aus formalen Gründen ablehnen und Teile der Gegendarstellungen in eigene Berichte einarbeiten? Die Vorschriften über das Gegendarstellungsrecht, die die einzelnen Landespressegesetze enthalten, werden allgemein als ausreichend angesehen. Vorteile gegenüber entsprechenden Regelungen in anderen Rechtskreisen bestehen insbesondere wegen der schnellen Durchsetzbarkeit des Gegendarstellungsrechts auch im Wege einer einstweiligen Verfügung. Der Abdruck der Gegendarstellung darf nur verweigert werden, wenn kein berechtigtes Interesse der betroffenen Person an der Veröffentlichung besteht, wenn die Gegendarstellung ihrem Umfang nach nicht angemessen ist oder wenn sie strafbaren Inhalts ist. Eine Vermengung einer Gegendarstellung mit eigenen Berichten des jeweiligen Presseorgans wird von der Rechtsprechung als unzulässig angesehen. Die Gegendarstellung darf auch nicht in der Form eines Leserbriefes abgedruckt werden. Nach dem z. Z. geltenden Landespresserecht ist es nicht unzulässig, mit der Gegendarstellung eine Stellungnahme der Redaktion zu veröffentlichen. Nach dem Entwurf des Bundespresserechtsrahmengesetzes, der in meinem Hause vorbereitet wird, soll dies in Zukunft untersagt werden. Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 3 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatsekretärs Dorn vom 26. April 1972 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Schmidt (Kempten) (FDP) (Drucksache VI/3377 Fragen A 5 und 6) : Hat die Bundesregierung Unterlagen darüber, wieweit durch den sehr hohen Phosphatgehalt der insbesondere in den Haushalten verwendeten Waschmittel die Gefährdung sowohl des Grundwassers als auch der Flüsse und Seen in den letzten Jahren angestiegen ist? Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, im Rahmen des Umweltschutzes darauf hinzuwirken, daß der Phosphatgehalt hei Waschmitteln in Zukunft auf 50 % des bisherigen Phosphatgehalts abgesenkt wird? Zu Frage 5: Im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen beantworte ich die Frage wie folgt: Der Bundesregierung liegen keine genauen zahlenmäßigen Unterlagen über die anteilige Belastung der Gewässer durch Waschmittelphosphate vor. Mit diesen Fragen befassen sich jedoch mehrere Sachverständigengremien, deren Arbeitsergebnisse der Bundesregierung vorliegen. Danach ergibt sich folgendes Bild: Bei der Beurteilung der von Phosphaten herrührenden Überdüngung von Gewässern und ihrer nachteiligen Folgen durch übermäßiges Wachstum von Algen wird oft übersehen, daß diese Schwierigkeiten überwiegend nur in stehenden Gewässern, aber kaum in fließenden Gewässern auftreten. In Flüssen und Bächen kommmt es zu keiner Phosphatanreicherung, auf die die Überdüngung in den Seen und Talsperren zurückzuführen ist. Grundwasser kann dabei außer acht gelassen werden, da Abwasser nicht in nennenswerten Mengen in das Grundwasser gelangt und Algen sich unter Lichtabschluß nicht entwickeln. Die in die Seen gelangenden Phosphate entstammen zu rund zwei Dritteln aus dem Abwasser und zu einem Drittel aus landwirtschaftlichen Anbauflächen. Dort werden die in Form von mineralischen Düngern aufgebrachten Phosphate durch Niederschläge teilweise wieder ausgewaschen. Die im Abwasser enthaltenen Phosphate entstammen je etwa zur Hälfte aus Waschmitteln und menschlichen Fäkalien. Die Ursachen der steigenden Gefährdung von Seen sind in erster Linie auf das Anwachsen der Besiedlung zurückzuführen. Allein in den deutschen Kreisen des Bodensees wuchs die Bevölkerung in den letzten 20 Jahren um nahezu 40 % an. Dazu kommt die hohe Zahl der Erholungsuchenden, die sich jeweils in den Sommermonaten in der Umgebung von Seen aufhalten. Nicht zuletzt ist auch der Waschmittelverbrauch, vor allem mit dem Einzug der Haushaltswaschmaschine, angestiegen, was zu einer weiteren Überdüngung geführt hat. Soweit es noch erforderlich ist, diese Fragen durch Forschungsarbeiten und Untersuchungen von Sach- 10692 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. April 1972 verständigen zu klären, wird die Bundesregierung das Notwendige veranlassen. Zu Frage 6: Die Bundesregierung wird prüfen, ob und wie weit phosphatarme Waschmittel eingesetzt werden können. Einen wirksameren Schutz bietet jedoch der Bau von Ringkanalisationen und speziellen Abwasserkläranlagen, durch die im Abwasser insgesamt enthaltenen Phosphate, gleich welcher Herkunft, wirksam zurückgehalten werden können. Anlage 4 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dorn vom 26. April 1972 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Metzger (SPD) (Drucksache VI/3377 Fragen A 7 und 8) : Wie beurteilt die Bundesregierung die Maßnahmen des Olympischen Organisationskomitees in München, zur Einsparung von 100 000 DM den Vortragsdienst über die Olympischen Spiele einzustellen, obwohl nach einer Mitteilung des Olympia-Werbechefs Otto Haas in der vergangenen Woche allein 200 Vortragswünsche von der Bundeswehr vorlagen? Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß im Hinblick auf die Brutto-Gesamtkosten der Olympischen Spiele von 1972 Millionen DM und im Hinblick auf die Öffentlichkeitsarbeit die Maßnahmen des Olympischen Komitees wenig überzeugend und rückgängig zu machen ist, zumal bei den Sportvereinen in der Bundesrepublik Deutschland und im Bereich der Bundeswehr ein besonders großes Interesse an sachgerechter Information über die Olympischen Spiele 1972 besteht? Zur Klärung des Sachverhalts, der Gegenstand Ihrer Anfrage ist, hat sich mein Haus an das Organisationskomitee in München gewandt. Nach Auskunft des Komitees entspricht es dem Ablauf des Zeit- und Organisationsplans, daß sich nunmehr — also weniger als 130 Tage vor dem Beginn der Olympischen Spiele — die Arbeit der Abteilung Werbung auf die Aufgaben konzentriert, die unmittelbar der Durchführung der Spiele dienen. Hierzu gehört u. a. die Herstellung der offiziellen Führer, der Tage- und Wochenprogramme sowie der Besucherinformationen. Der Vortragsdienst, auf den sich Ihre Anfrage bezieht, soll umorganisiert werden. Das Organisationskomitee hat die Deutsche Olympische Gesellschaft und den Deutschen Sportbund gebeten, die weiteren Vorträge zu übernehmen. Die Deutsche Olympische Gesellschaft hat bereits zugesagt. Das Organisationskomitee wird auch weiterhin seinen Beitrag leisten, indem es alle Unterlagen — Material für Referate, Filme, DiaGeräte und Publikationen — kostenlos zur Verfügung stellt. Im übrigen teile ich Ihre Auffassung voll und ganz, daß die Information der Öffentlichkeit und aller interessierten Stellen gerade jetzt nicht erlahmen darf. Der Fachausschuß für Öffentlichkeitsarbeit des Organisationskomitees wird in Kürze erneut tagen. Der Vertreter der Bundesregierung in diesem Ausschuß hat bereits beantragt, das Thema auf die Tagesordnung zu setzen. Anlage 5 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dorn vom 26. April 1972 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Weigl (CDU/CSU) (Drucksache VI/3377 Frage A 13) : Bis wann kann mit der Schließung der Lücke von Grenzschutzstandorten in Ostbayern, im besonderen in der nördlichen Oberpfalz, gerechnet werden? In Ostbayern sind Einheiten des BGS in den Standorten Bayreuth, Nabburg, Schwandorf und Deggendorf stationiert. Zur Verstärkung der Sicherung der Grenze wurde aus dem Grenzschutzstandort Nabburg zusätzlich ein ständig besetzter Stützpunkt in Seedorf eingerichtet. Die von mir für 1973 angestrebte Verstärkung des Bundesgrenzschutzes führt nicht zur Stationierung weiterer Einheiten im gesamten Grenzgebiet der Bundesrepublik Deutschland und damit auch nicht an der Grenze zur CSSR. Die Frage der Auswahl neuer Standorte in der nördlichen Oberpfalz stellt sich daher im Augenblick nicht. Anlage 6 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dorn vom 26. April 1972 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Wagner (Günzburg) (CDU/CSU) (Drucksache VI/3377 Frage A 14) : Bis zu welchem Zeitpunkt beabsichtigt die Bundesregierung, einen Gesetzentwurf zur Neuordnung der Besoldung für Hochschullehrer und Fachhochschullehrer vorzulegen? Der anstehenden Neuordnung der Besoldung im Hochschulbereich, die auch die Fachhochschullehrer einbeziehen wird, muß die Personalstruktur zugrunde liegen, die das Hochschulrahmengesetz vorsehen wird. Daher hängt der Zeitpunkt, zu dem dem Deutschen Bundestag der Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung der Besoldung im Hochschulbereich vorgelegt werden kann, von der Verabschiedung des Hochschulrahmengesetzes ab. Vorarbeiten für das diesem nachfolgende Besoldungsgesetz sind in enger Zusammenarbeit mit den Ländern im Gange. Anlage 7 Schriftliche Antwort des Staatssekretärs Dr. Schöllhorn vom 25. April 1972 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. Schmitt-Vockenhausen (SPD) (Drucksache VI/3377 Frage A 17) : Über welche regionalpolitischen und arbeitsmarktpolitischen Steuerungsinstrumente verfügt die Bundesregierung, um in Gebieten mit plötzlich auftretender Arbeitslosigkeit außerhalb der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" Arbeitsplätze zu sichern bzw. neu zu schaffen? Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. April 1972 10693 Wenn in einem Gebiet außerhalb des Geltungsbereichs der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" eine schwerwiegende und nachhaltige Arbeitslosigkeit eintritt oder einzutreten droht, kann ein solches Gebiet in die Gemeinschaftsaufgabe aufgenommen werden. Die Bundesregierung würde einen entsprechenden Antrag des betroffenen Landes im Planungsausschuß für regionale Wirtschaftsstruktur, der über die Frage der Abgrenzung der Fördergebiete zu entscheiden hat, unterstützen. Darüber hinaus könnte der Vorstand der Bundesanstalt für Arbeit auf Grund eines dringenden Bedürfnisses auch außerhalb der Gemeinschaftsaufgabe im Rahmen der verfügbaren Mittel aus der Rücklage zinsgünstige Darlehen zur Förderung von Investitionen zur Verfügung stellen. Anlage 8 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Offergeld vom 26. April 1972 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Gewandt (CDU/CSU) (Drucksache VI/3377 Frage A 19) : Ist die Bundesregierung bereit, die preissteigernden Auswirkungen der Rückzahlung des Konjunkturzuschlags zur Einkommen- und Lohnsteuer dadurch zu vermindern, daß sie durch eine Änderung des 624-DM-Gesetzes neben der geltenden Sparförderung eine zusätzliche Sparzulage dann gewährt, wenn der zurückgezahlte Konjunkturzuschlag sofort vermögenswirksam angelegt wird? Die Bundesregierung hat nicht die Absicht, durch eine Änderung und Ausweitung der Prämiengesetze und des 624-DM-Gesetzes zusätzliche finanzielle Anreize für die Sparkapitalbildung aus dem Konjunkturzuschlag zu schaffen. Sie hält eine solche Maßnahme schon aus dem Grunde für nicht angebracht, weil sie die in der Anfrage zum Ausdruck kommende Befürchtung, die Rückzahlung des Konjunkturzuschlages Mitte dieses Jahres werde preissteigende Auswirkungen haben, nicht teilt. Auf Grund des gegenwärtigen Bildes der Konjunkturlage und der absehbaren Entwicklungstendenzen erwartet die Bundesregierung vielmehr, daß die Rückzahlung der bei der Deutschen Bundesbank stillgelegten Mittel auf einen noch nicht voll entwickelten Konjunkturaufschwung trifft und deshalb keine konjunkturell negative Wirkungen haben wird. Anlage 9 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Offergeld vom 26. April 1972 auf die Mündliche Frage der Abgeordneten Frau von Bothmer (SPD) (Drucksache VI/3377 Frage A 24) : Trifft es zu (siehe Süddeutsche Zeitung vom 23. März 1972), daß deutsche Investitionen in Gebieten wie Namibia, Angola, Mozambique und Südrhodesien durch das EntwicklungshilfeSteuergesetz gefördert werden? Ich beantworte Ihre Frage mit „Ja", möchte aber folgendes hinzufügen: Die Geltungsdauer des Entwicklungshilfe-Steuergesetzes endet am 31. Dezember 1972. Es ist geplant, das Gesetz ab 1. Januar 1973 in neuer Form fortzuführen. Bei der Novellierung des Gesetzes ist vorgesehen, der Ihnen sicherlich bekannten Resolution der Vereinten Nationen vom 24. Dezember 1972 Rechnung zu tragen. Anlage 10 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Offergeld vom 26. April 1972 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Weigl (CDU/CSU) (Drucksache VI/3377 Frage A 25) : Ist es richtig, daß durch das Vorziehen des Stichtags der betriebsfähigen Herrichtung von Brennereien für die Brennrechtsveranlagung 1972/1973 eine Lex Niedersachsen geschaffen wird, das heißt, die Neuerrichtung von über dreißig Brennereien in Niedersachsen bei einer gleichzeitigen Benachteiligung der Landwirtschaft in anderen Bundesländern legalisiert werden soll? Zur Fragestunde am 23./25. 2. 1972 haben Sie zum gleichen Thema eine schriftliche Anfrage annähernd gleichen Inhalts gestellt. Herr Hermsdorf hatte sie Ihnen mit Schreiben vom 23. Februar 1972 beantwortet. Neue Gesichtspunkte haben sich in der Zwischenzeit nicht ergeben, so daß ich der Antwort meines Kollegen Hermsdorf nichts hinzufügen kann. Zur Verdeutlichung möchte ich aber noch einmal folgendes unterstreichen: Es trifft zu, daß der Stichtag der Neuregelung der Brennrechte vorgezogen werden soll. Es ist denkbar, daß sich — wie bei jeder anderen Stichtagsregelung auch — in einzelnen Fällen Härten ergeben können. Für eine Milderung dieser möglichen Härtefälle kann die Kontingentsregelung, über die Sie Herr Hermsdorf in seinem Schreiben seiner Zeit informiert hatte, ggfs. in Betracht kommen, sofern der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten im Einzelfall ein besonderes agrarwirtschaftliches Bedürfnis anerkennt. Wie Sie sicherlich wissen, hat der Agrar-ausschuß des Bundesrates einem Antrag Bayerns zugestimmt, dieses Kontingent von ursprünglich 15 000 hl Weingeist auf 30 000 hl Weingeist zu erhöhen. Anlage 11 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Raffert vom 14. April 1972 auf die Schriftlichen Fragen des Ab- 10694 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. April 1972 geordneten Dr. Hubrig (CDU/CSU) (Drucksache VI/3313 Fragen B 15 und 16) : Gedenkt die Bundesregierung, eine gesetzliche Grundlage für eine amtliche Statistik der Forschungs- und Entwicklungsausgaben der deutschen Wirtschaft, ähnlich wie in den USA, Japan und Frankreich, zu schaffen? Welchen Aussagewert haben die vom Stifterverband der deutschen Wissenschaft durchgeführten Erhebungen über die Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen der deutschen Wirtschaft, und in welchem Umfang sind diese Angaben repräsentativ und statistisch gesichert? Die Bundesregierung hält eine aussagekräftige Statistik der Aufwendungen der Wirtschaft für Forschung und Entwicklung für unerläßlich. Z. Z. liegen aber noch nicht einmal für den öffentlichen Bereich ausreichende FuE-Statistiken vor. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß eine Statistik der Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten alle Sektoren der Volkswirtschaft umfassen und außer den Finanziellen Mitteln auch das in Forschung und Entwicklung tätige Personal einschließen müßte. Überlegungen und Erfahrungen bei der Erstellung von FuE-Daten haben gezeigt, daß sich bei der Erfassung und Aufbereitung erhebliche Schwierigkeiten ergeben. Wie durch die Erfahrungen anderer Staaten und bei den Erörterungen in internationalen Organisationen bestätigt worden ist, sind insbesondere die Definitions- und Zuordnungsfragen schwierig, Sobald hierüber in Zusammenarbeit mit inländischen Partnern und internationalen Organisationen hinreichende Klarheit erreicht worden ist, wird die Bundesregierung prüfen, ob und in welcher Form und bis zu welchem Detaillierungsgrad eine Statistik der Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten auch für den Bereich der Wirtschaft möglich gemacht werden sollte. Die vom Archivdienst für Wissenschaftsstatistik im Stifterverband für die deutsche Wissenschaft alle zwei Jahre durchgeführten Erhebungen sind eine wertvolle Grundlage für die Bewertung der Eigenleistungen der Wirtschaft auf dem Gebiet von Forschung und technischer Entwicklung. Da die Beteiligung an diesen Erhebungen freiwillig ist und nicht alle Unternehmen erfaßt, kann es sich allerdings nur um Ergebnisse handeln, deren Repräsentationsgrad in den einzelnen Wirtschaftszweigen unterschiedlich ist. Ein Vergleich der Ergebnisse der einzelnen Jahre ist, wie in den Veröffentlichungen ausdrücklich erwähnt wird, wegen der unterschiedlichen Zusammensetzung der Berichtseinheiten, insbesondere für den Vergleich von Teilergebnissen, nur mit Einschränkungen möglich. Die Erhebungen orientieren sich in ihrer Gliederung an dem von den OECD-Mitgliedstaaten erstellten Frascati-Handbuch über die Methoden zur Feststellung der Aufwendungen für Forschung und Entwicklung. Ein großer Teil der OECD-Länder bedient sich derselben Nomenklatur, so daß die Ergebnisse international verwendbar sind. Der Bundesbericht Forschung IV (Drucksache VI/3251) stützt sich in seiner quantitativen Darstellung der Eigenleistungen der Wirtschaft im wesentlichen auf die Ergebnisse der Erhebungen des Stifterverbandes. Anlage 12 Schriftliche Antwort des Bundesministers Dr. von Dohnanyi vom 21. April 1972 auf die Schriftliche Frage des Abgeordneten Leicht (CDU/CSU) (Drucksache VI/3313 Frage B 71) : Welche finanziellen Aufwendungen — personell wie investitionsmäßig — werden beim Bund bzw. bei den Ländern entstehen, wenn die von Bundesminister von Dohnanyi mehrfach in der Öffentlichkeit angekündigte Gesamtschule und Gesamthochschule verwirklicht werden, und inwieweit sind im geltenden Finanzplan des Bundes Mittel für diese Vorhaben (einschließlich der noch geplanten Modellversuche) vorgesehen? Die Frage nach den finanziellen Aufwendungen für die Verwirklichung der Gesamtschule und der Gesamthochschule läßt sich nicht beantworten, wenn sie nicht in den größeren Zusammenhang der notwendigen pädagogischen und organisatorischen Reformen des Bildungswesens gestellt wird. 1. Zur Gesamtschule: Im Zwischenbericht zum Bildungsgesamtplan haben sich Bund und alle Länder in bezug auf das 5. bis 10. Schuljahr (Sekundarstufe I) gemeinsam zu folgenden Zielen bekannt, die dem Abbau der bestehenden Chancenungleichheit im heutigen Schulwesen dienen: — Sicherung einer allgemeinen wissenschaftsorientierten Grundbildung für alle — Vermeidung vorzeitiger Festlegung auf bestimmte Bildungsgänge — Berücksichtigung der Neigung und der Befähigung des einzelnen durch eine zunehmende Wahl- und Leistungsdifferenzierung unter Beibehaltung eines verpflichtenden Kernbereichs gemeinsamer Inhalte. Die Bundesregierung und die von der SPD regierten Länder nehmen diese Zielvorstellungen sehr ernst und ziehen deshalb die notwendige Konsequenz: Sie wollen das überkommene ,,Drei-KlassenSchulsystem", bestehend aus Hauptschule, Realschule und Gymnasium, langfristig ersetzen durch die Gesamtschule. Diese wird alle Schüler zwischen 10 und 15 Jahren unter einem Dach zusammenfassen und die notwendigen Differenzierungen nicht mehr — wie faktisch heute noch überwiegend — nach der sozialen Herkunft sondern nach Neigung und Leistung vorsehen. Dies entspricht der internationalen Entwicklung wie auch dem deutlichen Mehrheitswillen der Bürger unseres Landes. Die von der CDU/CSU geführten Länder wollen die notwendige Konsequenz aus den gemeinsamen Zielvorstellungen noch nicht ziehen, sondern meinen eventuell auch mit Anpassungsmaßnahmen im Rahmen des traditionellen dreigliedrigen Schulsystems auskommen zu können. Wird mit solchen Maßnahmen Ernst gemacht, werden also im Interesse einer Verminderung der Chancenungleichheit insbesondere auch Maßnahmen ergriffen, um die bisherige Benachteiligung der Schüler an Haupt- und Realschulen abzubauen, so müssen sich die Kosten des Bildungswesens erhöhen. Dabei werden insbesondere die notwendigen Ver- Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 182. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. April 1972 10695 besserungen der Ausstattung der Haupt- und Realschulen ins Gewicht fallen. Die hierzu im „Zwischenbericht" quantifizierten Zielvorstellungen wurden aber vom Bund und allen Ländern in der BundLänder-Kommission für Bildungsplanung einstimmig verabschiedet. Entscheidend höhere, als die so entstehenden Mehrkosten, bringt auch die Gesamtschule nicht mit sich. Gewisse rationalisierende Wirkungen (gemeinsame Einrichtungen wie Bibliothek, Turnhalle, Sportplatz, Sprachlabor etc.) sind von der Gesamtschule zu erwarten. Nach diesem Vergleich — und ein anderer wäre der CDU/CSU gegenüber nicht fair — läßt sich also feststellen, daß die Gesamtschule nicht teurer ist als das im Sinne der CDU/CSU verbesserte herkömmliche System. Bedenkt man die zahlreichen Fehlinvestitionen, die in den letzten Jahren in einigen Ländern für neue Schulen an Standorten gemacht wurden, die heute nicht mehr aufrechterhalten werden sollen, ergeben sich weitere finanzpolitische Argumente für die Gesamtschulentscheidung heute. Wie Sie wissen, ist der Bund nach der geltenden Verfassungsordnung nicht in der Lage, sich umfassend an der Finanzierung des Schulwesens zu beteiligen. Er hat die Möglichkeit, auf der Grundlage des Artikels 91 b GG gemeinsam mit den Ländern entsprechende Modellversuche zu fördern. Die Förderung richtet sich dabei nach Bewertungsgrundsätzen, die im Rahmen der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung zwischen allen Beteiligten abgestimmt werden. Für die Förderung von Modellversuchen aus Bundesmitteln stehen die Titel 31 02/652 10 und 31 02/ 88210 (Förderung von Versuchs- und Modelleinrichtungen und -programmen im Bereich des Bildungswesens — laufende Kosten und Investitionen) zur Verfügung. Ein Schwerpunkt der Förderung aus diesen Titeln ist die Gesamtschule. In der Haushalts- und Finanzplanung der Bundesregierung sind für diese Titel insgesamt vorgesehen: 1972 75,7 Millionen DM 1973 131,8 Millionen DM 1974 183,7 Millionen DM 1975 255,7 Millionen DM Die Angaben für die Jahre 1973 bis 1975 sind der Finanzplanung 1972 bis 1975 aus dem letzten Jahr entnommen. 2. Zur Gesamthochschule: Die Errichtung von Gesamthochschulen, für die die Bundesregierung und alle Länderregierungen sich ausgesprochen haben, ist ein wesentlicher Teil der angestrebten Neuordnung des Hochschulbereiches, bei der ein durchlässiges System von abgestuften, aufeinander bezogenen Studiengängen und Studienabschlüssen geschaffen werden soll. Die finanziellen Aufwendungen für Gesamthochschulen werden sich voraussichtlich — nach allem, was wir heute wissen (Vergleichsrechnungen, in denen die Kosten der verschiedenen herkömmlichen Hochschulen den Kosten künftiger Gesamthochschulen gegenübergestellt werden, liegen noch nicht vor) — in dem Rahmen halten, der sich auch für die herkömmlichen Hochschularten nach Durchführung der erforderlichen Reformmaßnahmen (insbesondere im Bereich des Studiums, aber auch etwa bei Lehrkörperstruktur und Hochschulverwaltung) ergeben würde. Im Ersten Rahmenplan für den Hochschulbau 1972 bis 1975, der von Bund und Ländern einstimmig am 19. Juli 1971 beschlossen worden ist, werden deshalb einheitliche Flächen- und Kostenrichtwerte zugrunde gelegt. Auch in der Haushalts- und Finanzplanung des Bundes wird dementsprechend nicht nach Gesamthochschulen und anderen Hochschulen differenziert. Insgesamt sieht die Planung für die Förderung des Ausbaus und Neubaus von Hochschulen folgende Beträge vor (jeweils Bundesanteil an den Gesamtkosten) : 1972 1,6 Milliarden DM 1973 1,8 Milliarden DM 1974 2,0 Milliarden DM 1975 2,0 Milliarden DM Für die Förderung von Gesamthochschulmodellversuchen sind die erforderlichen Mittel nicht gesondert ausgewiesen. Der Haushaltsansatz bei Kap. 31 02 Titel 652 10 und 882 10 steht auch für Modellversuche im Hochschulbereich zur Verfügung.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: ()
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde mich nicht dazu verleiten lassen, den Unionsparteien auf dem Wege der übersteigerten Polemik zu folgen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wenn, wie es heißt, abgerechnet werden soll, dann so, daß die Tatsachen dabei nicht auf der Strecke bleiben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Zum Experiment des Mißtrauensvotums wird ja morgen noch einiges zu sagen sein. Heute will ich die von mir zu verantwortende Politik und die unbezweifelbaren Leistungen der Bundesregierung darlegen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)




