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ID0612102000

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Metadaten
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    Vokabeln: 6
    1. Das: 1
    2. Wort: 1
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    6. Bundeskanzler.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 121. Sitzung Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1971 Inhalt: Glückwunsch zum Geburstag des Abg. Dr. Freiwald 6979 A Überweisung von Vorlagen an Ausschüsse 6979 A Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . 6979 B Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Dr. Schiller, Bundesminister 6979 D, 7013 C Dr. Müller-Hermann (CDU/CSU) . . 6984 C Junghans (SPD) . . . . . . . . 6991 C Mertes (FDP) . . . . . . . . 6995 D Brandt, Bundeskanzler 6999 D Dr. Barzel (CDU/CSU) 7004 D Dr. Erhard (CDU/CSU) . . . . . 7011 C Kienbaum (FDP) . . . . . . . . 7014 D Dr. Apel (SPD) 7016 C Strauß (CDU/CSU) 7018 A Dr. Arndt (Berlin) (SPD) 7027 B Dr. von Bismarck (CDU/CSU) . . 7031 D Dorn (FDP) 7033 D Leicht (CDU/CSU) 7037 C Dr. Schäfer (Tübingen) (SPD) . . 7039 A Kirst (FDP) . 7039 B Nächste Sitzung 7040 D Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 7041 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1971 6979 121. Sitzung Bonn, den 11. Mai 1971 Stenographischer Bericht Beginn: 14.00 Uhr
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    Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Ahrens ** 15. 5. Dr. Aigner * 11. 5. Alber ** 15. 5. Amrehn ** 15. 5. Bals ** 15. 5. Bauer (Würzburg) ** 15. 5. Behrendt * 11. 5. Dr. Birrenbach 14. 5. Blumenfeld ** 15. 5. Frau von Bothmer 14. 5. Dasch 15. 5. Frau Dr. Diemer-Nicolaus ** 15. 5. Dr. Dittrich * 14. 5. Draeger ** 15. 5. Dr. Enders ** 15. 5. Fellermaier 21. 5. Fritsch ** 15. 5. Dr. Früh 11.5. Dr. Fuchs 14. 5. Dr. Furler ** 15. 5. Geldner 31. 5. Freiherr von und zu Guttenberg 15. 5. Dr. Hallstein 13. 5. Frau Herklotz ** 15. 5. Dr. Hermesdorf (Schleiden) ** 15. 5. Hösl ** 15. 5. Horstmeier 11.5. Jung 11.5. Dr. Jungmann 14. 5. Kahn-Ackermann ** 15. 5. Dr. Kempfler ** 15. 5. Dr. Kiesinger 11.5. Frau Klee** 15. 5. Dr. Klepsch ** 15. 5. Dr. Kley 15. 5. Dr. Kliesing (Honnef) ** 15. 5. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Koch * 14. 5. Lemmrich ** 15. 5. Lenze (Attendorn) ** 15. 5. Liehr 11.5. Dr. Löhr * 15. 5. Maucher 26. 6. Meister * 12. 5. Memmel * 14. 5. Müller (Aachen-Land) * 14. 5. Dr. Müller (München) ** 15. 5. Pöhler ** 15. 5. Porzner 11.5. Dr. Reinhard 14. 5. Frau Renger 15. 5. Richter ** 15. 5. Riedel (Frankfurt) * 14. 5. Dr. Rinderspacher ** 15. 5. Rollmann 18. 5. Roser ** 15. 5. Dr. Schmid (Frankfurt) ** 15. 5. Dr. Schmidt (Gellersen) 14. 5. Schmidt (Würgendorf) ** 15. 5. Dr. Schmücker ** 15. 5. Dr. Schulz (Berlin) ** 15. 5. Schwabe * 11.5. Dr. Siemer 14. 5. Simon 14. 5. Stein (Honrath) 15. 5. Frau Dr. Walz ** 15. 5. Dr. von Weizsäcker 14. 5. Wende 15. 5. Wienand ** 15. 5. Dr. Zimmermann 11. 5. * Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments ** Für die Teilnahme an Sitzungen der Beratenden Versammlung des Europarates
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    Rede von Dr. Werner Mertes


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Ich möchte zunächst in meinen Ausführungen fortfahren.

    (Abg. Rösing: Er hat einen sehr schweren Stand! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU.)

    — Ich weiß gar nicht, was Sie wollen. Es ist noch
    gar nicht so lange her, daß Herr Müller-Hermann die Beantwortung aller Zwischenfragen abgelehnt hat. Wir sind noch nicht am Ende der Debatte. Sie können hier am Rednerpult ja Farbe bekennen. Niemand würde sich darüber mehr freuen als ich, wenn Sie dabei zu konstruktiven Vorschlägen kämen. Aber ich glaube, dazu sind Sie auch heute nicht in der Lage. Sie wollen mit einem Aufwand von Worten, denen oft der entsprechende Inhalt fehlt, über diese für Sie peinliche Tatsache hinwegtäuschen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die Regierungskoalition beweist im Gegensatz zu Ihrem Verhalten und zu Ihrer Politik, meine Damen und Herren von der Opposition, auch in dieser Stunde wieder ihren Sinn für die Realität, wenn sie zuerst die Ausgaben beim Bund selbst und dann — ich möchte sagen — als selbstverständliche Konsequenz die Ausgaben im gesamten Staat, d. h. auch bei den Ländern und Gemeinden, einzuschränken versucht.
    Wir sind uns dabei der Härte dieser Maßnahmen völlig bewußt, und wir wissen, daß dadurch insbesondere auch diejenigen Wirtschaftszweige getroffen werden, die vom Staat und dessen Funktion als Nachfragemonopolist abhängig sind. Wir müssen dennoch diesen Weg gehen, um wieder zu stabilen Preisen zurückzufinden, und wir werden die Preisstabilität wiederherstellen.

