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    Deutscher Bundestag 95. Sitzung Bonn, Dienstag, den 2. Februar 1971 Inhalt: Glückwunsch zum Geburtstag des Abg. Rösing 5193 A Wahl des Abg. Dr. Arndt (Berlin) als Mitglied des Europäischen Parlaments . . 5193 A Amtliche Mitteilungen 5193 B Beratung des Jahresgutachtens 1970 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (Drucksache VI/1470) in Verbindung mit Beratung des Jahreswirtschaftsberichts 1971 der Bundesregierung (Drucksache VI/1760) Dr. Schiller, Bundesminister 5194 B, 5242 B Dr. Müller-Hermann (CDU/CSU) . 5201 D Junghans (SPD) 5209 B Kienbaum (FDP) 5215 D Brandt, Bundeskanzler . . . . . 5218 D Dr. Stoltenberg (CDU/CSU) . . . 5223 D Dr. Schachtschabel (SPD) . . . . 5226 C Mertes (FDP) . . . . . . . . 5229 B Dr. Pohle (CDU/CSU) 5233 B Kater (SPD) . . . . . . . . . 5239 A Höcherl (CDU/CSU) . . . . . . . 5250 B Dr. Arndt (Berlin) (SPD) . . . . . 5253 C Graaff (FDP) . . . . . . . . . 5257 A Breidbach (CDU/CSU) . . . . . 5258 A Lenders (SPD) . . . . . . . . . 5261 B Dr. Burgbacher (CDU/CSU) . . . . 5263 D Kirst (FDP) . . . . . . . . . . 5264 C Nächste Sitzung . . . . . . . . . • 5266 D Anlagen Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 5267 A Anlage 2 Entschließung des Bundesrates zu dem vom Bundestag verabschiedeten Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen . . . . . . . . . 5267 C Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Februar 1971 95. Sitzung Bonn, den 2. Februar 1971 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung 93. Sitzung, Seite 5048 A, Zeile 13: Der Zuruf des Abgeordneten Reddemann ist zu streichen. Dafür ist einzusetzen: (Zuruf von der CDU/CSU.) 93. Sitzung, Seite 5050 C, Zeile 10: Zwischen den Wörtern „fest" und „in" ist einzufügen: (Abg. Reddemann: Mit beiden Beinen fest in der Luft!) Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Aigner * 5. 2. Dr. Apel 2. 2. Dr. Artzinger * 2. 2. Bühling 28. 2. Becker (Pirmasens) 5. 2, Dasch 5. 4. Frau Dr. Diemer-Nicolaus 2. 2. Dr. Dollinger 23. 2. Dröscher * 3. 2. Dr. Furler 2. 2. Gerlach (Emsland) * 2. 2. Dr. Götz 28. 2. Dr. Jungmann 15. 2. Dr. Kiesinger 5. 2. Klinker * 3. 2. Dr. Koch * 4. 2. Kriedemann * 5. 2. Frhr. von Kühlmann-Stumm 2. 2. Dr. Löhr * 2. 2. Maucher 12. 2. Memmel * 5. 2. Müller (Aachen-Land) * 4. 2. Frau Dr. Orth * 3. 2. Pfeifer 5. 2. Rasner 12. 2. Richarts * 3. 2. Schmitz (Berlin) 5. 2. Saxowski 2. 2. Susset 2. 2. Stücklen 2. 2. v. Thadden 6. 2. Wiefel 26. 2. * Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Der Präsident des Bundesrates Bonn, den 29. Januar 1971 An. den Herrn Bundeskanzler Bonn Der Bundesrat hat in seiner 361. Sitzung am 29. Januar 1971 beschlossen, dem vom Deutschen Bundestag am 9. Dezember 1970 verabschiedeten Gesetz über die Entschädigung für Straf- verfolgungsmaßnahmen (StrEG) gemäß Artikel 84 Abs. 1 des Grundgesetzes zuzustimmen. Der Bundesrat hat außerdem die nachstehende Stellungnahme beschlossen: Zu § 14 Abs. 1 geht der Bundesrat davon aus, daß der Eröffnung des Hauptverfahrens der Erlaß eines Strafbefehls, einer Strafverfügung oder eines Bußgeldbescheids gleichsteht. Dr. Röder Vizepräsident Bonn, den 29. Januar 1971 An den Herrn Präsidenten des Deutschen Bundestages Bonn Vorstehende Abschrift wird auf Ihr Schreiben vom 22. Dezember 1970 mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt. Dr. Räder Vizepräsident
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    Wir sprechen uns nachher weiter, Herr Höcherl; haben Sie keine Angst!

    (Abg. Höcherl: Im Februar 1970 wollten Sie, durften Sie aber nicht!)

    — Herr Höcherl, ich frage nur immer: Was haben Sie in dieser Zeit gemacht?

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sie waren in der Regierung!)

    — Es ist mehrfach von mir gefragt worden: Wie halten Sie es damit? Aber lassen wir es. Wir werden uns nachher weiter darüber unterhalten.

    (Abg. Höcherl: Wollten Sie nicht im Februar steuern? Da durften Sie nicht! — Lachen bei den Regierungsparteien.)

    - Herr Höcherl, was ereifern Sie sich zu so früher Morgenstunde? Sie kommen doch nachher dran! Herr Höcherl, nehmen Sie entgegen und zur Kenntnist, daß der allgemeine Normalisierungsprozeß eingeleitet ist,

    (Abg. Höcherl: Zu spät!)

    und der sollte auch bei Ihnen eintreten.

    (Erneuter Zuruf des Abg. Höcherl. Abg. Mertes: Da soll noch einer reden können, bei dem Theater, das Sie machen!)

    — Herr Höcherl, haben Sie kein gutes Frühstück gehabt?
    Seit Monaten entspannt sich die Lage, ohne daß dabei von einem Absturz der Konjunktur die Rede sein kann. Die Auftragseingänge der jüngsten Zeit beweisen das. Dies ist auch ein Erfolg unserer ausgewogenen Stabilisierungsmaßnahmen.
    Aber wir wissen auch, mit dem Umschwung in der Konjunkturentwicklung trat ebenfalls eine andere Qualität der Konjunktur in Erscheinung. Waren die Preissteigerungen ursprünglich nachfragebedingt, so wurden sie nun mehr und mehr kostenbedingt. Daraus ergeben sich einige Grundlinien für die weiteren Strategien der Konjunkturpolitik im Jahre 1971.
    Als erstes kann ich für 1971 folgendes erklären. Die Bundesregierung hält an ihrem Stabilitätskurs fest. Sie wird ihn unbeirrt fortsetzen. Angesichts des immer noch vorhandenen Kostendrucks müssen wir nach wie vor versuchen, die Spielräume für Preiserhöhungen einzuengen. Ein „Durchstarten" mit Hilfe von stärkeren Maßnahmen zur Nachfrageexpansion würde nur bedeuten, daß die Kosten- und Preiserhöhungstendenzen noch zusätzliche Nahrung erhielten. Zugleich wollen wir verhindern, daß Wachstum und Investitionen zu weit zurückgehen. Deswegen hat die Bundesregierung für das Jahr
    1971 eine Zielkombination der mittleren Linie formuliert: ein weiteres Wachstum des realen Sozialprodukts um 3 bis 4 % bei einer Arbeitslosenquote unter 1 % ein Abbau der Preissteigerungen beim privaten Verbrauch auf 3 % und die Beibehaltung des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts. Auch diese Zielvorstellung unterscheidet sich noch von einer theoretisch möglichen Optimalkombination. Die im Jahreswirtsaftsbericht vorgelegte Projektion ist vielmehr die realistische Perspektive einer schrittweisen Annäherung an das Gleichgewicht.
    Diese Zielvorstellung stimmt voll mit den Orientierungsdaten der Bundesregierung vom 22. Oktober 1970 überein. Um es gleich zu sagen, niemand von uns will die Preispolitik oder die Lohnpolitik zum Prügelknaben der Konjunkturpolitik machen. Aber wir befinden uns jetzt tatsächlich in einer Konjunkturphase, in welcher das preispolitische Verhalten der Unternehmer und die lohnpolitischen Entscheidungen der Tarifvertragsparteien ein ganz besonderes Gewicht haben. Die Ziele, die wir uns für 1971 gesteckt haben, können nur Wirklichkeit werden, wenn sich alle am Wirtschaftsprozeß Beteiligten an unseren Wegweisern und Warntafeln ohne Verzögerung orientieren.
    Immer noch haben wir es mit den Spuren der vergangenen Entwicklung zu tun. Die Versuchung, den Verteilungskampf fortzuführen, ist nicht gering. Sie kommt zum Ausdruck in der Ankündigung von Preiserhöhungen, die gegen den Markt und gegen die voraussichtliche Nachfrageentwicklung gerichtet sind. Verbandsvorsitzende, die etwa im Bereich von bestimmten Konsumgütern öffentlich Preissteigerungen für das ganze Jahr von bis zu 8 % für möglich oder angebracht halten, bringen ihren Branchen keinen Nutzen. Sie rühren an die Grenzen des marktwirtschaftlichen Prozesses. Dieser richtet sich nicht nach bestimmten Preisempfehlungen, sondern nach den Regeln des Wettbewerbs. Aber vor allem widersprechen solche Empfehlungen für ganze Branchen jedem stabilitätsgerechten Verhalten. Die gleiche Versuchung äußert sich in einigen veröffentlichten Lohnforderungen, die eher in der Nähe der Zunahmen von 1970 als in der Nähe der Orientierungsdaten der Bundesregierung liegen. Dabei weiß doch jeder, der große Schluck aus der Pulle im Jahre 1970 läßt sich nicht wiederholen. Ich verweise da mit besonderer Genugtuung auf die Zielprojektionen des Deutschen Gewerkschaftsbundes und der Unternehmerverbände, die beide im Jahreswirtschaftsbericht dargestellt sind. Sie stimmen mit denen der Bundesregierung sehr weitgehend überein. Alle drei bringen doch zum Ausdruck, wir alle wollen die englische Krankheit nicht haben.
    Die Bundesregierung hat sich nicht gescheut, in ihrem Jahreswirtschaftsbericht die Konsequenzen eines von den Orientierungsdaten abweichenden Verhaltens der Marktparteien in einer „ungünstigen Alternative" (Ziffer 61) deutlich zu beschreiben: ein stärkerer Preisanstieg für den privaten Verbrauch von etwa 4 % sowie weniger reales Wachsturn bis hin zur Gefährdung der Arbeitsplätze. Niemand kann jetzt sagen, er habe von solchen Gefahren nichts gewußt. In der Tat, wenn wir unsere Kräfte



