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ID0609505200

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    Deutscher Bundestag 95. Sitzung Bonn, Dienstag, den 2. Februar 1971 Inhalt: Glückwunsch zum Geburtstag des Abg. Rösing 5193 A Wahl des Abg. Dr. Arndt (Berlin) als Mitglied des Europäischen Parlaments . . 5193 A Amtliche Mitteilungen 5193 B Beratung des Jahresgutachtens 1970 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (Drucksache VI/1470) in Verbindung mit Beratung des Jahreswirtschaftsberichts 1971 der Bundesregierung (Drucksache VI/1760) Dr. Schiller, Bundesminister 5194 B, 5242 B Dr. Müller-Hermann (CDU/CSU) . 5201 D Junghans (SPD) 5209 B Kienbaum (FDP) 5215 D Brandt, Bundeskanzler . . . . . 5218 D Dr. Stoltenberg (CDU/CSU) . . . 5223 D Dr. Schachtschabel (SPD) . . . . 5226 C Mertes (FDP) . . . . . . . . 5229 B Dr. Pohle (CDU/CSU) 5233 B Kater (SPD) . . . . . . . . . 5239 A Höcherl (CDU/CSU) . . . . . . . 5250 B Dr. Arndt (Berlin) (SPD) . . . . . 5253 C Graaff (FDP) . . . . . . . . . 5257 A Breidbach (CDU/CSU) . . . . . 5258 A Lenders (SPD) . . . . . . . . . 5261 B Dr. Burgbacher (CDU/CSU) . . . . 5263 D Kirst (FDP) . . . . . . . . . . 5264 C Nächste Sitzung . . . . . . . . . • 5266 D Anlagen Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 5267 A Anlage 2 Entschließung des Bundesrates zu dem vom Bundestag verabschiedeten Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen . . . . . . . . . 5267 C Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Februar 1971 95. Sitzung Bonn, den 2. Februar 1971 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung 93. Sitzung, Seite 5048 A, Zeile 13: Der Zuruf des Abgeordneten Reddemann ist zu streichen. Dafür ist einzusetzen: (Zuruf von der CDU/CSU.) 93. Sitzung, Seite 5050 C, Zeile 10: Zwischen den Wörtern „fest" und „in" ist einzufügen: (Abg. Reddemann: Mit beiden Beinen fest in der Luft!) Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Aigner * 5. 2. Dr. Apel 2. 2. Dr. Artzinger * 2. 2. Bühling 28. 2. Becker (Pirmasens) 5. 2, Dasch 5. 4. Frau Dr. Diemer-Nicolaus 2. 2. Dr. Dollinger 23. 2. Dröscher * 3. 2. Dr. Furler 2. 2. Gerlach (Emsland) * 2. 2. Dr. Götz 28. 2. Dr. Jungmann 15. 2. Dr. Kiesinger 5. 2. Klinker * 3. 2. Dr. Koch * 4. 2. Kriedemann * 5. 2. Frhr. von Kühlmann-Stumm 2. 2. Dr. Löhr * 2. 2. Maucher 12. 2. Memmel * 5. 2. Müller (Aachen-Land) * 4. 2. Frau Dr. Orth * 3. 2. Pfeifer 5. 2. Rasner 12. 2. Richarts * 3. 2. Schmitz (Berlin) 5. 2. Saxowski 2. 2. Susset 2. 2. Stücklen 2. 2. v. Thadden 6. 2. Wiefel 26. 2. * Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Der Präsident des Bundesrates Bonn, den 29. Januar 1971 An. den Herrn Bundeskanzler Bonn Der Bundesrat hat in seiner 361. Sitzung am 29. Januar 1971 beschlossen, dem vom Deutschen Bundestag am 9. Dezember 1970 verabschiedeten Gesetz über die Entschädigung für Straf- verfolgungsmaßnahmen (StrEG) gemäß Artikel 84 Abs. 1 des Grundgesetzes zuzustimmen. Der Bundesrat hat außerdem die nachstehende Stellungnahme beschlossen: Zu § 14 Abs. 1 geht der Bundesrat davon aus, daß der Eröffnung des Hauptverfahrens der Erlaß eines Strafbefehls, einer Strafverfügung oder eines Bußgeldbescheids gleichsteht. Dr. Röder Vizepräsident Bonn, den 29. Januar 1971 An den Herrn Präsidenten des Deutschen Bundestages Bonn Vorstehende Abschrift wird auf Ihr Schreiben vom 22. Dezember 1970 mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt. Dr. Räder Vizepräsident
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    Rede von Dr. Gerhard Stoltenberg


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Was hier heute vom Bundeskanzler und vom Kollegen Schiller zur tatsächlichen Situation der Bundesrepublik und ihrer Wirtschaft gesagt wurde, unterscheidet sich doch nicht nur von der Sachverständigendiskussion außerhalb dieses Hauses, die von der Bundesregierung kaum in ihre Betrachtung einbezogen worden ist. Es steht auch im Gegensatz zu dem, was der Bundesfinanzminister selbst am 20. Januar, vor wenigen



    Dr. Stoltenberg
    Tagen, erklärt hat — ich zitiere ihn noch einmal; das
    ist die Bilanz von 15 Monaten Regierungspolitik —:
    Wir haben zu viele Illusionen gehabt.