    (Zurufe der CDU/CSU: Wann?)

    Das Bündel von Maßnahmen, das die Bundesregierung zu diesem Zweck anbietet, beweist, wie ernst



    Mertes
    es ihr bei ihrem konjunkturpolitischen Bemühen ist.
    Zur Zeit liegen bei der Deutschen Bundesbank Mittel in Höhe von 3 Milliarden DM aus der Konjunkturausgleichsrücklage, 4,1 Milliarden DM aus dem Konjunkturzuschlag zur Einkommensteuer sowie die hohen laufenden Guthaben von Bund und Ländern in Höhe von etwa 3,4 Milliarden DM.

    (Zuruf des Abg. Leicht.)

    — Herr Kollege Leicht, diese insgesamt 10,5 Milliarden DM, zu denen jetzt noch auf Grund der neuesten Beschlüsse der Bundesregierung eine weitere Geldabschöpfung tritt, werden gewährleisten, daß jeder außen- oder binnenwirtschaftlich bedingte Konjunkturrückgang im Griff gehalten werden kann.
    Wenn man dazu noch die Erweiterung des Handlungsspielraums der Bundesbank als Folge der Freigabe der Wechselkurse hinzuzieht, können wir, so meine ich, zu Recht sagen, daß die Regierungskoalition über ein Instrumentarium verfügt, wie wir es noch in keiner konjunkturellen Situation gehabt haben. Damit ist die Sicherheit gegeben, daß sowohl das Ziel der Preisstabilität erreicht als auch ein übermäßiges Abgleiten der Konjunktur in eine Rezession verhindert werden kann.
    Es gibt, auch wenn man das hier und da jetzt aus den verschiedensten Quellen hört, keine Gefährdung der Arbeitsplätze, es sei denn — diese Einschränkung ist notwendig —, daß bei den Beteiligten das Augenmaß für das verlorengeht, was in der Kalkulation kostenbezogen ist.
    Die im Augenblick wichtigste Aufgabe wird es sein, die kurzfristig in der Bundesrepublik angelegten Mittel aus den Eurodollargeschäften wieder zum Abfluß ins Ausland zu veranlassen. Was die ausländische Spekulation betrifft, so bin ich der Meinung, daß sie sich diesmal ganz einfach verrechnet hat. Spekulation ist ein legitimes Mittel, um Geld zu verdienen. Sie kann ein ausgleichender Faktor sein; sie kann aber auch, wie wir es nun schon mehrfach erlebt haben, für ein Währungssystem voller Gefahren sein. Dann liegt es im legitimen Interesse des Staates, sich dagegen durch entsprechende Maßnahmen zu schützen. Dies ist durch die vorübergehende Aufhebung der Ankaufspflicht und die darauffolgende Freigabe der Wechselkurse geschehen.
    Daß sich die Spekulation diesmal insgesamt verrechnet hat, liegt einfach daran, daß im Gegensatz zu 1968 und 1969 Bundesbank und Bundesregierung nicht vor der Notwendigkeit stehen, eine Aufwertung vornehmen zu müssen. Das ist von der Spekulation anscheinend übersehen worden. Ich halte es deshalb für außerordentlich wahrscheinlich, daß das in die Bundesrepublik eingeströmte heiße Geld schon in relativ kurzer Zeit wieder abfließt.
    Ich fasse zusammen: Die Regierung und die Regierungskoalition haben in dieser Stunde erneut ihre Entschlossenheit bewiesen, unter zeitweiliger Zurückstellung wichtiger Vorhaben — das muß man hinzufügen, damit keine falschen Eindrücke entstehen — der Preisstabilität den obersten Rang einzuräumen. Die Opposition ist demgegenüber weiterhin zerstritten und kann sich auf kein klares Konzept einigen.

    (Abg. Dr. Müller-Hermann: Wie kommen Sie darauf?)

    Sie lamentieren jetzt nach altbewährter Art über angebliche Gefahren, die die Maßnahmen der Bundesregierung und der Bundesbank für den Konjunkturverlauf haben könnten, nachdem Sie noch vor wenigen Tagen die Regierungskoalition zum Handeln aufgefordert haben. Die Alternativen von der Opposition sind aber nach wie vor nicht sichtbar. Ich frage mich deshalb was wäre wohl geschehen, wenn die jetzige Opposition in diesem Zeitpunkt in der Regierungsverantwortung gestanden hätte?

    (Abg. Dr. Müller-Hermann: Dann wäre es zu dieser Situation nicht gekommen!)

    Ich meine, es ist an der Zeit, daß auch die Bürger im Lande und die deutsche Wirtschaft sich diese Frage stellen

    (Abg. Dr. Müller-Hermann: Sie stellen sie sich laufend!)

    und sich auch eine Antwort darauf geben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)



Rede von Liselotte Funcke
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.

