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    Deutscher Bundestag 171. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 23. Februar 1972 Inhalt: Glückwunsch zum Geburtstag der Abg. Frau Schanzenbach, Dr. Schellenberg und Frau Brauksiepe . . . . . . . . 9737 A, B Überweisung von Vorlagen an Ausschüsse 9737 B Wahl des Abg. Wende als stellvertretendes Mitglied des Verwaltungsrates der Deutschen Bundespost 9737 B Erweiterung der Überweisung eines Gesetzentwurfs 9737 C Amtliche Mitteilungen . . . . . . . 9737 C Bericht der Bundesregierung zur Lage der Nation 1972 (Drucksache V1/3080) in Verbindung mit Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 12. August 1970 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (Drucksache V1/3156) — Erste Beratung —, mit Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag 7. Dezember 1970 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über die Grundlagen der Normalisierung ihrer gegenseitigen Beziehungen (Drucksache VI/3157) — Erste Beratung —, mit Große Anfrage der CDU/CSU betr. Deutschland- und Außenpolitik — Drucksachen VI/2700, VI/2828 — und mit Antrag der Fraktion der CDU/CSU betr. Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen — Drucksache VI/1523 — Brandt, Bundeskanzler . 9739 D, 9791 B, 9814 C Scheel, Bundesminister 9742 D Dr. Barzel (CDU/CSU) . 9752 C, 9796 C, 9814C, 9815B Wehner (SPD) 9764 B Dr. h. c. Kiesinger (CDU/CSU) . 9784 B Dr. Jaeger, Vizepräsident . . . 9798 A Mischnick (FDP) . . . . . . . 9799 B Stücklen (CDU/CSU) 9804 B Dr. Ehmke, Bundesminister . . . 9814 D Borm (FDP) . . . . . . . . 9815 C Dr. Schröder (Düsseldorf) (CDU/CSU) 9820 B Fragestunde (Drucksache V1/3165) Frage des Abg. Dr. Böhme (CDU/CSU) : Immobilienfonds der Landeszentralbank Nordrhein-Westfalen Ravens, Parlamentarischer Staatssekretär 9771 B, C, D Dr. Böhme (CDU/CSU) . . . 9771 B, C II Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Februar 1972 Frage des Abg. Dr. Schneider (Nürnberg) (CDU/CSU) : Verfahren und Methoden zur Preiserhebung Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär . . . 9771 D, 9772 B, C Dr. Schneider (Nürnberg) (CDU/CSU) 9772 B, C Frage des Abg. Ott (CDU/CSU) : Miete eines bundeseigenen Hauses in Köln durch Bundesminister Schiller Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär . . . 9772 C, D, 9773 A Ott (CDU/CSU) . . . . . . . 9772 C, D Hauser (Bad Godesberg) (CDU/CSU) 9773 A Frage des Abg. Dr. Fuchs (CDU/CSU) : Maßnahmen zur Verbesserung der Infrastruktur in den ostbayerischen Landkreisen Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . 9773 B, C, D Dr. Fuchs (CDU/CSU) . . . . . 9773 C, D Fragen des Abg. Kiechle (CDU/CSU): Beseitigung der zehnjährigen Grundsteuerfreiheit der Zweitwohnungen Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . 9774 A, C, D Kiechle (CDU/CSU) 9774 C Frage des Abg. Dichgans (CDU/CSU) : Anerkennung von Ausgaben für den Erwerb von Kunstwerken als steuerlich abzugsfähige Spenden Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär . . . 9774 D, 9775 A, B Dichgans (CDU/CSU) 9775 A, B Frage des Abg. Pfeifer (CDU/CSU) : Freigabe des Militärhospitals der französischen Garnison in Tübingen Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär . . . 9775 C, D, 9776 A Pfeifer (CDU/CSU) 9775 D Maucher (CDU/CSU) 9776 A Frau Funcke, Vizepräsident . . . 9776 B Fragen des Abg. Härzschel (CDU/CSU) : Situation der Rentner in Alters- und Pflegeheimen Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär . . 9776 C, D, 9777 A, B Härzschel (CDU/CSU) . 9776 C, D, 9777 B Fragen des Abg. Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein (CDU/CSU) : Finanzierung der Krankenhausversorgung bis 1975 Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär . 9777 C, D, 9778 B, C, D, 9779 A Prinz zu Sayn-WittgensteinHohenstein (CDU/CSU) . 9778 A, B, C Dr. Fuchs (CDU/CSU) 9778 D Frage des Abg. Rollmann (CDU/CSU) : Studie über den Einfluß von Gewalttätigkeit und Brutalität im Fernsehen auf Straßenspiele der Kinder Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . 9779 A, B, C Rollmann (CDU/CSU) 9779 B Hansen (SPD) 9779 C Frage des Abg. Baier (CDU/CSU) : Erhöhung der finanziellen Leistungen für das Deutsch-Französische Jugendwerk Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär . 9779 C, D, 9780 A, B, C Baier (CDU/CSU) . . . 9779 D, 9780 A Rollmann (CDU/CSU) 9780 B Dr. Fuchs (CDU/CSU) 9780 C Fragen des Abg. Reddemann (CDU/CSU) : Zeugnisverweigerungsrecht der Redakteure Dr. Bayerl, Parlamentarischer Staatssekretär . . 9780 D, 9781 A, B, C Reddemann (CDU/CSU) . . . . 9781 B, C Frage des Abg. Walkhoff (SPD) : Umgehung des Verbots der Aufhebung von Mietverhältnissen durch Abbruch der Mietwohnungen und Neubau von Eigentumswohnungen Dr. Bayerl, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . 9781 D, 9782 A Walkhoff (SPD) . . . . . . . . 9782 A Frage der Abg. Frau Lauterbach (SPD) : Inanspruchnahme der Krebsvorsorgeuntersuchung der Krankenkassen — Erfahrungen hinsichtlich ausreichender Fachärzte und Laboreinrichtungen Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär . . . 9782 B, D, 9783 A Frau Lauterbach (SPD) . 9782 C, 9783 A Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Februar 1972 III Fragen des Abg. Maucher (CDU/CSU) : Rehabilitationszentrum für erwachsene Hirngeschädigte Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär . . 9783 B, C, D, 9784 A Maucher (CDU/CSU) . 9783 C, D, 9784 A Frage des Abg. Frau Lauterbach (SPD) : Prämienzahlungen für nicht benutzte Krankenscheine Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär 9784 A Nächste Sitzung 9826 A Anlagen Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 9827 A Anlage 2 Entschließung des Bundesrates zum Gesetz über die weitere Finanzierung von Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden und des Bundesfernstraßenbaus (Verkehrsfinanzgesetz 1971) . . . . . . . . 9827 B Anlage 3 Schriftliche Antwort auf die Mündlichen Fragen des Abg. Breidbach (CDU/CSU) betr. Lage der westdeutschen Alluminiumindustrie 9827 D Anlage 4 Schriftliche Antwort auf die Mündliche Frage des Abg. Dr. Becker (Mönchengladbach) (CDU/CSU) betr. Abschluß eines Abkommens über den Welthandel mit Textilien 9828 C Anlage 5 Schriftliche Antwort auf die Mündliche Frage der Abg. Frau Funcke (FDP) betr. Steuerfreiheit für Fehlgeldentschädigung von Omnibusfahrern im Liniendienst . . 9828 D Anlage 6 Schriftliche Antwort auf die Mündlichen Fragen des Abg. Dr. Ahrens (SPD) betr. beispielgebende Wirkung des Gesetzes über die verbilligte Veräußerung, Vermietung und Verpachtung von bundeseigenen Grundstücken auf Bundesländer und Gemeinden . . . . . . . . . 9829 B Anlage 7 Schriftliche Antwort auf die Mündliche Frage des Abg. Krockert (SPD) betr. Verwendung von thailändischem Tiefentorf und Island-Moos bei der Herstellung von Tabakerzeugnissen . . . . . . . . 9829 B Anlage 8 Schriftliche Antwort auf die Mündliche Frage des Abg. Schlaga (SPD) betr. Erfassung der von Selbstdrehern hergestellten Zigaretten im Entwurf eines Elften Gesetzes zur Änderung des Tabaksteuergesetzes . . . . . . . . . 9829 D Anlage 9 Schriftliche Antwort auf die Mündliche Frage des Abg. Dr. Sperling (SPD) betr. steuerliche Begünstigung der Zigaretten, Zigarren und Rauchtabake, die aus anderen Stoffen als Tabak bestehen . . . 9829 D Anlage 10 Schriftliche Antwort auf die Mündlichen Fragen des Abg. Löffler (SPD) betr. Erhöhung des von den Mineralölfirmen dem Tankstellengewerbe gewährten Bonus 9830 A Anlage 11 Schriftliche Antwort auf die Mündlichen Fragen der Abg. Frau Dr. Orth (SPD) betr. unterschiedliche Handhabung des Mehrwertsteuerzuschlags für landwirtschaftliche Veredlungserzeugnisse . . . 9830 C Anlage 12 Schriftliche Antwort auf die Mündlichen Fragen des Abg. Peiter (SPD) betr. Benachteiligung der pflichtversicherten Handwerker und der freiwillig Versicherten in der ehemaligen französischen Zone durch § 32 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes . . . 9831 A Anlage 13 Zusätzliche Schriftliche Antwort auf die Frage des Abg. Dr. Götz (CDU/CSU) betr. Pensionierung von Beamten auf Lebenszeit mit dem vollendeten 62. Lebensjahr und Höhe der Pensionslast 9831 B Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Februar 1972 9737 171. Sitzung Bonn, den 23. Februar 1972 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Bals *** 25. 2. Bredl 4. 3. Breidbach 23. 2. Dasch 3. 3. Frau Dr. Diemer-Nicolaus *** 26. 2. Dr. Dittrich 25. 2. Draeger *** 25. 2. Freiherr von und zu Guttenberg 4. 3. Frau Dr. Henze 18. 3. Kahn-Ackermann *** 26. 2. Kriedemann * 23. 2. Lautenschlager * 24. 2. Lenze (Attendorn) *** 25. 2. Lücker (München) * 24. 2. Memmel * 25. 2. Mertes 25. 2. Müller (Remscheid) 25. 2. Pöhler *** 25. 2. Richarts 25. 2. Rinderspacher *** 25. 2. Dr. Schober 23. 2. Schulte (Schwäbisch Gmünd) 25. 2. Dr. Seume 25. 2. * Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments *** Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen der Versammlung der Westeuropäischen Union Anlage 2 Der Präsident des Bundesrates Bonn, 9. Februar 1972 An den Herrn Bundeskanzler Bonn Der Bundesrat hat in seiner 376. Sitzung am 9. Februar 1972 beschlossen, dem vom Deutschen Bundestag am 26. Januar 1972 verabschiedeten Gesetz über die weitere Finanzierung von Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden und des Bundesfernstraßenbaus (Verkehrsfinanzgesetz 1971) gemäß Artikel 84 Abs. 1, 104 a Abs. 4 und 105 Abs. 3 des Grundgesetzes zuzustimmen. Außerdem hat der Bundesrat die aus der Anlage ersichtliche Entschließung angenommen. Heinz Kühn Anlagen zum Stenographischen Bericht Bonn, den 9. Februar 1972 An den Herrn Präsidenten des Deutschen Bundestages Bonn Vorstehende Abschrift wird auf Ihr Schreiben vom 28. Januar 1972 mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt. Heinz Kühn Anlage zum Schreiben des Präsidenten des Bundesrates vom 9. Februar 1972 an den Bundeskanzler Entschließung zum Gesetz über die weitere Finanzierung von Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden und des Bundesfernstraßenbaus (Verkehrsfinanzgesetz 1971) Der Bundesrat stellt mit Bedauern fest, daß durch nationale Maßnahmen von EWG-Mitgliedstaaten den deutschen Seehäfen Wettbewerbsnachteile erwachsen, und vermag kein Verständnis dafür aufzubringen, daß durch das vorliegende Gesetz die Wettbewerbsverzerrungen zum Nachteil der deutschen Seehäfen noch weiter verschärft werden. Der Bundesrat nimmt Bezug darauf, daß der zuständige Bundesminister für Verkehr den deutschen Seehäfen nationale Maßnahmen zum Ausgleich der Wettbewerbsverzerrungen in Aussicht gestellt hat, wenn die wettbewerbsnachteiligen Maßnahmen der in Frage kommenden EWG-Mitgliedstaaten nicht abgebaut werden. Unter Bezug hierauf bittet der Bundesrat die Bundesregierung, 1. im Rahmen der EWG mit Nachdruck darauf hinzuwirken, daß eine Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen im Bereich des Verkehrswesens herbeigeführt wird, 2. im Zuge dieser Bemühungen alle Möglichkeiten auszunutzen, um durch nationale Maßnahmen schwere Schäden von der deutschen Verkehrswirtschaft abzuwenden. Anlage 3 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Hermsdorf vom 23. Februar 1972 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Breidbach (CDU/CSU) (Drucksache VI/3165 Frage A 60 und 61): Wie beurteilt die Bundesregierung die Lage der westdeutschen Aluminiumindustrie? Welche Prognose für den Aluminiumverbrauch pro Einwohner kann für die nächsten Jahre abgegeben werden? 9828 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Februar 1972 Die westdeutsche Aluminiumindustrie befindet sich gegenwärtig in einer recht ernsten Lage, die in erster Linie aus einer internationalen Überproduktion und einem entsprechenden Preisverfall resultiert. Auch in der Bundesrepublik sind in den letzten Jahren wegen der Verfügbarkeit billigeren Kernkraftstroms und im Vertrauen auf einen weiteren kräftigen Nachfrageanstieg neue Aluminiumkapazitäten entstanden. Die Hüttenproduktion stieg dadurch im abgelaufenen Jahr um 38 %auf 427 000 t, von denen ein Teil unabsetzbar blieb. Bei den Aluminiumlegierungen belief sich der Produktionsanstieg auf 6 % Da auch in der westlichen Welt insgesamt die Aluminiumnachfrage — wie schon 1970 — unter der Weltproduktion blieb, fielen im internationalen Handel die Preise unter die Gestehungskosten der meisten Produzenten, so daß gegenwärtig wenigstens die deutsche Produktion ein Verlustgeschäft geworden ist. Trotz des Kampfes um die Marktanteile sind 87 000 t im Frühjahr 1971 fertiggestellte Kapazitäten nicht in Betrieb genommen worden. Im Januar d. J. wurden weitere 33 000 t Kapazitäten älterer Werke abgeschaltet. Ungeachtet der großen gegenwärtigen Schwierigkeiten sieht die Bundesregierung — wie auch die Aluminiumwirtschaft — die Aluminiumindustrie mittel- bis langfristig als ausgesprochene Wachstumsindustrie an. Das temporäre Überangebot sollte, wofür international auf breiter Front plädiert wird, durch geringere Kapazitätsausnutzungen überwunden werden können. Verbauchsprognosen für einzelne Jahre unterliegen großen Fehlermöglichkeiten, wie aus folgender Übersicht über die letzten Jahre hervorgeht: Aluminiumverbrauch je Kopf in der Bundesrepublik Deutschland in kg 1965 8,9 1966 9,4 1967 9,0 1968 11,4 1969 13,5 1970 13,5 1971 13,6 Auf einen 50%igen Anstieg zwischen 1967 und 1969 folgte eine über zwei Jahre gehende Stagnation. Bislang ist der Aluminiumverbrauch mittelfristig doppelt so stark gestiegen wie das Sozialprodukt. Das mag für die nächsten 5 bis 6 Jahre, gestützt durch Überlegungen über den Verbrauch in einzelnen Fachrichtungen, noch zutreffen. Danach ist eine leichte Abflachung denkbar. Man kann deshalb bis 1976 mit einem Verbrauchsanstieg je Kopf von 7,5 bis 8 % in der Bundesrepublik Deutschland rechnen. Für das Endjahr ergäbe das einen Verbrauch in der Bundesrepublik Deutschland von 1,2 Millionen t, je Kopf von 18,0 kg. Die USA hatten 1969 einen je Kopf-Verbrauch von 22,4 und 1970 von 20,9 kg. Anlage 4 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Hermsdorf vom 23. Februar 1972 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. Becker (Mönchengladbach) (CDU/ CSU) (Drucksache VI/3165 Frage A 62) : Ist die Bundesregierung bereit, das Petitum des Verbandes der Europäischen Bekleidungsindustrie an das Generalsekretariat des GATT über den baldigen Abschluß eines Abkommens über den Welthandel mit Textilien zu unterstützen? Für Baumwolltextilien besteht bekanntlich bereits eine multilaterale Vereinbarung im Rahmen des GATT (Weltbaumwoliwarenabkommen). Was den Abschluß eines dem Weltbaumwollwarenabkommens analogen Abkommens für Non-Cotton-Textil- und Bekleidungserzeugnisse anbetrifft, wie es bereits 1969 von den USA vorgeschlagen wurde, so hat die Bundesrepublik — ebenso wie auch andere Länder — hiergegen Bedenken geäußert, weil sie in einer derart umfassenden Handelsbeschränkung ein gefährliches Präjudiz auch für andere Sektoren befürchtet, das schließlich zu einer Bedrohung des gesamten freien Welthandels führen könnte. In jedem Falle sollte daher nach Auffassung der Bundesregierung vor einer weltweiten Regelung für Non-Cotton-Textil- und Bekleidungserzeugnisse zunächst eine genaue Durchleuchtung der Handels- und wirtschaftspolitischen Situation dieses Sektors erfolgen. Die Bundesregierung hat sich deshalb vor längerer Zeit im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft, die für derartige handelspolitische Arrangements zuständig wäre, für die Einsetzung einer Arbeitsgruppe beim GATT ausgesprochen, welche die bestehenden Probleme untersuchen soll. Die EG hat ihre Bereitschaft hierzu schon anläßlich der Zusammenkunft der Vertreter der wichtigsten Welthandelsländer im Sommer 1970 und erneut im Frühjahr 1971 in Genf zum Ausdruck gebracht. Wegen des Widerstandes oder mangelnden Interesses anderer Welthandelsländer ist diese Arbeitsgruppe jedoch bisher nicht eingesetzt worden. Anlage 5 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Hermsdorf vom 23. Februar 1972 auf die Mündliche Frage der Abgeordneten Frau Funcke (FDP) (Drucksache VI/3165 Frage A 65) : Ist die Bundesregierung bereit, den Omnibusfahrern im Liniendienst, die neben dem Führen des Fahrzeugs den Kassendienst versehen und für die unter Berücksichtigung des Fahrgastandrangs, der Verkehrsbehinderung beim Halten und der Verpflichtung, den Fahrplan einzuhalten, die Gefahr von Kassenfehlbeträgen besonders groß ist, auch wenn der Gesamtumsatz beim Kassieren von Kleinbeträgen relativ gering ist, im gleichen Umfang Steuerfreiheit für Fehlgeldentschädigung zu gewähren wie den Arbeitnehmern, die der Regelung von Abschnitt 2 Abs. 2 Buchstabe a der Lohnsteuerriditlinien unterliegen? Ich beantworte Ihre mündliche Anfrage mit „nein". Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Februar 1972 9829 Der Bargeldumsatz der Omnibusfahrer im Liniendienst ist — verglichen mit anderem Kassendienst — normalerweise so gering, daß trotz des von Ihnen erwähnten größeren Verlustrisikos Steuerfreiheit für eine höhere Fehlgeldentschädigung nicht gerechtfertigt erscheint. Im übrigen hätte die Bundesregierung auch Bedenken, als Kriterium für die Höhe der steuerfreien Fehlgeldentschädigung neben dem Umfang des Bargeldumsatzes auch risikoerhöhende Umstände in Betracht zu ziehen. Hierfür ließen sich nur schwer allgemeingültige Abgrenzungsmerkmale finden. Das Problem besteht ja nicht nur bei Omnibusfahrern, sondern auch in anderen Berufen, wie z. B. bei Kassiererinnen in Lebensmittelgeschäften. Selbst bei Omnibusfahrern müßte man vielleicht unterscheiden zwischen Stadtverkehr und ruhigem Überlandverkehr. Ich möchte aber noch darauf hinweisen, daß Kassenverluste, die die Fehlgeldentschädigung übersteigen, als Werbungskosten geltend gemacht werden können, so daß den Busfahrern trotz der Begrenzung der steuerfreien Fehlgeldentschädigung auf 10 DM monatlich vielfach keine steuerlichen Nachteile entstehen. Anlage 6 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretär Hermsdorf vom 23. Februar 1972 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Dr. Ahrens (SPD) (Drucksache VI/3165 Fragen A 66 und 67) : Hat sich die Hoffnung der Bundesregierung auf eine beispielgebende Wirkung des Gesetzes über die verbilligte Veräußerung, Vermietung und Verpachtung von bundeseigenen Grundstücken auf die Bundesländer und Gemeinden erfüllt? In welchen Bundesländern sind entsprechende Gesetze erlassen worden oder in Vorbereitung? Der Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages hat die Bundesregierung zu einem Bericht über die von Ihnen gestellten Fragen aufgefordert. Die dazu notwendigen Stellungnahmen der Bundesländer und Gemeinden habe ich zum 1. März d. J. erbeten. Bislang hat sich nur ein Teil der angeschriebenen Stellen geäußert. Eine Beantwortung Ihrer Fragen ist daher zur Zeit noch nicht möglich. Sobald mir alle Stellungnahmen vorliegen, werde ich den Bericht an den Haushaltsausschuß erstatten und Ihnen eine Durchschrift des Berichts übersenden. Anlage 7 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Hermsdorf vom 23. Februar 1972 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Krockert (SPD) (Drucksache 171/3165 Frage A 68) : Welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung zu ergreifen, um die noch nicht bekannten, möglicherweise gesundheitsgefährdenden Wirkungen derjenigen Tabakwaren (im Sinne des § 2 Abs. 6 des Entwurfs eines Elften Gesetzes zur Änderung des Tabaksteuergesetzes in Drucksache VI/3048), wie zum Beispiel des unter Sachkundigen bekannten thailändischen Tiefentorfs oder des Island-Mooses, zu erforschen und bekanntzumachen, und hält es die Bundesregierung nicht für angebracht, diejenigen Tabakwaren, die nicht aus Tabak bestehen (§ 2 Abs. 6 des o. a. Entwurfs), steuerlich stärker zu belasten, um auf diese Weise der weiteren Verbreitung dieser möglicherweise die gesundheitsgefährdende Wirkung des Nikotins übertreffenden Stoffe vorzubeugen? Thailändischer Tiefentorf und Island-Moos werden in der Bundesrepublik bei der Herstellung von Tabakerzeugnissen nicht verwendet. Es gibt auch keinen Grund zu der Annahme, daß die deutsche Tabakindustrie künftig Torf und Moos verarbeiten wird. Die Bundesregierung sieht daher keinen Anlaß, Forschungen über etwaige schädliche Wirkungen dieser Stoffe anzustellen. Die Frage, ob zum Rauchen bestimmte Erzeugnisse, die nicht aus Tabak bestehen, steuerlich stärker belastet werden sollen, hat sich bisher nicht gestellt, weil es solche Erzeugnisse zur Zeit auf dem deutschen Markt nicht gibt. Die Bestimmung des § 2 Abs. 6 ist bereits vor einiger Zeit in das Tabaksteuergesetz aufgenommen worden, um Substitutionsprodukte, wie z. B. Zigaretten mit synthetischem Inhalt — an entsprechenden Versuchen wird im Ausland gearbeitet — ggf. ebenso besteuern zu können wie die ersetzten Naturprodukte. Für eine Erhöhung ides Steuersatzes für Substitutionsprodukte sieht die Bundesregierung unter den gegebenen Umständen z. Z. keinen Anlaß. Anlage 8 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Hermsdorf vom 23. Februar 1972 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Schlaga (SPD) (Drucksache VI/3165 Frage A 69) : Ist die Bundesregierung bereit, auch solche Zigaretten als Zigaretten im Sinne des Entwurfs eines Elften Gesetzes zur Änderung des Tabaksteuergesetzes (Drucksache VI/3048; dort § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 in Verbindung mit § 2 Abs. 3) zu erfassen, die von sogenannten „Selbstdrehern" unter Mißachtung der im § 2 Abs. 1 Nr. 2 geforderten Parallelität der Naht der Tabakfolie zur Längsachse des nicht aus Feinschnitt bestehenden Tabakstrangs hergestellt wurden, auch wenn sie ansonsten die Auflagen nach Stück gewicht und Hüllenmaterial beachten? Die in der Frage angeführten Bestimmungen des Tabaksteuergesetzes haben mit dem sog. Selbstdrehen von Zigaretten nichts zu tun. Sie dienen der begrifflichen Abgrenzung der Zigarette von der Zigarre. Im übrigen brauchen selbstgedrehte Zigaretten nicht versteuert zu werden, weil sie aus versteuertem Feinschnitt und versteuerten Zigarettenhüllen bestehen. Anlage 9 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Hermsdorf vom 23. Februar 1972 auf die Mündliche Frage des 9830 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Februar 1972 Abgeordneten Dr. Sperling (SPD) (Drucksache VI/3165 Frage A 70) : Halt es die Bundesregierung — ins Sinne der durch das Bundesministerium für Familie, Jugend und Gesundheit angeregten und geführten Kampagne gegen das durch Nikotin und andere Stoffe gesundheitsgefährdende Rauchen von Tabakwaren und insbesondere von Zigaretten — nicht für sinnvoll, eine steuerliche Bevorzugung derjenigen Zigaretten, Zigarren und Rauchtabake im Sinne der Definition des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Elften Gesetzes zur Änderung des Tabaksteuergesetzes (Drucksache VI/2899 in der Fassung der Beschlüsse des Finanzausschusses in Drucksache VI/3048; dort § 2 Abs. 1 bis 5) zu erwägen, soweit diese entsprechend § 2 Abs. 6 des gleichen Entwurfs ganz aus anderen Stoffen als Tabak bestehen, und ist die Bundesregierung bereit, den Abgeordneten des Bundestages eine Zusammenstellung derjenigen Tabakwaren zukommen zu lassen, die nicht aus Tabak bestehen (§ 2 Abs. 6 des Entwurfs eines Elften Gesetzes zur Änderung des Tabaksteuergesetzes in Drucksache VI/3048)? Der Forschung ist es bis heute nicht gelungen, einen Ersatzstoff für Tabak zu finden, der nicht schädlich ist. Es gibt daher keinen Anlaß, die Frage einer steuerlichen Bevorzugung solcher Erzeugnisse zu prüfen. Zigaretten, Zigarren und Rauchtabak aus anderen Stoffen als Tabak sind zur Zeit nicht auf dem deutschen Markt. Anlage 10 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Hermsdorf vom 23. Februar 1972 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Löffler (SPD) (Drucksache VI/3165 Fragen A 71 und 72) : Glaubt die Bundesregierung, daß das von den Mineralölfirmen an das Tankstellengewerbe gerichtete Angebot, nach dem sich der Bonus pro Liter lediglich um 0,2 Pf bei Normalbenzin und um 0,8 Pf bei Super erhöhen soll, den steigenden Kosten im Tankstellengewerbe gerecht wird? Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, während der z. Z. laufenden Verhandlungen über Konditionsverbesserungen auf die Mineralölfirmen dahin gehend einzuwirken, daß diese dem Tankstellengewerbe einen Bonus gewähren, der die selbständige wirtschaftliche Basis dieses Gewerbes sichert? Die Bundesregierung verfügt über keine repräsentativen Unterlagen, die eine Beurteilung der Kostensituation des Tankstellengewerbes und der Angemessenheit der Provisionsvorschläge der Mineralölgesellschaften zuließen. Bei der Wertung der gegenwärtig zwischen den Mineralölgesellschaften und den Tankstellenverbänden geführten Verhandlungen glaubt die Bundesregierung, angesichts der wechselseitigen Interessenverflechtung beider Wirtschaftsgruppen davon ausgehen zu können, daß ein für beide Seiten befriedigendes Ergebnis ausgehandelt werden kann. Dabei müssen sich zwangsläufig die Mineralölgesellschaften von dem Interesse leiten lassen, ein funktions- und leistungsfähiges Tankstellengewerbe für den Absatz ihrer Produkte zur Verfügung zu haben. Die nachhaltigen Anstrengungen in dieser Richtung kommen unter anderem darin zum Ausdruck, daß der durchschnittliche Kraftstoffabsatz je Tankstelle von 33 500 Litern im Jahre 1970 auf rd. 42 500 Liter zu Anfang des Jahres 1972 gestiegen ist. Damit sind auch die Provisionseinkommen der Tankstelleninhaber gestiegen. Der darin deutlich werdende Rationalisierungseffekt ist nicht zuletzt durch eine Konzentrierung des Absatzes auf modernere und leistungsfähigere Anlagen erreicht worden. Nach Auffassung der Bundesregierung können in der in der Bundesrepublik bestehenden Wirtschaftsordnung die unterschiedlichen Interessen von Mineralölgesellschaften und Tankstellengewerbe am ehesten und am besten durch unmittelbare Verhandlungen zwischen beiden Wirtschaftsgruppen ausgeglichen werden, wie das auch in der Vergangenheit der Fall war. Das schließt nicht die Bereitschaft der Bundesregierung zu vermittelnden Gesprächen aus. Sie verweist in diesem Zusammenhang auf die wiederholten Gespräche im BMWF, durch die in der Vergangenheit das Zustandekommen einvernehmlicher Regelungen zwischen beiden Wirtschaftsgruppen gefördert worden ist. Bei diesen Gesprächen hat sich das BMWF davon leiten lassen, — die Rationalisierungsbemühungen beider Parteien zu unterstützen, — die sozialen Anliegen des Tankstellengewerbes gewahrt zu sehen, — die Interessen der Verbraucher an einer preisgünstigen Versorgung zur Geltung zu bringen. Anlage 11 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Hermsdorf vom 23. Februar 1972 auf die Mündlichen Fragen der Abgeordneten Frau Dr. Orth (SPD) (Drucksache VI/3165 Fragen A 73 und 74): Ist der Bundesregierung bekannt, daß der Mehrwertsteuerzuschlag für landwirtschaftliche Veredlungserzeugnisse unterschiedlich gehandhabt wird, indem einmal der Bruttoerlös von allen Kosten bereinigt wird und dann erst der Mehrwertsteuerzuschlag erfolgt, während ein anderes Mal die Mehrwertsteuer dem Bruttoerlös zugeschlagen wird und dann erst die Kosten abgezogen werden? Sieht es die Bundesregierung nicht für erforderlich an, daß, uni Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden, hier nach einheitlichen Regelungen verfahren werden müßte? Der Bundesregierung .ist bekannt, daß die Verrechnung von Aufwendungen, deren Erstattung der Abnehmer landwirtschaftlicher Erzeugnisse vom Lieferer verlangen kann, unterschiedlich gehandhabt wird. Diese Unterschiede sind jedoch sachlich gerechtfertigt. Sind die Aufwendungen durch Zahlungen entstanden, die der Abnehmer für eigene Rechnung — d. h. auf Grund eigener Verpflichtung — an Dritte geleistet hat, so mindert die Erstattung das Entgelt für die Lieferung. Die Verrechnung kann daher vor Berechnung der Umsatzsteuer vorgenommen werden. Bei nachträglicher Erstattung muß der Erstattungsbetrag in eine Minderung des Entgelts und eine anteilige Minderung der in Rechnung gestellten Umsatzsteuer aufgeteilt werden. Dagegen gehören Zahlungen, die der Abnehmer für Rechnung des Lieferers leistet — durch die er also den Lieferer von einer Verpflichtung gegenüber Dritten befreit — zum Entgelt für die Lieferung. Die Erstattung derartiger Zahlungen ist nur durch Verrechnung mit dem Preis der Lieferung, d. h. nur nach Berechnung der Umsatzsteuer zulässig. Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Februar 1972 9831 Die Bundesregierung hält es für erforderlich, daß nach den eben dargelegten Grundsätzen verfahren wird. Soweit ihr bekanntgeworden ist, daß sachlich nicht gerechtfertigte, sondern auf uneinheitlicher Rechtsanwendung beruhende Unterschiede gemacht worden sind, hat sie bereits im Einvernehmen mit den Obersten Finanzbehörden der Länder für eine einheitliche Regelung gesorgt, wie z. B. bei den Beiträgen zum Absatzfonds oder der Produktionsabgabe Zucker. Anlage 12 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Rohde vom 23. Februar 1972 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Peiter (SPD) (Drucksache VI/ 3165 Fragen 82 und 83) : Ist die Bundesregierung bereit, nunmehr die Gesetzeslücke zu schließen, die dadurch entstanden ist, daß in § 32 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes 1957 für die pflichtversicherten Handwerker und freiwillig Versicherten in der damaligen französischen Zone die gleichen Werteinheiten festgelegt wurden wie für die Versicherten in der ehemaligen englischen und amerikanischen Zone, obwohl der oben genannte Personenkreis im Markenverfahren in der Zeit vom 1. Juni 1946 bis 31. Oktober 1949 auf Grund der Verordnung Nr. 38 des Oberbefehlshabers der französischen Besatzungszone erheblich höhere Beiträge geleistet hat? Ist der Bundesregierung bekannt, daß von dieser Benachteiligung etwa 25 000 Personen aus der damaligen französischen Zone betroffen sind? Der von Ihnen genannte Sachverhalt geht auf die geltende Rentenformel zurück. Danach werden der Rentenberechnung die versicherten Bruttoarbeitsentgelte oder Bruttoarbeitseinkommen zugrunde gelegt, und zwar gleichermaßen in der Pflichtversicherung wie auch in der freiwilligen Weiterversicherung. Hierbei werden die versicherten Bruttoarbeitsentgelte und Bruttoarbeitseinkommen für das gesamte Gebiet der Bundesrepublik einheitlich bewertet. Diese grundlegende Regelung wirkt sich nicht allein auf den von Ihnen angesprochenen Personenkreis aus. Beispielsweise war der Beitragssatz in der Vergangenheit sowohl im zeitlichen Ablauf als auch teilweise in den Rentenversicherungen der Arbeiter und der Angestellten unterschiedlich hoch. Auch diese Sachverhalte bleiben bei der Berechnung der durch die geltende Rentenformel begründeten lohnbezogenen Rente unberücksichtigt. Zu Ihrer zweiten Frage darf ich noch ergänzend mitteilen, daß genaue Zahlen unserem Hause nicht vorliegen. Der Beitragssatz galt seinerzeit nicht nur für die pflichtversicherten Handwerker und für die freiwillig Versicherten, sondern für alle Versicherten. Anlage 13 Zusätzliche Schriftliche Antwort des Bundesministers Genscher vom 16. Februar 1972 auf die Frage des Abgeordneten Dr. Götz (CDU/ CSU) *) Im Schlußabsatz meiner schriftlichen Antwort auf ihre Fragen habe ich zugesagt, daß ich mich bemühen werde, Zahlen für die Bereiche zu ermitteln, in denen statistisch aufgeschlüsselte Unterlagen vorhanden sind. Nach meinen Feststellungen sind solche Zahlenangaben zu einem Teil für die Bereiche Deutsche Bundesbahn und Deutsche Bundespost vorhanden. Der anliegenden Übersicht**) ist zu entnehmen, wieviel Beamte innerhalb der vorgenannten Bereiche in den Kalenderjahren 1962 bis 1971 nach Vollendung des 62. Lebensjahres in den Ruhestand versetzt worden sind und welche Erhöhung der Versorgungslasten sich dadurch in den entsprechenden Kalenderjahren ergibt. Ergänzend bemerke ich, daß im Bereich der Deutschen Bundesbahn nach einer im Jahre 1967 durchgeführten Repräsentativerhebung rund 55 v. H. der auf eigenen Antrag nach § 42 Abs. 3 BBG in den Ruhestand versetzten Beamten nicht mehr dienstfähig gewesen sind. Im Bereich der Deutschen Bundespost sind in den Jahren 1962, 1968, 1969 und 1971 keine statistischen Erhebungen angestellt worden. Außerdem konnte die Erhöhung der Versorgungslasten mangels Unterlagen nur geschätzt werden. Insbesondere ist dabei nicht berücksichtigt worden, daß ein großer Teil der nach § 42 Abs. 3 BBG in den Ruhestand versetzten Beamten bereits dauernd dienstunfähig war. Nach einer 1968 angestellten Erhebung betrug im Jahre 1967 der Anteil der nicht mehr dienstfähigen Beamten an der Gesamtzahl der nach § 42 Abs. 3 BBG in den Ruhestand versetzten Beamten nur etwa 60 bis 70 v. H. *) Siehe 154. Sitzung Seite 8903 A **) Übersicht über Ruhestandsversetzungen nach § 42 Abs. 3 BBG Bereich der Bereich der Deutschen Deutschen Bundesbahn Bundespost Jahr Zahl der Versorgungsaufwand im Zahl der Versorgungsaufwand im Ruhestandsversetzungen Jahr der Ruhestands- Jahr der Ruhestandsversetzung versetzungen Ruhestandsversetzung in Millionen i in Millionen DM DM 1962 529 3,11 1) — - 1963 532 3,44 1 356 7,4 1964 623 4,14 1 316 7,5 1965 593 4,35 1 263 7,7 1966 472 3,79 1 065 6,8 1967 413 3,35 1 060 7,1 1968 353 3,16 1) — — 1969 454 4,18 1) — - 1970 518 5,38 1 053 10,4 1971 645 10,21 1) — — 1) Es sind keine statistische Erhebungen erstellt worden.
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    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der dritte Bericht dieser Bundesregierung über die Lage im geteilten Deutschland fällt zusammen mit der ersten Lesung der Verträge mit der Sowjetunion und Polen. Unser friedliches Streben nach deutscher Einheit und europäischer Einigung wird durch diese Verträge dem Vorwurf der Friedensstörung entzogen. Im September vergangenen Jahres ist es zur Berlin-Vereinbarung der Vier Mächte gekommen, und diese ist im Dezember durch Abmachungen der zuständigen deutschen Stellen ausgefüllt worden.
    Von den sechs Punkten, mit denen ich den vorjährigen Bericht zur Lage der Nation abschloß, haben sich die drei letzten erledigt. Die drei ersten will ich hier ausdrücklich bekräftigen.
    Erstens. Das in der Charta der Vereinten Nationen niedergelegte Recht auf Selbstbestimmung muß im geschichtlichen Prozeß auch den Deutschen zustehen.
    Zweitens. Die deutsche Nation bleibt auch dann eine Realität, wenn sie in unterschiedliche staatliche und gesellschaftliche Ordnungen aufgeteilt ist.



