Herr Abgeordneter, ich will Ihnen dazu auch ein Wort sagen, weil dies ja auch in der Kritik des Kollegen Windelen angeklungen ist. Ich wundere mich eigentlich, daß diese Frage und auch die Kritik aus Ihren Reihen kommt. Denn ich habe über viele Jahre, in denen meine Partei dafür eingetreten war, man solle z. B. Verhandlungen mit Ost-Berlin suchen, man solle versuchen, Kontakte mit Warschau aufzunehmen, gerade aus Ihrem Lager immer gehört, das sei alles ganz unsinnig; nicht mit Schmidtchen müsse man reden, sondern mit Schmidt, und das sei Moskau.
Aber ich will mir diese Argumentation nicht zu eigen machen. Nur wundert es mich, daß die Frage von Ihnen so gestellt wird. Dem Vertrag mit der Sowjetunion lag der politische Wille zugrunde, daß wir einen Beitrag zum Frieden in Europa leisten wollen, indem wir die Grenzen in Europa nicht in Frage stellen, indem wir auf diese Weise einen Punkt, der doch in der Vergangenheit durch Aufrechnung und Gegenaufrechnung immer wieder Ursache von Konflikten gewesen ist, aus dem Wege räumen. Und es wäre eine Illusion gewesen, über Grenzen in Europa und über ihr Nichtinfragestellen mit der Sowjetunion eine Vereinbarung abschließen zu wollen und dabei jene uns Deutsche doch bis ins Innerste berührende Frage aus einem solchen Abkommen auszuklammern. Das allein ist der Grund dafür.
Nun hat der Kollege Windelen an die Adresse des Bundeskanzlers die Kritik gerichtet oder die Frage gestellt, wann er denn etwas sagen wolle zu zu den Fragen des Rechts, zu dem Unrecht, das in diesem Bereich geschehen sei. Herr Kollege Windelen, ich will für alle, die es vergessen haben, hier etwas wiederholen, was der Bundeskanzler vor einiger Zeit gesagt hat:
Unsere polnischen Gesprächspartner wissen, was ich Ihnen zu Hause
— das war an die Bürger in unserem Lande gerichtet —
auch noch einmal in aller Klarheit sagen möchte. Dieser Vertrag bedeutet nicht, daß wir Unrecht. anerkennen oder rechtfertigen. Er bedeutet nicht, daß wir Vertreibungen nachträglich legitimieren.
Meine Damen und Herren, das hat er nicht irgendwo
gesagt, auch nicht in einer Wahlversammlung, sondern er hat es in einer Fernsehansprache aus War-
schau am 7. Dezember 1970 gesagt. Ich kann mir keinen Ort in Europa denken, wo er deutlicher, glaubwürdiger und eindrucksvoller das hätte sagen können, was wir zur Rechtsfrage zu sagen haben.
Nein, meine Damen und Herren, hier wird nicht das Recht verleugnet, und hier ist auch das nicht angebracht, was Herr Kollege Marx heute morgen in einer sehr indirekten Form, die der Klarstellung bedarf — vielleicht war sie auch sehr direkt —, zum Ausdruck gebracht hat. Er hatte Ernst Reuter zitiert. Ich wiederhole das Zitat:
Auch heute kann Deutschland nur leben, wenn es lernt, für seine Freiheit, für sein Recht und für seine Selbstbehauptung zu kämpfen.
Dann hat er ein Stück weiter gesagt, für die CDU/ CSU hätten sich die Kategorien des Rechts und der Freiheit, der Wahrheit und des Friedens nicht verändert. Meine Damen und Herren, hätte es dem Kollegen Marx nicht gut angestanden, das als eine gemeinsame Haltung aller Fraktionen des Bundestages zu sagen, oder sollte das heißen, daß es hier welche gibt, für die das nicht mehr gilt? Wir möchten für die Bundesregierung und für die sie tragenden Fraktionen in Anspruch nehmen, daß die Kategorien des Rechts, der Freiheit, der Wahrheit und des Friedens, gegründet auf das Grundgesetz dieses freiheitlichen Staates, unverändert gelten und daß das auch die Grundlage dieser Politik ist, die heute hier zur Diskussion steht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, von uns sind Alternativen gefordert worden, und einige Redner haben natürlich mit Recht auch eingewandt, daß es nicht immer Aufgabe der Opposition sei, Alternativen aufzuzeigen. Auf der anderen Seite sind auch Vertragsentwürfe als Alternativen genannt worden. Ich finde nur, daß eine Opposition eines nicht darf: sie kann nicht sagen, daß eigentlich gar nichts geht, also auch nichts anderes geht. Da nehme ich Bezug auf das, was der Kollege Windelen gesagt hat, was doch heißen soll, daß man am Ende mit kommunistischen Staaten zu solchen vertraglichen Vereinbarungen nicht kommen kann, weil man sonst das Unrecht sanktioniert. Ich muß auf etwas Bezug nehmen, was der Kollege Schröder geschrieben hat und was der Kollege Achenbach heute schon zitierte. Kollege Schröder hat geschrieben:
So ist das Nein zu den Verträgen nicht nur eine außenpolitische Aussage, sondern es unterstreicht auch eine notwendige innenpolitische Haltung.