    Bundeskanzler Brandt
    Ich werde begründen, weshalb innenpolitische Panikmache ebenso schädlich ist wie außenpolitische Drückebergerei.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Zunächst einmal, meine Damen und Herren, haben wir von der Tatsache auszugehen, daß Neuwahlen zum Bundestag nicht stattgefunden haben. Die Unionsparteien, die sich ja im Grunde nie recht damit abgefunden hatten, daß ihnen nach den Spielregeln der Demokratie die verantwortungsvolle Rolle der parlamentarischen Opposition übertragen wurde, die Unionsparteien also setzen offensichtlich darauf, daß noch der eine oder andere Abgeordnete dem Wählerauftrag von 1969 seine eigenwillige Deutung geben könnte. Ich meine, CDU und CSU sollten sich davon nicht zuviel versprechen.
    Über die Methoden, mit denen man glaubt, der Überzeugung einzelner gelegentlich nachhelfen zu können, wird sich vermutlich im Laufe der Zeit auch noch einiges zutage fördern lassen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Nun hat die Fraktion der CDU/CSU gemeint, dem Wahlergebnis in Baden-Württemberg —auch Herr Kollege Katzer sprach heute früh davon — eine, wie ich meine, völlig einseitige und durch die Tatsachen nicht gedeckte Deutung geben zu sollen. Lassen Sie mich deshalb, meine Damen und Herren, ohne alle Umschweife sagen, daß Sie Wahlanalyse mit Stimmungsmache verwechselt haben. Das Ergebnis der
    Landtagswahl vom vergangenen Sonntag zeigt nämlich: wenn jetzt in der ganzen Bundesrepublik gewählt werden könnte, würden die Sozialdemokraten und die Freien Demokraten mit großer Wahrscheinlichkeit eine sichere Mehrheit im Bundestag erringen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe und Lachen bei der CDU/CSU.)

    Wie sehen die Tatsachen aus? Die Sozialdemokraten und die Freien Demokraten — beide Koalitionsparteien in Bonn — haben in Baden-Württemberg das Ergebnis der Bundestagswahl von 1969 verbessern können. Meine Partei hat in jenem Land ihr bisher überhaupt bestes Wahlergebnis erzielt.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Gewiß, die CDU hat dort die absolute Mehrheit erlangt, meine Partei und die Freien Demokraten haben ihr Wahlziel nicht erreicht.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    Ich bagatellisiere das nicht, ich übersehe dabei auch nicht — darauf ist heute früh Bezug genommen worden; ich komme darauf selbst zurück — gewisse Schwächen im eigenen Lager. Aber ich stelle fest: die CDU hat jetzt allein fast den Stimmenanteil erreicht, den CDU und NPD bei der Bundestagswahl erreichen konnten.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Lachen und Zurufe von der CDU/CSU.)

    Dies ist zunächst nur eine statistische Feststellung.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Er holzt! — Weitere Zurufe.)

    Die NPD hat dem ihre, gewiß großsprecherische, eigene politische Deutung gegeben. Sie, die NPD, behauptet, entscheidend sei das Zurückziehen ihrer Kandidaten gewesen, um — ich zitiere — „auf diese Weise die Mehrheit gegen die Ostverträge sicherzustellen".
    Der Behauptung, die Wähler in Baden-Württemberg hätten gegen meine und Walter Scheels Außenpolitik und insbesondere gegen die Ostverträge entschieden, muß ich nachdrücklich widersprechen. Davon kann überhaupt keine Rede sein. Ich könnte eine Fülle von Anhaltspunkten dafür geltend machen, daß nicht nur die Mehrheit, sondern eine solide Mehrheit der Frauen und Männer in der Bundesrepublik für jene Politik des Ausgleichs und des gesicherten Friedens eintritt, die in den Verträgen mit der Sowjetunion und der Volksrepublik Polen ihren Niederschlag gefunden hat.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Aber noch schwieriger, als sich über die Deutung von Landtagswahlen zu verständigen, scheint es zu sein, die allgemeine Lage in unserer Bundesrepublik auch nur ähnlich zu beurteilen. Manche fragen sich seit langem: Sprechen die beiden Seiten in diesem Haus eigentlich von demselben Land, derselben Bundesrepublik, oder sprechen sie von zwei verschiedenen Ländern? Ich frage mich und, wenn ich darf, uns auch heute: Ist es eigentlich die Bundesrepublik Deutschland, von der die Opposition spricht, wenn sie behauptet, die Staatsfinanzen seien zerrüttet, und von der sie in den letzten zweieinhalb Jahren sprach, als sie immer wieder wirtschaftlichen Zusammenbruch und Arbeitslosigkeit voraussagte?

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren, ist es die Bundesrepublik Deutschland, die beschrieben werden soll, wenn die demokratische Grundordnung als gefährdet hingestellt wird oder wenn es heißt, unsere Verankerung im atlantischen Bündnis und in den westlichen Gemeinschaften sei erschüttert? Dies ist doch eine besonders groteske Verdrehung der Tatsachen. Die Bundesrepublik hat in den letzten zweieinhalb Jahren eine betont und anerkannt aktive Rolle im Bündnis gespielt, und im Ausland, anders als bei der CDU/CSU, wird unser Beitrag zur europäischen Einigung sehr positiv gewertet.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Hiervon habe ich mich erst vor wenigen Tagen in Großbritannien überzeugen können.
    Im Meinungsstreit zwischen Regierung und Opposition, zwischen Unionsparteien und sozialliberaler Koalition, haben wir es offensichtlich auch außerhalb von Wahlkämpfen mit erheblichen Verständigungsschwierigkeiten zu tun. Ich meine, ,dies hat zum einen Teil damit zu tun, daß die Union sich nicht von der Vorstellung hat lösen können, diese Republik sei der Erbhof einer Partei.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Zum anderen beruht es wohl darauf, daß sich die
    Union als Opposition in einer ausgedachten, einer
    selbst konstruierten Landschaft bewegt und daß sie



    Bundeskanzler Brandt
    weder von ,den Fakten ausgeht, mit denen wir es in der Bundesrepublik Deutschland zu tun haben, noch die Absichten und Maßnahmen der Regierung — wenn auch kritisch, so doch unvoreingenommen
    zur Kenntnis nimmt. Eine Debatte wie die zum Bundeshaushalt wird nur dann einen Sinn haben, wenn die Union als Opposition mit den Fakten sorgsamer umgeht, als dies bisher allzuoft geschehen ist. Statt aneinander vorbeizureden, sollten wir uns, jeder aus ,seiner Verantwortung, die Frage stellen: Was dient der äußeren und was dient der inneren Sicherheit unseres Staates? Wir sollten miteinander wetteifern, diese Frage so gut wie möglich zu beantworten.
    Die äußere und die innere Sicherheit des Staates und seiner Bürger zu bewahren, das ist die Aufgabe und die Pflicht dieser Bundesregierung. In dieser Aufgabe und Pflicht unterscheidet sie sich nicht von ihren Vorgängerinnen. Die Frage, die wir gewissenhaft zu beantworten haben, bezieht sich jedoch nicht auf eine unveränderliche Landschaft, sondern sie lautet: wie ist Sicherheit erreichbar in einer Welt, die sich so rasch wandelt? Sie ist gewiß nicht erreichbar, wenn die raschen Veränderungen und die vielfachen Abhängigkeiten nicht genügend einkalkuliert, nichtgenügend zur Kenntnis genommen werden. Gerade in diesem Punkt, so will mir scheinen, gehen diese Regierung und diese Opposition auseinander.
    Diese Regierung und die sie tragende Koalition sagen: Sicherheit kann längst nicht mehr bedeuten, daß alles im großen und ganzen so bleibt, wie es ist. Dies gilt für Außenpolitik und Innenpolitik gleichermaßen. Ich gehe davon aus, daß wir unabhängig von dem morgen zur Entscheidung anstehenden Mitrauensantrag in der nächsten Woche in aller Ausführlichkeit zur Ost-West-Politik Stellung nehmen werden. Im Augenblick beschränke ich mich daher auf folgende Feststellungen.
    Die Außenpolitik dieser Regierung ist der gewiß nicht einfache, aber, wie ich meine, gelungene Versuch, die deutsche Politik mit den herrschenden internationalen Tendenzen in Einklang zu bringen. Dies war die Aufgabe.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Dies geschieht nicht, wie uns in ebenso törichter wie geschmackloser Form immer wieder vorgeworfen wurde, um Verzicht oder Ausverkauf zu betreiben. Nebenbei gesagt: manche, die auf anderen Gebieten so empfindlich reagieren, die sollten sich doch in diesem Augenblick auch einmal an die, jetzt sage ich — und ich weiß, was ich sage —, Hetze erinnern, die mit den Begriffen Verzicht und Ausverkauf betrieben worden ist,

    (lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien)

    zum Teil von solchen, die ja nicht mal Nationalisten sind, sondern die nur mit nationalen Emotionen unserer Mitbürger Schindluder treiben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Apel: Sehr gut!)