    Bundesminister Dr. Schiller
    im Verteilungskampf erschöpfen, bei dem in der jetzigen Situation per Saldo nichts herauskommen kann, verpassen wir die Chance des Wohlstandszuwachses für alle. Der inflationäre Infekt würde hartnäckig bleiben, und dies um so mehr, als auch 1971 der Einfluß der Außenwirtschaft auf unsere Binnenkonjunktur wirksam sein wird. Denn auch jetzt leben wir natürlich nicht in einem „isolierten Staat". Wir werden ohnehin bei unserer Politik, genauso wie im vergangenen Jahr, die Einflüsse der internationalen Konjunktur auf die Entwicklung in unserem Land sorgfältig beachten müssen.
    Das Bild der Weltkonjunktur wird sich im Jahre 1971 von der Wirtschaftslage, die im Jahre 1970 größtenteils vorherrschte, deutlich abheben: hier eine Belebung des wirtschaftlichen Wachstums in den Vereinigten Staaten, in Kanada und in Großbritannien und dort voraussichtlich eine Verlangsamung der Expansion, so vor allem in der Europäischen Gemeinschaft, im übrigen Kontinentaleuropa sowie in Japan. Nach der dynamischen Entwicklung im hinter uns liegenden Jahr wird der Welthandel etwas langsamer zunehmen; er wird aber durch die zu Beginn dieses Jahres wirksam gewordene Zollsenkung im Rahmen der Kennedy-Runde einen neuen Impuls erhalten. Dieser Impuls sollte nicht durch protektionistische Maßnahmen wichtiger Welthandelsländer zunichte gemacht werden.
    Die Preisentwicklung wird international immer noch recht angespannt sein. Sie könnte jedoch in der Europäischen Gemeinschaft insgesamt und auch in den meisten Partnerländern dieser Gemeinschaft ihren Höhepunkt überschritten haben. Dort wie bei uns, überall kommt es nun darauf an, die der realen Konjunktur hinterherlaufenden Kostensteigerungen zu begrenzen und die Überwälzungsmöglichkeiten zu beschneiden.
    Für die deutsche Wirtschaft bedeutet die internationale Umgebung, daß sie 1971 neben Märkten, auf denen das Geschäft schwerer wird, auch Märkte mit wachsender Nachfrage finden wird. Sie wird sich ihre Wettbewerbsposition dabei um so besser erhalten können, je schneller sie für entspannte Verhältnisse im eigenen Haus sorgt.
    Die staatliche Wirtschaftspolitik wird — auch im Zeichen der hoffentlich nahenden Wirtschafts- und Währungsunion — die Bemühungen um die Begrenzung des Preis- und Kostenanstiegs in Europa unterstützen. Weniger als 1970 — damals mit dem Rükkenwind der Aufwertung — können wir freilich 1971 inflatorische Einflüsse aus dem Ausland von uns fernhalten. Noch mehr als 1970 gilt daher: Stabilität beginnt zu Hause. Dabei ist der von uns in der Jahresprojektion vorgezeichnete Weg eng; er ist ein schmaler Mittelweg. Aber er ist weder ein Weg der „einkalkulierten Inflation" noch. ein Weg der „gewollten Rezession".

    (Beifall bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, unser klarer Stabilitätskurs für 1971 ist nur möglich, wenn zugleich volle Handlungsfreiheit für die Konjunkturpolitik gegeben ist. Die Politik muß in der Lage sein, jederzeit dann rasch und wirksam einzugreifen, wenn
    die Normalisierung der Nachfrage und der Beschäftigung das angestrebte Maß überschreiten sollte. Neben der Preisstabilität werden in der Tat auch andere Ziele, wie Verstetigung der Investitionen, hoher Beschäftigungsgrad und angemessenes Wachstum, in den Vordergrund der wirtschaftspolitischen Aufmerksamkeit rücken. Aber die Maßnahmen des vergangenen Jahres schaffen dabei für uns auch eine günstige Ausgangslage für ein elestisches Handeln in diesem Jahr. Fünf Maßnahmengruppen sind in diesem Jahr möglich und vorgezeichnet; wir haben sie in Ziffer 68 des Jahreswirtschaftsberichts wertfrei dargestellt.
    Die öffentlichen Haushalte sind mit einer Zuwachsrate von mehr als 12 % konjunkturgerecht. Alle Sachverständigen sind da einer Meinung. Der politische Theaterdonner, der im letzten Sommer in dieser Angelegenheit veranstaltet wurde, ist verhallt. Der Rest ist Schweigen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Unruhe bei der CDU/CSU.)

    — Der Rest ist Schweigen, wie Figura zeigt.
    Die Beschlüsse der Bundesregierung vorn 17. Januar haben dabei die weiter erforderliche Klarheit geschaffen: keine Steuererhöhungen für 1971. Falls die geplanten Ausgaben nicht durch entsprechende Steuereinnahmen gedeckt werden können, wird eine vertretbare Erhöhung der Nettokreditverschuldung ins Auge gefaßt.
    Mit den Kon junkturausgleichsrücklagen und mit dem Konjunkturzuschlag verfügt die Bundesregierung im Augenblick über eine stattliche wirtschaftspolitische Reservemasse in Höhe von 5,6 Milliarden DM. Diese Reserve ist auf den Sonderkonten der Bundesbank eingesperrt und würde maximal, bei Erhebung des Konjunkturzuschlages bis zum gesetzlichen Endtermin, auf über 8 Milliarden DM anwachsen. — Meine Damen und Herren, das nenne ich eine „vorbeugende Konjunkturpolitik"!

    (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    Über Zeitpunkt, Kombination und Dosierung der tatsächlich zu ergreifenden Maßnahmen wird die Bundesregierung, entsprechend der Entwicklung und orientiert an den Zielvorstellungen, entscheiden. Sie wird hierzu auch die anderen verantwortlichen Stellen der staatlichen Wirtschaftspolitik, also besonders den Konjunkturrat und die autonomen Gruppen hören.
    Durch die Entwicklung selbst und durch das allen sichtbar angereicherte konjunkturpolitische Arsenal der Bundesregierung wird die Konzertierte Aktion einen verstärkten Resonanzboden haben. Die Bundesregierung wird sich bei ihren Entscheidungen oder Vorschlägen allein von den verfügbaren Indikatoren und Daten, vom Gesamtbild der Konjunktur, leiten lassen und nicht etwa von einseitigen Aspekten oder Emotionen.
    Aus heutiger Sicht ergeben sich für die Wirtschaftspolitik folgende Perspektiven.
    Erstens. Die fiskalpolitischen Bremsmaßnahmen aus dem Jahre 1970 sollen, soweit sie nicht schon



    Bundesminister Dr. Schiller
    programmgemäß beendet sind, zunächst weiter- und auslaufen, so wie das durch die Juli-Beschlüsse programmiert ist. Ein vorzeitiger Stopp des Konjunkturzuschlages wird unter den gegenwärtigen Bedingungen von keiner staatlichen Instanz und auch nicht vom Sachverständigenrat befürwortet oder erwogen. Auch steht eine Rückzahlung des Konjunkturzuschlages heute und hier unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht zur Diskussion.

    (Abg. Lemmrich: Wenn Landtagswahlen sind!)

    Ich habe Verständnis dafür, daß die Frage der vorzeitigen Beendigung und der vorzeitigen Rückzahlung des Konjunkturzuschlages in den letzten Wochen und Monaten auf die Opposition so appetitanregend wirkte wie eine Wurst im Schaufenster.

    (Heiterkeit bei den Regierungsparteien. — Lachen bei der CDU/CSU.)

    So hieß es im „Pinneberger Tageblatt" vom 24. Dezember, just zum Heiligen Abend 1970: „Die CDU fordert eine sofortige Beendigung des 10 %igen Konjunkturzuschlages zur Lohn- und Einkommensteuer." Aber Herr Müller-Hermann wurde am 5. Januar 1971 im „Deutschland-Union-Dienst" bedeutend staatsmännischer, als er sagte: „Es ist daher ... zu früh, den Konjunkturzuschlag sofort zu stoppen. Es ist jedoch an der Zeit, sich um den richtigen Zeitpunkt des Stopps Gedanken zu machen."

    (Lachen bei der SPD.)

    Herr Stoltenberg variierte diesen wirklich wegweisenden Beitrag von Herrn Müller-Hermann am 14. Januar 1971 folgendermaßen: „Die CDU fordert die Bundesregierung auf, jetzt zu entscheiden, wann eine vorzeitige Beendigung des Konjunkturzuschlages möglich ist,

    (Abg. Dr. Stoltenberg: „Ob" heißt es! — Abg. Dr. Müller-Hermann: Nun zitieren Sie mal Herrn Klaus Dieter Arndt!)

    da diese Maßnahme sich nach den Feststellungen des Sachverständigenrates als Fehlschlag erwiesen hat." — Nun, Herr Stoltenberg, was die Haltung des Sachverständigenrates zur Einführung des Konjunkturzuschlages betrifft, so brauche ich nur — und das müssen Sie auch lesen — auf das im Jahresband veröffentlichte Sondergutachten des Sachverständigenrates vom 9. Mai 1970 zu verweisen, in dem der Rat diese Maßnahme — übrigens auch mit Sozialgrenze für niedrige Einkommen — selbst vorgeschlagen hat.

    (Abg. Dr. Stoltenberg: Warum zitieren Sie nicht das letzte Gutachten, auf das ich verwiesen habe?)