    (Beifall bei der CDU/CSU.) — Das sagt Alex Möller. —

    Wir müssen abbauen, wir müssen die Realitäten stärker beachten.

    (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

    Er ist dafür zur Ordnung gerufen worden, und es ist nicht einmal der Versuch gemacht worden, diese kritische Selbstbetrachtung und Selbstwürdigung, die wirklich an der Zeit ist, in die Darstellung der Bundesregierung einzuführen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich glaube nicht, daß das ein Weg ist, das verlorengegangene und erschütterte Vertrauen wiederzugewinnen und zu stabilisieren; denn es ist doch nicht damit getan, daß die Sprecher der Koalition und auch der Bundeskanzler selbst es für richtig halten, hier Abgeordnete der Opposition unter dem Vorzeichen von Landtagswahlen persönlich zu attackieren und zu disqualifizieren!

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Es kommt doch darauf an, daß diese Regierung endlich eine Antwort gibt auf die kritischen Anmerkungen des Sachverständigenrats, der Sparkassen, der wissenschaftlichen Institute und nicht zuletzt auf die Bemerkungen, die der Leiter eines wissenschaftlichen Instituts, der Kollege Arndt, aus seiner Sicht in den letzten Wochen selbst an die Adresse der Bundesregierung gerichtet hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Herr Bundeskanzler, Sie haben die von dem Ihnen eng verbundenen Herrn Gaus erwartete und vorgeschlagene Rede nicht gehalten, die die konkreten Antworten, die konkreten Entscheidungen bringt, die wir jetzt für die wirtschaftliche und innere Entwicklung unseres Landes brauchen.

    (Abg. Rösing: Er hat eine Wahlkampfrede gehalten!)

    Statt dessen hat es Polemik und Verzeichnung von Zitaten gegeben.
    Ich bedaure sehr, daß Sie den Kollegen MüllerHermann in der Frage der Vollbeschäftigung falsch zitiert haben. Hier war zwischen uns nicht strittig und hier ist nicht strittig, daß es eines der entscheidenden Ziele der Wirtschaftspolitik sein muß, die Vollbeschäftigung zu sichern.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

    Aber was Sie am 1. Mai und am 27. April des vergangenen Jahres getan haben, war doch etwas ganz anderes. Sie haben unter dem Vorzeichen extremer Gleichgewichtsstörungen auf dem Arbeitsmarkt — wir hatten damals fast 1 Million Arbeitsplätze nicht besetzt — jene verdächtigt, die mehr Stabilitätspolitik verlangten, und ihnen vorgeworfen, sie nähmen es mit der Vollbeschäftigung nicht ernst.

    (Beifall bei der CDU/CSU.) Sie haben in der Tat bis heute nicht erkannt, daß die erschreckenden Kostensteigerungen auf Grund der Politik des vergangenen Jahres, die in Europa einsame Spitze sind, genau diese Vollbeschäftigung bedrohen, genau diese Vollbeschäftigung in Frage stellen, die Sie im vergangenen Jahr verbal, aber nicht tatsächlich gefördert haben.


    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich muß Ihnen offen sagen, Herr Bundeskanzler, nach soviel falschen Aussagen im vergangenen Jahr genügen die wohlklingenden Gemeinplätze nicht mehr, die wir heute von Ihnen gehört haben. Sie haben am 18. April vergangenen Jahres in Düsseldorf zur Situation der Wirtschaft und Konjunktur erklärt — ich zitiere —:
    Wir sind insofern über den Berg, als wir feststellen können: die Arbeitsplätze sind sicher, der Wohlstand wächst immer weiter, und die Preisentwicklung wird sich beruhigen.

    (Lachen bei der CDU/CSU.)

    Sie haben den Bundesfinanzminister Möller, der am 21. April sagte: „Die Preisstabilität werden wir im Laufe des Jahres 1970 herstellen", ausdrücklich bekräftigt, als Sie am 1. Mai in der „Welt der Arbeit" schrieben, daß dieses von Herrn Möller erwähnte Ziel wohl noch in diesem Jahr erreicht werden könne. Heute müssen Sie sich, wenn sie wirklich in eine ernsthafte Sachdiskussion eintreten, mit den Aussagen führender wirtschaftswissenschaftlicher Institute auseinandersetzen, etwa mit der Studie von Herrn Professor Giersch in Kiel, in der Ihnen bescheinigt wird, daß wir nach den Fehlern des vergangenen Jahres allenfalls in zwei Jahren unter günstigen Voraussetzungen eine Chance haben werden, das gestörte wirtschaftliche Gleichgewicht wiederzugewinnen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Das sollte das Thema Ihrer Betrachtungen und Ihrer programmatischen Aussagen in diesem Hause sein an Stelle einer Kette persönlicher Angriffe gegen Abgeordnete der Opposition hier, die doch nichts als ein Zeichen Ihres schlechten Gewissens und Ihrer Schwäche sind.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich, bevor ich auf den Jahreswirtschaftsbericht näher eingehe, noch zu den drei Punkten Stellung nehmen, die mir hier vorzuhalten der Herr Bundeskanzler für richtig hielt, ohne daß ich vorher zur Sache gesprochen hatte.

