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ID0612102200

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    Deutscher Bundestag 121. Sitzung Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1971 Inhalt: Glückwunsch zum Geburstag des Abg. Dr. Freiwald 6979 A Überweisung von Vorlagen an Ausschüsse 6979 A Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . 6979 B Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Dr. Schiller, Bundesminister 6979 D, 7013 C Dr. Müller-Hermann (CDU/CSU) . . 6984 C Junghans (SPD) . . . . . . . . 6991 C Mertes (FDP) . . . . . . . . 6995 D Brandt, Bundeskanzler 6999 D Dr. Barzel (CDU/CSU) 7004 D Dr. Erhard (CDU/CSU) . . . . . 7011 C Kienbaum (FDP) . . . . . . . . 7014 D Dr. Apel (SPD) 7016 C Strauß (CDU/CSU) 7018 A Dr. Arndt (Berlin) (SPD) 7027 B Dr. von Bismarck (CDU/CSU) . . 7031 D Dorn (FDP) 7033 D Leicht (CDU/CSU) 7037 C Dr. Schäfer (Tübingen) (SPD) . . 7039 A Kirst (FDP) . 7039 B Nächste Sitzung 7040 D Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 7041 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1971 6979 121. Sitzung Bonn, den 11. Mai 1971 Stenographischer Bericht Beginn: 14.00 Uhr
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    Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Ahrens ** 15. 5. Dr. Aigner * 11. 5. Alber ** 15. 5. Amrehn ** 15. 5. Bals ** 15. 5. Bauer (Würzburg) ** 15. 5. Behrendt * 11. 5. Dr. Birrenbach 14. 5. Blumenfeld ** 15. 5. Frau von Bothmer 14. 5. Dasch 15. 5. Frau Dr. Diemer-Nicolaus ** 15. 5. Dr. Dittrich * 14. 5. Draeger ** 15. 5. Dr. Enders ** 15. 5. Fellermaier 21. 5. Fritsch ** 15. 5. Dr. Früh 11.5. Dr. Fuchs 14. 5. Dr. Furler ** 15. 5. Geldner 31. 5. Freiherr von und zu Guttenberg 15. 5. Dr. Hallstein 13. 5. Frau Herklotz ** 15. 5. Dr. Hermesdorf (Schleiden) ** 15. 5. Hösl ** 15. 5. Horstmeier 11.5. Jung 11.5. Dr. Jungmann 14. 5. Kahn-Ackermann ** 15. 5. Dr. Kempfler ** 15. 5. Dr. Kiesinger 11.5. Frau Klee** 15. 5. Dr. Klepsch ** 15. 5. Dr. Kley 15. 5. Dr. Kliesing (Honnef) ** 15. 5. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Koch * 14. 5. Lemmrich ** 15. 5. Lenze (Attendorn) ** 15. 5. Liehr 11.5. Dr. Löhr * 15. 5. Maucher 26. 6. Meister * 12. 5. Memmel * 14. 5. Müller (Aachen-Land) * 14. 5. Dr. Müller (München) ** 15. 5. Pöhler ** 15. 5. Porzner 11.5. Dr. Reinhard 14. 5. Frau Renger 15. 5. Richter ** 15. 5. Riedel (Frankfurt) * 14. 5. Dr. Rinderspacher ** 15. 5. Rollmann 18. 5. Roser ** 15. 5. Dr. Schmid (Frankfurt) ** 15. 5. Dr. Schmidt (Gellersen) 14. 5. Schmidt (Würgendorf) ** 15. 5. Dr. Schmücker ** 15. 5. Dr. Schulz (Berlin) ** 15. 5. Schwabe * 11.5. Dr. Siemer 14. 5. Simon 14. 5. Stein (Honrath) 15. 5. Frau Dr. Walz ** 15. 5. Dr. von Weizsäcker 14. 5. Wende 15. 5. Wienand ** 15. 5. Dr. Zimmermann 11. 5. * Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments ** Für die Teilnahme an Sitzungen der Beratenden Versammlung des Europarates
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    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Niemand hat behauptet — und es kann wohl auch nicht gut behauptet werden —, daß die Regierung nicht gehandelt habe. Die Opposition versucht nachzuweisen, daß die Regierung nicht rechtzeitig gehandelt habe, und vielleicht werden wir dazu auch noch Gewichtigeres hören, als im ersten Beitrag der Opposition heute dazu zu hören war. Jedenfalls hat die Regierung nicht interessengebunden gehandelt, sie hat auch nicht isoliert gehandelt. Sie hat, so gut sie es versteht — —

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Ja, aber was spricht für eine Überheblichkeit daraus, wenn man aufmuckt gegen die Demut eines Menschen mit politischer Verantwortung,

    (Oh-Rufe von der CDU/CSU)

    der sagt: jeder kann dem, was richtig ist, nur so nahe wie möglich kommen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU: „Demut"!)

    Mit dieser bewußten Einschränkung sage ich: die Regierung hat das Wohl des Ganzen im Auge gehabt, wie es ihre Pflicht ist. Ich habe am Sonntagabend gesagt und sage es auch hier: zwar sollten alle wissen, daß es für uns keine Insel der Stabilität gibt, aber bei allen Abhängigkeiten, in die wir eingebunden sind, darf es keinen Zweifel geben, daß wir im Rahmen unserer Möglichkeiten und unserer Verantwortlichkeiten alles tun wollen und müssen, um das jeweils erreichbare Maß an Stabilität zu erreichen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)




    Bundeskanzler Brandt
    Wir brauchen mehr Stabilität. Die außenwirtschaftliche Absicherung reicht nicht aus, sie muß durch interne Anstrengungen ergänzt werden. Ich spreche bewußt zunächst nicht von der außenwirtschaftlichen Absicherung, sondern von diesem Aspekt unserer Politik.
    Verehrte Kollegen, wer den dringenden Bedarf an öffentlichen Investitionen und Dienstleistungen und unsere Einstellung zur Frage der Infrastruktur, der Sozialleistungen und der Gemeinschaftsaufgaben kennt, der wird ermessen können, daß es uns nicht
    leicht gefallen ist, ein — relativieren Sie es in der
    Debatte; das kann Ihnen niemand verwehren —,
    Mehr-Milliarden-Paket zu schnüren. Das ist, gemessen an subjektiven Erwartungen und an objektiven Notwendigkeiten in diesem Volk, ein Opfer. Dieses Opfer ist notwendig, weil es auch dazu gehört, wenn man mehr Preisstabilität erreichen will, und ich kann es nicht hinnehmen, daß dieser Beitrag, dieses Opfer, wie ich es noch einmal nenne, bagatellisiert wird. Wer das tut, der schwächt von vornherein ein aus mehreren miteinander verzahnten Elementen bestehendes Programm, das im Interesse der Gesamtheit erforderlich ist.
    Alle Anstrengungen des Staates wären jedoch vergeblich, wenn sie nicht von den Frauen und Männern im Lande verstanden und wenn sie nicht in entscheidendem Maße von den großen sozialen Gruppen unterstützt würden. So kann ich nur hoffen, daß hier im Deutschen Bundestag und überall, wo es gehört werden soll, folgendes klar verstanden wird: Die Tarifautonomie ist ein unverzichtbarer Teil unserer freiheitlichen Gesellschaft; ich meine, daß es dabei bleiben muß.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Aber ich sage auch in allem Freimut, daß dieser Autonomie die Verantwortung der Beteiligten für das Gesamtwohl entsprechen muß. Dies ist keine selbstgerechte und keine einseitige Mahnung. Worauf es ankommt, ist, daß sich jeweils beide Seiten bemühen, ihrer Verantwortung bewußt zu sein, daß sie durch adäquate, inhaltlich zueinander passende Maßnahmen die Anstrengungen um mehr Stabilität nachdrücklich unterstützen. Anders geht es nicht. Dies ist keine Verkleisterung von Interessengegensätzen, die in einer freiheitlichen Gesellschaft ausgetragen werden müssen. Dies ist auch kein Festschreiben von Gegebenheiten, die der Verwirklichung des demokratischen und sozialen Bundesstaates als Auftrag des Grundgesetzes noch im Wege stehen, sondern dies ist eine aktuelle und dabei sehr ernste Mahnung.
    Kein Zweifel, die Freigabe der Wechselkurse bedeutet für zahlreiche Unternehmen einen nicht unerheblichen Kostendruck. Zu starke Steigerungen der Lohnkosten könnten in dieser Phase die Gefahr der Unterbeschäftigung hervorrufen.

    (Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!)

    Deshalb erschiene es mir sinnvoll, wenn jetzt bei Preisen und Lohnkosten eine Art Konsolidierungspause ernsthaft in Erwägung gezogen würde. Ich sage dies als einer, der sich vor einseitigen Urteilen oder gar Anklagen hütet. Und ich bin auch jetzt,
    meine verehrten Damen und Herren, auf keinen Fall bereit, die Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften zum Sündenbock zu machen oder machen zu lassen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Doch muß ich auf folgendes hinweisen. So erfreulich es ist, daß die Realeinkommen im vorigen Jahr stärker gestiegen sind als in jedem anderen Jahr seit der Währungsreform — das ist eine Tatsache —, so sehr müssen wir die Gefahr sehen, daß bei einer ausufernden Kostenentwicklung ein wirtschaftlicher Rückschlag auf uns zukommen kann.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Dem gilt es vorzubeugen. Inzwischen haben wir alle, ob Opposition oder Regierung, auch die Sorgen zu bedenken, denen viele Sparer und Rentner in unserem Volk ausgesetzt sind.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Demonstrativer Beifall bei der CDU/CSU.)