    — Beide Gutachten sind im Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung - in der Ziffer 7 - zitiert und gegeneinander abgewogen. Da ist deutlich gesagt: Zum Zeitpunkt der Entscheidung hat dieser Sachverständigenrat aus wohlerwogenen Gründen diese Maßnahme selber vorgeschlagen — auch im Unterschied zu Ihnen.

    (Abg. Dr. Luda: Zweieinhalb Monate früher!)

    — Also, hören Sie mal: Entscheidungsprozeß! Ich bitte Sie! Er begann Anfang Mai, dann kamen die Juni- und Juli-Debatte, und Anfang Juli ist entschieden worden.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Da war Landtagswahl!)

    Aber die öffentliche Debatte über eine vorzeitige Entscheidung beim Konjunkturzuschlag, an der sich die Opposition draußen im Lande so fruchtbar und anregend beteiligt hat, hat auch ihren Vorteil gehabt. Der damit verbundene Lernprozeß hat es allen klargemacht — ich nehme an, auch den Damen und Herren der Opposition —: wie das Gesetz es befiehlt, wird die Bundesregierung den Konjunkturzuschlag zum konjunkturgerechten Zeitpunkt auf Heller und Pfennig zurückzahlen.

    (Abg. Dr. Müller-Hermann: Vor der nächsten Wahl!)

    — Den Endtermin sehen Sie im Gesetz; er ist dort festgehalten. Im übrigen werden wir — das werden wir Ihnen zeigen — diese Sache mit dem Konjunkturzuschlag ehrlich zu Ende bringen.

    (Lachen bei der CDU/CSU.)

    Wir werden ihn nicht verrechnen — etwa gegen eine Einkommensteuererhöhung oder überhaupt gegen eine direkte Steuererhöhung —, sondern wir werden ihn bar ins Haus zurückschaffen. Das ist unsere Haltung.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Lemmrich: Drei Monate vor der Bundestagswahl! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Konjunkturgerecht! Sie regen sich jetzt wieder so auf, wie Sie sich im Sommer 1970 über die Steigerungsrate eines kommenden, noch gar nicht existenten Haushalts aufgeregt haben. Das ist genau dasselbe. Nun warten Sie doch einmal ab, wann wir diese Entscheidungen treffen! Sie werden sich sicherlich freuen. Es wird eine Überraschung für Sie sein.

    (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Wann wir diese Entscheidungen für einen vorzeitigen Stopp oder für eine vorzeitige Rückzahlung

    (Hört! Hört! bei der CDU)

    des Konjunkturzuschlages treffen, meine Damen und Herren, das steht ganz konkret in Ziffer 70 des Jahreswirtschaftsberichts. Dort heißt es: „Wenn der private Verbrauch spürbar weniger expandiert als bisher", werden wir diese Maßnahme zur Stützung der Nachfrage ergreifen.
    Zweitens. Die verstärkten fiskalischen Dämpfungsmaßnahmen vom Juli und die Zinsentwicklung im Ausland haben es der Deutschen Bundesbank erlaubt, im zweiten Halbjahr 1970 den Diskont bisher dreimal um insgesamt 11/2 Prozentpunkte zu senken. Die Bundesbank sollte zum gegebenen Zeitpunkt diesen monetären Kurs fortsetzen. Die Entwicklung im Ausland erleichtert eine solche Politik. Binnenwirtschaftlich wird ein deutliches Reagieren der Bundesbank auf den Entspannungsprozeß in der



    Bundesminister Dr. Schiller
    Wirtschaft in dreifacher Sicht von Vorteil sein: erstens, um den in der Phase der hohen Zinsen aufgestauten Konsolidierungsbedarf kurzfristiger Kredite in der Wirtschaft zu decken; zweitens, um die Investitionsbereitschaft der Wirtschaft zu stabilisieren und um die mittelständische Wirtschaft zu entlasten, die sich in der Restriktionsphase weit weniger Liquidität aus dem Ausland beschaffen konnte als die Großunternehmen; drittens, um eine konjunkturgerechte Ausgabenpolitik aller Gebietskörperschaften, z. B. auf dem Gebiet des Wohnungsbaus und bei den kommunalen Investitionen, zu ermöglichen. Das wären die Vorteile einer solchen Politik.
    Die Bundesbank ihrerseits hat eine zusätzliche zins- und liquiditätspolitische Auflockerung oder Erleichterung an die Erwartung geknüpft, daß die Normalisierung der Wirtschaft sich stärker auf den Bereich der Löhne und der Preise erstrecken müsse. Wir haben dafür Verständnis. Auch der Sachverständigenrat hat in seinem Gutachten zur Geldpolitik ausdrücklich folgendes erklärt: Es „ ... wäre eine rasche und starke Zinssenkung seitens der Bundesbank spätestens dann angezeigt, wenn die Indikatoren der konjunkturellen Entwicklung ... die Tendenz, die unserer Prognose zugrunde liegt, einige Monate lang bekräftigt haben".
    Drittens. Meine Damen und Herren, in dieser Konstellation muß sich die Bundesregierung bemühen, ihre Orientierungsdaten als Kurszahlen der Stabilität im öffentlichen Bewußtsein zu verfestigen. Sie wird es damit auch der Bundesbank erleichtern, rechtzeitig ihre entsprechenden Entscheidungen zu treffen.
    Alle Teilnehmer der Konzertierten Aktion am 10. Dezember letzten Jahres haben die den Orientierungsdaten zugrunde liegenden wirtschaftlichen Ziele als wünschenswert und realisierbar bezeichnet. Die Bundesregierung hat dazu erklärt, daß Fortschritte in Richtung auf eine höhere Preisstabilität erreicht werden können, wenn sich unter anderem die effektiven Lohnsteigerungen im Jahresverlauf in einer Größenordnung von durchschnittlich 7 bis 8 % bewegen. Die Bruttoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen könnten dann gleichzeitig um 3 bis 4 % ansteigen. Solche Größen entsprächen der voraussichtlichen Entwicklung an den Warenmärkten und am Arbeitsmarkt. Sie würden auch dem Charakter des Jahres 1971 als Jahr des Übergangs zu einem besseren Gleichgewicht gerecht.
    Viertens. Hinter den Orientierungsdaten steht eine Wirtschaftspolitik, die den Unternehmern folgendes sagt.
    Die gegenwärtige Lage rechtfertigt keinen Konjunkturpessimismus. Es lohnt sich gerade 1971, alte Investitionen finanziell zu konsolidieren und neu zu investieren.
    Von den Unternehmern verlangen wir weiß Gott nicht karitative Preisgeschenke, sondern realistische Preisentscheidungen. Gerade in der Normalisierungsphase der Konjunktur können Preiserhöhungen einen unerwartet raschen Rückgang der Nachfrage bewirken. Damit würde einer befriedigenden
    Entwicklung der Unternehmergewinne im Jahre 1971 ebenso der Boden entzogen wie den dringend erforderlichen kostensenkenden Investitionen. Gerade die Unternehmer sollten in dieser Situation die Flagge der Marktwirtschaft zeigen. Gerade bei weichender Nachfrage erhält der Leistungswettbewerb eine besondere Bedeutung. Eine offen oder stillschweigend nach oben koordinierte Preispolitik der Unternehmer könnte ihre Situation allenfalls für kurze Frist verbessern. Schon bald würde eine solche Politik der Koordinierung der Preise nach oben niemandem nützen und allen schaden, weil sie die marktwirtschaftliche Anpassung an die neue Konjunkturlage verzögert oder erschwert.
    Die Unternehmer sollten auch zur Kenntnis nehmen, daß es in der Regierungserklärung von Bundeskanzler Brandt vom 28. Oktober 1969 wörtlich folgendermaßen heißt:
    Auf Dauer können Stabilität und Wachstum nur in einer funktionsfähigen marktwirtschaftlichen Ordnung erreicht werden.
    Diese Verpflichtung auf die Marktwirtschaft, Herr Höcherl, gilt also nicht nur für einige dafür besonders zuständige Kabinettsmitglieder, sondern diese Verpflichtung auf die Marktwirtschaft wird von der ganzen Bundesregierung als Richtschnur ihres Handeins angesehen.

    (Abg. Höcherl: Das kann man nur hoffen! — Abg. Dr. Althammer: Das war früher selbstverständlich, Herr Minister!)

    — Bei dem, was wir von Ihrer Seite hören, fühlen wir uns manchmal darin ermutigt, für die Marktwirtschaft auch nach Ihrer Seite hin einzutreten.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU.)

    - Jetzt redet der griechische Chor aber arg durcheinander, Herr Stoltenberg.
    Fünftens. Den Arbeitnehmern und den Gewerkschaften raten wir in dieser Konjunkturphase folgendes. Eine Normalisierung und Verstetigung des privaten Verbrauchs ist am Platze. Niemand sollte aus Furcht vor anhaltenden Preissteigerungen zukünftigen Konsum ohne Not in die Gegenwart vorverlegen. Das Sparerverhalten hat sich gegen Ende des Jahres erfreulicherweise stabilisiert. Die Börsenentwicklung profitiert davon. Und als Meinungsbarometer spiegelt sich in den Börsenkursen auch gestärktes Vertrauen wider, Vertrauen darauf, daß Bundesregierung und Bundesbank die Dinge stärker im Griff haben. Das ist der Grund.

    (Abg. Dr. Müller-Hermann: 1970 minus 30 %!)

    — Wir sind jetzt ein bißchen weiter. Sie sind nicht à jour.

    (Abg. Dr. Stoltenberg: Minus 28 %!)

    Auch die Tarifpolitik sollte sich 1971 realistischen Maßstäben nähern. Und alle Erfahrungen der Vergangenheit haben gezeigt, daß eine expansive Nominallohnpolitik, der eine Preissteigerung auf den Fersen ist, auf mittlere Frist nur wenig Erfolg für eine reale Veränderung der Einkommensverteilung ver-



    Bundesminister Dr. Schiller
    spricht. Wenn sich die Lohnentwicklung jetzt und in Zukunft den Orientierungsgrößen sichtbar annähert, ist die Chance dafür gegeben, daß sich das nun erreichte hohe Nominallohnniveau auch in entsprechenden zukünftigen Realeinkommen niederschlägt.
    Auch die Arbeiter und Angestellten haben ein Eigeninteresse am vollen Funktionieren des marktwirtschaftlichen Prozesses. Denn nur in diesem System können wir jenes Maß an leistungssteigernden Investitionen erwarten, das für neue und bessere Arbeitsplätze, für eine nachhaltige Verbesserung der Individualeinkommen und für ein Mehrangebot an öffentlichen Leistungen auf allen Gebieten der Infrastruktur unerläßlich ist.

