Rede von
Victor
Kirst
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Kollege Jenninger, wir sind uns eben offenbar nähergekommen, indem Sie jetzt nur noch von einem Teil sprechen, bei dem man hausgemacht und regierungsgemacht gleichsetzen muß. Das ist sicher schon ein Fortschritt. Es ist sehr gut, wenn man sich in der Debatte millimeterweise annähern kann.
Aber, Herr Kollege Jenninger, ich habe es auch noch einmal nachgelesen, als es der Kollege Luda zitierte —, hier werden — das will ich gar nicht kritisieren — Bund, Länder und Gemeinden durcheinandergeworfen. Das konnte ich so schnell nicht nachprüfen. Aber nach meiner Erinnerung steht jedenfalls eines fest: Die dort kritisierten Zuwachsraten der öffentlichen Hände insgesamt liegen höher als die des Bundes. Der Bund hat — dafür liegen die Zahlen vor — unter dem Durchschnitt von Bund, Ländern und Gemeinden gelegen. Die Zuwachsraten bei Ländern und Gemeinden waren höher. Das wird Ihnen notfalls von Amts wegen noch einmal bestätigt werden. Das können wir auch in der Haushaltsdebatte weiter vertiefen. Im übrigen liegt der Faktor, der in den Gutachten festgelegt ist — ich will das gar nicht bagatellisieren —, glaube ich, bei 0,8 %, bezogen auf das Bruttosozialprodukt. Er hat sicher eine Wirkung, aber eben nicht die alles entscheidende Wirkung, die von Ihnen immer da hineingelegt wird, ganz abgesehen davon, daß auch das Gutachten sehr deutlich zum Ausdruck bringt — man müßte das natürlich immer vollständig zitieren —, inwieweit diese Dinge zwangsläufig gewesen sind infolge der Personalkostenbewegung usw.; das wird nicht gesagt, aber die Zwangsläufigkeit wird hervorgehoben, das wissen wir.
Aber lassen Sie mich nun zu dem Gedanken, den ich hier eben ausführte, zurückkommen. Ich hatte davon gesprochen, bei Herrn Kollegen Strauß erfreulicherweise eine gewisse Änderung seiner bisherigen Haltung feststellen zu können. Ich will es noch einmal mit diesen Worten sagen: Der Konjunkturzug war im Herbst 1969 bereits in voller Fahrt. Es war doch nicht so, daß er auf dem Abstellgleis stand und diese Regierung erst den Dampf anlassen mußte. Es ist nun einmal so, daß sich Konjunkturzyklen — das ist überall so, und sich über diese Konstatierung zu verständigen gehört dazu, um überhaupt über Möglichkeiten der Verständigung debattieren zu können — eben nicht nach Legislaturperioden richten.
Die Geschichte dieses Booms hat nicht mit dem Amtsantritt dieser Regierung begonnen.
In den Äußerungen des Kollegen Strauß erschien mir ein Zweites wichtig. Er hat bei den vielen Malen, in denen er in dieser Legislaturperiode über die Frage gesprochen hat, glaube ich, zum erstenmal eine etwas differenzierte Haltung zur Aufwertung eingenommen. Bisher hatte er eigentlich immer nur, wenn auch wiedersprüchlich, im gleichen Atemzug davon gesprochen, daß die Aufwertung gefährlich und wirkungslos war. Heute habe ich ihn so verstanden, daß er zum erstenmal eine zumindest begrenzte Wirkung der Aufwertung und später auch des Floating auf unsere Preispolitik zugestanden hat. Das wollen wir als erfreulichen Fortschritt neben einigen anderen Punkten feststellen, die sehr zu kritisieren sind und auf die ich in einer kleinen Auswahl noch einmal zu sprechen kommen will. Wir haben selbstverständlich — da gibt es eigentlich keinen Unterschied — niemals die Aufwertung oder die außenwirtschaftlichen Maßnahmen als Allheilmittel hingestellt, aber doch als unabdingbare Voraussetzung, um mehr Stabilität zu erreichen.