    Deshalb bitte ich die großen gesellschaftlichen Gruppen in unserem Volk um ihr überdenken der Lage,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Panikmache!)

    um ihre Aufgeschlossenheit und Mithilfe. Mit der Preis-Lohn- und Lohn-Preis-Spirale ist der großen Masse nicht gedient. Deshalb meine Bitte, über ein möglichst stabilitätspolitisches Verhalten ernsthaft nachzudenken; denn mehr Stabilität wird dem ganzen Volk zugute kommen.
    Stabilität erfordert, daß wir alle in manchem zunächst zurückstecken müssen, um eine bessere Ausgangslage für die weitere Entwicklung zu sichern.

    (Abg. Leicht: Sagen, wo!)

    Wir müssen verschiedene Interessen abwägen, dabei aber zu einer einheitlichen Linie finden. Lassen Sie mich ganz offen — über diesen Saal hinaus — sagen: diese einheitliche Linie finden wir nicht dadurch, daß wir am Arbeitsplatz höhere Löhne, am Familientisch niedrigere Preise und am Stammtisch niedrigere Steuern fordern. Diese drei Dinge gehen im Verhältnis zueinander nicht auf.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der CDU/CSU: Wem sagen Sie das? — Abg. Dr. Müller-Hermann: Wenn wir das sagen, ist das Panikmache! — Abg. Strauß: War das ein Kennzeichen der Politik der Bundesregierung? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    Mit Übertreibungen ist in diesem Lande niemandem gedient, und übersteigerte Polemik wird sich auch nicht auszahlen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Verehrte Kolleginnen und Kollegen, man wird unserem Volk ohnehin nicht einreden könen, wir hätten in der Bundesrepublik Deutschland plötzlich seit eineinhalb Jahren

    (Zuruf von der CDU/CSU: Eine gute Regierung!)




    Bundeskanzler Brandt
    eine Wirtschaftsordnung, in der die Regierung die Preise bestimmt. Das werden Sie der Bevölkerung nicht einreden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    Niemand wird guten Gewissens sagen können, wir hätten die immensen Dollarzuflüsse zu verantworten, gegen die etwas unternommen werden mußte. Sie, Herr Kollege Müller-Hermann, reden heute hier und Herr Kollege Barzel redet draußen von der Währungskrise, und Sie verschweigen dem Volk, daß es eine Krise des Dollars und nicht der D-Mark ist.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. —Abg. Strauß: Anti-Dollar-Kampagne bei Nachgiebigkeit gegenüber Anti-Dollar-Spekulation! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Herr Strauß, Sie sind gerade wieder da; nun hören Sie doch einmal einen Augenblick zu! — Niemand wird freilich bestreiten können, daß wirtschaftliches Wachstum und Vollbeschäftigung überall in der Welt mit einem gewissen Maß an Preissteigerung verbunden sind und daß die meisten mit uns vergleichbaren Länder es mit einem höheren Grad an Instabilität zu tun haben,

    (Abg. Leicht: Preissteigerungsrate!)

    — In einigen Fällen, Herr Kollege Leicht, mit der besonders kritischen Koppelung von hohen Preissteigerungsraten und außerdem noch hohen Arbeitslosenziffern.
    Ich muß mich — um das gleich mit zu sagen — gegen die Legende wenden, als stünde bei uns in der Bundesrepublik Deutschland alles zum besten, wenn wir uns nur kein Reformprogramm vorgenommen, wenn wir es nur nicht eingeleitet hätten. Man soll hier die Dinge doch nicht durcheinanderbringen. Unsere stabilitätspolitischen Erwägungen und Maßnahmen — ich sage das in aller Klarheit — bedeuten keinen Abschied von notwendigen Reformvorhaben in diesem Staat.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Für diese notwendigen 'Reformvorhaben soll allerdings — wer wollte das bestreiten: das gehört genau in diesen Zusammenhang — eine solidere Basis gefunden werden,

    (Zurufe von der CDU/CSU: Aha!)

    als sie gegeben wäre, sicherten wir uns nicht gegen
    die Gefahren ab, von denen ich gesprochen habe.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Es bleibt dabei, daß der Bundeshaushalt 1972 und die damit verbundene mittelfristige Finanzplanung am Schluß der Sommerpause eingebracht werden. Dann wird noch Zeit genug sein, um über Einnahmen und Ausgaben zu streiten und auch ohne Demagogie darüber zu reden, was der Staat vom Bürger erwarten muß, wenn der Bürger aus guten Gründen immer mehr vom Staat erwartet.
    Mancher Kritiker meint — auch heute ist das schon im ersten Beitrag der Opposition angeklungen —, diese Regierung habe nicht genug getan, um einen überschäumenden Boom unter Kontrolle zu bringen. Wer wollte selbstgerecht darauf antworten! Ich will jedenfalls nicht bestreiten,

    (Abg. Dr. Barzel: Sie müssen sich hier stellen, Herr Bundeskanzler!)

    daß wir alle haben einiges hinzulernen müssen — übrigens nicht nur eine Seite des Hauses —, auch in bezug auf die exakte Vorausberechenbarkeit volkswirtschaftlicher Abläufe.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    Verehrte Kollegen, nicht jetzt mit dem Finger auf andere zeigen, sondern sich einmal daran erinnern, weswegen wohl die verehrte Opposition Ende des Jahres 1970 ihre Haltung zum Haushalt 1971 verändert hat! Sie haben sie auf Grund einer Einschätzung der wirtschaftlichen Lage verändert, die so nicht eingetreten ist — damit wir uns hier klar verstehen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Leicht: Lassen Sie uns unsere Anträge zum Haushalt 1971 zur Kenntnis bringen! Wir lesen sie nachher vor!)

    Aber wir sind nicht untätig geblieben. Das ist gesagt worden. Wir werden darauf zurückkommen. Ich will mir das jetzt schenken. Aber eines will ich Ihnen sagen: es ist wahr, daß die Bremsen — von der Aufwertung über die Konjunkturausgleichsrücklage, den Konjunkturzuschlag bis zur degressiven Abschreibung — nicht so hart gegriffen haben, wie wir es gewünscht hätten. Aber dies hat doch eben in hohem Maße auch damit zu tun, daß die weltweite Tendenz zur Instabilität auch unser Land nicht nur nicht verschont, sondern zunehmend mit erfaßt hat. Dieser Sachverhalt läßt sich in zwei Zahlen drastisch illustrieren. Durch die Maßnahmen der Bundesregierung und der Notenbank wurden seit Anfang 1970 bis jetzt rund 24 Milliarden DM stillgelegt; gleichzeitig aber flossen 42 Milliarden DM aus dem Ausland in die Bundesrepublik. Dieser Inflationsimport erreichte Anfang voriger Woche einen dramatischen Höhepunkt.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Warum?)

    — Das kommt, einen Augenblick! — Die Bundesregierung hat daraufhin innerhalb von Stunden gehandelt. Ich kann mich an eine andere Regierung erinnern, die länger dazu gebraucht hat.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Sie hat mit Zustimmung des Zentralbankrates zunächst eine Schließung der Devisenmärkte veranlaßt. Sie hat sich damit 'den Spielraum für die jetzt notwendigen Maßnahmen geschaffen.

    (Zuruf von der CDU/CSU.)

    — Wenn einer der Kollegen dazwischenruft, was er entweder selbst verbreitet oder in der Zeitung gelesen hat: Sie waren ja in London!, dann muß ich vor diesem Hause sagen dürfen: Dieser Entscheid des Bundeskanzlers und seiner Kollegen ist in der Nacht vom Dienstag zum Mittwoch gefallen. Daraufhin habe ich mit Zustimmung meiner Kollegen am



    Bundeskanzler Brandt
    Mittwochmittag meine eintägige Reise nach London angetreten, um die Dinge durch eine Absage nicht weiter zu dramatisieren. Das, was zu entscheiden war, war in der Nacht vorher entschieden worden. Das ist die Wahrheit.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren, bisher — vielleicht
    hören wir ja noch anderes — habe ich in diesen Tagen zu wenig gehört von denen, die bei anderer Gelegenheit für die freie Marktwirtschaft sind und in dieser Situation doch offensichtlich mit dem Gedanken gespielt haben, anders als mit marktwirtschaftlichen Mitteln der Situation Herr zu werden.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Nein!)

    — Jetzt wurde dazwischengesagt: Nein. Herr Kollege Müller-Hermann hat es schon vorgebracht: Aber § 23! Das darf man dann aber doch nicht in dieser für die Öffentlichkeit verwirrenden Einfachheit hier vorbringen. Denn von dem § 23 des Außenwirtschaftsgesetzes ist doch lediglich das in Nr. 7 aufgeführte Verzinsungsverbot für Konten Gebietsfremder bei inländischen Banken durch Verordnung in Kraft gesetzt worden. Dazu waren wir, wie alle Kundigen wissen, immer bereit. Alle anderen Dinge, z. B. die Kreditaufnahme der Wirtschaft im Ausland, sind nach wie vor frei.
    Was nun die Spekulation angeht, Herr Kollege Müller-Hermann, Herr Schiller hat schon gesagt: Jawohl, einen Tag und eine Stunde. Mir hat es nicht in den Kram gepaßt, daß die Institute mit ihrem Gutachten am letzten Montag kamen. Aber eins muß ich hier zurückweisen: erstens haben Sie eine Verlautbarung des Bundeswirtschaftsministers falsch wiedergegeben. Sie haben gesagt, darin heiße es, es handle sich um eine nützliche Stellungnahme. In Wirklichkeit heißt es — ich habe die Verlautbarung vor mir —: „Zusammen mit dem in Kürze zu erwartenden Gutachten des Sachverständigenrats wird die Gemeinschaftsdiagnose der Wirtschaftsforschungsinstitute helfen, die Diskussion über die weitere Konjunkturpolitik zu versachlichen." Das steht dort.

    (Abg. Dr. Barzel: Herr Bundeskanzler, lesen Sie doch den Absatz 1! — Zurufe von der Mitte: Weiterlesen!)