    (Abg. Dr. Stark [Nürtingen] : Sagen Sie das einmal Herrn Steffens!)

    — Nun, gerade für eine aktive Infrastrukturpolitik auf der Basis eines stetigen wirtschaftlichen Wachstums ist er sehr. So ist es.
    In dieser Lage der Konjunktur müssen wir Risiko und Chance sorgsam abwägen. Das akute Risiko der gegenwärtigen Konjunktursituation liegt in der Erwartung weiter steigender Preise und in der Fortdauer des Kostendrucks.

    (Abg. Dr. Müller-Hermann: Sehr richtig!)

    Wenn in einer Gesellschaft der Glaube an die Unvermeidbarkeit von Preissteigerungen als Folge von früheren Lohnerhöhungen in ein bestimmtes Stadium getreten ist und sich weit ausgebreitet hat, so kann es zu einem Perpetuum mobile von Preis- und Lohnsteigerungen kommen. Wir halten dagegen weitere Preis- und Kostensteigerungen nicht für unvermeidbar, und wir werden unseren Kampf gegen die Inflationsmentalität nicht aufgeben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Lachen und Zurufe bei der CDU/CSU.)

    - Zu dem Kampf gegen die Inflationsmentalität könnten Sie von der Opposition auch ein bißchen beitragen, wenn die Lage hier so realistisch eingeschätzt wird.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    Wir müssen dem Kostendruck auf zwei Wegen entgegenwirken: durch kostensenkende Investitionen und durch eine marktgerechte Lohnpolitik. Der technische Fortschritt muß ebenso zur Wirkung kommen wie eine konsequente Wettbewerbspolitik im Innern und nach außen. Es gibt in unserer freiheitlichen Ordnung und in dieser Konjunkturphase nur eine sehr schmale Wegstrecke, auf der hohe Beschäftigung und höhere Geldwertstabilität gleichzeitig zu haben sind. Wenn wir diesen Weg verfehlen, könnte die Alternative „Flucht in den Dirigismus" einerseits oder „stetige Erosion unserer Wohlstandsgesellschaft durch inflationäre Entwicklungen" andererseits heißen. Beide Alternativen wollen wir vermeiden, und beides werden wir vermeiden.
    Meine Damen und Herren, dies ist eine ernste Herausforderung an alle Kräfte in unserer Gesellschaft. Denn wir finden in der westlichen Industriewelt, in den zahlreichen Preis- und Lohnstopps auf
    der einen Seite und in den eruptiven gesellschaftlichen Auseinandersetzungen auf der anderen Seite, leider manche praktische Beispiele für die beiden unguten Möglichkeiten, die ich geschildert habe. Aber wir in der Bundesrepublik befinden uns da in einer sehr guten Lage, und das ist die große Chance für unsere weitere Stabilitätspolitik. Für uns ist die Wahl für den Weg des Gleichgewichts offen. Wir können frei optieren. Unsere autonomen Gruppen, die so viele Verdienste für die Stabilität unserer Gesellschaft haben, sind intakt. Unser Industrieapparat ist hochmodern und hocheffizient. Unser marktwirtschaftliches System funktioniert. Die kollektive Vernunft, wie sie sich etwa in der Konzertierten Aktion ausdrückt, ist in unserem Lande nicht aufgegeben.

    (Abg. Dr. Stark [Nürtingen] : Was könnte man da mit einer besseren Regierung erreichen!)

    Ja, unsere Bevölkerung hat einen sehr wachen Sinn dafür.

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)

    Sie wünscht nämlich, daß wir die Probleme durch gemeinsame Anstrengungen lösen. So sollte es allen, Staat und Gesellschaft, nicht schwerfallen, die Entscheidungen für den Weg zum Gleichgewicht, die Entscheidung für die Vernunft zu treffen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Haase [Kassel] : Aber nicht mit so einer Regierung!)



Rede von Kai-Uwe von Hassel
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Damit sind das Jahresgutachten
und der Jahreswirtschaftsbericht eingebracht. Ich danke dem Herrn Wirtschaftsminister.
Die Ausprache wird eröffnet mit dem ersten Sprecher, Herrn Dr. Müller-Hermann, für die CDU/CSU. Für ihn ist eine Redezeit von 50 Minuten angemeldet. Herr Dr. Müller-Hermann!

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    Rede von Dr. Ernst Müller-Hermann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mich wundert es nicht, daß die Rede des Herrn Bundeswirtschaftsministers bei der Koalition offenbar nur lustlos aufgenommen wurde.

    (Lachen bei den Regierungsparteien.)

    Sie enthielt leider mehr Polemik als konstruktive Gedanken.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Sie hat damit einiges über die Qualität der Regierungsarbeit ausgesagt.
    Trotzdem, meine Damen und Herren, soll der Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung durch uns eine differenzierte Beurteilung erfahren. Anzuerkennen ist, daß er im Gegensatz zum Bericht des Vorjahres sehr viel vorsichtiger formuliert ist. Auch zeigt er immerhin die Risiken auf, die in der gegenwärtigen und vor uns liegenden Konjunkturentwicklung enthalten sind, während Herr Schiller soeben versucht hat, ein Bild zu malen, das mit der Wirklichkeit teilweise wenig zu tun hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)




    Dr. Müller-Hermann
    Die CDU/CSU muß daher die Realitäten wieder etwas deutlicher werden lassen.

    (Zurufe von der SPD.)

    Meine Damen und Herren, der Bericht der Regierung und die Rede von Herrn Schiller können trotz aller Überheblichkeit so möchte ich sagen —, die der Herr Bundeswirtschaftsminister hier zur Schau getragen hat,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wie üblich!)

    nicht das Vertrauen vermitteln, daß die Bundesregierung in der Beurteilung der konjunkturpolitischen Landschaft und vor allem im Einsatz des Instrumentariums festen Boden unter den Füßen hätte. Der Bericht spiegelt vielmehr die ganze Unsicherheit der Bundesregierung wider. Was nützt, Herr Minister Schiller, das Kursbuch 1971, wenn sich die Züge nicht daran halten?

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Der Fahrplan der Regierungspolitik erinnert im Augenblick etwas mehr an die Flugtermine der Lufthansa in der gegenwärtigen Streikperiode.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die vielen unterschiedlichen Stimmen aus dem Regierungslager runden das Bild nur ab. Die Bundesregierung macht den Eindruck eines Blinden, der sich ohne festen Halt über eine Schnellverkehrsstraße tastet und sich nun darauf verlassen muß, daß er von wohlwollenden Passanten an die Hand genommen wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU, — Zurufe von der SPD.)

    Und die bange Frage drängt sich auf: Wird er die andere Straßenseite auch sicher erreichen?
    Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist selbstverständlich bereit, in konstruktiver Weise bei der Lösung der wirtschaftspolitischen Probleme mitzuwirken.

    (Zurufe von der SPD.)

    Sie kann allerdings die Bundesregierung nicht aus ihrer Verantwortlichkeit entlassen; denn zum Tätigwerden ist nun einmal in erster Linie die Regierung aufgerufen. Sie ist im Besitz aller Informationen und aller Instrumente, über die die Opposition leider nicht verfügt.
    Es ist Gefahr im Verzuge, meine Damen und Herren, Gefahr nicht nur wie im vergangenen Jahr für die Stabilität des Geldwerts, sondern jetzt auch für die Arbeitsplätze und das Wachstum. Ich denke durchaus nicht daran, jetzt alles schwarz in schwarz zu malen; aber da, wo die Bundesregierung — ich möchte beinahe sagen: gewohnheitsmäßig — in Schönmalerei verfällt, ist es Pflicht der Opposition, die Dinge zurechtzurücken. Denn eine nüchterne Strategie setzt zunächst einmal eine nüchterne Analyse der Situation voraus. Ich muß daher einen Blick zurück tun, damit wir wissen, wo wir stehen.
    Ausgangspunkt aller Überlegungen ist die Tatsache, daß die Bundesregierung den Boom des vergangenen Jahres eben nicht in den Griff bekommen hat. Der Bundeswirtschaftsminister mußte in
    der Überkonjunktur vor Preissteigerungen von 4% kapitulieren; zugegeben: nicht in erster Linie durch seine Schuld, eher durch seine Schwäche, als er sich in einer zerrissenen und führungslosen Regierung nicht durchzusetzen vermochte.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die Folge davon ist der uns heute alle so bedrückende Zielkonflikt zwischen Stabilität und Vollbeschäftigung. Die Bundesregierung deutet in ihrem Jahreswirtschaftsbericht selbst an, daß sie im Bann dieses Zielkonflikts jeweils das eine gefährdet, wenn sie das andere anstrebt. Dazu hätte es nicht kommen dürfen und nicht zu kommen brauchen. Der schwerste Vorwurf, den sich diese Regierung gefallen lassen muß, ist, daß sie das Ziel der Preisstabilität sträflichst vernachlässigt, ja, daß sie die besondere Bedeutung der Preisstabilität für eine moderne, aufwärtsstrebende Industriegesellschaft und für ihr eigenes Großprojekt der inneren Reformen total verkannt hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Gewiß, meine Damen und Herren, kann man sein Gewissen mit internationalen Zahlenvergleichen beruhigen. Ich will hier durchaus nicht um Stellen hinter dem Komma streiten.

    (Abg. Dr. Stoltenberg: So schön sind die auch gar nicht!)

    Aber ich möchte einmal von dieser Regierung ein klares Wort hören, daß Inflationsraten wie die, mit denen wir jetzt leben müssen, zutiefst unsozial sind, die schwächsten Glieder der Gesellschaft am härtesten treffen,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    daß sie die Sachwertbesitzer begünstigen, die Staatsfinanzen in Unordnung bringen und einen ständigen volkswirtschaftlichen Auszehrungsprozeß zur Folge haben.