    Bundeskanzler Brandt
    Drittens. Die auf Bewahrung des Friedens verpflichtete Politik der Bundesregierung erfordert eine vertragliche Regelung der Beziehungen auch zur DDR. Die in den 20 Punkten von Kassel niedergelegten Grundsätze und Vertragselemente bleiben die für uns gültige Grundlage für Verhandlungen.
    Die Erfahrung des zurückliegenden Jahres hat gezeigt, wie stark unsere Politik in den westlichen Gemeinschaften verankert ist und daß sie einen eigenen Beitrag zum Abbau von Spannungen zwischen Ost und West zu leisten vermag.
    Der amerikanische Präsident hat kürzlich davon gesprochen, daß 1971 eine Reihe von — ich darf ihn zitieren — „Durchbrüchen zum Frieden erzielt worden sind". Ähnlich wie die Vereinigten Staaten hat — so sieht es die Bundesregierung — auch die Bundesrepublik Deutschland aufgehört — ich darf wieder zitieren —, „auf Grundlage der Gewohnheiten von gestern zu reagieren, und damit begonnen, die Realitäten von heute und die Chancen von morgen zum Gegenstand ihres Handelns zu machen".
    Die Bundesregierung kann wie die Verbündeten darauf verweisen, daß ihre Erwartungen im zurückliegenden Jahr durch einige wichtige praktische Ergebnisse bestätigt worden sind. Das Berlin-Abkommen — und dies ist nicht nur unsere Wertung — hat den Frieden sicherer gemacht, weil es die Gefahr einer wirklich bedrohlichen Konfrontierung der Weltmächte reduziert, weil die zeitlich nicht begrenzte Anwesenheit der Drei Mächte in Berlin von der Sowjetunion nicht mehr in Frage gestellt wird, weil die Bindungen zwischen West-Berlin und dem Bund bestätigt sind und weil die Stadt zum erstenmal seit vielen Jahren wieder eine Perspektive der friedlichen Entfaltung bekommen wird.
    Manche Sorgen, die vor einem Jahr und in der Zwischenzeit geäußert wurden, sind gegenstandslos geworden. Den Berlin-Verhandlungen ist es gut bekommen, daß sie im wesentlichen aus dem Parteienstreit herausgehalten werden konnten. Die Bundesregierung würde es begrüßen, wenn dies auf anderen Gebieten der Entspannungspolitik fortgesetzt werden könnte.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wenn das Berlin-Abkommen in Kraft tritt, wird es, meine Damen und Herren, mit einer Mehrzahl menschlicher Erleichterungen verbunden sein. Dies gilt vor allem für die Besuchsmöglichkeiten der Westberliner und für den Berlin-Verkehr.
    Im Vorfeld hat geregelt werden können, daß seit dem 1. Januar 1972 für die Benutzung der Transitwege keine individuellen Gebühren mehr entrichtet werden müssen. Außerdem haben zum Ende des vergangenen Jahres 150 Telefonleitungen zwischen West- und Ost-Berlin in Betrieb genommen werden können.
    Mit der DDR konnte eine Postvereinbarung geschlossen werden, die Verbesserungen und Beschleunigungen, auch im Päckchen- und Paketverkehr, gebracht hat. Telefon- und Telexleitungen wurden vermehrt.
    Als wichtiges Ereignis ist seit dem vorigen Bericht zur Lage der Nation aber vor allem das erste Abkommen festzuhalten, das Bundesregierung und Regierung der DDR geschlossen haben. Es geht in einer Reihe von Punkten über das hinaus, was zur bloßen Ausfüllung der Viermächtevereinbarung erforderlich gewesen wäre. Die Drei Mächte haben es uns gegenüber als konform mit der Vereinbarung bezeichnet, die sie mit der Sowjetunion getroffen haben.
    Die Berlin-Regelung — einschließlich dessen, was der Senat in eigener Zuständigkeit abgemacht hat — wird die Beteiligten von einem Krisendruck befreien, der in den zurückliegenden Jahren nicht hatte beseitigt werden können. Die Bundesregierung dankt allen, nicht zuletzt unseren alliierten Freunden, die zu diesem Ergebnis beigetragen haben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Es ergibt sich aus der politischen Lage, daß die Berlin-Regelung insgesamt erst im Zusammenhang mit der Ratifizierung des Moskauer Vertrages in Kraft treten wird.
    Gestern ist in Ost-Berlin bekanntgegeben worden, daß — als Geste des guten Willens, wie man es nannte —