    Meine Damen und Herren, von währungspolitischen Absichten unsererseits ist in diesem Kommuniqué keine Rede. Und meine Kollegen in der sozialdemokratischen Fraktion — hier ist meine Äußerung vor dieser Fraktion zur Sprache gebracht worden — rufe ich miteinander zu Zeugen dafür auf, daß die Behauptung unwahr ist, ich hätte dort eine außenwirtschaftliche Maßnahme im Laufe der Woche oder auf kürzere Sicht angekündigt.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Aber jetzt, Herr Kollege Müller-Hermann, gehe ich einen Schritt weiter.

    (Abg. Dr. Müller-Hermann: Können Sie dies hier lesen?)

    Vielleicht haben Sie auch Erfahrungen mit Leuten,
    bei denen man etwas bestellt; so etwas soll es geben.
    Ich muß jedenfalls unter Berufung auf die Freiheit der Wissenschaft diese Institute gegen die Verdächtigung in Schutz nehmen, der sie hier ausgesetzt worden sind.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Sie haben ihr Gutachten nicht für die Bundesregierung, sondern für die deutsche Öffentlichkeit erstattet.
    Die Freigabe des Wechselkurses gibt der Deutschen Bundesbank die Möglichkeit, weitere spekulative Devisenzuflüsse zu verhindern und für einen Abfluß der stabilitätsgefährdenden Überliquidität zu sorgen. Die Bundesregierung — ich will das ausdrücklich hinzufügen — erwartet darüber hinaus von der Deutschen Bundesbank, daß sie dieses Instrument nutzt, um einen deutlichen Stabilitätseffekt auf den Binnenmärkten zu erzielen. Die Verbilligung der Einfuhren und die Dämpfung der Auslandsnachfrage werden nach der Überzeugung nicht nur der Bundesregierung, sondern auch der Mehrzahl der unabhängigen Experten zu der dringend notwendigen Beruhigung des Preisklimas beitragen.
    Wir verkennen nun nicht, meine Damen und Herren, daß diese harten Stabilisierungsmaßnahmen hier und da zu Schwierigkeiten führen können, doch ohne gewisse Einbußen und Neuanpassungen ist die Wiedergewinnung der Stabilität nicht möglich. Zur Dramatisierung besteht auch dabei kein Anlaß. Die Bundesbank ist durchaus in der Lage, das Instrument des Wechselkurses felxibel zu handhaben, und auch der Bundesregierung stehen genügend Instrumente zur Verfügung, um ein Abgleiten der Konjunktur über die notwendige und gewünschte Entspannung hinaus aufzufangen.
    Besonders schwierig — da schließe ich mich meinen Vorrednern an — ist die Lage für die Landwirtschaft wegen der Bindung ihrer Einkommen an den Grünen Dollar. Ich habe in allen Äußerungen der letzten Tage deutlich gemacht, daß nach Ansicht der Bundesregierung die aus der Spekulationswelle entstandenen Lasten nicht -- und hier greife ich das Wort von Karl Schiller auf — auf die Rücken unserer Bauern geladen werden dürfen. Wir haben diesen Gesichtspunkt in Brüssel vorgetragen und dort ein gewisses Verständnis gefunden. Der Ministerrat hat den Grundsatz anerkannt, daß ein Grenzausgleich eingeführt wird, um die deutsche Landwirtschaft vor Störungen zu schützen. Der Agrrarat berät zur Stunde über Einzelheiten, und ich möchte hier vor dem Hohen Hause noch einmal dem dringenden Wunsch der Bundesregierung Ausdruck geben, daß der Agrarrat in Brüssel, ob er nun einen Tag mehr oder weniger braucht, einen Weg findet, der unseren Sorgen Rechnung trägt. Dabei gehen wir davon aus — lassen Sie mich das mit demselben Nachdruck hinzufügen daß der gemeinsame Agrarmarkt als wichtiges Bindeglied der europäischen Integration erhalten bleibt.
    Herr Kollege Müller-Hermann hat gemeint, ich hätte Kritikern unrecht getan, als ich ihnen Panikmache vorwarf. Nun kann man über Worte und ihre Zuspitzung immer streiten. Aber ich darf in aller



    Bundeskanzler Brandt
    Offenheit sagen, Herr Kollege Müller-Hermann, auch Teile Ihrer heutigen Rede — das Wort von der Inflation ohne Maß, das Wort, wir setzten eine Währungskrise in Szene oder hätte sie in Szene gesetzt sind nicht nur unwahre, sondern panikmacherische Behauptungen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Dann ist mir wiederholt, so auch heute, vorgeworfen worden, ich hätte eine Vollbeschäftigungsgarantie oder, wie es heute hieß, eine Vollbeschäftigungs-
    und Auslastungsgarantie ausgesprochen und damit, wie es an anderer Stelle hieß, ein unzweckmäßiges Verhalten gefördert. Erstens ist das ein Wort, das ich nie verwendet habe. Zweitens ist es keine Schande, sondern meine Pflicht, wenn ich, zumal vor dem Hintergrund des Jahres 1966, wiederholt daran erinnert habe, daß die Vollbeschäftigung eines der unverrückbaren Ziele des Stabilitätsgesetzes ist.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Außerdem ist und bleibt es meine Überzeugung, daß ein Spiel mit der Sicherheit der Arbeitsplätze verwerflich ist.
    Aber wir brauchten uns hier nicht auseinanderzureden, wir könnten uns leicht verständigen, wenn es darum ginge, daß die Ziele des Stabilitätsgesetzes gleichrangig nebeneinanderstehen.

    (Abg. Dr. Müller-Hermann: Das wollen wir! Das ist ja der Sinn!)

    Nun ist die Bemerkung des Herrn Bundeswirtschaftsministers bezweifelt warden, daß die Opposition in starkem Maße informiert und in den Meinungsbildungsprozeß der Regierung einbezogen worden sei.

    (Abg. Dr. Müller-Hermann: Das wird nicht bestritten! — Weiterer Zuruf von der CDU/ CSU.)

    Ich weiß, es gibt natürlich nichts, auch auf diesem Gebiet nichts, was vollkommen ist. Ich will, da das Thema angeschnitten wurde, nur folgendes sagen: Bevor ich am letzten Dienstag am späten Abend, in der Nacht, mit den zuständigen Kabinettskollegen entschieden habe, daß die Devisenbörsen am nächsten Tag dichtgemacht werden — wir wollten morgens nur noch mit dem Zentralbankrat darüber reden, aber in der Stunde war dann schon wieder mehr passiert —, hatte Herr Kollege Schiller den Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion über unsere Überlegungen zum damaligen Stande informiert. Am Freitagmorgen hatte ich selbst das Vergnügen, Herrn Kollegen Barzel und zwei seiner Kollegen im Bundeskanzleramt für eine gute Stunde zu sehen. Ich habe den Kollegen vor der Kabinettssitzung zusammen mit dem Wirtschaftsminister über den Stand der Dinge berichtet. Am Sonntag, als die Herren aus Brüssel zurück waren und einige Stunden geschlafen hatten, hat Herr Staatssekretär Schöllhorn am frühen Nachmittag Herrn Kollegen Barzel über die schwierige Brüsseler Situation und die Verhandlungen von Samstag früh bis Sonntag früh unterrichtet. Am späten Sonntagnachmittag hat Herr Minister Ehmke in meinem Auftrag Herrn Kollegen Müller-Hermann über den Stand der Überlegungen im Kabinett zum
    binnenwirtschaftlichen Teil unterrichtet, und am späten Sonntagabend erfolgte noch einmal eine Unterrichtung über die Beschlußfassung, wie sie sich dann abzeichnete.
    Nun ist gesagt worden: Das war aber keine richtige Konsultation.

    (Abg. Rasner: Überhaupt keine!)

    Verehrte Kollegen, eines müßten Sie eigentlich zugeben: die Opposition hat viele Möglichkeiten — und sie nimmt diese Möglichkeiten mit gutem Recht wahr —, sich zu artikulieren, öffentlich oder nichtöffentlich. Niemand wird sagen können, daß Anregungen und Vorschläge der Opposition es schwergehabt hätten, den Weg zur Bundesregierung zu finden. Das kann man nicht behaupten.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Barzel: Das ist doch unerhört, Herr Bundeskanzler!)

    Meine Damen und Herren, ich möchte schließlich noch auf einen besonders wichtigen Punkt zu sprechen kommen. Ich sage Ihnen in vollem Ernst: diese Bundesregierung hat weder ihre europäischen Pflichten vernachlässigt noch etwa den Aufbau der Wirtschafts- und Währungsunion gefährdet. Wenn das hier und da von ausländischen Zeitungen vorgebracht wird, kann man das nur mit Unkenntnis oder anderen Unzulänglichkeiten erklären. Bei uns in der Bundesrepublik kann man einen solchen Vorwurf guten Gewissens nicht erheben.
    Die Bundesregierung hat wirklich — dafür stehe ich ein — alles in ihren Kräften Stehende getan, um zu gemeinsamen Aktionen mit ihren europäischen Partnern zu kommen. Dies ist leider nur teilweise gelungen. Ich danke Herrn Schiller und Herrn Scheel für die große Anstrengung in Brüssel. Es soll auch nicht untergehen — was wir hier sprechen, hören andere mit —, daß die Bundesrepublik Deutschland durch ihre Regierung an diesem ent- scheidenden Punkt ihren monetären Beistand angeboten hat, um zu einer gemeinschaftlichen Haltung aller Sechs zu kommen. Das ist ja wohl keine Kleinigkeit.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Es ist nicht ganz gelungen, zu gemeinsamen Aktionen zu kommen. Aber wer wollte behaupten, wir stünden isoliert da? Steht man isoliert da, wenn Holland und Belgien sich konform verhalten, die Schweiz und Osterreich aufwerten und die Franzosen und Italiener das für uns Notwendige in einen Gemeinschaftsbeschluß einbinden? Wir müssen verstehen, wenn es uns auch manchmal schwerfällt, daß andere Länder andere Interessen und andere stabilitätspolitische Auffassungen haben. Wir müssen aber auch erwarten, daß unsere Partner Verständnis dafür aufbringen, daß außergewöhnliche Situationen auch bei uns außergewöhnliche Maßnahmen erfordern. So sieht es aus.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Erfreulicherweise haben wir dieses Verständnis bei den harten Verhandlungen in Brüssel gefunden, so daß unsere außenwirtschaftlichen Maßnahmen europäisch eingebunden werden konnten. Daß die



