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ID0609500100

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    Deutscher Bundestag 95. Sitzung Bonn, Dienstag, den 2. Februar 1971 Inhalt: Glückwunsch zum Geburtstag des Abg. Rösing 5193 A Wahl des Abg. Dr. Arndt (Berlin) als Mitglied des Europäischen Parlaments . . 5193 A Amtliche Mitteilungen 5193 B Beratung des Jahresgutachtens 1970 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (Drucksache VI/1470) in Verbindung mit Beratung des Jahreswirtschaftsberichts 1971 der Bundesregierung (Drucksache VI/1760) Dr. Schiller, Bundesminister 5194 B, 5242 B Dr. Müller-Hermann (CDU/CSU) . 5201 D Junghans (SPD) 5209 B Kienbaum (FDP) 5215 D Brandt, Bundeskanzler . . . . . 5218 D Dr. Stoltenberg (CDU/CSU) . . . 5223 D Dr. Schachtschabel (SPD) . . . . 5226 C Mertes (FDP) . . . . . . . . 5229 B Dr. Pohle (CDU/CSU) 5233 B Kater (SPD) . . . . . . . . . 5239 A Höcherl (CDU/CSU) . . . . . . . 5250 B Dr. Arndt (Berlin) (SPD) . . . . . 5253 C Graaff (FDP) . . . . . . . . . 5257 A Breidbach (CDU/CSU) . . . . . 5258 A Lenders (SPD) . . . . . . . . . 5261 B Dr. Burgbacher (CDU/CSU) . . . . 5263 D Kirst (FDP) . . . . . . . . . . 5264 C Nächste Sitzung . . . . . . . . . • 5266 D Anlagen Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 5267 A Anlage 2 Entschließung des Bundesrates zu dem vom Bundestag verabschiedeten Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen . . . . . . . . . 5267 C Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Februar 1971 95. Sitzung Bonn, den 2. Februar 1971 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung 93. Sitzung, Seite 5048 A, Zeile 13: Der Zuruf des Abgeordneten Reddemann ist zu streichen. Dafür ist einzusetzen: (Zuruf von der CDU/CSU.) 93. Sitzung, Seite 5050 C, Zeile 10: Zwischen den Wörtern „fest" und „in" ist einzufügen: (Abg. Reddemann: Mit beiden Beinen fest in der Luft!) Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Aigner * 5. 2. Dr. Apel 2. 2. Dr. Artzinger * 2. 2. Bühling 28. 2. Becker (Pirmasens) 5. 2, Dasch 5. 4. Frau Dr. Diemer-Nicolaus 2. 2. Dr. Dollinger 23. 2. Dröscher * 3. 2. Dr. Furler 2. 2. Gerlach (Emsland) * 2. 2. Dr. Götz 28. 2. Dr. Jungmann 15. 2. Dr. Kiesinger 5. 2. Klinker * 3. 2. Dr. Koch * 4. 2. Kriedemann * 5. 2. Frhr. von Kühlmann-Stumm 2. 2. Dr. Löhr * 2. 2. Maucher 12. 2. Memmel * 5. 2. Müller (Aachen-Land) * 4. 2. Frau Dr. Orth * 3. 2. Pfeifer 5. 2. Rasner 12. 2. Richarts * 3. 2. Schmitz (Berlin) 5. 2. Saxowski 2. 2. Susset 2. 2. Stücklen 2. 2. v. Thadden 6. 2. Wiefel 26. 2. * Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Der Präsident des Bundesrates Bonn, den 29. Januar 1971 An. den Herrn Bundeskanzler Bonn Der Bundesrat hat in seiner 361. Sitzung am 29. Januar 1971 beschlossen, dem vom Deutschen Bundestag am 9. Dezember 1970 verabschiedeten Gesetz über die Entschädigung für Straf- verfolgungsmaßnahmen (StrEG) gemäß Artikel 84 Abs. 1 des Grundgesetzes zuzustimmen. Der Bundesrat hat außerdem die nachstehende Stellungnahme beschlossen: Zu § 14 Abs. 1 geht der Bundesrat davon aus, daß der Eröffnung des Hauptverfahrens der Erlaß eines Strafbefehls, einer Strafverfügung oder eines Bußgeldbescheids gleichsteht. Dr. Röder Vizepräsident Bonn, den 29. Januar 1971 An den Herrn Präsidenten des Deutschen Bundestages Bonn Vorstehende Abschrift wird auf Ihr Schreiben vom 22. Dezember 1970 mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt. Dr. Räder Vizepräsident
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Kai-Uwe von Hassel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Die Sitzung ist eröffnet.
    Meine Damen und Herren, vor Eintritt in die Tagesordnung spreche ich namens des Hauses dem Abgeordneten Rösing zu seinem 60. Geburtstag, den er am Sonntag feierte, unseren herzlichsten Glückwunsch aus.