    (Zurufe von der SPD.)

    — Ich habe heute noch nicht gesprochen, und es ist für mich ein einmaliger Vorgang, daß ein Bundeskanzler es für richtig hält, hier Abgeordnete der Opposition so persönlich anzugreifen, ohne daß es einen Bezug auf vorhergehende Ausführungen in diesem Hause gibt.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der CDU/CSU: Mehr Demokratie! — Gegenrufe von der SPD.)

    Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode 95. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Februar 1971 5225
    Dr. Stoltenberg
    Beim Thema der Gemeindefinanzreform habe ich mir erlaubt, in ihre Erinnerung zu rufen, daß wir doch gemeinsam in der Großen Koalition eine Reform verwirklicht haben, die den Gemeinden fast 2 1/2 Milliarden DM mehr bringt. Insofern ist es unbegreiflich, wenn Sie in Ihrer Wahlkampfrede in Flensburg und heute vor dem Forum des Bundestages mich auffordern, zu sagen, was wir denn in der Vergangenheit dazu eigentlich gemeint hätten. Das sollte doch bei aller einseitigen Beschäftigung mit der Ostpolitik noch in Ihrer Erinnerung geblieben sein als Regierungschef, der auch für die inneren Entscheidungen dieses Landes und für das Versagen dieser Bundesregierung die Verantwortung trägt.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Geiger: Sagen Sie das mal Herrn Strauß!)

    Sie werden vielleicht die Rechnung des Präsidenten des Deutschen Städtetages, des Oberbürgermeisters Vogel, gelesen haben, der Ihnen auf Heller und Pfennig vorrechnet, daß als Folge Ihrer falschen Politik des Jahres 1970 aus dem Plus von fast 2 1/2 Milliarden DM ein Minus von 5 Milliarden DM geworden ist. Sie müssen sich — ich darf das auch dem Kollegen Schiller sagen — bei den sachlichen Betrachtungen über die Entwicklung im nächsten Jahr viel ernster mit der bedrohlichen Entwicklung der Gemeindefinanzen auseinandersetzen. Der Hinweis auf die Konjunkturausgleichsrücklage des Bundes und der Länder sowie der Hinweis darauf, daß man vielleicht die Steuervorauszahlung zurückzahlen könnte, genügen nicht, wenn die Städte und Gemeinden, die zwei Drittel der öffentlichen Investitionen tragen, jetzt erleben müssen, daß die Kosten steigen und ihre Einnahmen um 30 % sinken.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Sie haben hier noch einmal — ich muß sagen, das war eigentlich ein bißchen unter dem Niveau des Regierungschefs eine falsche Behauptung Ihrer sozialdemokratischen Parteifreunde im schleswigholsteinischen Wahlkampf aufgewärmt. Ich darf in Ihre Erinnerung rufen, Herr Bundeskanzler, daß der Vorschlag im Sommer vergangenen Jahres im Hinblick auf das Stabilitätsgesetz den Haushalt 1971 in einen Kernhaushalt und einen Eventualhaushalt aufzuteilen, auch von den in Ihrem Kabinett für die Wirtschaftspolitik Verantwortlichen gemacht wurde und daß der Präsident der Bundesbank, Karl Klasen, ihn öffentlich und auch intern gegenüber der Bundesregierung unterstützt hat. Insoweit befanden wir uns in guter Gesellschaft, weil es im Sommer vergangenen Jahres darum ging, die verhängnisvolle Signalwirkung auf jene Bereiche zu vermeiden,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    von denen Herr Schiller, Herr Kienbaum und andere hier warnend gesprochen haben. Das war doch der Punkt, und das ist auch in den führenden deutschen Zeitungen noch einmal beim Abschluß des Etats 1970 klar gesagt worden, nämlich daß sich zwar die 7 % als Globalsumme ganz gut ausnehmen, daß sich aber dahinter eine Steigerung von 10 1/2 % in den ersten sechs Monaten und ein Minus
    von fast 20 % im Dezember verbergen, als dem
    Kollegen Möller bereits die Kassenmittel fehlten.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Sie können doch nicht, wie es hier geschehen ist und wie es auch der Kollege Junghans getan hat, die Kritik, die wir in vollem Einvernehmen mit den ständigen öffentlichen Warnungen des Präsidenten der Bundesbank, den Leitartikeln der großen deutschen Zeitungen sowie den Aussagen von Professor Giersch und anderen üben, in der Weise abqualifizieren, wie es hier immer wieder versucht wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Im übrigen ist es kein Gegensatz, wenn wir im Bundestag diese Aufgliederung, die, nebenbei bemerkt, keine Kürzung ist, vorgeschlagen und gleichzeitig in den finanzschwachen Ländern sagen, daß wir für eine verstärkte Förderung ihrer Aufgaben sind. Wir haben diesen Antrag im Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages eingebracht. Wir tun hier das, was wir draußen im Lande sagen, im Gegensatz zu Ihnen, die Sie manches draußen sagen, was wir Ihnen hier vorhalten müssen.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Lachen und Zurufe bei der SPD.)

