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ID0617201400

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    Deutscher Bundestag 172. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 24. Februar 1972 Inhalt: Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . 9833 A Bericht der Bundesregierung zur Lage der Nation 1972 (Drucksache VI/3080) in Verbindung mit Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 12. August 1970 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (Drucksache VI/3156) — Erste Beratung —, mit Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 7. Dezember 1970 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über die Grundlagen der Normalisierung ihrer gegenseitigen Beziehungen (Drucksache VI/3157) — Erste Beratung —, mit Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. Deutschland- und Außenpolitik (Drucksachen VI/2700, VI/2828) und mit Antrag der Fraktion der CDU/CSU betr. Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen (Drucksache VI/ 1523) — Fortsetzung der Aussprache — Franke, Bundesminister 9833 D Dr. von Weizsäcker (CDU/CSU) . 9837 C Mattick (SPD) 9843 A Amrehn (CDU/CSU) 9849 B Dr. Achenbach (FDP) . . . . . . 9853 B Dr. Marx (Kaiserslautern) (CDU/CSU) 9859 B Heyen (SPD) . . . . . . . . . 9869 D Dr. Ehmke, Bundesminister . . . . 9885 C Windelen (CDU/CSU) . . . . . . 9897 A Genscher, Bundesminister . . . . 9905 D Strauß (CDU/CSU) . . . . . . . 9909 C Schmidt, Bundesminister . 9916 A, 9934 C Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär 9929 B Dr. Barzel (CDU/CSU) . . . . 9933 C Dr. Wörner (CDU/CSU) . . . . 9935 A Fragestunde (Drucksache VI/3165) Frage des Abg. Cramer (SPD) : Anspruch mongoloider Kinder auf Ausstellung von Schwerbeschädigtenausweisen Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär 9872 B, C, D Cramer (SPD) . . . . . . . 9872 C, D Fragen des Abg. Vogt (CDU/CSU) : Vorlage des Vermögensbildungsberichts und des Sparförderungsberichts Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär . 9872 D, 9873 A, B , C, D Vogt (CDU/CSU) . . . . . . 9873 B, C II Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 172. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Februar 1972 Fragen des Abg. Varelmann (CDU CSU) : Einschränkung der von den Landesversicherungsanstalten gewährten Leistungen für Zahnersatz Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär . . 9873 D, 9874 A, C, D, 9875A Varelmann (CDU/CSU) . . . 9874 B, C, D, 9875 A Frage des Abg. Ott (CDU/CSU) : Anzeigenaktion der Bundesregierung über die Erweiterung der EWG Ahlers, Staatssekretär 9875 B, C, D, 9876 A, B Ott (CDU/CSU) . . . . . . . 9875 C, D Dr. Schmitt-Vockenhausen, Vizepräsident . . . . . . . . 9875 D Dr. Jahn (Braunschweig) (CDU/CSU) 9876 A Damm (CDU/CSU) 9876 B Fragen des Abg. Engholm (SPD) : Vorschriften über die Haarlänge der Beamten des Bundesgrenzschutzes — Zurverfügungstellung von Haarnetzen und Vorgehen gegen Beamte mit langen Haaren Genscher, Bundesminister 9876 C, D, 9877 A Engholm (SPD) 9876 D Dr. Schmitt-Vockenhausen, Vizepräsident 9877 A Fragen der Abg. Dr. Schneider (Nürnberg) und Niegel (CDU/CDU) : Errichtung von Betreuungsstellen und Regionalsektionen der Kommunistischen Partei Italiens in der Bundesrepublik Genscher, Bundesminister . . . 9877 B, C, 9878 D, 9879 A, B, C , D, 9880 A, B , C, D, 9881 A Dr. Schneider (Nürnberg) (CDU/CSU) 9878 D, 9879 A Niegel (CDU/CSU) 9879 B, C Brück (Köln) (CDU/CSU) . . . 9879 D Matthöfer (SPD) . . . . . . . 9879 D von Thadden (CDU/CSU) . . . 9880 A Dr. Becher (Pullach) (CDU/CSU) . 9880 B Dr. Miltner (CDU/CSU) . . . . 9880 C Dr. Lenz (Bergstraße) (CDU/CSU) . 9880 D Vogel (CDU/CSU) . . . . . . . 9880 D Frage des Abg. Büchner (Speyer) (SPD) : Angabe von Orden und Ehrenzeichen in Personalbogen des öffentlichen Dienstes Genscher, Bundesminister . . . 9881 B, C Büchner (Speyer) (SPD) . . . . 9881 B, C Frage des Abg. Offergeld (SPD) : Erkenntnisse über die Wirkungen von Naßkühltürmen auf Klima und Luft — Kühlsysteme der Kernkraftwerke Kaiseraugst und Leibstadt Genscher, Bundesminister . . . . 9881 D, 9882 A, B Offergeld (SPD) . . . . . . . . 9882 A Josten (CDU/CSU) . . . . . . . 9882 B Frage des Abg. Schlee (CDU/CSU) : Verletzung der Gebietshoheit und des Asylrechts der Bundesrepublik am 2. Februar 1972 an der deutsch-tschechoslowakischen Grenze Genscher, Bundesminister . . . 9882 C, D, 9883 A Schlee (CDU/CSU) 9882 D Dr. Wittmann (München) (CDU/CSU) 9883 A Fragen des Abg. Müller (Mülheim) (SPD) : Zielsetzung des Umweltforums und in ihm vertretene Organisationen — Stand der Vorbereitungen Genscher, Bundesminister . , 9883 B, C, D, 9884 A Müller (Mülheim) (SPD) . . . 9883 B, C, D Dr. Jahn (Braunschweig) (CDU/CSU) 9883 D Fragen des Abg. Dr. Häfele (CDU/CSU) : Einführung von Bewirtschaftungszuschüssen in landwirtschaftlichen Problemgebieten Ertl, Bundesminister . . . . 9884 B, C, D Dr. Häfele (CDU/CSU) . . . . 9884 C, D Frage des Abg. Höcherl (CDU/CSU) : Erklärung des Bundesministers Ertl in der Agrardebatte der Beratenden Versammlung des Europarates über Inflationsraten Ertl, Bundesminister . . . . 9885 A, B, C Höcherl (CDU/CSU) . . . . . 9885 B, C Nächste Sitzung 9935 C Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 172. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Februar 1972 III Anlagen Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 9937 A Anlage 2 Schriftliche Antwort auf die Mündlichen Fragen der Abg. Frau Brauksiepe (CDU/ CSU) betr. Förderung der Arbeit des Deutschen Jugendherbergwerks . . . . 9937 B Anlage 3 Schriftliche Antwort auf die Mündliche Frage des Abg. Wagner (Günzburg) (CDU/CSU) betr. politische Extremisten im öffentlichen Dienst . . . . . . . 9937 C Anlage 4 Schriftliche Antwort auf die Mündliche Frage des Abg. Pieroth (CDU/CSU) betr Zahl der unbearbeiteten Anträge bei den Ausgleichsämtern 9937 D Anlage 5 Schriftliche Antwort auf die Mündliche Frage des Abg. Lenzer (CDU/CSU) betr. einheitliches Urheberrecht für EDV-Programme 9938 A Anlage 6 Schriftliche Antwort auf die Mündlichen Fragen des Abg. Zander (SPD) betr. Ermittlungsverfahren gegen Monika Berberich als Gegenstand der Tätigkeit der Organisation Amnesty International . . 9938 B Anlage 7 Schriftliche Antwort auf die Mündliche Frage des Abg. Wagner (Günzburg) (CDU/CSU) betr. wiederholte Vernehmung von Kindern und Heranwachsenden in Strafverfahren wegen an ihnen begangener Sittlichkeitsdelikte . . . . 9938 C Anlage 8 Schriftliche Antwort auf die Mündlichen Fragen des Abg. Kater (SPD) betr. Auswirkungen der Explosionen in den Anlagen der Niederländischen Gas-Union auf die Belieferung der Abnehmer von Erdgas in der Bundesrepublik . . . . 9939 B Anlage 9 Schriftliche Antwort auf die Mündlichen Fragen des Abg. Weigl (CDU/CSU) betr. Nachentrichtung von Beiträgen und Novellierung der Altershilfe für Landwirte 9939 D Anlage 10 Schriftliche Antwort auf die Mündliche Frage des Abg. Dr. Schulze-Vorberg (CDU/CSU) betr. Interview des Bundesministers Ehmke bezüglich der Konzentrationsbewegung in der Presse . . . 9940 B Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 172. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Februar 1972 9833 17 2. Sitzung Bonn, den 24. Februar 1972 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
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    Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 172. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Februar 1972 9937 Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Bals *** 25. 2. Bredl 4. 3. Dasch 3.3. Dr. Dittrich 25. 2. Draeger *** 25. 2. Freiherr von und zu Guttenberg 4. 3. Frau Dr. Henze 18. 3. Kahn-Ackermann *** 26. 2. Lautenschlager * 24. 2. Lenze (Attendorn) *** 25. 2. Lücker (München) * 24. 2. Mertes 25. 2. Pöhler *** 25. 2. Richarts 25. 2. Rinderspacher *** 25. 2. Schulte (Schwäbisch-Gmünd) 25. 2. Dr. Seume 25. 2. * Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments *** Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen der Versammlung der Westeuropäischen Union Anlage 2 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Westphal vom 22. Februar 1972 auf die Mündlichen Fragen der Abgeordneten Frau Brauksiepe (CDU/CSU) (Drucksache VI/3165 Fragen A 4 und 5) : Hält die Bundesregierung - in Anbetracht der Tatsache, daß in deutschen Jugendherbergen im Jahre 1971 eine Gesamtzahl von fast 9 Millionen Übernachtungen erreicht wurde, darunter etwa eine Million Übernachtungen junger Ausländer - die Arbeit des Deutschen Jugendherbergwerks für eine vorrangig zu fördernde Aufgabe der Jugendarbeit, insbesondere im Hinblick auf die vielfältige und nachhaltige Gelegenheit internationaler Begegnungen? Ist sie bereit und sieht sie eine Möglichkeit, den Bundesjugendplan dahin gehend zu überprüfen und die Arbeit des Jugendherbergwerks wirksamer als bisher finanziell zu unterstützen? Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die Arbeit des Deutschen Jugendherbergwerkes eine besonders förderungswürdige Aufgabe der Jugendarbeit darstellt. Dies wird durch die Tatsache belegt, daß die Förderung sowohl des Baues von Jugendherbergen als auch der Jugendarbeit in den Jugendherbergen in den vergangenen Jahren beträchtlich verstärkt worden ist. Die Bundesregierung ist bereit, das Deutsche Jugendherbergwerk bei dem Ausbau des Jugendherbergnetzes weiterhin nachhaltig zu unterstützen. Dafür wurden bisher alljährlich 2,8 Mio DM zur Verfügung gestellt, wozu Ländermittel in zumindest gleicher Höhe kamen. Bereits im vergangenen Haushaltsjahr konnten im Rahmen des Zonenrandförderungsgesetzes dem Deutschen Jugendherbergwerk Anlagen zum Stenographischen Bericht zusätzliche Mittel in erheblichem Ausmaß (ca. 2,5 Mio DM) zur Verfügung gestellt werden. Diese zusätzliche Förderung wird 1972 fortgesetzt und findet auch in der Finanzplanung Berücksichtigung. Anlage 3 Schriftliche Antwort des Bundesministers Genscher vom 24. Februar 1972 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Wagner (Günzburg) (CDU/CSU) (Drucksache VI/3165 Frage A 43) : In welcher Weise gedenkt die Bundesregierung der durch Bundesinnenminister Genscher wiederholt erteilten Absage an politische Extremisten im öffentlichen Dienst Rechnung zu tragen? Der Bundeskanzler und die Regierungschefs der Länder haben bei ihrer Konferenz in Bonn am 28. Januar 1972 eine gemeinsame Erklärung darüber abgegeben, welche Maßnahmen nach dem geltenden Recht zu treffen sind. Nach den dort formulierten Grundsätzen werden die Bundesbehörden verfahren. Anlage 4 Schriftliche Antwort des Bundesminister Genscher vom 24. Februar 1972 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Pieroth (CDU/CSU) (Drucksache VI/3165 Frage A 49) : Hat die Bundesregierung einen Überblick über die Zahl der unbearbeiteten Anträge bei