    (Beifall.)

    Die Fraktion der SPD hat mir mit Schreiben vom 22. Januar mitgeteilt, daß für den verstorbenen Abgeordneten Dr. Hein der Abgeordnete Dr. Arndt (Berlin) als Mitglied des Europäischen Parlaments benannt wird. — Das Haus ist damit einverstanden. Damit ist der Abgeordnete Dr. Arndt (Berlin) als Mitglied des Europäischen Parlaments gewählt.
    Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
    Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 29. Januar 1971 den nachstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 GG nicht gestellt:
    Siebentes Gesetz zur Änderung des Wehrsoldgesetzes
    Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Kreuzungen von Eisenbahnen und Straßen (Eisenbahnkreuzungsgesetz)

    Zweites Gesetz zur Änderung des Ersten Gesetzes über individuelle Förderung der Ausbildung
    Gesetz über das Zentralregister und das Erziehungsregister (Bundeszentralregistergesetz — BZRG)

    Gesetz zur Änderung des Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 20. Juni 1956 über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Ausland
    Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG)

    Zum Entwurf eines Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG) hat der Bundesrat ferner eine Entschließung gefaßt, die als Anlage 2 diesem Protokoll beigefügt ist.
    Der Bundesrat hat in der gleichen Sitzung beschlossen, hinsichtlich der folgenden Gesetze zu verlangen, daß der Vermittlungsausschuß einberufen wird:
    Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm
    Gesetz über Finanzhilfen des Bundes zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden (Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz — GVfG)

    Seine Schreiben werden als Drucksachen VI/1782 und VI/1783 verteilt.
    Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft hat am 28. Januar 1971 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Hubrig, Lenzer, Dr. Probst und Genossen betr. Leitlinien des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft zu Grundsatz-, Struktur- und Organisationsfragen von rechtlich selbständigen Forschungseinrichtungen — Drucksache VI/1633 — beantwortet, Sein Schreiben wird als Drucksache VI/1791 verteilt.
    Der Innenausschuß und der Ausschuß für Wirtschaft haben gegen die nachstehenden Vorlagen keine Bedenken erhoben:
    Verordnung des Rates betreffend die jährliche Überprüfung der Besoldung der Beamten und sonstigen Bediensteten der Gemeinschaften
    - Drucksache VI/1342 —
    Verordnung des Rates über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für getrocknete Weintrauben der Tarifstelle 08.04 des Gemeinsamen Zolltarifs, in Umschließungen mit einem Gewicht des Inhalts von 15 kg oder weniger
    — Drucksache VI/1438 —
    Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1059/69 zur Festlegung der Handelsregelung für bestimmte, aus landwirtschaftlichen Erzeugnissen hergestellte Waren
    — Drucksache VI/1446 —
    Verordnung des Rates (EWG) zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 950/68 über den Gemeinsamen Zolltarif und zur Aussetzung bestimmter autonomer Zollsätze des Gemeinsamen Zolltarifs
    — Drucksache VI/1532 —
    Verordnung des Rates (EWG) zur Ausdehnung des Anhangs der Verordnung (EWG) Nr. 109/70 des Rates vom 19. Dezember 1969 zur Festlegung einer gemeinsamen Regelung für die Einfuhr aus Staatshandelsländern auf weitere Einfuhren (3. Erweiterung)
    — Drucksache VI/1533 — Verordnung des Rates
    — über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für Gerbstoffauszüge aus Eukalyptus der Tarifstelle ex 32.01 D des Gemeinsamen Zolltarifs (1971)

    — über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung der Gemeinschaftszollkontingente für auf Handwebstühlen hergestellte Gewebe aus Seide oder Schappeseide oder aus Baumwolle der Tarifnummern ex 50.09 und ex 55.09 des Gemeinsamen Zolltarifs (1971)

