Meine Damen und Herren! Der Herr Minister Ehmke hat hier mit bemerkenswertem Mut von dem Erfolg seiner Regierung gesprochen und damit glatt ins Angesicht der ganzen öffentlichen Meinung geredet, denn daß das, was er hier gesagt hat, nicht stimmt, ist nicht nur die Meinung der Opposition, sondern es ist, glaube ich, die Meinung der gesamten Öffentlichkeit und der wesentlichen Träger der öffentlichen Meinung.
— Ich werde das gleich nachreichen.
Ich möchte auf einige Punkte, die er angeschnitten hat, antworten, weil der Bundestag ja dazu da ist, zu diskutieren. Ich habe es bedauert, daß auf die substantiellen Äußerungen über das Selbstverständnis des Menschen von Herrn Katzer mit der etwas schnöden Bemerkung von der Rundumerneuerung des abendländischen Menschen von der FDP reagiert wurde.
Ich finde das nicht sehr gut.
Ich kann auch Herrn Ehmke nicht folgen, wenn er sagt, die Politik brauche keine Leitbilder, sondern es gehe darum, in der Gesellschaft frei zu diskutieren. Meine Damen und Herren, so einfach ist es nicht.
- Ich kann mich gern korrigieren; ich glaube doch, daß es so gesagt worden ist. — Meine Damen und Herren, eine Politik, die nicht von einem bestimmten Selbstverständnis des Menschen ausgeht, wird direktionslos.
Die Alternative hier Mensch und dort Gesellschaft ist ja nicht wahr. Das Entscheidende ist, daß sich der Mensch in der Gesellschaft jeweils begegnet, daß er sie hervorbringt und sie wieder zurücknimmt und daß er als Mensch und Politiker gerade für die Zustände in dieser Gesellschaft verantwortlich zeichnet. Ich würde diese Grundsätze nicht geringschätzen, sondern empfehlen, einmal darüber nachzudenken. Das ist auch nicht allein meine Meinung. Wer einmal Heisenbergs Betrachtungen in seinem letzten Buch nachliest, der sieht, daß das Ausgehen vom Menschen unabdingbar ist.
Ich komme jetzt zu den Ausführungen von Herrn von Dohnanyi. Ich hatte nach seiner Wortmeldung erwartet, daß er eine Antwort auf die dringenden Fragen der Bildungsreform geben würde, zumal der Minister, der leider erkrankt ist, heute dazu nicht in der Lage ist und auch der Bundeskanzler die eigentliche Frage und auch die Fragen von Herrn Ehmke, was heute und morgen wie und mit welchen Mitteln getan werden soll, einfach nicht beantwortet hat. Auch Herr Ehmke hat das nicht getan.
Herr von Dohnanyi hat sich dadurch aus der Klemme gezogen, daß er in recht unqualifizierter Weise Herrn Stoltenberg angegriffen und sich wieder auf einen Ritt in die Zukunft begeben hat. Meine Damen und Herren, der Angriff auf Herrn Stoltenberg war in zweifacher Weise unberechtigt und falsch. Wer die Geschichte jener Zeit und die Änderungen der Verfassung kennt, die damals intendiert und durchgeführt worden sind, der weiß, daß unter Herrn Stoltenberg die Phase einer neuen Aktivität in der Bildungs- und Wissenschaftspolitik durch den Bund eingeleitet worden ist.
Alles, was jetzt geschieht, und die Handlungsmöglichkeit, die die Bundesregierung hat, basieren auf der Vorarbeit, die dieser Minister für dieses Haus und für die deutsche Politik geleistet hat.
Es wäre fair gewesen, das zu sagen.
Es wäre auch fair gewesen, Herr von Dohnanyi, zu sagen,
daß während der Krise, des Rückgangs, die Mittel für die Wissenschaftspolitik Jahr für Jahr durch Herrn Stoltenberg überproportional erhöht worden sind, z. B. um 23 % bei Zuwächsen in anderen Bereichen von 7, 6 und 5 %. Wir wissen heute, daß das damals auch Ihren Beifall gefunden hat und als
Dr. Martin
Fortschritt gewertet wurde. Auch das hätte man sagen müssen.
Drittens hätte man sagen müssen, daß wir damals Zug um Zug den Vorschlägen und Empfehlungen des Wissenschaftsrates gefolgt sind. Wir sind hinter seinen Empfehlungen nicht zurückgeblieben. Der damalige Präsident des Wissenschaftsrates ist der heutige Wissenschaftsminister.
In einem Jahr waren die Mittel geringer. Es wäre fair gewesen, die Gründe dafür zu nennen. Sie lagen darin, daß zwei sozialdemokratisch regierte Länder nicht in der Lage waren, die Mittel abzurufen, die ihnen der Bund zur Verfügung gestellt hatte.
Das ist die Wahrheit, meine Damen und Herren, und es wäre gut gewesen, das hier zu sagen.