    (Abg. Stücklen: Rein zufällig!)

    neue Regelungen für den Reise- und Besucherverkehr zu Ostern und Pfingsten in Kraft gesetzt werden sollen. Ich möchte das positiv registrieren

    (Beifall bei den Regierungsparteien)

    und jetzt nur hinzufügen: Guter Wille dort wird gutem Willen hier begegnen.

    (Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren! Gemessen an der Situation, die uns seit Jahren bedrückt, gemessen daran, daß die Verhältnisse nicht besser, sondern seit langem stetig schlechter geworden waren, ist heute die Chance einer partiellen Verbesserung gegeben. Trotz aller Gegensätze und Schwierigkeiten, die bleiben, können wir heute — anders als vor einem Jahr — feststellen, daß beide Regierungen in Deutschland große Anstrengungen unternommen haben, um ihre Berlin-Abmachungen zustande zu bringen. Gestützt auf diese Erfahrung sollte es möglich sein, auch in anderen Bereichen Fortschritte zu erzielen, die den beiderseitigen Interessen Rechnung tragen.
    Die Bundesregierung wird es auch weiterhin nicht an Bemühungen fehlen lassen, damit die Entspannung nicht um Deutschland herumgeht oder über es hinweggeht.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Bei jedem Abkommen zwischen Ost und West handelt es sich heute darum, ob — ohne Verwischen der grundlegenden Gegensätze — Konfrontation durch Verständigung über das praktisch Mögliche und Notwendige ersetzt werden kann. Die politisch Verantwortlichen in West und Ost stellen sich dieser Aufgabe. Wir dürfen uns ihr nicht entziehen. Von beiden Staaten in Deutschland wird erwartet, daß sie



    Bundeskanzler Brandt
    für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa ihren Beitrag leisten.
    Inzwischen haben die beiden deutschen Regierungen in eigener Kompetenz und auf der Basis der Gleichberechtigung mit dem Versuch begonnen, einen praktisch wichtigen Sektor, nämlich den des Verkehrs, durch Vertrag zu regeln. Die Bundesregierung hat ihr Interesse an einem Verkehrsvertrag, der der parlamentarischen Zustimmung bedürfen wird, schon hier vor einem Jahr bekundet. Dabei geht es natürlich nicht nur um Eisenbahnen, um Autos und um Schiffe, sondern vor allem um die Menschen, die die Verkehrsmittel benutzen und die Möglichkeit bekommen sollen, sie umfassender und rascher zu benutzen.
    Die Bundesregierung muß auch heute wieder darauf hinweisen, daß solche Verhandlungen schwierig sind und daß positive Ergebnisse nur Schritt für Schritt erwartet werden können. Ich möchte — wie vor einem Jahr — vor übertriebenen Erwartungen warnen. Aber wir werden nichts unversucht lassen, um in den Bereichen, die dafür in Betracht kommen, Verbesserungen zu erreichen.
    Wir sind bereit — nach einem Verkehrsvertrag —, die Beziehungen zur DDR generell vertraglich zu regeln. Auch dabei wird es nicht nur um Formen gehen können, sondern es wird um das Interesse der Menschen gehen müssen. Es wird zu berücksichtigen sein, daß Verträge zwischen diesen beiden Staaten in gleicher Weise verbindlich sein müssen wie zwischen allen Staaten, daß die Rechte der Vier Mächte, die in dem Berlin-Abkommen gerade ihren Ausdruck gefunden haben, ihre Geltung behalten, denn es gibt bekanntlich keinen Friedensvertrag, und daß beide Staaten, bei all ihrer Unterschiedlichkeit und Gegensätzlichkeit, doch zur Nation in Beziehung stehen.
    Wir sind unserem Grundgesetz verpflichtet, und uns ist nichts davon bekannt, daß die Ausrichtung der DDR-Verfassung auf die Nation geändert werden soll. „Deutschland" und „deutsch" — das sind Begriffe, zu denen wir stehen und von den andere auch kaum weglaufen können.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Es hat nichts mit Juristerei zu tun und steht jedenfalls über der Kategorie des Völkerrechts, daß die Menschen in diesen beiden Staaten sich im Verhältnis zueinander nicht als Ausländer empfinden. Und die Regierungen in Deutschland sind gewiß gut beraten, auch diese Realität weder zu leugnen noch zu übersehen.
    Es ist wichtig, daß die Deutschen hüben und drüben mehr voneinander wissen. Dies ist auch der Grund dafür, daß wir zum zweitenmal Materialien über die gesellschaftliche Entwicklung in beiden Teilen vorgelegt haben. Herr Kollege Franke wird sich dazu morgen noch äußern. Ich will hier nur sagen: es handelt sich wiederum um eine Arbeit von Wissenschaftlern, die sich im Auftrag der Bundesregierung, aber in eigener Verantwortung, diesmal um eine sachliche Bestandsaufnahme auf wichtigen Rechtsgebieten bemüht haben. Die vorjährigen Materialien haben bei uns und im Ausland viel Beachtung gefunden. Die Behörden in der DDR haben hierin ganz zu Unrecht eine Einmischung gesehen.
    Uns liegt jede Störung fern. Wir würden es vielmehr begrüßen, wenn mehr Austausch und Zusammenarbeit der Wissenschaft auf beiden Seiten zugute kämen.
    In Ost-Berlin hat man es für erforderlich gehalten, sich von uns in der Bundesrepublik Deutschland politisch und ideologisch noch schärfer abzugrenzen. Wir müssen das hinnehmen und lassen uns unsererseits ja auch nicht davon abbringen, die Trennungslinie deutlich zu ziehen. Und das heißt, gerade die junge Generation auf die unersetzlichen Werte einer freiheitlich-demokratischen Staats- und Lebensform hinzuweisen. Aber wir geben die Hoffnung nicht auf, daß die in der DDR Verantwortlichen es in der weiteren Entwicklung doch für möglich halten, einem Abbau der physischen Schranken zwischen den Menschen weniger furchtsam zu begegnen.
    Ich will hier noch einmal betonen: Der Gewaltverzicht der Bundesrepublik Deutschland schloß und schließt die Grenze zur DDR ein. Die Bundesregierung ist bereit, dies auch bilateral in aller Form und Verbindlichkeit festzulegen. Wir meinen, auf diese Weise dazu beitragen zu können, daß die Schrecken überwunden werden, durch die die härteste Grenze in Europa gekennzeichnet ist.
    Mauer, Minenfelder und Schießbefehl gab es bekanntlich, lange bevor diese Bundesregierung ihr Amt übernahm. Gemeinsam mit allen Kräften guten Willens wollen wir alle Beharrlichkeit und alle Zielstrebigkeit darauf verwenden, daß sich die Verhältnisse nach und nach zum Besseren wenden. Das heißt: Abbau der Spannungen, bessere Beziehungen zwischen Ost und West und dadurch bessere Bedingungen für das deutsche Volk in seiner Gesamtheit, freiere Bewegung für Menschen, Güter und geistige Werte nicht nur für die Deutschen in Deutschland, sondern für die Europäer in Europa.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren! In unserer Regierungserklärung vom Oktober 1969 haben wir gesagt, daß die DDR für uns zwar ein Staat ist, zu dem wir unsere Beziehungen verträglich — gut, wenn es geht, jedenfalls durch Vertrag — gestalten wollen, daß sie aber Ausland für uns nicht sein kann. Als wir dies sagten, haben wir niemand diskriminiert, sondern nur eine schlichte, allen Deutschen vertraute Wahrheit ausgesprochen.
    Unsere Verhandlungspartner in Ost-Berlin vermeiden es, von den „beiden deutschen Staaten" zu sprechen, wie wir es tun. Aber aus dem Namen ihres Staates können sie — und wollen sie vermutlich — das Wort nicht entfernen. Bürger der DDR und unsere Landsleute aus der Bundesrepublik werden, wo immer sie außerhalb ihres Landes erscheinen, als das angesehen, was sie sind, nämlich als Deutsche. Wenn Touristen aus der DDR in einem Land, in das auch sie reisen dürfen, Touristen aus der Bundesrepublik treffen, dann erkennen sie sich und verhalten sie sich als Landsleute. Gegen diese elementare Tatsache hilft keine Formulierungskunst, denn sie ist das Werk, das Ergebnis eines guten Jahrtausends und nicht von bloßen 75 Jahren.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)




    Bundeskanzler Brandt
    Die Deutschen in ihrer Gesamtheit sind in unseren Jahren keine Staatsnation, sie sind dennoch durch viel mehr als bloß die gemeinsame Sprache verbunden: im menschlichen Bereich noch immer durch unzählige familiäre Bande, im geistigen durch eine gemeinsame Geschichte und Literatur. Daß sich dies nicht ändert, bis in der Zukunft eine politische Verbindung möglich sein wird, dazu bedarf es jener Politik, die die Bewahrung der Nation erstrebt.
    Jede Politik, die der nationalen Einheit dienen will, muß jene Wirklichkeit erhalten helfen, die nicht erst 1871 anfing dazusein und die 1945 oder 1949 nicht aufhörte, dazusein. Sie ist auch heute noch da, jene Wirklichkeit der deutschen Nation, die auf dem Bewußtsein der Deutschen als einer geschichtlich gewordenen Gemeinschaft beruht. Dieses Bewußtsein und die auf ihm beruhende Wirklichkeit sind jedoch nicht ungefährdet. Deshalb kommt viel darauf an, der Jugend hüben und drüben das Gefühl für und das Wissen um das, was ihr trotz aller Teilung gemeinsam bleibt, zu erhalten oder wiederzugeben und damit ihr Verständnis dafür zu wecken, daß die gemeinsame Geschichte deutscher Leistungen, deutscher Irrungen und deutschen Leides mehr umfaßt, als irgendeine enge Doktrin auszuschöpfen vermag. Diese Geschichte hat die charakteristischen Eigenschaften unseres Volkes geprägt und wird unser aller Zukunft mitbestimmen.
    Ein geregeltes Verhältnis, einen vertraglich fixierten Modus vivendi zwischen den beiden deutschen Staaten herbeizuführen und dadurch die trennenden Schranken abzubauen, damit die Begegnung zwischen den Menschen einer Nation leichter wird, bleibt eine wichtige Aufgabe nationaler Politik. Sie hat auch europäische Bedeutung; sie ist jedenfalls nur europäisch zu lösen.
    Die Bundesregierung hat ihre deutsche Verantwortung. Dies kann jedoch nicht heißen, eine Außenpolitik mit Vorbehalten zu betreiben. Wir erkennen die Fakten in Europa an, und wir versichern unseren Freunden und Verbündeten, daß wir mit Klarheit und Entschiedenheit alle unsere politischen Schritte und Absichten an den Realitäten messen werden. Eine patriotische Politik in Deutschland kann heute nur eine europäische Politik sein.

    (Beifall bei den Regierungsparteien und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

    Dabei arbeitet der geschichtliche Wandel heute schneller denn je, und er gräbt tief. Wir erleben alle, wie tief er das in Westeuropa und hier bei uns im letzten Vierteljahrhundert getan hat, wie er das Beschränkende und Feindliche verloren hat. Die Nationen bleiben, was sie sind, aber die Staaten nicht. Sie existieren in immer engerer Zusammenarbeit miteinander; reiner kann sich mehr wirklich unabhängig fühlen. Hier gibt es in gewissem Sinn Berührungen mit dem vornationalstaatlichen Zeitalter, als es beides gab, Nation und Staat, aber beide noch nicht dasselbe waren.
    Im übrigen: nicht auf allen Gebieten ist die DDR so weit von uns entfernt, wie wir es manchmal glauben. Ein Beispiel: Die Germanistik wird in der DDR sehr eifrig betrieben. Es entstehen Ausgaben deutscher Klassiker, die nach Auffassung der Kenner vollständiger und philologisch genauer überhaupt nicht sein können.

    (Unruhe bei der CDU/CSU.)

    Eine Ausgabe der Werke Schillers liegt vor. Sie heißt „National-Ausgabe". An einer Sammlung der Werke, Briefe und Lebenszeugnisse Heinrich Heines wird gearbeitet. Das Institut, dem dieses auf 50 Bände berechnete Riesenunternehmen zu danken sein wird, trägt den Namen „Nationale Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur". Eine neue Heine-Ausgabe wird auch bei uns in Düsseldorf vorbereitet. Es wäre wohl sinnvoller und den beiden Seiten nicht abträglich, wenn sich beide gelehrte Arbeitskreise zusammengetan hätten.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Das konnte leider noch nicht sein. Bleibt die Hoffnung, in der Verdoppelung und der Konkurrenz und bei aller Gegensätzlichkeit der politischen Ordnungen dennoch dem zu dienen, was über Generationen und Richtungen hinweg Deutsche der europäischen Kultur gegeben haben.
    Zu unserer Deutschlandpolitik gehören gleichermaßen das Festhalten am Recht auf Selbstbestimmung, die Bewahrung der Nation, vertraglich geregelte Beziehungen zwischen den beiden Staaten.
    Gleichzeitig mit diesem Bericht legt die Bundesregierung die Entscheidung über die Ostverträge in die Hände des Deutschen Bundestages. Diese Entscheidung wird für den großen Versuch dieser Jahre, das Verhältnis zwischen Ost und West zu verbessern und damit auch den Deutschen eine bessere Zukunft zu sichern, von ausschlaggebender Bedeutung sein. Die Politik, die wir hier, wenn es so weit ist, zu bestätigen und zu stützen bitten, dient Europa und dem Frieden; sie dient dem innerdeutschen Frieden und der Nation.