    (Abg. Dr. Althammer: Das sagt der Herr Schiller nur in Kopenhagen!)

    Meine Damen und Herren, ich möchte jetzt der Bundesregierung nicht so sehr vorwerfen, daß sie vor einem Jahr zu optimistische Stabilitätsprognosen vorgelegt hat, sondern daß sie sich auf ihre falschen Prognosen, offenbar zu ihrer eigenen Gewissensberuhigung, noch verlassen hat, als alle kundigen Thebaner wußten, daß sie überholt sind. Ich darf dafür einige Beispiele nennen.
    Im Jahreswirtschaftsbericht 1970 wurde der Preisanstieg beim privaten Verbrauch mit 3 % und der für die Inlandsnachfrage mit rund 4 % veranschlagt. Tatsächlich sind, wie wir wissen, die Lebenshaltungskosten im Jahresdurchschnitt um 3,8 % und die Preise bei der Inlandsnachfrage um 6,6 % angestiegen. Die Bundesregierung hat sich also um 30 bzw. 50 % verschätzt, und das war bereits im Frühjahr 1970 zu erkennen. Die Anlageinvestitionen sind in laufenden Preisen 1970 um rund 22 % gegenüber 1969 gewachsen. Der reale Zuwachs der Investitionen hat jedoch nur 9,8 %, bei den Bauten nur 5,2 % betragen. Das heißt, die Inflationsrate hat 1970 bei den Anlageinvestitionen insgesamt 12 und bei den



    Dr. Müller-Hermann
    ' Bauten allein rund 16 % ausgemacht. Auch dafür
    gab es im Frühjahr 1970 sehr deutliche Anzeichen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren, der Sachverständigenrat hat sehr zu Recht in seinem Gutachten darauf hingewiesen, daß sich die Bundesregierung bei ihren konjunkturpolitischen Maßnahmen allzusehr an dem für sie am günstigsten erscheinenden Indikator orientiert hat, nämlich am Lebenshaltungskostenindex. Typisch dafür war der bekannte Ausspruch des Herrn Bundeskanzlers: „Wenn die Preise über 4 % steigen, dann wird es ernst." Das war die von ihm für die Regierung ausgegebene Parole. Es ist fast müßig, heute darüber zu streiten, ob er sich von der mangelnden Sachkenntnis seiner Berater oder von der Angst vor der eigenen Courage hat leiten lasesn. Auf jeden Fall war es eine Ausflucht zu einer Zeit, als der Bundeswirtschaftsminister vielleicht gerade noch rechtzeitig die notwendigen Stabilisierungsmaßnahmen verlangte — und dann von seinem eigenen Bundeskanzler im Stich gelassen wurde.

    (Abg. Dr. Stark [Nürtingen]: Es waren ja Wahlen im Gange!)

    Auch heute, meine Damen und Herren, darf nicht der Lebenshaltungskostenindex, zumindest nicht er allein, der Indikator für die Beurteilung der Konjunktursituation sein. Die Gefahren gehen derzeit — wie bereits in den letzten Monaten — in erster Linie vom Kostendruck aus, der sich einerseits angesichts der immer noch großen Verbrauchernachfrage in einem weiteren Preisauftrieb auswirkt und der zum andern ein Nachlassen der Erträge und damit auch der zukünftigen Ertragserwartungen zur Folge hat. Mir scheint sogar, daß sich in dieser Lagebeurteilung Regierung und Opposition weitgehend einig sind. Die Opposition befürchtet allerdings eine nachhaltigere Strangulierung der Investitionsneigung und des Wirtschaftswachstums als die Regierung. Die Opposition muß der Regierung heute wie vor Jahresfrist vorhalten, daß sie die Gefahren, die von der Kostenentwicklung ausgehen, nicht nur nicht erkannt, sondern durch ihr eigenes Verhalten erst so recht heraufbeschworen hat.
    Lassen Sie mich die Verantwortung der Regierung für diese Kostenentwicklung an einigen Beispielen begründen!
    Der Herr Bundesfinanzminister hat sich in der Haushaltsgebarung durchaus nicht konjunkturgerecht verhalten, wie er es jetzt mit Hilfe der Gesamtausgaben für 1970 darzustellen versucht. Dieses Gesamtergebnis einer 7%igen Ausgabensteigerung wurde rein rechnerisch dadurch erreicht, daß die Mindereinnahmen am Jahresende den Finanzminister zu einer restriktiven Haushaltspolitik zwangen. Im Dezember 1970 wurden beispielsweise 19 % weniger ausgegeben als im Dezember des Vorjahres. Konjunkturpolitisch entscheidend war aber das erste Halbjahr, wo es Steigerungsraten von 11% und mehr gegeben hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Das zweite. Da diese Regierung als Gefangene ihrer Versprechungen eben das in ihrer Verantwortlichkeit liegende haushalts- und steuerpolitische Instrumentarium nicht zum rechten Zeitpunkt einsetzen wollte, blieb die ganze Last der antizyklischen Konjunkturpolitik weitgehend bei der Bundesbank, und ich füge hinzu: bis zu einem Zeitpunkt, wo es zumindest aus außenwirtschaftlichen Gründen längst an der Zeit gewesen wäre, seitens der Notenbank einen entgegengesetzten Kurs zu steuern. Die verhängnisvollen Folgen dieser einseitigen Konjunktursteuerungspolitik haben einige Teile der Wirtschaft mit besonderer Härte treffen müssen.
    Ich denke in erster Linie an die mittelständische Wirtschaft, die nicht in der Lage war, sich über Selbstfinanzierung oder über eine günstige Kapitalbeschaffung im Ausland liquiditätsmäßig zu versorgen. Was der Herr Bundeswirtschaftsminister jetzt mit seiner Novelle zum Kartellgesetz, die so häufig angekündigt wird, der mittelständischen Wirtschaft zu helfen vorgibt, das ist durch Substanzverzehr und übermäßige Verschuldung mit einem bisher nicht dagewesenen Zug zur Konzentration schon vielfach vorweg aufgewogen, meine Damen und Herren.
    Ich denke als zweites an den Baumarkt. Die Kostensteigerungen auf dem Bausektor und hier ganz besonders die hohen Kapitalkosten haben einen Preisschub bewirkt, an dem nicht nur der private Wohnungsbau, sondern mit Sicherheit alle Bereiche der Wirtschaft noch auf lange Zeit schwer zu knabbern haben werden.
    Als drittes möchte ich auf die verheerenden Folgen dieser Konjunkturpolitik für die Landwirtschaft hinweisen.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Gerade als ein Parlamentarier, den man sicherlich nicht zu dem Kreis der Agrarpolitiker rechnen darf, möchte ich hier auch im Namen meiner Fraktion erklären, daß man nicht einzig und allein der Landwirtschaft das Ausweichen in die Preise vorenthalten kann, das man, wenn auch gewiß zähneknirschend, allen anderen Bereichen der Wirtschaft zubilligt.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die landwirtschaftlichen Erzeugerpreise haben einen Tiefpunkt erreicht — ein Umstand übrigens, Herr Schiller, der Ihnen bei der Darstellung des Lebenshaltungskostenindex zugute gekommen ist —, während gleichzeitig die Kreditkosten, die Kosten für Löhne, Bauten, Maschinen, Reparaturen, davongelaufen sind.
    Sie werden sich, meine Herren auf der Regierungsbank, noch an die Debatte des vergangenen Jahres erinnern, als wir Sie vor billigen Taschenspielertricks mit den administrativen Preisen warnten. Mittlerweile hat sich erwiesen, daß die Bundesregierung dem Kostendruck auch bei den bundeseigenen Dienstleistungsunternehmen nachgeben und ganz erhebliche Tarifanhebungen genehmigen muß, weil eben die Gesetze des Marktes stärker sind als alle administrativen Klimmzüge.
    Die Bundesregierung kann bei den staatlich beeinflußten Preisen aber nun nicht mit zweierlei Maß messen, meine Damen und Herren. Die Maßnahmen zur Strukturverbesserung in der Landwirt-



    Dr. Müller-Hermann
    schaft allein sind eben kein Ersatz für preis- und marktwirtschaftliche Maßnahmen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir fordern die Bundesregierung mit allem Nachdruck auf, das Gesetz der sozialen Symmetrie nun auch für die Landwirtschaft gelten zu lassen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Natürlich wissen wir, daß die Bundesregierung die
    Höhe der Agrarpreise nicht allein bestimmen kann.

    (Aha! bei der SPD.)