    Bundeskanzler Brandt
    Brüsseler Beschlüsse gerade am 21. Jahrestag der Erklärung Robert Schumans gefaßt wurden, ist kein Zeichen der Schwäche der Gemeinschaft, wie einige Kommentatoren meinten, sondern zeigt im Gegenteil, daß diese Gemeinschaft bereits weit fortgeschritten ist und auch schwierige Situationen meistern kann und wird, ohne daß dadurch der Zusammenhalt erschüttert wird.
    Die Entwicklung der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion wird durch unsere Maßnahmen nicht gefährdet, im Gegenteil — und ich will das beweisen —, die jüngste internationale Währungskrise hat allen Beteiligten noch einmal drastisch vor Augen geführt, wie dringend notwendig Fortschritte in Richtung auf eine gemeinsame europäische Wirtschafts- und Währungspolitik sind. Die Bundesregierung ist und bleibt allerdings der Überzeugung, daß wir Europa nicht helfen, wenn wir unsere stabilitätspolitischen Ziele preisgeben, sondern daß unser Ziel eine europäische Stabilitätsgemeinschaft sein und bleiben muß. Wenn man zu einem gesunden Europa kommen will, braucht man eine gesunde europäische Wirtschaft:
    Nun war zu hören, daß die Sachverständigenberatungen über die Wirtschafts- und Währungsunion verzögert würden. Das wäre bedauerlich, aber nicht so schlimm, als wenn die Weichen falsch gestellt würden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Außerdem ist es nicht so. Ich habe mich nicht nur durch Zeitungsnotizen, sondern amtlich sachkundig gemacht. Es kann keine Rede — ich sage das zu meiner Freude von einem leeren Stuhl Frankreichs sein, sondern Frankreich nimmt an den für den nächsten Monat vorgesehenen konjunkturpolitischen und sonstigen Beratungen teil.
    Ich kann dem Hohen Hause bei gleicher Gelegenheit auch sagen, daß die heutigen Beratungen im Ministerrat über die Erweiterung der Gemeinschaft auf einigen Gebieten gewisse sachliche Fortschritte gebracht haben. Ich stütze mich dabei auch auf das, was der englische Verhandlungsführer als seine Meinung gesagt hat, und was er dazu meint, ist mindestens so wichtig wie das, was die Sechs dazu sagen.
    Man sollte nun also nicht, gestützt auf mißverständliche Zeitungsmeldungen, auch hier noch der Bundesregierung etwas am Zeug flicken wollen. Die Dinge sind so, wie ich sie darstelle. Aber ich sage noch einmal: schlecht, am schlechtesten wäre es, wenn hier die Weichen falsch gestellt worden wären. Ich will nicht in der Geschichte der EWG herumkramen. Aber ich sage in allem Freimut, solange wir im Aufbau der Gemeinschaft nicht weiter sind, als wir sind, gilt die Berufung auf vitale Interessen nicht nur für andere, sondern auch für die Bundesrepublik Deutschland.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    An unserem ernsten Willen, die Wirtschafts- und Währungsunion zu verwirklichen, gibt es überhaupt keinen Zweifel. Wir haben alle unsere Partner in diesen Tagen dies noch einmal sehr ernst und nachdrücklich wissen lassen.
    Es ist auch nicht einzusehen, weshalb die Währungsfragen die Verhandlungen über die Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft beeinträchtigen sollten. Wir hoffen sehr, daß die gegenwärtige Verhandlungsrunde in Brüssel zu weiteren sachlichen Klärungen führen wird. Unseren Beitrag haben wir in vielfältigen vorbereitenden Gesprächen geleistet. Ich hoffe auch, daß die bevorstehende Begegnung zwischen Präsident Pompidou und Premierminister Heath dieser wichtigen Sache dienlich sein wird. Diese Regierung und, ich glaube, die überwältigende Mehrheit dieses Hauses sind der Meinung, daß Westeuropa England braucht und daß die Zeit reif ist, und zwar noch in diesem Sommer, die dazu notwendigen Entscheidungen zu fällen. Dies ist wirtschaftlich vernünftig und politisch notwendig, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Dann wird sich zeigen, daß die Europäische Gemeinschaft über manche Schwierigkeiten hinweg doch zu einem Rahmen wird, in dem Wachstum und angemessene Stabilität verwirklicht werden können.
    Aber ich bleibe dabei, daß es nationaler Verantwortung und europäischem Realismus entspricht, wenn wir alles tun, um das eigene Haus in Ordnung zu halten. Der nächste Schritt heißt also: Stabilität in der Bundesrepublik Deutschland ist notwendig auch wegen der Stabilität im westlichen Europa.

    (Sehr richtig! und Sehr gut! bei der CDU/ CSU.)

    Deshalb mußten wir die D-Mark aus dem internationalen Inflationsgeleitzug in diesem Augenblick für einige Zeit lösen, zum Nutzen der Stabilität in diesem Lande und langfristig zum Nutzen Europas.

    (Lebhafter anhaltender Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Liselotte Funcke
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Barzel. Für ihn sind 45 Minuten angesagt.

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    Rede von Dr. Rainer Barzel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und meine Herren! Erlauben Sie mir zunächst, Herr Bundeskanzler, darauf hinzuweisen, daß Sie sich offensichtlich von dem Wort „Panikmachen" nicht lösen können. Sie haben es meinem Kollegen Müller-Hermann soeben vorgeworfen. Damit haben Sie einen großen Teil dessen, was Sie sonst zur Sache gesagt haben wir haben Ihnen an einigen Stellen Beifall gegeben —, entwertet. Ich glaube, dies war, Herr Bundeskanzler, eine Entgleisung,

    (Lachen und Zurufe von der SPD)

    und wer soll nach dieser Entgleisung glauben, daß Sie wirklich mit uns den Dialog und die Zusammenarbeit suchen?

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Anhaltende Unruhe bei der SPD.)

    Der Herr Bundeskanzler hat zu Beginn gesagt: Niemand solle bestreiten, daß die Regierung gehandelt habe. Das tun wir nicht. Wir sagen nur: zu spät



    Dr. Barzel
    .l und nur zum Teil richtig. Die Debatte wird dies im einzelnen ergeben, soweit sie es nicht schon ergeben hat. Sie sollten, Herr Bundeskanzler, glaube ich, andererseits nicht bestreiten, daß es Vorschläge von uns gab und gibt, und zum zweiten, daß Konsultation und Kooperation nicht zustande gekommen sind. Das sollten Sie auch nicht durch andere hier bestreiten lassen.
    Wenn Sie, Herr Bundeskanzler, ja zur Tarifautonomie gesagt haben, so stimmen wir dem zu. Das ist eine offene Tür, die Sie bei uns einrennen; das wissen Sie. Wir, diese Opposition, stimmen ausdrücklich dem Appell zu, den Sie an die beiden Sozialpartner von dieser Stelle aus gerichtet haben,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    so daß an dem wichtigsten Punkt der binnenwirtschaftlichen Probleme die von Ihnen immer nur global angesprochenen gesellschaftlichen Gruppen wissen müssen, daß dieser Appell des Kanzlers das ganze Haus hinter sich hat.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Nur, Herr Bundeskanzler, dies Ganze wäre natürlich noch besser und noch glaubhafter, wenn Sie präzise zwei Dinge hinzugefügt hätten, wenn Sie nämlich gesagt hätten, daß eine der Hauptursachen der hausgemachten Inflation hier der Nachholbedarf an Produktivität ist, und wenn Sie zum zweiten auch in der Haushaltspolitik von Ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch gemacht und hier eine Mitteilung über den realistischen Vollzug mittelfristiger Finanzplanung gemacht hätten.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Dann, glaube ich, hätten Sie eine andere Position im Gespräch mit den Sozialpartnern.
    Der Text kam uns ein bißchen bekannt vor, als der Bundeskanzler von den Sorgen hinsichtlich der Kosteninflation, hinsichtlich der Sparer und hinsichtlich der Rentner sprach. Ich möchte ausdrücklich sagen, daß wir diese Sorgen teilen, und zwar nicht erst seit dieser Stunde.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Nur: Solange wir davon sprachen, haben wir
    Spott und Hohn geerntet und waren die „Panikmacher" — nach Ihren Worten, Herr Bundeskanzler.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

    Sie haben gesagt — wir haben das so nie behauptet —, die Bundesregierung mache die Preise nicht. Aber Sie wollen doch sicherlich nicht bestreiten, daß sie auf die ökonomischen Abläufe Einfluß hat.

    (Abg. Lücke [Bensberg] : Sehr richtig!)

    Sonst hätten Sie jetzt nicht diese Maßnahmen mit der Preisbildung von übermorgen begründet. Herr Bundeskanzler, Sie können doch nicht vergessen machen, daß in Ihrer Bundesregierung Damen und Herren sitzen, die damals, als sie noch in der Opposition waren — wir wollen den Zettelkasten gar nicht aufmachen —, für jede geringfügige Preissteigerung allein die Regierung verantwortlich gemacht haben. Schlimmer ist noch, daß Sie einen Bundeswirtschaftsminister haben, der die Theorie
    verkündet hat, er habe eine Politik und kenne Maßnahmen, um Preissteigerungen von 3 % in einem Jahr auf 2 5 im nächsten Jahr zu senken und sie dann für alle Zeiten bei 1 % zu halten. Das, meine Damen und Herren, können Sie nicht bestreiten.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

    Nun möchte ich gern zu einem Punkt kommen, der für die Europapolitik sehr wichtig ist; es war der vorletzte Ihrer Einlassung, Herr Bundeskanzler. Dieses Haus sollte über die französische und die europäische Position in Sachen Wirtschafts- und Währungsunion wirklich Klarheit erhalten. Mein Kollege Müller-Hermann hat dies zur Sprache gebracht, und er hat sich dabei völlig korrekt auf den heutigen „Nachrichtenspiegel I" der Bundesregierung gestützt. Darin war heute morgen zu lesen:
    Frankreich hat am Montag überraschend seine Mitarbeit beim Aufbau der Wirtschafts- und Währungsunion aufgekündigt, bis alle EWG-Länder wieder zu festen Wechselkursen zurückgekehrt sind.