Beide Äußerungen scheinen mir ein bescheidener, aber am Anfang stehender Beitrag zu einer positiven Vergangenheitsbewältigung in dieser konjunkturpolitischen Auseinandersetzung gewesen zu sein. Im übrigen haben wir natürlich heute in diesen sieben Stunden, die die Debatte schon wieder läuft, auch sehr viel an gewohnter, so würde ich sagen, Vergangenheitsbewältigung zu erleben, zu erleiden und zu erdulden gehabt. Diese Vergangenheitsbewältigung bezieht sich im wesentlichen auf zwei Punkte. Einmal ist es der Zitatenkrieg, und zweitens ist es die Frage, inwieweit sich Prognosen als richtig erwiesen haben, von wem immer und wo sie gestellt worden sind.
Ich darf feststellen, daß wir Freien Demokraten von diesem Zitatenkrieg erfreulicherweise verschont geblieben sind. Ich habe es hier schon einmal gesagt: es gibt eben kaum oder wahrscheinlich gar keine Zitate, die man uns vorwerfen kann, weder aus der Zeit vor 1966 noch zwischen 1966 und 1969 noch in dieser Koalition.
Was aber nun die Zitate anbelangt — ich will mich hier insoweit gar nicht in die Auseinandersetzung zwischen SPD und CDU einschalten —, muß
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 177. Sitzung, Bonn, Mittwoch, den 15. März 1972 10301
Kirst
man doch einmal feststellen: Bei den Zitaten, die die Sozialdemokraten bis 1966 betreffen, gibt es eigentlich nur zwei Möglichkeiten. Die erste ist, daß das, was damals gesagt wurde — ich sage das hier bei aller Freundschaft innerhalb der Koalition —, tatsächlich falsch war. Wenn es aber falsch war, dann wird es doch nicht dadurch richtig, daß andere Leute es heute wiederholen. Das ist doch das Entscheidende bei diesem Zitatenkrieg. Ich habe den Eindruck, daß hier seitens der CDU/CSU nur eine Art eitler Rechthaberei betrieben wird, die im Prinzip niemandem etwas nützt. Wären aber die zitierten Ausführungen richtig gewesen, würde die heutige Opposition ja eigentlich nur eine nachträgliche Rechtfertigung der damaligen Opposition betreiben, was wiederum auch nicht ihre Aufgabe wäre. Ich glaube also, wir wären alle gemeinsam besser dran, wenn wir uns auf diesen Zitatenkrieg nicht unentwegt einlassen müßten.
Was die Prognosen angeht, so kann ich hier nur das betonen, was Kollege Mertes heute morgen gesagt hat, und nur ergänzend dazu feststellen, daß wir Freien Demokraten wohl von uns sagen dürfen, daß wir uns nie an falschen Prophetien beteiligt haben. Sonst wären sie uns sicher schon irgendwann einmal entgegengehalten worden.
Nun meine ich, daß die Ausführungen des Kollegen Strauß in einigen Punkten doch noch einer sehr deutlichen Erwiderung und Kritik bedürfen.
Zunächst noch einmal zum Thema Konjunkturzuschlag. Ich will den Faden hinsichtlich der Wahlgeschenke hier nicht fortspinnen. Ich will nur soviel sagen: Wir gehen vom normalen Ablauf der Legislaturperiode aus, aber immerhin, für die Bürger, die sich von der CDU verunsichern lassen, bedeutet natürlich die Zurückzahlung des Konjunkturzuschlages zum 15. Juni, daß unter keinen Umständen irgend jemand in Versuchung kommt, ihn nicht zurückzuzahlen. Diese Regierung wird ihn in jedem Fall zurückzahlen. Leider ist das für die Opposition nicht so zweifelsfrei geblieben, wie Herr Strauß das hier heute darstellte. Ich habe Herrn Strauß in der Sondersitzung im Juli 1970 den Vorwurf machen müssen, daß er ja die Glaubwürdigkeit des Parlaments und der Regierung mit seiner damaligen falschen Behauptung in Zweifel ziehe, die Regierung werde den Konjunkturzuschlag nicht zurückzahlen. Es war doch nicht so, wie er es heute gesagt hat. In Wirklichkeit hat man sich ja noch einen Alibi-Antrag hinsichtlich der Verzinsung einfallen lassen, der die Enthaltung ermöglichte. Dabei sind wir uns alle darüber klar, daß Geld, das stillgelegt wird — und das war ja der konjunkturpolitisch gewollte Sinn und Effekt —, nicht verzinst werden kann.
