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    Deutscher Bundestag 172. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 24. Februar 1972 Inhalt: Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . 9833 A Bericht der Bundesregierung zur Lage der Nation 1972 (Drucksache VI/3080) in Verbindung mit Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 12. August 1970 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (Drucksache VI/3156) — Erste Beratung —, mit Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 7. Dezember 1970 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über die Grundlagen der Normalisierung ihrer gegenseitigen Beziehungen (Drucksache VI/3157) — Erste Beratung —, mit Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. Deutschland- und Außenpolitik (Drucksachen VI/2700, VI/2828) und mit Antrag der Fraktion der CDU/CSU betr. Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen (Drucksache VI/ 1523) — Fortsetzung der Aussprache — Franke, Bundesminister 9833 D Dr. von Weizsäcker (CDU/CSU) . 9837 C Mattick (SPD) 9843 A Amrehn (CDU/CSU) 9849 B Dr. Achenbach (FDP) . . . . . . 9853 B Dr. Marx (Kaiserslautern) (CDU/CSU) 9859 B Heyen (SPD) . . . . . . . . . 9869 D Dr. Ehmke, Bundesminister . . . . 9885 C Windelen (CDU/CSU) . . . . . . 9897 A Genscher, Bundesminister . . . . 9905 D Strauß (CDU/CSU) . . . . . . . 9909 C Schmidt, Bundesminister . 9916 A, 9934 C Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär 9929 B Dr. Barzel (CDU/CSU) . . . . 9933 C Dr. Wörner (CDU/CSU) . . . . 9935 A Fragestunde (Drucksache VI/3165) Frage des Abg. Cramer (SPD) : Anspruch mongoloider Kinder auf Ausstellung von Schwerbeschädigtenausweisen Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär 9872 B, C, D Cramer (SPD) . . . . . . . 9872 C, D Fragen des Abg. Vogt (CDU/CSU) : Vorlage des Vermögensbildungsberichts und des Sparförderungsberichts Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär . 9872 D, 9873 A, B , C, D Vogt (CDU/CSU) . . . . . . 9873 B, C II Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 172. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Februar 1972 Fragen des Abg. Varelmann (CDU CSU) : Einschränkung der von den Landesversicherungsanstalten gewährten Leistungen für Zahnersatz Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär . . 9873 D, 9874 A, C, D, 9875A Varelmann (CDU/CSU) . . . 9874 B, C, D, 9875 A Frage des Abg. Ott (CDU/CSU) : Anzeigenaktion der Bundesregierung über die Erweiterung der EWG Ahlers, Staatssekretär 9875 B, C, D, 9876 A, B Ott (CDU/CSU) . . . . . . . 9875 C, D Dr. Schmitt-Vockenhausen, Vizepräsident . . . . . . . . 9875 D Dr. Jahn (Braunschweig) (CDU/CSU) 9876 A Damm (CDU/CSU) 9876 B Fragen des Abg. Engholm (SPD) : Vorschriften über die Haarlänge der Beamten des Bundesgrenzschutzes — Zurverfügungstellung von Haarnetzen und Vorgehen gegen Beamte mit langen Haaren Genscher, Bundesminister 9876 C, D, 9877 A Engholm (SPD) 9876 D Dr. Schmitt-Vockenhausen, Vizepräsident 9877 A Fragen der Abg. Dr. Schneider (Nürnberg) und Niegel (CDU/CDU) : Errichtung von Betreuungsstellen und Regionalsektionen der Kommunistischen Partei Italiens in der Bundesrepublik Genscher, Bundesminister . . . 9877 B, C, 9878 D, 9879 A, B, C , D, 9880 A, B , C, D, 9881 A Dr. Schneider (Nürnberg) (CDU/CSU) 9878 D, 9879 A Niegel (CDU/CSU) 9879 B, C Brück (Köln) (CDU/CSU) . . . 9879 D Matthöfer (SPD) . . . . . . . 9879 D von Thadden (CDU/CSU) . . . 9880 A Dr. Becher (Pullach) (CDU/CSU) . 9880 B Dr. Miltner (CDU/CSU) . . . . 9880 C Dr. Lenz (Bergstraße) (CDU/CSU) . 9880 D Vogel (CDU/CSU) . . . . . . . 9880 D Frage des Abg. Büchner (Speyer) (SPD) : Angabe von Orden und Ehrenzeichen in Personalbogen des öffentlichen Dienstes Genscher, Bundesminister . . . 9881 B, C Büchner (Speyer) (SPD) . . . . 9881 B, C Frage des Abg. Offergeld (SPD) : Erkenntnisse über die Wirkungen von Naßkühltürmen auf Klima und Luft — Kühlsysteme der Kernkraftwerke Kaiseraugst und Leibstadt Genscher, Bundesminister . . . . 9881 D, 9882 A, B Offergeld (SPD) . . . . . . . . 9882 A Josten (CDU/CSU) . . . . . . . 9882 B Frage des Abg. Schlee (CDU/CSU) : Verletzung der Gebietshoheit und des Asylrechts der Bundesrepublik am 2. Februar 1972 an der deutsch-tschechoslowakischen Grenze Genscher, Bundesminister . . . 9882 C, D, 9883 A Schlee (CDU/CSU) 9882 D Dr. Wittmann (München) (CDU/CSU) 9883 A Fragen des Abg. Müller (Mülheim) (SPD) : Zielsetzung des Umweltforums und in ihm vertretene Organisationen — Stand der Vorbereitungen Genscher, Bundesminister . , 9883 B, C, D, 9884 A Müller (Mülheim) (SPD) . . . 9883 B, C, D Dr. Jahn (Braunschweig) (CDU/CSU) 9883 D Fragen des Abg. Dr. Häfele (CDU/CSU) : Einführung von Bewirtschaftungszuschüssen in landwirtschaftlichen Problemgebieten Ertl, Bundesminister . . . . 9884 B, C, D Dr. Häfele (CDU/CSU) . . . . 9884 C, D Frage des Abg. Höcherl (CDU/CSU) : Erklärung des Bundesministers Ertl in der Agrardebatte der Beratenden Versammlung des Europarates über Inflationsraten Ertl, Bundesminister . . . . 9885 A, B, C Höcherl (CDU/CSU) . . . . . 9885 B, C Nächste Sitzung 9935 C Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 172. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Februar 1972 III Anlagen Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 9937 A Anlage 2 Schriftliche Antwort auf die Mündlichen Fragen der Abg. Frau Brauksiepe (CDU/ CSU) betr. Förderung der Arbeit des Deutschen Jugendherbergwerks . . . . 9937 B Anlage 3 Schriftliche Antwort auf die Mündliche Frage des Abg. Wagner (Günzburg) (CDU/CSU) betr. politische Extremisten im öffentlichen Dienst . . . . . . . 9937 C Anlage 4 Schriftliche Antwort auf die Mündliche Frage des Abg. Pieroth (CDU/CSU) betr Zahl der unbearbeiteten Anträge bei den Ausgleichsämtern 9937 D Anlage 5 Schriftliche Antwort auf die Mündliche Frage des Abg. Lenzer (CDU/CSU) betr. einheitliches Urheberrecht für EDV-Programme 9938 A Anlage 6 Schriftliche Antwort auf die Mündlichen Fragen des Abg. Zander (SPD) betr. Ermittlungsverfahren gegen Monika Berberich als Gegenstand der Tätigkeit der Organisation Amnesty International . . 9938 B Anlage 7 Schriftliche Antwort auf die Mündliche Frage des Abg. Wagner (Günzburg) (CDU/CSU) betr. wiederholte Vernehmung von Kindern und Heranwachsenden in Strafverfahren wegen an ihnen begangener Sittlichkeitsdelikte . . . . 9938 C Anlage 8 Schriftliche Antwort auf die Mündlichen Fragen des Abg. Kater (SPD) betr. Auswirkungen der Explosionen in den Anlagen der Niederländischen Gas-Union auf die Belieferung der Abnehmer von Erdgas in der Bundesrepublik . . . . 9939 B Anlage 9 Schriftliche Antwort auf die Mündlichen Fragen des Abg. Weigl (CDU/CSU) betr. Nachentrichtung von Beiträgen und Novellierung der Altershilfe für Landwirte 9939 D Anlage 10 Schriftliche Antwort auf die Mündliche Frage des Abg. Dr. Schulze-Vorberg (CDU/CSU) betr. Interview des Bundesministers Ehmke bezüglich der Konzentrationsbewegung in der Presse . . . 9940 B Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 172. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Februar 1972 9833 17 2. Sitzung Bonn, den 24. Februar 1972 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
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    Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 172. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Februar 1972 9937 Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Bals *** 25. 2. Bredl 4. 3. Dasch 3.3. Dr. Dittrich 25. 2. Draeger *** 25. 2. Freiherr von und zu Guttenberg 4. 3. Frau Dr. Henze 18. 3. Kahn-Ackermann *** 26. 2. Lautenschlager * 24. 2. Lenze (Attendorn) *** 25. 2. Lücker (München) * 24. 2. Mertes 25. 2. Pöhler *** 25. 2. Richarts 25. 2. Rinderspacher *** 25. 2. Schulte (Schwäbisch-Gmünd) 25. 2. Dr. Seume 25. 2. * Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments *** Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen der Versammlung der Westeuropäischen Union Anlage 2 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Westphal vom 22. Februar 1972 auf die Mündlichen Fragen der Abgeordneten Frau Brauksiepe (CDU/CSU) (Drucksache VI/3165 Fragen A 4 und 5) : Hält die Bundesregierung - in Anbetracht der Tatsache, daß in deutschen Jugendherbergen im Jahre 1971 eine Gesamtzahl von fast 9 Millionen Übernachtungen erreicht wurde, darunter etwa eine Million Übernachtungen junger Ausländer - die Arbeit des Deutschen Jugendherbergwerks für eine vorrangig zu fördernde Aufgabe der Jugendarbeit, insbesondere im Hinblick auf die vielfältige und nachhaltige Gelegenheit internationaler Begegnungen? Ist sie bereit und sieht sie eine Möglichkeit, den Bundesjugendplan dahin gehend zu überprüfen und die Arbeit des Jugendherbergwerks wirksamer als bisher finanziell zu unterstützen? Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die Arbeit des Deutschen Jugendherbergwerkes eine besonders förderungswürdige Aufgabe der Jugendarbeit darstellt. Dies wird durch die Tatsache belegt, daß die Förderung sowohl des Baues von Jugendherbergen als auch der Jugendarbeit in den Jugendherbergen in den vergangenen Jahren beträchtlich verstärkt worden ist. Die Bundesregierung ist bereit, das Deutsche Jugendherbergwerk bei dem Ausbau des Jugendherbergnetzes weiterhin nachhaltig zu unterstützen. Dafür wurden bisher alljährlich 2,8 Mio DM zur Verfügung gestellt, wozu Ländermittel in zumindest gleicher Höhe kamen. Bereits im vergangenen Haushaltsjahr konnten im Rahmen des Zonenrandförderungsgesetzes dem Deutschen Jugendherbergwerk Anlagen zum Stenographischen Bericht zusätzliche Mittel in erheblichem Ausmaß (ca. 2,5 Mio DM) zur Verfügung gestellt werden. Diese zusätzliche Förderung wird 1972 fortgesetzt und findet auch in der Finanzplanung Berücksichtigung. Anlage 3 Schriftliche Antwort des Bundesministers Genscher vom 24. Februar 1972 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Wagner (Günzburg) (CDU/CSU) (Drucksache VI/3165 Frage A 43) : In welcher Weise gedenkt die Bundesregierung der durch Bundesinnenminister Genscher wiederholt erteilten Absage an politische Extremisten im öffentlichen Dienst Rechnung zu tragen? Der Bundeskanzler und die Regierungschefs der Länder haben bei ihrer Konferenz in Bonn am 28. Januar 1972 eine gemeinsame Erklärung darüber abgegeben, welche Maßnahmen nach dem geltenden Recht zu treffen sind. Nach den dort formulierten Grundsätzen werden die Bundesbehörden verfahren. Anlage 4 Schriftliche Antwort des Bundesminister Genscher vom 24. Februar 1972 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Pieroth (CDU/CSU) (Drucksache VI/3165 Frage A 49) : Hat die Bundesregierung einen Überblick über die Zahl der unbearbeiteten Anträge bei den Ausgleichsämtern, insbesondere auch über Altersstruktur der wartenden Antragsteller? Von den 7 103 372 Anträgen auf Feststellung von Vertreibungsschäden, Kriegsschäden und Ostschäden nach dem Feststellungsgesetz waren Ende 1971 308 234 Anträge (= 4,31 v. H.) noch nicht abschließend bearbeitet. Im Zuerkennungsverfahren waren 69 174 Fälle (= 1,3 v. H.) noch nicht abgeschlossen. Von den 4 255 301 zuerkannten Ansprüchen auf Hauptentschädigung waren 161 587 (= 3,9 v. H.) noch nicht erfüllt. In 597 961 Fällen konnten die zuerkannten Hauptentschädigungsansprüche nicht oder nur teilweise erfüllt werden, weil die Erfüllung wegen noch laufender Kriegsschadenrente oder aus sonstigen gesetzlichen Gründen gesperrt ist. Ein höherer Bearbeitungsrückstand ergibt sich bei den Anträgen auf Feststellung von Vermögensschäden in Mitteldeutschland und im Gebiet von Berlin (Ost) nach dem Beweissicherungs- und Feststellungsgesetz (BFG) vom 22. Mai 1965. Hier sind bis zum 31. Dezember 1971 insgesamt 384 079 Feststellungsanträge eingereicht worden, von denen bis dahin 264 434 Anträge (= 69,1 v. H.) noch in Bearbeitung waren. 9938 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 172. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Februar 1972 Von den 81 637 im Feststellungsverfahren positiv erledigten Anträgen sind 25 777 Fälle (= 31 v. H.) im Zuerkennungsverfahren noch unerledigt. Von den zuerkannten Ansprüchen auf Hauptentschädigung waren 35 156 voll erfüllt. 20 481 Ansprüche konnten nicht oder nur teilweise erfüllt werden, weil wegen der Gewährung laufender Beihilfe oder aus sonstigen gesetzlichen Gründen eine Auszahlung nicht möglich war. Einen Überblick über die Altersstruktur der wartenden Antragsteller hat die Bundesregierung nicht. Anlage 5 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Bayerl vom 24. Februar 1972 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Lenzer (CDU/CSU) (Drucksache VI/3165 Frage A 50) : Wie beurteilt die Bundesregierung ein einheitliches Urheberrecht für EDV-Programme, und was hat sie in dieser Hinsicht bisher unternommen? Die Frage des Schutzes der EDV-Programme wird zur Zeit von der Weltorganisation für geistiges Eigentum im Auftrage der Vereinten Nationen untersucht. Dabei wird insbesondere auch geprüft, ob für EDV-Programme ein Schutz durch das Urheberrecht, durch Patente oder Gebrauchsmuster oder aufgrund der Vorschriften gegen den unlauteren Wettbewerb ausreichend und angemessen ist oder ob es zweckmäßig erscheint, ein neues Schutzrecht für EDV-Programme zu schaffen. Die Bundesregierung hält es für angebracht, zunächst das Ergebnis dieser Untersuchung abzuwarten, da angesichts der internationalen Bedeutung des Problems des Schutzes der EDV-Programme eine Rechtsangleichung sehr erwünscht ist. Sofortige Maßnahmen auf nationaler Ebene sind nach Auffassung der Bundesregierung nicht erforderlich. EDV-Programme genießen, soweit sie persönliche geistige Schöpfungen sind, den Schutz nach dem Urheberrechtsgesetz. Im übrigen greift ergänzend der Schutz des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb ein, wenn EDV-Programme von Dritten in unlauterer Weise ausgenutzt werden. Anlage 6 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Bayerl vom 24. Februar 1972 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Zander (SPD) (Drucksache VI/3165 Frage A 53) : Welche Konsequenzen gedenkt die Bundesregierung aus der Tatsache zu ziehen, daß die zur Hilfe für politische Häftlinge gegründete Organisation Amnesty International den Fall Monika Berberich aufgreifen will? Die Bundesregierung sieht keinen Anlaß, aufgrund der Tatsache, daß Amnesty International das Ermittlungsverfahren gegen Monika Berberich zum Gegenstand seiner Tätigkeit gemacht hat, irgendwelche Maßnahmen zu ergreifen. Dies ist schon deswegen nicht erforderlich, weil die Bundesanwaltschaft am 18. Februar 1972 den Generalsekretär von Amnesty International auf dessen Wunsch ausführlich über den bisherigen Verlauf des Verfahrens informiert und dabei insbesondere auch die Gründe für die Dauer der Untersuchungshaft erörtert hat. Der Generalsekretär von Amnesty-International hat aufgrund dieser Informationen am gleichen Tage in Karlsruhe auf einer Pressekonferenz im Namen seiner Organisation erklärt, daß Beanstandungen gegen die bisherige Behandlung des Verfahrens nicht zu erheben seien. Inzwischen hat die Bundesanwaltschaft das Verfahren an die Strafverfolgungsbehörden Berlin abgegeben. Anlage 7 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Bayerl vom 24. Februar 1972 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Wagner (Günzburg) (CDU/CSU) (Drucksache V1/3165 Frage A 55) : Ist der Bundesregierung bekannt, daß Kinder und Heranwachsende schweren psychischen Belastungen ausgesetzt sind, wenn sie in dem Strafverfahren wegen eines an ihnen begangenen Sittlichkeitsdeliktes mehrmals als Zeugen vernommen werden, und ist sie bereit, durch eine Gesetzesinitiative sicherzustellen, daß von weiteren Zeugeneinvernahmen bei späteren Beweisaufnahmen dann abzusehen ist, wenn bereits eine gerichtlich protokollierte Aussage vorliegt? Ich darf mir vorweg den Hinweis erlauben, daß das von Ihnen angeschnittene Problem bereits Gegenstand von Erörterungen des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform ist. Anläßlich der Beratungen über das 4. Strafrechtsreformgesetz hat der Sonderausschuß hierzu eine an den Bundesminister der Justiz gerichtete Entschließung gefaßt und den Bundesminister der Justiz gebeten, zu dem in der Entschließung enthaltenen Fragenkatalog Stellung zu nehmen. Mein Haus hat über die Landesjustizverwaltungen die gerichtliche und staatsanwaltliche Praxis zu diesen Fragen gehört und entsprechende gesetzliche Regelungen ausländischer Staaten überprüft. Das Ergebnis der Auswertung des umfangreichen Materials wird in diesen Tagen dem Sonderausschuß zugeleitet werden. Aufgrund des meinem Hause vorliegenden Materials wird davon auszugehen sein, daß unter Psychologen und bei der gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Praxis weitgehend Übereinstimmung darüber besteht, daß Kinder und Heranwachsende psychischen Belastungen ausgesetzt sein können, wenn sie in dem nachfolgenden Strafverfahren wegen eines an ihnen begangenen Sittlichkeitsdelikts als Zeugen vernommen werden. Dabei birgt insbesondere die wiederholte Vernehmung des kindlichen oder jugendlichen Zeugen die Gefahr eines schädigenden Einflusses in sich. Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 172. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Februar 1972 9939 Um diese Gefahr auszuschließen, wäre an sich eine Regelung erstrebenswert, die im Prinzip nur eine richterliche Vernehmung des kindlichen oder jugendlichen Zeugen zuläßt und als Regelfall die Verlesung dieser Vernehmungsniederschrift in der Hauptverhandlung vorsieht. Eine entsprechende Regelung erscheint allerdings nicht unproblematisch. Sie wird von der gerichtlichen Praxis einhellig abgelehnt. Eine entsprechende gesetzliche Bestimmung würde einen tiefgreifenden Eingriff in die Struktur des Strafprozesses bedeuten, da damit der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme durchbrochen würde. Der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme zählt aber zu den wichtigsten Prinzipien unseres Strafverfahrensrechts. Er gewährleistet, daß das erkennende Gericht von den zur Rekonstruierung des Sachverhalts benutzten Beweismitteln in unmittelbar eigener sinnlicher Wahrnehmung Kenntnis erlangt. Dies ist gerade von besonderer Bedeutung in Strafverfahren wegen Sittlichkeitsdelikten, in denen kindliche oder jugendliche Opfer oft als einzige Zeugen, zumindest aber als Hauptbelastungszeugen auftreten. Es muß auch darauf hingewiesen werden, daß dem berechtigten Wunsch nach besonderem Schutz kindlicher und jugendlicher Zeugen vor schädlichen Nebenwirkungen des Strafverfahrens die rechtsstaatliche gegründete Forderung nach unbeschränkter Verteidigung des Angeklagten gegenübersteht. Diese Antinomie dürfte nicht ohne eine schwer zu vertretende Beschränkung des Rechts der Verteidigung aufgelöst werden können. Die Bundesregierung wird jedoch im Rahmen der bereits in Angriff genommenen Reform des Strafverfahrensrechts mit Vorrang auf eine gesetzliche Regelung hinwirken, die der besonderen psychischen Situation des kindlichen und jugendlichen Opfers von Sittlichkeitsdelikten im anschließenden Strafverfahren gerecht wird. Welcher gesetzgeberischen Lösung angesichts der hier nur kurz aufgezeigten Schwierigkeiten der Vorzug zu geben ist, bedarf noch weiterer eingehender Überlegungen. Anlage 8 Schriftliche Antwort des Staatssekretärs Dr. Rohwedder vom 23. Februar 1972 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Kater (SPD) (Drucksache VI/3165 Fragen A 58 und 59) : Welche Auswirkungen hatten nach Auffassung der Bundesregierung die Folgen der Sprengstoffexplosionen in den Kompressoranlagen der Niederländischen Gasunion in Ravenstein und Ommen auf die Belieferung der Abnehmer von Erdgas in der Bundesrepublik Deutschland? Was hat die Bundesregierung getan bzw. was gedenkt sie zu veranlassen, um Vorsorge für den Fall des Entstehens von in den Niederlanden verursachten Versorgungsschwierigkeiten für die Abnehmer von Erdgas in der Bundesrepublik Deutschland zu treffen? Die Sprengstoffexplosionen in den Kompressoranlagen der Niederländischen Gas-Union hatten auf die Belieferung der Letztabnehmer von Erdgas in der Bundesrepublik keine nennenswerten Auswirkungen. Lediglich solche Abnehmer haben Liefereinschränkungen hinnehmen müssen, bei denen Lieferunterbrechungen vertraglich zulässig sind. Die Bundesregierung betrachtet gerade die niederländischen Erdgasvorkommen als eine sehr sichere Energiequelle für den deutschen Energiemarkt. Sie wird in dieser Auffassung dadurch noch bestärkt, daß die niederländische Regierung unverzüglich Sicherheitsmaßnahmen beschlossen hat, um auch außergewöhnliche Vorkommnisse wie Sprengstoffanschläge für die Zukunft zu verhindern. Wirksamster Schutz auch gegen solche Versorgungsstörungen ist im übrigen nach Auffassung der Bundesregierung eine Politik der Diversifikation der Bezugsquellen sowie der weitere Ausbau des Erdgas-Verbundsystems, das wechselseitige Aushilfen der Verbundpartner, auch über die Staatsgrenzen hinweg, ermöglicht. Die Versorgungssicherheit der Verbundpartner wird um so größer, je mehr Erdgasquellen und Erdgasspeicher in dieses System eingebunden werden. Die Bundesregierung ermutigt alle Bemühungen, die auf die Erschließung neuer Lieferquellen, auf die Anlage von Erdgasspeichern und auf den Ausbau eines umfassenden europäischen Erdgas-Verbundsystems gerichtet sind. Dies ist ein Weg, auf dem die deutsche Gaswirtschaft schon ein gutes Stück vorangekommen ist. Für den Fall gleichwohl eintretender Versorgungsstörungen liegen schließlich bei den einzelnen Ferngasgesellschaften bis ins einzelne ausgearbeitete Abschaltpläne vor, um nach Maßgabe der geringsten Beeinträchtigung die Auswirkungen einer solchen Störung in möglichst engen Grenzen zu halten. Dabei wird der Versorgung der Kommunen und damit der privaten Haushalte sowie der Belieferung der Abnehmer, die nicht auf andere Energiearten ausweichen können, Vorrang eingeräumt. Anlage 9 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Rohde vom 23. Februar 1972 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Weigl (CDU/CSU) (Drucksache VI/3165 Fragen A 89 und 90) : Wird die Bundesregierung Landwirten, die sich bei der Einführung der Altershilfe für die Landwirtschaft von den Beitragszahlungen befreien ließen, eine Nachversicherungsmoglichkeit einräumen? Wie groß ist der oben angesprochene Personenkreis? Bei der vorgesehenen Novellierung der Altershilfe für Landwirte wird die Bundesregierung auch die Möglichkeiten für einen Verzicht auf die Befreiung von der Beitragspflicht und die damit verbundene Frage der Nachentrichtung von Beiträgen prüfen. Dabei ist jedoch eine differenzierte Betrachtung erforderlich, da es sich um unterschiedliche Befreiungstatbestände mit entsprechend unterschiedlichen Motivationen handelt. Und zwar sind diejenigen Personen, die sich bei Einführung der Altershilfe für Landwirte im Jahre 9940 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 172. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Februar 1972 1957 auf Grund eines privatrechtlichen Versicherungsvertrages haben befreien lassen, von jenen Personen zu unterscheiden, die wegen einer anderweitigen gesetzlichen Versicherung oder Versorgung befreit worden sind. Im ersten Fall ist zu prüfen, ob die Voraussetzungen, unter denen der Entschluß zur Befreiung seinerzeit gefaßt worden ist, nicht so verändert sind, daß eine Korrektur der damaligen Entscheidung ermöglicht werden sollte. Im zweiten Fall haben die Versicherungs- und Versorgungsansprüche an der allgemeinen Fortentwicklung teilgenommen, so daß er sich in einem anderen Licht darstellt. Soweit es die Zahlen angeht, möchte ich folgendes anmerken: Nach der Quartalstatistik der landwirtschaftlichen Alterskassen (Stichtag 31. Dezember 1971), die vom Gesamtverband der landwirtschaftlichen Alterskassen herausgegeben wird, beträgt die Zahl der beitragsbefreiten Landwirte insgesamt 60 422. Die Zahl derjenigen, die auf Grund eines privatrechtlichen Versicherungsvertrages befreit worden sind, dürfte bei 2 500 liegen. Anlage 10 Schriftliche Antwort des Bundesministers Dr. Ehmke vom 24. Februar 1972 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg (CDU/CSU) (Drucksache VI/3165 Frage A 117) : Entsprechen die Auffassungen, die Bundesminister Ehmke in einem Interview mit dem Bonner „General-Anzeiger" vom 7. Januar 1972 — auch nachgedruckt im Bulletin vom 8. Januar 1972 — zu den Problemen der Massenmedien darlegte, den in den zuständigen Bundesministerien entwickelten Vorstellungen, und teilt die Bundesregierung insbesondere die Behauptungen des Bundesministers "Hinsichtlich der Pressekonzentration -muß man sich klarmachen, daß ein Teil des Konzentrationsvorgangs allein aus betriebswirtschaftlichen Gründen notwendig ist und daß die Zusammenlegung oft zu einem besseren Niveau der Zeitungen führt. Man muß auch lokale Zeitungsmonopole durch den Ausbau regionaler Rundfunk- und Fernsehsender auszugleichen suchen. Dennoch ist der Gedanke einer als öffentlich-rechtliche Körperschaft organisierten Zeitung ein interessantes theoretisches Modell, wenn wir nämlich unterstellen, daß es am Ende des Konzentrationsprozesses nur noch eine Zeitung mit einer absoluten Monopolstellung geben könnte. Wir sollten es aber auf keinen Fall zu einer solchen Situation kommen lassen, in der die Frage verneint werden muß, ob Zeitungen überhaupt noch auf privater Basis gemacht werden dürfen."? In dem von Ihnen zitierten Interview habe ich ausgeführt, daß ein Teil der Konzentrationsbewegung in der Presse auf betriebswirtschaftliche Zwänge zurückzuführen ist. Es handelt sich hierbei um eine Feststellung, die schon im Schlußbericht der Pressekommission vom 22. Mai 1968 dargelegt ist. Ein gewisses Maß von Konzentration kann aber durchaus dem Informationsinteresse des Bürgers dienen, soweit nämlich leistungsschwache und überalterte Pressebetriebe durch leistungsstarke und rationell arbeitende Betriebe ersetzt werden, die eine zuverlässigere und vielseitigere Information bieten können. Hiervon ausgehend habe ich weiter die Auffassung vertreten, daß der Pressekonzentration dann entgegengewirkt werden muß, wenn eine ausreichende Meinungsvielfalt in der Presse nicht mehr gewährleistet ist. Diese Auffassung deckt sich nicht nur mit der der Bundesregierung; ich gehe sogar davon aus, daß auch Sie ihr zustimmen. Falls es einmal dazu kommen sollte, daß die Vielfalt der Presse aufgrund der wirtschaftlichen Konzentration Meinungsmonopolen weichen müßte, dann stünde als Ausweg zur Erhaltung der Meinungsvielfalt das Denkmodell einer als öffentlich-rechtlichen Körperschaft organisierten Zeitung zur Debatte. Diese Frage, die mir in jenem Interview gestellt wurde, ist heute nicht akut, und ich hoffe, daß sie nie akut wird.
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    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch nach den Ausführungen des Herrn Kollegen Schröder zum Schluß der gestrigen Debatte — eine rhetorische Leistung, die Respekt verlangt — bleibt die CDU/CSU bisher immer noch die Antwort auf die Frage schuldig, was von der Regierung in die Verträge nicht eingebracht werden mußte, konnte und durfte, ganz zu schweigen davon, daß die Alternative der CDU zu unserer Politik nicht zu sehen ist. Aber vielleicht kommt das ja noch.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    Der CDU-Vorsitzende hat gestern gemahnt, neben spärlichen Lichtschimmern die überwiegenden