    (Abg. Leicht: Also nicht irgendeine Zeitung!)

    Derselben Meldung ist zu entnehmen, daß der Bundesaußenminister, dessen Worte vom „glücklichen Tag", das er in Warschau gesprochen hat, wir noch in Erinnerung haben, sofort erklärt hat: „Ich messe dieser Erklärung keine besondere politische Bedeutung bei."

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren, ich hätte ihn gern danach gefragt; aber er ist nicht hier.
    Was ist nun wirklich geschehen, Herr Bundeskanzler? Sie haben soeben eine Mitteilung gemacht, die das Ganze wohl entdramatisieren sollte. Sie haben das gleiche heute morgen gesagt. Auf dem Bogen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion heißt es über ihre heutige Rede:
    Meldungen, nach denen Frankreich seine Mitarbeit in den Gremien eingestellt habe, die die Wirtschafts- und Währungsunion vorbereiten, bezeichnete der Bundeskanzler als falsch.
    Damit haben Sie, Herr Bundeskanzler, etwas dementiert, was im „Nachrichtenspiegel" gar nicht stand, und das haben Sie auch vorhin getan. Der französische Finanzminister hat nämlich — wir haben uns nach Ihrer Erklärung bei zwei Stellen vergewissert — noch einmal verbindlich erklärt, die französischen Experten würden so lange ihre Tätigkeit einstellen, wie es keine feste Parität gebe. Das ist die Erklärung Frankreichs. Ihr Dementi betrifft offensichtlich einen ganz anderen Vorgang. Inzwischen liegt eine entsprechende Meldung der Deutschen Presseagentur aus Paris vor. Ich bekam sie, kurz bevor ich hier das Wort ergriff. Sehen Sie, Herr Bundeskanzler, das ist die Realität.
    Wie haben Sie nun eigentlich die Fragen beantwortet, die Herr Müller-Hermann hier gestellt hat? Was ist wirklich in Brüssel verabredet worden?

    (Abg. Rösing: Genau das ist die Frage!)




    Dr. Barzel
    Ist in Brüssel, wie es in Ziffer i heißt, verabredet worden, daß man zu den alten Paritäten zurückkehren wird? Wie soll das nach der Freigabe der Wechselkurse erreicht werden? Wird es dann nicht eine zweite Spekulationswelle geben? Was ist wirklich verabredet worden? Diese Frage ist nicht beantwortet worden. Dieses Haus sollte darauf eigentlich eine Antwort bekommen.
    Herr Bundeskanzler, Sie haben auch noch einmal die Frage Information und Konsultation aufgegriffen und einige der Termine genannt. Nachdem Sie hier aus diesen Vorgängen berichten, werde ich sicherlich niemandem der Beteiligten zu nahe treten, wenn ich folgendes mitteile: Bei dem Gespräch von einer Stunde hei Ihnen am Freitag, von dem bekannt ist, wie die Zeitläufe gewesen sind 10 Minuten der Herr Bundeskanzler, was sehr wichtig war, denn es war seine Richtlinie; und 49 Minuten der Herr Bundeswirtschaftsminister, was sehr interessant und informativ war —, haben wir gesagt: Wann können wir eigentlich wenigstens kritische Fragen stellen oder unsere Überlegungen vortragen? Darauf haben Sie gesagt, Herr Bundeskanzler: Dann müssen wir uns wohl noch einmal treffen; ich schlage morgen vor.
    So war das, Herr Bundeskanzler. Nun kann man doch aus diesem Vorgang, da Sie das doch selbst so gesagt haben, nicht das Gegenteil darstellen. Diese Einlassung vom Freitag dementiert sowohl die Rede, die hierzu der Kollege Schiller gehalten hat, wie die Behauptungen, die andere hier aufgestellt haben.
    Wenn Sie das Gespräch in die Debatte einbeziehen, was ich bedaure, weil es darum ging es muß ja in diesem Hause, das wissen Sie alle, hin und her ein paar Sachen geben, die es nicht gibt: es muß Kontakte zwischen Kollegen geben können, über die nicht geredet wird, sonst kann es — —

    (Abg. Dr. Tamblé: Aber Sie machen es einem verdammt schwer!)

    — Ob Sie, Herr Kollege, den Vorwurf aufrechterhalten, wenn Sie das hören, was ich jetzt sage? Der Herr Bundeskanzler hat eben mitgeteilt, daß es Kontakte mit Herrn Schiller gab. Natürlich, Richard Stücklen war dabei. Wir haben gesagt: wir sind bereit, unsere Überlegungen in einem Gespräch beim Kanzler in Anwesenheit des Bundesbankpräsidenten vorzutragen; und haben gefragt, ob wir von den Informationen, die Herr Schiller uns beiden gab, Kollegen gegenüber Gebrauch machen dürften. Es wurde die Bitte geäußert, wir sollten das geheimhalten. Das haben wir auch getan. Nur: Dann komme ich nach Hause und höre die Spätausgabe der Fernsehnachrichten mit der Mitteilung, der Bundeskanzler habe angekündigt, noch in dieser Woche werde er außenwirtschaftliche Maßnahmen treffen. Das sind die Realitäten. Ich glaube, Herr Tamblé, jetzt werden Sie Ihren Zuruf nicht mehr machen.
    Wir haben alle — darauf braucht uns keiner anzusprechen — Verantwortung für die Stabilität des Geldes und die Sicherheit der Arbeitsplätze. Wenn der Bundeswirtschaftsminister von der „befreienden Tat" gesprochen hat, so ist darauf geantwortet
    worden. Ich möchte aber daran erinnern, Herr Kollege Schiller, daß es zwei gute Sprichworte gibt, die mir hierzu einfallen. Das eine heißt: „Von nichts zu viel", und das andere heißt: „Es ist nie zu spät". Deshalb möchte ich jetzt für unsere Fraktion zunächst folgendes erklären:
    Das Verhalten der Bundesregierung in den letzten eineinhalb Jahren, vor allem in den letzten Monaten und Wochen, hat sowohl für Europa wie für die Binnenwirtschaft ungünstige Fakten geschaffen. Europa ist geschwächt. Im Innern hat sich der Zielkonflikt der Wirtschaftspolitik zwischen Preisstabilisierung und Vollbeschäftigung weiter verschärft.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr wahr!)

    Auf diesem Hintergrund und unter der Voraussetzung, daß die Bundesregierung, wie in Brüssel offenbar beschlossen und vom Bundesaußenminister gestern erneut in Brüssel zugesagt, zur alten Parität zurückkehrt, fordern wir die Bundesregierung auf: erstens den Bauern in der Zwischenzeit den vollen Einkommensausgleich sicherzustellen — wir weisen darauf hin, daß hier noch alte Probleme unerledigt sind —;

    (Zuruf von der SPD: Parteienfinanzierung!)

    zweitens die inflatorischen Staatsausgaben nach einer klaren Prioritätenskala und in Abstimmung mit der Kreditpolitik der Deutschen Bundesbank zu drosseln; drittens ein seriöses Reformprogramm in Gestalt einer volkswirtschaftlich realistischen mittelfristigen Finanzplanung vorzulegen; viertens unverzüglich eine konzertierte Aktion auf der Grundlage der Entschlossenheit der Bundesregierung anzustreben, die Stabilität im Innern wiederherzustellen, und fünftens energische Anstrengungen auf dem Weg zu einer europäischen Wirtschafts- und Währungsunion, begleitet von einem Stufenplan zum Entstehen einer politischen Gemeinschaft Europas, zu unternehmen.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Wehner: Das ist aber originell! — Zuruf des Abg. Dr. Apel.)

    — Es kommt noch mehr, Herr Kollege Apel!

    (Abg. Dr. Apel: Dann bin ich beruhigt!)

    Die Erklärungen, die der Bundeswirtschaftsminister und der Bundeskanzler hier abgegeben haben, waren nicht nur unvollständig, weil die Agrarentscheidungen bisher in der Luft hängen. Je nachdem, wie diese Entscheidungen fallen werden, wird unser Blick auf Europa, auf die Bundesfinanzen oder auf beides noch trostloser sein. Herr Bundeskanzler, wir gehen davon aus, daß diese Opposition keinen Anlaß schaffen muß, um noch in dieser Woche in diesem Hause auch die agrarpolitischen Beschlüsse zu diskutieren. Wir gehen davon aus, daß Sie selbst diesen Anlaß unverzüglich schaffen werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Dieser Bericht ist aber auch unvollständig — und wir meinen, beide Erklärungen werden der Lage nicht gerecht —, weil immer noch beschönigt wird, weil es immer noch an der klaren Analyse fehlt, an



    Dr. Barzel
    dem Dartun der Konsequenz aus Analyse, Maßnahme und Ziel.
    Herr Bundeskanzler, ich weiß eigentlich nicht, aus welchen Gründen Sie schon wieder ausgerechnet den Tag dieser Debatte benutzen, um weiter Unsicherheit zu schaffen. Wenn ausgerechnet heute die Kommisson Ihrer Partei die Vorschläge zur Steuerreform vorlegt und das mit der Überschrift versehen wird: „Die Steuerreformkommission beim SPD-Parteivorstand wird voraussichtlich vorschlagen, im Zuge der Steuerreform das Gesamtsteueraufkommen zu erhöhen", dann schafft dies doch nicht Sicherheit und Klarheit, sondern produziert erneut Unsicherheit, und dies gerade am heutigen Tage!