    — Das werden Sie ja nicht bestreiten! - Um aus
    dem für die Landwirtschaft ungünstigen System der Preise und Kosten herauszukommen, muß auch eine Entlastung der Landwirtschaft von der Kostenseite her versucht werden. In früheren Jahren hatte sich die 15%ige Investitionsbeihilfe vorzüglich bewährt; leider ist die Bundesregierung davon abgegangen. Die landwirtschaftlichen Investitionen sind daher fast völlig zum Erliegen gekommen.
    Ich möchte eine Anregung des Herrn Bundeskanzlers aufgreifen: Bei einer Auflösung der Konjunkturausgleichsrücklage muß dem Bereich der Landwirtschaft für Investitionen Priorität eingeräumt werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Lassen Sie mich nun auf die Entwicklung der Lohnkosten eingehen! Ich kann das nicht tun, meine Damen und Herren, ohne grundsätzliche Anmerkungen zur Funktionsweise der sozialen Marktwirtschaft und zur Stellung der Tarifpartner in einer marktwirtschaftlichen Ordnung zu machen; denn hier scheinen wohl auch fundamentale Unterschiede zwischen den Sozialdemokraten und uns zu bestehen.
    Ein elementarer Bestandteil der marktwirtschaftlichen Ordnung ist die Freiheit der Tarifpartner. Zur Freiheit gehört jedoch Verantwortung. Wer und was die Verantwortung der Tarifpartner untergräbt, höhlt auf lange Sicht auch ihre Freiheit aus. Freiheit ohne Verantwortlichkeit kann nicht funktionieren, meine Damen und Herren,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    und zur Freiheit und Verantwortlichkeit der Tarifpartner gehört, daß sie auch ein angemessenes Maß an Risiko tragen.
    Man mag beklagen, daß sich die Tarifpartner bei ihrem Ringen um die Verteilung des Sozialprodukts gelegentlich mehr von kurzfristigen als von mittel-und langfristigen Erwägungen leiten lassen. Die Versuchung ist eben groß, wenn die Marktgegebenheiten dazu anregen. Nur trifft dieser Vorwurf eines zu kurzfristigen Konzepts die sozialen Gruppen gewiß nicht mehr als die staatlichen Instanzen. Ja, meine Damen und Herren, diese Bundesregierung bietet ein Beispiel dafür, wie ein auf den Augenblick bzw. auf den nächsten Wahltermin abgestellter Opportunismus auch die Sozialpartner zur Disziplinlosigkeit anregen muß.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Nach unserer Auffassung hat der Staat durch seine Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik dafür zu sorgen, daß die Autonomie der Tarifpartner und ihre Handlungsfreiheit gesichert bleiben. Es kann und darf aber nicht Aufgabe des Staates sein, durch Garantieerklärungen den Tarifpartnern sämtliche Risiken und damit auch jede Verantwortlichkeit abzunehmen.
    Wir haben noch in Erinnerung, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister gerade zu der Zeit, als es seine Aufgabe war, Orientierungsdaten vorzulegen, öffentlich Aussagen gemacht hat, die von den Tarifpartnern geradezu als eine Aufforderung zum lohnpolitischen Tanz aufgefaßt werden mußten.

    (Zuruf von der Mitte: Das wollte er doch!)

    Dann kam der Herr Bundeskanzler, meine Damen und Herren, der zum falschesten aller Zeitpunkte, auf der Spitze des Booms und auf der Spitze der Überspannungen auf dem Arbeitsmarkt, Garantieerklärungen abgegeben hat, die Unternehmer und Gewerkschaften als einen Freibrief ansehen mußten, ihren Teil von Verantwortung auf den Staat und dessen künftigen Aktivitäten abzuwälzen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Nicht anders konnte auch die Erklärung des Kollegen Lenders aufgefaßt werden, der vor diesem Hause die Garantieerklärungen bestätigte und noch hinzufügte: „Kein Unternehmer hat eine rezessive Nachfragelücke zu befürchten."

    (Abg. Dr. Stoltenberg: Hört! Hört!)

    Meine Damen und Herren, ich glaube, der Ausspruch stammt von Herrn Schiller: 50% der Konjunkturpolitik sind Psychologie. Dann waren auf jeden Fall all solche Einlassungen der Bundesregierung und der Koalition mit Sicherheit Freudsche Fehlleistungen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Damit kein Zweifel aufkommt: Auch für die CDU/CSU sind neben Stabilität und Wachstum gesicherte Arbeitsplätze und Vollbeschäftigung übergeordnete Leitlinien unserer Politik. Ja, Vollbeschäftigung ist in einer marktwirtschaftlichen Ordnung, die auf ein Höchstmaß an Effizienz angelegt ist, einfach unabdingbar, insbesondere bei einem ohnehin so begrenzten Arbeitskräftepotential, wie es uns in der Bundesrepublik zur Verfügung steht. Aber, meine Damen und Herren, gerade durch diese Garantieerklärungen des vergangenen Jahres haben Sie auf seiten der Regierung und der Koalition in Wahrheit die Sicherheit der Arbeitsplätze doch gefährdet, weil in eine Phase der stärksten konjunkturellen Überforderung die Lohnansprüche der Gewerkschaften und die Preiserwartungen der Unternehmer noch provoziert und forciert wurden.
    Ich möchte, damit kein Mißverständnis entsteht, folgendes hinzufügen: Diese Feststellungen sind kein einseitiger Vorwurf an die Adresse der Gewerkschaften. Die Gewerkschaften haben in der Vergangenheit — ich glaube, wie wir übereinstimmend feststellen können - in bemerkenswerter Weise ihrer Verantwortung Rechnung getragen. Die Folge war, daß es in der Nachkriegszeit — ich darf



    Dr. Müller-Hermann
    bescheiden hinzufügen: unter der Verantwortlichkeit von CDU/CSU-Regierungen —(Lachen bei der SPD)

    einen allgemeinen Anstieg der Realeinkommen gegeben hat, wie er in der Welt seinesgleichen suchen kann. Wir stehen in der Vollbeschäftigung an der Spitze aller Industrienationen; hoffentlich bleibt das so. Wir haben die geringste Streikquote aufzuweisen; auch hier sage ich: Ich hoffe, das bleibt so. Heute werden die Gewerkschaften gerade durch die Ankündigungen der Regierung unter einen, wie ich sagen möchte, gewissen Handlungszwang gesetzt: sie müssen damit rechnen, daß das Niveau der Verbraucherpreise weiter ansteigt, sie müssen nach vielen orakelähnlichen Aussagen des Bundesfinanzministers mit allgemeinen Steuererhöhungen rechnen, sie müssen sich auf alle möglichen weiteren Unsicherheitsfaktoren einstellen. Man kann natürlich verstehen, daß die Gewerkschaften diese Unsicherheiten ebenso in ihre Lohnforderungen einkalkulieren wie die Unternehmer bei ihren Preis- und Investitionsdispositionen.
    Heute steht die Bundesregierung vor dem von ihr selbst provozierten Dilemma: erhält sie den Blankoscheck zur Sünde aufrecht, und die Gewerkschaften halten sich daran, dann — darüber darf es keinen Zweifel geben — kommt es unweigerlich zur Rezession, weil die Unternehmer die steigenden Lohnkosten wegen der schrumpfenden Gewinnmargen nicht mehr verkraften können. Versucht die Regierung, durch vorzeitiges Gasgeben zu verhindern, daß eine Rezession kommt, dann droht uns mit Sicherheit eine Inflation, der gegenüber das Bisherige verblaßt, auch im internationalen Vergleich, und die Rezession kommt in der nächsten Runde um so sicherer.

    (Zuruf von der SPD: Der Weltuntergang! — Weitere Zurufe von der SPD.)

    Will man diese Entwicklung verhindern, bleibt der Regierung nur folgende Alternative: entweder versucht sie, den Tarifpartnern beizubringen, daß ihre Vollbeschäftigungsgarantie an die Einhaltung der Lohnorientierungsdaten gebunden ist — das versucht die Regierung wohl; ich empfehle in diesem Zusammenhang, sich anzuhören, was der ÖTV-Chef Kluncker gestern vor der Öffentlichkeit gesagt hat, nämlich daß ihn Lohnleitlinien überhaupt nicht interessieren —, oder aber die Regierung sieht sich gezwungen, wenn sie mit ihren Beschwörungsformeln keinen Erfolg hat, die Tarifhoheit der Tarifpartner einzuschränken oder ganz aufzuheben. Das kann niemand im Ernst wünschen.
    Auf eine kurze Formel gebracht: die Abgabe einer bedingungslosen Vollbeschäftigungsgarantie ist in einer Marktwirtschaft gleichbedeutend mit der Abgabe des wirtschaftspolitischen Instrumentariums an die großen Gruppen unserer Gesellschaft. Wirtschaftspolitik wird dann eben nicht mehr in den Bundesministerien, sondern außerhalb des Verantwortungsbereichs der Bundesregierung betrieben. Das Heft des Handelns haben dann allein die Sozialpartner in der Hand. Hier können wir nur mit der Bundesregierung hoffen, daß es diesmal noch gutgeht.
    Voraussetzung dafür ist aber zweierlei: daß die Bundesregierung das weitverbreitete Gefühl der Unsicherheit überwindet, das heute alle Schichten der
    Bevölkerung erfaßt hat, weil sich die Regierungspolitik als fragwürdig und unglaubwürdig erwiesen hat, und daß sie, um das zu erreichen, ihre Politik der Gefälligkeiten und der Wolkenkuckucksheime beendet und der Öffentlichkeit klarmacht, daß sich die Koalition in ihren Anfangsversprechungen reichlich übernommen hat.
    Lassen Sie mich den Rückblick in drei Punkten zusammenfassen:
    Erstens: Der konjunkturpolitische Instrumentenkasten blieb zu lange ungenutzt; statt der Regierung mußte die Bundesbank handeln.
    Zweitens: Die Konzertierte Aktion kam nicht zur Wirkung, weil die Bundesregierung nicht den Mut hatte, mit Orientierungsdaten zur rechten Zeit ihren Part in der Konzertierten Aktion zu spielen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Drittens: Die Regierung hat sich in ihren Prognosen geirrt, mit ihren Erwartungen und Ankündigungen den Teppich der Realität verlassen und damit auch bei anderen den Eindruck erweckt, man könne den Produktivitätsfortschritt ungestraft auf die Dauer als Maßstab außer acht lassen. Damit nämlich hat die Bundesregierung den Kampf um die Verteilung des Kuchens erst so richtig angeheizt.
    Die Bilanz dieser zurückliegenden 15 Monate ist jedenfalls kein überzeugender Beweis für die Globalsteuerung, die Sie, Herr Minister Schiller, einmal der staunenden Umwelt als die große Wunderwaffe angeboten haben. Zumindest im Kampf gegen den Drachen des Booms hat sich Ihre Globalsteuerung als ein stumpfes Schwert erwiesen.
    Aber mit dieser kritischen Feststellung allein kommen wir sicherlich nicht weiter. Die Erfahrung bestätigt erneut, daß das Anheizen einer Konjunktur kein großes Problem ist. Das Problem ist, wie und mit welchem Timing man eine zum Überborden tendierende Konjunktur rechtzeitig in den Griff und unter Kontrolle bekommen kann. Hier müssen wir uns sicherlich gemeinsam bemühen: Politik, Wissenschaft, Wirtschaft im weitesten Sinne des Wortes. Die extremen Pendelausschläge im Konjunkturverlauf müssen nach wie vor mit zu kostspieligen volkswirtschaftlichen und auch, wie ich hinzufügen möchte, psychologisch-politischen Verlusten erkauft werden, als daß wir sie weiterhin als unausweichlich hinnehmen dürfen.
    Ein besonders typisches Beispiel hierfür ist der Baumarkt. Im vergangenen Jahr haben eine übergroße Nachfrage nach Bauleistungen und die ungezügelte, unabgestimmte und teilweise auch unbescheidene Auftragsvergabe der öffentlichen Hand im Zusammenhang mit dem Kostendruck einen enormen Preisanstieg hervorgerufen. Die Bauwirtschaft sah sich zur Ausweitung ihrer Kapazitäten um fast jeden Preis angeregt. Auch hier — das dürfen wir ruhig auch einmal der Unternehmerseite sagen — waren die Erfahrungen des letzten Konjukturzyklus allzu schnell vergessen. Denn wenige Monate später klagt



    Dr. Müller-Hermann
    die Bauwirtschaft über eine völlig unzureichende Auslastung ihrer Kapazitäten. Sie befürchtet jetzt Preisverfall und Entlassungen. Im vergangenen Jahr konnte die Bauwirtschaft gewissermaßen einen „Grand mit Vieren" spielen, heute muß sie sich auf einen „Null mit einer blanken Neun" einlassen.