    Ich habe die Diskussion um diese Variante bereichert, indem ich vorgeschlagen habe, die zusätzlichen Mittel, die auch Ihre Parteifreunde in den finanzschwachen Ländern fordern - Herr Kubel genauso wie Herr Lemke -, gegebenenfalls in einen Eventualhaushalt hineinzunehmen, damit sie erst dann konjunkturpolitisch wirksam werden, wenn es an der Zeit ist. Ich hoffe, daß Sie in der Lage sind, einen zwar etwas anspruchsvollen, aber im Grunde nicht zu komplizierten Gedankengang dieser Art nachzuvollziehen, statt ihn in demagogischer Weise zu entstellen.

    (Beifall bei der CDU/CSU. Zurufe von der SPD.)

    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nun zum Thema Landwirtschaft folgendes sagen. Ich habe mit Befriedigung gelesen, daß sich der Landwirtschaftsminister, der Kollege Ertl, für eine Erhöhung der agrarischen Erzeugerpreise ausspricht. Auch der Kollege Schiller hat vor wenigen Wochen in einer vorsichtigen Wendung gesagt, dies könne notwendig sein. Aber wenn wir das draußen im Lande sagen, müssen wir uns von Ihnen dafür rügen lassen, dann erklärt der Herr Kollege Wienand in einer geschmackvollen Pressebemerkung, meine entsprechende Forderung in Kiel sei eine Vergiftung der politischen Atmosphäre.

    (Hört! Hört! bei der CDU. — Zurufe von der SPD.)

    Meine Damen und Herren, das ist ein Beweis nicht nur für den schlechten Stil, sondern auch für die Konzeptionslosigkeit dieser Koalition,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    in der auch in dieser entscheidenden Frage jeder
    anders spricht als sein Vorredner und alle nur
    gleich sind in der Polemik. Es hätte Ihnen gut an-



    Dr. Stoltenberg
    gestanden, Herr Bundeskanzler, in diesem Durcheinander und angesichts der Existenznot der Landwirte, die Sie in Flensburg gespürt haben, hier einmal ein klares Wort zu sagen, statt sich wieder hinter Herrn Ertl zu verstecken, von dem doch keiner weiß, ob seine Aussagen von der Koalition und seinen Kollegen im Kabinett überhaupt geteilt werden.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Peters [Poppenbüll] : Unverschämt! — Weitere Zurufe von der SPD und der FDP.)

    — Ja, natürlich! „Unverschämt", Herr Peters? Sie haben die Erklärungen von Herrn Wienand und von anderen gelesen und werden mir erlauben, das hier so zu sagen, wie ich es für richtig halte.

    (Weitere Zurufe von der FDP und Gegenrufe von der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren! Wir bedauern, daß die Bundesregierung es nicht für richtig gehalten hat, zu den sehr detaillierten Anmerkungen des Sachverständigenrates und seiner kritischen Würdigung der Konjunktursituation, der Fehler des vergangenen Jahres und der Aufgaben des nächsten Jahres so Stellung zu nehmen, wie es die Sache erfordert.

    (Zuruf des Bundesministers Dr. Schiller.)

    - Dann hätten Sie unsere Äußerungen zum Konjunkturzuschlag etwas sorgfältiger behandelt, Herr Kollege Schiller; das Zitieren eines früheren Gutachtens vom Mai entlastet Sie nicht davon, sich mit dem Dezember-Gutachten, das heute zur Beratung steht, auseinanderzusetzen. Sie kommen nicht daran vorbei, daß der Sachverständigenrat in diesem Gutachten die isolierte Maßnahme vom Juli für wirkungslos hält, und zwar mit ähnlichen Argumenten, wie wir sie im Juli vorgetragen haben.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Alles, was in diesem Gutachten zur Sache steht, sollten Sie ernster würdigen, als das geschehen ist. Der ganze Zwiespalt der anzuwendenden Konjunkturpolitik wird in dem schon von dem Kollegen MüllerHermann erwähnten Satz auf Seite 28 Ziffer 70 sichtbar. Hier heißt es: „Wenn und damit die wirtschaftliche Entwicklung nunmehr etwa in der von der Jahresprojektion vorgezeichneten Bahn verläuft, sollte dieser Kurs der Kreditpolitik fortgesetzt werden.." Das ist nicht nur ein schreckliches Deutsch; das zeigt Ihnen den fortbestehenden Gegensatz zwischen Bundesbank und Bundesregierung, der nicht aufgehoben ist, nicht einmal in einer Zeit, in der die Signale wirklich gefährliche Möglichkeiten anzeigen. „Wenn" ist die Bundesbank, und „damit" ist der Bundeswirtschaftsminister.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