den Ausgleichsämtern, insbesondere auch über Altersstruktur der wartenden Antragsteller? Von den 7 103 372 Anträgen auf Feststellung von Vertreibungsschäden, Kriegsschäden und Ostschäden nach dem Feststellungsgesetz waren Ende 1971 308 234 Anträge (= 4,31 v. H.) noch nicht abschließend bearbeitet. Im Zuerkennungsverfahren waren 69 174 Fälle (= 1,3 v. H.) noch nicht abgeschlossen. Von den 4 255 301 zuerkannten Ansprüchen auf Hauptentschädigung waren 161 587 (= 3,9 v. H.) noch nicht erfüllt. In 597 961 Fällen konnten die zuerkannten Hauptentschädigungsansprüche nicht oder nur teilweise erfüllt werden, weil die Erfüllung wegen noch laufender Kriegsschadenrente oder aus sonstigen gesetzlichen Gründen gesperrt ist. Ein höherer Bearbeitungsrückstand ergibt sich bei den Anträgen auf Feststellung von Vermögensschäden in Mitteldeutschland und im Gebiet von Berlin (Ost) nach dem Beweissicherungs- und Feststellungsgesetz (BFG) vom 22. Mai 1965. Hier sind bis zum 31. Dezember 1971 insgesamt 384 079 Feststellungsanträge eingereicht worden, von denen bis dahin 264 434 Anträge (= 69,1 v. H.) noch in Bearbeitung waren. 9938 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 172. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Februar 1972 Von den 81 637 im Feststellungsverfahren positiv erledigten Anträgen sind 25 777 Fälle (= 31 v. H.) im Zuerkennungsverfahren noch unerledigt. Von den zuerkannten Ansprüchen auf Hauptentschädigung waren 35 156 voll erfüllt. 20 481 Ansprüche konnten nicht oder nur teilweise erfüllt werden, weil wegen der Gewährung laufender Beihilfe oder aus sonstigen gesetzlichen Gründen eine Auszahlung nicht möglich war. Einen Überblick über die Altersstruktur der wartenden Antragsteller hat die Bundesregierung nicht. Anlage 5 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Bayerl vom 24. Februar 1972 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Lenzer (CDU/CSU) (Drucksache VI/3165 Frage A 50) : Wie beurteilt die Bundesregierung ein einheitliches Urheberrecht für EDV-Programme, und was hat sie in dieser Hinsicht bisher unternommen? Die Frage des Schutzes der EDV-Programme wird zur Zeit von der Weltorganisation für geistiges Eigentum im Auftrage der Vereinten Nationen untersucht. Dabei wird insbesondere auch geprüft, ob für EDV-Programme ein Schutz durch das Urheberrecht, durch Patente oder Gebrauchsmuster oder aufgrund der Vorschriften gegen den unlauteren Wettbewerb ausreichend und angemessen ist oder ob es zweckmäßig erscheint, ein neues Schutzrecht für EDV-Programme zu schaffen. Die Bundesregierung hält es für angebracht, zunächst das Ergebnis dieser Untersuchung abzuwarten, da angesichts der internationalen Bedeutung des Problems des Schutzes der EDV-Programme eine Rechtsangleichung sehr erwünscht ist. Sofortige Maßnahmen auf nationaler Ebene sind nach Auffassung der Bundesregierung nicht erforderlich. EDV-Programme genießen, soweit sie persönliche geistige Schöpfungen sind, den Schutz nach dem Urheberrechtsgesetz. Im übrigen greift ergänzend der Schutz des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb ein, wenn EDV-Programme von Dritten in unlauterer Weise ausgenutzt werden. Anlage 6 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Bayerl vom 24. Februar 1972 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Zander (SPD) (Drucksache VI/3165 Frage A 53) : Welche Konsequenzen gedenkt die Bundesregierung aus der Tatsache zu ziehen, daß die zur Hilfe für politische Häftlinge gegründete Organisation Amnesty International den Fall Monika Berberich aufgreifen will? Die Bundesregierung sieht keinen Anlaß, aufgrund der Tatsache, daß Amnesty International das Ermittlungsverfahren gegen Monika Berberich zum Gegenstand seiner Tätigkeit gemacht hat, irgendwelche Maßnahmen zu ergreifen. Dies ist schon deswegen nicht erforderlich, weil die Bundesanwaltschaft am 18. Februar 1972 den Generalsekretär von Amnesty International auf dessen Wunsch ausführlich über den bisherigen Verlauf des Verfahrens informiert und dabei insbesondere auch die Gründe für die Dauer der Untersuchungshaft erörtert hat. Der Generalsekretär von Amnesty-International hat aufgrund dieser Informationen am gleichen Tage in Karlsruhe auf einer Pressekonferenz im Namen seiner Organisation erklärt, daß Beanstandungen gegen die bisherige Behandlung des Verfahrens nicht zu erheben seien. Inzwischen hat die Bundesanwaltschaft das Verfahren an die Strafverfolgungsbehörden Berlin abgegeben. Anlage 7 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Bayerl vom 24. Februar 1972 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Wagner (Günzburg) (CDU/CSU) (Drucksache V1/3165 Frage A 55) : Ist der Bundesregierung bekannt, daß Kinder und Heranwachsende schweren psychischen Belastungen ausgesetzt sind, wenn sie in dem Strafverfahren wegen eines an ihnen begangenen Sittlichkeitsdeliktes mehrmals als Zeugen vernommen werden, und ist sie bereit, durch eine Gesetzesinitiative sicherzustellen, daß von weiteren Zeugeneinvernahmen bei späteren Beweisaufnahmen dann abzusehen ist, wenn bereits eine gerichtlich protokollierte Aussage vorliegt? Ich darf mir vorweg den Hinweis erlauben, daß das von Ihnen angeschnittene Problem bereits Gegenstand von Erörterungen des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform ist. Anläßlich der Beratungen über das 4. Strafrechtsreformgesetz hat der