    — über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für Leinengarne, roh (ausgenommen Garne aus Flachswerg), der Tarifstelle ex 54.03 B I a) des Gemeinsamen Zolltarifs, mit einer Lauflänge je kg von 30 000 m oder weniger zum Herstellen von gezwirnten Garnen für die Schuhindustrie oder von gezwirnten Kabelabbindegarnen (1971)
    — über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für Ferrosilizium der Tarifstelle 73.02 C des Gemeinsamen Zolltarifs (1971)

    — über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für Ferrosiliziummangan der Tarifstelle 73.02 D des Gemeinsamen Zolltarifs (1971)

    — über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für Ferrochrom, mit einem Gehalt an Kohlenstoff von 0,10 Gewichtshundertteilen oder weniger und an Chrom von mehr als 30 bis 90 Gewichtshundertteilen (hochraffiniertes Ferrochrom) der Tarifstelle ex 73.02 E I des Gemeinsamen Zolltarifs (1971)
    — über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für Rohaluminium der Tarifstelle 76.01 A des Gemeinsamen Zolltarifs (1971)

    — über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für Rohmagnesium der Tarifstelle 77.01 A des Gemeinsamen Zolltarifs (1971) - Drucksache VI/1534 —
    Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 950/68 über den Gemeinsamen Zolltarif
    — Drucksache VI/1542 — Verordnung des Rates
    — über die teilweise Aussetzung des autonomen Zollsatzes des Gemeinsamen Zolltarifs für Makrelen, frisch, gekühlt oder gefroren, ganz, ohne Kopf oder zerteilt, für die Verarbeitungsindustrie (ex 03.01 B I a) cc))



    Präsident von Hassel
    — über die vollständige Aussetzung der autonomen Zollsätze des Gemeinsamen Zolltarifs für bestimmte Fische
    — Drucksache VI/1600 —
    Verordnung des Rates über die teilweise Aussetzung des autonomen Zollsatzes des Gemeinsamen Zolltarifs für Makrelen, frisch, gekühlt, oder gefroren, ganz, ohne Kopf oder zerteilt, für die Konservenindustrie (Tarifstelle ex 03.01 B I m) 2)
    — Drucksache V1/1602 —Verordnung des Rates über die zeitweilige Aussetzung der autonomen Zollsätze des Gemeinsamen Zolltarifs für Pfeffer, weder gemahlen noch sonst zerkleinert, und für Pyrethrumauszüge
    — Drucksache VI/1603 —
    Verordnung des Rates über die Erhöhung des Gemeinschaftszollkontingents für Rohmagnesium der Tarifstelle 77.01 A des Gemeinsamen Zolltarifs
    — Drucksache VI/1604 —
    Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 23. Februar 1962 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:
    Zweiundzwanzigste Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste — Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung —Drucksache VI/1773 —
    überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig dem Plenum am 12. Mai 1971
    Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:
    EWG-Vorlagen
    Verordnung des Rates zur Änderung der Regelung der Bezüge und der sozialen Sicherheit der Atomanlagenbediensteten der Gemeinsamen Kernforschungsstelle, die in den Niederlanden dienstlich verwendet werden
    — Drucksache VI/1715 —
    überwiesen an den Innenausschuß (federführend), Haushaltsausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
    Verordnung des Rates zur Festlegung der Grundregeln für die Gewährung der Erstattungen bei der Ausfuhr sowie der Kriterien für die Festsetzung der Erstattungsbeträge für Rohtabak