    Bundesminister Franke
    Schatten der Lage der Nation konkret zu betrachten. Wir kennen diese Schatten. Wir kennen auch alle Daten. Warum sonst unternimmt diese Bundesregierung Schritt für Schritt Anstrengungen, um ein Mehr an Entspannung, Normalisierung und Entkrampfung zu erreichen, wenn sie nicht das Übermaß an Abnormität der Verhältnisse und des Verhaltens an der Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten vor Auge hätte! Nach Auffassung der Bundesregierung bedarf die Deutschlandpolitik unter den gegebenen Verhältnissen der Nüchternheit, der Geduld

    (Abg. Dr. Schulze-Vorberg: „Geduld" ist richtig!)

    und der Selbstbeherrschung, ja des langen Atems.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Sehr gut!, Bravo-Rufe und Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich freue mich sehr, daß wir darin übereinstimmen. Es kommt ja nicht darauf an, wie der eine oder andere das entstellt. Sie werden, wenn Sie diese Aussage überprüfen, nicht umhin können zuzugeben, daß von Anbeginn diese Bundesregierung nie Illusionen geweckt hat.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    Von Anfang an hat sie betont, daß wir einen mühsamen Weg antreten, daß es gilt, voranzukommen und, wenn es sein muß, sich millimeterweise voranzukratzen. Das waren die Aussagen, die hier an dieser Stelle zu jeder Zeit gemacht wurden, und ich bitte Sie herzlich darum, das so ernst zu nehmen, wie es gesagt wurde; denn sonst wäre es eine Verkennung der Tatbestände, und uns liegt es überhaupt nicht, von solchen Voraussetzungen aus an die Arbeit zu gehen.
    Am Anfang unserer Deutschlandpolitik — und das ist der Versuch, bei allen Gegensätzen die praktischen Verhältnisse zu entkrampfen — steht die Erkenntnis, daß die polemischen Schelten und Pauschalurteile früherer Jahre hüben und drüben nicht weiterführen. Wir, die politisch Handelnden und die Öffentlichkeit insgesamt, müssen eine möglichst rationale Vorstellung gewinnen auch darüber, wie es im anderen Teil Deutschlands im Vergleich zu uns aussieht, was die beiden Gesellschaften leisten, nach welchen Normen und Regeln sie sich richten, wie sie gelenkt und organisiert sind.
    Die Bundesregierung hat sich darum vor zwei Jahren entschlossen, ihren jeweiligen Berichten zur Lage der Nation wissenschaftlich erarbeitete Materialien beizugeben. Sie beauftragte unabhängige Wissenschaftler mit der Untersuchung und gegenüberstellenden Darbietung von methodisch gesicherten Erkenntnissen über die einzelnen Lebensbereiche bei uns und in der DDR. Ein solches Vorhaben verlangt Distanz und Selbstbeherrschung. Beides war für die Wissenschaftler selbstverständlich, denen dafür unser Dank gilt; denn sie haben einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, das, was wir an Auseinandersetzungen zu bestehen haben, so sachlich zu untermauern, daß dadurch die Aussage unserer Auffassungen und Argumente nur an Qualität gewinnen kann, und das gilt für alle hier in diesem Teil Deutschlands, die sich an dieser Diskussion beteiligen. Der Öffentlichkeit aber, die auf ein schnelles und klares Urteil dringt, mutet diese Methode ein sehr hohes Maß an Aufmerksamkeit und Geduld zu. Die Bundesregierung ist sich dessen bewußt, glaubt aber dennoch, ja eigentlich gerade deswegen, nicht auf diese Zumutung verzichten zu können.
    Das Grundgesetz schreibt uns vor, die nationale Einheit zu wahren, und es ist eine Selbstverständlichkeit — dennoch betone ich es besonders —, daß die Bundesregierung ihre ganze Kraft einsetzt, diesem Auftrag gerecht zu werden. Was aber wäre unser Bekenntnis zur Einheit der Nation wert, wenn wir nicht einmal die Mühe auf uns nähmen, die Dinge in ihrer ganzen Breite und Kompliziertheit zur Kenntnis zu nehmen, wenn wir darauf verzichteten, uns im einzelnen über den anderen, uns in vielem so fremden deutschen Staat zu informieren: über die Leistungen seiner Menschen, seine Ordnung, über seine innere und äußere Statur, sein Selbstverständnis und die Art und Weise, wie er mit den ihm an-heimgegebenen Menschen umgeht? Wie dieser Staat an seinen Grenzen zur Bundesrepublik und wie er an der Mauer zwischen Ost- und West-Berlin mit seinen Bürgern verfährt, das wissen wir, das erfüllt uns mit Bitterkeit und Abscheu. Aber wir müssen auch wissen, daß dies nicht die ganze Wirklichkeit der DDR ist.
    Die Bundesregierung ist zuversichtlich, daß es den diesjährigen Materialien ähnlich ergeht wie den vorjährigen, daß sie Kenntnisse mehren und Interesse nach Vertiefung wecken, nicht nur in der breiten Öffentlichkeit, sondern auch in der Wissenschaft selbst. Die Materialien 1972 stellen wichtige Rechtsnormen in beiden Staaten Deutschlands im Vergleich dar. Allerdings hat sich gezeigt, daß die Rechtssysteme teilweise so stark voneinander abweichen, daß sie, wie etwa bei Teilen des öffentlichen Rechts, weniger verglichen als nur mehr einander gegenübergestellt werden können. Doch auch die Konfrontation, bei der jedes System aus seinen eigenen Denk- und Wertkategorien heraus beschrieben wird, schafft Einsichten in die Wirklichkeit.
    Mit der Vorlage der diesjährigen Materialien ist die Bestandsaufnahme aus den erfaßbaren Bereichen noch nicht abgeschlossen. Weitere Arbeiten ähnlicher Art werden in den nächsten Jahren folgen, um das Bild vervollständigen zu können. Es geht also der Bundesregierung nicht darum, die Unterschiede und Gegensätze zu verwischen, sondern darum, diese inhaltlich greifbar zu machen und sachlich festzuhalten.
    Materialien der vorgelegten Art setzen uns in den Stand zu erkennen, was die Spaltung unseres Volkes in Staaten und unterschiedliche Systeme tatsächlich bedeutet. Dieses Wissen, so herausfordernd und vielleicht auch deprimierend es vielfach sein mag, muß in unser Bewußtsein und Bemühen um die Einheit der Nation hineingenommen werden. Dies ist der uns gemäße rationale Weg: aus der Anstrengung des Begreifens das Bewußtsein der Verbundenheit



    Bundesminister Franke
    mit den Menschen in der DDR wachzuhalten. In Ziel
    und Methode entspricht dieser Weg unserer Politik.
    Welchen Aufruhr gab es vor zwei Jahren, als die Materialien zum Bericht zur Lage der Nation nüchtern feststellten:
    Die deutsche Nation ist auf dem Boden Deutschlands in seinen tatsächlichen Grenzen von 1970 in zwei Staaten gegliedert.
    Der Bundesregierung wird seither vorgehalten, sie gehe vor der schieren Macht in die Knie, sie kapituliere vor Kommunisten, sie ziehe unsere rechtsstaatlichen Grundsätze in den Dreck. Die so sprechen, meine Damen und Herren, setzen sich dem Verdacht aus, die demokratische rechtsstaatliche Moral als Feigenblatt für das Verbergen unliebsamer Tatsachen zu benutzen. Unsere Grundsätze und Überzeugungen dürfen nicht dafür herhalten, uns um die Folgen des Krieges und der Niederlage herumzumogeln. Hier zeigt sich, ob wir ernstlich bereit sind, politisch verantwortlich für die ganze Nation zu sprechen und zu handeln.
    Die heutige Opposition hält sich zugute, in den Westverträgen die deutsche Frage offengehalten zu haben. Einer ihrer gewichtigsten Vertreter drückt das so aus:
    Es war seinerzeit der erste Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer, der den Westmächten einige unliebsame Verpflichtungen als Gegenleistung für unseren Eintritt in die westliche Gemeinschaft aufgezwungen hat.
    Meine Damen und Herren, das Ehrenhafteste, das sich über die damalige Entscheidung sagen läßt, ist, daß sie eine Entscheidung für die Freiheit war, auf Kosten der Einheit, gewiß, aber für die Freiheit und die Demokratie und ihre Sicherung nach außen in diesem Teil unseres Vaterlandes. Diese Option, so meine ich, darf auch rückblickend nicht dem Verdacht ausgesetzt werden, sie sei um irgendwelcher anderweitiger Leistungen oder Gegenleistungen willen erfolgt. Das gebietet die Solidarität unter Demokraten; ich greife in diesem Zusammenhang das Wort des Fraktionsvorsitzenden der Opposition bewußt auf, um daran zu appellieren, daß bei all den Betrachtungen, die wir anzustellen haben, dieser Tatsache ganz besonders gedacht werden muß. Die Bundesrepublik Deutschland ist mit den westlichen Demokratien verbündet, weil sie selber eine Demokratie ist und bleiben will. Wir sollten uns nicht scheuen, uns zu dieser Staatsräson zu bekennen. Das hilft uns auch, die grundlegenden Dinge, die mit der Entstehung unseres Staates zu tun haben, in den richtigen Proportionen zu sehen.
    Die Politik des Offenhaltens der deutschen Frage kann nur durchgehalten werden, wenn wir sie glaubwürdig vertreten. Glaubwürdigkeit nach innen wie nach außen setzt die Bereitschaft und die Fähigkeit voraus, unser nationales Problem richtig und dimensionsgerecht in die europäische Landschaft einzufügen. Wir dürfen uns nicht überschätzen und die Erfahrungen unserer Nachbarvölker in Ost und West nicht unterschätzen. Die Lösungsbedürftigkeit der deutschen Frage ist kein Hebel zur Umstürzung
    der grundlegenden Territorial- und Machtverhältnisse. Eine deutsche Politik, die das versuchte, fände in beiden Teilen Europas kein Verständnis. Sie löste mehr denn je Widerstände und Mißverständnisse aus. Sie brächte uns um jenen Teil der Handlungsfähigkeit im Dienste unserer nationalen Anliegen, den wir nur in enger Übereinstimmung mit unseren westlichen Verbündeten und in realistischer Einschätzung der Interessen unserer osteuropäischen Nachbarvölker gewinnen können.
    Meine Damen und Herren, schon die Regierung der Großen Koalition erkannte, daß die Trennung unseres Volkes eigene Probleme und Gefahren mit sich bringt, ganz zu schweigen von den individuellmenschlichen Folgen, die nach dem Bau der Berliner Mauer ins schier Unerträgliche wuchsen. Daraus leitete sie für ihre Politik die praktische Aufgabe ab, die menschlichen Folgen der Trennung nach Möglichkeit zu lindern und dem Auseinanderleben der Menschen in beiden deutschen Staaten entgegenzuwirken, mit einem Wort: das nationale Zusammengehörigkeitsgefühl, die nationale Einheit zu wahren.
    Die Regierung der Großen Koalition bot der Regierung der DDR Verhandlungen und gegebenenfalls Vereinbarungen über verbesserte Kommunikationsmöglichkeiten zwischen Menschen und Institutionen in beiden Teilen Deutschlands an. Dieses Angebot, meine Damen und Herren, setzte doch wohl unvermeidlich die Fähigkeit und die Zuständigkeit der DDR-Behörden voraus, für die Menschen ihres Bereichs verbindliche Abmachungen zu treffen und diese in ihren Grenzen auch durchzuführen. Das mußte doch wohl die erste Voraussetzung sein, um überhaupt zu diesem Angebot kommen zu können.
    Die jetzige Bundesregierung ist der Meinung, daß die damalige Politik einem richtigen Ansatz entsprach. Nur scheut sich diese Bundesregierung nicht, die Voraussetzungen und inneren Abhängigkeiten einer solchen Politik beim Namen zu nennen. Das ist der Unterschied zu damals. Die jetzige Bundesregierung spricht aus, daß die DDR ein Staat ist.

    (Abg. Niegel: Und verschweigt vieles andere!)