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wenn Sie, Herr Bundeskanzler, heute vor Ihrer Fraktion erklären — ich zitiere es wieder nach dem eigenen Papier —, die Bundesregierung habe ihre Reformvorhaben nicht aufgegeben — wem wollen Sie dann eigentlich erzählen, daß alle Ihre Versprechungen wirtschaftlich vernünftig und finanziell abgesichert sind? Das glaubt doch kein Mensch!

    (Beifall bei der CDU/CSU.) Das produziert doch Unsicherheit.

    Damit, Herr Bundeskanzler, ist diese Debatte heute wieder an dem Punkt, der sich wie ein roter Faden durch die innenpolitische Kontroverse in diesem Bundestag zieht. Das Thema heißt im Grunde: Stabilität als die Voraussetzung solider Reformen. Dies und das europäische Problem sind die Fragen, um die es wirklich geht. Die Währungsfrage steht auch zur Debatte, aber sie ist doch nicht der Mittelpunkt dieses Problems; sie gehört dazu, aber sie ist keinewegs der Kern.
    Hier müssen wir daran erinnern, daß dies eben von Anfang an so ging. Ob Sie, Herr Bundeskanzler, jetzt temperamentvoll reagieren oder nicht, Sie können nicht leugnen, daß wir Ihnen vor Ihrem Aufwertungsbeschluß vom Oktober 1969 nahegelegt haben, ein binnenwirtschaftliches Programm der Preisstabilisierung, der dauerhaften Absicherung der Agrarprobleme, der dauerhaften Lösung der Währungsprobleme und der sparsamsten Haushaltsführung vorzulegen.
    Dies können Sie ebensowenig leugnen wie die Tatsache, daß Ihre Regierungserklärung vom 28. Oktober in allem genau das Gegenteil tat. Inzwischen hat Herr Kollege Wehner dies ja auch eingesehen und öffentlich als „Kinderkrankheiten" bezeichnet. Wir haben Sie in der ersten Debatte zu Ihrer Regierungserklärung, am 29. Oktober 1969, gefragt leider haben wir keine Antwort bekommen —, auf welche Zahlen, Analysen und Zielvorstellungen sich Ihre Versprechungen gründen. Wir haben Sie gefragt, ob es nicht besser wäre, die Anstrengungen zu fordern, die wir machen müßten, wenn wir ein modernes Land bleiben wollten. Wir haben uns gegen die Steuersenkungen ausgesprochen, und wir, die Opposition, haben schon damals vom steigenden Finanzbedarf gesprochen. Sie gingen über alles dies hinweg. Herr Müller-Hermann hat darauf hingewiesen, und wir könnten die Kette fortsetzen. Als
    dann eine muntere Drauflosgesetzgebung hier auszubrechen drohte, haben wir am 26. November 1969 den Beschluß erzwungen, alles — mit drei Ausnahmen —, wie Sie sich erinnern, bis zur Vorlage einer mittelfristigen Finanzplanung zurückzustellen.
    Ich habe hier für die Kollegen der Koalition, die das im einzelnen studieren wollen, 14 Anträge allein zum Haushalt mit unseren Vorschlägen aus den Jahren 1970 und 1971 mitgebracht, ,die sämtlich abgelehnt worden sind. Wer also fragt, welche Vorschläge wir bisher gemacht hätten, dem steht dies zur Verfügung. Herr Kollege Apel, vielleicht darf ich es Ihnen dalassen, weil Sie wohl bald hier sprechen werden.
    Unsere späteren Vorschläge gingen dahin, die Bundesbank nicht allein zu lassen, weil die hohen Zinsen im Inland die Kosten steigern. Sehen Sie sich die Zahlen der Preissteigerungen im Straßenbau, im Wohnungsbau und im Hochbau doch an, die Sie, Herr Bundeskanzler, nicht mit der Erklärung bagatellisieren können, die Kollege Müller-Hermann mit Recht kritisiert hat! Sehen Sie sich an, daß diese hohen Zinsen natürlich das Auslandsgeld anlocken! Alles wurde in den Wind geschlagen.
    Herr Bundeskanzler. Sie erinnern sich doch, daß es im Ersten Fernsehen eine Sendung „Ein Jahr Koalition und ein Jahr Opposition" gab. Da wurden Fragen gestellt. Ich bekam dieselben wie Sie, und eine hieß: Was würden Sie jetzt ökonomisch tun? Ich habe gesagt: zuallererst mit der Bundesbank sprechen, damit aus den Gründen der Kosteninflation und den Gründen des hereinströmenden Geldes eine abgestimmte Fiskal- und Geldpolitik möglich wird. Dies können Sie doch alles nicht leugnen. Aber wir wurden damals wie jetzt auch abgekanzelt.
    Dann haben wir vorgeschlagen, das Stabilitätsgesetz anzuwenden und die Konzertierte Aktion wirklich in Bewegung zu setzen. Alles dies wurde überhört. Es wurde überhört, als wir im Frühjahr und im Sommer sagten: es hat keinen Zweck, die Kaufkraft allein bei den Privaten abzuschöpfen; hier muß eine entsprechende Fiskalpolitik gemacht werden. Im Februar, zum Teil noch im März, vor wenigen Monaten, wurden die Anträge abgelehnt, die das zum Inhalt hatten, was die Bundesregierung jetzt zum Teil tun muß.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Der Sachverständigenrat sagte am 6. Mai, daß der Haushalt 1971 so sind seine Worte keineswegs konjunkturneutral sei. Sie haben die Aufteilung in Kernhaushalt und Eventualhaushalt abgelehnt. Das alles, meine Damen und Herren, können Sie doch nicht vergessen machen.
    Als wir dann Ende April die alarmierenden Ergebnisse dieser Politik auf den Tisch legten und uns nicht an Wünschen, sondern an Tatsachen orientierten und als wir Sie zum Handeln nach dem Stabilitätsgesetz aufforderten und als wir unsere Bereitschaft erklärten, dann auch mitzuwirken, weil es die Stunde der Not erfordere, und uns dem nicht zu verschließen, da war die Antwort: „Panikmache". Das Bundespresseamt gab noch am 20. April eine



    Dr. Barzel
    Verniedlichung der Wahrheit heraus mit einer Broschüre zur Beschönigung, in der es hieß, wir befänden uns international in einer „beneidenswerten Position". Sie, Herr Bundeskanzler, haben noch am 9. März Ähnliches gesagt, als Sie im Fernsehen erklärten, die Preissteigerungen seien anderswo höher. Auch das stimmt ja so gar nicht. Wir bestreiten nicht, daß wir im Jahre 1970 bei den Lebenshaltungskosten geringfügig besser lagen als andere Länder. Inzwischen ist das anders. Und Sie können nicht bestreiten, daß die Preissteigerungen 1970, am gesamten Bruttosozialprodukt gemessen, 7,4 % betrugen und damit in der Spitzengruppe liegen. Das können Sie doch nicht bestreiten, meine Damen und Herren!

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich nehme an, inzwischen bestreiten Sie es auch nicht. Sonst hätten Sie ja hier nicht inzwischen Reden gehalten, wie wir sie seit Wochen halten und wie sie früher hier durch Sie verketzert wurden.
    Ich möchte noch ein anderes in die Debatte einführen und gerne mit Genehmigung des Präsidenten ein Zitat des Bundeswirtschaftsministers bringen, weil er, so glaube ich aus unserem Überblick, eigentlich der erste war — Herr Kollege Wehner damals übrigens auch —, der von seiten der Koalition den Ernst der Lage auch öffentlich einzugestehen begann. Der Bundeswirtschaftsminister erklärte am 27. April das sollte in diesem Protokoll stehen — :
    Stabilität in der FWG und in der Bunderepublik können wir nur erreichen, indem wir sowohl die hausgemachten Preis- und Kostensteigerungen bekämpfen und indem wir die neu in Erscheinung tretenden Störungen, die von außen kommen, die Liquiditätszuflüsse, die unsere Geldmenge erweitern, indem wir dagegen etwas tun auf diese oder jene Weise.
    Zusatzfrage des Fernsehens: Was können wir gegen die hausgemachten Preisauftriebe tun? Antwort des Wirtschaftsministers Schiller:
    Nun, da gilt unser Katalog: eine sparsame Ausgabenpolitik der öffentlichen Hände, mehr Steuern, die einlaufen werden, durch die Preissteigerungen nämlich, sollen der Schuldentilgung dienen und nicht für neue, weitere Ausgaben verwendet werden und vor allen Dingen eine sehr harte, drastische Konsolidierung der mittelfristigen Finanzplanung für Bund, Länder und Gemeinden von 1972 bis 1975.

    (Abg. Leicht: Bravo! Bravo!)

    Wir haben, Herr Bundeskanzler, am 30. April in einer öffentlichen Erklärung diese Analyse und diese Maßnahmen als auf der richtigen Linie liegend bezeichnet. Wir haben — Sie können dies unschwer in den Zeitungen vom 3., 4. und 5. Mai nachlesen ähnliche Forderungen erhoben. Ich habe hier die dpa-Meldungen z. B. über Bad Pyrmont, die ich Ihnen nicht vorlesen will. Nur, meine Damen und Herren, bei dem, was Kollege Schiller hier gefordert hat, fehlt der Punkt, den er als „dastisch" bezeichnet, vollständig, — nämlich die realistische mittelfristige Finanzplanung.

    (Abg. Dr. Apel: Wie oft muß man Ihnen das noch sagen, daß dies im Herbst geschieht?)