    Ich sage noch einmal: dies geschieht nicht wegen dem, was man geschmacklos so genannt hat, wie ich es zitierte, sondern dies geschieht und mußte geschehen, um die deutschen Interessen besser, wirksamer vertreten zu können. Darum ging es.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Diese Einordnung der deutschen Politik in die internationalen Tendenzen bedeutet: es gab und es gibt keinen deutschen Alleingang, denn dies wäre eben keine Eingliederung, von der ich sprach. Die Vertragspolitik nach Osten entspricht den Interessen der Vertragspartner, und sie wird vom Bündnis mit getragen. Sie ist eng mit der Politik unserer westlichen Freunde verzahnt. Sie schafft deshalb nicht weniger, sondern mehr Sicherheit für unser Volk.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Und, meine Damen und Herren, weil die Führung der Opposition diese Zusammenhänge nicht sah oder nicht sehen wollte, hat sie sich, so meine ich, in ihrer Argumentation verrannt.
    Es ist deshalb begreiflich, daß schon in den hinter uns liegenden Wochen zahlreiche Kollegen von der Opposition meinten, daß es ratsam wäre, sich einem, wie sie glauben, für sie einträglicheren Gebiet zuzuwenden. Aber es ist aus meiner Sicht leider festzustellen: die Opposition hat auch in der Innenpolitik den Blick für die Realitäten verloren.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Wehner: Sehr gut!)

    Natürlich weiß ich, daß die Opposition nicht zum Lobe der Regierung bestellt ist. Dies sollte jedoch nicht verhindern, daß die Darlegungen der Opposition eine noch erkennbare Ähnlichkeit mit der Wirklichkeit aufweisen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren, das nun schon 21/2 Jahre anhaltende polemische Gerede über Inflation,

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    finanziellen Notstand, Kriminalität und Radikalisierung hilft unserem Staat nichts, und es hilft den Menschen in unserem Lande nichts, weil die undifferenzierte und übersteigerte Polemik die Probleme nicht klärt, sondern sie vernebelt. Dies wird im übrigen auch der Opposition selbst nicht helfen. Eine Krise in den Köpfen der Opposition ist noch längst nicht eine Krise dieses Staates.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Dauernd den Teufel an die Wand zu malen ist weder eine Alternative, noch ist es konstruktive Politik.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    An dumpfe Ängste zu appellieren und Unsicherheitsgefühle zu kultivieren ist nicht die einer großen demokratischen Partei gemäße Haltung.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wie ist denn, so frage ich, wirklich die Lage in der Bundesrepublik Deutschland? Da ist zunächst



    Bundeskanzler Brandt
    einmal im deutlichen Gegensatz zur Propaganda der Union festzustellen: Diese Bundesrepublik — und das wollen wir uns nicht zerreden lassen — ist wirtschaftlich und sozial eines der stabilsten Länder der Welt; so sieht es aus.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Gewiß, wie andere Länder, so steht auch die Bundesrepublik vor Problemen und vor schwierigen Aufgaben. Ich nenne die Reform des Weltwährungssystems, die dem folgen muß, was in Washington gemacht wurde, und ich nenne das sorgenvolle Problem der Preissteigerungen. Tatsache aber ist, daß man bei allen Sorgen, die wir haben, uns in anderen Ländern um unsere Situation beneidet; so sieht es auch aus.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Davon will die Opposition begreiflicherweise nicht viel hören. Aber das ändert nichts daran, daß dies eine weit verbreitete internationale Einschätzung der Bundesrepublik ist, und viele Bürger in diesem Lande wissen dies auch. Sie wissen zumal, daß es ihnen nicht schlecht geht, wie die Opposition ihnen einreden möchte, sondern daß es ihnen besser geht als 1969 und besser als in den meisten anderen Ländern.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Zum andern, meine Damen und Herren: Es ist objektiv falsch, von einer Finanzkrise zu reden. Prophezeiungen über ein unmittelbar bevorstehendes Finanzchaos haben wir bei den Haushaltsdebatten 1970 und 1971 gehört; so auch diesmal. Solche Prophezeiungen gewinnen durch die ständige Wiederholung nicht an Glaubwürdigkeit. Wahr ist, daß es auch hier Probleme gibt. Wo gibt es die nicht? Diese Probleme wären übrigens noch größer, wenn sich die Opposition mit ihren die Ausgaben um Milliarden steigernden Anträgen durchgesetzt hätte.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Weiter, meine Damen und Herren: Von einem Scheitern der Reformpolitik, wie wir sie in unserer Regierungserklärung vom Oktober 1969 beschrieben hatten, kann keine Rede sein.

    (Lachen bei der CDU/CSU.)

    Unsere Arbeit an den inneren Reformen ist zügig vorangegangen;

    (Beifall bei den Regierungsparteien)

    nicht so schnell, wie mancher erhofft hatte, nicht so langsam, wie andere befürchtet hatten. Wir können unser Tempo weder nach den Hoffnungen von Fortschrittsschwärmern noch nach den Angsten allzu zaghafter Konservativer richten.
    Die Opposition freilich sucht es verbal allen recht zu machen. Einmal argumentiert sie, diese Regierung reformiere zu schnell und zu viel und verunsichere die Bürger. Ein andermal erklärt sie, diese Regierung bringe zuwenig Reformen zustande. Wer sinngemäß behauptet, wir hätten das Paradies auf Erden versprochen, um dann festzustellen, dies hätten wir noch immer nicht geschafft, der macht es sich wahrlich zu leicht. Wir haben uns nicht das Paradies auf Erden vorgenommen,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Aber Steuervergünstigungen!)

    sondern wir haben uns für die kontinuierliche, mühsame, sachliche Arbeit an konkreten Reformen entschieden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich kann erwarten, daß man von den Tatsachen ausgeht, nämlich von unserem Programm und von seiner schrittweisen Verwirklichung, und dazu sage ich Ihnen: Die Leistungsbilanz dieser Regierung kann sich jetzt sehen lassen, und sie wird sich im nächsten Jahr noch besser sehen lassen können.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die Vermutung, meine Damen und Herren, durch zu viele und zu rasche Veränderungen könnten die Bürger verunsichert werden, nehme ich keineswegs leicht. Falsch aber ist gewiß der Umkehrschluß, Sicherheit sei nur dann gegeben, wenn keine Reformen stattfänden. Das Gegenteil ist richtig. Unterbliebene Reformen führen zu einem Stau, unter Umständen auch zu einer Situation, in der sich die Veränderungen in Eruptionen krisenhaft vollziehen. Sicherheit nicht in jenem bequemen Sinne, wie sie lange Zeit von der Union definiert wurde, sondern Sicherheit in der Bedeutung einer befriedeten und sich friedlich erneuernden Gesellschaft, solche Sicherheit ist überhaupt nur möglich, wenn es eine kontinuierliche und konsequente Reformpolitik gibt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Und die Zwischenbilanz dieser Regierung zeigt: Wir sind auf dem richtigen Weg, denn die Ergebnisse unserer Arbeit dienen der Sicherheit dieses Landes und seiner Bürger. Über Maß und über Geschwindigkeit von Reformen läßt sich streiten; eine sachliche Erörterung dieses Themas war und ist gewiß nützlich.
    Wenn Herr Dr. Barzel, als er an dieser Stelle vor einigen Monaten Gemeinsamkeit im Bemühen um den inneren Frieden forderte, auch jenen sozialen Ausgleich und jene Sicherheit im Auge gehabt hätte, von der ich eben sprach, würde ich dies über alle sonstigen Kontroversen hinweg lebhaft begrüßt haben. Aber ich meine, wer über das sonst Trennende hinweg sachliche Zusammenarbeit fordert, der darf nicht zugleich unsinnige Vorwürfe und schwer kontrollierbare Emotionen an die Stelle von Argumenten treten lassen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren, der Herr Kollege Katzer, dem ich wie immer besonders aufmerksam zugehört habe, hat mir heute vormittag Bemerkungen vorgehalten und vorgeworfen, von denen er sagte, sie seien nicht geeignet gewesen, dem inneren Frieden zu dienen. Lassen Sie mich dazu ein paar erklärende Bemerkungen machen und damit eine Bitte verbinden, von der ich möchte, daß sie noch heute einer breiten Öffentlichkeit in der Bundesrepublik bekannt wird.
    Zunächst halte ich es für eine zweifelhafte Methode, Zitate aus einem abendlichen informellen



    Bundeskanzler Brandt
    Gespräch mit Journalisten ich hätte auch sagen
    können: aus einem munteren Gespräch; das sage ich aber bewußt nicht, sondern ich sage: aus einem abendlichen informellen Gespräch mit Journalisten — zu verwenden und hochzuspielen, als ob man eine Regierungserklärung abgegeben oder auch nur eine Parteirede gehalten hätte,

    (Zuruf des Abg. Katzer)

    oder solche Gesprächsteile,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Bielefeld!)

    wie es — auch hier heute früh, allerdings nicht durch Sie — geschehen ist,

    (Abg. Haase [Kassel] : Eine Journalistenlüge?)

    auch noch für propagandistische Zwecke umzudichten.

    (Abg. Haase [Kassel] : Es hat doch in allen Zeitungen gestanden!)

    Ich habe — damit nehme ich auf einen Kollegen von
    heute morgen Bezug — überhaupt nichts gegen Kleinbürger gesagt. Ich habe nur gesagt, es gibt nicht nur wildgewordene Kleinbürger. Und das ist eine statistische und eine soziologische Tatsache. Dies zu dem einen Punkt.

    (Zustimmung bei Abgeordneten der SPD. Abg. Strauß: Wer sind denn die wildgewordenen Kleinbürger? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    Und, meine Damen und Herren, ich habe — das gebe ich zu statt vom „Bolzen" vom „Holzen" gesprochen.

    (Aha! bei der CDU/CSU.)

    Aber jeder, der dabei war, wird bestätigen können — und wird bestätigen —, daß das, was ich im Sinn hatte, das Dichterwort vom groben Klotz und vom groben Keil war. Und dazu stehe ich!

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Lachen bei der CDU/CSU.)

    — Im übrigen ist ja allerdings bekannt,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Und wie war das mit den Betrieben?)

    daß ich zum Leidwesen einiger meiner Freunde hiervon selbst selten Gebrauch mache.

    (Beifall bei der SPD.)

    Und wieso regt man sich darüber auf, daß ich im Zusammenhang mit kommenden Bundestagswahlen
    und von Bundestagswahlen war in jedem Gespräch im Eisenbahnzug die Rede von Betrieben, Arbeitnehmern und ihrer Mobilisierung gesprochen habe? Es kann doch niemanden überraschen, daß die SPD als Volkspartei ihre Verantwortung gegenüber den Arbeitnehmern ganz besonders ernst nimmt.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Und betrachten Sie, meine Damen und Herren, dies bitte auch nicht nur als die Angelegenheit meiner Partei. Hier geht es auch um die ja recht mühevoll in unserer jüngsten Geschichte vollzogene Integration breiter arbeitender Schichten in den demokratischen Staat. Einiges von dem, was hier heute früh etwas forsch, Herr Kollege Althammer, gesagt
    wurde, kann wie Gift wirken, weil es das Gerechtigkeitsgefühl und den Ebenbürtigkeitsanspruch jener arbeitenden Menschen herausfordert, die lange um ihren Platz am Tisch der Gesellschaft haben kämpfen müssen.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und einigen Abgeordneten der FDP.)

    Ich bin sehr dankbar für die zahlreichen Bekundungen der Sympathie und der Verbundenheit, die mich in diesen Tagen und gerade auch am heutigen Tage erreicht haben, aber ich habe eine Bitte, eine herzliche Bitte, an alle Bürger und an alle Organisationen, die diese Regierung unterstützen und unterstützen wollen. Die Bittet lautet: Jetzt kommt es darauf an, die Gefühle zu zügeln, sich nicht provozieren zu lassen,

    (Zurufe von der CDU/CSU: Von wem denn? — Jusos! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU.)

    von unüberlegten Aktionen Abstand zu nehmen.
    Im übrigen: Demokratie heißt nicht nur wählen; zur Demokratie gehört auch ein großes permanentes Gespräch unter den Bürgern und zwischen den Bürgern und ihren Gewählten. Die Bürger in unserem Lande werden sich gewiß nicht das Recht nehmen lassen, Parteien, Fraktionen, Abgeordneten ihr Vertrauen oder, wenn sie es für richtig halten, ihr Mißtrauen auszusprechen.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP. — Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Siehe Baden-Württemberg!)

    Das, worüber nach der Verfassung zu entscheiden ist, kann nur hier in diesem Hause entschieden werden, nirgends sonst.

    (Abg. Katzer: So ist es!)

    Es ist gut zu wissen, wie die Frauen und Männer draußen denken, wo sie stehen. Die Freunde der Regierung können sich darauf verlassen, daß ihre Sachwalter in diesem Hause ihre Pflicht tun,

    (Beifall bei den Regierungsparteien — Abg. Haase [Kassel] : Sehr gut!)

    und dann gehen die Auseinandersetzungen weiter in engem Kontakt mit den Freunden und Wählern im Lande. Sie können sich auf uns verlassen. Ich hoffe, daß dies überall richtig verstanden wird.
    Meine Damen und Herren, der Weg zum inneren Frieden führt gewiß nicht über Panikmache. Da helfen auch große Worte der Opposition in diesem Hause nicht, wenn sie in eklatantem Gegensatz zum tatsächlichen Verhalten im politischen Alltag stehen.
    In diesem Zusammenhang möchte ich auch zu dem Stellung nehmen, was in den letzten beiden Wochen zu einer besonderen Belastung des Verhältnisses zwischen Opposition und Regierung geführt hat. Die Opposition hat so getan, als sei nicht alles bekanntgemacht worden, worüber bei den Ostverträgen abzustimmen sein wird, und als seien dazu nicht alle denkbaren sachlichen Auskünfte erteilt worden. Hierdurch ist in der Öffentlichkeit ein wahrheitswidriges Bild geschaffen worden.



    Bundeskanzler Brandt
    Die Opposition hat dann insbesondere behauptet, es gebe sogenannte Protokolle, und sie hat insinuiert, es gebe Geheimabsprachen. Protokolle im Sinne von Texten, die beide Seiten gebilligt haben, gibt es nicht, ebensowenig wie es Geheimabsprachen gibt. Dies ist den Vertretern der Opposition genau erklärt worden, und es wurde dann trotzdem etwas anderes behauptet.
    Was es gibt, meine Damen und Herren, das sind unsere Aufzeichnungen unterschiedlicher Art über die verschiedenen Vorverhandlungen und Verhandlungen.

    (Abg. Stücklen: Die wollen wir sehen!)

    Und dann gibt es Fälschungen davon.

    (Abg. Stücklen: Die wollen wir nicht sehen!)

    Um die Inhalte der Verträge wird es bei der abschließenden Vertragsdebatte gehen. Über die Fälschungen muß ich jetzt ein Wort sagen. Hier handelt es sich nämlich um Fragen des Stils und um Fragen der Staatsauffassung.
    Ich meine: Wer mit anonymen Briefen politische oder sonstige Geschäfte macht, der beantwortet die Frage nach seinem Stil selbst.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wer aber den Inhalt derartiger Machenschaften ohne Rücksicht auf das Interesse des eigenen Landes verwendet, der vergeht sich gegen den demokratischen Staat.