    Weil sie ernsthaft mit der DDR verhandeln will, hat sie sich mehrfach bereit erklärt, die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zur DDR auf der Grundlage der Achtung der Selbständigkeit der beiden Staaten in Angelegenheiten, die ihre innere Kompetenz in ihren entsprechenden Grenzen betreffen, zu regeln. Das gehört wohl mit zu den ersten Voraussetzungen, wenn man es ernsthaft meint.
    Wie anders sollte denn sonst verhandelt werden? Oder sollen wir etwa an der Methode festhalten, nur einseitig Forderungen zu erheben, die uns zwar moralisch und seelisch in dieser oder jener Weise zufriedenstellen mögen, aber keinerlei Fortentwicklung, keinerlei Fortschritt in dem Bereich bedeuten, der uns eigentlich doch gemeinsam am Herzen liegen sollte? Wir müssen die Tatsache berücksichtigen, daß die deutsche Nation auf dem Gebiet zweier Staaten mit entgegengesetzten Gesellschaftsordnungen und entgegengesetzten politischen Zielen



    Bundesminister Franke
    fortbesteht. Die Materialien, die Ihnen in Verbindung mit dem Bericht zur Lage der Nation an die Hand gegeben worden sind, machen es jedem deutlich.
    Nun sagten Sie, Herr Dr. Barzel, der DDR müsse zugemutet werden, der Realität der Einheit unseres Volkes in dem Maße Rechnung zu tragen, in dem wir jener Realität ins Auge sähen, daß die staatliche Einheit Deutschlands in absehbarer Zeit nicht verwirklicht werden könne. Glauben Sie wirklich, wir könnten mit dieser unserer Einsicht, wie Sie sie umschreiben, in eine verhandlungsfähige Position gelangen, die auch nur einen Schritt voranhelfen würde? Wenn Sie das glauben, Herr Dr. Barzel, dann gaukeln Sie sich etwas vor, dann spekulieren Sie auf Hoffnungen, die Sie uns unterstellen und vorwerfen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die faktische Spaltung Deutschlands ist da. Wer diesen Tatbestand ignorieren will, gaukelt sich immer noch in einer Illusion, die uns von der Wirklichkeit fernhält und keinerlei Schritte zur Lösung bedeutet. Wir wollen die Auswirkungen dieser Realität im Interesse der betroffenen Menschen und damit auch der Einheit unserer Nation mildern. Das ist das, was wir uns als konkrete Aufgabe in dieser Zeit stellen können, und das geht eben nicht, wenn man den Status quo verleugnet oder mit der Einsicht in Bestehendes Handel treiben will. Wer so vorginge, würde das Gegenteil bewirken und besorgte damit — um wiederum mit Ihnen zu sprechen, Herr Dr. Barzel — das Geschäft unserer gemeinsamen Feinde. Diese Feinde sind diejenigen, die sich jeder Normalisierung der Verhältnisse im Zentrum Europas — gegen die wohlverstandenen Interessen aller Staaten — entgegenzustellen suchen. Diese Feinde nehmen für ihr Geschäft sehr dankbar Argumente entgegen, die ihnen von welcher Seite auch immer geliefert werden sollten; sie nehmen sie gern entgegen, um damit in einem Sinne zu operieren, den wir gemeinsam nicht anerkennen, vertreten und fördern sollten.
    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich an dieser Stelle noch einmal deutlich sagen: wir gründen unsere Politik auf die Gewißheit der Fortexistenz der deutschen Nation auf dem Gebiet zweier Staaten. Der Bundeskanzler hat dazu gestern einiges gesagt. Die Einheit der Nation setzt sich aus mancherlei zusammen: aus einer Vielzahl von zwischenmenschlichen und verwandtschaftlichen Bindungen, aus einem tiefsitzenden Gefühl des Zusammengehörens und der Eigenart vor der Welt, aus Traditionen der Lebensart, aus gemeinsamen geschichtlichen und kulturellen Erfahrungen, gemeinsamen Erinnerungen, gemeinsamem Schicksal. Das alles läßt sich nicht so ohne weiteres an der Garderobe der Zeitgeschichte abstreifen, sondern das besteht fort, ob es dem einen oder anderen gefällt oder nicht gefällt, und das läßt sich auch nicht mit Konstruktionen von bürgerlicher Nation oder sozialistischer Nation, wie es andere sagen, austreiben. Genauso unsinnig wäre es, zwischen sinnvollen und unsinnigen Nationen zu unterscheiden. Vermutlich glauben die Urheber solcher Begriffsmanipulationen selbst nicht an ihre Weisheiten, es sei denn, sie hätten den
    Kontakt mit der Wirklichkeit abgebrochen. Ein untrügliches Kennzeichen dafür, ob eine Nation besteht oder nicht besteht, ist die Auffassung ihrer Nachbarn, und hier besteht, glaube ich, nach allen Richtungen kein Zweifel. Für die Welt sind die Menschen in der Bundesrepublik und in der DDR Deutsche, die man für die Wirkung und die Mitwirkung Deutschlands haftbar macht. Davon kann sich jeder jederzeit überzeugen.
    Natürlich wirken die Auffassungen des Auslandes auch auf das Bewußtsein der Nation zurück. Dessen ist sich die Bundesregierung bewußt. Auch wer ihre Politik ablehnt, wird nicht bestreiten können, daß sie auf diesem Felde in der Zeit, die ihr bisher zur Verfügung gestanden hat, für die Einheit der Nation mehr erreicht und getan hat als alle früheren Regierungen. Sie hat überzeugend die Friedensbereitschaft des deutschen Volkes gegenüber seinen Nachbarn deutlich gemacht. Sie hat die Probleme unserer geteilten Nation mit Maß und zugleich mit Anspruch in ihre europäische Verständigungspolitik eingebracht und für unsere Probleme neues Verständnis geweckt.
    Nicht zuletzt für diese Politik, meine Damen und Herren, hat der Bundeskanzler Brandt „im Namen des deutschen Volkes" den Friedensnobelpreis 1971 erhalten.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Dies war eine Anerkennung besonderer Art, und es wäre geradezu absurd, diese Tatbestände des politischen Geschehens um uns herum zu leugnen, zu ignorieren, wenn wir uns mit diesem Thema zu befassen haben. Diese Anerkennung galt dem ganzen deutschen Volk, das zum Teil auf Grund seiner Verantwortung von den Folgen des zweiten Weltkrieges schwer betroffen wurde und das jetzt seine Pflicht zum Frieden allem anderen voranstellt.
    Es gibt eine spezifisch deutsche Verantwortung für den Frieden in Europa, der sich beide deutsche Staaten nicht entziehen können. Den Deutschen hüben und drüben fällt die Aufgabe zu, so nebeneinander und miteinander zu leben, daß die systembedingten Gegensätze nicht noch zusätzlich durch eine besondere innerdeutsche Intimfeindschaft verstärkt werden. Jeder weiß aus eigener Erfahrung, daß z. B. familiäre Bindungen auch eine Kehrseite haben können. Der Sprachgebrauch spricht von feindlichen Brüdern und meint damit ein Gegensatzverhältnis, das gerade durch den engen Verwandtschaftsgrad verschärft wird. Von derartigen Animositäten gilt es das Verhältnis zwischen den beiden deutschen Staaten zu befreien. Das kann nicht dadurch geschehen, daß man seine nationale Komponente einfach ableugnet. Worauf es ankommt, ist, eine rationale Einstellung zu dieser Komponente zu gewinnen, gleich weit von Negation wie von blinder Überhöhung entfernt, eine Einstellung, die den Erfordernissen des europäischen Friedens gerecht wird.
    Dazu zählt auch, daß jeder der beiden Staaten mit sich selbst ins reine kommt. Beide Staaten müssen gleichsam sich selbst finden, bevor sie im Rahmen des Ost-West-Verhältnisses miteinander in Beziehung treten. Es geht nicht um Vermischung



    Bundesminister Franke
    und um die Errichtung von falschen Fassaden der Gemeinsamkeit in Dingen, in denen es keine Kompromisse geben kann. Die DDR spricht von Abgrenzung und versteht darunter nach ihren eigenen Worten die Profilierung als sozialistischer Staat. So übertrieben und über das Ziel hinausschießend uns manche der Abgrenzungsbegriffe auch erscheinen mögen, wir sollten ihren tieferen Zweck nicht übersehen. Sie dienen augenscheinlich dazu, eine Politik der Beziehungen vorzubereiten. Wir kennen diese Methode aus langjähriger Beobachtung und Erfahrung sehr genau. Wir sollten auch nicht verkennen, daß die bisherigen Bemühungen der DDR unter dem Stichwort „Profilierung" ihren Menschen einige spürbare Erleichterungen gebracht haben. Der Reiseverkehr nach Polen und in die Tschechoslowakei etwa sind Fakten, die sich aus Notwendigkeiten ergeben, die aus der allgemeinen politischen Entwicklung bedingt und erforderlich sind.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir scheuen die Konkurrenz mit der DDR nicht, ja, wir würden uns freuen, käme es zu einem echten Wettbewerb, der den Menschen hüben und drüben nützen würde. Das ist unsere Auffassung schon seit vielen Jahren. Wir werden jede Gelegenheit nutzen, um in einen solchen Wettbewerb eintreten zu können. Das würden wir, so meine ich, mit großer Zuversicht gemeinsam bestehen können. Wir sind auch bereit zur Kooperation, die von den Mitgliedstaaten des Warschauer Vertrages erst kürzlich wieder den europäischen Ländern angeboten worden ist. Die beiden Staaten müssen und werden lernen, einander zu ertragen, weil es sonst keinen Weg gibt, die Verhältnisse menschenfreundlicher, friedlicher und sicherer zu machen. Das ist eine schwierige Aufgabe, aber wir müssen uns ihr stellen, wenn wir sie ernst nehmen und es ernst meinen.
    Bundesrepublik und DDR müssen und werden zu einem Modus vivendi finden, weil die Zeit es verlangt und weil keiner von ihnen so in sich selber' ruht, daß er diesem Verlangen widerstehen könnte. Der Wille zum Modus vivendi ist noch nicht gleichbedeutend mit einer gemeinsamen Vorstellung von seinem Inhalt. Um diesen Inhalt muß gerungen werden. Das hat sich am Berlin-Abkommen bestätigt. Aber am Berlin-Abkommen hat sich auch erwiesen, daß es auf allen Seiten die Bereitschaft gibt, ein entspannteres Zusammenleben zu organisieren statt an den unüberbrückbaren Gegensätzen permanent zu kranken.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Diese Bereitschaft hat für Berlin eine Regelung zustande gebracht, deren Inkrafttreten der Stadt reale Aussichten auf eine krisenfreiere und stetigere Entwicklung eröffnen wird, auf eine Entwicklung als ein intaktes westliches Gemeinwesen, als eine offene Gesellschaft, geprägt von Urbanität, geistiger Lebendigkeit und Liberalität nach innen wie nach außen, fernab aller provinziellen Enge und Ängstlichkeit. Hier liegt die Stärke Berlins, hier hat sie immer gelegen. Diese Chance sollten wir mit Energie und Phantasie nutzen.
    Die Berliner können versichert sein: Die Bundesregierung wird wie bisher alles in ihren Kräften Stehende tun, um die Vitalität und Anziehungskraft ihrer Stadt zu erhalten und zu fördern. Wer Berlin sieht, soll und wird ein Stück unseres Lebens sehen, ein Stück unserer freiheitlichen Gesellschaft, unserer Art, zu leben und miteinander umzugehen. Dieses Ergebnis unserer praktischen Politik sollte uns gemeinsam bestärken, den so beschrittenen Weg weiterzugehen. Denn nur so kommen wir zu Erfolgen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Dr. Richard Jaeger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Weizsäcker.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Richard von Weizsäcker