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    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Niemand hat behauptet — und es kann wohl auch nicht gut behauptet werden —, daß die Regierung nicht gehandelt habe. Die Opposition versucht nachzuweisen, daß die Regierung nicht rechtzeitig gehandelt habe, und vielleicht werden wir dazu auch noch Gewichtigeres hören, als im ersten Beitrag der Opposition heute dazu zu hören war. Jedenfalls hat die Regierung nicht interessengebunden gehandelt, sie hat auch nicht isoliert gehandelt. Sie hat, so gut sie es versteht — —

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Ja, aber was spricht für eine Überheblichkeit daraus, wenn man aufmuckt gegen die Demut eines Menschen mit politischer Verantwortung,

    (Oh-Rufe von der CDU/CSU)

    der sagt: jeder kann dem, was richtig ist, nur so nahe wie möglich kommen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU: „Demut"!)

    Mit dieser bewußten Einschränkung sage ich: die Regierung hat das Wohl des Ganzen im Auge gehabt, wie es ihre Pflicht ist. Ich habe am Sonntagabend gesagt und sage es auch hier: zwar sollten alle wissen, daß es für uns keine Insel der Stabilität gibt, aber bei allen Abhängigkeiten, in die wir eingebunden sind, darf es keinen Zweifel geben, daß wir im Rahmen unserer Möglichkeiten und unserer Verantwortlichkeiten alles tun wollen und müssen, um das jeweils erreichbare Maß an Stabilität zu erreichen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)




    Bundeskanzler Brandt
    Wir brauchen mehr Stabilität. Die außenwirtschaftliche Absicherung reicht nicht aus, sie muß durch interne Anstrengungen ergänzt werden. Ich spreche bewußt zunächst nicht von der außenwirtschaftlichen Absicherung, sondern von diesem Aspekt unserer Politik.
    Verehrte Kollegen, wer den dringenden Bedarf an öffentlichen Investitionen und Dienstleistungen und unsere Einstellung zur Frage der Infrastruktur, der Sozialleistungen und der Gemeinschaftsaufgaben kennt, der wird ermessen können, daß es uns nicht
    leicht gefallen ist, ein — relativieren Sie es in der
    Debatte; das kann Ihnen niemand verwehren —,
    Mehr-Milliarden-Paket zu schnüren. Das ist, gemessen an subjektiven Erwartungen und an objektiven Notwendigkeiten in diesem Volk, ein Opfer. Dieses Opfer ist notwendig, weil es auch dazu gehört, wenn man mehr Preisstabilität erreichen will, und ich kann es nicht hinnehmen, daß dieser Beitrag, dieses Opfer, wie ich es noch einmal nenne, bagatellisiert wird. Wer das tut, der schwächt von vornherein ein aus mehreren miteinander verzahnten Elementen bestehendes Programm, das im Interesse der Gesamtheit erforderlich ist.
    Alle Anstrengungen des Staates wären jedoch vergeblich, wenn sie nicht von den Frauen und Männern im Lande verstanden und wenn sie nicht in entscheidendem Maße von den großen sozialen Gruppen unterstützt würden. So kann ich nur hoffen, daß hier im Deutschen Bundestag und überall, wo es gehört werden soll, folgendes klar verstanden wird: Die Tarifautonomie ist ein unverzichtbarer Teil unserer freiheitlichen Gesellschaft; ich meine, daß es dabei bleiben muß.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Aber ich sage auch in allem Freimut, daß dieser Autonomie die Verantwortung der Beteiligten für das Gesamtwohl entsprechen muß. Dies ist keine selbstgerechte und keine einseitige Mahnung. Worauf es ankommt, ist, daß sich jeweils beide Seiten bemühen, ihrer Verantwortung bewußt zu sein, daß sie durch adäquate, inhaltlich zueinander passende Maßnahmen die Anstrengungen um mehr Stabilität nachdrücklich unterstützen. Anders geht es nicht. Dies ist keine Verkleisterung von Interessengegensätzen, die in einer freiheitlichen Gesellschaft ausgetragen werden müssen. Dies ist auch kein Festschreiben von Gegebenheiten, die der Verwirklichung des demokratischen und sozialen Bundesstaates als Auftrag des Grundgesetzes noch im Wege stehen, sondern dies ist eine aktuelle und dabei sehr ernste Mahnung.
    Kein Zweifel, die Freigabe der Wechselkurse bedeutet für zahlreiche Unternehmen einen nicht unerheblichen Kostendruck. Zu starke Steigerungen der Lohnkosten könnten in dieser Phase die Gefahr der Unterbeschäftigung hervorrufen.

    (Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!)

    Deshalb erschiene es mir sinnvoll, wenn jetzt bei Preisen und Lohnkosten eine Art Konsolidierungspause ernsthaft in Erwägung gezogen würde. Ich sage dies als einer, der sich vor einseitigen Urteilen oder gar Anklagen hütet. Und ich bin auch jetzt,
    meine verehrten Damen und Herren, auf keinen Fall bereit, die Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften zum Sündenbock zu machen oder machen zu lassen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Doch muß ich auf folgendes hinweisen. So erfreulich es ist, daß die Realeinkommen im vorigen Jahr stärker gestiegen sind als in jedem anderen Jahr seit der Währungsreform — das ist eine Tatsache —, so sehr müssen wir die Gefahr sehen, daß bei einer ausufernden Kostenentwicklung ein wirtschaftlicher Rückschlag auf uns zukommen kann.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Dem gilt es vorzubeugen. Inzwischen haben wir alle, ob Opposition oder Regierung, auch die Sorgen zu bedenken, denen viele Sparer und Rentner in unserem Volk ausgesetzt sind.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Demonstrativer Beifall bei der CDU/CSU.)