    (Erneuter lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der CDU/CSU: Haltet den Dieb!)

    Als diese Machenschaften aufkamen, wäre von einer Opposition, die das kurzfristige Parteiinteresse nicht über alles stellt, zu erwarten gewesen, daß sie trotz aller sonstigen Gegnerschaft die Regierung nicht befeindet, sondern unterstützt hätte.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Mit der Regierung hätte sie jenen Sumpf von kriminellen Akten, Fälschungen und Verleumdungen trockenlegen müssen.

    (Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wenn irgendwann, so wäre dies die Stunde gewesen, in der Sie, Herr Dr. Barzel, Ihr „So nicht" hätten sagen müssen.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Lassen Sie mich hinzufügen, meine Damen und Herren: Alles Gerede über mangelnde Information ist irreführend. In Dutzenden von Besprechungen und Sitzungen während mehrerer hundert Stunden, gestützt auf alle verfügbaren Unterlagen, ist die Opposition umfassend und korrekt unterrichtet worden. Die Bundesregierung hat — wenn auch etwas liberaler — das gleiche Verfahren praktiziert, wie es bei den Pariser Verträgen angewandt worden ist. Der Bundesrat hat es in Anspruch genommen. Die Opposition im Bundestag hat draußen nach Informationen geschrien, und die Möglichkeiten, sich zusätzlich zu informieren, die seit acht Wochen angeboten werden, nicht genutzt.

    (Hört! Hört! und Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Genutzt wurde — und dies nenne ich verwerflich — ein Machwerk, das inzwischen in zwei Fassungen vorliegt. Wer sich darauf stützt und dann noch in völliger Abweichung von wohlbegründeter deutscher und internationaler Staatspraxis den angeblich vertraulichen Einblick in die Aufzeichnungen fordert, der gerät in die Gefahr, sich sehr unangenehmen Vermutungen auszusetzen. Die Bundesregierung muß es ablehnen, und zwar im Interesse der Ordnung und der Sauberkeit des Staates,

    (Oh!-Rufe von der CDU/CSU) sich an einem solchen Spiel zu beteiligen.


    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Sie, die Bundesregierung, hat nämlich darauf zu achten, daß die Handlungsfähigkeit und die Seriosität derer, die für diesen Staat in der Welt agieren, nicht zerstört werden.
    Im übrigen müßten alle wissen, daß allein die vereinbarten Verträge und Texte ausschlaggebend sind. Über sie und sie allein wird zu entscheiden sein. In dieser Auffassung treffe ich mich mit Herrn Dr. Barzel. Die fälschlich so genannten Protokolle sind zu einem innenpolitischen Instrument gemacht worden, schäbig im Stil und ohne Rücksicht auf das Staatsinteresse.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Dies und die darauf erwachsene zugespitzte Kontroverse kann ich nur bedauern, zumal wir zu gleicher Zeit ehrlich bemüht waren, den drei Punkten nachzugehen, von denen Herr Barzel Ende Februar in der ersten Lesung erklärt hatte, sie seien aus seiner und seiner politischen Freunde Sicht entscheidend für die Annahmefähigkeit der Verträge. Darüber wird demnächst weiter zu sprechen sein.
    Aber schon heute muß jeder wissen, was auf dem Spiel steht. Dazu braucht man keine vertraulichen Depeschen zu kennen. Dazu braucht man nicht einmal ausländische Zeitungen zu lesen, obgleich auch das nicht schadet. Es geht darum — und dies sage ich Ihnen, meine Damen und Herren, als einer, der sich in der Welt auskennt und von dem man in der Welt weiß, daß er die deutschen Interessen vernünftig einzuordnen versteht —,

    (Beifall bei den Regierungsparteien)

    ob das Bemühen um den Abbau von Spannungen an uns vorbeigeht oder ob wir in diesen Prozeß sinnvoll einbezogen sind.

    (Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Es geht darum, ob sich unser Verhältnis zur Sowjetunion, zu Polen und den anderen osteuropäischen Staaten verbessert oder erneut verschlechtert. Es geht darum, ob wir an der mit unseren atlantischen und westeuropäischen Partnern gemeinsam ent-



    Bundeskanzler Brandt
    wickelten Politik festhalten, ob das Berlin-Abkommen in Kraft treten kann und ob auf diesen Hintergrund durch Vereinbarungen mit der DDR Erleichterungen für die Menschen in Deutschland erreicht oder verspielt werden; hierum geht es, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Sachlichkeit und kühles Abwägen sind wie in der Außenpolitik vor allem auch dann angebracht, wenn es um die Finanzen des Staates geht. Die Zahlen des Haushalts 1972, wie sie jetzt vorliegen, rechtfertigen nicht die phantastischen Behauptungen, die schon im Vorfeld dieser Debatte seit Wochen zu vernehmen waren.

    (Abg. Dr. Althammer: Siehe Bundesbank!)

    Der Bundeswirtschafts- und -finanzminister wird noch im einzelnen die Unhaltbarkeit des Krisengeredes nachweisen.
    Lassen Sie mich zwei Feststellungen treffen: 1. Dieser Haushalt schafft die Voraussetzungen dafür, daß die Bundesregierung ihre Reformpolitik zielstrebig fortsetzen kann. 2. Dieser Haushalt ist auch konjunkturpolitisch durchaus zu verantworten; und dies werde ich begründen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Zur ersten der beiden eben getroffenen Feststellungen will ich hier noch ergänzen: Die Bundesregierung steht unmittelbar vor dem Abschluß einer Verständigung mit den Vertretern der Koalitionsfraktionen darüber, wie nach der Verabschiedung des Haushalts 1972 — das muß natürlich der nächste Schritt sein — eindeutig klargelegt werden kann, was unter den Gesichtspunkten der finanziellen Belastung künftiger Haushalte und der arbeitsmäßigen Belastbarkeit des Parlaments in dieser Legislaturperiode noch zu leisten sein wird.
    Einige Kritiker haben geltend gemacht, der Anteil der Personalkosten am Haushalt sei zu hoch und der Teil des Haushalts, der mittelbar oder unmittelbar den Investitionen und damit der Zukunftssicherung dient, sei zu gering. Hier liegt — wer wollte das leugnen, meine Damen und Herren — in der Tat ein ernsthaftes Problem. Zur Polemik besteht hier aber kaum ein Anlaß. Die Opposition hat sich nach meiner Erinnerung nicht für geringere Personalkosten ausgesprochen, sondern sie hat bei verschiedenen Gelegenheiten zumal außerhalb des Hauses — noch mehr Mittel für die Besoldung gefordert oder zugesagt. Also täte sie gut daran, dies auch bei einer Gesamtwürdigung der öffentlichen Ausgaben zu bedenken.
    Jedenfalls kann ich feststellen: Trotz der Belastung des Etats durch die steigenden Betriebs- und Personalkosten ist es uns gelungen, die investiven Ausgaben im Jahre 1972 überproportional, nämlich um 15 % gegenüber dem Vorjahr zu erhöhen.

    (Zuruf von der CDU/CSU.)

    Über „Finanzmisere" und „Finanzkrise" hat Herr Strauß auch bei der dritten Lesung des Haushalts 1971 gesprochen, und zwar von dieser Stelle aus. Inzwischen, Herr Kollege Strauß und meine ver-
    ehrten Damen und Herren, konnten alle mitverfolgen, wie sich diese damals angeblich drohende Finanzkrise tatsächlich abgespielt hat.

    (Sehr richtig! und Jawohl! bei der CDU/ CSU.)

    Erstens: Die am Anfang des letzten Jahres geplante Nettoneuverschuldung von 3,7 Milliarden DM wurde im Laufe des Jahres auf eine Milliarde herabgesetzt. Zweitens: Ferner hat der Bund den Betrag von einer weiteren Milliarde der Konjunkturausgleichsrücklage zugeführt. Drittens haben wir außerdem Minderausgaben von insgesamt einer Milliarde DM erwirtschaftet. Das ist aus der Finanzkrise geworden.

    (Abg. Stücklen: Darum geht es der Post und der Bahn so gut!)

    Ich habe keinen Zweifel — und es ist die Absicht der Bundesregierung , daß Beträge in dieser oder vielleicht sogar in einer darüber hinausgehenden Größenordnung bei einem Etat von über 100 Milliarden auch in diesem Jahr eingespart werden können. Wir werden den Haushalt auch in diesem Jahr restriktiv fahren.
    Meine Damen und Herren, wenn so, wie ich es eben am Beispiel des Jahres 1971 und durch den Vergleich mit der Schwarzmalerei bei der dritten Lesung dargelegt habe, eine Finanzkrise aussieht, dann kann ich mir nicht nur Schlimmeres als dies vorstellen, sondern dann frage ich mich: Wo leben wir eigentlich, und wohin soll eigentlich die Inflation der Worte und Begriffe führen, auf die sich die Opposition spezialisiert hat?

    (Beifall bei ,den Regierungsparteien.)

    Die Opposition übt besondere Kritik an der Nettoneuverschuldung des Bundes,

    (Abg. Dr. Althammer: Inflation!)

    die in der Tat wesentlich höher als in den Vorjahren ist. Ich lasse einmal außer Betracht, daß wir bisher immer im Laufe des Jahres festgestellt haben, daß die zunächst in Aussicht genommene Verschuldung beträchtlich reduziert werden konnte. Ich habe es soeben am Beispiel 1971 deutlich gemacht. Selbst wenn das in diesem Jahr nicht möglich sein sollte — was ich angesichts der günstigen Entwicklung des Steueraufkommens bezweifle —, ist diese Höhe der Kreditaufnahme noch immer als gesamtwirtschaftlich und finanzpolitisch durchaus vertretbar zu betrachten, ohne daß dies als Präjudiz für folgende Jahre zu verstehen ist.
    Machen wir uns doch bitte einmal die Relationen klar: Der Bund leistet in diesem Jahr 1972 investive Ausgaben in Höhe von über 28 Milliarden DM. Unser Haushalt sieht also in diesem einen Jahr 1972 vor, daß gerade ein Viertel davon durch Kredite finanziert wird. In jedem Privatunternehmen, wenn man diesen Vergleich einmal für einen Augenblick heranziehen darf, würde eine solche Finanzierung als konservativ und vorsichtig betrachtet werden. Ich sage damit nicht — im Grunde wiederhole ich jetzt, was ich schon gesagt habe —, daß es nicht wünschenswert wäre, mit einer geringeren Kreditaufnahme durchzukommen.



    Bundeskanzler Brandt
    Meine Damen und Herren, die Ursache für die höhere Kreditaufnahme in diesem Jahre ist ja im übrigen nicht zuletzt darin zu suchen, daß der Bund zugunsten von Ländern und Gemeinden auf einen Teil der Mehrwertsteuereinnahmen verzichtet und zusätzlich noch Ergänzungszuweisungen von über einer halben Milliarde DM an die Länder leistet.
    Ich muß hier jetzt auch nach manchem, was
    draußen im Lande in den letzten Wochen dazu diskutiert worden ist — doch einmal folgendes sagen. Ich erinnere mich sehr gut an die harten Verhandlungen mit den Ministerpräsidenten der Länder. Es waren nicht zuletzt Länderchefs aus ,den Reihen der Unionsparteien, die uns, im Palais Schaumburg und anderswo, immer wieder erklärten, der Bund solle auf Umsatzsteueranteile verzichten. Wenn wir dann sagten: Aber wie sollen wir das decken?, lautete die Antwort dieser Kollegen, die doch wohl nicht nur aus ihrer Landes-, sondern auch aus ihrem Teil der Bundesverantwortung heraus sprachen: Dann soll der Bund sich eben etwas mehr verschulden. Es gibt ja sogar einen entsprechenden Beschluß ,des Bundesrates — nicht etwa nur jene Gespräche beim Bundeskanzler. Ich fände es ganz einfach fair, wenn die Kollegen Stoltenberg, Kohl und Filbinger sich auch jetzt zu dieser Haltung ,und zu diesem Beschluß bekennen würden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren, ich weiß, die Gemeinden haben es vielfach nicht leicht. Die Finanzierung der großen Kommunalinvestitionen wird allen Beteiligten in den nächsten Jahren noch erhebliche Sorgen bereiten. Aber ich kann doch auch darauf hinweisen, daß wir im Rahmen dieses Haushalts fast eine Milliarde DM pro Jahr aus der Erhöhung der Mineralölsteuer zusätzlich für den Ausbau der Verkehrseinrichtungen der Gemeinden zur Verfügung stellen.
    Ein zusätzliches Wort zur finanziellen Lage des Bundes. Wenn man die Gesamtverschuldung des Bundes zu den Ausgaben in Beziehung setzt, ergibt sich für das Jahr 1969 unter einem zugegebenermaßen tüchtigen Finanzminister — bei allem, worüber wir sonst streiten ein Satz von 63,6%. Ende 1972 wird sich dagegen eine Verschuldungsquote von 57 % ergeben. Dies ist also nicht mehr, sondern weniger als zu der Zeit, in der Kollege Strauß Finanzminister war.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Ist das die Zerrüttung gesunder Staatsfinanzen, von der CSU und CDU am Montagabend in ihrer gemeinsamen Verlautbarung sprachen? Ich sage Ihnen: Es gibt kaum ein Land der westlichen Welt — und die Fachleute unter Ihnen wissen es, weil sie die Ziffern kennen —, in dem die Finanzierungsverhältnisse des Staates in dieser Hinsicht so günstig sind. So sieht es aus.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die Kreditaufnahme der Gebietskörperschaften wird sich im Rahmen der gesamtwirtschaftlichen Möglichkeiten und Erfordernisse zu halten haben. Der Konjunkturrat für die öffentliche Hand wird
    darüber nächste Woche erneut beraten. Dabei wird sorgfältig zu prüfen sein, ob die Anwendung des § 19 des Stabilitätsgesetzes angezeigt ist, der bekanntlich eine Begrenzung der Schuldenaufnahme vorsieht.
    Meiner Überzeugung nach ist es unverantwortlich und nichts als billige Polemik, wenn die Opposition landauf, landab, gerade auch unter Hinweis auf die Kreditfinanzierung des Bundes, die Inflationsangst schürt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Tatsächlich ist der Kapitalmarkt in der Bundesrepublik dank der regen Spartätigkeit der Bevölkerung außerordentlich ergiebig. Es gibt vom Grundsatz her kein vernünftiges Argument, warum nicht auch die öffentliche Hand diese Finanzierungsquelle nutzen sollte. Genausowenig wie ein privater Bauherr sein Eigenheim aus seinem laufenden Einkommen bezahlt, ist es notwendig, daß der Staat seine langfristigen Investitionen allein aus den laufenden Steuereinnahmen finanziert.
    Eine normale und sogar erwünschte Kreditfinanzierung in Verbindung zu bringen mit der inflationären Verschuldung in Kriegszeiten, das nenne ich eine Vergiftung des Meinungsstreits.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich nenne es auch eine unerlaubte Erschütterung des Vertrauens in die Kreditwürdigkeit des Staates.
    Ich hatte gesagt, der Bundeshaushalt 1972 sei auch konjunkturpolitisch zu verantworten. Wir gehen davon aus, daß Steigerungsrate und Finanzierung des Haushalts geeignet sind, zumal mit den Maßnahmen, die ich in bezug auf die Abwicklung des Haushalts angedeutet habe, die Konjunkturentwicklung in der Bundesrepublik weiter zu stabilisieren. Allerdings sind wir der Auffassung, daß es nach dem derzeitigen Erkenntnisstand nicht erforderlich sein wird, den. Eventualhaushalt durchzuführen. Es kann keine Rede davon sein, daß diese Politik die Konjunktur ungebührlich anheizt. Allerdings wundere ich mich, wenn von der Opposition solche Befürchtungen geäußert werden.
    Wir erinnern uns noch gut an die erste Lesung nicht irgendeines Haushalts, an die erste Lesung dies es Haushalts, der jetzt in zweiter Beratung ist, als Herr Strauß uns den Absturz in die Rezession prophezeite.

    (Abg. Dr. Apel: Sehr richtig!)

    Auch diese Prophezeiung hat sich nicht erfüllt, und es ist gut, daß Sie auch hier wieder einmal unrecht bekommen haben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf des Abg. Strauß.)