Sonderausschuß hierzu eine an den Bundesminister der Justiz gerichtete Entschließung gefaßt und den Bundesminister der Justiz gebeten, zu dem in der Entschließung enthaltenen Fragenkatalog Stellung zu nehmen. Mein Haus hat über die Landesjustizverwaltungen die gerichtliche und staatsanwaltliche Praxis zu diesen Fragen gehört und entsprechende gesetzliche Regelungen ausländischer Staaten überprüft. Das Ergebnis der Auswertung des umfangreichen Materials wird in diesen Tagen dem Sonderausschuß zugeleitet werden. Aufgrund des meinem Hause vorliegenden Materials wird davon auszugehen sein, daß unter Psychologen und bei der gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Praxis weitgehend Übereinstimmung darüber besteht, daß Kinder und Heranwachsende psychischen Belastungen ausgesetzt sein können, wenn sie in dem nachfolgenden Strafverfahren wegen eines an ihnen begangenen Sittlichkeitsdelikts als Zeugen vernommen werden. Dabei birgt insbesondere die wiederholte Vernehmung des kindlichen oder jugendlichen Zeugen die Gefahr eines schädigenden Einflusses in sich. Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 172. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Februar 1972 9939 Um diese Gefahr auszuschließen, wäre an sich eine Regelung erstrebenswert, die im Prinzip nur eine richterliche Vernehmung des kindlichen oder jugendlichen Zeugen zuläßt und als Regelfall die Verlesung dieser Vernehmungsniederschrift in der Hauptverhandlung vorsieht. Eine entsprechende Regelung erscheint allerdings nicht unproblematisch. Sie wird von der gerichtlichen Praxis einhellig abgelehnt. Eine entsprechende gesetzliche Bestimmung würde einen tiefgreifenden Eingriff in die Struktur des Strafprozesses bedeuten, da damit der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme durchbrochen würde. Der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme zählt aber zu den wichtigsten Prinzipien unseres Strafverfahrensrechts. Er gewährleistet, daß das erkennende Gericht von den zur Rekonstruierung des Sachverhalts benutzten Beweismitteln in unmittelbar eigener sinnlicher Wahrnehmung Kenntnis erlangt. Dies ist gerade von besonderer Bedeutung in Strafverfahren wegen Sittlichkeitsdelikten, in denen kindliche oder jugendliche Opfer oft als einzige Zeugen, zumindest aber als Hauptbelastungszeugen auftreten. Es muß auch darauf hingewiesen werden, daß dem berechtigten Wunsch nach besonderem Schutz kindlicher und jugendlicher Zeugen vor schädlichen Nebenwirkungen des Strafverfahrens die rechtsstaatliche gegründete Forderung nach unbeschränkter Verteidigung des Angeklagten gegenübersteht. Diese Antinomie dürfte nicht ohne eine schwer zu vertretende Beschränkung des Rechts der Verteidigung aufgelöst werden können. Die Bundesregierung wird jedoch im Rahmen der bereits in Angriff genommenen Reform des Strafverfahrensrechts mit Vorrang auf eine gesetzliche Regelung hinwirken, die der besonderen psychischen Situation des kindlichen und jugendlichen Opfers von Sittlichkeitsdelikten im anschließenden Strafverfahren gerecht wird. Welcher gesetzgeberischen Lösung angesichts der hier nur kurz aufgezeigten Schwierigkeiten der Vorzug zu geben ist, bedarf noch weiterer eingehender Überlegungen. Anlage 8 Schriftliche Antwort des Staatssekretärs Dr. Rohwedder vom 23. Februar 1972 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Kater (SPD) (Drucksache VI/3165 Fragen A 58 und 59) : Welche Auswirkungen hatten nach Auffassung der Bundesregierung die Folgen der Sprengstoffexplosionen in den Kompressoranlagen der Niederländischen Gasunion in Ravenstein und Ommen auf die Belieferung der Abnehmer von Erdgas in der Bundesrepublik Deutschland? Was hat die Bundesregierung getan bzw. was gedenkt sie zu veranlassen, um Vorsorge für den Fall des Entstehens von in den Niederlanden verursachten Versorgungsschwierigkeiten für die Abnehmer von Erdgas in der Bundesrepublik Deutschland zu treffen? Die Sprengstoffexplosionen in den Kompressoranlagen der Niederländischen Gas-Union hatten auf die Belieferung der Letztabnehmer von Erdgas in der Bundesrepublik keine nennenswerten Auswirkungen. Lediglich solche Abnehmer haben Liefereinschränkungen hinnehmen müssen, bei denen Lieferunterbrechungen vertraglich zulässig sind. Die Bundesregierung betrachtet gerade die niederländischen Erdgasvorkommen als eine sehr sichere Energiequelle für den deutschen Energiemarkt. Sie wird in dieser Auffassung dadurch noch bestärkt, daß die niederländische Regierung unverzüglich Sicherheitsmaßnahmen beschlossen hat, um auch außergewöhnliche Vorkommnisse wie Sprengstoffanschläge für die Zukunft zu verhindern. Wirksamster Schutz auch gegen solche Versorgungsstörungen ist im übrigen nach Auffassung der Bundesregierung eine Politik der Diversifikation der Bezugsquellen sowie der weitere Ausbau des Erdgas-Verbundsystems, das wechselseitige Aushilfen der Verbundpartner, auch über die Staatsgrenzen hinweg, ermöglicht. Die Versorgungssicherheit der Verbundpartner wird um so größer, je mehr Erdgasquellen und Erdgasspeicher in dieses System eingebunden werden. Die Bundesregierung ermutigt alle Bemühungen, die auf die Erschließung neuer Lieferquellen, auf die Anlage von Erdgasspeichern und auf den Ausbau eines umfassenden europäischen Erdgas-Verbundsystems gerichtet sind. Dies ist ein Weg, auf dem die deutsche Gaswirtschaft schon ein gutes Stück vorangekommen