    Verordnung des Rates zur Festsetzung bestimmter Grundregeln für die Verträge über die erste Bearbeitung und Aufbereitung, für Lagerverträge sowie für den Absatz des im Besitz der Interventionsstellen befindlichen Tabaks
    — Drucksache V1/1767 —
    überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (federführend), Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
    Verordnung des Rates zur Einführung einer Beihilferegelung für Baumwollsamen
    — Drucksache VI/1768 —
    überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft (federführend), Haushaltsausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
    Verordnung des Rates zur Festlegung der Grundregeln für die Gewährung der Beihilfe für Flachs und Hanf
    — Drucksache VI/1769 —
    überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
    Ich rufe den einzigen Punkt der Tagesordnung auf:
    a) Beratung des Jahresgutachtens 1970 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
    — Drucksache VI/1470 —b) Beratung des Jahreswirtschaftsberichts 1971 der Bundesregierung
    — Drucksache VI/1760 —
    Zur Einbringung hat der Herr Bundeswirtschaftsminister das Wort.
    Dr. Schiller, Bundeminister für Wirtschaft: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Jahreswirtschaftsbericht 1971 liegt Ihnen
    vor. Er zieht konjunkturpolitische Schlußbilanz für das abgelaufene Jahr, und er ist damit zugleich das Finale zu den sechs Konjunkturdebatten, die 1970 in diesem Hohen Hause geführt worden sind. Die Bundesregierung stellt in diesem Bericht dar, was erreicht wurde und was nicht erreicht wurde, freimütig und ohne Beschönigung. Der Jahreswirtschaftsbericht ist aber vor allem auch das wirtschaftspolitische Kursbuch für 1971. Meine Damen und Herren, Sie werden verstehen, daß ich in diesen einleitenden Bemerkungen — schon aus Zeitgründen — die ebenfalls in diesem Bericht behandelten strukturellen und sektoralen Probleme nicht anspreche. Ich beschränke mich jetzt vornehmlich auf die Konjunkturpolitik.
    Zuvor möchte ich dem Sachverständigenrat für die Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung für sein Jahresgutachten 1970 den besonderen Dank der Bundesregierung aussprechen. Dieses Gutachten ist für uns wiederum eine wichtige Entscheidungshilfe.
    Nun zur Lage, zur wirtschaftlichen Entwicklung im Jahre 1970. Meine Damen und Herren, im Jahre 1970 sind drei der vier großen wirtschaftspolitischen Ziele erreicht worden, und für die bessere Verwirklichung des vierten Ziels, für den Fortschritt zu mehr Preisstabilität, haben wir nun festeren Grund unter den Füßen als vor einem Jahr. Die wirtschaftlichen Ergebnisse des Jahres 1970 möchte ich folgendermaßen zusammenfassen.
    Erstens. 1970 war ein Jahr der gesamtwirtschaftlichen Höchstleistung. Mit einer realen Zunahme des Bruttosozialprodukts von 4,7% haben wir erneut einen beträchtlichen Wachstumsschub erreicht. Wir haben dabei unser Wachstumspotential voll ausgeschöpft. Dem Arbeitsmarkt wurden die letzten Reserven abverlangt. Die Arbeitslosenquote ging mit 0,71% noch unter die des Vorjahres zuruck. Die Zahl der Gastarbeiter nahm um rund 450 000 zu und erreichte im Herbst einen Rekordstand von rund 2 Millionen. Jeder zwölfte Arbeitsplatz war von einem ausländischen Arbeitnehmer besetzt. Meine Damen und Herren, wir sollten heute den Beitrag der Gastarbeiter zum wirtschaftlichen Gesamtergebnis des Jahres 1970 ausdrücklich würdigen.