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wieder hat die Bundesregierung einen umfangreichen Materialband zur Lage der Nation vorgelegt. Herr Bundesminister Franke hat gerade darüber gesprochen. Ich teile seine Meinung, daß den Wissenschaftlern, die an der Abfassung dieses Bandes beteiligt waren, Dank gebührt für eine Arbeit, die ganz fraglos wissenschaftliches Interesse finden wird, nicht zuletzt etwa für die Frage, ob es überhaupt möglich ist, mit diesen Methoden empirischer und soziologischer Forschung Systemvergleiche wertfreier Art vorzunehmen, Systemvergleiche etwa in bezug auf Rechtssysteme, bei denen wir ja schon, wenn wir unsere eigenen Verhältnisse betrachten, sehr wohl die Rechtssysteme und die Rechtswirklichkeit immer einander gegenüberstellen, um zur richtigen Wertung zu kommen.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Wieviel eher ist das notwendig, wenn wir einen Vergleich zwischen den Verhältnissen in der Bundesrepublik und in der DDR vornehmen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wenn die Bundesregierung einen politischen Bericht zur Lage der Nation erstattet, dann erwarten wir von ihr wertende Vergleiche. Dies ist zum zweitenmal hintereinander unterblieben. Nötig wäre es z. B. auch, den Nationbegriff der SED näher zu analysieren, denn er ist ja doch von unmittelbarer Bedeutung für eine Politik, die an der Einheit der Nation festhalten will. Daß dies auch möglich wäre, dafür haben wir einen sehr zündenden Beweis: Der Vorsitzende der Kommission der Bundesregierung zur Abfassung des Materialbandes zum Bericht zur Lage der Nation, Professor Ludz, hat im neuesten „Deutschland-Archiv" hierzu einen sehr interessanten Bericht gegeben, einen wesentlich interessanteren Bericht als den, den die Bundesregierung ihm in dem Materialband zur Lage der Nation zu publizieren gestattete.
    Nach diesen Darlegungen von Ludz hat -- wir wissen es — Honecker nun eindeutig vom Auseinanderbrechen der früheren deutschen Nation in zwei Nationen gesprochen. Er führt dies auf die historische Entwicklung bei und nach der Reichsgründung 1870/71 zurück, spricht vom fatalen Zusammenschweißen durch Blut und Eisen, von den nationalen Katastrophen der Großbourgoisie und erklärt die



    Dr. Freiherr von Weizsäcker
    Nation für eine gesellschaftliche Sache, nämlich für die Sache der Arbeiterklasse und mithin des Klassenkampfes. Und das heißt für ihn heute: Die sozialistische Nation ist in der DDR verwirklicht und muß gegen den äußeren Feind, gegen die Bundesrepublik als der bürgerlichen Nation, abgegrenzt werden.
    Aber zugleich zerlaubt ihm seine Dialektik, zu erklären, daß die Staatsgrenze nicht die Klassengrenze sei. Auch in der Bundesrepublik gebe es Werktätige, Arbeiter, Bauern, Teile der Angestellten und des Mittelstandes, der Jugend und der Intelligenz, die die historisch wertvolle Substanz der Klassenkampf-nation darstellten, und diese müsse durch die DKP und andere radikale Gruppen zum Kampf gegen den Klassenfeind in der Bundesrepublik geführt werden. Das ist eine der wesentlichen Basen für die Einmischung in unsere Verhältnisse auf dem Boden des Nationbegriffs.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Deshalb ist der Entschluß radikaler Elemente zum langen Marsch durch die Institutionen, also zur Eroberung von Schaltstellen an den Hochschulen, von Lehrerverbänden, von Erziehungsaufträgen, aber auch zu dem Versuch zur Eroberung von Basisgruppen etwa in der SPD, für uns alle so gefährlich. Von daher verstehen wir sehr wohl das vitale, uns alle betreffende Interesse, welches die Führung der SPD an sorgfältigen Abgrenzungsbeschlüssen gegen Unterwanderung durch linksradikale Elemente hat.
    Aber, meine Damen und Herren, das genügt nicht. Vielmehr müssen wir daraus auch die Lehre ziehen, daß auch unter uns in der innenpolitischen Auseinandersetzung Bemühungen um Gemeinsamkeit im Verständnis dessen, was den Inhalt der Nation ausmacht, dringend notwendig sind.
    Ich meine, Nation ist ein Ingebriff von gemeinsamer Vergangenheit und Zukunft, von Sprache und Kultur, von Bewußtsein und Wille, von Staat und Gebiet. Mit allen Fehlern, mit allen Irrtümern des Zeitgeistes und doch mit dem gemeinsamen Willen und Bewußtsein hat diesen unseren Nationbegriff das Jahr 1871 geprägt. Von daher — und nur von daher — wissen wir heute, daß wir uns als Deutsche fühlen. Das ist bisher durch nichts anderes ersetzt.
    Leider aber haben wir im Jubiläumsjahr der Reichsgründung, also im letzten Jahr, statt dessen von hoher und besonders hoher Stelle andere, zumeist kritische Äußerungen zu dieser Nation gehört. Es war vorwiegend die Rede vom Widerstand weiter Teile der Gesellschaft gegen diese Nation,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    vom Riß zwischen Demokratie und Nation, von der Nation als dem Feld zur Erreichung gesellschaftspolitischer Ziele.
    Natürlich war sie unvollkommen. Natürlich gibt es in unserer Gesellschaft heute mehr Integration als damals. Und auch nichts gegen gesellschaftspolitische Ziele! Es ist die Aufgabe von uns, von den Parteien, urn diese Ziele demokratisch zu wetteifern. Aber die Nation muß diesem Wettkampffeld übergeordnet bleiben.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Jeder von uns fühlt sich als Deutscher auch dann, wenn er sich in diesem Wettkampf noch nicht durchgesetzt hat.
    Meine Damen und Herren, würden wir anders anfangen, würden wir die Nation selbst danach bestimmen, ob wir unsere gesellschaftspolitischen Ziele schon verwirklicht haben, würden wir also als die wahre Nation erst diejenige Demokratie ansehen, von der es etwa im Godesberger Programm der SPD heißt, daß sie sich im Sozialismus erfüllt, würden wir also meinen, daß das Gemeinwesen zu einem unerfüllten Dasein verdammt bleibt, solange sich dieser Sozialismus noch nicht eingestellt hat, dann hat das sehr schwerwiegende Folgen für die Lage der Nation im geteilten Deutschland.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Denn es besteht ein sehr empfindlicher Zusammenhang zwischen unserer innenpolitischen Auseinandersetzung und der Lage der Nation. Auch hier zeigen sich die großen Gefahren, wenn eine Regierung beginnt, Deutschlandpolitik im Alleingang zu betreiben. Denn wenn wir unsere hiesige gemeinsame Freiheit nur dazu benutzen, über den Inhalt der Nation und ihren Begriff einen Parteienstreit zu veranstalten, dann brauchen wir uns gemeinsam nicht mehr um die staatliche Einheit dieser Nation zu bemühen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Der Gewinner einer solchen Phase aber wäre nur Honecker und sonst niemand.

    (Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.)

    Doch ich möchte nun, meine Damen und Herren, zur Deutschlandpolitik selbst kommen. Was wird aus der Lage der Nation unter dem Einfluß der beiden Verträge? Das ist für mich die Kernfrage. Darüber möchte ich jetzt sprechen, und darauf will ich mich auch beschränken.
    Zwei Zielen galt die gemeinsame Deutschlandpolitik dieses Hauses, nämlich erstens der Wiederherstellung der staatlichen Einheit und zweitens den Bemühungen um Erleichterungen — vor allem um mehr Freiheiten — und schließlich um das Recht auf freie Selbstbestimmung für die Menschen im anderen Teil Deutschlands. Die Gemeinsamkeit dieser Bemühungen war um so wichtiger, als wir uns alle der Empfindlichkeit unserer deutschen Lage in der internationalen Politik bewußt waren. Und um so gefährlicher ist es eben, daß diese Gemeinsamkeit für die Lage der Nation heute praktisch in Frage gestellt ist, und zwar durch die Vertragspolitik der Bundesregierung.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wie ist es dazu gekommen? Welche Wahlmöglichkeiten fand die neue Regierung im Herbst 1969 denn vor?
    Nicht wenige, die die Linkskoalition öffentlich herbeigewünscht und herbeigeschrieben hatten, hatten dies mit der Hoffnung verbunden, eine Regierung Brandt werde die bisherige Offenhaltepolitik nicht fortsetzen, sondern auf das Ziel der staatlichen Einheit verzichten, also der Anerkennung der



    Dr. Freiherr von Weizsäcker
    DDR praktisch keine Schwierigkeiten mehr in den Weg legen. — Andere dagegen setzten auf Beibehaltung der Offenhaltepolitik.
    Die Unsicherheit, welcher der beiden Wege zu wählen war, ging tief und geht wohl bis heute tief in die Reihen der neuen Koalitionsparteien hinein. Ich sage das nicht als Vorwurf; nur meine ich, die neue Regierung habe vor allem die Aufgabe gehabt, eine eindeutige Richtung anzugeben.
    Aber der entscheidende Einwand gegen den Weg, den diese Regierung nun deutschlandpolitisch tatsächlich eingeschlagen hat, ist der — ich wiederhole es —, daß sie den Versuch unternimmt, beide Wege miteinander zu verbinden, die Vorteile beider Wege für sich in Anspruch zu nehmen. Und das bisherige Resultat ist eine tief zweideutige Situation und folglich eine gefährliche Ungewißheit darüber, wohin denn nun die Bundesregierung, ob gewollt oder nicht, uns alle weiter führen wird.

    (Beifall bei ,der CDU/CSU.)

    Auf der einen Seite versichert sie uns unverändert, am Ziel der staatlichen Einheit Deutschlands im Wege freier Selbstbestimmung festzuhalten. Nicht eine bloße Kulturnation — also Sprache, Geschichte und geistige Werte —, sondern die Nation im politisch-staatlichen Sinne bliebe die Grundlage ihrer Deutschlandpolitik.
    Solche Äußerungen waren überdies am Anfang der Regierungszeit noch verhältnismäßig spärlich. So wurden wir z. B. in der Debatte über die Lage der Nation im Jahre 1970 in diesem Hause noch aufgefordert, die Frage der Einheit der Nation von der Frage der staatlichen Einheit säuberlich zu trennen.

    (Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!)