    (Heiterkeit.)

    Wir sollten auch folgendes nicht vergessen. Letztlich geben diese konjunkturellen Pendelausschläge den Gegnern des marktwirtschaftlichen Systems allzu billige Vorwände, das System als Ganzes in Zweifel zu ziehen. Dies ist neben den volkswirtschaftlichen Substanzverlusten ein weiterer politischer Anlaß, daß wir auch neue Wege nicht scheuen sollten, um kontinuierliche Konjunkturverläufe zu gewährleisten.
    Wir haben gemeinsam nach den Erfahrungen der Jahre 1965, 1966 und 1967 einen neuen Weg beschritten, indem wir der Regierung mit dem Stabilitäts-
    und Wachstumsgesetz ein breites Instrumentarium bereitstellten. Keine Regierung zuvor hat dieses Instrumentarium zur Verfügung gehabt, und kein Geringerer als Herr Schiller hat es als vorbildlich in der Welt charakterisiert. Wir sind nun um eine Erfahrung reicher: das beste Instrumentarium nützt nichts, wenn derjenige, dem es zur Verfügung steht, keinen oder keinen richtigen Gebrauch von ihm macht.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Das beste Instrumentarium kann eine schwächliche und autoritätslose Regierung nicht ersetzen. Gerade das Zügeln galoppierender Konjunkturrösser bedarf einer starken Hand. Wir halten es daher für notwendig, der Regierung einige rückgratstärkende Korsettstangen mehr zu verpassen. Wir wünschen, das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz weiter zu entwickeln und gewisse Regulative in das Instrumentarium einzubauen, um damit in Zukunft ein höheres Maß an Stabilität zu gewährleisten. Die Diskussion, die in der Öffentlichkeit im Gange ist, sollte unter Hinzuziehung von Vertretern der Wissenschaft und der Wirtschaft auch auf der Ebene des Parlaments so bald wie möglich stattfinden.
    Beim Ausblick auf das Jahr 1971 fordert die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion die Bundesregierung in erster Linie auf, sich endlich zu einer mittelfristigen Strategie für Stabilität und Wachstum durchzuringen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Solange sie dazu nicht in der Lage ist, werden sich alle, die auf den Konjunkturablauf einwirken, eben auch vom Augenblickseffekt allein leiten lassen, und das kann kein gutes Ende nehmen.
    So haben wir auch die große Sorge — Herr Minister Schiller, Sie haben sie heute nicht auszuräumen vermocht —, daß die Bundesregierung vielleicht eine neue Chance verpaßt, die Geldwertstabilität wiederzugewinnen, ohne dabei die Vollbeschäftigung zu gefährden. Wir erwarten von der Bundesregierung bestimmt nichts Unmögliches, und niemand geht nach den Fehlern des letzten Jahres etwa so weit wie Herr Schiller 1966, als er dem deutschen Volk eine Preissteigerungsrate von 1 % als sein Ziel und auch als einen Maßstab für solide Regierungsarbeit darstellte.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Haase [Kassel] : Das ist seine größte Pleite! — Abg. Rösing: Welch ein Wunderknabe!)

    Der Jahreswirtschaftsbericht 1971 weist mit einem großen Maßnahmenkatalog darauf hin, daß die Bundesregierung über genügend expansive Mittel verfügt, falls sich die Gesamtnachfrage ungünstiger als vorausgeschätzt entwickelt. Das große „Durchstarten" — Herr Minister Schiller, ich fühle mich hier an die „Wurst im Schaufenster" erinnert, von der Sie vorhin gesprochen haben

    (Abg. Dr. Ritz: Das war eine Attrappe! — weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    ist doch die Taube, die der Zauberkünstler Schiller auch im Jahreswirtschaftsbericht im Zylinder versteckt hält, nicht ohne alle wissen zu lassen, daß sie nur darauf wartet, fliegen gelassen zu werden.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

    Einigen Leuten in der Koalition dauert doch das Warten schon viel zu lange. Wie lange wird die Bundesregierung wohl diesmal gute Nerven behalten? Vor allem der Herr Bundesfinanzminister, der nahezu ein Nervenbündel geworden zu sein scheint, macht uns hier Sorgen.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU. — Zuruf von der CDU/CSU: Der Arme!)

    Was soll beispielsweise seine Erklärung zum Konjunkturzuschlag, er wolle ihn „bis zum bitteren Ende" auskosten? Der Bundeswirtschaftsminister deutet heute und im Jahreswirtschaftsbericht doch das genaue Gegenteil an.
    Sie haben uns zitiert, Herr Schiller. Wir haben auf seiten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion den Konjunkturzuschlag im Juli 1970 ohnehin und, wie mir scheint, mit Recht als ein zu dem Zeitpunkt nicht mehr wirksames Instrument angesehen. Wir sehen ihn auch heute nicht als ein Tabu an. Sobald es die konjunkturpolitische Entwicklung erlaubt, sollte der Konjunkturzuschlag gestoppt und, wie ich hoffe, entgegen allen Versuchungen des Herrn Bundesfinanzministers auch zurückgezahlt werden. Nur gilt es — und das ist das Entscheidende — psychologisch vorzubeugen, daß ein solcher Schritt bzw. zwei solche Schritte nicht als ein Indiz dafür mißverstanden werden, daß etwa die konjunkturpolitischen Gefahren bereits gebannt seien.
    Leider sagt der Jahreswirtschaftsbericht — und das gilt auch für Ihre heutigen Auslassungen, Herr Minister Schiller — nichts darüber aus, wie die Bundesregierung bei anhaltendem Kostendruck Herr eines weiteren Preisauftriebs zu werden gedenkt. Bestimmt doch nicht ohne Grund hat Bundesbankpräsident Klasen noch vor wenigen Tagen seiner „ganz großen Sorge" darüber Ausdruck gegeben, daß trotz aller Beruhigungserscheinungen die Voraussetzungen für die Preisstabilisierung von der Kostenseite her nicht gegeben sind. So groß, wie sie dargestellt wird, scheint also die Übereinstimmung zwischen Bundesregierung und Bundesbank nicht zu sein.



    Dr. Müller-Hermann
    Wir von der Opposition sind jedenfalls sehr viel weniger optimistisch als die Regierung, was die Lohn- und Preisbewegung anbetrifft. Wahrscheinlich sind wir hier wieder sehr viel realistischer als die Regierung. Wir werden in unserer Lagebeurteilung durch eine eigene Umfrage bei Verbänden und Unternehmen, die einen Anstieg der Lebenshaltungskosten für 1971 in Höhe von 4 % erwarten, nur bestärkt. Die Regierung ist uns und auch der deutschen Öffentlichkeit eine Antwort darauf schuldig, was sie an zusätzlichen Maßnahmen bereithält, wenn sich ihre Preisprognosen erneut als zu leichtfertig und zu illusionär erweisen. Vor allem, meine Damen und Herren, die Lohnpolitik der Gewerkschaften, über die der DGB erklärtermaßen sehr eindeutige Vorstellungen hat, hängt wie ein Damoklesschwert über allen Prophezeiungen der Bundesregierung.
    So nimmt es nicht wunder, meine Damen und Herren, daß sich die Bundesregierung schon heute darum bemüht, am Ende des Jahres 1971 für alles und jedes eine Entschuldigung parat zu halten. Die wirtschaftspolitischen Äußerungen aus dem Regierungslager nehmen mehr und mehr die Gestalt eines Drehbuches über „Schuld und Sühne" an. Wer erhält den Schwarzen Peter? Gesucht wird derjenige, der schuld daran ist, daß die Geldentwertungsrate 4 % beträgt, die Arbeitsplätze gefährdet sind und die Zukunftsaussichten alles andere als rosig sind.
    Inzwischen weiß eigentlich jedermann, daß die Inflationsentwicklung des letzten Jahres in allererster Linie hausgemacht ist. Trotzdem konnte es sich Herr Schiller auch heute nicht verkneifen, noch einmal sein Alibi in der verspäteten Aufwertung zu suchen. Dieses Argument fand bestenfalls noch im Frühjahr des vergangenen Jahres Gehör.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Gesundbetung!)

    Danach verlegte sich die Bundesregierung — offenbar der mangelnden Zugkräftigkeit ihres Argumentes bewußt auf den Vorwurf, die Opposition rede die Preissteigerungen herbei. Das war zu der Zeit, als Herr Minister Schiller mit Theaterdonner
    ich greife das Wort auf — dramatisierend von „Waterloo" und „Leipzig" sprach.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    Einen Schritt weiter ging der wirtschaftspolitische Sprecher des DGB,

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    der — so mußte man ihn wohl verstehen — der Opposition unterstellte, mit Hilfe der preistreibenden Unternehmer diese Regierung stürzen zu wollen. Nun, meine Damen und Herren, wir betreiben den Sturz der Bundesregierung mit Sicherheit, bestimmt aber nicht auf dem Rücken unserer Bevölkerung!