    Sie waren nicht in der Lage, sich in diesem entscheidenden Punkt auf eine Aussage zu verständigen — in einer großen Frage, die das Schicksal des Jahres 1971 bestimmen wird. Wir empfehlen Ihnen, Herr Bundeskanzler, sich mit Ihrem Kabinett für einige Tage in Klausur zu begeben, alle diese offenen, heute nicht genügend beantworteten Fragen zu diskutieren und dann endlich mit einem bündigen und klaren Konzept in der Sache anzutreten, das diese
    Fragen der Wirtschafts- und Finanzpolitik, aber auch das große Thema der inneren Reformen behandelt, und sich nicht auf Polemik und Gemeinplätze zu beschränken, wie das heute leider der Fall war.

    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU.)



Rede von Dr. Hermann Schmitt
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat Herr Abgeordneter Professor Dr. Schachtschabel.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Hans Georg Schachtschabel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach diesen Ausführungen und nach der Stellungnahme des Herrn Bundeskanzlers wie auch nach den Ausführungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers erscheint es ratsam, auf einen Punkt einzugehen, von dem wir glauben, daß er gerade in der jetzigen Situation Bedeutung und Gewicht hat. Das erste, was ich vorausstellen und worauf ich aufmerksam machen möchte, ist, daß nicht nur seitens der Opposition — wie das im vergangenen Jahre zur Genüge geschehen ist - eine nachweisliche Verunsicherung eingetreten ist, sondern daß auch außerhalb der Opposition eine ganze Reihe Bemerkungen laut geworden sind, die das Anliegen, das klare und deutliche Anliegen der Bundesregierung in Frage zu stellen versuchen. Ich darf nur darauf aufmerksam machen — lassen Sie mich das zur Einleitung vielleicht bemerken —, daß vor nicht allzu langer Zeit davon gesprochen worden ist, die Bundesregierung betreibe eine „intellektuelle oder gar praktische Demontage der Marktwirtschaft", wobei ich glaube, daß alle diese Äußerungen und Bemerkungen bewußt oder unbewußt nur dazu dienen sollen, die Wirtschafts- und Konjunkturpolitik in Frage zu stellen, möglicherweise auch die Grundeinstellung zur Marktwirtschaft, wie dies ganz klar und deutlich vorhin vom Herrn Bundeskanzler akzentuiert worden ist. Ich glaube, es macht sich kaum jemand die Mühe, die klare und eindeutige Stellungnahme der Bundesregierung wie der SPD zur Marktwirtschaft hervorzuheben.
    Da wir auch über das, was im Jahreswirtschaftsbericht über 1971 steht, hier noch zu sprechen haben, so darf ich auf Ziffer 72 aufmerksam machen, wo deutlich gesagt wird, daß „die Marktwirtschaft im sozialen Rechtsstaat nicht nur den ökonomischen Erfolg und eine hohe gesamtwirtschaftliche Effizienz" sichert, sondern „auch im Wirtschaftsleben den höchstmöglichen individuellen Freiheitsraum" erlaubt.
    Wir haben vorhin durch ein paar Zwischenbemerkungen gehört, daß auch das, was in der Diskussion hier und draußen vor sich geht, immer wieder darauf ausgerichtet ist, der jetzigen Regierung, insbesondere der SPD, möglicherweise kollektivistische und zwangswirtschaftliche Tendenzen zu unterstellen. Ich glaube, daß das glatter Unsinn ist und daß man das unter Umständen sogar als offensichtliche Böswilligkeit zu bezeichnen hat.
    Lassen Sie mich von den Beweisen schweigen, die ich dafür anführen könnte; denn ich glaube, daß es notwendig ist, auf einen Vorgang einzugehen. Wenn man die Entwicklung unserer Wirtschafts- und Konjunkturpolitik bis zum Jahre 1966 betrachtet, darf