Hier ist wieder der Eindruck erweckt worden, als ob die Steigerungen im Bundeshaushalt, die ich ohne weiteres anerkenne, das Problem lösten. So wie es Herr von Dohnanyi darstellt, redet er elegant und perfekt an der Situation vorbei. Diese Mittel machen 6 O/ dessen aus, was wir brauchen. Die Zusage, die wir hatten, lautete nicht, diese 6 % „fülliger" zu machen, sondern sie lautete in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers: Wir werden die Länder instand setzen, ihre großen Aufgaben durchzuführen.
Davon kann bis zur Stunde überhaupt keine Rede sein.
Herr Bundeskanzler, im Oktober waren zwei Ministerpräsidenten, Herr Filbinger und Herr Osswald, bei Ihnen, und zwar aus folgendem Grunde. Die Bundesregierung hat auf Grund der neuen Zuständigkeiten und auf Grund der Ausführungen von Bildungsrat und Wissenschaftsrat ein Programm von 100 Milliarden DM angekündigt, das die Länder durchzuführen hätten. Die Ministerpräsidenten haben Sie, Herr Bundeskanzler, gefragt, wie das denn vor sich gehen solle, ob Sie die Steuerverteilung ändern oder den Ländern direkt helfen wollten oder wie das sonst geschehen solle. Es entbehrt nicht der Komik — ich darf die Geschichte, die damals passiert ist, vielleicht einmal erzählen —, wie dieses Problem gelöst worden ist. Herr Lauritzen hat gesagt: Das Verhältnis zwischen dem Bund und den Ländern ist so wie zwischen einem armen Jungen und einem armen Mädchen, die sagen: Also laßt uns heiraten. Das war die Antwort, die damals gegeben wurde. Die Zusage, an der die gesamte Bildungsreform hängt, nämlich die Länder instand zu setzen, ihre Aufgaben durchzuführen, ist nicht eingehalten worden, und es gibt überhaupt keine Anzeichen dafür, daß das geschehen wird.
Ein Zweites, meine Damen und Herren. Heute ist uns wieder als letzte Weisheit und als letztes Konzept die integrierte Gesamtschule und die integrierte
Gesamthochschule vor Augen geführt worden. Hier legt sich die Regierung ohne Not fest und führt sich selbst aus der Bildungsdiskussion heraus. Sie haben sicher gestern und vorgestern gelesen, daß ein so guter Kenner wie Herr Professor Hitpass, der dem gegliederten Schulsystem kritisch gegenübersteht, gesagt hat — ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten , daß nicht nur „die voreilige Expansion und Zementierung der Gesamtschule ein funktionsfähiges Bildungswesen zerschlägt, sondern daß dadurch auch sinnvolle und notwendige Innovationen und Reformen zunichte gemacht werden". Das ist ein Zitat aus der „Welt", meine Damen und Herren. Sie haben sicher gestern gelesen, daß die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft nun plötzlich dahinterkommt, daß Sie in Hessen allein 12 800 Lehrer für die Sekundarstufe 1 und 6 000 Lehrer für die Förderstufe brauchen. Das heißt, die Maßnahmen, die hier eingeleitet werden, verschärfen die Krise des gegenwärtigen Bildungs- und Wissenschaftssystems ohne Not, weil man mit dogmatischen Vorurteilen definitiv an die Dinge herangeht.
Meine Damen und Herren, demgegenüber hat hier Herr Ehmke wieder versucht, uns in die konservative Ecke zu stellen. Ich möchte dazu sagen, die CDU hat hier und andernorts ein geschlossenes Konzept der Bildungs- und Wissenschaftspolitik vorgetragen, ein Konzept, das in die Zukunft führt und das in der Lage ist, die großen Ziele der Bildungspolitik, Chancengleichheit, Steigerung der Leistungen, auch zu garantieren und ein modernes Bildungswesen zu entwickeln.
Wenn Herr Dohnanyi hier gesagt hat, wir säßen in der Opposition, weil wir nicht genug Reformen gemacht hätten, kann ich ihm folgendes sagen: Er hat sich in Rheinland-Pfalz als Erneuerer und Reformer angeboten. Das Volk in Rheinland-Pfalz hat sich höflich bedankt; Sie werden uns also hier erhalten bleiben.
Das war es, was dazu zu sagen war.
Wir hätten erwartet, daß nach der Bildungskommission und nach den Peinlichkeiten, die durch die Protokolle entstanden sind, hier eine Antwort kommt. Tatsache ist aber, daß in dieser Sitzung die Leute, nämlich Herr Leussink und Herr Lohmar, die draußen die großen Konzepte vortragen müssen, nicht anwesend waren. Es sieht so aus, als ob sich die Affäre Evers noch einmal wiederholte, daß der große Prediger der Reform in die Wüste geht.