    Die vielkritisierte Wirtschaftspolitik der Bundesregierung hat mit dafür gesorgt, daß uns eine Rezession erspart geblieben ist, daß die Arbeitsplätze im ganzen sicher geblieben sind. Dies ist übrigens nicht der einzige Orientierungspunkt. Ich habe
    anders, als man es mir wiederholt unterstellte — nie nur diesen einen Punkt im Auge gehabt. Aber es ist eben doch von ganz entscheidender Bedeutung, daß wir Arbeitslosigkeit vermeiden konnten



    Bundeskanzler Brandt
    und können. Die Menschen draußen wissen auch, was es bedeutet, daß wir, anders als in England und Amerika z. B., keine Arbeitslosigkeit haben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich weiß nicht — und da beziehe ich mich jetzt noch einmal auf die gemeinsame Erklärung von CSU und CDU von vorgestern abend —, was das Gerede soll, die soziale Marktwirtschaft sei in Gefahr geraten. In Wirklichkeit funktioniert die Marktwirtschaft, und ihre soziale Ergänzung und Untermauerung wird solider. Und das sollte doch im Interesse aller liegen!

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP.)

    Jedenfalls ist dies kein Grund, in Weltuntergangsstimmung zu machen. Wir bauen in unserer Wirtschaftspolitik auf die Kräfte des Marktes; und dabei soll es bleiben. Aber wir leben in unserer Vorstellung wirtschaftspolitisch nicht in einem Nachtwächterstaat. Unternehmer und Arbeitnehmer können sich, was an uns liegt, darauf verlassen, daß meine Regierung im Rahmen ihrer Möglichkeiten weiterhin tun wird, was die wirtschaftspolitische Lage erfordert.
    Dies haben wir im letzten Jahr auch durch unseren Beitrag zur Lösung der internationalen Währungskrise bewiesen. Und das war, bitte schön, keine Kleinigkeit.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die Erfahrung sollte gezeigt haben, daß es unklug und schädlich ist, meine Damen und Herren, internationale Währungsprobleme zum Gegenstand unnötiger nationaler Polemik zu machen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die krisenhaften Entwicklungen im internationalen Währungssystem haben uns doch erneut vor Augen geführt, wie eng die Bundesrepublik in die Weltwirtschaft verflochten ist, und sie haben gezeigt, wie schwer es ist, sich vom internationalen Preissteigerungstrend abzuhängen. Ich sage das nicht, um die Faktoren zu verkleinern, die wir selbst beeinflussen können. Aber ich muß doch auch darauf hinweisen, daß man nicht zu gleicher Zeit „mehr Europa" fordern und dabei erwarten darf, wir könnten uns dann preispolitisch autonom entwickeln. Da lügt man sich doch in die Tasche!

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die Preissteigerungen liegen in England, in den Niederlanden, in Skandinavien, in Italien, ja selbst in der stabilitätsbewußten Schweiz höher als bei uns. Um so wichtiger ist es, daß wir gemeinsam mit unseren westeuropäischen Partnern vorankommen, um aus der EWG eine Stabilitätsgemeinschaft werden zu lassen. Aber der Weg dahin — das wissen die meisten bei Ihnen so gut wie ich — wird mühevoll sein, und das Ziel läßt sich eben nicht von heute auf morgen erreichen. Wer ein Patentrezept dafür hat, der möge es hier vorführen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich sage: es gibt kein Patentrezept und keine völlig isolierte Lösung. Im übrigen greife ich das Wort eines ruhigen ausländischen Beobachters einer Versammlung in Baden-Württemberg auf. Er hörte dort Herrn Kollegen Barzel sagen, die Bundesrepublik sei in Europa das Land mit der stärksten Inflation. Und der Kommentar dieses nüchternen ausländischen Beobachters war: Der Mann sagt doch hier einfach nicht die Wahrheit.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren, trotz allen Krisengeredes hat sich gezeigt: unsere wirtschaftliche und unsere gesellschaftliche Ordnung ist stabil. Natürlich gibt es auch für uns Konflikte, mitunter sogar ernste Konflikte. Aber sie können innerhalb unserer freiheitlich-demokratischen Ordnung ausgetragen werden. Sie gefährden nicht deren Bestand.
    Ich denke dabei besonders an das System der Tarifautonomie bei uns in der Bundesrepublik. Wir sind damit eben besser gefahren als andere Länder, die die Tarifauseinandersetzungen durch Lohn- und Preisstopps reglementieren wollten. Die gesellschaftlichen Gruppen in unserem Lande waren bisher durchweg bereit, neben ihren Interessen auch das Gesamtwohl zu berücksichtigen. Wieviel wir besser daran sind, das wird jedem klar, der in diesen Wochen etwa die Entwicklungen in Italien oder in Großbritannien verfolgt.
    Wer nun aber die verantwortungsbewußte Haltung unserer Gewerkschaften würdigt, der sollte sich dabei dann auch zugleich darüber im klaren sein, daß es die mühevolle Politik der inneren Reformen ist, die dafür wichtige Voraussetzungen und die dafür das geeignete Klima schafft, meine Damen und Herren,

    (Beifall bei den Regierungsparteien)

    z. B. durch die Reform des Betriebsverfassungsgesetzes. Dies ist ein Gesetz — lassen Sie es mich ganz unpathetisch sagen —, das dem inneren Frieden dient. In der Opposition freilich, die von diesem Frieden soviel redet, fand sich nur eine kleine Minderheit, die diesem Gesetz zustimmte.

    (Abg. Katzer: So viele wie FDP-Abgeordnete!)

    Natürlich kann nur eine leistungsfähige Wirtschaft die Grundlage für die Politik der Reformen sein. Motor des wirtschaftlichen Fortschritts in einer Marktwirtschaft ist der Wettbewerb. Eines der wichtigsten Vorhaben, die diese Bundesregierung sich vorgenommen hat, ist es daher, den Wettbewerb zu stärken, z. B. durch eine Novellierung des Kartellgesetzes. Ich appelliere von hier aus an alle diejenigen, die sonst sehr leicht dabei sind, Befürchtungen um den Bestand der Wirtschaftsordnung zu äußern: unterstützen Sie uns bitte bei der Kartellrechtsnovelle!

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Unterstützen Sie uns bei der Kartellrechtsnovelle, damit der Wettbewerb in diesem Lande gestärkt wird!



    Bundeskanzler Brandt
    Alle möglichen Befürchtungen sind wegen der Steuerreform geäußert worden. Ich muß zunächst denen widersprechen, die — völlig zu Unrecht — vom Scheitern dieses großen Vorhabens sprechen; denn an der Steuerreform wird zügig weitergearbeitet. Das zweite Paket, das bekanntlich die einheitswertabhängigen Steuern umfaßt, ist auf dem Weg vom Bundesrat zum Bundestag. Nach den Sommerferien wird die Regierung, wie angekündigt, den gesetzgebenden Körperschaften das dritte Paket zuleiten. Dann werden wir sehen, miteinander sehen, wieviel von den drei Paketen noch in dieser Legislaturperiode beraten und entschieden werden kann. An der Verzahnung des zweiten und des dritten Pakets der Steuerreform werden wir, was die Regierung angeht, festhalten.
    Die CDU/CSU hatte bekanntlich seit 1949 die große Steuerreform auf ihre Fahnen geschrieben. 1957 hieß es in der Regierungserklärung — ich darf zitieren; 1957! —:
    Zu den großen laufenden Arbeiten des Finanzministeriums tritt diesmal noch eine echte Steuer- und Finanzreform hinzu.
    Nun, meine Damen und Herren von den Unionsparteien, was immer Sie sonst einzuwenden haben mögen, wir haben uns nicht mit der Ankündigung begnügt, sondern wir haben dafür gesorgt, daß die Vorlagen auf den Tisch kommen, damit über sie beraten und entschieden werden kann.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die Steuerreform soll und wird nach der Überzeugung und nach dem Willen meiner Regierung die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft nicht überfordern. Allerdings hat es keinen Sinn, nicht sehen zu wollen und nicht auch in aller Offenheit darüber zu sprechen, daß neben der individuellen die gemeinschaftliche Komponente des Lebensstandards immer stärkere Bedeutung erlangt. In Wirklichkeit ist dies ja wohl auch nicht die eigentliche Streitfrage zwischen Koalition und Unionsparteien. Jedenfalls ist, wenn ich es recht verstehe, mittlerweile das Prinzip nicht mehr umstritten, wenn auch um die konkrete Ausformung weiterhin gestritten und gerungen werden wird. Wenn in der modernen Gesellschaft immer mehr Aufgaben auf den Staat zukommen, dann wird der Staat auch die Mittel bekommen müssen, die er im Interesse der Bürger braucht, die im Interesse einer besseren Qualität der Lebensumstände erforderlich sind. Wenn wir eine wirklich befriedete und zugleich leistungsfähige Gesellschaft wollen, eine Gesellschaft vor dem Hintergrund sozialer Gerechtigkeit und der Chancengleichheit, die das Leistungsstreben nicht abtötet, sondern fördert, dann dürfen die öffentlichen Aufgaben, dann darf die gemeinschaftliche Komponente des Lebensstandards nicht zu kurz kommen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Gewiß muß sich die Reformpolitik an den realen Möglichkeiten der Wirtschaft orientieren. Aber es gibt auch den umgekehrten Zusammenhang: eine ausgewogene Reformpolitik schwächt nicht, sondern festigt die Grundlagen der Wirtschaft. Reformpolitik und wirtschaftlicher Fortschritt bedingen sich gegenseitig. Dies kann ernsthaft nicht in Frage gestellt werden. Wer will wirklich bestreiten, daß wir in den letzten zweieinhalb Jahren trotz einer schwachen Mehrheit und bei einer oft wenig hilfreichen Opposition eine Reihe wichtiger Reformvorhaben angepackt und auf den Weg gebracht haben? Wer will das ernsthaft bestreiten?

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    Wenn die Opposition meint, hier am heutigen Tage eine negative Generalabrechnung veranstalten zu können, dann kann ich diesem Hohen Hause und der deutschen Öffentlichkeit, die uns zuhört, nicht ersparen, an Hand einiger Beispiele darzulegen, womit wir es innenpolitisch wirklich zu tun haben.
    Mein erstes Beispiel ist der Umweltschutz. Hier glaubt doch niemand, wo immer er im Hause sitzt, dies habe sich erst seit dem Herbst 1969 als ein zentrales Problem des Sozialstaates herausgestellt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Nein, man hatte diese Aufgabe zu lange liegen lassen. Wir haben eine umfassende Umweltpolitik entwickelt.

    (Unruhe bei der CDU/CSU.)

    Die Opposition — das erkenne ich auch jetzt gern an — hat bei den Grundgesetzänderungen mitgeholfen; sonst hätten wir sie ja nicht durchführen können. Aber den Zug, in den andere mit eingestiegen sind, den haben wir zum Fahren gebracht, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Stücklen: Sie sind doch nur auf den Zug aufgestiegen!)

    Ein anderes Beispiel. Seit 1961 war in allen Regierungserklärungen ein Städtebauförderungsgesetz angekündigt worden. Haben wir es zustande gebracht oder nicht?
    Und gleich eine weitere Frage: Hat die Opposition für die Verbesserung des Mietrechts gestimmt, oder hat sie dagegen gestimmt?

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    Sie hat dagegen gestimmt, obwohl der damalige Bundeskanzler schon in der Regierungserklärung 1957 ein sozialeres Mietrecht in Aussicht gestellt hatte.
    Oder nehmen wir das Gebiet, dem wir in unserem Regierungsprogramm vom Herbst 1969 eine ganz besondere Bedeutung beigemessen hatten. Trotz allen Geredes über ein Scheitern der Bildungsreform wird heute bereits von den objektiven Beobachtern eingeräumt, daß die Bildungspolitik in den letzten beiden Jahren wesentliche Fortschritte gemacht hat.

    (Abg. Dr. Althammer: Wo?)

    Auf den Gesamtstaat bezogen sind die Mittel für Bildung und Wissenschaft seit 1969 kräftig angestiegen. Der von der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung vorgelegte Zwischenbericht ist nicht



    Bundeskanzler Brandt
    nur von uns in der Bundesregierung, sondern auch von den Regierungschefs der Länder, unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit, als eine geeignete Arbeitsgrundlage anerkannt worden. Reichlich spät, aber doch rascher, als es die Pessimisten wahrhaben wollten, werden wir mehr Chancengleichheit für die jungen Menschen aus allen Schichten unseres Volkes erreichen, und das wird ein weiterer Beitrag zum ruhigen Wachstum unserer Wirtschaft und zur langfristigen inneren Sicherung unserer Gesellschaft sein.
    Meine Damen und Herren, ich weiß genau, an einer Reihe unserer Hochschulen sind die Zustände weiterhin unerfreulich.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Terror!)

    Andererseits hat es dazu Verallgemeinerungen gegeben, mit denen niemandem gedient ist. Nachdem die alte Universität nicht früh genug die Kraft zur Erneuerung aufgebracht hatte, war halt manches durcheinandergeraten. Obwohl wir vom Bund her nur eine begrenzte Zuständigkeit haben, will ich keinen Zweifel daran lassen, daß die große Mehrheit unserer Bevölkerung natürlich kein Verständnis dafür hätte, wenn die steigenden Mittel für die Hochschulen nicht rationell verwendet würden.

    (Beifall bei der SPD.)

    Die Gesellschaft, die das Geld aufbringt, kann auch erwarten, daß dafür sachlich und fachlich gearbeitet wird.

    (Beifall bei den Regierungsparteien und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

    Dazu gehört auch unsere Ermutigung für Hochschullehrer und Studenten,

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    ihre Reformen nicht zerfasern und sich von kleinen revoluzzernden Minderheiten nicht in eine falsche Ecke stellen zu lassen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Im übrigen sollte auch hier keiner glauben, er habe es mit Erscheinungen und Entwicklungen zu tun, die auf unser Land begrenzt sind. Ich wage hinzuzufügen: wer nicht aufgeschlossen, sondern wer borniert oder gar reaktionär an diese Probleme herangehen wollte, der würde kläglich scheitern.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Besonders deutlich ist die Zwischenbilanz dieser Regierung und der sie tragenden Koalition, wo es sich um den Ausbau der sozialen Sicherheit handelt: von der Dynamisierung der Kriegsopferrenten über die Abschaffung des Krankenversicherungsbeitrags der Rentner über die Reform der Krankenversicherung, nicht zuletzt zugunsten der Angestellten, über das 624-DM-Gesetz, über die Unfallversicherung für Schüler und Studenten bis zur Rentenreform einschließlich der flexiblen Altersgrenze. Dies ist ein stattliches Programm für knapp drei Jahre, um die es sich dabei handeln wird.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich weiß wie Sie, Herr Kollege Katzer, daß die Rentner die Preisentwicklung besonders hart spüren. Gleichwohl haben wir aus Gründen, die wiederholt dargelegt wurden, einer strukturellen Reform der Rentenversicherung den Vorzug gegeben. Im übrigen werden die Renten in diesem und in den beiden folgenden Jahren um insgesamt rund ein Drittel erhöht. Das sollte die Opposition bitte auch sagen,

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    anstatt die Lage aus Propagandagründen schwärzer zu malen, als sie ist.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Katzer: Unerhört!)

    Zum inneren Frieden gehört nicht zuletzt jene Sicherheit des Bürgers, die man ganz simpel als Schutz vor Verbrechen und Gewalt definieren kann. Gerade hier hätte die Opposition auf polemische Extratouren verzichten und mit der Regierung konstruktiv zusammenarbeiten sollen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich kann mir nichts anderes vorstellen, als daß wir alle für Ruhe und Ordnung sind. Aber zur Definition des inneren Friedens reicht diese Formel nicht aus. Mit Ressentiments und Affekten ist jenen ernsten Problemen nicht beizukommen, mit denen wir es bei uns in der Bundesrepublik wie in allen Staaten vergleichbarer Zivilisation zu tun haben. Weder Verniedlichung noch Dramatisierung helfen weiter. Was wir brauchen, ist ruhige Entschlossenheit, sachliche Härte, wohldurchdachtes Handeln. Was wir nicht brauchen können, ist Panikmache oder das Zusammenrühren ganz unterschiedlicher Tatbestände in einer Art von Kriseneintopf. Die Opposition kann doch selbst nicht glauben, daß vernünftige Ergebnisse erzielt würden, wenn wir uns dazu verleiten ließen, Gewaltverbrechen und Jugendkriminalität, Ausländerdelikte, Rauschgifthandel und die besonders stark zunehmende Wirtschaftskriminalität zusammenzurühren mit politischem Radikalismus, Studentenunruhen, sozialen Spannungen und vermeintlicher eingebildeter Gefährdung des privaten Eigentums. Solche Konfusion kann nicht zu sinnvollem Handeln führen.
    Von der gemeinsamen Sicherheitskonzeption, die die Innenminister in Bund und Ländern unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit fertigzustellen im Begriff sind, von diesem gemeinsamen Sicherheitskonzept der Innenminister von SPD und FDP und CDU und CSU — da sind nämlich alle vier Parteien dabei — halte ich sehr viel mehr als von den unsachlichen Reden, die ich aus den führenden Reihen der Union in diesem Hause, wenn auch mehr außerhalb des Hauses, höre.
    Bei der Bekämpfung der Kriminalität stehen die Industriegesellschaften des Westens, zunehmend auch die des Ostens vor ähnlichen Problemen. Wir müssen der Polizei zeigen, daß wir sie in ihrem häufig schweren Beruf nicht allein lassen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)




    Bundeskanzler Brandt
    Alle in unserem Volk, die mit der Erziehung zu tun haben, müssen wir an ihre Pflicht erinnern, die ihnen der Staat nicht abnehmen kann.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    Und die Massenmedien müssen wir darauf hinweisen, daß auch sie viel Verantwortung tragen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

    Wir selbst schließlich müssen das Mögliche tun, statt über das Unmögliche uns zu entzweien.