    Deshalb bitte ich die großen gesellschaftlichen Gruppen in unserem Volk um ihr überdenken der Lage,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Panikmache!)

    um ihre Aufgeschlossenheit und Mithilfe. Mit der Preis-Lohn- und Lohn-Preis-Spirale ist der großen Masse nicht gedient. Deshalb meine Bitte, über ein möglichst stabilitätspolitisches Verhalten ernsthaft nachzudenken; denn mehr Stabilität wird dem ganzen Volk zugute kommen.
    Stabilität erfordert, daß wir alle in manchem zunächst zurückstecken müssen, um eine bessere Ausgangslage für die weitere Entwicklung zu sichern.

    (Abg. Leicht: Sagen, wo!)

    Wir müssen verschiedene Interessen abwägen, dabei aber zu einer einheitlichen Linie finden. Lassen Sie mich ganz offen — über diesen Saal hinaus — sagen: diese einheitliche Linie finden wir nicht dadurch, daß wir am Arbeitsplatz höhere Löhne, am Familientisch niedrigere Preise und am Stammtisch niedrigere Steuern fordern. Diese drei Dinge gehen im Verhältnis zueinander nicht auf.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der CDU/CSU: Wem sagen Sie das? — Abg. Dr. Müller-Hermann: Wenn wir das sagen, ist das Panikmache! — Abg. Strauß: War das ein Kennzeichen der Politik der Bundesregierung? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    Mit Übertreibungen ist in diesem Lande niemandem gedient, und übersteigerte Polemik wird sich auch nicht auszahlen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Verehrte Kolleginnen und Kollegen, man wird unserem Volk ohnehin nicht einreden könen, wir hätten in der Bundesrepublik Deutschland plötzlich seit eineinhalb Jahren

    (Zuruf von der CDU/CSU: Eine gute Regierung!)




    Bundeskanzler Brandt
    eine Wirtschaftsordnung, in der die Regierung die Preise bestimmt. Das werden Sie der Bevölkerung nicht einreden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    Niemand wird guten Gewissens sagen können, wir hätten die immensen Dollarzuflüsse zu verantworten, gegen die etwas unternommen werden mußte. Sie, Herr Kollege Müller-Hermann, reden heute hier und Herr Kollege Barzel redet draußen von der Währungskrise, und Sie verschweigen dem Volk, daß es eine Krise des Dollars und nicht der D-Mark ist.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. —Abg. Strauß: Anti-Dollar-Kampagne bei Nachgiebigkeit gegenüber Anti-Dollar-Spekulation! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Herr Strauß, Sie sind gerade wieder da; nun hören Sie doch einmal einen Augenblick zu! — Niemand wird freilich bestreiten können, daß wirtschaftliches Wachstum und Vollbeschäftigung überall in der Welt mit einem gewissen Maß an Preissteigerung verbunden sind und daß die meisten mit uns vergleichbaren Länder es mit einem höheren Grad an Instabilität zu tun haben,

    (Abg. Leicht: Preissteigerungsrate!)

    — In einigen Fällen, Herr Kollege Leicht, mit der besonders kritischen Koppelung von hohen Preissteigerungsraten und außerdem noch hohen Arbeitslosenziffern.
    Ich muß mich — um das gleich mit zu sagen — gegen die Legende wenden, als stünde bei uns in der Bundesrepublik Deutschland alles zum besten, wenn wir uns nur kein Reformprogramm vorgenommen, wenn wir es nur nicht eingeleitet hätten. Man soll hier die Dinge doch nicht durcheinanderbringen. Unsere stabilitätspolitischen Erwägungen und Maßnahmen — ich sage das in aller Klarheit — bedeuten keinen Abschied von notwendigen Reformvorhaben in diesem Staat.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Für diese notwendigen 'Reformvorhaben soll allerdings — wer wollte das bestreiten: das gehört genau in diesen Zusammenhang — eine solidere Basis gefunden werden,

    (Zurufe von der CDU/CSU: Aha!)

    als sie gegeben wäre, sicherten wir uns nicht gegen
    die Gefahren ab, von denen ich gesprochen habe.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Es bleibt dabei, daß der Bundeshaushalt 1972 und die damit verbundene mittelfristige Finanzplanung am Schluß der Sommerpause eingebracht werden. Dann wird noch Zeit genug sein, um über Einnahmen und Ausgaben zu streiten und auch ohne Demagogie darüber zu reden, was der Staat vom Bürger erwarten muß, wenn der Bürger aus guten Gründen immer mehr vom Staat erwartet.
    Mancher Kritiker meint — auch heute ist das schon im ersten Beitrag der Opposition angeklungen —, diese Regierung habe nicht genug getan, um einen überschäumenden Boom unter Kontrolle zu bringen. Wer wollte selbstgerecht darauf antworten! Ich will jedenfalls nicht bestreiten,