    Solange Sie dies, meine Damen und Herren, nicht ganz auf den Tisch legen, solange Sie in Sachen Versprechenskatalog der Bundesregierung nicht handeln, wird Ihnen niemand abnehmen, daß dieses Programm rund, daß es ganz ist und daß es am Schluß so gemeint ist, wie es hier dargestellt worden ist.
    Meine Damen und Herren, ich glaube, man kann die ganze Entwicklung nicht besser darstellen -und dies gehört in diese Debatte —, als sie in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 10. Mai 1971 dargestellt worden ist, einer Zeitung, die bekanntlich bei der letzten Wechselkursdiskussion wie in Sachen Marktwirtschaft eine ganz klare Position hatte. Sie schreibt:
    Dieser ... Akt
    — gemeint ist die außenwirtschaftliche Maßnahme —
    kann als Notwehr unausweichlich werden ... Wenn er aber an jeder zweiten konjunkturellen Wegbiegung angewendet werden soll, weil man einer hausgemachten Inflation nicht mehr Herr wird, wenn man ein halbes Jahr lang die Konjunkturzügel schleifen läßt, wie der Bundeskanzler bis zum Juli 1970, wenn in dieser Zeit die ganze Bremslast ausschließlich bei der Bundesbank liegt und diese mit höchsten Diskontsätzen Auslandsgeld geradezu ins Land locken muß,

    (Abg. Haase [Kassel] : Das ist es!)

    wenn schließlich halben Herzens mit steuerlichen Mitteln gebremst und fiskalisch anschließend sogleich wieder Gas gegeben wird: wenn dies geschieht, wird man von den Nachbarn kein Verständnis für den integrationsfeindlichen Alleingang finden.
    Das, meine Damen und Herren, ist eine Meinung, die jedermann ernst nehmen sollte.
    Wenn Sie, Herr Bundeskanzler, hier auftreten und wirklich ein Programm vorschlagen, dann müssen Sie doch den Mut zu einer Diagnose der Wahrheit haben, dann können Sie nicht daran vorbeigehen, daß die Inflationsrate dabei ist, stärker zu steigen als der Spareckzins und der Zuwachs der Renten,

    (Abg. Haase [Kassel] : Sehr richtig!)

    dann können Sie hier nicht verschweigen, daß Ihre Regierung unter Reform-Versprechen angetreten ist und nun mit mehr Geld weniger Straßen und Schulen bauen kann, dann können Sie nicht verschweigen, daß Investitionen zurückgestellt werden und daß auf diese Weise sicherlich weder die Vollbeschäftigung noch die Modernität morgen zu sichern ist.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

    Herr Bundeskanzler, ich glaube, wir alle sollten es ganz ernst nehmen, wenn in der Hauptversammlung



    Dr. Barzel
    der Thyssenhütte am 27. April 1971, also vor kurzem, Herr Dr. Sohl erklärte -- ich zitiere einen Satz —:
    Industrieausrüstungen haben sich außerordentlich stark verteuert. So war die 1 Milliarde DM, die wir in der Thyssen-Gruppe 1969/70 für unsere Investitionen ausgegeben haben, in tatsächlichen Zugängen von Maschinen, Ausrüstungen und Gebäuden gemessen, also real in Preisen des Vorjahres gerechnet, lediglich 800 Millionen DM wert. Das entspricht einer Preissteigerung von 25 % im Verlauf von nur einem Jahr.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

    Das ist das Zitat; daran können Sie doch nicht vorbeigehen, Herr Bundeskanzler.

    (Abg. Rösing: Hört! Hört! — Abg. Dr. Tamblé: Glauben Sie alles, was da gesagt wird?)

    — Dies glaube ich Wort für Wort; denn dies ist ein Mann, dessen Rang in der internationalen Industrie und dessen Sachverstand und Unabhängigkeit niemand bestreitet, mit Ausnahme dieses Zwischenrufers.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Herr Bundeskanzler, Sie müssen eine Antwort darauf geben, daß die Städte, die Gemeinden und die Kreise — ich bin jetzt sehr vorsichtig — am Rande ihrer finanziellen Möglichkeiten angekommen sind. Die 2,5 Milliarden DM, die seit der Finanzverfassungsreform der Großen Koalition den Kommunen zusätzlich zugewendet worden sind, sind allein von der Steigerung der Kosten im Hochbau verzehrt worden. Das ist die Lage, und das alles gehört hier auf den Tisch, wenn Sie wirklich Remedur schaffen wollen, Herr Bundeskanzler.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir hätten Ihnen gerne gesagt, wenn Sie uns Gelegenheit dazu gegeben hätten, wo wir die Ursachen sehen. Die Analyse muß zuerst einmal stimmen, sonst stimmt nachher die Therapie nicht. Dann hätten wir Ihnen gesagt, daß wir drei Krankheitsursachen sehen:
    Die erste ist die Spanne zwischen Lohnsteigerung und Produktivitätssteigerung. Wenn wir 1970 in der Produktivität bei etwas über 3 % und in der Lohnsteigerung bei 14 % sind, dann ist das eine Zahl, die jedermann ernst nehmen muß und die nicht dafür spricht, daß es Ihrer Regierung gelungen ist, die Politik der Konzertierten Aktion erfolgreich durchzuführen. Ich sage dies und erinnere noch einmal an die Zustimmung, die wir zu der Passage Ihrer Rede, die Sie eben nannten, gegeben haben, mit dein zweiten Hinweis.
    Der zweite Punkt, Herr Bundeskanzler — und daran kommen Sie doch nicht vorbei —: Ihr Wirtschaftsminister hat an dieser Stelle im April des Jahres 1965 eine Theorie gebracht, die wir sehr interessant und richtig finden, die Theorie über die „inflationäre Lücke".

    (Abg. Leicht: Sehr gut!)

    Er hat gesagt, die inflationäre Lücke, d. h. die Steigerung der Kosten und der Preise, käme dann zustande, wenn die Bundesausgaben mehr stiegen als der reale Zuwachs des Bruttosozialprodukts. Wie waren die Zahlen 1970? Realer Zuwachs 4,9 %, Ausgabensteigerung des Bundes 12 0/o. Da haben Sie, Herr Kollege Schiller, Ihre „inflationäre Lücke", und Sie sollten dem Bundeskanzler diese Theorie nahebringen, damit er nicht länger hier mit dem nominalen Zuwachs des Bruttosozialprodukts arbeitet und die — durch die auf 1969 vorfinanzierten Dinge — manipulierten Zahlen der Ausgabensteigerung des Bundes hier in einzelnen vorträgt.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    So vermissen wir eben in beiden Erklärungen der Regierung irgendeinen Hinweis darauf, daß Sie wenigstens den Versuch machen wollen, 1971 und in den folgenden Jahren diese „inflationäre Lücke" zu vermeiden und die Spanne zusammenzudrücken, um sich in der Nähe des realen Zuwachses des Bruttosozialprodukts zu orientieren. Davon haben wir weder in Worten noch in Taten etwas gehört.
    Der dritte Punkt — so hätten wir Ihnen gesagt, Herr Bundeskanzler — betrifft Auslandsgeld und Spekulation. Ich muß dies sagen, weil Sie mich hier eben angegriffen haben, ähnlich wie Herr Kollege Junghans. Herr Bundeskanzler, wir haben immer gesagt und werden dies nie leugnen, daß hier ein Problem ist. Wir haben immer gesagt, wir schließen außenwirtschaftliche Maßnahmen als Notwendigkeit eines Anti-Inflations-Programms nicht aus. Aber auch hierzu geben Sie, Herr Bundeskanzler, ein schiefes Bild. Wenn Sie in Ihrer Ansprache im deutschen Fernsehen sagen, Sie seien nicht für den Dollarzustrom verantwortlich, dann ist dies wieder nur zum Teil richtig. Niemand in diesem Hause wird Sie für den Dollar und für die ökonomische Politik der USA verantwortlich machen. Aber manch einer hätte mindestens die Frage gestellt — und so hätten wir Sie gern gefragt —, ob dies nicht ein Anlaß wäre, auf höchster politischer Ebene mit den USA ein Gespräch über die Zinshöhe in den USA zu führen, und ob dies nicht ein politischer Anlaß sein könnte, die schwebenden Verhandlungen über den Ausgleich der Kosten und Belastungen durch die Truppen der USA in diesem Augenblick ein bißchen zu beschleunigen. Diese Frage hätten wir Ihnen gern gestellt und die Antwort gegeben. Die Bundesregierung kann nicht leugnen, Herr Bundeskanzler — und Herr Müller-Hermann hat dies dargetan —, daß Sie von einem Markt zum Handeln gezwungen wurden, den Sie selbst in Bewegung gesetzt haben. Wenn Sie hierfür ein Zeugnis brauchen, nehmen Sie die „Neue Zürcher Zeitung", die Ihnen erklärt — —

    (Abg. Dr. Apel: Wieder eine Zeitung!)

    — Das ist sehr wichtig, die Solidarität der Schweiz ist ein wichtiger Punkt, Herr Apel.
    „Die mittelbare Ursache" — so heißt es dort —„für den Ausbruch der Krise ist indessen in den unbekümmerten, oft geradezu unverantwortlichen Äußerungen maßgebender deutscher Stellen über die Währungsfrage zu suchen." Soweit dieses Zitat.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)




    Dr. Barzel
    Herr Bundeskanzler, über die Hochzinspolitik und deren Folgen haben wir gesprochen. Ich muß nun aber zu einem Vorgang kommen, den Sie bedauerlicherweise versuchten auf die Schultern Ihrer Fraktionskollegen abzuladen, indem Sie aus der Pressemitteilung Ihrer Regierung einen Satz vorlasen, den ich nicht bestreite. Diese Erklärung wurde an dem Montag abgegeben, an dem auch das Gutachten veröffentlicht wurde, in dem nicht nur die Freigabe der Wechselkurse, sondern auch das Hinweggehen über eine vertragliche europäische Verpflichtung empfohlen wurde.