    (Anhaltender Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Kai-Uwe von Hassel
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Ich danke dem Herrn Bundeskanzler für die Abgabe der Regierungserklärung.
Das Wort hat nunmehr zur Einbringung der Ratifizierungsgesetze gemäß den Punkten 3 und 4 der Tagesordnung der Herr Bundesminister des Auswärtigen.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Walter Scheel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die allgemeine Lage der Welt, die den politischen Hintergrund für die Einbringung der Verträge von Moskau und Warschau bildet, ist ernst. Wir alle wissen, daß der zweite Weltkrieg Probleme hinterlassen hat, die ungleich gefährlicher sind als diejenigen, die zu den früheren Konflikten geführt haben. Ost und West in Europa, in Militärbündnissen zusammengefaßt, stehen einander hochaufgerüstet gegenüber. Die Trennlinie der Konfrontation verläuft mitten durch unser Land und teilt es gegen den Willen der Deutschen. Die Bun-



    Bundesminister Scheel
    desrepublik und die DDR sind heute gegeneinander in stärkerem Maße abgeschlossen als gegenüber jedem anderen Land der Welt. Mauer und Stacheldraht, Mißtrauen und Ideologien trennen uns. Die nukleare Konfrontation der Weltmächte, zu denen China jetzt hinzugetreten ist, stellt die Menschheit vor ihre Existenzfrage wie nie zuvor in der Geschichte.
    Dies erklärt, warum der amerikanische Präsident sich in Peking aufhält und wenig gefragt hat nach protokollarischen oder formaljuristischen Bedenken gegen eine solche Reise. Er will nichts unversucht lassen, um noch einmal, bevor es zu spät ist, an die Stelle der Feindschaft die Vernunft und an die Stelle des Rüstungswettlaufs die wirtschaftliche Zusammenarbeit zu setzen. Aus diesem selben Grunde wird er nach Moskau reisen. Bei seinen Moskauer Gesprächen wird er sich auf die ersten Ergebnisse der Verhandlungen stützen können, die seit Jahren zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten über die Begrenzung der strategischen Angriffswaffen geführt werden.
    Allenthalben in der Welt, meine Damen und Herren, sind Aggression und Gewalt im Vormarsch. Was Ortega y Gasset einmal den „vertikalen Einbruch der Barbarei" genannt hat, scheint sich in unseren Tagen abzuzeichnen. Die Kluft zwischen den industrialisierten Ländern und den Entwicklungsländern verbreitert sich. Das provozierende Gefälle zwischen reich und arm im Weltmaßstab könnte eines Tages den Nährboden für elementare Gewaltausbrüche bilden, deren Ausmaß wir uns heute noch gar nicht vorzustellen vermögen.
    Wenn der erste Weltkrieg noch 9 Millionen Tote, der zweite bereits 30 Millionen Tote gekostet hat, so wird ein neuer Weltkonflikt mit Sicherheit das Ende dieser unserer Zivilisation bedeuten, und niemand kann daran zweifeln, daß ein Konflikt zwischen Ost und West in Europa ein Weltkonflikt sein würde. Jedermann weiß, daß ein möglicher Konflikt in Europa dort seinen Ausgang nehmen würde, wo die Interessen und Armeen am dichtesten aufeinanderstoßen, nämlich entlang der Linie, die Deutschland in zwei deutsche Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung teilt.
    Diese Bundesregierung — so wie andere vor ihr — hätte ihre Verantwortung für das Wohl dieses Volkes auf das sträflichste mißachtet, wenn sie nicht versucht hätte, ihren Teil zur Entschärfung der Lage beizutragen. Sie weiß, daß es sich in der Lage, in der wir uns befinden, nicht nur um ungelöste Grenzfragen handelt, sondern daß die physische und biologische Erhaltung unseres Volkes auf dem Spiele steht.
    Das Friedensinteresse einer so arbeitsteiligen und hochindustrialisierten Gesellschaft wie der unsrigen muß noch größer sein als dasjenige anderer Staaten. Die geringste internationale Erschütterung ist geeignet, unseren anfälligen und gefährdeten Produktionsapparat in Unordnung zu bringen. Alle Krisen, sei es in Berlin, im Mittelmeer, im Mittleren oder Fernen Osten, haben eine direkte Auswirkung auf unsere Wirtschaft, die die Grundlage unserer Lebensverhältnisse bildet. Es liegt daher nahe, daß sich unser Staat, noch mehr als andere, um den Frieden bemüht und, wenn es sein muß, dafür auch Opfer bringt.
    Wenn ich „Staat" sage, meine Damen und Herren, dann meine ich nicht nur die Regierung, sondern alle, die politische Verantwortung tragen, in Regierung und Opposition. Die Bundesregierung bestreitet der Opposition nicht ihren Friedenswillen. Wie könnte sie das? Haben wir nicht alle die Schrecken des Krieges erlebt? Haben wir nicht alle gemeinsam, jeder auf seinen Wegen, es unternommen, nach 1945 nach innen und nach außen einen Staat aufzubauen, der für sich in Anspruch nehmen kann, aus der Geschichte gelernt zu haben? Es gibt keinen vernünftigen Grund, daß sich die demokratischen Kräfte in diesem Lande heute zerstreiten, wo sie gemeinsam eine Demokratie errichtet haben, die ihre Leistungen erbracht hat und die sich in der Welt sehen lassen kann.
    Die Fraktion der FDP, der ich angehöre, meine verehrten Kollegen, hat die Verwirklichung der Westverträge in den 50er Jahren mitgetragen und mitverantwortet, zusammen mit der heutigen Opposition. Das ist für uns nicht der Augenblick, die Leistungen der Vergangenheit, die darin liegen, zu verleugnen. Diese liberale Fraktion trägt und verantwortet heute zusammen mit der Opposition von gestern die Ostverträge, die die notwendige Ergänzung zu den Westverträgen darstellen. So wie die kleine Gruppe der Liberalen im englischen Unterhaus den Ausschlag für das englische Ja zu Europa gegeben hat, so schicken wir, die deutschen Liberalen uns an, das Ja zum Frieden und zur Entspannung in Europa zu sichern.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Lachen bei der CDU/CSU.)

    Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, wenn wir in fairer Grundeinstellung an die vor uns liegende Debatte herangehen, werden wir diesem Staat nach außen und nach innen einen großen, vielleicht einen entscheidenden Dienst erweisen. Nach außen, weil die Welt in diesen Tagen auf den Deutschen Bundestag blickt. Sie will nicht nur wissen, was für und was gegen die Verträge gesagt wird, die Welt wird vor allem auf die Halbtöne hören, die ihr vielleicht Rückschlüsse auf das innere, das tiefere Denken unseres Volkes ermöglichen. Noch wichtiger als die Frage, mit welcher Mehrheit die Verträge verabschiedet werden, wird sein, ob wir uns den Frieden nicht nur als Ziel gewählt haben, sondern ob wir auch eine Sprache des Friedens führen. Gelegentlich wird darauf hingewiesen, daß die Weimarer Republik zugrunde gegangen sei, weil die Mitte und die Rechte des Reichstags den braunen Faschismus unterschätzt hätten. Das mag zum Unheil beigetragen haben. Mit Sicherheit war es die Unfähigkeit jener Republik, die Spielregeln und die Würde des Parlaments zu achten. Sie hat jenen Weimarer Staat der Verachtung durch die eigenen Bürger preisgegeben. Dann erst, auf den Trümmern des Parlaments, konnte der braune Faschismus ins Kraut schießen.
    Meine Kollegen, dies ist eine große Stunde für unser Parlament und unseren Staat. Der Bundesrat



    Bundesminister Scheel
    hat mit seiner sachlichen und würdigen Debatte eine Norm gesetzt. Ich möchte wünschen, daß wir sie beachten.
    Die Art und Weise, wie wir diese Debatte führen, wird aber auch für die Zukunft unseres Landes von Bedeutung sein. Wollen wir sie so führen, daß der nationalen Teilung ein innerer Graben in der Bundesrepublik hinzugefügt wird? Soll nach der Annahme der Verträge, einer Annahme mit vielleicht geringer Mehrheit, der Kampf gegen die Verträge weitergehen, und sollen damit die in ihnen liegenden Chancen im Keim erstickt werden? Oder sollen die Objektivität und die Sachlichkeit der Debatte den Beweis erbringen, daß bei uns jenes Maß an disziplinierter Selbstkontrolle herrscht, das in dieser Welt heute und in Zukunft erforderlich ist? Gemeinsam wollen wir den Beweis der Zuverlässigkeit und der demokratischen Reife erbringen. Die Bundesregierung ist jedenfalls entschlossen, ihre Darlegungen in einem Geist und einem Ton zu machen, die den inneren Frieden für die Zukunft intakt lassen.
    Meine Damen und Herren, die Bundesregierung steht vor der schwierigen Aufgabe, zu überzeugen, wo die Entscheidung schon getroffen worden ist. Auch das, was in den Ausschüssen von der Bundesregierung an Information und Argumenten noch geliefert werden wird, wird gegen den Beschluß der Oppositionsfraktion, zu den Verträgen nein zu sagen, wahrscheinlich wenig ausrichten.
    Gleichwohl würde diese Regierung ihrer Aufgabe und ihrer Verantwortung nicht gerecht, wenn sie nicht alles täte, um noch einmal in der eindringlichsten Weise die Bedeutung der Verträge für den Frieden und für die Zukunft dieses Landes vor aller Welt klarzumachen.
    Einen ersten Test haben die Verträge erfolgreich bestanden. Ohne sie würde es eine Berlin-Regelung nicht geben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Das Viermächteabkommen über Berlin aber war der Prüfstein — nicht nur für uns —, ob die Sowjetunion bereit sein würde, über Entspannung nicht nur zu reden, sondern sie auf der Grundlage eines vertretbaren Kompromisses auch konkret zu vereinbaren. Daher sagte der amerikanische Präsident, daß diese Regelung ein Meilenstein gewesen ist, daß es dieses Berlin-Abkommen ihm ermöglicht habe, den Weg nach Moskau zu gehen. An die erwiesene Bereitschaft zum Kompromiß knüpfen sich die Erwartungen, auch auf anderen Gebieten zu Regelungen zu kommen. Das ist die Bedeutung dieser Abmachung.
    Meine Damen und Herren, der Kern unserer Ost-West-Politik, das Verhältnis zwischen den beiden Staaten in Deutschland, wird von diesen Verträgen natürlich beeinflußt. Sie haben ein Recht darauf, zu erfahren, ob die Perspektive der Einheit Deutschlands mit den Verträgen verbessert oder ob die Spaltung Deutschlands vertieft wird. Diese Debatte gibt Gelegenheit, darüber zu diskutieren. Nicht nur dieses Parlament, sondern das ganze deutsche Volk hat ein Recht auf diese Antwort; denn die deutsche Frage bleibt für uns — und ich meine, für uns alle — im Mittelpunkt unserer Entspannungs-
    und Friedenspolitik.
    Diese Bundesregierung würde jedoch ihre Pflicht in bedenklicher Weise verletzen, wenn sie es unterlassen würde, auf die möglichen Folgen einer Ablehnung der Verträge hinzuweisen. Die Bundesregierung muß mit dem gebotenen Ernst die Frage nach der Alternative stellen — das ist eine Frage, die zu beantworten die Opposition uns schuldet.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf des Abg. Stücklen.)

    Denn welches wäre der Wert eines ablehnenden Votums, wenn es nicht abgesichert wäre durch eine tragfähige und erfolgversprechende Alternative?

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Lassen Sie mich zum Inhalt der Verträge Stellung nehmen. Erstens. Die Verträge enthalten einen umfassenden Gewaltverzicht. Danach ist nicht nur die Anwendung von Gewalt, sondern auch die Drohung mit Gewalt ausgeschlossen. Dieser Ausschluß gilt für alle Aspekte der gegenseitigen Beziehungen zwischen den Vertragspartnern. Er bedeutet, daß alle Streitfragen ausschließlich mit friedlichen Mitteln zu lösen sind. Worin liegt die politische Bedeutung dieses Gewaltverzichts? Die Sowjetunion kann sich jetzt nicht mehr wie noch 1969 auf ein angebliches Interventionsrecht aus den Artikeln 53 und 107 der Satzung der Vereinten Nationen berufen. Das wurde ausdrücklich durch den sowjetischen Außenminister bestätigt.

    (Abg. Stücklen: Wo steht es im Vertrag?)

    — Nun, das steht im Vertrag in Art. 2, man braucht ihn nur einmal durchzulesen.
    Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Wir können
    ihn doch auch lesen!)
    Zweitens. Diese Verträge enthalten eine Aussage über die Grenzen. Sie schaffen keine Rechtsgrundlagen für bestehende Grenzen und enthalten keine Stellungnahme zur Entstehung dieser Grenzen. Sie enthalten aber Verpflichtungen. Im deutschsowjetischen Vertrag verpflichten sich die Partner, die Grenzen als unverletzlich zu achten. Das bedeutet, sie können nicht mit Gewalt geändert werden. Eine friedliche und einvernehmliche Änderung der Grenzen ist damit natürlich nicht ausgeschlossen. Das hat der sowjetische Außenminister ebenfalls ausdrücklich bestätigt. Ferner haben in dem deutschsowjetischen Vertrag beide Seiten erklärt, daß sie keine Gebietsansprüche haben. Das entspricht unserer bisherigen Politik. Die Bundesrepublik hat auch in der Vergangenheit keine Gebietsansprüche geltend gemacht, weder auf die Gebiete jenseits von Oder und Neiße noch auf das Gebiet der DDR. Die Einheit Deutschlands wird nur dadurch erreicht, daß die Bundesrepublik das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes zur Grundlage einer solchen Entwicklung macht.

    (Abg. Stücklen: Wo steht das im Vertrag?)