    (Abg. Dr. Barzel: Sie müssen sich hier stellen, Herr Bundeskanzler!)

    daß wir alle haben einiges hinzulernen müssen — übrigens nicht nur eine Seite des Hauses —, auch in bezug auf die exakte Vorausberechenbarkeit volkswirtschaftlicher Abläufe.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    Verehrte Kollegen, nicht jetzt mit dem Finger auf andere zeigen, sondern sich einmal daran erinnern, weswegen wohl die verehrte Opposition Ende des Jahres 1970 ihre Haltung zum Haushalt 1971 verändert hat! Sie haben sie auf Grund einer Einschätzung der wirtschaftlichen Lage verändert, die so nicht eingetreten ist — damit wir uns hier klar verstehen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Leicht: Lassen Sie uns unsere Anträge zum Haushalt 1971 zur Kenntnis bringen! Wir lesen sie nachher vor!)

    Aber wir sind nicht untätig geblieben. Das ist gesagt worden. Wir werden darauf zurückkommen. Ich will mir das jetzt schenken. Aber eines will ich Ihnen sagen: es ist wahr, daß die Bremsen — von der Aufwertung über die Konjunkturausgleichsrücklage, den Konjunkturzuschlag bis zur degressiven Abschreibung — nicht so hart gegriffen haben, wie wir es gewünscht hätten. Aber dies hat doch eben in hohem Maße auch damit zu tun, daß die weltweite Tendenz zur Instabilität auch unser Land nicht nur nicht verschont, sondern zunehmend mit erfaßt hat. Dieser Sachverhalt läßt sich in zwei Zahlen drastisch illustrieren. Durch die Maßnahmen der Bundesregierung und der Notenbank wurden seit Anfang 1970 bis jetzt rund 24 Milliarden DM stillgelegt; gleichzeitig aber flossen 42 Milliarden DM aus dem Ausland in die Bundesrepublik. Dieser Inflationsimport erreichte Anfang voriger Woche einen dramatischen Höhepunkt.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Warum?)

    — Das kommt, einen Augenblick! — Die Bundesregierung hat daraufhin innerhalb von Stunden gehandelt. Ich kann mich an eine andere Regierung erinnern, die länger dazu gebraucht hat.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Sie hat mit Zustimmung des Zentralbankrates zunächst eine Schließung der Devisenmärkte veranlaßt. Sie hat sich damit 'den Spielraum für die jetzt notwendigen Maßnahmen geschaffen.

    (Zuruf von der CDU/CSU.)

    — Wenn einer der Kollegen dazwischenruft, was er entweder selbst verbreitet oder in der Zeitung gelesen hat: Sie waren ja in London!, dann muß ich vor diesem Hause sagen dürfen: Dieser Entscheid des Bundeskanzlers und seiner Kollegen ist in der Nacht vom Dienstag zum Mittwoch gefallen. Daraufhin habe ich mit Zustimmung meiner Kollegen am



    Bundeskanzler Brandt
    Mittwochmittag meine eintägige Reise nach London angetreten, um die Dinge durch eine Absage nicht weiter zu dramatisieren. Das, was zu entscheiden war, war in der Nacht vorher entschieden worden. Das ist die Wahrheit.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren, bisher — vielleicht
    hören wir ja noch anderes — habe ich in diesen Tagen zu wenig gehört von denen, die bei anderer Gelegenheit für die freie Marktwirtschaft sind und in dieser Situation doch offensichtlich mit dem Gedanken gespielt haben, anders als mit marktwirtschaftlichen Mitteln der Situation Herr zu werden.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Nein!)

    — Jetzt wurde dazwischengesagt: Nein. Herr Kollege Müller-Hermann hat es schon vorgebracht: Aber § 23! Das darf man dann aber doch nicht in dieser für die Öffentlichkeit verwirrenden Einfachheit hier vorbringen. Denn von dem § 23 des Außenwirtschaftsgesetzes ist doch lediglich das in Nr. 7 aufgeführte Verzinsungsverbot für Konten Gebietsfremder bei inländischen Banken durch Verordnung in Kraft gesetzt worden. Dazu waren wir, wie alle Kundigen wissen, immer bereit. Alle anderen Dinge, z. B. die Kreditaufnahme der Wirtschaft im Ausland, sind nach wie vor frei.
    Was nun die Spekulation angeht, Herr Kollege Müller-Hermann, Herr Schiller hat schon gesagt: Jawohl, einen Tag und eine Stunde. Mir hat es nicht in den Kram gepaßt, daß die Institute mit ihrem Gutachten am letzten Montag kamen. Aber eins muß ich hier zurückweisen: erstens haben Sie eine Verlautbarung des Bundeswirtschaftsministers falsch wiedergegeben. Sie haben gesagt, darin heiße es, es handle sich um eine nützliche Stellungnahme. In Wirklichkeit heißt es — ich habe die Verlautbarung vor mir —: „Zusammen mit dem in Kürze zu erwartenden Gutachten des Sachverständigenrats wird die Gemeinschaftsdiagnose der Wirtschaftsforschungsinstitute helfen, die Diskussion über die weitere Konjunkturpolitik zu versachlichen." Das steht dort.

