Rede von
Dr.
Klaus Dieter
Arndt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Leicht, darauf kann ich ganz leicht antworten, denn selbstverständlich muß, wenn die Zuwachsrate im zweiten Halbjahr unter 7 % lag und der Jahresdurchschnitt 7 % betrug, die Zuwachsrate im ersten Halbjahr über 7 % gewesen sein. Was tangiert das denn das Urteil über das gesamte Jahr? Wir teilen doch die Zeit nun einmal etwas willkürlich ein; wir reden von einem Kalenderjahr, wir haben Haushaltsjahre. Da können Sie doch nicht irgendeinen bestimmten Zeitabschnitt herausfischen und sagen: Da waren es mehr als 10 %. Das hat doch gar keinen Sinn.
— Nein, nein! Dann habe ich mich in diesem Punkt so ausgedrückt, daß Sie mich vielleicht mißverstehen mußten. Die Haushaltsausgaben des ganzen Jahres 1970 des Bundes und weitgehend auch der Länder waren im Rahmen dessen, was konjunkturpolitisch einigermaßen verkraftet werden konnte. Die Ausgaben des ersten oder zweiten Halbjahres 1970 oder des ersten, zweiten, dritten und vierten Quartals sind konjunkturpolitisch doch gar nicht so wichtig; sie müssen doch den Aufträgen und der Produktion zugerechnet werden. Da gibt es doch Zahlungsverschiebungen; da können wir doch nur in größeren Zeiträumen rechnen. Zur außenwirtschaftlichen Absicherung gab es immer Negativa von der Opposition, es gab heute kein Ja.
Herr Strauß, ich bin in einem Punkt völlig anderer Meinung. Währungspolitik ist Konjunkturpolitik, und Konjunkturpolitik ist nicht ohne Währungspolitik zu machen. Ich muß offen bekennen, an dem Punkt haben wir keine Gemeinsamkeit. Dies ist ein Akt der Abgrenzung, in modernster Sprache, wenn Sie so wollen. Die Position der Forschungsinstitute und auch meine Position ist bekannt. Ohne eine Freigabe der Wechselkurse —
und die Regierung hat sie erreicht, sie ist in der Aktion — ist nicht zu einer Stabilitätspolitik im Innern zu kommen.
Was „floating" ist, wissen wir nun alle: dank der Diskussion der letzten Woche. Ich habe auch einmal im Wörterbuch nachgeschlagen. Im englischen Wörterbuch wird beschrieben, was floating im ursprünglichen Sinne meint: Man bindet ein Floß oder ein Boot an eine Boje; es kann dann mit den Gezeiten und den Wellenbewegungen mitschwanken — wie der Wechselkurs. Ich fand aber noch mehr. Was ist ein „floater"? Das ist erstens jemand, der sich von Ort zu Ort bewegt — schon sehr gut —, der nicht mehr als sitting duck, als manövrierunfähige Konjunkturpolitik die gesamte Last der internationalen Inflationierung auf sich zu vereinigen hat. Zweitens ist es eine Versicherungspolice gegen ungewisse Risiken. Das ist ein „floater". Beides ist für die konjunkturpolitische Steuerung der nächsten Monate wichtig.
Wir wissen, daß die amerikanische Regierung ihren Führungsbeitrag in der ökonomischen Steuerung in der Welt zur Zeit nicht leisten kann. Aus welchen Gründen auch immer, sie kann ihn nicht leisten. Nicht umsonst zirkulierte in den Monaten des vergangenen Winters in den europäischen Hauptstädten ein Papier eines Wissenschaftlers der Brookings Institution mit dem anheimelnden Namen Krause. Hier wurde das amerikanische Dilemma voll ausgebreitet. Eine konsequente Deflationspolitik — sagen wir einmal: eine Politik der gewollten Rezession hat in Amerika nach zwei Jahren 6 % Arbeitslose gebracht, ohne die Preissteigerung am Ende der zwei Jahre, nämlich Herbst 1970, unter 6 % zu bringen; erst danach wurde es weniger. Darauf ging die US-Regierung auf Gegenkurs, auf Durchstarten, würde man sagen. Bei Lebenshaltungskosten von oberhalb 5 % heißt das, daß auf längere Frist nicht damit zu rechnen ist, daß die amerikanische Preis-Kosten-Entwicklung nennenswert unter 4 % kommt. Die amerikanische Wirtschaft ist stark genug, diese Preis- und Kostenentwicklung über die Export- und Importmärkte der übrigen Welt aufzuzwingen, unsere Unternehmen dazu zu veranlassen, Kosten zu machen, nicht mit spitzem Bleistift zu rechnen, sondern Kosten im Preis wiederzukriegen. Mr. Krause zog daraus folgende Konsequenz: Wir — die USA — müssen unsere Zahlungsbilanz ignorieren, und es bleibt bei den Europäern, ob sie entweder noch schneller inflationieren als wir — und damit kommt unsere Zahlungsbilanz langfristig wieder in Ordnung oder ob sie aufwerten und damit unseren Dollar abwerten. Das bleibt bei ihnen, diese Wahl lassen wir. —Ich halte das nicht für eine Position des Zynismus, ich halte das für die Position der Not, in der sich dieses Land zur Zeit befindet.