    (Erneuter Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP.)

    Diese Bundesregierung denkt nicht daran, Kriminalität zu verharmlosen. Wie kämen wir denn dazu? Wir nehmen jene Aufgaben sehr ernst, ,die sich aus der Vorsorge für die Sicherheit des Bürgers ergeben. Was wir übrigens in 2 1/2 Jahren auf diesem Gebietgeleistet haben, kann jeden vernünftigen Vergleich aushalten. Ich erinnere jetzt nur an den Ausbau des Bundeskriminalamtes zu einer wirklich wirksamen Behörde.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ein aufmerksamer Journalist hat im vorigen Monat geschrieben, wir hätten das Thema „Verbrechensbekämpfung" — wie er wörtlich sagte — endlich vom Kopf auf ,die Füße gestellt, und zwar durch das Schwerpunktprogramm unseres Innenministers und durch die Vorschläge unseres Justizministers zur Beschleunigung des Strafverfahrens.

    (Zuruf von 'der CDU/CSU.)

    Wir haben Ernst gemacht mit 'der Erkenntnis, daß die Strafandrohung weniger abschreckend wirkt als die erfolgreiche Fahndung und die rasche Aburteilung.

    (Beifall bei 'den Regierungsparteien.)

    Erfahrungen auch aus anderen Ländern sprechen 'dafür, daß die innere Sicherheit auch durch eine Reform 'des Strafvollzugs gestärkt werden kann.
    Was politische oder politisch camouflierte Straftaten und was den politischen Radikalismus im allgemeinen angeht, so muß ich zunächst der immer wiederkehrenden Behauptung widersprechen, als ob sich die Zustände während der Amtszeit 'dieser Bundesregierung verschlechtert hätten. Das Gegenteil ist nämlich der Fall. Die großen Studentenunruhen waren 1968, nicht 1970 oder 1971.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.) Gewalttätigkeit bei Demonstrationen


    (Zuruf von der CDU/CSU: Gibt es heute noch!)

    haben alles in allem in den letzten beiden Jahren eher abgenommen.

    (Abg. Stücklen: Fragen Sie einmal in München, was zur Zeit los ist!)

    Radikale Parteien haben existiert, und die Rechtsradikalen rückten munter in die Landtage, als das
    Bundesinnenministerium noch fest in der Hand der CDU war.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    Wir wollten und wir wollen nicht, daß sich diese Bundesrepublik als ein schwacher Staat erweist.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Schwache Regierung! — Weitere Zurufe aus der Mitte.)

    Aber wir lassen uns nicht einreden, daß eine akute Bedrohung unserer demokratischen Ordnung gegeben sei; denn das ist nicht der Fall.

    (Beifall bei der SPD.)

    Politische Gewalttaten und erklärte oder erwiesene Feinde der Demokratie können allerdings auch dann nicht mit unserer Duldsamkeit rechnen, wenn sie nicht viel hinter sich haben. Gemeinsam mit den Ländern haben wir festgestellt, daß eine Unterwanderung des öffentlichen Dienstes durch Gegner der im Grundgesetz verankerten demokratischen Ordnung nicht zugelassen wird. Mit einer Hexenjagd oder mit Gesinnungsschnüffelei soll und darf dies nichts zu tun haben!

    (Beifall bei der SPD.)

    Deshalb müssen die einzelnen Fälle nach den rechtsstaatlichen, verfassungsmäßigen Kriterien geprüft werden.
    Was ich für besonders bedauerlich, nein, verwerflich halte, meine Damen und Herren, ist der in den letzten Monaten planmäßig unternommene Versuch, die Außenpolitik dieser Bundesregierung mit politischem Radikalismus oder gar mit sonstiger Kriminalität in Zusammenhang zu bringen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Das ist Stimmungsmache, nein, das ist Brunnenvergiftung!

    (Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Im übrigen, die Auseinandersetzung mit der Kommunistischen Partei bleibt von unseren Verträgen mit kommunistisch regierten Staaten völlig unberührt. Das gilt auch für solche Gruppen, denen der etablierte Kommunismus nicht links genug ist.
    Was meine eigene Partei angeht, so kann ich es nicht hinnehmen, daß einzelne Gliederungen, zumal die jungen Sozialdemokraten in ihrer Gesamtheit, ungerecht beurteilt oder gar verteufelt werden.

    (Beifall bei der SPD. — Zuruf des Abg. Stücklen sowie weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    Es ist auch überhaupt kein Beitrag zu einer sachlichen Erörterung, Städtenamen aneinanderzureihen, die einen ganz unterschiedlichen politischen Tatbestand ausdrücken. Aber ich sage im übrigen — nicht an Ihre Adresse, weil ich Ihnen in dieser Frage keine Rechenschaft schuldig bin —,

    (Beifall bei der SPD)

    was das Präsidium meiner Partei am Montag erklärt
    hat, daß wir nämlich nicht zulassen werden, daß die
    Aussagen des Godesberger Programms ins Zwie-



    Bundeskanzler Brandt
    licht geraten. Dieses Programm gilt; darauf kann man sich verlassen.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP.)

    Ich sage aber zugleich auch mit allem Nachdruck,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Hier ist doch kein Parteitag!)

    ein moderner Staat muß die Kraft und den Mut haben, sich auch mit sehr unbequemen Meinungen auseinanderzusetzen.

    (Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Das tun wir ja!)

    Nur so können bewährte Positionen erhärtet und überholte Positionen erneuert werden. Anders würden Staat und Gesellschaft erstarren und würden wir in dieser sich rasch wandelnden Welt nicht bestehen können.
    Was soll nun die demagogische Verwirrung, so möchte ich noch fragen, ,die Herr Kollege Barzel anstiftet,

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    wenn er in Verbindung mit den Ostverträgen ausruft, er und seine Freunde wollten nicht, daß Deutschland und Europa sozialistisch würden?

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren, daß die Unionsparteien nicht sozialistisch sind, daß ihnen auch das Element eines christlichen Sozialismus fremd geworden ist, ist ja nichts Neues.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    Was aber soll der Satz im übrigen bedeuten? Will Herr Kollege Barzel sagen, die große Strömung der Sozialdemokratie, des demokratischen Sozialismus, soll sich im Bereich der westeuropäischen Gemeinschaft nicht gleichberechtigt entfalten können? Will er sagen, in unserem Teil der Welt sollten die ihm sympathischen Parteigruppierungen eine privilegierte oder gar alleinherrschende Stellung erhalten? Das kann er doch nicht gemeint haben,

    (Zurufe von der SPD: Doch!)

    denn dies würde ja bedeuten, das europäische Einigungswerk zu spalten, nein, es zu zerstören.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der CDU/CSU: Wenn es sozialistisch ist?)

    Dieses europäische Einigungswerk wird nur Erfolg haben, wenn sich in ihm die großen Strömungen der europäischen Demokratie entwickeln und miteinander wetteifern können.
    Aber vielleicht hat der Kollege Barzel etwas ganz anderes sagen wollen. Vielleicht hat er unterstellen wollen ,daß ein besseres Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zu den Staaten im Osten diesen in die Lage versetzen würde, auf unsere politische Entwicklung einzuwirken oder sie sogar in die Hand zu bekommen. Dies nenne ich aus meiner Sicht und Verantwortung Schreckpropaganda. Als ob die
    Amerikaner Maoisten würden, weil Nixon nach Peking gereist ist!

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Und wenn es schließlich wieder einmal nur darauf hinausliefe, daß Herr Barzel den deutschen Sozialdemokraten und womöglich auch noch der FDP ein quasi-kommunistisches Etikett aufkleben wollte, so kann man nur fragen: Woher nehmen Sie, Herr Kollege Barzel, dann den Mut, bei gewissen Gelegenheiten wie erst gestern abend wieder noch salbungsvoll von Gemeinsamkeit zu reden?

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren, ich mußte hiervon in aller Offenheit und Deutlichkeit reden. Ich entschuldige mich dafür, daß ich die übliche Redezeit weit überschritten habe. Aber es hat doch keinen Sinn, nicht von dem zu reden, was die Zusammenarbeit und den inneren Frieden wirklich belastet.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Und so ist es ja nun auch nicht, daß hier über lange Zeit nur die eine Seite kommen und der anderen das Wort im Munde umdrehen kann.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    Hier muß über alles gesprochen werden können,
    aber unter klaren und ehrlichen Voraussetzungen.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    Im übrigen hat diese Bundesregierung nicht den Ehrgeiz -- kann ihn nicht haben —, eine Welt ohne Konflikte herbeizuführen. Wir versuchen beharrlich und beständig, den inneren und den äußeren Frieden sicherer zu machen. Dies ist keine Politik der bloßen Hoffnungen oder Gefühle, sondern der praktischen Vernunft. Es ist auch Sicherheitspolitik. Über manche Einzelheiten, über Maß und Tempo dieser Politik läßt sich diskutieren, aber im Grundsatz gibt es keine Alternative dazu.
    Und was die innere Sicherheit angeht, so ist eines gewiß: Panikmache ist jedenfalls kein Weg zum Frieden innerhalb unseres Volkes.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Was die äußere Sicherheit angeht, so weiß ich, daß die Opposition vor einer sehr schweren Entscheidung steht. Denn viele in ihren Reihen wissen: Wir — Regierung und Koalition — sagen über die eigenen Verteidigungsanstrengungen hinaus, die nicht vernachlässigt werden dürfen, Ja zum westlichen Bündnis auch dort, wo es um Möglichkeiten der Entspannung geht. Ihr Nein, die Klammer des Nein zu den Verträgen, wäre ein Nein zu einem wesentlichen Element der Sicherheit dieser Bundesrepublik.
    Meine Damen und Herren von den Unionsparteien, ich meine, daß Sie sich in Ihrer Argumentation verrannt haben, daß Sie in der Polemik den Bogen weit überspannt haben und daß Sie Ihre Absage an die Tugend der Geduld noch bereuen werden. Mich wird jedenfalls nichts davon abbrin-



    Bundeskanzler Brandt
    gen können, mit ganzer Kraft und mit der Hilfe meiner Freunde und der Koalitionsfraktionen, denen ich meinen aufrichtigen Dank sage, beharrlich weiterzuarbeiten für den Frieden im Innern und nach außen.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Zahlreiche Abgeordnete der SPD erheben sich zu ihrem Beifall.)



Rede von Liselotte Funcke
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat der Abgeordnete Barzel. Es ist eine verlängerte Redezeit beantragt, die der des Herrn Bundeskanzlers entspricht:

(Lachen und Zurufe von der SPD.)

100 Minuten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Rainer Barzel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und meine Herren! Das Wichtigste zuerst: Der Bundeskanzler hat — dies ist für jeden Kollegen dieses Hauses ein wichtiger Punkt — vom Wählerauftrag gesprochen. Das ist das Wichtigste für dieses Haus und für jeden Kollegen. Welchen Wählerauftrag hat jeder Kollege dieses Hauses? Er hat genau den Auftrag, den das Grundgesetz in seinem Art. 38 beschreibt: Seinem Gewissen zu folgen, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden zu sein. Dies ist der Wählerauftrag, Herr Bundeskanzler.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wenn Sie dies hier heute wie auch in Ihrer Fernsehansprache in die Debatte eingebracht haben, dann möchte ich zunächst antworten weil ich glaube, daß es eine Frage ist, die uns alle angeht —: Es ist gut, eine Stelle zu zitieren, die hier nicht direkt im Hause ist. Hierzu schreibt heute die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" :
    Der Kanzler hat in seiner Fernsehansprache gesagt, die Opposition mache mit diesem Schritt von ihrem verfassungsmäßigen Recht Gebrauch. Er fuhr dann fort, und dieser Satz wird in den nächsten Stunden vermutlich noch eine gewichtige Rolle spielen, die CDU setze dabei „offensichtlich auf Abgeordnete, die sich nicht an den Wählerauftrag gebunden fühlen". Das kann so nicht hingenommen werden. Wir kämen sonst zu einem völlig schiefen Verfassungsverständnis und in die gefährliche Nähe des imperativen Mandats.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich erinnere Sie, Herr Bundeskanzler, z. B. an die Rede, die einer der langjährigen sozialdemokratischen Berliner Bundestagsabgeordneten, mein jetziger Fraktionskollege Schulz, hier gehalten hat. Meine Damen und Herren, wer hat denn eigentlich heute eine andere Politik, als er sie den Wählern versprochen hat? Das ist doch Ihre Regierung, Herr Bundeskanzler!

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren, der Bundeskanzler hat dann einige Ausführungen im Zusammenhang mit der Wahl in Baden-Württemberg gemacht. Nun,
    Herr Bundeskanzler, wir sind gern bereit, durch objektive Rechenstellen feststellen zu lassen, wer nach dem Gang der Ereignisse aller letzten Landtagswahlen eine Chance hätte, hier eine Mehrheit zu bekommen. Ihre Ausführungen sind durch Fakten nicht belegbar, sie sind der Ausdruck von Wunschdenken.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Aber wenn Sie, Herr Bundeskanzler, glauben, die Baden-Württemberger Wahl hätte gar nichts mit dem zu tun, was hier im Hause geschieht, dann, meine Damen und Herren, darf ich doch daran erinnern — ich will das alles gar nicht mitbringen, weil, glaube ich, jedermann genügend Erinnerungsvermögen hat —, mit welchen Anzeigen Ihre Partei, Herr Bundeskanzler, in dem Wahlkampf dort und in der ganzen Bundesrepublik Deutschland in einem Landtagswahlkampf mit Bundessteuergeldern gearbeitet hat,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    und dies doch seit so langer Zeit, daß wir schon im Februar, als wir hier die dreitägige Debatte über die Ostverträge hatten, Anlaß hatten, solche Wahlanzeigen zurückzuweisen, weil sie den Eindruck erweckten, hier sei der eine mehr für den Frieden oder der andere vielleicht gar nicht. Wir haben dies damals zurückgewiesen, und ich glaube, dies ist in Erinnerung.
    Herr Bundeskanzler, wenn Sie zu der Frage der NPD in Ihrer Rede hier dreimal etwas gesagt haben, so sind wir gern bereit, alle Unterlagen

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

    aller objektiven Instanzen vorzulegen, und vielleicht nehmen sie einmal Ihre Unterlagen von Infas zur Hand,

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU)

    um festzustellen, woher die Protestwähler gekommen und wohin Sie wieder gegangen sind und daß die NPD-Leute völlig kollabiert waren in Baden-Württemberg.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Vielleicht haben Sie dann in dieser Stunde auch die Fairneß, sich zu erinnern, daß anläßlich der Eröffnung dieses Wahlkampfes, von dem Sie sprachen, der Vorsitzende der Union in aller Form erklärte: Die NPD bleibt unser parteipolitischer Gegner. Das war die Aussage von uns, und ich rufe viele Kollegen in diesem Saal zu Zeugen für diese Tag auf Tag wiederholte Erklärung.
    Meine Damen und Herren, ich verzichte darauf, hier die auf der Hand liegende Retourkutsche zu fahren und all das vorzutragen, was in den letzten Tagen, was in diesen Stunden, da wir hier tagen, von seiten der Deutschen Kommunistischen Partei draußen im Land angezettelt wird. Ich untersuche nicht, wo diese Stimmen geblieben sind; denn auch in dieser Stunde, meine Damen und Herren, gilt unser Wort von der Solidarität der Demokraten. Ich denke an übermorgen und bin nicht bereit, heute hier durch Verleumdungen oder Unterstellungen, Herr Bundeskanzler, für die Zukunft alles unmöglich



    Dr. Barzel
    zu machen, was in diesem Staat mit- und untereinander möglich bleiben muß.

    (Starker Beifall bei der CDU/CSU.)