    Inzwischen aber — und auffällig in den letzten Monaten — haben wir Versicherungen über das staatliche Einheitsziel wiederholt gehört. Das hilft nicht nur bei der Mehrzahl der Wähler, die dies wünschen, und vorsorglich in Karlsruhe, sondern es soll wohl auch gegen eigene Unsicherheit schützen.
    Auf der anderen Seite hat aber die Bundesregierung mit ihrer Regierungserklärung, mit ihrer Vertragspolitik, mit den Moskauer Absichtserklärungen und anderen amtlichen Texten die Deutschlandpolitik praktisch nachhaltig verändert. Sie glaubt zwar bei der neuen Marschrichtung den formellen Willensakt der Anerkennung der DDR vermeiden zu können, zugleich aber — wir sprachen hier gestern schon davon — beschreitet sie den Weg, auf dem praktisch alle Merkmale der Anerkennung der DDR verwirklicht werden. Golo Mann hatte 1970 gesagt, die Bundesrepublik solle sich in erster Linie selbst anerkennen, dann würden die anderen Anerkennungen von selbst folgen, gleichgültig in welcher Form. Eine verblüffende Parallele zu dieser Formulierung findet sich in der hier gestern auch schon genannten Bewertung der Deutschlandpolitik der Bundesregierung durch den französischen Staatspräsidenten nach dem Krim-Besuch des Bundeskanzlers; denn Pompidou sagte ja bekanntlich, er sehe es nicht ungern, daß die Bundesregierung auf eine Anerkennung der DDR zusteuere, „welchen Namen sie auch immer dafür verwenden möge". Name und Sache gehen also auseinander. Kann man denn deutlicher, kann man schärfer die Doppeldeutigkeit einer Politik kennzeichnen?
    Ich habe nie erfahren, ob die Bundesregierung öffentlich oder ob sie amtlich etwa jetzt bei dem Besuch des Bundeskanzlers in Paris dieser Deutung entgegengetreten ist. Ich habe aber selbst seit der Unterzeichnung der Verträge nicht nur Warschau und Moskau, sondern auch die drei westlichen Hauptstädte besucht, und in jeder dieser Hauptstädte wurde mir die Bundesregierung unter anderem gerade für das deutschlandpolitische Verhalten gelobt, welches sinngemäß Präsident Pompidou in der eben genannten Äußerung angesprochen hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die Bundesregierung wird nicht müde, sich hier zu Hause auf dieses Lob des Auslandes zu beziehen, zugleich aber versichert sie vor der eigenen Öffentlichkeit, daß für sie die Politik einer Anerkennung außer Betracht bleibe. Daß dies formal gesehen zutrifft, glaube ich. Aber was hilft mir das, wenn sich dahinter ein Bedeutungswandel von 180 Grad vollzieht?

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die Form wird dann eben gleichgültig. So haben George Pompidou und Golo Mann gesagt, und so werden dann vielleicht noch andere sagen müssen.
    Ich will zwei Beispiele nennen. Immer wieder versichert die Bundesregierung, sie könne die DDR gar nicht anerkennen, denn das wäre eine Verfügung über Deutschland als Ganzes, und das stünde ihr nach den Viermächtevorrechten gar nicht zu. Ferner verweist sie darauf, daß es ihr erstmals wieder und vor allem im Berlin-Abkommen gelungen sei, die Viermächteverantwortung neu zu beleben. Damit will sie doch offenbar vor der Öffentlichkeit den Eindruck erwecken, als sei dies der Beweis für ihr tätiges Festhalten am Selbstbestimmungsrecht und am staatlichen Einheitsziel.
    Aber, meine Damen und Herren, die Viermächterechte sind doch etwas ganz anderes. Sie sind ein Überbleibsel vom Ende des zweiten Weltkrieges und beruhen auf der Unfähigkeit der Sieger, sich angesichts der damaligen Gegensätze schon damals auf eine endgültige Lösung der deutschen Frage zu einigen. Ganz gewiß sind diese Vorrechte für uns in Berlin wichtig, sie sagen aber gerade nichts darüber aus, jedenfalls nichts Genaues, wie denn die Vier Mächte gemeinsam zur Forderung der Deutschen nach Selbstbestimmung und freier Wiederherstellung ihrer Einheit stehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : So ist es!)

    Die Vier Mächte haben sich bei den Berlin-Verhandlungen auf eine Wiederbelebung ihrer Vorrechte verständigt, ohne aber damit etwas über Selbstbestimmung und Einheitsziel auszusagen. Meine Damen und Herren, deshalb sollte der, dem es um Selbstbestimmung und Einheitsziel geht, eben weniger auf die Viermächterechte und dafür mehr auf



    Dr. Freiherr von Weizsäcker
    die Zusage unserer drei westlichen Verbündeten im Deutschland-Vertrag verweisen,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    denn dort ist ausdrücklich die Unterstützung unserer Ziele zugesagt. Aber dieser Deutschland-Vertrag — vor allem sein entscheidender Art. 7 —, ist durch die Politik der Bundesregierung durchaus nicht wiederbelebt worden. Er gerät vielmehr durch ihre Verträge und Absichtserklärungen in die ernste Gefahr der Aushöhlung.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren, der Opposition begegnet in einem solchen Zusammenhang nicht selten der Vorwurf, sie solle doch zu einer solchen Gefahr der Aushöhlung deutscher Positionen nicht beitragen, indem sie öffentlich davon spreche. Ich meine, das ist ein ganz falsches Verständnis unserer Oppositionsaufgabe. Es geht eben nicht, daß die Regierung im Alleingang ihre Vertragspolitik betreibt, mit der sie den praktischen Wert des Art. 7 des Deutschland-Vertrages gefährdet — siehe die Äußerungen von Pompidou —, daß sie die Opposition vorher nicht konsultiert, dafür aber hinterher von ihr verlangt, sie müsse aus nationaler Treuepflicht erklären, daß der Deutschland-Vertrag unverändert wirksam sei. So geht es nicht!

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Vielmehr müssen wir auf die uns im Ausland viel-
    fach bestätigten Gefahrenmomente hinweisen, um
    ) vielleicht auf diesem Wege dazu beizutragen, daß eben nicht nur die Viermächterechte, sondern vor allem auch die Verantwortlichkeiten der drei Verbündeten neu- und wiederbelebt werden. Wir sind für die intensiven Bemühungen dankbar, die die Drei Mächte in den mühsamen Berlin-Verhandlungen auf sich genommen haben. Wir sind auch von dem persönlichen Einsatz beeindruckt, den die drei Botschafter und die Botschaftsräte in der ständigen Konsultationsgruppe mit dem Auswärtigen Amt wegen Berlin geleistet haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Aber es ging dabei eben um Berlin. Wir werden die Drei Mächte auch für die innerdeutschen Fortschritte wohl bald noch bitter nötig brauchen.
    Mein zweiter Punkt betrifft die formelle Zusage der Bundesregierung, sich für die Mitgliedschaft zweier deutscher Staaten in der UNO einzusetzen. Die Bundesregierung erklärte allerdings inzwischen, es sei ihr damit nicht so eilig, und außerdem brauche sie eine Rechtsbasis, welche den besonderen innerdeutschen Charakter der Beziehungen der beiden deutschen Staaten zueinander klarstelle. Was nun aber die Eile anbetrifft, so stellte der Bundeskanzler am Anfang des Jahres in einem Interview in den Vereinigten Staaten fest, diese Frage hätten wir gar nicht mehr allein in der Hand; sie käme vielmehr von außen auf uns zu. — Natürlich tut sie das jetzt, nachdem unsere eigene Regierung und niemand sonst dieses Kind in die weite Welt gesetzt hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Im übrigen wird der Versuch, am innerdeutschen Verhandlungstisch eine klarstellende Rechtsbasis für die doppelte UNO-Mitgliedschaft zu finden, schon aus formalen Gründen eine Quadratur des Zirkels. Denn einerseits will die Bundesregierung der DDR ja dadurch ermöglichen, ein voll souveränes Völkerrechtssubjekt zu werden, wenn diese nur bereit ist, von uns an Stelle eines Botschafters einen Vertreter mit innerdeutschem Status zu akzeptieren. Zum anderen wird aber darauf verwiesen, daß wir wegen der Vorrechte der Vier Mächte gar nicht in der Lage wären, den Völkerrechtsstatus der Beziehungen der beiden deutschen Staaten zueinander festzulegen. Das alles wirkt wie die Bemühungen um ein gigantisches Kartenhaus. Fest steht nur dies: Wenn erst einmal beide deutschen Staaten Mitglieder der UNO sind, dann werden sie von allen Regierungen in der Welt und nicht zuletzt von unseren eigenen Verbündeten als vollsouveräne Völkerrechtssubjekte betrachtet und behandelt w erden. Wer in der Welt, so frage ich, wird dann noch irgendeinen politisch relevanten Gedanken darauf verwenden, was es bedeutet, wenn eine deutsche Politik in Bonn weiterhin aus Verfassungsgründen vom Ziel der staatlichen Einheit der Nation spricht?

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Gewiß, es wird niemanden stören, wenn wir Deutschen dann unsere Zusammengehörigkeit im Sinne einer bloßen Kulturnation betonen. Der Eintritt zweier deutscher Staaten in die UNO aber wird praktisch der unwiderrufliche Weg zur Anerkennung der DDR sein.
    Nun stimme ich mit unserem Kollegen Guttenberg und anderen ganz darin überein, wenn sie sagen: Es geht ja vor allen Dingen um die Freiheitsrechte. Bei der Aussicht auf einen brauchbaren Kompromiß ist auch über staatliche Einheit und Grenzen sehr wohl zu reden. Aber bietet denn — so ist zu fragen — die Politik der Bundesregierung eine Aussicht auf einen solchen Kompromiß? Wird sie mit ihrem Plan der innerdeutschen Verhandlungen ein entsprechendes Miteinander erreichen? Wird es ihr gelingen, die innerdeutschen Beziehungen in diesem Sinne generalzuregeln, so daß man über die bisher genannten Bedenken hinwegsehen könnte? In diesem Kernstück der Vertragspolitik der Bundesregierung liegen meine ernstesten Fragen und Sorgen.
    Unverändert folgt die Bundesregierung der alten Tutzinger Devise des Wandels durch Annäherung. Ihr liegt der an sich bestechende Gedanke zugrunde, daß es doch die Sorge der SED vor unseren Einwirkungsabsichten sei, die sie daran hindere, im eigenen Machtbereich mehr Freiheiten zu gewähren. Man müsse deshalb der SED diese Sorgen nehmen. Man müsse sich glaubhaft zur Nichteinmischung verpflichten. Man müsse ihre Komplexe abbauen, die Komplexe des Nichtanerkanntseins nämlich, durch Freigabe der Anerkennung in der Welt. Man müsse dadurch ihre Fähigkeit und ihr eigenes Interesse dafür wecken, die erhofften Folgen für die Menschen in der DDR selbst zu veranlassen. Dann kämen unsere eigenen Entspannungsbeiträge im



    Dr. Freiherr von Weizsäcker
    allgemeinen Ost-West-Verhältnis hinzu, die doch dann jede Propaganda gegen uns und auf die Dauer auch jeden Sinn einer Abgrenzungspolitik gegenstandslos machten. So sehe es heute die westliche und die neutrale Welt. So würden es langsam auch Moskau und seine Verbündeten sehen. Und dann, so wird gefolgert, werde wohl oder übel auch die SED es sehen, zu lernen gezwungen sein.
    Das klingt alles ganz plausibel, und dennoch ist gerade hier das Kernstück nicht nur der unbewiesenen Spekulation für die Zukunft, sondern alle bisherigen Anzeichen sprechen leider eine ganz gegenteilige Sprache.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die SED hat nun wirklich ernst damit gemacht, die Bundesrepublik zum Ausland zu erklären, und zwar Hand in Hand mit Datum und Sache des Moskauer Vertrages.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Sie hat alle bisherigen Sondereinrichtungen und Sprachgebräuche, die sie im gesamtdeutschen Sinne noch hatte, auf Auslandsfunktionen um- und damit abgestellt. Gleichzeitig und vor allem aber begann sie damit, ihre verschärfte und totale Abgrenzungspolitik gegen die Bundesrepublik im allgemeinen und gegen den Sozialdemokratismus im besonderen einzuleiten. Das geht uns alle an, vor allem solange die SPD unsere Regierung führt.
    Nun verweisen Sozialdemokraten uns oft genug darauf, dies sei doch nur ein Zeichen für die beginnende Wirkung ihrer Medizin. Es werde eben brenzlig für die alte bequeme SED-Linie, und das hätten wir von der CDU/CSU nicht fertiggebracht. Meine Damen und Herren, ich spreche über dieses Gebiet ganz ohne jede eigene Freude. Aber ich fürchte, es ist gar kein Grund zu einem solchen Stolz vorhanden. Ganz im Gegenteil!