    (Abg. Dr. Barzel: Herr Bundeskanzler, lesen Sie doch den Absatz 1! — Zurufe von der Mitte: Weiterlesen!)

    Meine Damen und Herren, von währungspolitischen Absichten unsererseits ist in diesem Kommuniqué keine Rede. Und meine Kollegen in der sozialdemokratischen Fraktion — hier ist meine Äußerung vor dieser Fraktion zur Sprache gebracht worden — rufe ich miteinander zu Zeugen dafür auf, daß die Behauptung unwahr ist, ich hätte dort eine außenwirtschaftliche Maßnahme im Laufe der Woche oder auf kürzere Sicht angekündigt.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Aber jetzt, Herr Kollege Müller-Hermann, gehe ich einen Schritt weiter.

    (Abg. Dr. Müller-Hermann: Können Sie dies hier lesen?)

    Vielleicht haben Sie auch Erfahrungen mit Leuten,
    bei denen man etwas bestellt; so etwas soll es geben.
    Ich muß jedenfalls unter Berufung auf die Freiheit der Wissenschaft diese Institute gegen die Verdächtigung in Schutz nehmen, der sie hier ausgesetzt worden sind.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Sie haben ihr Gutachten nicht für die Bundesregierung, sondern für die deutsche Öffentlichkeit erstattet.
    Die Freigabe des Wechselkurses gibt der Deutschen Bundesbank die Möglichkeit, weitere spekulative Devisenzuflüsse zu verhindern und für einen Abfluß der stabilitätsgefährdenden Überliquidität zu sorgen. Die Bundesregierung — ich will das ausdrücklich hinzufügen — erwartet darüber hinaus von der Deutschen Bundesbank, daß sie dieses Instrument nutzt, um einen deutlichen Stabilitätseffekt auf den Binnenmärkten zu erzielen. Die Verbilligung der Einfuhren und die Dämpfung der Auslandsnachfrage werden nach der Überzeugung nicht nur der Bundesregierung, sondern auch der Mehrzahl der unabhängigen Experten zu der dringend notwendigen Beruhigung des Preisklimas beitragen.
    Wir verkennen nun nicht, meine Damen und Herren, daß diese harten Stabilisierungsmaßnahmen hier und da zu Schwierigkeiten führen können, doch ohne gewisse Einbußen und Neuanpassungen ist die Wiedergewinnung der Stabilität nicht möglich. Zur Dramatisierung besteht auch dabei kein Anlaß. Die Bundesbank ist durchaus in der Lage, das Instrument des Wechselkurses felxibel zu handhaben, und auch der Bundesregierung stehen genügend Instrumente zur Verfügung, um ein Abgleiten der Konjunktur über die notwendige und gewünschte Entspannung hinaus aufzufangen.
    Besonders schwierig — da schließe ich mich meinen Vorrednern an — ist die Lage für die Landwirtschaft wegen der Bindung ihrer Einkommen an den Grünen Dollar. Ich habe in allen Äußerungen der letzten Tage deutlich gemacht, daß nach Ansicht der Bundesregierung die aus der Spekulationswelle entstandenen Lasten nicht -- und hier greife ich das Wort von Karl Schiller auf — auf die Rücken unserer Bauern geladen werden dürfen. Wir haben diesen Gesichtspunkt in Brüssel vorgetragen und dort ein gewisses Verständnis gefunden. Der Ministerrat hat den Grundsatz anerkannt, daß ein Grenzausgleich eingeführt wird, um die deutsche Landwirtschaft vor Störungen zu schützen. Der Agrrarat berät zur Stunde über Einzelheiten, und ich möchte hier vor dem Hohen Hause noch einmal dem dringenden Wunsch der Bundesregierung Ausdruck geben, daß der Agrarrat in Brüssel, ob er nun einen Tag mehr oder weniger braucht, einen Weg findet, der unseren Sorgen Rechnung trägt. Dabei gehen wir davon aus — lassen Sie mich das mit demselben Nachdruck hinzufügen daß der gemeinsame Agrarmarkt als wichtiges Bindeglied der europäischen Integration erhalten bleibt.
    Herr Kollege Müller-Hermann hat gemeint, ich hätte Kritikern unrecht getan, als ich ihnen Panikmache vorwarf. Nun kann man über Worte und ihre Zuspitzung immer streiten. Aber ich darf in aller



    Bundeskanzler Brandt
    Offenheit sagen, Herr Kollege Müller-Hermann, auch Teile Ihrer heutigen Rede — das Wort von der Inflation ohne Maß, das Wort, wir setzten eine Währungskrise in Szene oder hätte sie in Szene gesetzt sind nicht nur unwahre, sondern panikmacherische Behauptungen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Dann ist mir wiederholt, so auch heute, vorgeworfen worden, ich hätte eine Vollbeschäftigungsgarantie oder, wie es heute hieß, eine Vollbeschäftigungs-
    und Auslastungsgarantie ausgesprochen und damit, wie es an anderer Stelle hieß, ein unzweckmäßiges Verhalten gefördert. Erstens ist das ein Wort, das ich nie verwendet habe. Zweitens ist es keine Schande, sondern meine Pflicht, wenn ich, zumal vor dem Hintergrund des Jahres 1966, wiederholt daran erinnert habe, daß die Vollbeschäftigung eines der unverrückbaren Ziele des Stabilitätsgesetzes ist.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Außerdem ist und bleibt es meine Überzeugung, daß ein Spiel mit der Sicherheit der Arbeitsplätze verwerflich ist.
    Aber wir brauchten uns hier nicht auseinanderzureden, wir könnten uns leicht verständigen, wenn es darum ginge, daß die Ziele des Stabilitätsgesetzes gleichrangig nebeneinanderstehen.