    (Abg. Lücke: Das war ja der ganze Skandal!)

    Der erste Satz dieser Pressemitteilung lautet: „Der Bundesminister für Wirtschaft betrachtet die heute der Öffentlichkeit vorgelegte Gemeinschaftsdiagnose der Wirtschaftsforschungsinstitute als nützlichen Beitrag zur weiteren Meinungsbildung über die konjunkurelle Lage."

    (Zuruf von der SPD: Na und!)

    Herr Bundeskanzler, dieser Satz bestätigt auf den Millimeter ,das, was Herr Müller-Hermann hier vorgetragen hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Nachdem das dann so heiß war — immer bei offenen Devisenbörsen und in einer Situation, die Sie alle kannten —, gingen Sie am Dienstag darauf in Ihre Fraktion, die Sie eben beschworen haben, daß Sie dazu sich nicht geäußert hätten, und erklärten nach dem Papier Ihrer Fraktion — ich zitiere —: „Die Bundesregierung bemüht sich um eine gemeinsame europäische Haltung. Wenn das nicht zu erzielen ist, dann dienen wir nicht nur uns selbst, sondern auch der Europäischen Gemeinschaft und ihrer Entwicklung am besten dadurch, daß wir unser eigenes Haus in Ordnung halten." Dies erklärte der Bundeskanzler wörtlich.

    (Beifall bei der SPD.)

    — Ich freue mich, daß Sie an dieser Stelle klatschen; nur können Sie dann wirklich nicht sagen, ,daß die ganze Presse von Mittwoch früh falsch war.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Die Presse hat völlig korrekt den Sinn und den Gehalt dessen wiedergegeben, was Kanzler und Wirtschaftsminister vor ihrer Fraktion erklärt haben. Dies war dann wohl auch gewollt, wie ich aus diesem Beifall jetzt schließen muß, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Herr Bundeskanzler und Herr Wirtschaftsminister, Sie sind schließlich dem Hause schuldig — vielleicht beteiligt sich auch der Kollege Möller an der Debatte; Herr Junghans hat vorhin vergessen, ihn zu loben —

    (Zuruf des Abg. Wehner.)

    — Nein, Herr Kollege Wehner, es ist wirklich ein besonders wichtiger Punkt; nehmen Sie dieses ganz ernst. In der Ziffer 1 von Brüssel heißt es — ich möchte Ihnen dies noch einmal sagen —, daß eine Änderung ,der Paritäten nicht gerechtfertigt sei und
    man die Entschlossenheit der Mitgliedstaaten registriere, die Paritäten beizubehalten. Dem hat die Regierung zugestimmt.
    Die Ziffer 2 beinhaltet, daß man für einige Zeit etwas machen könne. Nun erklären alle anderen, es sei nur in der begrenzten Zeit möglich, sich so zu verhalten, daß man am Schluß zu der Parität zurückkehre.
    Herr Bundeskanzler, entweder ist dieses Kommuniqué ein Dissens — dann sagen Sie das —, oder es ist kein Dissens — dann sagen Sie, wie man da herauskommen will. Wenn Sie von § 23 so denken, wie Sie es eben getan haben, möchte ich Sie sehr herzlich bitten, ein bißchen vorsichtiger zu sein; denn ,die Bundesbank hat heute schon neue Erklärungen abgegeben, in denen sie doch weiter auf die Schwierigkeiten hinweist, überhaupt das Ziel zu erreichen, zum alten Kurswert zurückzukehren und neue Maßnahmen, die Sie als dirigistisch bezeichnen, anzuwenden.
    Herr Bundeskanzler, wenn wir beginnen, über Dirigismus zu philosophieren, werden Sie nicht leugnen können, ,daß ein ,ganzes Stück mit ,einkalkuliert war — ich sage: mit einkalkuliert war! —: dieser Ablauf von Sonntag, Montag, Dienstag, Mittwoch, was ist das eigentlich anderes als gemacht, herbeigeführt, herbeidirigiert?

    (Zuruf von der CDU/CSU: Und verschuldet!) Diese Frage muß doch hier gestellt werden.


    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir möchten darauf hinweisen, daß dieses Gesamtpaket — das auch wir, Herr Bundeskanzler, wie ich ja sagte, zum Teil für richtig halten in diesem Augenblick eigentlich von keinem mit letzter Sicherheit endgültig verantwortet werden kann, mit Ausnahme der Herren, die mehr wissen als wir. Ich will sagen, worum es hier geht. Solange dieses Haus nicht weiß, was in der Agrarpolitik geschieht, kann hier sowieso niemand endgültig votieren. Deshalb hatten wir Ihnen vorgeschlagen, die Debatte erst zu führen, nachdem die Entscheidung gefallen ist.
    Zweitens, Herr Bundeskanzler, kennen wir nicht den Grad Ihrer Entschlossenheit und den Grad der Bereitschaft der Tarifpartner, in der von Ihnen angeschnittenen Frage tätig zu werden. Das muß man als einen fundamentalen Bestandteil dieses Gesamtpakets wissen.
    Und drittens, meine Damen und Herren, kann niemand leugnen, daß ein Zusammenhang zum mindesten zwischen dem Volumen des binnenwirtschaftlichen Programms und dem der außenwirtschaftlichen Maßnahmen besteht. Solange wir, Herr Kollege Schiller, nicht wissen, ob Sie, wie Sie in Brüssel unterschrieben haben, wirklich zum alten Kurs zurückkehren wollen, oder ob Sie meinen, das gehe wegen der Aufwertung in der Schweiz und in Osterreich oder wegen des Marktes hier nicht mehr, müßten wir wissen — und wenn wir es nur intern wissen müssen —, bei welchem Datum Sie die D-Mark am Schluß in der Parität festzuhalten gedenken. Sonst kann man zu dem Volumen im anderen Be-
    Deutscher Bundestag —6. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1971 7011
    Dr. Barzel
    reich, Herr Kollege Apel, verantwortlich ganz sicher nicht votieren.
    Am Schluß möchte ich noch eine politische Berner-kung machen. Wir möchten zum Schluß zwei Dinge sagen. Einmal wollen wir noch einmal vor der Meinung warnen, man könne einseitig mit dem Wechselkurs Stabilitätspolitik betreiben. Ich hoffe, Herr Bundeskanzler, daß Sie bei dem Halbsatz, in dem Sie die Sorge aussprachen, es könne auch umkippen, daran gedacht haben. Denn diese Sorge haben wir wegen der Arbeitsplätze. Was nötig ist, das ist ein Zurückschrauben der Ansprüche aller öffentlichen Hände und der Sozialpartner an das Sozialprodukt. Das ist es, worum es geht, und das steht im Mittelpunkt.
    Das andere, Herr Bundeskanzler, betrifft Europa. Wir sehen, daß die europäische Solidarität die politische Frage ist, und wir haben erkannt, daß man, ob man nun die Frage europapolitisch, agrarpolitisch, währungspolitisch ansieht, an einem nicht vorbeikommt — damit sage ich uns allen nichts Neues; hoffentlich ist dann die Konsequenz auch einvernehmlich , nämlich daran, daß Europa, die Europäische .Gemeinschaft, sich in einem kritischen Stadium befindet. Es hat keinen Zweck, zu leugnen, daß Agrarmarkt und Grüner Dollar einmal eine erstklassige Integrationskraft hatten und alle sich vorstellten, es ginge schneller. Man muß aber jetzt sehen, daß hier sehr ernsthafte Probleme entstanden sind. Wir werden sie erörtern.

    (Abg. Wehner: Doch nicht durch uns, Herr Barzel!)

    — Herr Kollege Wehner, ich habe gesagt, ich hoffe, daß wir uns hier auch in der Konsequenz finden. — Ferner darf niemand übersehen — und da sind wir sicher auch einig —, daß, wie die Lage jetzt zeigt, die Europäische Gemeinschaft noch nicht alle Kompetenzen hat, die sie brauchte, um eine solche Sache zu regeln, und die Nationen nicht mehr alle Kompetenzen haben, die sie brauchten, um eine solche Sache zu regeln. In diesem Zwischenstadium sollte es, so hoffe ich, der Wille von allen hier sein, diese Situation nach vorn und auf Europa hin zu überwinden.
    Auch das notwendige Gespräch mit den USA setzt doch voraus — ob es die Währung oder die Hähnchen oder die Citrusfrüchte betrifft —, daß dieses Europa endlich mit einer Stimme zu sprechen imstande ist. Sonst wird das alles nicht gut gehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Deshalb möchten wir, Herr Bundeskanzler, hier sagen, daß dies alles nur gelingen wird, wenn ein Stufenplan und ein Datum für den Beginn einer politischen Gemeinschaft verbindlich verabredet werden. Wir haben Sie immer wieder ermuntert, als wir hier über den Werner-Bericht, über die Wirtschafts- und Währungsunion und den Stufenplan diskutierten, daß dies alles zu nichts führen würde, wenn es nicht von einem Stufenplan zur Erreichung der politischen Union begleitet sei.
    Herr Bundeskanzler, wir bitten Sie, überprüfen Sie Ihre Konzeption, in der Sie doch sagen: für die
    Wirtschaft die Gemeinschaft und für die Politik die Zusammenarbeit. Diese letzte Sache zeigt Ihnen, daß das nicht geht, daß wir in Europa nur nach vorne kommen, wenn die Politik mitkommt; sonst wird es eben Frustration geben.
    Alle diese Vorgänge dieser Tage zeigen, daß es um zwei Dinge geht. Es geht erstens um Stabilität; ohne sie sind Reformen nicht zu haben. Und es geht zweitens um Europa, und das ist ohne politische Gemeinsamkeit nicht zu haben. Deshalb meinen wir, Herr Bundeskanzler, wenn Sie sich um diese beiden Dinge und auch um Entspannung vorwiegend kümmerten, dann trieben Sie nach innen und außen soziale und reale Friedenspolitik.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/ CDU.)