Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe mit keinem der wissenschaftlichen Institute gesprochen. Ich bin aber überzeugt, daß, wenn die Herren damit hätten rechnen müssen, daß das, was in Brüssel vereinbart wurde, das Ergebnis ihres Freigabevorschlages gewesen wäre, d. h. daß die Aufwertung sozusagen nur für einige Wochen Gültigkeit haben soll, daß die Rückkehr zur alten Parität volle Anerkennung gefunden hätte und womöglich schon der Zeitpunkt dafür festgelegt worden wäre. So wird der Spekulation Tür und Tor geöffnet.
Man kann heute geradezu von einer Einladung zur
Spekulation sprechen. Wie die Dinge heute stehen,
wird die Spekulation regierungsamtlich sogar abgesichert. Man könnte sagen: Kauft Dollar, zu welchem Preis unter 3,63 DM auch immer;
wir geben euch jedenfalls die Garantie,
Abg. Haase [Kassel] : Daß wir sie zurücknehmen!)
daß wir diese Dollars am So und so vielten, wahrscheinlich schon früher, als ihr denkt, zum Kurs von 3,66 oder 3,63 in D-Mark umtauschen. — Meine Damen und Herren, die Freigabe der Wechselkurse, die ich mit befürwortet habe, wird unter dem Tatbestand der Brüsseler Beschlüsse zu einer Farce. Wenn Sie ehrlich sind, werden Sie zugeben müssen, daß Sie in Brüssel Ihre Bedenken angemeldet haben, aber damit nicht durchgedrungen sind. Ich habe auch keine Zweifel, daß Sie den Versuch unternahmen, eine gemeinsame Lösung der „Sechs" herbeizuführen. Das gelang nicht! Außerdem ist eindeutig der Beschluß gefaßt worden, daß eine Aufwertung nicht in Frage komme, weil die D-Mark nicht unterbewertet sei. Im übrigen haben auch die wissenschaftlichen Institute — wohlweislich, wie ich glaube — keine Aufwertung empfohlen, sondern eine Freigabe des Wechselkurses.
Bei einer Freigabe des Wechselkurses hätte sich folgende Situation ergeben. Die Spekulanten konnten nicht sicher sein, zu welchem Zeitpunkt die Bundesregierung unter Umständen wieder zu der offiziellen alten Parität des Dollars von 3,66 DM bzw. 3,63 DM zurückkehrt. Sie konnten nicht wissen, in welchem Ausmaß die Bundesbank interveniert und den Kurs stützt. Sie konnten überhaupt nichts wissen.
Wie sieht es aber heute aus? Heute liegen alle Zahlen und Daten sozusagen auf dem Tisch. Und da soll die Spekulation aufhören?! Ich kann nur jedem, der noch Dollars kaufen kann, raten: Tun Sie es, Sie werden sie zu höheren Preisen wieder los.
Nein, das war keine Lösung. Ich muß offen gestanden sagen, Herr Kollege Schiller: Wenn ich an Ihrer Stelle und in der gleichen Gesinnung in Brüssel gesessen hätte — denn eine Freigabe der Wechselkurse war durchaus sinnvoll gewesen —, dann hätte ich diese Bindung nicht akzeptiert, die dort beschlossen worden ist und der Sie zugestimmt haben. Übrigens auch der, daß bis zum 1. Juli zwangswirtschaftliche, dirigistische Maßnahmen beschlossen werden sollen. Ich weiß nicht, wie Sie sich da aus der Affäre ziehen wollen.
Ich brauche aus meinem Herzen keine Mördergrube zu machen. Ich bin nicht verdächtigt, dirigistische Neigungen zu haben, ganz bestimmt nicht. Ich bin das vor allen Dingen auch deshalb nicht abgesehen von der Gesinnung , weil ich bisher nirgends gefunden habe, daß ein Land, das mit dirigistischen Maßnahmen gearbeitet hat, zu einer besseren Ordnung hingefunden hätte.