    (Abg. Dr. Müller-Hermann: Das wollen wir! Das ist ja der Sinn!)

    Nun ist die Bemerkung des Herrn Bundeswirtschaftsministers bezweifelt warden, daß die Opposition in starkem Maße informiert und in den Meinungsbildungsprozeß der Regierung einbezogen worden sei.

    (Abg. Dr. Müller-Hermann: Das wird nicht bestritten! — Weiterer Zuruf von der CDU/ CSU.)

    Ich weiß, es gibt natürlich nichts, auch auf diesem Gebiet nichts, was vollkommen ist. Ich will, da das Thema angeschnitten wurde, nur folgendes sagen: Bevor ich am letzten Dienstag am späten Abend, in der Nacht, mit den zuständigen Kabinettskollegen entschieden habe, daß die Devisenbörsen am nächsten Tag dichtgemacht werden — wir wollten morgens nur noch mit dem Zentralbankrat darüber reden, aber in der Stunde war dann schon wieder mehr passiert —, hatte Herr Kollege Schiller den Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion über unsere Überlegungen zum damaligen Stande informiert. Am Freitagmorgen hatte ich selbst das Vergnügen, Herrn Kollegen Barzel und zwei seiner Kollegen im Bundeskanzleramt für eine gute Stunde zu sehen. Ich habe den Kollegen vor der Kabinettssitzung zusammen mit dem Wirtschaftsminister über den Stand der Dinge berichtet. Am Sonntag, als die Herren aus Brüssel zurück waren und einige Stunden geschlafen hatten, hat Herr Staatssekretär Schöllhorn am frühen Nachmittag Herrn Kollegen Barzel über die schwierige Brüsseler Situation und die Verhandlungen von Samstag früh bis Sonntag früh unterrichtet. Am späten Sonntagnachmittag hat Herr Minister Ehmke in meinem Auftrag Herrn Kollegen Müller-Hermann über den Stand der Überlegungen im Kabinett zum
    binnenwirtschaftlichen Teil unterrichtet, und am späten Sonntagabend erfolgte noch einmal eine Unterrichtung über die Beschlußfassung, wie sie sich dann abzeichnete.
    Nun ist gesagt worden: Das war aber keine richtige Konsultation.

    (Abg. Rasner: Überhaupt keine!)

    Verehrte Kollegen, eines müßten Sie eigentlich zugeben: die Opposition hat viele Möglichkeiten — und sie nimmt diese Möglichkeiten mit gutem Recht wahr —, sich zu artikulieren, öffentlich oder nichtöffentlich. Niemand wird sagen können, daß Anregungen und Vorschläge der Opposition es schwergehabt hätten, den Weg zur Bundesregierung zu finden. Das kann man nicht behaupten.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Barzel: Das ist doch unerhört, Herr Bundeskanzler!)

    Meine Damen und Herren, ich möchte schließlich noch auf einen besonders wichtigen Punkt zu sprechen kommen. Ich sage Ihnen in vollem Ernst: diese Bundesregierung hat weder ihre europäischen Pflichten vernachlässigt noch etwa den Aufbau der Wirtschafts- und Währungsunion gefährdet. Wenn das hier und da von ausländischen Zeitungen vorgebracht wird, kann man das nur mit Unkenntnis oder anderen Unzulänglichkeiten erklären. Bei uns in der Bundesrepublik kann man einen solchen Vorwurf guten Gewissens nicht erheben.
    Die Bundesregierung hat wirklich — dafür stehe ich ein — alles in ihren Kräften Stehende getan, um zu gemeinsamen Aktionen mit ihren europäischen Partnern zu kommen. Dies ist leider nur teilweise gelungen. Ich danke Herrn Schiller und Herrn Scheel für die große Anstrengung in Brüssel. Es soll auch nicht untergehen — was wir hier sprechen, hören andere mit —, daß die Bundesrepublik Deutschland durch ihre Regierung an diesem ent- scheidenden Punkt ihren monetären Beistand angeboten hat, um zu einer gemeinschaftlichen Haltung aller Sechs zu kommen. Das ist ja wohl keine Kleinigkeit.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Es ist nicht ganz gelungen, zu gemeinsamen Aktionen zu kommen. Aber wer wollte behaupten, wir stünden isoliert da? Steht man isoliert da, wenn Holland und Belgien sich konform verhalten, die Schweiz und Osterreich aufwerten und die Franzosen und Italiener das für uns Notwendige in einen Gemeinschaftsbeschluß einbinden? Wir müssen verstehen, wenn es uns auch manchmal schwerfällt, daß andere Länder andere Interessen und andere stabilitätspolitische Auffassungen haben. Wir müssen aber auch erwarten, daß unsere Partner Verständnis dafür aufbringen, daß außergewöhnliche Situationen auch bei uns außergewöhnliche Maßnahmen erfordern. So sieht es aus.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Erfreulicherweise haben wir dieses Verständnis bei den harten Verhandlungen in Brüssel gefunden, so daß unsere außenwirtschaftlichen Maßnahmen europäisch eingebunden werden konnten. Daß die