    Dr. Schachtschabel
    man, meine Damen und Herren, doch nicht vergessen und nicht daran vorbeigehen. — es wird zu leicht und zu oft vergessen , daß damals nur ein Laissezfaire-Prinzip vertreten worden ist, während wir uns heute — und ich glaube, es ist in zunehmendem Maße festzustellen, daß es wirksam und durchgreifend angewandt wird mit einem wirtschafts- und konjunkturpolitischen Instrumentarium befassen. Zu diesem konjunkturpolitischen Instrumentarium gehört auch das, was im Sachverständigengutachten niedergelegt ist, und das, was wir im Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung finden. Wir können dabei darauf aufmerksam machen — wie es heute morgen in der Rede des Herrn Bundeswirtschaftsministers deutlich wurde , daß wir ein bestimmtes, ja, ich möchte sagen, ein umfassendes einsatzbereites Instrumentarium zur Verfügung haben und diese Wirtschaft sehr wohl zu steuern in der Lage sind.
    Wenn wir auf das, was vor uns liegt, nämlich auf das Jahr 1971, mit einigen Bemerkungen eingehen dürfen, können wir zuerst einmal feststellen, daß das Sachverständigengutachten und der Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung in der Diagnose der konjunkturellen Situation im wesentlichen übereinstimmen. Mit Recht ist heute morgen darauf aufmerksam gemacht worden, daß das Jahr 1970 ein Jahr wirtschaftlicher Höchstleistungen gewesen ist. Dabei konnten vor allem durch ein beachtliches Wachstum der Vollbeschäftigung die Arbeitsplätze derart gesichert werden, wie dies kaum zuvor jemals der Fall gewesen ist.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Niemand leugnet oder übersieht, daß die Entwicklung des Preisauftriebs — wir haben es gehört: 3,8 % — laufend beobachtet und mit wirksamen Mitteln begrenzt worden ist. Auf alle Fälle konnte durch die praktizierte Wirtschafts- und Konjunkturpolitik eine konjunkturelle Normalisierung in der Bundesrepublik Deutschland erreicht werden.

    (Beifall bei der SPD.)

    Diese Feststellungen werden vom Sachverständigenrat — ich verweise auf Ziffer 179 des Sachverständigengutachtens — eindeutig bestätigt, der zugleich auch den aufgetretenen Vorgängen im einzelnen nachgeht, worauf wir jetzt nicht näher abheben wollen. Aber auch im Jahreswirtschaftsbericht wird dazu Stellung genommen, und es wird die von der Bundesregierung vertretene Konjunkturpolitik überzeugend erläutert.
    Meine Damen und Herren, es ist bemerkenswert, daß nunmehr, nachdem es im Verlauf des wirtschaftlichen Prozesses zu einer Normalisierung gekommen ist, nachdem für jeden erkennbar, eine Konjunkturnormalisierung eingetreten ist, die CDU/ CSU-Opposition in ein für sie peinliches Dilemma geraten ist. Noch im Herbst 1970 hat die Opposition jedes Zeichen einer konjunkturellen Normalisierung geleugnet. Sie hat zudem im November des vergangenen Jahres lautstark, aber ohne eigene konkrete Vorschläge weitere Bremsmaßnahmen gefordert. Jetzt aber fühlt sie sich bemüßigt, vor einer Rezession, vor einer Arbeitslosigkeit und vor einer
    durchschlagenden Geldentwertung zu warnen, wofür sie gern den Ausdruck „Stagflation" gebraucht. Ich erinnere daran, daß Herr Dr. Stoltenberg diesen Ausdruck sehr wohl gebraucht hat und, wie ich glaube, damit zur Gruppe derer gehört, die weiter den Verunsicherungsprozeß betreiben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren, das ist nicht nur ein peinliches Dilemma, sondern auch eine Taktik, die beweist, wie wenig es der Opposition um sachbezogene Kritik geht und wie sehr es ihr darauf anzukommen scheint, den eingeschlagenen Weg der Verunsicherung fortzusetzen und weiter Unruhe zu nähren.
    Meine Damen und Herren, ich möchte noch auf einen Punkt der Rede von Herrn Dr. Müller-Hermann eingehen, um dies an dieser Stelle abzusichern. Herr Dr. Müller-Hermann hat davon gesprochen, das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz müsse vervollkommnet werden. Ich erinnere zuerst einmal daran, daß eine solche gesetzliche Grundlage einer wirksamen Konjunkturpolitik überhaupt erst durch sozialdemokratische Initiative ermöglicht worden ist.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir sind — das möchte ich Ihnen, Herr Dr. Müller-Hermann, zu Ihrem Trost sagen — bereit und willens, ja, wir sind schon an der Arbeit, derartige Dinge zu überdenken und zu überlegen.

    (Abg. Windelen: Das ist doch objektiv falsch, Herr Kollege! — Abg. Dr. Stoltenberg: Er weiß das gar nicht! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren, ich mache darauf aufmerksam, daß im Zusammenhang mit all den Versuchen der Verunsicherung und zu all dem, was hier gegen die Wirtschafts- und Konjunkturpolitik vorgebracht worden ist, gesagt werden kann und muß, daß die Bundesregierung eine eindeutige Position einnimmt, aus der eine klare Einstellung vor allem zur Wirtschafts- und Konjunkturpolitik für das Jahr 1971 resultiert. Ihre Haltung ergibt sich auch aus ihrer Jahresprojektion, die den erklärten Zielen eines weiteren angemessenen wirtschaftlichen Wachstums bei hohem Beschäftigungsstand und vor allem einer Verminderung des Preisauftriebs entspricht. In dieser Jahresprojektion ist wesentlich, daß das nominale Bruttosozialprodukt mit plus 7 1/2 bis 8 1/2% veranschlagt wird, wobei eine Arbeitslosenquote zugrunde gelegt wird, die sich auch 1971 unter 1 % hält. Die projektierte Preisentwicklung wird mit rund plus 3 % angegeben, woraus sichtbar wird, mit welchem Nachdruck die Bundesregierung den von ihr eingeschlagenen Kurs zur Stabilität des Geldwertes verfolgt.