Wenn ich ganz konsequent bin, dann muß ich sagen: Wenn ich schon in bezug auf die außen-
Dr. Erhard
wirtschaftliche Absicherung dirigistische Maßnahmen, also Eingriffe des Staates, für erforderlich halte, dann müßte ich eigentlich zur binnenwirtschaftlichen Absicherung fordern, daß der Staat auch Einfluß auf die Freizügigkeit der Tarifpartner nimmt. Ich bin davon weit entfernt; im Gegenteil habe ich stets für die Freizügigkeit der Tarifpartner gekämpft.
Aber wie Sie da herauskommen wollen, wenn am 1. Juli die Tatsachen auf dem Tisch liegen werden, das mögen Sie uns sagen. Im Augenblick besteht jedenfalls eine völlige Unsicherheit und eine völlige Unklarheit. Die Auguren, die Wissenden, fühlen sich bewußt getäuscht. Es ist wohl auch kein Zufall, daß die ersten Meldungen aus Brüssel lauteten: unbefristete Freigabe. Jetzt auf einmal ist die Freigabe ganz deutlich befristet geworden.
Ich glaube, auch die Tatsache, daß bis zum 1. Juli weitere Entscheidungen fallen müssen, läßt darauf schließen, daß die Mehrheit unserer Partner im Ministerrat uns keine weitere Verlängerung zubilligt. Dann haben wir eine Schau von einer Freigabe der Wechselkurse aufgezogen, haben aber nur neue Unruhe und Unsicherheit hervorgerufen, ohne die gewollte — auch von mir gewollte — Wirkung zu erzielen. Ich glaube, das muß mit aller Deutlichkeit ausgesprochen werden und ich fühle mich insbesondere dazu verpflichtet; ich stehe nach wie vor zu meiner Überzeugung, daß eine Freigabe der Wechselkurse bei richtiger und konsequenter Anwendung und Anerkennung in Brüssel ein durchaus praktikables Prinzip gewesen wäre, um die fremde Spekulation abzuwehren. Das ist nun dahin, Herr Schiller; dessen sollten Sie sich bewußt sein.
Wir sollten auch nicht länger dem deutschen Volk das Märchen erzählen, es sei die Freigabe der Wechselkurse erfolgt. Das war einmal! Alles, was von heute an geschieht, ist doch schon mit der Sicherheit belastet, daß dies und das kommen wird: erstens, zweitens, drittens, genau wie es Kollege Barzel hier dargestellt hat. Das schafft eine völlig andere Situation. Wir haben es nicht mehr mit der Lage von gestern zu tun, auch nicht mehr mit der gleichen geistigen Auseinandersetzung, sondern wir stehen vor neuen Tatsachen; — die allerdings müssen sorgfältig durchdacht werden.
Meine Damen und Herren, mir geht es hier nicht um Anklage. Wir sollten uns Gedanken machen. Sicher, man kann darüber streiten, ob es eine Spekulation für die D-Mark oder gegen den Dollar war; wahrscheinlich mehr das letztere, wie ich gern zugebe. Wir sollten uns deshalb fragen und zwar nicht nur wir allein, sondern gemeinsam mit der, freien Welt —, ob das System von Bretton Woods noch völlig ausreicht, um zu einer gesunden internationalen Währungsordnung zu kommen.
Meine Damen und Herren, das System von Bretton Woods ist erdacht worden, als die ganze Welt im Zeichen einer Dollarlücke stand.
Auch bei uns haben Fünf Weise prognostiziert, daß die Dollarlücke in Europa eine ewige Krankheit bleiben müsse. Ich habe es nicht geglaubt. Es ist auch anders gekommen. Aber wenn ein System auf eine Dollarlücke ausgerichtet ist und sich die Wendung im Augenblick nach einer Dollarschwemme hin vollzieht, dann kann dieses Prinzip nicht völlig unangefochten weiter in Gültigkeit bleiben. Ich glaube, es liegt ebensosehr im Sinne der Vereinigten Staaten wie überhaupt der ganzen freiheitlich gesinnten Welt, daß wir uns gemeinsam Gedanken machen, wie wir uns aus solchen Diskussionen freischwimmen können, die wir heute leider wieder zu führen gezwungen waren.