ist. Für den Fall gleichwohl eintretender Versorgungsstörungen liegen schließlich bei den einzelnen Ferngasgesellschaften bis ins einzelne ausgearbeitete Abschaltpläne vor, um nach Maßgabe der geringsten Beeinträchtigung die Auswirkungen einer solchen Störung in möglichst engen Grenzen zu halten. Dabei wird der Versorgung der Kommunen und damit der privaten Haushalte sowie der Belieferung der Abnehmer, die nicht auf andere Energiearten ausweichen können, Vorrang eingeräumt. Anlage 9 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Rohde vom 23. Februar 1972 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Weigl (CDU/CSU) (Drucksache VI/3165 Fragen A 89 und 90) : Wird die Bundesregierung Landwirten, die sich bei der Einführung der Altershilfe für die Landwirtschaft von den Beitragszahlungen befreien ließen, eine Nachversicherungsmoglichkeit einräumen? Wie groß ist der oben angesprochene Personenkreis? Bei der vorgesehenen Novellierung der Altershilfe für Landwirte wird die Bundesregierung auch die Möglichkeiten für einen Verzicht auf die Befreiung von der Beitragspflicht und die damit verbundene Frage der Nachentrichtung von Beiträgen prüfen. Dabei ist jedoch eine differenzierte Betrachtung erforderlich, da es sich um unterschiedliche Befreiungstatbestände mit entsprechend unterschiedlichen Motivationen handelt. Und zwar sind diejenigen Personen, die sich bei Einführung der Altershilfe für Landwirte im Jahre 9940 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 172. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Februar 1972 1957 auf Grund eines privatrechtlichen Versicherungsvertrages haben befreien lassen, von jenen Personen zu unterscheiden, die wegen einer anderweitigen gesetzlichen Versicherung oder Versorgung befreit worden sind. Im ersten Fall ist zu prüfen, ob die Voraussetzungen, unter denen der Entschluß zur Befreiung seinerzeit gefaßt worden ist, nicht so verändert sind, daß eine Korrektur der damaligen Entscheidung ermöglicht werden sollte. Im zweiten Fall haben die Versicherungs- und Versorgungsansprüche an der allgemeinen Fortentwicklung teilgenommen, so daß er sich in einem anderen Licht darstellt. Soweit es die Zahlen angeht, möchte ich folgendes anmerken: Nach der Quartalstatistik der landwirtschaftlichen Alterskassen (Stichtag 31. Dezember 1971), die vom Gesamtverband der landwirtschaftlichen Alterskassen herausgegeben wird, beträgt die Zahl der beitragsbefreiten Landwirte insgesamt 60 422. Die Zahl derjenigen, die auf Grund eines privatrechtlichen Versicherungsvertrages befreit worden sind, dürfte bei 2 500 liegen. Anlage 10 Schriftliche Antwort des Bundesministers Dr. Ehmke vom 24. Februar 1972 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg (CDU/CSU) (Drucksache VI/3165 Frage A 117) : Entsprechen die Auffassungen, die Bundesminister Ehmke in einem Interview mit dem Bonner „General-Anzeiger" vom 7. Januar 1972 — auch nachgedruckt im Bulletin vom 8. Januar 1972 — zu den Problemen der Massenmedien darlegte, den in den zuständigen Bundesministerien entwickelten Vorstellungen, und teilt die Bundesregierung insbesondere die Behauptungen des Bundesministers "Hinsichtlich der Pressekonzentration -muß man sich klarmachen, daß ein Teil des Konzentrationsvorgangs allein aus betriebswirtschaftlichen Gründen notwendig ist und daß die Zusammenlegung oft zu einem besseren Niveau der Zeitungen führt. Man muß auch lokale Zeitungsmonopole durch den Ausbau regionaler Rundfunk- und Fernsehsender auszugleichen suchen. Dennoch ist der Gedanke einer als öffentlich-rechtliche Körperschaft organisierten Zeitung ein interessantes theoretisches Modell, wenn wir nämlich unterstellen, daß es am Ende des Konzentrationsprozesses nur noch eine Zeitung mit einer absoluten Monopolstellung geben könnte. Wir sollten es aber auf keinen Fall zu einer solchen Situation kommen lassen, in der die Frage verneint werden muß, ob Zeitungen überhaupt noch auf privater Basis gemacht werden dürfen."? In dem von Ihnen zitierten Interview habe ich ausgeführt, daß ein Teil der Konzentrationsbewegung in der Presse auf betriebswirtschaftliche Zwänge zurückzuführen ist. Es handelt sich hierbei um eine Feststellung, die schon im Schlußbericht der Pressekommission vom 22. Mai 1968 dargelegt ist. Ein gewisses Maß von Konzentration kann aber durchaus dem Informationsinteresse des Bürgers dienen, soweit nämlich leistungsschwache und überalterte Pressebetriebe durch leistungsstarke und rationell arbeitende Betriebe ersetzt werden, die eine zuverlässigere und vielseitigere Information bieten können. Hiervon ausgehend habe ich weiter die Auffassung vertreten, daß der Pressekonzentration dann entgegengewirkt werden muß, wenn eine ausreichende Meinungsvielfalt in der Presse nicht mehr gewährleistet ist. Diese Auffassung deckt sich nicht nur mit der der Bundesregierung; ich gehe sogar davon aus, daß auch Sie ihr zustimmen. Falls es einmal dazu kommen sollte, daß die Vielfalt der Presse aufgrund der wirtschaftlichen Konzentration Meinungsmonopolen weichen müßte, dann stünde als Ausweg zur Erhaltung der Meinungsvielfalt das Denkmodell einer als öffentlich-rechtlichen Körperschaft organisierten Zeitung zur Debatte. Diese Frage, die mir in jenem Interview gestellt wurde, ist heute nicht akut, und ich hoffe, daß sie nie akut wird.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Ernst Achenbach