    Bundeskanzler Brandt
    Brüsseler Beschlüsse gerade am 21. Jahrestag der Erklärung Robert Schumans gefaßt wurden, ist kein Zeichen der Schwäche der Gemeinschaft, wie einige Kommentatoren meinten, sondern zeigt im Gegenteil, daß diese Gemeinschaft bereits weit fortgeschritten ist und auch schwierige Situationen meistern kann und wird, ohne daß dadurch der Zusammenhalt erschüttert wird.
    Die Entwicklung der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion wird durch unsere Maßnahmen nicht gefährdet, im Gegenteil — und ich will das beweisen —, die jüngste internationale Währungskrise hat allen Beteiligten noch einmal drastisch vor Augen geführt, wie dringend notwendig Fortschritte in Richtung auf eine gemeinsame europäische Wirtschafts- und Währungspolitik sind. Die Bundesregierung ist und bleibt allerdings der Überzeugung, daß wir Europa nicht helfen, wenn wir unsere stabilitätspolitischen Ziele preisgeben, sondern daß unser Ziel eine europäische Stabilitätsgemeinschaft sein und bleiben muß. Wenn man zu einem gesunden Europa kommen will, braucht man eine gesunde europäische Wirtschaft:
    Nun war zu hören, daß die Sachverständigenberatungen über die Wirtschafts- und Währungsunion verzögert würden. Das wäre bedauerlich, aber nicht so schlimm, als wenn die Weichen falsch gestellt würden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Außerdem ist es nicht so. Ich habe mich nicht nur durch Zeitungsnotizen, sondern amtlich sachkundig gemacht. Es kann keine Rede — ich sage das zu meiner Freude von einem leeren Stuhl Frankreichs sein, sondern Frankreich nimmt an den für den nächsten Monat vorgesehenen konjunkturpolitischen und sonstigen Beratungen teil.
    Ich kann dem Hohen Hause bei gleicher Gelegenheit auch sagen, daß die heutigen Beratungen im Ministerrat über die Erweiterung der Gemeinschaft auf einigen Gebieten gewisse sachliche Fortschritte gebracht haben. Ich stütze mich dabei auch auf das, was der englische Verhandlungsführer als seine Meinung gesagt hat, und was er dazu meint, ist mindestens so wichtig wie das, was die Sechs dazu sagen.
    Man sollte nun also nicht, gestützt auf mißverständliche Zeitungsmeldungen, auch hier noch der Bundesregierung etwas am Zeug flicken wollen. Die Dinge sind so, wie ich sie darstelle. Aber ich sage noch einmal: schlecht, am schlechtesten wäre es, wenn hier die Weichen falsch gestellt worden wären. Ich will nicht in der Geschichte der EWG herumkramen. Aber ich sage in allem Freimut, solange wir im Aufbau der Gemeinschaft nicht weiter sind, als wir sind, gilt die Berufung auf vitale Interessen nicht nur für andere, sondern auch für die Bundesrepublik Deutschland.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    An unserem ernsten Willen, die Wirtschafts- und Währungsunion zu verwirklichen, gibt es überhaupt keinen Zweifel. Wir haben alle unsere Partner in diesen Tagen dies noch einmal sehr ernst und nachdrücklich wissen lassen.
    Es ist auch nicht einzusehen, weshalb die Währungsfragen die Verhandlungen über die Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft beeinträchtigen sollten. Wir hoffen sehr, daß die gegenwärtige Verhandlungsrunde in Brüssel zu weiteren sachlichen Klärungen führen wird. Unseren Beitrag haben wir in vielfältigen vorbereitenden Gesprächen geleistet. Ich hoffe auch, daß die bevorstehende Begegnung zwischen Präsident Pompidou und Premierminister Heath dieser wichtigen Sache dienlich sein wird. Diese Regierung und, ich glaube, die überwältigende Mehrheit dieses Hauses sind der Meinung, daß Westeuropa England braucht und daß die Zeit reif ist, und zwar noch in diesem Sommer, die dazu notwendigen Entscheidungen zu fällen. Dies ist wirtschaftlich vernünftig und politisch notwendig, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Dann wird sich zeigen, daß die Europäische Gemeinschaft über manche Schwierigkeiten hinweg doch zu einem Rahmen wird, in dem Wachstum und angemessene Stabilität verwirklicht werden können.
    Aber ich bleibe dabei, daß es nationaler Verantwortung und europäischem Realismus entspricht, wenn wir alles tun, um das eigene Haus in Ordnung zu halten. Der nächste Schritt heißt also: Stabilität in der Bundesrepublik Deutschland ist notwendig auch wegen der Stabilität im westlichen Europa.

    (Sehr richtig! und Sehr gut! bei der CDU/ CSU.)

    Deshalb mußten wir die D-Mark aus dem internationalen Inflationsgeleitzug in diesem Augenblick für einige Zeit lösen, zum Nutzen der Stabilität in diesem Lande und langfristig zum Nutzen Europas.

    (Lebhafter anhaltender Beifall bei den Regierungsparteien.)