Nun hat Kollege Strauß auch wieder — wie konnte es anders sein — zum zigsten Mal die Sache mit den angekündigten Steuersenkungen angesprochen. Ich will dazu nur folgendes sagen. Auch da war seine Darstellung natürlich unvollständig. Er hat erklärt, am 5. Juni 1970 habe die CDU gesagt, man sollte das liegenlassen. Soweit richtig, aber nur halb wahr. Denn der eigentliche Vorschlag — Kollege Leicht hat das durch einen Zwischenruf deutlich gemacht — war ja der, statt dessen das Kinder-
geld zu erhöhen, und zwar in dem gleichen Ausmaß, das finanziell bezüglich der Steuersenkung vorgesehen war, das also finanziell gegenseitig zur Dek-kung zu bringen. Das wäre konjunkturpolitisch natürlich im Prinzip dasselbe gewesen. Insofern war also die konjunkturpolitische Absicht der Opposition in dieser Frage sicherlich nicht sehr ernst gemeint.
Ich glaube, wir tun gut daran, über die Frage der Steuerreform dann zu sprechen, wenn sie hier vorliegen wird. Ich meine nur: es war sicher vernünftig, daß hier eine Klarstellung zu den 17 % Mehrwertsteuer gekommen ist. Denn wenn die Äußerung so gefallen wäre, wie sie zunächst berichtet worden ist, hätte sich der Kollege Strauß wohl auch den Vorwurf machen lassen müssen, mit einer solchen Äußerung die künftige Verhandlungsposition der Bundesregierung in dieser schwierigen Frage erschwert zu haben.
Interessant scheint mir — ich sehe allerdings im Augenblick weder Herrn Schulhoff noch andere aus der Opposition hier im Saal —, daß der Kollege Strauß bei diesen steuerpolitischen Überlegungen offenbar die Möglichkeit und die Notwendigkeit — wie sie die Bundesregierung in ihren Eckwerten zum Ausdruck gebracht hat —, die Gewerbesteuer in diesem Zusammenhang abzubauen, völlig ad acta gelegt hat; eine, glaube ich, ganz interessante Feststellung.
Nun ein paar Worte zur Haushaltspolitik. Ich bin allerdings der Meinung, wir sollten sie im April, wenn der Haushalt vorliegt, im einzelnen erörtern. Nur eines: Ich muß — ich habe das neulich schon getan — entschieden den Vorwurf des Kollegen Strauß zurückweisen — ich hätte eigentlich erwartet, daß das der Vorsitzende des Haushaltsausschusses getan hätte —, die Koalitionsparteien betrieben im Haushaltsausschuß eine Art Verschleppungspolitik. Herr Baier, ich wollte es neulich nicht sagen, jetzt sage ich es aber: Kollege Bußmann und ich waren bereit, die Berichterstatterbesprechung für einen ganz großen Etat, die normalerweise drei Tage dauert, in der ersten Woche der Weihnachtspause zu machen; wir wären auch gekommen. Dann kam der Wunsch Ihrer Kollegen: „Das wollen wir doch nicht machen; laßt es uns lieber im Februar machen."
Wir haben das selbstverständlich akzeptiert. Aber dann von Verzögerung zu sprechen, scheint mir doch ein starkes Stück zu sein.