    Daß eine Politik, die darauf abzielt, auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem
    das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine



    Bundesminister Scheel
    Einheit wiedererlangt, nicht gegen diese Bestimmungen des Vertrages verstößt, ergibt sich — um das zu beantworten — aus dem Brief zur deutschen Einheit, den ich anläßlich der Unterzeichnung des Moskauer Vertrages an den sowjetischen Außenminister richtete. Dieser Brief wurde von der sowjetischen Seite ohne Widerspruch entgegengenommen.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    Im deutsch-polnischen Vertrag ist die Aussage zur Grenze konkretisiert. Diese Aussage stellt klar, daß die Bundesrepublik die Oder-Neiße-Linie als Westgrenze Polens nicht mehr in Frage stellt. Dies bedeutet, daß die Gebiete jenseits dieser Grenze von der Bundesrepublik Deutschland für die Dauer ihrer Existenz als polnisches Staatsgebiet zu betrachten und zu respektieren sind, wenngleich eine friedensvertragliche Regelung für Deutschland noch nicht zustande gekommen ist und die Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte in bezug auf Deutschland als Ganzes fortbestehen.
    Diese Grenzregelung hat nichts mit den. Individualrechten der Deutschen, die in den Gebieten jenseits von Oder und Neiße leben, zu tun. Diese Rechte waren nicht Gegenstand der Verträge. Ich habe, um das klarzustellen, in den Verhandlungen förmlich erklärt, daß niemand durch den Vertrag Rechte verliert, die ihm nach den Gesetzen der Bundesrepublik Deutschland zustehen.
    Der deutsch-polnische Vertrag schafft allerdings kein Optionsrecht für die Deutschen jenseits von Oder und Neiße. Im Zuge der Verbesserung unserer Beziehungen zu Polen eröffnet er uns jedoch die Möglichkeit, uns für diese Deutschen zu verwenden.
    Drittens. Beide Verträge enthalten eine Bestimmung, in der klargestellt wird, daß früher geschlossene Verträge der Vertragspartner nicht berührt werden. Das gilt auch, wie unseren Vertragspartnern bekannt ist, für den Deutschland-Vertrag, den wir mit unseren drei westlichen Verbündeten abgeschlossen haben. Dort heißt es, daß sich die Unterzeichnerstaaten darüber einig sind, daß ein wesentliches Ziel ihrer gemeinsamen Politik eine frei vereinbarte friedensvertragliche Regelung für ganz Deutschland ist, und daß sie sich weiterhin darüber einig sind, daß die endgültige Festlegung der Grenzen Deutschlands bis zu dieser Regelung aufgeschoben werden muß. Damit ist klargestellt, daß die Bundesrepublik nur für sich, nicht für einen gesamtdeutschen Souverän sprechen kann. Ferner ist gesichert, daß die Rechte der Vier Mächte hinsichtlich Deutschland als Ganzes unberührt bleiben.
    Viertens. Beide Verträge enthalten schließlich als Ziel der Vertragspartner die Normalisierung der Beziehungen. Diese Normalisierung soll sich auf alle Bereiche in den gegenseitigen Beziehungen erstrecken. Sie ist das eigentliche politische Ziel der Verträge, das in die Zukunft weist.
    Die Rechte und Verpflichtungen aus den Verträgen sind eindeutig formuliert. Sie geben keinen Anlaß zu einem Dissens zwischen den Vertragspartnern. Völkerrechtliche Verträge sind grundsätzlich von ihrem Wortlaut her auszulegen; ihre Auslegung kann nicht über das hinausgehen, worüber zwischen den Vertragspartnern Einigung erzielt worden ist.
    Auch die Verpflichtungen hinsichtlich der Respektierung der Grenzen sind eindeutig.
    Entspannung und Normalisierung, meine Damen und Herren, sind die Grundpfeiler des politischen Prozesses in Europa, der von beiden Seiten in Europa getragen wird und dessen Ziel die Erhöhung der Sicherheit in Europa ist. Davon werden natürlich spezifische politische Zielvorstellungen, die die jeweiligen Vertragspartner haben mögen und die sie vielleicht auch mit den Verträgen verbinden, nicht berührt. Diese Zielvorstellungen sind ebensowenig in den beiden Verträgen wie in anderen völkerrechtlichen Verträgen Gegenstand der Regelung. Sie konnten es auch gar nicht sein.
    Es liegt in der Natur des Menschen begründet, daß er den Wunsch nach Entspannung und Frieden in ruhigen Zeiten nicht so deutlich bekundet wie in Augenblicken der Krise. Konrad Adenauer wußte, wovon er sprach, als am 20. November 1958, auf dem Höhepunkt der Berlin-Krise, zum sowjetischen Botschafter Smirnow sagte:
    Oberstes Ziel jeglicher Politik muß es sein,
    eine Entspannung der Weltlage anzustreben.
    Demgegenüber hat alles andere zurückzutreten!
    Wir, die Abgeordneten des Bundestages, sollten uns solcher Einsichten nicht nur entsinnen, wenn eine Krise vor der Tür steht oder sie schon ausgebrochen ist.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Diese Bundesregierung hat jedenfalls vom ersten Tage ihrer Regierungszeit an ihr Sinnen und Trachten auf die Verwirklichung einer Entspannung zwischen Ost und West in Europa gerichtet.
    Entspannung entsteht nicht dadurch, daß man von Entspannung redet und sich vielleicht auch einer gemäßigten Sprache bedient. Entspannung ist nur dort möglich, wo ein Minimum an Vertrauen entsteht, wo die Vernunft langsam die Oberhand über Vorurteile und Mißtrauen gewinnt.
    Aber da gibt es — so wird man einwenden — die ungelösten Probleme, die uns der zweite Weltkrieg beschert hat. Wie wollen wir zu Entspannung kommen, wenn sich die Probleme als unlösbar erweisen, wie ,die Erfahrung von mehr als 25 Nachkriegsjahren gezeigt hat? Meine Antwort ist einfach: Gerade weil wir es in unserem Verhältnis zu Osteuropa mit Fragen zu tun haben, die heute — heute — unlösbar sind, brauchen wir Entspannung und Zusammenarbeit. In der gefährlichen Welt, in der wir leben, können wir nicht immer sicher sein, daß sich die Entspannung einstellt, wenn wir sie gerade brauchen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Auch angesichts der heute unlösbaren Fragen, die man das Deutschlandproblem nennt, ist die Entspannung und Zusammenarbeit zwischen Ost und West in Europa möglich, und zwar durch den gegenseitigen, vertraglich vereinbarten Gewaltverzicht



    Bundesminister Scheel
    auf der Grundlage des Status quo. Ohne einen solchen Gewaltverzicht, ohne eine klare und rückhaltlose Äußerung zum Status quo gibt es weder Entspannung noch Zusammenarbeit mit den osteuropäischen Ländern. Hiervon müssen wir ausgehen, meine Damen und Herren, und hiervon muß auch jeder ausgehen, der zu einem besseren Verhältnis zu den Völkern Osteuropas kommen will.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Bereits 1966 hat der damalige amerikanische Präsident Johnson das so ausgedrückt:
    Unsere Aufgabe ist es, eine Wiederversöhnung mit dem Osten zu erreichen, einen Übergang von der engen Konzeption der Koexistenz zu der größeren Vision des friedlichen Engagements ... Hand in Hand mit diesen Maßnahmen
    — so sagte er —
    zur Stärkung der Ost-West-Beziehungen müssen Maßnahmen zur Beseitigung der territorialen Grenzstreitigkeiten gehen, die eine Quelle von Spannungen und Reibungen in Europa bilden.
    Nun, meine Damen und Herren, die vorliegenden Verträge schaffen die Voraussetzung dafür, daß trotz der ungelösten Probleme eine genügend tragfähige Grundlage für den politischen Dialog mit dem Osten und eine für beide Seiten vorteilhafte wirtschaftliche, technologische, wissenschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit zustande kommt. Auch hier gilt, daß man wirtschaftliche Zusammenarbeit nicht erst dann herstellen kann, wenn sie am dringendsten gebraucht wird. Regieren heißt ja voraussehen, meine Damen und Herren.

    (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU. — Zuruf von der CDU/CSU: Das ist gut!)

    Am 9. Februar dieses Jahres sagte Präsident Nixon in seinem Bericht an den Kongreß:
    Die Vier Mächte erzielten eine Übereinkunft über Berlin, die dazu bestimmt ist, die ständigen Krisen über dieser Stadt in der Nachkriegszeit zu beenden und die Lage der tapferen Bevölkerung West-Berlins in konkreter Weise zu verbessern. Zum erstenmal ergab sich die Aussicht auf konkrete Gespräche mit dem Osten über andere ungelöste Fragen der Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa.
    Ich habe vorhin schon erwähnt, daß es ohne Gewaltverzicht und ohne Beachtung der Realitäten dieses Berlin-Abkommen nicht gegeben hätte. Und selbst der grimmigste Kritiker dieser Regierung wird ihr zugestehen müssen, daß während der Verhandlungen in Moskau die Sorge um die Lebensfähigkeit Berlins ihr Handeln und ihre Schritte täglich bestimmt hat.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Kein Mitglied der damaligen Verhandlungsdelegation, meine Damen und Herren, wird vergessen, wie in der letzten Nacht der Verhandlungen vor der Paraphierung alle Beteiligten innerlich auf das äußerste angespannt waren, als ich meinem sowjetischen Kollegen immer noch einmal wiederholte,
    daß es ohne eine befriedigende Berlin-Regelung keinen Vertragsabschluß geben könne.
    Ich habe Herrn Gromyko den Kabinettsbeschluß vom 23. Juli 1970, den ich auch hier noch einmal in Erinnerung bringen darf, wörtlich verlesen. Das Kabinett sagte damals:
    Der Rahmen, in dem sich die Verhandlungen halten werden, ist durch den Auftrag des Grundgesetzes zur Wahrung der Einheit der deutschen Nation, durch die Rechte und Verantwortlichkeiten der Drei Mächte für Deutschland als Ganzes und Berlin und durch die internationalen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland gegeben. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß Fortschritte in der europäischen Entspannung untrennbar verbunden sind mit Fortschritten in Richtung auf eine befriedigende Regelung der Lage in und um Berlin. Ein Gewaltverzichtsvertrag wird daher erst dann in Kraft gesetzt werden können, wenn entsprechende Vereinbarungen vorliegen.
    Meine Damen und Herren, inzwischen liegt das Ergebnis der langwierigen und schwierigen Verhandlungen über Berlin vor uns.

    (Abg. Dr Marx [Kaiserslautern] : Aber nicht unterschrieben!)

    Nie zuvor in der Geschichte der modernen Diplomatie hat es eine so enge Abstimmung, ein so enges Zusammenwirken verbündeter Staaten gegeben, wie dies in diesen Verhandlungen zwischen den drei Westmächten und uns der Fall war. Für die Solidarität, die sie uns gegenüber bewiesen haben, und für die mit den Verhandlungen verbundenen ungewöhnlichen Anstrengungen schulden wir den drei westlichen Verbündeten Dank, auch den Dank dieses Hohen Hauses.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die Gerechtigkeit gebietet es, auch die Bereitschaft der Sowjetunion anzuerkennen, trotz aller Schwierigkeiten, trotz Zähigkeit zu einem positiven Abschluß beizutragen.

    (Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Und schließlich sollten wir nicht vergessen, daß auch die Mitwirkung der DDR notwendig war, um zu dem vorliegenden Ergebnis zu kommen.
    Die Opposition war zunächst ganz konsequent, wenn sie erklärte, die Berlin-Regelung werde der Prüfstein für die Qualität der Verträge sein; sie würde auch ein Test für die Bereitschaft der Sowjetunion, zur Entspannung beizutragen, sein. Jetzt, nachdem eine befriedigende Berlin-Regelung darauf wartet, in Kraft gesetzt zu werden,

    (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Das sagen doch Sie nur? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    ist bei Ihnen, meine Damen und Herren, davon allerdings weniger die Rede.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)




    Bundesminister Scheel
    Die Berlin-Regelung — und ich nehme an, daß Sie mir da zustimmen werden — öffnet und sichert die Wege von und nach Berlin und von Berlin zu uns, sie öffnet den Berlinern eine Pforte zu Besuchen in der DDR,

    (Abg. Stücklen: Durch die Mauer!)

    sie bringt die Anerkennung der Bindungen WestBerlins an den Bund,

    (Unruhe bei der CDU/CSU)

    sie festigt die internationale Position Berlins und seine Vertretung durch die Bundesrepublik und bestätigt die Viermächteverantwortlichkeit für Berlin. Damit, meine Damen und Herren, ist ein hochempfindliches krisenträchtiges Problem vertraglich unter Kontrolle gebracht worden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Es ist uns gelungen, darüber hinaus erhebliche praktische Verbesserungen zu erreichen. Die Visagebühren sind pauschaliert worden, die Fernmelde-
    und Fernschreibverkehrsverbindungen zwischen Berlin und der DDR sind ausgeweitet worden. Das klingt bescheiden, meine Damen und Herren,

    (Zuruf des Abg. Stücklen)

    das klingt für Sie vielleicht bescheiden; für einen Berliner, der seit zehn Jahren nur noch unter großen Schwierigkeiten mit seinen Verwandten und Bekannten in Ost-Berlin und der DDR telefonieren konnte, sieht sich die Sache anders an.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Stücklen: Das sind doch die normalsten Dinge dieser Welt!)

    Niemand konnte erwarten, daß eine Berlin-Regelung die Mauer zum Verschwinden bringen würde. Aber mit dem Abkommen ist sicher eine Forderung auch der Opposition erfüllt worden: die Mauer ist mit dem Abkommen durchlässiger geworden.

    (Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Einseitig! — Zurufe von der CDU/CSU: Wo?)

    — Ich warte auf Ihre Reaktionen, meine Damen und Herren. Wir brauchen diese Reaktion. Ich bin wirklich manchmal erstaunt.
    Die Bundesregierung bringt die beiden Verträge jedenfalls mit dem guten Gefühl ein, für die Lebensfähigkeit Berlins und für das Los seiner Bürger mehr erreicht zu haben, als viele von uns, wenn sie aufrichtig sind, vor einigen Jahren zu hoffen wagten.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Was sagte doch der damalige amerikanische Außenminister Dean Rusk 1968 auf der NATO-Konferenz:
    Wenn man die Pauschalierung der Zugangsgebühren erreichen könnte, so wäre dies wohl eine große Sache.
    Die Pauschalierung der Gebühren damals eine große Sache! Vergleichen Sie damit doch einmal den Inhalt des Viermächteabkommens über Berlin.
    Nun, meine verehrten Kollegen, es wird sich immer jemand finden, der die Dinge ins Gegenteil zu verkehren versteht. Er wird erklären, daß sich das Parlament mit der Berlin-Regelung nicht unter Druck setzen lasse. Darum kann es sich auch nach der Auffassung der Bundesregierung gewiß nicht handeln. Meine Damen und Herren, bedenken Sie aber, bevor Sie so etwas aussprechen, wie die Lage Berlins war und wie sie mit der Regelung sein wird. Handeln Sie im Sinne der Präambel des Grundgesetzes wenigstens für diejenigen, für die Sie jetzt wirklich handeln können, für die Berliner,

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich darf nunmehr einmal an etwas erinnern, was der Kollege Barzel hier im Bundestag vor zwei Jahren gefragt hat:
    Was also, Herr Bundeskanzler, werden Sie erklären, oder was würden Sie erklären, falls die Sowjetunion Ihnen — wie 1968 uns zusammen —— er meinte: in der Regierungszusammenarbeit — die Frage anträgt: Seid ihr
    — die Deutschen —
    bereit, nicht nur auf Gewalt, sondern auch auf friedliche Veränderung der deutschen Dinge mit dem Ziel der Selbstbestimmung des deutschen Volkes zu verzichten? Das ist der Kern, das ist die Frage.
    So die Frage von Herrn Barzel im Bundestag. Herr Dr. Barzel, ich kann Ihnen zu diesem Komplex sagen, was ich selbst dazu in den Verhandlungen in Moskau vorgetragen habe. Auf der Verhandlungssitzung am 30. Juli 1970, in der ersten Phase der Verhandlungen, habe ich folgendes dazu gesagt:
    Es muß volle Klarheit herrschen, wenn der Vertrag zur Grundlage besserer Beziehungen und schließlich hoffentlich freundschaftlicher Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern werden soll. Daher darf ich wiederholen: Für jede Bundesregierung, gleich wie sie aussieht, bleibt die Einheit der Deutschen ein unverzichtbares politisches Ziel. Ich sage das, um klarzumachen, daß eine friedliche Politik, die auf diesen Prinzipien — Gewaltverzicht, Achtung der territorialen Integrität, keine Verletzung der Grenzen — beruht und der Einheit der Deutschen im Rahmen einer europäischen Friedensordnung dient, keine Verletzung des Vertrages darstellt.