    (Beifall.)

    Der Produktionsfaktor Arbeit strömte also in einem nie gekannten Umfange in unser Wirtschaftsgebiet, und er konnte das doch nur, weil von den Unternehmen entsprechende Arbeitsplätze zur Verfügung gestellt wurden. Von Unlust, von Verunsicherung oder von Resignation auf der Unternehmenseite war da keine Spur. Der Produktionsfaktor Kapitel sah sich ebenfalls zu Höchstleistungen angespornt, und die Unternehmer engagierten sich entsprechend. Die Anlageinvestitionen nahmen 1970 real um 10 % zu, fast genausoviel wie im Jahr davor. Unser Produktionspotential wurde also weiter erhöht und steht für eine vergrößerte Leistung in diesem Jahr und in den folgenden Jahren zur Verfügung.
    Zweitens. 1970 war ein Jahr der maximalen Steigerung der Arbeitnehmereinkommen. Entspre-



    Bundesminister Dr. Schiller
    chend den Höchstleistungen sind alle Einkommen in unserer Gesellschaft gestiegen. Aber die Pro-KopfEinkommen aus unselbständiger Arbeit lagen 1970 nach Abzug der direkten Steuern, nach Abzug der Beiträge zur Sozialversicherung und nach Abzug der Preissteigerungen, also netto und real, um rund 8 % über dem Vorjahresniveau. Nominal nahm die Brutto- und -gehaltssumme je Arbeitnehmer um 14 1/2 % zu. Die Summe der Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen stieg im Vergleich dazu nur um 7 1/2 %. Dabei dürften die eigentlichen Unternehmergewinne im engeren Sinne erheblich weniger zugenommen haben. Meine Damen und Herren, dies zeigt ganz deutlich: die Arbeitnehmereinkommen haben im Jahre 1970 voll aufgeholt. Die Steigerungsrate des Lebensstandards und die Lohnquote waren 1970 höher als jemals zuvor seit Bestehen der Bundesrepublik. Ein realer Zuwachs des privaten Verbrauchs von 7 % wurde in der Konzertierten Aktion vom 12. Januar 1970, also zu Beginn des Jahres, übereinstimmend als realisierbar angesehen. Diese Zunahme ist im Verlauf des ganzen Jahres mit 7,3 % ziemlich genau eingetroffen. Freilich liegt diese Rate über den mittelfristigen Möglichkeiten und kann kein Maßstab für die Zukunft sein.
    Drittens. Das Jahr 1970 war ein Jahr der Maximalkombination und nicht der Optimalkombination unserer produktiven Kräfte. In der Tat, sosehr wir die Verbesserungen der Einkommen für die Arbeitnehmer begrüßen können, ist 1970 zu einem erheblichen Teil noch als ein Jahr der Überforderung der Produktionskapazitäten und der Überbeschäftigung der Arbeitskräfte anzusehen. Dabei erreichte die Steigerung des Produktionsergebnisses je Beschäftigtenstunde, also der Produktivitätsfortschritt für die Gesamtwirtschaft, mit 3,7 % nicht einmal ganz die Untergrenze der in der Jahresprojektion anvisierten Marge von 4 bis 5 %. Die Wirtschaft hatte eben ihre Kapazitätsgrenzen erreicht. 1970 ist ein anschauliches Beispiel dafür, daß Übernachfrage keineswegs immer den Produktivitätsfortschritt erhöht oder ihn auch nur aufrechterhält. Im Sog des Booms nahmen vielmehr die Lohnstückkosten in der Industrie rasch und stärker zu, um rund 13% gegenüber 2,4 % im Jahre 1969.
    Meine Damen und Herren, so war dies auch ein Jahr des ständigen Ringens von Bundesregierung und Bundesbank, den Verteilungskampf zwischen den Gruppen unserer Gesellschaft in vernünftige Bahnen zu lenken. Diese Auseinandersetzung war eine Folge der im Anschluß an die Rezession entstandenen ungleichmäßigen Einkommensentwicklung. Nur wenn die gesamtwirtschaftlichen Zusammenhänge und Notwendigkeiten vor 1970 vom Staat und von den autonomen Gruppen in größerem Maße respektiert worden wären, hätten wir schon 1970 mehr Preisstabilität erreicht. So aber kam es zu Überinvestitionen und Übernachfrage. Beides rechtfertigt vollauf die steuerpolitischen JuliMaßnahmen des Bundestages und der Bundesregierung zur Dämpfung der Investitionstätigkeit und der Endnachfrage.
    Viertens. 1970 war damit ein Jahr des Kampfes um die Preisstabilität.

    (Abg. Dr. Stoltenberg: Und was für ein Kampf!)

    - Sie haben dabei keine große Rolle gespielt, Herr Stoltenberg.

    (Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Stoltenberg: Sie haben im wesentlichen mit Ihren Kabinettskollegen gekämpft und sind dabei unterlegen!)

    — Lieber Herr Stoltenberg, was Sie dazu beigetragen haben, ist ein leicht dramatischer Kommentar und nichts weiter.

    (Beifall bei den Regierungspatreien.)

    Die Preisentwicklung 1970 entspricht nicht den Stabilitätsmaßstäben. Der Preisindex für die Lebenshaltung aller privaten Haushalte ist im Jahresdurchschnitt um 3,8% gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Wir erklären ohne Vorbehalt, dies ist uns zu viel!

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Es ist ein bißchen komplizierter! — Wir müssen auch sehen, wir befinden uns in einer Volkswirtschaft mit offenen Grenzen.

    (Zuruf des Abg. Stoltenberg.)

    Wir leben in einem Gemeinsamen Markt mit zum Teil sehr viel heftigeren Preissteigerungen.

    (Abg. Dr. Stoltenberg: Aber teilweise weniger!)

    Unsere 3,8 % Preisanstieg für den privaten Verbrauch liegen beträchtlich unter der Steigerungsrate in anderen westlichen Ländern.

    (Abg. Dr. Stoltenberg: Für Brasilien stimmt das!)