    (Abg. Dr. Stoltenberg: Zu spät!)

    Es wird von jedem sachlich denkenden Beurteiler zugegeben werden, daß bei dem genannten Wachstum das vorgesehene Einspielen auf 3 % einen beachtlichen Schritt darstellt, um zu einer entwicklungsadäquaten Stabilität des Geldwertes zu gelangen. Wir wollen dabei nie vergessen, daß wir im internationalen Verband stehen und daß wir



    Dr. Schachtschabel
    auch gewisse Wirkungen von draußen mit zu verkraften haben.

    (Abg. Ott: Das war 20 Jahre der Fall!)

    Es ist klar, daß, wie es auch in Ziffer 37 des Jahreswirtschaftsberichtes ausgedrückt wird, niemand eine absolut gesicherte Aussage darüber machen kann, wie schnell der Prozeß der konjunkturellen Entspannung fortschreiten wird. Sicher ist aber, daß in dieser Situation den preis- und lohnpolitischen Entscheidungen ausschlaggebende Bedeutung zuzumessen ist. In der Tat kann angenommen werden, daß dann, wenn die autonomen Gruppen die von der Bundesregierung vertretenen Orientierungsdaten zur Grundlage ihrer Entscheidungen machen, das Risiko des Zielkonflikts zwischen Preisstabilität und hohem Beschäftigungsstand minimiert oder sogar völlig ausgeschaltet zu werden vermag. Deshalb ist es erfreulich und auch dankbar zu vermerken — wir sagen: dankbar zu vermerken —, daß die Bundesregierung am 22. Oktober 1970 Orientierungsdaten im Sinne des § 3 des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachtums der Wirtschaft beschlossen hat ich zitiere wörtlich -, „die diese gesamtwirtschaftlichen Zusammenhänge und Notwendigkeiten für 1971 aufzeigen, ohne die Entscheidungsfreiheit der am Wirtschaftsprozeß Beteiligten anzutasten".
    Das bedeutet die volle Beibehaltung marktwirtschaftlicher Prinzipien, das bedeutet volle Tarifautonomie und das bedeutet schließlich auch die völlige Ablehnung preisdirigistischer Maßnahmen. Das verlangt aber auch konjunkturkonformes Verhalten der autonomen Gruppen, wobei die Orientierungsdaten als Entscheidungshilfen im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung und als Grundlage gesamtwirtschaftlicher Verantwortung zu verstehen sind. Das gilt gleichermaßen für die Unternehmerschaft wie für die Organisationen der Arbeitnehmerschaft.
    Wenn wir noch einen für die kommende Entwicklung des Jahres 1971 wesentlichen Punkt nennen dürfen, dann können wir sagen, daß neben dem damit eben angesprochenen Ziel der Stabilität im Sinne der Sicherung des Geldwertes das Ziel des Wachstums sowie der Sicherung der Vollbeschäftigung eine ausschlaggebende Rolle spielt. Es ist bekannt, daß für die Erreichung der Ziele die Investitionen bzw. die Investitionsneigungen eine maßgebliche Bedeutung besitzen. Im Jahreswirtschaftsbericht — ich verweise auf Ziffer 39 — wird angenommen, daß sich die Investitionsentwicklung 1971 deutlich verlangsamen wird, wobei festgestellt ist, daß die Investitionsgüternachfrage bereits seit einigen Monaten rückläufig ist.
    Wenn berücksichtigt wird, daß die bereits erwähnten Investitionserleichterungen — Senkung der Investitionssteuer am 1. Januar 1971 um erstmals 2 % sowie Rücknahme der Aussetzung der degressiven Abscheibung in die Berechnung der Orientierungsdaten bereits einbezogen sind, so werden die Investitionsplanungen im Jahre 1971 eine Steigerung der nominalen Anlageinvestitionen um etwa 5 % bewirken. Diese Steigerungsrate bedeutet aber infolge der Preisentwicklung real, daß die industriellen Investitionen 1971 kaum noch zunehmen werden.
    Nur der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, daß für die Investitionsausgaben des gesamten Unternehmersektors ohne Wohnungsbau, von denen etwa ein Viertel auf die Industrie entfällt, mit einer etwas höheren Zunahme gerechnet wird. Es wird mit plus 6 bis plus 8 % gerechnet.
    Schließlich werden nach den Angaben der Bundesregierung die Ausgaben für den Wohnungsbau voraussichtlich nicht mehr so stark expandieren wie im Vorjahr. Trotzdem werden die Wohnungsbauinvestitionen 1971 real stärker als im Vorjahr zunehmen.
    Für die von der Bundesregierung vertretene Wirtschafts- und Konjunkturpolitik ist es klar, daß dann, wenn eine rückläufige Investitionsneigung im unternehmerischen Bereich konjunkturell gravierend werden sollte, die öffentlichen Investitionen nachhaltig zu steigern sind, um durch die sich ausbreitenden rezessiven Tendenzen nicht die Ziele der Verstetigung des Wachstums und der Vollbeschäftigung gefährden zu lassen.
    An dieser Stelle sei noch einmal vermerkt und der Klärung wegen hervorgehoben: das sind Möglichkeiten und Instrumente, die effizient eingesetzt werden können, von denen in der vergangenen Zeit aber nicht einmal die Rede gewesen ist.
    Meine Damen und Herren, auf den Fall, diese Mittel einsetzen zu können und einsetzen zu müssen, ist die Bundesregierung vorbereitet. Auch der Konjunkturrat für die öffentliche Hand hat die Jahresprojektion 1971 der Bundesregierung gebilligt und ist zu der Feststellung gelangt, daß die gegenwärtigen Ausgabeplanungen in Bund und Ländern den konjunkturpolitischen Erfordernissen entsprechen. Da eine prozyklische Ausgabenpolitik der öffentlichen Hand verhindert werden muß, wie ausdrücklich betont wird, so müssen die vorgesehenen Zunahmen der öffentlichen Investitionen seitens des Bundes, der Länder und auch der Gemeinden gesichert werden. Über die Möglichkeiten des Bundes und der Länder besteht Klarheit. Wir haben auf die prinzipiell zur Verfügung stehende finanzielle Manövriermasse aufmerksam gemacht.
    Nicht ganz so einfach sind die Verhältnisse für den kommunalen Bereich; ich bin dankbar, daß darauf eingegangen worden ist. Dazu in aller Kürze noch ein paar Hinweise. Durch die Finanzreform sind die Gemeindefinanzen im Jahre 1970 um 2,2 Milliarden DM ohne Stadtstaaten oder um 2,8 Milliarden DM mit Stadtstaaten verstärkt worden. Wenn ferner die durch die vorausgenommenen Gewerbesteuerbeträge eingegangenen Mehreinnahmen berücksichtigt werden — abgesehen von verschiedenen anderen bei der Berechnung erforderlichen Umrechnungen —, so beläuft sich der für 1970 anzunehmende Betrag der Verstärkung der Gemeindefinanzen durch die Gemeindefinanzreform
    auf 3,2 Milliarden DM. Allerdings das ist die
    gravierende Situation stehen diesen Verbesse-