    Nun zu der „demagogischen Verwirrung", die Sie, Herr Bundeskanzler, mir persönlich vorwarfen wegen meines Satzes, wir wünschten, daß Deutschland und Europa nicht sozialistisch werden. Ich weiß nicht, meine Damen und Herren, warum Sie sich darüber erregen. Ist nicht der Bundeskanzler selbst jemand, der sich in amtlichen öffentlichen Reden als Sozialist bezeichnet? Ist nicht in Ihrem Programm der Sozialismus das Ziel? Sagen Sie dort eigentlich anderes?
    Und wenn der Bundeskanzler seine jungen Freunde in Schutz nimmt, dann, meine Damen und Herren, muß er sich natürlich auch hier vorhalten lassen, was diese jungen Freunde — und zwar nicht irgendeine Randfigur, sondern ganz offiziell hier verbreiten. Da heißt es unter der Überschrift „Was sind die Jungsozialisten wirklich?" :
    Sie haben durch die Formulierung ihrer sozialistischen Strategie im Bündnis mit den Altsozialisten in der SPD eine Position erkämpft, an der die SPD nicht mehr vorbei kann.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

    Das ist die Lage. Das spüren wir, und das spüren Sie doch auch in der praktischen Politik. Wenn es dann heißt:
    Das Ziel einer sozialistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung kann in der Bundesrepublik Deutschland nur erreicht werden, wenn mobilisierte und organisierte Massen der abhängig Beschäftigten die grundlegenden Veränderungen auf dem Wege zur Aufhebung kapitalistischer Machtverhältnisse erkämpfen . . .
    dann müssen Sie, meine Damen und Herren, sehen wie Sie damit fertig werden. Weiter wird dort gefordert, es sei die Konsequenz Ihrer Politik nicht nur die Anerkennung der DDR, sondern „die Anerkennung der DDR, um dem von der Reaktion aufgebauten Antikommunismus den Boden zu entziehen als Voraussetzung für eine sozialistische Gesellschaftsordnung in der Bundesrepublik Deutschland".

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

    Das ist nur ein Punkt, Herr Bundeskanzler. Wenn ich gesagt habe, ich wünschte, daß Deutschland und Europa nicht sozialistisch würden, und Sie dies als „demagogische Verwirrung" empfinden, so wiederhole ich hier diesen Satz: Wir wünschen, daß Deutschland und Europa nicht sozialistisch werden.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/ CSU.)

    Meine Damen und meine Herren, einige Bemerkungen zu dem — so Ihre Worte eben — „polemischen Gerede von der Inflation". Herr Bundeskanzler, es tut mir leid, aber ich muß dies sagen: Sie haben wieder einmal Ihre Meinung geändert. Früher hieß es: Bei 4 % wird es ernst. Das haben wir schon kritisiert, weil Ihr Bundeswirtschaftsminister — inzwischen ist er auch Bundesfinanzminister — bekanntlich ganz andere Versprechungen gemacht hatte. Er versprach, von 3 % im nächsten Jahr auf 2% und dann auf 1% zu kommen. Als wir einmal eine Preissteigerungsrate von 3 °/o hatten — ich erinnere den Bundeskanzler Erhard daran —, hieß es von der Seite der SPD: Inflation!
    Meine Damen und Herren, mein Kollege Katzer hat heute morgen mit aller Deutlichkeit und Sachlichkeit den Bericht der Deutschen Bundesbank hier in die Debatte eingeführt. Das sind die Fakten, Herr Bundeskanzler. Gegen diese Fakten hilft auch alle Schönrederei nichts.
    Herr Bundeskanzler, wenn Sie sagen, es gebe auch keine Finanzkrise, dann möchte ich Sie doch einladen, sich einmal die Stellungnahme des Finanz-und Konjunkturrates von Bund und Ländern vom, wenn ich mich recht erinnere, 8. März vorlegen zu lassen. Darin steht doch z. B., daß Sie trotz der Steuererhöhungen, mit denen Sie 4 Milliarden DM zusätzlich einnehmen, mit den Mitteln nicht auskommen und keine neue zusätzliche Ausgabe damit finanzieren können. Darin steht doch die Notwendigkeit umschrieben, daß man endlich einmal zu Prioritäten kommen müsse, daß man die Programme zusammenstreichen müsse, daß hierzu auch Gesetze notwendig seien. Wollen Sie leugnen, daß in dieser Sitzung in aller Verantwortung von der Notwendigkeit der Totalsanierung der öffentlichen Finanzen von Bund, Ländern und Gemeinden gesprochen worden ist?

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Um nicht in den Verdacht zu kommen, Herr Bundeskanzler, hier für eine Zeitung zu werben, will ich nicht auch noch lange aus dem finanzpolitischen Leitartikel der „Frankfurter Allgemeinen" vorlesen. Die Überschrift genügt: „Dem finanziellen Kollaps entgegen".

    (Abg. Rawe: Das ist noch milde ausgedrückt!)

    Es ist doch gar keine Frage, wie die Rate der Verschuldung, die Sie eingehen, zu beurteilen ist. Wir haben hier bei der letzten Wirtschaftsdebatte doch davon gesprochen. Es ist doch ein Unterschied, ob sich ein Staat für investive Zwecke in der Zukunft oder deshalb verschuldet, um auf dem Papier mit Mühe und Not den Ausgleich zu haben. Sie überfordern die volkswirtschaftliche Kraft. Das führt dazu, daß die Preise weiter steigen. Das wiederum treibt die Zinsen an; dies lockt das ausländische Geld ins Land. Sie haben dann all diese Schwierigkeiten, Herr Bundeskanzler. Das sollten Sie nicht leugnen, und das können Sie ja auch nicht leugnen. Dafür, daß Sie sich geweigert haben, in dieser Frage reinen Wein einzuschenken, haben Sie am Sonntag ja eine Quittung bekommen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Zu der Frage der Preise möchte ich nicht in der Weise, wie Sie dies taten, Herr Bundeskanzler, Stellung nehmen. Ich möchte aber folgendes beitragen. Natürlich wissen wir, daß es außenwirtschaftliche Probleme gibt. Natürlich wissen wir, daß die Bandbreite und die europäische Integration hier ein-



    Dr. Barzel
    wirken. Aber Sie können doch nicht leugnen, daß am Beginn dieser ganzen Sache der Satz des Bundesbankpräsidenten, eines Mitglieds Ihrer Partei, Karl Klasen, von der „hausgemachten Inflation" steht. Sie können doch nicht leugnen, daß die Bundesbank jetzt eben erklärt, die Haushaltspolitik treibe die Inflation. Das sind doch die Fakten! Die sollten Sie eigentlich in einen solchen Rechenschaftsbericht aufnehmen.
    Ich möchte — der Kollege Strauß wird dies sicherlich im Laufe der Debatte im einzelnen behandeln —nur noch zu dem Vorwurf einen Satz sagen, wir hätten Steuerreformen immer versprochen, dann aber nicht gemacht. Herr Bundeskanzler, 1965 hat dieses Haus in einer Arbeit Etzel/Dahlgrün eine kleinere Steuerreform gemacht, die den Namen verdiente. Sie führte immerhin zur Steuersenkung von 4,5 Milliarden DM. Wir haben — dies ist hoffentlich nicht vergessen — hier ein Gesetz gemacht, das nicht wir — da sitzt der Kollege Schmidt —, sondern die Fachwelt ein „Jahrhundertgesetz" genannt hat, die Mehrwertsteuer. Wir haben nicht nur diese Reform fertiggebracht, sondern im konjunkturell und europäisch richtigen Zeitpunkt hier verabschieden können.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir haben die Finanzverfassungsreform gemacht, wir haben die Reform des Haushaltsrechts gemacht. Jetzt ist die Steuerreform dran. Dazu liegen die Gutachten ebenso vor wie die Unfähigkeit Ihrer Koalition, dieses Problem zu lösen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Der Rettungsanker Umweltschutz, Herr Bundeskanzler — also ich will es mir untersagen — — Ein sachkundiger Kollege, der über diesen Satz empört war, brachte mir sofort ein Zitat von Ihnen aus dem Jahre 1970, wo Sie sehr wohl anerkennen, daß dies ein Problem sei, an dem auch früher viel getan worden sei. Also lassen wir das!
    Herr Bundeskanzler, Sie haben dann aber einen Vorwurf erhoben, den ich doch zurückweisen möchte. Sie haben im Zusammenhang mit ostpolitischen Debatten gesagt, hier sei „Hetze" getrieben worden, und das an die Adresse der CDU/CSU und mit Vokabeln wie „Verzicht" und „Verrat". Herr Bundeskanzler, wer so argumentiert, muß sich fragen lassen: Wer eigentlich hat diese Vokabeln in die politische Debatte in der Bundesrepublik Deutschland eingeführt?

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich habe hier eine Festschrift, wieder von einem Kollegen, der sich über Ihre Angriffe erregte, die „Festschrift zum Deutschlandtreffen der Schlesier, 7. bis 9. Juni 1963 in Köln". Wie hieß es dort mit der Unterschrift von ich sage es gleich, um hier keinen parlamentarisch üblichen Trick zu machen; die Sache ist viel zu ernst — Erich Ollenhauer, Willy Brandt und Herbert Wehner? Ich zitiere:
    Breslau, Oppeln, Gleiwitz, Hirschberg, Glogau, Grünberg — das sind nicht nur Namen, das sind lebendige Erinnerungen, die in den Seelen von Generationen verwurzelt sind und unaufhörlich an unser Gewissen klopfen. Verzicht ist Verrat.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

    Das haben Sie unterschrieben! Diese beiden Vokabeln stammen doch nicht von uns! Die haben Sie in die Debatte eingeführt. Ich denke, daß der Kollege Hupka Ihnen einiges darüber sagen könnte, mit welchen verbindlichen Aussagen Ihrer Partei Sie ihn in den Wahlkampf geschickt haben, um die Stimmen dieser Bürger zu sammeln; hinterher wollen Sie das nicht mehr wahrhaben, was Sie ihn haben versprechen lassen.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

    Herr Bundeskanzler, ich möchte aus diesem Bereich gleich noch einiges wegräumen. Unsere Fraktion hat Sie unter dem 17. April durch eine öffentliche Mitteilung aufgefordert, sich von einem Zitat zu distanzieren. Dies ist nicht geschehen, also muß ich es jetzt in die Debatte einführen. In einer deutschen Tageszeitung war die Rede davon, daß Journalisten bei den abendlichen Gesprächen im Zuge, von denen Sie selbst vorher sprachen, davon gesprochen haben, daß eine Frage wie folgt gestellt sei: Der Kreml sei, um die Ratifizierung des Moskauer Vertrages zu sichern, eventuell bereit, im Sinne des Briefes zur deutschen Einheit in einer Art Vorpräambel auch das Problem der Einheit und des Selbstbestimmungsrechts mit zu ratifizieren. Sie hätten dann zunächst gesagt, das Verfahren sei nicht möglich. Und dann habe man insistiert, und dann sollen Sie gesagt haben — ich zitiere —: „Wenn Moskau Herrn Barzel hier entgegenkommen wollte, würde ich mich dagegen wehren."

    (Hört! Hört!-Rufe und Pfui-Ruf bei der CDU/CSU.)

    Herr Bundeskanzler, hier ist Gelegenheit, dazu etwas zu sagen. Aber Sie können doch nicht zugleich mich erklären lassen, die drei Punkte, die wir gefordert haben, seien erfüllt, während auf der anderen Seite der Miniser des Kanzleramts erklärt, die Aufnahme des Selbstbestimmungsrechts in das Vertragswerk sei doch sinnwidrig und auch gar nicht möglich.
    Herr Bundeskanzler, ich möchte ein kurzes Wort — weil das im einzelnen zu behandeln sein wird, wenn es, wann immer dies sein wird, wieder eine Debatte über die Ostpolitik geben wird — zu dem Thema der Protokolle sagen. Sie wissen sehr gut aus unserem Schriftwechsel wie aus mündlichen Unterhaltungen — nicht erst seit 14 Tagen, sondern seit dem August 1970, — daß wir die volle Einsicht verlangen und mit zwei Punkten begründen. Einmal, weil in amtlichen Verlautbarungen der Sowjetunion und des Warschauer Paktes, aber auch in amtlichen Verlautbarungen der DDR immer die Worte „die Verhandlungen und der Vertrag" gebraucht wurden. Deshalb wünschten wir zu wissen: Was ist in den Verhandlungen gewesen? Dies wünschten wir zu lesen. Zum zweiten, weil Sie selbst Auszüge aus diesen Protokollen in das Ratifikationsverfahren eingeführt haben. Herr Bundeskanzler, wer Auszüge verwendet, der muß jemandem die Möglichkeit geben, festzustellen: was stand davor, was stand



    Dr. Barzel
    dahinter? Denn was entsteht sonst — mein Kollege Strauß hat es hier einmal mit den zwei Bibelsätzen vorgemacht — für ein verwirrendes Bild?!
    Und wenn Sie, Herr Bundeskanzler, hier davon sprachen, acht Wochen lang hätten Sie alle möglichen Angebote auf Information gemacht, dann muß ich Ihnen sagen: Sie haben — ich bin sicher, daß der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses dazu selber das Wort nehmen wird — im Auswärtigen Ausschuß des Bundestages dasselbe Verfahren wie im Bundesrat angeboten, d. h. man wird gnädigst zugelassen, Fragen zu stellen, Beamte wälzen dann dicke Aktenordner und lesen dann einen Satz vor, ohne daß man den, der dahinter oder davor steht, kennt. Dies ist ein Verfahren, das schon im Bundesrat gerügt worden ist und das hier mit Recht gerügt wird. Ich glaube, daß mein Kollege Kliesing mit dem Argument recht hat, daß man sich doch als Historiker und als Jurist niemals auf etwas anderes als auf die Quellen selbst stützt. Und wenn wir verlangt haben, das Ganze als Geheimsache einzusehen, dann ist dies recht und billig. Das ist nicht gegen irgendeine Praxis. Niemand hätte dies gerügt, Herr Bundeskanzler. Denn die Männer, die dies hätten rügen können im internationalen Leben, sind doch auch, wie Sie wissen seit Jahr und Tag zu höchst vertraulichen Gesprächen mit uns bereit und gehen davon aus, daß es hier ist wie in Großbritannien, wo der Führer der Opposition alles erfährt.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Sie wissen, daß ich Ihnen, Herr Bundeskanzler, diese Briefe — von der Aktion distanziere ich mich erneut, wie ich dies immer getan habe — dann übergeben habe. Warum?

    (Zuruf von der SPD.)