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Lenin hat gesagt, daß jede herrschende Klasse nur nach erbittertem Widerstand ihren Platz räume. Er meinte damit die Kapitalisten, aber seine Wahrheit gilt vor allem für die Kommunisten und nicht zuletzt für die SED.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir sind uns hier ja alle darüber einig, daß wir uns für unsere Landsleute in der DDR etwas anderes als ein ewiges SED-Regime wünschen. Dennoch müssen wir der Tatsache ins Auge sehen, daß nicht wir von außen eine Verwandlung der inneren Verhältnisse drüben erreichen können, weder durch containment noch durch roll back, aber erst recht nicht durch das, was man drüben nun einmal als die gefährlichste und die raffinierteste Form eines Veränderungsversuchs von außen betrachtet, nämlich den Weg des Wandels durch Annäherung der freiheitlichen Sozialdemokraten.

    (Abg. Dr. Sieglerschmidt: Es muß nur wirksam sein!)

    Denn niemand ist ungeeigneter, der SED ihre Sorgen
    zu nehmen. — Ich weiß, daß das alles eine überaus
    empfindliche Stelle bei uns berührt. Ich sagte schon,
    daß ich ohne Freude darüber spreche. Wir wollen ja hier nicht wieder anfangen, uns gegenseitig mangelnden Willen und mangelnde Eignung für das gesamtdeutsche Geschäft vorzuwerfen.

    (Zurufe von der SPD.)

    Auch wäre mir wohler, wenn hier mehr Einverständnis vorhanden und darum weniger öffentliche Erörterungen über die innerdeutsche Politik vonnöten wären.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

    Aber angesichts des entschlossenen Alleingangs der Regierung in der Ost- und Deutschlandpolitik vom Tage der Regierungserklärung an blieb uns ja gar keine andere Wahl als die der öffentlichen Auseinandersetzung, und die nüchterne Analyse der Lage der SED zwingt uns — und zwingt uns gemeinsam — zu der Feststellung, die ich getroffen habe.
    Was folgt aus alledem? Es folgen in erster Linie Konsequenzen für die Ostpolitik des Westens im ganzen. Da ich mich aber hier auf die Lage der Nation beschränke, will ich in meinem Schlußteil nur noch etwas über unseren üblichen politischen Gesprächsrahmen hinaus zu dieser Lage der Nation sagen.
    Bei allem Streit ist unter uns Politikern ja seit Jahr und Tag die Sorge gemeinsam, wie wir denn fertig werden sollen mit einem Auseinanderfallen von hohen Ansprüchen in der Deutschlandpolitik und dem Mangel an sichtbaren Fortschritten. Wir alle kennen die Ungeduld, den Unwillen, das Unverständnis und schließlich als Schlimmstes die Interesselosigkeit, die eine solche Lage gerade bei jungen Menschen, aber nicht nur bei ihnen, sondern auch bei manchen nüchternen Berufspraktikern in unserer Industriegesellschaft mit ihren ganz anderen Problemen auslöst.
    Wir alle kennen die Sorge, mit der Deutschlandpolitik in einen luftleeren Raum zu geraten. Deshalb halte ich es für gut und nötig, wenn wir uns hier im Bundestag bei der Erörterung der Lage der Nation auch mit den Gedanken auseinandersetzen, die oft außerhalb des aktiven politischen und Parteieniebens unserer Mitglieder zur deutschen Frage gepflogen werden. Wir haben keinen Grund, irgendeiner Frage auszuweichen, der wir hier begegnen.
    Im politisch engagierten deutschen Geistesleben gibt es, wie wir alle wissen, eine sehr lebhafte Auseinandersetzung über die Deutschlandpolitik, vor allem im Blick auf die deutsche Geschichte. Aus vielen Beispielen möchte ich nur an Ulrich Scheuner erinnern. Er wies uns noch einmal in einem sehr lesenswerten Beitrag darauf hin, daß ja die deutschen Lande bis tief in das 19. Jahrhundert hinein nur Zwischenfeld zwischen europäischen Nationen waren. Erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts war es den Deutschen gelungen, eine selbständige nationalstaatliche Mittelstellung zwischen Ost und West zu erreichen. Diese Position ist politisch in zwei Weltkriegen von Grund auf erschüttert worden. Gewonnen hat vor allem Rußland. Die Zone der Spaltung, die einst bei Polen lag, ist nach



    Dr. Freiherr von Weizsäcker
    Westen verschoben. Wieder, so scheint es, sind die deutschen Lande Zwischenfeld zwischen den Nationen, freilich anders als früher, nämlich untereinander geteilt durch die Gesellschafts- und Machtsysteme, jedes der beiden in seinem System integriert.
    Könnte überhaupt eine der beiden Regierungen, so wird dann gefragt, ihr Fundament erhalten, wenn sie die feste Anlehnung an ihre jeweilige Seite preisgäbe? Wenn das aber so ist, so wird weiter gefragt, liegt es dann nicht nahe, jeden Gedanken an einen vorübergehenden Zustand zu verbannen und in Gottes Namen im westlichen Lager um so schneller zusammenzuwachsen, wie man sich über die Zonengrenze hinweg doch offenbar auseinander-lebe? Geht es in einem Europa, so wird weiter gefragt, welches nach Stabilität und Entspannung sucht, nicht weit eher darum, zu dieser Stabilität dadurch beizutragen, daß wir die Teilung nun eben hinnehmen, für deren Überwindung wir doch kein Mittel in greifbarer Nähe wissen, als immerfort den bestehenden Zustand verändern zu wollen? Stören wir nicht diese Stabilität schon allein dadurch, daß wir uns Gedanken über die Deutschen in der DDR im Sinne der Einheit der Nation machen? Können wir denn darüber hinwegsehen, daß die europäischen Völker je länger desto weniger den Wunsch haben, in der Mitte eines im übrigen schwachen Zentraleuropas einen neuen, voll souveränen deutschen Nationalstaat entstehen zu lassen mit 80 Millionen Menschen und mit der Summe der beiden in ihrem Bündnis jeweils zweitstärksten Wirtschaftskapazitäten? Diese Stimmung wuchs doch ganz unabhängig davon, ob ein solcher neuer Staat für den Westen, für den Osten oder für die Neutralität optieren würde. Das alles war es, meine Damen und Herren, was Golo Mann und was andere dazu veranlaßte, nach einer Umkehr in der Deutschlandpolitik zu rufen.
    Und dennoch, so meine ich, sind die Gegengründe nach wie vor die gewichtigeren. Die Teilung Deutschlands ist nicht organisch, sie bleibt künstlich. Sie trennt zusammengehörige Menschen und Familien. Diese Menschen können einfach nicht den grotesken Verwandtschaftsthesen von Honecker zustimmen,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    wenn er sagt, für die Freizügigkeit komme es auf die Verwandtschaft nicht des Blutes, sondern der gesellschaftlichen Auffassungen an.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Unerhört!)

    Daher, Herr Minister Franke, wolle er die Grenze
    nach Polen und zur CSSR ebenso offen halten, wie
    er sie zur Bundesrepublik geschlossen halten wolle.

    (Beifall und weitere Zurufe von der CDU/ CSU.)

    Das ist wider die Natur. Die Menschen hüben und drüben empfinden sich als Deutsche. Man kann die Lage Deutschlands weder mit dem Gefühl natürlicher Vaterlandsliebe noch mit rationalen Erkenntnissen der Machtverhältnisse jeweils für sich allein lösen, denn beides gehört zusammen, und erst beides
    zusammen führt zu dem Ergebnis, daß eben heute keiner von uns eine präzise Antwort darauf geben kann, wie sich die deutsche Frage langfristig entwickeln wird. Die Zeiten für eine solche Antwort sind dafür noch nicht reif. Solche Lagen gibt es in der Geschichte öfters. Freilich verlangen sie von den Menschen auch das Schwerste, was es gibt, nämlich eine Offenhaltepolitik unverfälscht durchzuhalten und zu ertragen, auch dann, wenn keine Fortschritte sichtbar werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Enttäuschung und Ungeduld sind nur allzu verständlich, aber sie sind schlechte Ratgeber.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die Teilung, meine Damen und Herren, trennt das gemeinsame kulturelle Erbe, sie trennt gemeinsame Verantwortung für Vergangenheit und Zukunft, sie widerspricht dem heute lebendigen Bewußtsein. Die Zusammengehörigkeit ist eine politische, menschliche und geistige Realität, die uns alle betrifft und die nicht abseitigen nationalistischen Gruppen zum Mißbrauch überlassen bleiben kann.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Aber es hängt eben ganz wesentlich von uns ab, ob dies auch eine Realität bleibt. Wir müssen uns selbst immer von neuem gewissenhaft darüber Rechenschaft ablegen, ob sie es denn noch ist; denn kein Grundgesetz bietet die Gewähr für ihren ewigen Fortbestand. Aber wir müssen vor allem auch sehen, welchen Einfluß die Regierungspolitik auf diese Realität nimmt und nehmen kann. Den schlimmsten Schaden jedenfalls bringen andauernde Unklarheiten. Wenn die Regierung Gründe dafür sieht, von den bisherigen Zielen der Deutschlandpolitik abzuweichen, dann soll sie sie offen nennen und demokratisch erörtern lassen.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

    Das Grundgesetz würde sie über kurz oder lang ohnehin dazu nötigen. Will sie das aber nicht, will sie vielmehr am Ziel der staatlichen Einheit in freier Selbstbestimmung wirklich festhalten, dann lasse sie nirgends, weder im In- noch im Ausland, weder in Verträgen noch in Absichtserklärungen, einen Zweifel daran aufkommen. Dann dulde sie keine anderweitigen Interpretationen ihrer Politik, am allerwenigsten bei unseren Verbündeten. Einen Mittelweg, meine Damen und Herren, gibt es nicht. Es wäre der Weg der Zweideutigkeit und der Ungewißheit.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ein solcher Weg aber kann unsere Unterstützung nicht finden. Denn wir wollen nicht dazu beitragen, auf diese Weise die Lage der Nation, die empfindlich genug ist, weiter zu unterhöhlen.

    (Langanhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)