    (Abg. Stücklen: Rahmen Sie den Vertrag ein!)

    Ich weise noch einmal darauf hin, daß wir
    einer ausführlichen Erwähnung der Grenze
    — ich zitiere immer noch aus meinen damaligen Ausführungen in Moskau —
    zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR in dem Artikel über die Achtung der territorialen Integrität zugestimmt haben. Was wir nicht aufgeben können, ist das Recht der Regierung und der Bevölkerung, die nationale Einheit im Rahmen einer europäischen Friedensordnung und auf ,der Grundlage der freien Selbstbestimmung mit friedlichen Mitteln anzustreben. Es wäre niemandem in Europa damit



    Bundesminister Scheel
    gedient, wenn man ein Volk dazu bringen wollte, seine Identität zu verleugnen. Deshalb haben wir mit großer Befriedigung Ihre Erklärung
    — Gromykos Erklärung —
    über das Recht der Völker und Staaten, sich friedlich zu vereinigen, zur Kenntnis genommen.
    Herr Barzel, das ist die Antwort auf Ihre Frage gewesen.
    Das Ergebnis dieser Verhandlungen war der Brief zur deutschen Einheit. Er gehört zusammen mit den anderen begleitenden Dokumenten zu den Ratifizierungsunterlagen. Ich möchte seinen Inhalt, der von der sowjetischen Seite unwidersprochen entgegengenommen worden ist, hier noch einmal zitieren:
    Sehr geehrter Herr Minister,
    im Zusammenhang mit der heutigen Unterzeichnung des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken beehrt sich die Regierung der Bundesrepublik Deutschland festzustellen, daß dieser Vertrag nicht im Widerspruch zu dem politischen Ziel der Bundesrepublik Deutschland steht, auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt.
    Genehmigen Sie, Herr Minister, die Versicherung meiner ausgezeichnetsten Hochachtung.
    Es folgt die Unterschrift.
    Meine Damen und Herren, die Bundesregierung ist weder so illusionistisch, zu glauben, noch so unaufrichtig, andere glauben zu machen, als sei uns mit diesem Brief eine politische Waffe in die Hand gegeben, mit der wir die Wirklichkeit, die traurige Wirklichkeit der deutschen Teilung aus den Angeln heben könnten. Dieser Brief zur deutschen Einheit hält zusammen mit anderen Teilen des Vertragswerkes die deutsche Frage offen. Meine Damen und Herren, das ist schon etwas, und das war gar nicht so selbstverständlich, wie sich das heute vielleicht für manchen ansehen mag. Hätte die Opposition im Sommer 1970, der Einladung der Bundesregierung folgend, einen Vertreter

    (Abg. Stücklen: Als Statisten!)

    zu den Verhandlungen entsandt, dann hätte sie sich an Ort und Stelle ein Bild von der Härte der Verhandlungen, insbesondere in dieser Frage, machen können.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Nein, meine Damen und Herren, die Wirklichkeit der Teilung kann man nicht mit juristischen Vorbehalten wegzaubern. Sie ist die unmittelbare Folge des von Hitler angezettelten und von uns allen verlorenen Krieges.

    (Beifall bei der SPD.)

    Und jeder, der diese Teilung kennt, wie wir sie in
    Erfurt und Kassel erlebt haben, der weiß, daß die
    Teilung kaum noch vertieft werden kann, es sei denn durch eine Politik, die sich auf Deklamationen beschränken würde.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Nein, wenn es einen Weg zur Einheit der Nation gibt, dann nur über eine allgemeine Entspannung in Europa, die tragfähig genug ist, das Trennende zwischen uns und der DDR in den Hintergrund treten zu lassen. Nicht die friedliche Konkurrenz der beiden deutschen Staaten um den besten Beitrag zum Frieden und zur Zusammenarbeit vertieft die Spaltung weiter. Wenn etwas die beiden Teile noch weiter und endgültig voneinander entfernen kann, dann ist es die Indifferenz, die sich hinter unerfüllbaren Forderungen verbirgt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren, wenn auf der Grundlage dieser Vertrage Entspannung und Zusammenarbeit zwischen Ost und West in Europa in Gang kommen, dann wird auch das Verhältnis der beiden deutschen Staaten zueinander eingebettet sein in ein Klima, in dem es leichter sein wird, mehr Austausch, mehr Kommunikation und mehr Freizügigkeit zu erreichen. Wer aber Angst vor der eigenen Courage hat,

    (Hört! Hört! und Lachen bei der CDU/CSU)

    wer befürchtet, mehr Kommunikation und Freizügigkeit importiere bei uns den Kommunismus,

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    der erhebt doch indirekt die Forderung, die Regierung der DDR müsse erst kapitulieren, bevor es zu Kontakten mit der Bundesrepublik kommen darf.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Wem sagen Sie das!?)

    Von beiden können wir nur eines haben: entweder wir folgen dem Beispiel Honeckers und grenzen uns ab aus Furcht vor Ansteckung, oder wir sind uns der Stärken der freiheitlichen Ordnung bewußt und trauen uns den friedlichen Wettbewerb mit der DDR überall dort, wo er möglich ist, zu.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die Frage, ob der Kommunismus bei uns eine Chance hat, wird von uns, ganz allein von uns, entschieden, — und davon machen die Universitäten keine Ausnahme, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die Verträge sind ein Kernstück der friedlichen Koexistenz zwischen West und Ost und der Sicherheit in Europa. Die Bundesrepublik Deutschland will mit ihnen nicht nur ihre eigene Lage verbessern, auch nicht nur die Lage Berlins verbessern. Wir sehen in den Verträgen einen wichtigen Beitrag zur Stabilität unseres Kontinents. Die Verträge fördern das, was die Europäer erhoffen: die Milderung der Spaltung des alten Weltteils durch friedlichen Austausch und Zusammenarbeit.
    1815, auf dem Wiener Kongreß, war es noch die europäische Staatskunst, die die Folgeprobleme der napoleonischen Kriege löste. 1918, in Versailles,



    Bundesminister Scheel
    fehlte Rußland. Dann zog Amerika sich zurück. Es gelang nicht, ein Gleichgewicht zu schaffen. 1945, in Potsdam, hatte Westeuropa so gut wie kein Gewicht mehr. Diese Verträge, als Teil westeuropäischer Politik konzipiert, in ständigen Konsultationen mit den Bündnispartner erarbeitet, künden an: das wiedererstandene Westeuropa beginnt Herr seiner eigenen Probleme zu werden.
    Die Politik, die zu den Verträgen geführt hat, hat wesentlich zum Zusammenhalt des sich gestaltenden Westeuropas beigetragen. Es war kein leeres Wort, als wir vor den Verhandlungen sagten, unsere gesamte Osteuropapolitik baue auf der fortschreitenden Integration Westeuropas auf. In anderen Fragen mag es Nuancen und Meinungsverschiedenheiten unter Europäern geben; was unsere Osteuropapolitik angeht, bestehen keine. Präsident Pompidou sagte noch am 11. dieses Monats in Paris:
    In den Beziehungen zum Osten haben wir eine vollendete Übereinstimmung zwischen der Politik der Bundesrepublik und der französischen Politik festgestellt. Ich hatte Gelegenheit,
    — so sagte er —
    dem Bundeskanzler erneut die vorbehaltlose Unterstützung zu bestätigen, die wir seiner Politik auf diesem Gebiete zollen.
    Soweit Pompidou! Der britische Außenminister Douglas-Home äußerte sich am 13. Februar noch:
    Die britische Regierung hat die Ostpolitik von Anfang an voll unterstützt und hat die Verträge von Moskau und Warschau als wichtige Beiträge zu den Beziehungen zwischen Ost und West begrüßt.
    Blicken wir doch einmal auf das, was seit Beginn unserer Regierungszeit in Westeuropa geschehen ist. Wir haben den inneren Ausbau der Gemeinschaften, wie er in den Römischen Verträgen vorgesehen ist, vollendet. Mit der Wirtschafts- und Währungsunion haben wir den ersten Schritt zu einem geschlossenen Binnenmarkt mit freiem Verkehr von Menschen, Gütern und Kapital getan. Die Erweiterung der Gemeinschaften ist gelungen. Damit ist der Stein aus dem Wege geräumt, der die Fortentwicklung Europas seit den sechziger Jahren blockierte. Die politischen Konsultationen erst der Sechs, dann der Zehn, sind in Gang gekommen. Was mit dem Fouchet-Plan 1962 endgültig gescheitert schien, konnte damit wieder auf den Weg gebracht werden. Unsere Ostpolitik, die europäische Ostpolitik, hat die Stagnation überwunden. Die Europäer haben sich zu einer gemeinsamen Standortbestimmung in dieser Politik aufgerafft. Sie haben daraus identische Konsequenzen gezogen. Hieraus sind die ersten Ansätze einer gemeinsamen Politik für die Zukunft erwachsen.
    Niemand auf der Welt verkennt dies, auch die Sowjetunion nicht. Das ist doch das Entscheidende. Es kommt doch nicht auf die förmliche Anerkennung der Europäischen Gemeinschaften an, von der uns die Juristen der Kommission in Brüssel noch letzte Woche sagten, so etwas gebe es überhaupt nicht. Es kommt doch darauf an, daß der dynamische Prozeß der europäischen Einigung, wirtschaftlich und politisch, von jedem als unabänderlich betrachtet wird und daß daraus die richtigen Folgerungen für Entspannung und für Zusammenarbeit gezogen werden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich habe während der Verhandlungen in Moskau und danach bei jedem Gespräch mit sowjetischen Politikern darauf hingewiesen, daß auch diese Entwicklung Teil einer europäischen Realität sei. Lassen Sie mich hierzu aus einer Aufzeichnung über meine Gespräche in Moskau vom 28./29. November 1971 zitieren. Dort heißt es:
    Der Bundesminister des Auswärtigen wies auf die entscheidende Bedeutung der Gemeinschaft im Welthandel hin. Er schilderte ausführlich und eindringlich die Integrationsautomatik, insbesondere den Beginn der Übergangsphase der Gemeinschaften vom 1. Januar 1973 an. Er betonte auch die Bedeutung, die den Europäischen Gemeinschaften als Faktor für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa zukommen werde. Der Außenminister erklärte unmißverständlich, daß eine Änderung unserer EWG-Politik völlig ausgeschlossen sei.
    Meine Damen und Herren, ich habe auch nie 'einen Zweifel daran gelassen, daß diese Verträge nur auf der Grundlage des bestehenden militärischen Gleichgewichts in Europa möglich sind. Schon in der Zeit, als ich Oppositionsführer im Deutschen Bundestag war, habe ich in einem Gespräch mit Ministerpräsident Kossygin betont, daß eine funktionierende Allianz mit intakter amerikanischer Truppenpräsenz die Grundlage für die Entspannung in Europa sei. Wir haben diese Politik im Bündnis und gegenüber unseren Vertragspartnern beharrlich weiterverfolgt. Es ist deshalb wiederum kein Zufall, daß es in dem Abschlußkommuniqué der NATO-Ministerratskonferenz vom 4. Dezember 1970 heißt: „Die Minister der NATO-Länder begrüßten diese Verträge als Beitrag zur Minderung der Spannung in Europa." Denn, meine Damen und Herren, in der Tat ist der Zusammenhalt der Allianz, seitdem wir unsere Osteuropapolitik begannen, besser geworden. Das, was im Harmel-Bericht 1967 vorgezeichnet wurde, ein Bündnis, dessen Sicherheit nicht nur auf der Abschrekkung, sondern auch auf der Entspannung aufbaut, wird jetzt Wirklichkeit. Allerdings: „Vor nicht allzu langer Zeit waren unsere Bündnisse ausschließlich auf die Eindämmung der Sowjetunon und der Volksrepublik China gerichtet. Jetzt aber muß mehr in unsere Allianz hineinkommen. Es ist relativ einfach, sich über das zu einigen, wogegen man ist; es ist sehr viel komplizierter, eine Allianz auf der Grundlage dessen zusammenzuhalten, wofür man ist." Ich habe jetzt Präsident Nixon zitiert.
    In den letzten Monaten hat die Opposition eine stets wachsende und auch stets wechselnde Argumentation gegen die Verträge ins Feld geführt. Dafür war vom Inhalt der Verträge immer weniger die Rede. Es handelt sich um Argumente von unterschiedlichem Gewicht. Allen ist gemeinsam, daß sie nicht auf dem Wortlaut der Verträge aufbauen, sondern daß sie das Produkt manchmal ganz unbegrenz-



    Bundesminister Scheel
    ter politischer Spekulationen darstellen. Aber, meine Damen und Herren, die Geschichte ist kein Produkt von Spekulationen. Sie setzt sich zusammen aus schwierigen Entwicklungen und mutigen Entscheidungen. Niemand in unserer jüngsten Geschichte hat dies besser gewußt als der Bundeskanzler, auf den Sie sich, meine Damen und Herren von der Opposition, gern berufen. In seinen Erinnerungen zum Jahr 1955, dem Jahr seiner Moskau-Reise, schrieb Konrad Adenauer in aller Nüchternheit:
    Es würde dies ein langer und mühseliger Weg schwierigster Verhandlungen sein, ein Weg, auf dem man manche Umwege in Kauf nehmen müßte, die zweifellos auch mit Gefahren verbunden sein würden. Es müßte versucht werden, einen Weg zu finden, der auch der Sowjetunion akzeptabel erschiene und bei dem sie hoffen könnte, ihre Zielsetzung gewahrt zu wissen.
    Meine verehrten Kollegen von der CDU/CSU, denken Sie doch einmal über diese Worte nach!