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der bisherige Verlauf der Diskussion hat mich an ein französisches Sprichwort erinnert, welches da lautet: Qui trop embrasse mal étreint, frei übersetzt: Wer sich
    mit zehn Sachen gleichzeitig beschäftigt, macht keine ordentlich.

    (Beifall bei der FDP.)

    Ich ziehe daraus für mich die Schlußfolgerung, daß ich nur zum Inhalt des Moskauer Vertrages und zu dem sprechen werde, was der verehrte Kollege Schröder dazu gesagt hat. Ich würde sagen, das ist schon ein abendfüllendes Stück, oder, wie es ein Amerikaner sagen würde: That's a mouthful, wieder frei übersetzt: Da hat man schon genug zwischen den Zähnen!

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Haben Sie noch etwas von Machiavelli da? — Unruhe.)

    Ich darf beginnen, Herr Kollege Schröder, mit der
    Erinnerung, daß wir uns seit 40 Jahren kennen — —

    (Anhaltende Unruhe. — Glocke des Präsidenten.)



Rede von Kai-Uwe von Hassel
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Einen Augenblick, Herr Kollege! Darf ich Sie bitten, die Unterhaltungen in den Vorraum zu verlegen! Es stört hier. Insonderheit haben, glaube ich, die Fernsehteilnehmer ein Recht darauf zu wissen, daß hier aufmerksam zugehört wird. Ich darf Sie bitten, herauszugehen und die Unterhaltungen draußen zu führen.
Bitte schön, Herr Abgeordneter!

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Ernst Achenbach


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Kollege Schröder, ich möchte mich gern mit Ihnen über das unterhalten, was sie gestern vorgetragen haben. Zunächst möchte ich mich damit einverstanden erklären, daß Sie eingangs in Ihrer Rede betonten, diese Diskussion hier müsse sachlich geführt werden, jeder müsse der anderen Seite den guten Willen zubilligen; wir sollten unter der Voraussetzung sprechen, daß auf beiden Seiten Patrioten stünden, die unter den gegebenen Umständen das Beste für unser Land und Volk wollten. Niemand sollte in dieser Diskussion verteufelt werden. Diese Kontroverse dürfe nicht zu einem Glaubenskrieg werden oder ausarten. — Damit bin ich voll einverstanden.
    Ich hatte bei meiner letzten Intervention hier bereits betont, daß wir gut beraten wären, wenn wir das Begriffspaar „kalte Krieger" und „Verzichtspolitiker" gemeinsam beerdigen würden. Sie haben diesen Vorschlag angenommen, das finde ich gut so. Wir können gemeinsam der Welt mitteilen, daß es hier in Bonn weder kalte Krieger noch Verzichtspolitiker, sondern vaterlandsliebende Abgeordnete gibt, die für ihr Land und für die Welt den Frieden wollen. Das wollen wir doch einmal gemeinsam feststellen!

    (Dr. Stark [Nürtingen] : Sagen Sie das einmal der SPD in Baden-Württemberg!)

    Nun haben Sie auch sonst noch etwas Vernünftiges gesagt. Sie haben festgestellt, daß es nach wie vor gemeinsame Ziele gibt: Festhalten am Selbstbestimmungsrecht für alle Deutschen, friedliche Beziehungen und Verständigung, Zusammenarbeit auch mit



    Dr. Achenbach
    den Staaten Osteuropas einschließlich der Sowjetunion und Verzicht auf Androhung und Anwendung von Gewalt! Voll einverstanden! Ich nehme an, Sie sind auch noch einverstanden, wenn wir noch zwei Punkte hinzufügen. Wir sind doch alle hier bereit, für unseren Staat, für diesen freiheitlichen Rechtsstaat einzutreten und ihn zu verteidigen. Darüber hinaus wollen wir uns alle auch um Berlin kümmern. Also haben wir da ja dann schon einen ganz schönen Katalog von Gemeinsamkeiten.
    Nun komme ich noch zu einem Schlußzitat, und da fängt allerdings langsam die Kritik an, Herr Kollege Schröder. Sie haben auf der Seite 30 Ihrer Rede gesagt:
    Ich vertrete absolut den Standpunkt, daß wir Deutschen keine Auslegung der Verträge zu unseren Ungunsten vornehmen sollten, also uns nicht einer Argumentationslinie der Gegenseite bedienen dürfen.
    Sehr richtig, Herr Kollege Schröder. Nun hätte ich ganz gern gesehen, daß man auch einmal von Ihrer Seite vorträgt, was in diesem Moskauer Vertrag denn eigentlich drinsteht. Da dies nicht geschehen ist, möchte ich mich jetzt damit ein bißchen beschäftigen. Der Vertrag ist ja gar nicht so lang, so daß die Rede gar nicht so lang wird. Es ist vielleicht auch ganz gut, daß die vielen Leute, die uns zuhören und die die Texte nicht vorliegen haben, verstehen müssen, worüber wir uns eigentlich streiten.
    Wollen wir doch einmal sehen, was in dem Moskauer Vertrag steht,

    (Abg. Stücklen: Und was steht nicht drin?)

    um uns anschließend ein Urteil darüber bilden zu können, ob Ihre Befürchtungen, Herr Schröder, oder die Hoffnungen anderer berechtigt oder nicht berechtigt sind.

    (Abg. Dr. Stark [Nürtingen] : Unterstellen Sie, daß Herr Schröder den Vertrag nicht gelesen hat?)