Meine Damen und Herren, ist das nicht eine Selbstblockade in der Außenpolitik? Muß man nicht vielmehr wissen, daß es gerade für demokratisch verfaßte Staaten eine Notwendigkeit ist, deutlich zwischen Innen- und Außenpolitik zu scheiden? Das ist doch die Grundlage dafür, daß die Bundesregierung bei einer klaren Absage an den Kommunismus im Inneren bereit ist, auch mit kommunistisch regierten Staaten in der Welt, wie sie ist, vertragliche Regelungen anzustreben. Das scheint ja auch die Meinung
9908 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 172, Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Februar 1972
Bundesminister Genscher
der CSU zu sein, denn wie anders könnte ich es verstehen, daß sie einen Vertragsentwurf vorgelegt hat, der doch wohl nicht für die Zeit gedacht ist, in der in der Sowjetunion die Kommunisten nicht mehr das Sagen haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben in dieser Debatte einen großen Komplex noch nicht erörtert. Vielleicht wird er in den Ausschüssen erörtert. Es spricht eine Menge dafür, dieses Thema auf die zweite Lesung zu vertagen. Es ist ein Gebiet, das aber doch von eminenter Bedeutung ist, vor allen Dingen nach der vorangegangenen Diskussion in der Öffentlichkeit. Ich meine die Fragestellung, in welchem Verhältnis denn diese Politik der Bundesregierung zu unserer Verfassung steht. Herr Kollege Schröder hat eigentlich schon in seiner gestrigen Rede die Verfassungskonformität dieser Politik attestiert, weil er nämlich sagte, weiter hätte ja die Regierung nicht zurückweichen können, dann wäre sie an die Grenzen des Grundgesetzes gestoßen, was doch wohl nur heißen kann, daß sich diese Verträge jedenfalls im Rahmen des Grundgesetzes bewegen. Ich denke, daß das eine wichtige Feststellung ist. Wir werden wie im Bundesrat auch in den Ausschüssen des Bundestages über diese tiefgehenden verfassungsrechtlichen Fragen eingehend zu sprechen haben. Dabei werden Sie alle Fragen und alle Argumente beantwortet bekommen, und da braucht auch niemand Sorge zu haben, daß Expertisen unterschlagen werden, wie das irgendwelche Leute behaupten.
— Ja, das haben Sie eben gesagt! Sehen Sie: Das ist typisch für Sie! Jetzt kann ich Ihnen etwas sagen, mein verehrter Herr Kollege. In Übereinstimmung mit dem Beamten, von dem behauptet wird, daß er ein Rechtsgutachten erstellt habe, das die Verfassungswidrigkeit der Verträge feststelle, kann ich sagen: Jeder sagt die Unwahrheit, der das behauptet!
Dieser Beamte hat aber etwas anderes getan, und das ist seine Pflicht:
Er hat nämlich in verschiedenen Phasen dieser Verhandlungen immer wieder auf die Grenzen, die die Verfassung uns setzt, hingewiesen. Er hat darauf hingewiesen, wie diese oder jene Regelung und Formulierung bei einer Anrufung des Verfassungsgerichts auch ein Risiko bedeuten könnte. Das ist die Aufgabe der Verfassungsjuristen in einer Demokratie. Die Bundesregierung hat das nicht nur zur Kenntnis genommen. Sie hat das gewürdigt und hat sogar in einer Reihe von Fragen nach den Lösungsvorschlägen dieses Beamten gehandelt.
Aber lassen Sie mich ein Wort mehr sagen. Ich finde es nicht sehr fair, wenn in eine solche Diskussion, und sei es auch nur außerhalb des Parlaments durch Presseerklärungen und in anderer Weise, ein Beamter, der sich nicht dagegen wehren kann, einbezogen wird.
Deshalb möchte ich diesem Beamten seine unbedingte Qualifikation und Loyalität bestätigen. Er hat sie in besonderem Maße bekräftigt, meine sehr geehrten Damen und Herren, in einer bestimmten Situation, als man an ihn —wie ich feststelle, nicht aus diesem Hause, aber von anderer Seite — herantrat, um ihn zu veranlassen, geheime Papiere des Innenministeriums auszuhändigen.
— Ich stelle fest: Nicht aus diesem Hause!
— Ich habe gesagt: Nicht aus diesem Hause! Keine Fraktion dieses Hauses! Deutlicher kann ich das nicht sagen!