    — Nun lassen Sie mich das doch in aller Ruhe sagen. Der Bundeskanzler erzählt es Ihnen doch nicht; also muß ich das doch hier in die Debatte einführen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich erinnere mich genau des Zeitpunkts; es war zu Beginn der innerdeutschen Gespräche. Da geisterten durch unsere Fraktion, durch andere Fraktionen und in Kreisen von Journalisten vier oder fünf Fassungen neuer Bahr-Papiere. Ich habe sie mir alle geben lassen, und ich habe Ihnen damals gesagt — Richard Stücklen war auch dabei —: Herr Bundeskanzler, in diesem Lande, das ein Tummelplatz weltpolitischer Interessen ist und das ein Tummelplatz zur Verwirrung dieses Parlaments ist, muß es doch möglich bleiben, daß wir uns alle beide nicht auf Gerüchte stützen, sondern nur auf das, was stimmt. Ist es denn nicht richtig, Herr Bundeskanzler, daß ich, als Sie von der Krim wiederkamen, Ihnen zwei ernste mündliche Fragen gestellt habe auf Grund von Gerüchten, die mir zugegangen waren? Sie haben sie beide ausreichend beantwortet. Ich bin darauf nie zurückgekommen. Wer hat Ihnen, Herr Bundeskanzler, dann eigentlich das übergeben und gesagt: Das ist wahrscheinlich falsch; lassen Sie mich doch bald wissen, was davon zu halten ist, so wie es der Abrede entsprach? Dann passierte folgendes: Ich sage Ihnen jetzt, daß ich selbst die Dinge überhaupt erst
    danach gelesen habe. Es war Mittwoch abend, als ich Ihnen dies gab. Am Freitag mittag erklärten Sie in Baden-Württemberg: Paßt auf, da kommt eine Wahlbombe; laßt euch nicht durch Sensationen irre machen! Wer hat denn eigentlich vor der Bundespressekonferenz sich eingelassen nach dem Brief des Kollegen Ehmke? Herr Bundeskanzler, kommen Sie mit der Wahrheit auf den Tisch und lenken Sie nicht von dem Thema des wirklichen Inhalts der Moskauer Verträge ab! Das ist die Frage, um die es geht.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

    Meine Damen und meine Herren, ich möchte gern zu einigen der innenpolitischen Ausführungen des Bundeskanzlers kommen, der ja versprochen hatte, nicht nur unpolemisch sein zu wollen — das ist ihm nicht gelungen —, sondern auch Tatsachen und Leistungen zu bringen. Herr Bundeskanzler, in einer solchen Situation wie dieser wäre es nicht anders als fair und völlig normal gewesen, wenn Sie hierher gekommen wären, die Regierungserklärung, Ihren Versprechenskatalog zur Hand genommen und gesagt hätten, was daraus geworden ist. Das ist nicht geschehen. Ich kann nachempfinden, warum Sie dies nicht taten; nicht nur, weil da vieles, vieles ist, was gar nicht hat erfüllt werden können, sondern auch, weil Sie, Herr Bundeskanzler, an einem nicht vorbeikönnen: Das herausragende Ergebnis Ihrer Innenpolitik ist die trabende hausgemachte Inflation.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Dies begann mit der falschen Weichenstellung im Oktober und begann mit dem, was man die Anspruchsinflation genannt hat. Wer allen alles in Aussicht stellt ohne einen Katalog von Prioritäten, erweckt den Eindruck, er könne alles auf einmal. Die Ansprüche steigen, und das kann eine öffentliche Finanzwirtschaft nie durchhalten.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich möchte deshalb — ich glaube, dies ist parlamentarischer Brauch — an das erinnern, was wir zu Beginn Ihrer Regierung hierzu gesagt haben. Wir haben gesagt:
    Sie treten Ihr Amt an bei Vollbeschäftigung, stabilem Geld und wohlgeordneten Finanzen. Sie finden auf den Gebieten der Bildungspolitik, der Finanz- und Wirtschaftspolitik bessere Kompetenzen und ein gerade geschaffenes modernes Instrumentarium vor. Dazu treten die neuen Möglichkeiten des Arbeitsförderungs- und des Berufsausbildungsgesetzes sowie die anderen Reformwerke der Großen Koalition. ...
    Seit Bestehen der Bundesrepublik stand kein Bundeskanzler bei seinem Amtsantritt in einer vergleichbaren Situation.
    Wir haben Ihnen dann etwas Außenpolitisches gesagt. Daraus will ich nur eins noch einmal festhalten:
    Wir werden als Opposition nicht nur dafür sorgen, daß die Koalition hier immer wieder für ihre Politik einstehen und ihre Mehrheit beweisen muß; wir bieten auch in aller Form die Möglichkeit an, in den Lebensfragen der



    Dr. Barzel
    Nation zur Kooperation aller zu kommen. Ob dies zum Nutzen aller Deutschen erreicht wird, liegt ganz wesentlich an Ihnen, Herr Bundeskanzler, nämlich an dem Ausmaß, der Stetigkeit und der Offenheit, mit der Sie uns unterrichten, mit uns sprechen und unsere Meinungen in Ihre Entscheidungen einbeziehen.
    Herr Bundeskanzler, noch heute vor 14 Tagen haben wir Ihnen, gestützt auf verantwortliche Voten der Gremien, die bei uns die Politik bestimmen, angeboten — ich komme nachher darauf zurück —, die Kräfte zusammenzutun, weil nur durch Zusammenwirken und Zusammenarbeit der offensichtlich bestehende Verhandlungsspielraum ostpolitisch voll wird ausgenutzt werden können. Auch dies wurde noch heute vor 14 Tagen abgelehnt.
    Ich könnte eine ganze lange Reihe der abgelehnten Gemeinsamkeitsbestrebungen hier aufzählen. Aber ich möchte doch noch bei dem innenpolitischen Punkt zunächst bleiben. Wir haben Ihnen damals gesagt: die neue Regierung beginnt mit einer Politik der leichten Hand. Ohne eine veränderte Finanzplanung vorzulegen, beschlossen die Koalitionspartner zuerst einmal Steuersenkungen. Wir, die Opposition, haben damals gesagt: Lassen Sie das bleiben, nehmen Sie die vom Tisch und benutzen Sie das Geld zur Modernisierung der Bundesrepublik Deutschland! Dann sagen Sie, diese Opposition sei nicht hilfreich gewesen?! Meine Damen und meine Herren, daß kann man ernsthaft doch nicht aufrechterhalten. Wir haben Ihnen gesagt — und das spüren Sie doch inzwischen selber; das muß doch Alex Möller Ihnen gesagt haben, als er ging —:
    Ohne ein Programm, das den gestiegenen Finanzbedarf für investive Zwecke, für Bildung, für Verkehr, für Strukturpolitik, für Technologie zusammenordnet, ohne den Blick auf die anwachsende Wirtschaftskraft anderer Nationen, welche unsere Stellung im Welthandel in Frage stellen, wurden Haushaltsbelastungen
    besprochen. . . .
    Wir fragen Sie, Herr Bundeskanzler, nach Ihren Argumenten für diese Politik. Es hätte Ihnen und uns allen besser angestanden, nicht einen fröhlichen Einstand zu geben, sondern die Anstrengungen zu fordern, die unser Land machen muß, wenn es modern bleiben will.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir fragen Sie, auf welche Lagebeurteilung, auf welche Finanzplanung, auf welche Konjunkturverläufe Sie diese Politik, erst einmal einen auszugeben, gründen wollen. Ich fürchte, diese Politik, die sich zu Beginn so billig macht, wird uns am Schluß allen zu teuer kommen.
    Und genau da sind sie angekommen, Herr Bundeskanzler.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Meine Fraktion hat immer wieder davor gewarnt — sie hat hier Vorschlag auf Vorschlag gemacht —, auf dem von dieser Regierung eingeschlagenen Weg der Verharmlosungen und Beschönigungen fortzufahren. Lange und, wie wir meinen, zu lange hat sich

    (1 Rede eben — über die gefährlichen Konsequenzen und die wirkliche Lage getäuscht und versucht, die Bevölkerung abzulenken. Mit der als Trost gedachten Unter-dem-Strich-Rechnung Hans Katzer sprach davon; ich muß einen Satz dazu sagen, weil der Bundeskanzler sie ja wieder aufgenommen hat —, hat man den Arbeitnehmern eine Weile etwas vormachen wollen, nämlich vormachen wollen, man könne auch mit der Inflation gut leben. Diese Rechnung konnte nicht aufgehen. Jedermann weiß, daß sie in diesem Jahr nicht mehr stimmt und stimmen wird. Mit dem Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, mit der Deutschen Bundesbank und darüber hinaus mit der überwiegenden Mehrheit der führenden Köpfe aus Wissenschaft und Wirtschaft teilen wir die Sorge, daß die Stabilität in diesem Lande auf lange Sicht verloren würde, wenn nicht dieses Haus die Kraft aufbringt, das Steuer herumzuwerfen. Das soll morgen geschehen, nachdem Sie vor der Wirklichkeit blind sind, meine Damen und meine Herren von der Koalition. Noch fehlt uns ein genauer Einblick in die Bücher der Bundesregierung. Dennoch und trotz aller Retuschen sind bereits die vorliegenden Erfahrungen der vergangenen zweieinhalb Jahre ein vernichtendes Urteil über die Fähigkeit dieser Bundesregierung, nicht nur ihre eigenen Versprechungen zu erfüllen, sondern den drängenden Bedürfnissen unseres Staates gerecht zu werden. Für ein Kabinett, das mit dem Anspruch antrat, eine „Regierung der inneren Reformen" zu sein, ist diese Erkenntnis niederschmetternd, — niederschmetternd insbesondere deshalb, weil trotz Steuererhöhungen und einer bisher nicht gekannten Staatsverschuldung das Geld kaum ausreicht, um die Löcher der Inflation zu stopfen. Obwohl Sie, Herr Bundeskanzler, von Ihrem Amtsantritt an der deutschen Öffentlichkeit immer wieder vormachten, Sie wollten die öffentlichen Investitionen und damit die Gemeinschaftsleistungen für ,den einzelnen Bürger verstärken, haben Sie in Wahrheit nicht nur den Staat, sondern auch seine Bürger ärmer gemacht. Jede jetzt unterlassene Investition, sei es wegen der Kostenexplosion und der Inflation im Bereich der öffentlichen Hand, sei es wegen der gesellschaftspolitischen Unsicherheit oder der gesunkenen Erträge in der privaten Wirtschaft, führt zu einem künftigen Substanzverlust, (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Sehr wahr!)


    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

    macht unser Land morgen ein Stück unmoderner und ist deshalb zuallererst ein Betrug an den jetzt jungen Menschen. Dies muß hier gesagt werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Matthöfer: Sagen Sie das den Herren Erhard und Schmücker, deren Rezession 30 Milliarden DM Wachstumsverlust brachte!)

    Der Bericht der Bundesbank über die Lage der öffentlichen Finanzen kann doch keinen Zweifel



    Dr. Barzel
    darüber lassen, daß die finanzielle Basis verspielt ist. Die Verschiebung der Mehrheitsverhältnisse in der deutschen Bevölkerung zu Ihren Ungunsten, ausgewiesen durch Landtagswahl auf Landtagswahl, ist doch nicht zuletzt die Konsequenz der weitverbreiteten Sorge um die weitere ökonomische und finanzielle Entwicklung in unserem Lande. Dabei ist es, so scheint mir, von entscheidender Bedeutung, daß dem Bundeskanzler die Kraft fehlt, zusammen mit allen Gutwilligen in diesem Lande, entschlossen gegen die Inflation anzukämpfen; eine Inflation, die unsere Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung angreift und die, wenn sie weitertrabt, natürlich auch dem Ziel, von dem ich vorhin sprach, daß die Jungsozialisten formuliert haben, ein ganzes Stück näherkommt. Daran kann doch kein Zweifel sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Schlimmer ist, daß der Staat unter Ihrer Regierungsführung — auch hier können Sie sich wieder auf die Bundesbank berufen — mit seiner Politik der nicht inflationsfreien Haushalte mehr und mehr zum stärksten Motor der Inflation geworden ist. Wir haben heute dargetan, daß die Einkommensverteilung in Unordnung geraten ist, daß die 10 Millionen Rentner zu den am stärksten Betroffenen gehören, daß die Vermögensverteilung durch diese Politik immer ungerechter wird. Deshalb, meine Damen und Herren, glauben wir mit sehr vielen Mitbürgern draußen — die werden sich durch das, was man jetzt an Appellen und Demonstrationen zu organisieren versucht, ebensowenig davon abbringen lassen, das zu tun und zu denken, was sie für vernünftig halten, was sie, so wie wir es tun, nach Prüfung ihres Gewissens als ihre Überzeugung bezeichnen — sagen zu müssen: wir lassen uns weder bedrohen noch erpressen noch provozieren. Wir gehen den Weg, den wir im Interesse dieses Landes für notwendig halten. Es ist Zeit zur Umkehr! Weg von einem Weg der Illusionen und der Versprechungen, hin zu Solidität und Stabilität! Darauf kommt es an.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die Soziale Marktwirtschaft ist nicht nur eine Methode für Wirtschaftswachstum, sondern der Ausdruck einer Gesinnung. Wer da den Ertrag wegsteuern will, will ihn eigentlich sozialisieren, und wer die Leistung durch die Steuer bestraft, kann dreimal am Tag „Soziale Marktwirtschaft" sagen, er baut in Wirklichkeit den Motor des Fortschritts und künftiger Wirtschaftskraft aus.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wer — wie die Jungsozialisten — nicht frei ist von der Rückkehr in klassenkämpferisches Denken, der wird eben mit Sozialer Partnerschaft das Stück inneren Friedens und sozialen Ausgleichs und Fortschritts nicht erreichen, das dieses Land früher einmal gehabt hat.
    Es bedarf in allen diesen Fragen einer ungeschminkten Bestandsaufnahme. Wir werden uns dabei der Mitarbeit aller kompetenten Stellen versichern und das Ergebnis der Öffentlichkeit in allen Einzelheiten vorlegen. Unser Bemühen wird es sein, die verlorengegangene Basis der Stabilität Schritt
    um Schritt wiederherzustellen für den Fortschritt, für den wir in der Zeit der Opposition konstruktive Vorschläge gemacht haben. An die Stelle der Versprechungen muß wieder der Wille treten, Politik als die Kunst des Möglichen und als die Verpflichtung zur Solidität zu begreifen.
    Unsrem Ja zur Sozialen Marktwirtschaft, von dem ich eben sprach, unserem Ja zur Sozialen Partnerschaft und zur humanen Leistungsgesellschaft entspricht unser ebenso entschlossenes Nein zu allen Ideologien und Plänen, die lediglich unsere Ordnung überwinden, die, so Karl Schiller, „eine andere Republik" wollen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir wollen diese Republik, diesen freiheitlichen, demokratischen und sozialen Rechtsstaat, in dem sozialer Ausgleich und Stabilität allein solide Reformen ermöglichen. Wir wollen diese Republik, deren Fundamente wir zunehmend gefährdet sehen. Gestützt auf diese Sicherheit, auf die Gewißheit und das Vertrauen in das gegebene Wort wird das Entscheidende im wirtschaftlichen und sozialen Ablauf wieder eintreten, nämlich Vertrauen und dadurch Investitionen und Wirtschaftskraft.
    Ich möchte eines nicht verfehlen, und ich sage dies heute, weil ich nicht die Absicht habe, mich morgen an der Debatte zu beteiligen. Die öffentlich sichtbare Zerrissenheit im Lager der Koalition zwingt dazu, im Interesse der Gesundheit des parlamentarischen Systems die in der Verfassung vorgesehene Möglichkeit zur Alternative und die Handlungsfähigkeit der Opposition unter Beweis zu stellen, allein auf dem Wege, den das Grundgesetz uns allen anzeigt; ein Weg übrigens — ich wiederhole dies, da der Bundeskanzler die Ausführungen Hans Katzers dazu heute morgen wohl überhört hat —, den die Freien Demokraten und die Sozialdemokraten bereits zweimal im Lande Nordrhein-Westfalen, übrigens auch mit Erfolg, gegen uns angewandt haben. Wir werden es diesmal umdrehen, meine Damen und meine Herren.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich kann aber nicht verschweigen — dies, Herr Bundeskanzler, ist notwendig zu sagen, weil Sie einige Ausführungen zum Klima gemacht haben —, daß unser Mißtrauen die parteipolitische Bandbreite überschritten hat, daß wir Sorgen haben um diesen freiheitlichen, demokratischen und sozialen Rechtsstaat. Diese Bundesregierung hat ihr Wort nicht gehalten. Es ist nicht nur nichts moderner, gerechter und sozialer geworden, wie es versprochen war. Die versprochenen Steuersenkungen sind der Wirklichkeit von Steuererhöhungen und anwachsender Staatsverschuldung gewichen. Die versprochene Preisstabilität besteht in der Wirklichkeit einer trabenden, hausgemachten Inflation. Das versprochene Wirtschaftswachstum besteht in Null. Herr Bundeskanzler, meine Aussage, die Sie vorhin zitierten, heißt: Wir sind im Wirtschaftswachstum das Schlußlicht in Europa geworden und in der Inflation in die Spitzengruppe vorgedrungen. Dies ist die Realität, und wenn Sie die gesunkenen Investitionen dazunehmen, ergibt sich das Bild, das eben verheerend ist.
    10658 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 182, Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. April 1972
    Dr. Barzel
    Sie hatten, Herr Bundeskanzler, den Wählern — gestützt auf ein Votum beider großen Fraktionen zur Zeit der Regierung des Kollegen Kiesinger — versprochen, die DDR nicht als einen zweiten deutschen Staat ins internationale Leben zu bringen. Das haben Sie den Wählern gesagt. Getan haben Sie das Gegenteil, und dies Entscheidende, ohne die westlichen Verbündeten darüber zu konsultieren.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Das, meine Damen und Herren, sind doch die Tatsachen.
    Informationen, um die wir baten, wurden uns vorenthalten. Die Existenz der Verhandlungen Bahrs wurde, wie das später amtlich abgedruckte Bahr-Papier, geleugnet. Herr Bundeskanzler, e i n m a l hat man uns an der Nase herumgeführt, und auf Grund dieses damals entstandenen Mißtrauens müssen Sie uns schon erlauben, zu sagen: wir wollen alles sehen, bevor hier verantwortlich entschieden wird!

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

    Denn die Darstellung, die die Bundesregierung zur Inhaltsangabe über das Vertragswerk gibt, weicht fundamental von dem, was die Sowjetunion sagt, ab. Lesen Sie hierzu auch den Text, den Außenminister Gromyko vor dem Obersten Sowjet vorgetragen hat.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    So erweisen sich manche Versuche der Interpretation erneut als der Versuch, die Dinge anders darzustellen, als sie sind. Nichts aber ist schlimmer als ein internationaler Vertrag, der von diesem so und von dem anderen anders ausgelegt wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Das ist Konfliktstoff für morgen, und da wir ein kleines Land sind, der Partner aber eine atomare Großmacht ist, ist dies ein besonders ernstes Problem.