    — Nein, ich finde nur: wenn er sagt, man sollte keine Interpretation vornehmen, die uns schädigt, dann war es ein Versäumnis, daß er den Vertrag anschließend nicht interpretiert hat.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Das ist doch der ganze Witz. Diese Interpretation will ich jetzt einmal vornehmen und dann feststellen, ob Herr Schröder mit meiner Interpretation übereinstimmt. Das ist doch normal.
    Dieser Vertrag hat erst einmal eine Präambel. In dieser Präambel lautet der erste Satz:
    IN DEM BESTREBEN, zur Festigung des Friedens und der Sicherheit in Europa und in der Welt beizutragen,
    Das wollen wir doch wohl alle?

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.) Mit diesem Satz sind Sie also einverstanden.

    Der zweite Satz lautet:
    IN DER ÜBERZEUGUNG, daß die friedliche Zusammenarbeit zwischen den Staaten auf der Grundlage der Ziele und Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen den sehnlichen Wünschen der Völker und den allgemeinen Interessen des internationalen Friedens entspricht,
    Ich jedenfalls teile diese Überzeugung, und ich nehme an, Sie teilen Sie auch, Herr Schröder. Dagegen ist also auch nichts einzuwenden.
    Dann kommt der dritte Absatz. Dort steht:
    IN WÜRDIGUNG der Tatsache, daß die früher von Ihnen verwirklichten vereinbarten Maßnahmen, insbesondere der Abschluß des Abkommens vom 13. September 1955
    — das war ja der Bundeskanzler Adenauer —
    über die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen, günstige Bedingungen für neue wichtige Schritte zur Weiterentwicklung und Festigung ihrer gegenseitigen Beziehungen geschaffen haben,
    Sie müssen doch zugeben: daß die jetzige Regierung die damalige Regierung würdigt, ist doch nett von ihr. Außerdem stimmt das auch.

    (Abg. Stücklen: „verwirklichten"! — Mehrere Abgeordnete der CDU/CSU melden sich zu einer Zwischenfrage.)

    — Lassen Sie mich doch doch erst einmal den Vertrag zu Ende bringen! Anschließend gerne, Herr Marx.
    Dann kommt der vierte Punkt:
    IN DEM WUNSCHE, in vertraglicher Form ihrer Entschlossenheit zur Verbesserung und Erweiterung der Zusammenarbeit zwischen ihnen Ausdruck zu verleihen, einschließlich der wirtschaftlichen Beziehungen sowie der wissenschaftlichen, technischen und kulturellen Verbindungen, im Interesse beider Staaten,
    Ja, dagegen ist doch offenbar keiner, denn das steht sogar in dem Plan der CSU.

    (Abg. Stücklen: Sicher, einverstanden!)

    Da sind wir uns also auch schon wieder einig. Folglich werde ich doch wohl sagen können: Gegen die Präambel kann dieser Bundestag überhaupt nichts vorbingen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Widerspruch bei der CDU/CSU. --Abg. Stücklen: Doch! „verwirklichten" !)

    Da haben wir als einen Teil schon mal weg.
    Nun kommen wir auf den Art. 1. Dessen Abs. 1 lautet:
    Die Bundesrepublik Deutschland und die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken betrachten es als wichtiges Ziel ihrer Politik, den internationalen Frieden aufrechtzuerhalten und die Entspannung zu erreichen.



    Dr. Achenbach
    Das wollen wir doch auch. Da gibt es also doch wohl auch keine Meinungsverschiedenheit.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Stücklen: Die Ursache der Spannungen zu beseitigen!)

    — Ich spreche jetzt einmal von dem Vertrag.

    (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Wenn Sie es vor Gericht so machten, würden Sie brotlos!)

    Gegen den Art. 1 Abs. 1, Herr Stücklen, haben Sie bestimmt nichts.
    Nun kommt der Abs. 2. Ich kann Ihnen sagen, daß Herr Außenminister Scheel da ganz verdienstvoll verhandelt hat. Sie, Herr Schröder, haben zwar gemeint, man hätte Sie nur als Statist eingeladen. Wenn damit unterschwellig von Ihnen gemeint sein sollte, ich sei da nur als Statist gewesen und mein Freund Karl Wienand ebenfalls, so muß ich Ihnen ehrlich sagen: Bei dem Selbstbewußtsein der Siegerländer gelingt es Ihnen nicht, mich mit Komplexen zu versehen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich bin ein freier Abgeordneter, war in Moskau frei und habe dort meine Meinung gesagt. Hier und da hat man sogar meinen Rat angenommen, habe ich das Gefühl.

    (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Mit welcher Wirkung im Vertrag, Herr Achenbach?)

    Sehen Sie, dieser zweite Absatz lautet so:
    Sie bekunden ihr Bestreben, die Normalisierung der Lage in Europa und die Entwicklung friedlicher Beziehungen zwischen allen europäischen Staaten zu fördern, und gehen dabei von der in diesem Raum bestehenden wirklichen Lage aus.
    Nun sind Sie, Herr Kollege Schröder — wir sind ja alte Juristen — mit den Gesetzen der Logik wohlvertraut und werden mir sicher zustimmen, wenn ich Ihnen sage: Wenn man die Normalisierung der Lage in Europa fördern will und dabei von der bestehenden Lage ausgeht, dann folgt daraus, daß die Vertragspartner der Auffassung sind, daß die bestehende Lage in der Tat nicht sehr normal ist,

    (Abg. Dr. Stark. [Nürtingen] : Na, na, na!)

    und das ist sie auch nicht. Sie ist schizophren, sie ist unfriedlich, und sie muß normalisiert und verbessert werden, und dafür sind beide Vertragsparteien.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Damit hätte ich also, wie ich meine, den ersten Artikel über die Bühne gerollt.
    Nun kommt also der zweite Artikel.

    (Zuruf des Abg. Stücklen.)