    (Abg. Lücke [Bensberg] : Ein sehr guter Satz, ein sehr richtiger Satz!)

    Fragen Sie sich, ob wir etwas anderes getan haben als das, was 1955 Konrad Adenauer als die Umrisse einer Verhandlung mit der Sowjetunion entworfen hat!
    An einer Behauptung kann die Bundesregierung allerdings nicht vorbeigehen, ohne ihr mit allem Nachdruck zu widersprechen. Weder in den Verträgen noch in den begleitenden Dokumenten gibt es einen Anhaltspunkt für die wirklich grob fahrlässige Behauptung, diese Verträge würden Forderungen auf Reparationsleistungen an die Bundesrepublik Deutschland begründen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Wehner: Hört! Hört!)

    Wer unseren Steuerzahlern das Schreckgespenst der Reparationen an die Wand malt, handelt genauso unverantwortlich wie jener, der um jeden Preis eine Inflation herbeidiskutieren möchte.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Oder, meine Damen und Herren, wollen wir etwa dem Ausland suggerieren, bei uns gäbe es etwas zu holen? Ich hoffe, daß die Abgeordneten der Opposition selbst für die notwendigen Klarstellungen hier im Deutschen Bundestag sorgen. Es darf nicht der Eindruck entstehen, als würde es die CDU/CSU zulassen, daß einzelne ihrer führenden Mitglieder mit diesen trüben Gerüchten weiter hausieren gehen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Argumente lassen sich immer finden und ins Feld führen, wenn es sich darum handelt, die bereits getroffene Entscheidung, nein zu den Verträgen zu sagen, zu begründen. Argumente entstehen und Argumente verschwinden wieder. Aber noch so viele Argumente gegen eine Politik machen noch keine Alternative.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Und hier, meine Damen und Herren, liegt in der Tat
    die größte Schwäche der Opposition. Wie würde die
    Politik aussehen, die Sie an die Stelle derjenigen setzen wollen, die die Bundesregierung verfolgt? Wie soll eine Entspannungspolitik aussehen, wenn sie ohne die Grundlage des Status quo freischwebend in der Luft hängt? Verhandeln heißt doch nicht eigene Wunschzettel ausfüllen!

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Oder glauben Sie gar, es seien die Zeit und die Gelegenheit gekommen, sich politisch einzugraben, wenn unsere Freunde und Verbündeten längst die Bewegung gewählt haben? Sollen wir die halbverfallenen Unterstände des kalten Krieges wieder beziehen, wenn sich unsere mächtigsten Verbündeten zur Entspannung und Zusammenarbeit entschieden haben? Macht es überhaupt keinen Eindruck auf die Opposition, wenn alle unsere Verbündeten geschlossen für diese Politik, die wir gemeinsam treiben, eintreten?
    Die Argumente der Opposition sind deswegen so wenig einleuchtend, weil keine brauchbare und keine machbare Alternative hinter ihnen steht.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren, es gibt allerdings die möglichen Folgen einer Ablehnung der Verträge. Das ist aber etwas anderes als eine Alternative.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    Mein französischer Kollege, Maurice Schumann, wurde in einem Interview, das in der „Welt" abgedruckt war, gefragt, wie sich die Lage nach einer möglichen Ablehnung der Ratifizierung darstellen könnte. Er antwortete, daß er sich weigere, diese Möglichkeit überhaupt ins Auge zu fassen. So sehr sind die Verträge heute schon Teil auch der Außenpolitik unserer Verbündeten, daß die Folgen einer Ablehnung in ihrer politischen Wirkung einfach unübersehbar sein würden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die Entspannungsmöglichkeiten im Osten wären auf unabsehbare Zeit verschüttet. Die Verbündeten im Westen empfänden die Ablehnung als ein Torpedo gegen ihre eigenen Entspannungspolitik. Wir Deutschen hätten in Europa die Vorhänge heruntergelassen, gerade als das erste Licht heraufzudämmern begann.
    Die Bundesregierung und die hinter ihr stehende Mehrheit, meine verehrten Kollegen, werden dafür sorgen, daß diese bedrückende Vorstellung, wir könnten in eine totale Isolierung geraten, nicht verwirklicht wird. Wir wollen der Opposition keine falsche Verantwortung aufbürden. Die Mehrheit bringen wir selbst auf, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Aber wir tun es in der festen staatspolitischen Hoffnung, daß auch die Opposition nach der Ratifizierung das als Grundlage ihres Handelns nimmt, daß Verträge, die abgeschlossen sind, zu halten sind.
    Meine Damen und Herren, es gibt in der Kette der Gegenargumente allerdings eines, das von grund-



    Bundesminister Scheel
    sätzlicher Bedeutung ist. Ich meine das Argument, mit kommunistischen Staaten könne man keine Verträge schließen, die Machtstrukturen und der Verhaltenskodex in Ost und West seien zu verschieden, der Westen zahle bei solchen Verträgen unweigerlich drauf.

    (Abg. Dr. Müller-Hermann: Ein Popanz!)

    Wenn dem so ist, meine Damen und Herren, dann lassen wir alle Hoffnung fahren, daß der Frieden und das physische Überleben dieser Welt durch Rüstungskontrolle und Rüstungsbegrenzung zwischen Ost und West gesichert werden können.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Dann sind alle internationalen Abkommen vom Teststoppvertrag 1963 über den Weltraumvertrag 1967, den Nichtverbreitungsvertrag 1968, den Meeresbodenvertrag 1971 bis zum Vertrag zwischen den Vereinigten Staaten und Rußland zur Verminderung des Risikos des Ausbruchs eines Nuklearkrieges

    (Abg. Stücklen: und der Warschauer Pakt?!)

    nur eine zynische Staffage für die heraufziehende und unvermeidliche nukleare Konfrontation. Dann, meine Damen und Herren, sind die Amerikaner, die sich seit Jahren um ein Abkommen mit der Sowjetunion über die Begrenzung strategischer Nuklearwaffen bemühen, ebenso naiv wie wir, die wir glauben, daß es möglich und notwendig ist, die Risiken des nuklearen Zeitalters Schritt für Schritt durch eine vertragliche Kodifizierung des Verhaltens der beiden Staaten einzuengen.
    Das ist doch, meine Damen und Herren, der Kern des Problems unserer Zeit, daß zwei Mächte zwei Mächte! — über die Mittel verfügen, unser aller Zivilisation zu zerstören. Eine dieser Mächte ist ein kommunistisches Land. Darin liegt der Zwang, daß sich die Verantwortung dieser beiden Mächte paart. Dazu gibt es keine Alternative auf der Welt, meine Damen und Herren!

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Diese Dinge sind viel zu ernst, um sie in überkommene Schablonen des Antikommunismus hineinzuzwängen. Gewiß, die Sowjetunion ist eine Weltmacht, und jeder, der mit ihr verhandelt, bekommt den Druck des dahinterstehenden gewaltigen Potentials zu spüren. Die Sowjetunion macht keine Geschenke, wir haben solche auch nicht erwartet. Aber die Weltmacht Sowjetunion ist ebenso wie wir in den fatalen Mechanismus von nuklearer Bedrohung und Abschreckung eingebunden. Aus diesem Grunde — und zuallererst aus diesem Grunde — ist sie daran interessiert, den permanenten Krisenherd Zentraleuropa zu beseitigen. Daß dies so ist, ist unsere Chance. Nur auf dieser realistischen Grundlage konnten wir überhaupt zu einem Abkommen mit der Sowjetunion gelangen.
    Lassen Sie uns nicht übersehen, daß auch die Bewußtseinslage von Weltmächten einem Wandel unterworfen ist! Ein gewisser Pragmatismus in der Außenpolitik wird spürbar. Es wird erkannt, daß andere gesellschaftliche Systeme nicht kurz- oder mittelfristig zu ändern sind. Es wird mit längeren Zeiträumen gerechnet. Den Nachteil der anderen setzt man nicht mehr absolut mit dem eigenen Vorteil gleich. Eine begrenzte Interessenübereinstimmung entwickelt sich über die Systeme hinweg, im Verkehr, im Kulturaustausch, im Handel, in der Technologie.
    Lassen Sie mich einmal erwähnen, was Ministerpräsident Kossygin in seinem Bericht über den Plan am 6. April 1966 über ein Spezialgebiet der technologischen Zusammenarbeit sagte:
    Bis vor kurzem neigten wir dazu, die Bedeutung des Handels mit Patenten und Lizenzen zu unterschätzen. ... Wir können und müssen den uns gebührenden Platz auf dem Weltmarkt in Lizenzen einnehmen. ... Der Kauf von Patentrechten wird uns ermöglichen, Hunderte von Millionen Rubel an wissenschaftlichen Forschungskosten zu sparen.
    Vergleichen wir damit einmal das, was Stalin 1952 in „Wirtschaftliche Probleme des Sozialismus" an Einstellung zum Weltmarkt bekundete:
    Die Desintegration eines einzigen- allumfassenden Weltmarkts muß man als die wichtigste ökonomische Konsequenz des zweiten Weltkriegs betrachten. ... Dies hat auch zur Folge, daß sich die allgemeine Krise des kapitalistischen Systems vertieft.
    Deutlicher läßt sich der Wandel der Zeit doch kaum kenntlich machen: der Unterschied zwischen ideologisch bestimmtem Antagonismus und pragmatischer Bereitschaft zur Zusammenarbeit. Wer glaubt, sich leisten zu können, auf eine Regelung mit der Sowjetunion zu verzichten, soll uns doch einmal erklären, wie und mit wem er über die Besserung der Verhältnisse in Zentraleuropa sprechen will.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren, ich habe eigentlich schon immer darauf gewartet, und jetzt ist es so weit: Wer eine Ostpolitik machen will — so wird jetzt verkündet —, braucht vor allem eine Fernostpolitk.

    (Heiterkeit bei den Regierungsparteien.)

    — Entschuldigen Sie, lassen Sie mich das ganz offen sagen: Es ist etwas Wahres daran. Aber hüten wir uns vor der manchmal hier in Deutschland anzutreffenden Neigung zum politischen Eskapismus! Wer sich nicht in der Lage sieht, mit dem Problem des europäischen Ostens fertigzuwerden, weicht gern aus auf die etwas undeutlicheren Konturen der chinesischen Mauer.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Weil das Naheliegende und Dringende so unbequem ist, flieht man in die Ferne. Seien Sie beruhigt, die Bundesregierung hat eine Fernostpolitik. Sie wird sich allerdings von derjenigen des Jahres 1964 vielleicht etwas unterscheiden.

    (Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir wissen, daß die asiatischen Dinge behutsam
    angefaßt werden müssen. Wir wissen auch, daß es



    Bundesminister Scheel
    heute nicht mehr darum geht, die bestehenden guten Handelsbeziehungen auf rein privater Basis jetzt Schritt für Schritt allmählich weiterzuentwickeln, sondern es geht jetzt um diplomatische Beziehungen. Das wissen wir. Meine verehrten Kollegen, Sie mögen versichert sein: die Bundesregierung wird zum richtigen Zeitpunkt das Nötige tun.
    Meine verehrten Damen und Herren, erlauben Sie mir, zum Schluß ein paar persönliche Bemerkungen zu machen. Eine Politik schwebt nicht im luftleeren oder geschichtslosen Raum. Sie ist das Produkt vieler Faktoren, und nicht zuletzt stehen hinter ihr Menschen mit unterschiedlicher Erfahrung, mit unterschiedlicher Vergangenheit. Damit wir uns nicht mißverstehen, meine verehrten Kollegen; ich will damit nicht etwa sagen, daß wir die Ambition hätten, in der Politik nach dem Schlagwort vorzugehen: „Männer machen Geschichte". Nein, wir wollen lediglich jene Überzeugung vollziehen, die wir 41$ Männer einer ganz bestimmten Generation als Männer einer ganz bestimmten Generation aus dem Wahnsinn des zweiten Weltkrieges herübergerettet haben,

    (Beifall bei den Regierungsparteien)

    die Überzeugung nämlich, daß Grenzen, Gebietsansprüche, Gewalt und Krieg für uns ein für allemal ihren Sinn verloren haben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wenn ich heute schon wieder Flugblätter in die Hand gedrückt bekomme, in denen ein größerer Lebensraum für Rumpfdeutschland, wie es heißt, gegenüber Polen verlangt wird, dann schaudert mich, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Mich schaudert bei dem Gedanken, all die schreckliche Erfahrung könnte umsonst gewesen sein. Umsonst, weil die einen, die wissen, zu feige sein könnten, den Demagogen von Anfang an zu widerstehen,

    (lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien)

    und weil die, meine Kollegen, die heute wieder an Lebensraum • und derlei Dinge denken, von unserer Erfahrung nichts wissen.

    (Abg. Stücklen: Roß und Reiter! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    Diese Verträge mögen und werden die Voraussetzung und die Grundlage für Entspannung, Zusammenarbeit und Frieden in Europa bilden. Aber ebenso bedeutend sind sie in ihrer Wirkung nach innen. Über 25 Jahre nach dem Krieg machen diese Verträge deutlich, was unserem Vaterland durch Verblendung und Verbrechen angetan wurde. Wir können diese Wirklichkeit nicht wegwischen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Sie werden aber auch deutlich machen, daß wir die Möglichkeit haben, aber auch die Verantwortung, von der Ausgangsposition eines freiheitlichen deutschen Staates aus die Lehren der Geschichte zu beherzigen.
    Wenn uns dies gelingt, so hat meine Generation, die man im Blick auf ihre vielen Toten im letzten Krieg die „geopferte" genannt hat, das Höchste erreicht, was sie erreichen konnte: den Frieden für sich und die Generation ihrer Kinder.

    (Langanhaltender lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)