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Eine neue Palette bietet Klaus Dieter Arndt, ehemaliger Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, der der Bundesbank jetzt schon vorwirft — oder wieder vorwirft —, daß sie eine Politik der
    Rezession betreibe, um, wie er sagt, späte Rache für 1966 und 1967 zu üben.

    (Lachen bei der CDU/CSU.)

    Das geschieht zur gleichen Zeit, zu der der Herr Bundeswirtschaftsminister so großen Wert auf die völlige Übereinstimmung mit der Politik der Bundesbank legt.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU. Abg. Dr. Stark [Nürtingen] : Ein schönes Konzert!)

    Im Jahreswirtschaftsbericht selbst schließlich baut die Bundesregierung ihr Alibi für 1971 schon ganz groß auf. Ausführlich spricht sie in einem umfangreichen Kapitel von den möglichen Fehlentwicklungen des Jahres 1971 und die Verantwortung für diese Fehlentwicklungen — und vieles spricht dafür, daß sie die tatsächlichen Entwicklungen darstellen — wird von der Bundesregierung eindeutig den Tarifpartnern zugeschoben. Nicht weniger als zwölfmal — ich habe mich hoffentlich nicht verzählt — argumentiert die Bundesregierung in ihrem Jahreswirtschaftsbericht mit der Vorabentschuldigung, daß ihre Prognosen natürlich von dem Wohlverhalten der Tarifpartner abhängen. Daran ist durchaus etwas Richtiges. Nur muß die Frage erlaubt sein, meine Damen und Herren, ob nicht die Bundesregierung leichtfertig selbst die Geister heraufbeschworen hat, deren sie jetzt nicht Herr zu werden droht.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die Beschwörungsformeln werden jedenfalls ebensowenig helfen wie falsche Anklagen.
    Mit der Bundesregierung stimmen wir darin überein, daß die schwächste Stelle der Konjunktur derzeit die Investitionen sind. Die Bundesregierung rechnet selbst damit, daß die industriellen Investitionen 1971 real kaum noch zunehmen werden, daß wegen des Überhangs aus 1970 im Jahresablauf sogar ein absoluter Rückgang zu erwarten ist. Unsere skeptische Vorsicht in der Beurteilung der Lohnpolitik läßt auch nicht zu, daß wir uns große oder größere Hoffnungen machen als die Bundesregierung.
    Auch die Neuorientierung der Kreditpolitik, auf die die Bundesregierung offenbar ihre Hoffnungen setzt, läßt zumindest auf sich warten. Am Ergebnis der Zentralbankratsitzung vom 20. Januar wird deutlich, daß in der konjunkturpolitischen Strategie nach wie vor fundamentale Meinungsverschiedenheiten zwischen Bundesbank und Bundesregierung bestehen. Wir müssen aber die Bundesbank, meine Damen und Herren, energisch gegen alle Vorwürfe in Schutz nehmen, sie lasse es an gesamtwirtschaftlicher Verantwortung fehlen.
    Das ganze Dilemma der Regierungspolitik dokumentiert sich in einem sehr, sehr seltsam formulierten Satz des Jahreswirtschaftsberichts in Ziffer 70. Da heißt es:
    Wenn und damit die wirtschaftliche Entwicklung nunmehr etwa in den von der Jahresprojektion vorgezeichneten Bahnen verläuft, sollte dieser Kurs der Kreditpolitik fortgesetzt werden.



    Dr. Müller-Hermann
    Das „Wenn und damit" soll den Zusammenhang deutlich machen zwischen einer Lockerung der Kreditpolitik und dem Wohlverhalten der Tarifpartner. Nur — das müssen wir doch wirklich sachlich feststellen sehen Tarifpartner, Bundesbank und Bundesregierung diesen Zusammenhang jeweils völlig unterschiedlich.
    Völlig offen läßt die Bundesregierung die Antwort darauf, wie sie die von ihr selbst projektierte Steigerung der Kassenausgaben für öffentliche Investitionen zu realisieren gedenkt. Vergessen wir nicht: zwei Drittel der öffentlichen Investitionen gehen von den Gemeinden aus, und deren Steuereinnahmen bekommen die Konjunkturabschwächung als erste zu spüren.

    (Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!)

    Um so weniger verstehen wir, daß trotz der doch sehr deutlichen und mahnenden Worte speziell des Städtetages weder der Jahreswirtschaftsbericht noch der Herr Bundeswirtschaftsminister heute ein klärendes Wort sagt, wie denn nun die Gemeinden mit ihrem dringlichen Investitionsbedarf fertig bzw. wie sie vor einem prozyklischen Verhalten bewahrt werden sollen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Auch geht die Bundesregierug in ihrem Bericht und gehen Sie, sehr verehrter Herr Schiller, heute etwas zu leichtfertig und großzügig über die Tatsache hinweg, daß einem gegenüber 1970 auch nur gleichbleibenden Einsatz von öffentlichen Mitteln ein ganz erhebliches Minus an effektiven Leistungen gegenübersteht, weil eben die Kosten eine so ungewöhnlich unerfreuliche Entwicklung genommen haben. Unsere Warnungen jedenfalls haben sich erschreckend bestätigt, daß es ohne Preisstabilität keine inneren Reformen geben wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Eine moderne, hochentwickelte Volkswirtschaft wie die unsrige braucht eine wirtschaftspolitische Strategie, die auf einen längeren Zeitraum abstellt und langfristige Dispositionen möglich macht. Walter Eucken, ja wohl auch einer der geistigen Väter von Herrn Schiller,

    (Abg. Dr. Stoltenberg: Höchstens sein Stiefvater, würde ich sagen!)

    hat einmal festgestellt:
    Die nervöse Unrast der Wirtschaftspolitik, die heute verwirft, was gestern galt, schafft ein großes Maß an Unsicherheit und verhindert zusammen mit den verzerrten Preisrelationen viele Investitionen. Es fehlt die Atmosphäre des Vertrauens.

    (Abg. Frau Griesinger: Sehr gut!) Das ist der Punkt, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Eine dauerhafte Besserung unserer wirtschaftlichen Situation hat zur Voraussetzung, daß sich das unternehmerische Wagnis wieder lohnt, daß Vertrauen da ist in eine Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, die Eigentum, Wettbewerb und Leistung schützt.
    Eine aktive Konjunkturpolitik bleibt mit Sicherheit blasse Theorie, solange diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Und, Herr Bundeswirtschaftsminister Schiller, Ihre Belehrungen über soziale Marktwirtschaft an unsere Adresse waren mit Sicherheit völlig fehl am Platz.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Das Rumoren starker Kräfte innerhalb Ihrer Partei, die unsere marktwirtschaftliche Ordnung und unsere freiheitliche Gesellschaft aus den Angeln heben, ja, in ein planwirtschaftliches, sozialistisches System umfunktionieren wollen,

    (Zuruf von der SPD: Darauf habe ich die ganze Zeit gewartet!)

    das schafft doch eben den Mangel an Vertrauen, der uns heute beschwert.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich hoffe nur, daß Sie sich auf der Regierungsbank über diese Zusammenhänge keinen Zweifeln hingeben.
    Die Opposition ist durchaus bereit, der Regierung in einer schwierigen Situation zu helfen.

    (Zurufe von der SPD.)

    Wir tragen da alle eine gemeinsame Verantwortung. Das Vertrauen jedoch, meine Damen und Herren, das diese Bundesregierung selbst verspielt hat und das ,sie tagtäglich

    (Abg. Haase [Kassel] : ... neu verwirtschaftet!)

    durch die hinter ihr stehenden Kräfte aufs Spiel setzt oder aufs Spiel setzen läßt, kann ihr die CDU/ CSU mit Sicherheit nicht wiederbeschaffen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Kürzlich schrieb ein bekannter Wirtschaftsjournalist auf der Detektivsuche nach dem Schuldigen für die Fehler und Irrwege der Bundesregierung, es müsse doch als graue Eminenz ein Parteigänger der Opposition in den Regierungskreisen sitzen, der im Auftrag und auf Rechnung der Union handle.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

    Das kann nicht stimmen. Ich bin sicher, Herr Ehmke hätte ihn aufgespürt und gefeuert.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

    Richtiger liegt hier wohl eine bestimmt nicht regierungsfeindliche Zeitung, die „Frankfurter Rundschau", die am 20. Januar schrieb:
    ... wie schön wäre es, wenn sich auf höchster
    Ebene doch wenigstens ein Mann finden würde,
    der Schiller und Möller unter einen Hut bringt,

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    der die große Politik den vielen Staatsmännern überläßt, sich um so banale Dinge wie Löhne und Preise, Geld und Kredit, Investitionen und Steuern kümmert und vor allem dafür sorgt, daß die Regierung dazu aus einem Munde spricht.

    (Abg. Dr. Barzel: Hört! Hört!)




    Dr. Müller-Hermann
    Von ihm könnte man ... wirklich sagen, er hätte sich um das Kabinett Brandt/Scheel verdient gemacht.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich habe aber einen noch viel unverdächtigeren Zeugen, nämlich Herrn Gaus. Ich habe gar nicht geahnt, daß ich noch einmal Schleichwerbung für den „Spiegel" machen würde.

    (Abg. Dr. Stoltenberg: Chefberater des Bundeskanzlers!)

    Herr Präsident, gestatten Sie mir, hier einige Passagen aus dem gestrigen „Spiegel" vorzulesen:
    Welche lebensgefährlichen Äußerungen sollen seine Minister wohl noch machen, wenn nicht jetzt ... für Brandt die Notwendigkeit gekommen ist, ein Wort zur Wirtschaftslage, zum Steueraufkommen und zu den daraus resultierenden Absichten der Regierung zu sagen?

    (Abg. Haase [Kassel] : Wer soll das sagen?) Es heißt dann weiter:

    Die Wirtschaftspolitik dieser Regierung ist bekannt von Presse, Funk und Fernsehen — aber durch den Kanzler nicht.