    Dr. Schachtschabel
    rungen Kostensteigerungen im Personalsektor wie bei den Investitionen gegenüber.
    Ich will auf Einzelheiten nicht eingehen, begrüße es aber, daß man hier auf diese sehr beachtenswerte und durchaus zu überlegende Situation eingegangen ist. Denn nach dem Jahreswirtschaftsbericht 1971 hat die Bundesregierung ein Wachstum der Gesamtausgaben in Höhe von rund 11 1/2 % veranschlagt; ich verweise auf die Ziffern 56 ff. Danach würde sich im Jahre 1971 ein Nettofinanzierungsdefizit von rund 4 Milliarden DM ergeben. Diese Entwicklung - das wollen wir ganz offen aussprechen - kann aus heutiger Sicht durchaus als realistisch bezeichnet werden. Auf der anderen Seite steht das Problem an, zu dieser Situation ernsthaft Stellung zu nehmen. Auch in diesem Zusammenhang sind Vorbereitungen getroffen worden. So ist zur Behandlung der mit der erforderlichen Entwicklung der öffentlichen Investitionen zusammenhängenden Probleme eine Arbeitsgruppe des Konjunkturrates gebildet worden.
    Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, wegen der abgelaufenen Zeit abschließen. Aus der gekennzeichneten Situation wird klar, daß die Bundesregierung für 1971, weil wir auch den Blick in die Zukunft richten müssen, eine höchst aufmerksame Position bezogen hat. Sie vertritt durchaus zu Recht eine flexible Konjunkturpolitik, wofür ihr nicht nur eine Vielzahl konjunkturpolitischer Maßnahmen, sondern auch eine finanzielle Manövriermasse von jetzt etwa 5,6 Milliarden DM, maximal sogar von mehr als 8 Milliarden DM zur Verfügung stehen. Sie wird ihre konjunkturpolitischen Möglichkeiten zeitgerecht realisieren - dessen kann die Opposition sicher sein , so daß das Gerede und das Gemauschle über eine sogenannte Stagflation völlig gegenstandslos ist.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wenn die Opposition ihre stagflatorischen Auffassungen weiterhin laut werden läßt, so braucht sie sich nicht zu wundern, daß ihr ein höchst unverantwortliches und höchst gefährliches Verhalten angelastet werden muß.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)