    -- Das dauert gar nicht mehr lange, Herr Stücklen.
    Der Art. 2 sagt also — ich will es jetzt sogar ein
    bißchen verkürzen —, daß sich die beiden Staaten
    unter keinen Umständen mit Gewalt bedrohen wollen und auch nicht Gewalt anwenden wollen. Das
    ist von einer absoluten Klarheit. Als Jurist —
    schließlich habe ich neulich mein 25jähriges Jubiläum als Anwalt gefeiert, Herr Stücklen — verstehe ich ein bißchen was davon. Außerdem gibt es noch eine Erklärung von Herrn Gromyko. In Zukunft ist also hier der Gewaltverzicht, und zwar in vollem Umfang, ausgesprochen. Davon beißt keine Maus einen Faden ab.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Das, Herr Stücklen, wollen Sie ja auch. Das wollte auch die Regierung Kiesinger. Das ist also nun erreicht. Wissen Sie, als die Regierung Kiesinger/ Brandt das damals den Russen vorschlug, da waren diese nicht ohne weiteres bereit, dies in dieser Form zuzugestehen, sondern da haben sie Noten geschickt, auf die ich jetzt im Interesse der guten Beziehungen nicht mehr eingehen will. Nun aber steht das klar im Vertrag drin: ausschließlich friedliche Mittel. Der Gewaltverzicht ist klar und total.

    (Abg. Dr. Stark [Nürtingen] : So einfach ist das alles nicht!)

    — Das ist ganz genau so einfach, wie ich es Ihnen vortrage.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Nun kommt der Art. 3. Da war ich bei den Verhandlungen ein bißchen dabei. Ich nehme nicht an, daß ich da Geheimnisse verrate, Der Art. 3 enthält einen ersten Satz, um den sogar ein bißchen gekämpft worden ist.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Ein bißchen!)

    Aber er steht ja nun da. Da heißt es: „In Übereinstimmung mit den vorstehenden Zielen und Prinzipien", nämlich mit dem vorstehenden Prinzip, daß man keine Gewalt anwenden will und sich auch nicht mit Gewalt bedrohen will. Dieses Prinzip soll auch in bezug auf die Grenzen gelten. Ja, das leuchtet mir nun wieder ein.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Denn wenn ich bei Grenzen Gewalt anwende, dann ist das doch wesentlich gefährlicher, als wenn ich sonstwo Gewalt anwende. Also, in Anwendung dieses Gewaltverzichts erklären nun die beiden Mächte, daß die Grenzen nicht angetastet werden sollen, — mit Gewalt. Das ist die logisch zwingende Folge aus diesem Eingangssatz, den wir da nach langen Verhandlungen hineingenommen haben. Das ist dadurch gewährleistet.
    Nun, sehen Sie, Verhandlungen unter Fachleuten und Diplomaten führen manchmal zu nicht ganz einfachen Ergebnissen, sondern sind manchmal ein bißchen kompliziert.
    Und nun mache ich Sie darauf aufmerksam, daß unter diesem ersten Obersatz drei Gedankenstriche stehen. Das, was auf diese Gedankenstriche folgt, ist in Übereinkunft von den Verhandelnden dazu ausersehen worden, Unterfälle dieses vorderen Satzes zu beschreiben. Art. 3 ist also ein Anwendungsfall des Art. 2, mithin ein Anwendungsfall des Satzes, daß man auf Gewalt verzichtet. Und dann wird in Art. 3 als Anwendungsfall eben besonders herausgestellt, daß die Grenzen nicht mit Gewalt angetastet werden.



    Dr. Achenbach
    Nun bestand das Bedürfnis, auch zu sagen, welche Grenzen. Denn Sie müssen ja wissen, daß die Positionen vorher anders waren. Es hat doch eine Zeit gegeben, wo der Partner auf unseren Vorschlag gesagt hat: Was heißt hier Gewaltverzicht? Das haben wir ja gar nicht nötig; das wollen wir auch gar nicht. Wenn ihr das aber wollt, dann müßt ihr erst einmal alles anerkennen und auf alles mögliche verzichten.

    (Zustimmung bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Apel: Genauso war es! Sehr richtig! — Weitere Zurufe von der SPD: So ist es gewesen!)

    Und sehen Sie, eben das haben wir nicht getan, damit das klar ist!

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Nun kommt noch der Art. 4 hinzu, und hier, Herr Kollege Schröder, appelliere ich wieder an Ihren juristischen Sachverstand und darf Ihnen noch ergänzend dazu mitteilen, daß bei der Abfassung des Art. 4 in ganz besonderer Weise an die Pariser Verträge gedacht und über sie gesprochen wurde, und zwar in erster Linie über Art. 7 des Vertrages zwischen uns und den drei Westmächten. — Art. 4 des Moskauer Vertrages lautet:
    Dieser Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken berührt nicht die von ihnen früher abgeschlossenen zweiseitigen und mehrseitigen Verträge und Vereinbarungen.
    Da haben wir also in erster Linie an diesen Pariser Vertrag, unseren Vertrag mit den Westmächten, gedacht, und zwar, wie gesagt, an Art. 7, dessen erster Satz so lautet:
    Die Unterzeichnerstaaten
    — also die Vereinigten Staaten, England, Frankreich und wir —
    sind darüber einig, daß ein wesentliches Ziel ihrer gemeinsamen Politik eine zwischen Deutschland und seinen ehemaligen Gegnern frei vereinbarte friedensvertragliche Regelung für ganz Deutschland ist, welche die Grundlage für einen dauerhaften Frieden bilden soll.
    Und ich darf Ihnen ganz ehrlich sagen: auf dem Standpunkt dieses Artikels stehe ich noch heute.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Stark [Nürtingen]: Ja, ja!)

    Ich bin darüber erfreut, daß sich die Westmächte hier dazu verpflichtet haben, mit uns einen Friedensvertrag zu schließen, der frei ausgehandelt werden soll und der den Frieden dauerhaft sichert.

    (Zustimmung des Abg. Wehner.)

    Nun wissen Sie, ein Frieden wird nicht dauerhaft gesichert, wenn man einen Vertrag schließt unter dem Motto: du hast den Krieg verloren, also mußt du ... — Vielmehr muß man den Friedensvertrag unter dieser Fragestellung aushandeln: wie muß der Friede aussehen, damit er im Interesse aller Beteiligten auf die Dauer gesichert ist?

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)