    — Wenn Sie als geneigter Leser, Herr Stoltenberg, einmal Ihren Blick auf Seite 16 des Jahreswirtschaftsberichts lenken, werden Sie die Zahlen sehen.
    Die eigene Preisentwicklung ist eben auch ein Ausfluß der verspäteten D-Mark-Aufwertung 1969.

    (Oh-Rufe bei der CDU/CSU. — Beifall bei den Regierungsparteien.)

    — Hören Sie einen Moment zu!

    (Abg. Baron von Wrangel: Einen älteren Ladenhüter fanden Sie wohl nicht!)

    Das Urteil im Jahresgutachten des Sachverständigenrates ist in diesem Punkt ganz eindeutig und verweist von vornherein alles ins Reich der Fabel, was Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, zu diesem Punkt der Aufwertung etwa noch kritisch vorbringen könnten.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Stoltenberg: Soviel professorale Überheblichkeit, Herr Schiller, steht Ihnen überhaupt nicht an!)

    — Ich spreche vom Jahresgutachten, das diese Dinge, die Sie in Sachen Aufwertung noch nachträg-



    Bundesminister Dr. Schiller
    lich kritisch vorbringen wollen, ins Reich der Fabel verweist.

    (Abg. Dr. Stoltenberg: Zu den Preissteigerungen steht aber etwas ganz anderes da, was Ihre Verantwortung betrifft!)

    — Hören Sie einmal einen Augenblick zu, seien Sie nicht so hektisch! Wir sind doch nicht in Schleswig-Holstein!

    (Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien. Zurufe von der CDU/ CSU.)

    - Passen Sie auf, Pinneberg kommt auch noch
    dran, warten Sie noch ein bißchen!
    Und Sie müssen sich auch sagen lassen: Mit einer Steigerungsrate von 3,7% für die Lebenshaltungskosten im Jahre 1966 stand die damalige Bundesregierung nun wirklich nicht besser da.

    (Abg. Dr. Stoltenberg: Aber was haben Sie damals dazu gesagt, Herr Schiller!)

    Im Gegenteil, wenn man neben der Preisentwicklung auch noch Merkmale wie Beschäftigung, reales Wachstum und außenwirtschaftliches Gleichgewicht einbezieht, so sind die Resultate des Jahres 1970 ungleich höher und besser zu bewerten. So stiegen 1966 die Nettoeinkommen aus unselbständiger Arbeit je Beschäftigten real nur um 2 % an, 1970 dagegen, wie erwähnt, um etwa 8 %, also um rund das Vierfache.
    In der Tat, trotz der Skepsis einiger Leute im Hinblick auf die „Gewinnausschüttung für das ganze Volk", die im Gefolge der D-Mark-Aufwertung eintreten sollte,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sollte!)

    können wir jetzt feststellen: diese Ausschüttung der Volksdividende hat 1970 stattgefunden; die Zahlen beweisen es.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wenn Sie sehen, wie der private Verbrauch angestiegen ist und wie die Nettoeinkommen der Arbeitnehmer real angestiegen sind, dann stellen Sie fest: das ist die Gewinnausschüttung für das ganze Volk aus der Aufwertung gewesen.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Ja, für Sie ist das neu.
    Das außenwirtschaftliche Gleichgewicht, meine Damen und Herren, war 1970 nicht gefährdet. An der Währungsfront herrschte Ruhe. Real, d. h. preisbereinigt, wurde unser Außenbeitrag gegenüber 1969 halbiert. Auch dies hat erheblich dazu beigetragen, daß 1970 jenes Mehreinkommen für die breite Masse in unserem Land erzielt wurde. Denn es konnten entsprechend mehr Güter im Inland investiert und verbraucht werden als vorher.
    Die vier großen stabilitätspolitischen Aktionen dieser Bundesregierung, 1. die D-Mark-Aufwertung im Oktober 1969, 2. die Reduzierung der Haushaltsausgaben 1970 auf ein konjunkturdämpfendes Maß und die Beschlüsse zur Bildung der Konjunkturausgleichsrücklagen im Januar, 3. der Konjunkturzuschlag und die Aussetzung der degressiven Abschreibung im Juli sowie schließlich 4. der Beschluß von Orientierungsdaten im Oktober 1970, alle diese Aktionen waren der Ausdruck des ständigen Versuchs, das inflationäre Syndrom in unserer Wirtschaft zu lokalisieren und zu beseitigen.

    (Abg. Dr. Stoltenberg: Sie reden von Inflation, Herr Schiller?!)

    Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, und auch Sie, Herr Stoltenberg, waren bei all diesen Aktionen immer nur mit halbem Herzen dabei.

    (Abg. Dr. Stoltenberg: Überhaupt nicht!)

    — Ja, das ist eine gute Selbstdarstellung. — Als es um Stabilitätsbeschlüsse ging, haben Sie einfach gepaßt. Sie haben wie der Chor im griechischen Schauspiel den Gang der Handlung mit beschwörenden Worten begleitet.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf des Abg. Dr. Stoltenberg.)

    Genau wie der Chor in jenem Schauspiel haben Sie es versäumt, selber durch eine konkrete Alternative die Ereignisse aktiv zu beeinflussen; von solchen Handlungen konnte auf Ihrer Seite keine Rede sein.

    (Abg. Dr. Heck: Das ist ja Aufgabe der Regierung!)

    — Die Aufgabe der Opposition besteht doch nicht nur darin, nur Beschwörungsformeln wie der Chor von sich zu geben. Auf anderen Gebieten versuchen Sie doch auch, sogenannte Alternativen zu erarbeiten, Herr Heck! Ich weiß nicht, woher Sie den Schneid nehmen, nun von „Versäumnissen" in der Konjunkturpolitik zu reden. Was Sie zur Konjunkturpolitik meistens vorbrachten, war entweder Polemik - manches davon pflichtgemäße Polemik —, oder es war nur ein später Abklatsch dessen, was die Regierung ohnehin schon getan hatte.

    (Abg. Baron von Wrangel: Sie sollten lieber nicht polemisieren, sondern zur Sache reden!)

    Manchmal kam es noch schlimmer: einige von Ihnen wollten uns mit verbalen Kraftakten zu überzogenen Maßnahmen verleiten. Wären wir diesen Rufen nach mehr Dämpfung gefolgt, so hätten wir gewiß die Konjunktur übersteuert.

    (Abg. Dr. Stoltenberg: Das sagt der Mann, der im Februar im Kabinett mit seiner Politik gescheitert ist!)

    — Was haben Sie denn dazu getan? Haben Sie sich denn damals zum § 26 des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes bekannt? Nein, Sie sind beiseite gegangen, und als es im Sommer, im Juli, dann tatsächlich in einer praktischen Variante zum Schwur kam, verschlug es Ihnen die Sprache, und Sie enthielten sich der Stimme! So war es.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    Sie gingen still beiseite! Ja, so war es.

    (Weitere Zurufe von der CDU/CSU. — Abg. Höcherl meldet sich zu einer Zwischenfrage.)






Rede von Kai-Uwe von Hassel
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Darf ich einen Augenblick unterbrechen. Herr Kollege Höcherl, während einer Regierungserklärung sind Zwischenfragen nicht zugelassen.

(Abg. Höcherl: Sehr schade! — Lachen bei der SPD.)

Sie können sich nachher zu Wort melden.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: ()
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Wir sprechen uns nachher weiter, Herr Höcherl; haben Sie keine Angst!

    (Abg. Höcherl: Im Februar 1970 wollten Sie, durften Sie aber nicht!)

    — Herr Höcherl, ich frage nur immer: Was haben Sie in dieser Zeit gemacht?

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sie waren in der Regierung!)

    — Es ist mehrfach von mir gefragt worden: Wie halten Sie es damit? Aber lassen wir es. Wir werden uns nachher weiter darüber unterhalten.

    (Abg. Höcherl: Wollten Sie nicht im Februar steuern? Da durften Sie nicht! — Lachen bei den Regierungsparteien.)

    - Herr Höcherl, was ereifern Sie sich zu so früher Morgenstunde? Sie kommen doch nachher dran! Herr Höcherl, nehmen Sie entgegen und zur Kenntnist, daß der allgemeine Normalisierungsprozeß eingeleitet ist,

    (Abg. Höcherl: Zu spät!)

    und der sollte auch bei Ihnen eintreten.

    (Erneuter Zuruf des Abg. Höcherl. Abg. Mertes: Da soll noch einer reden können, bei dem Theater, das Sie machen!)

    — Herr Höcherl, haben Sie kein gutes Frühstück gehabt?
    Seit Monaten entspannt sich die Lage, ohne daß dabei von einem Absturz der Konjunktur die Rede sein kann. Die Auftragseingänge der jüngsten Zeit beweisen das. Dies ist auch ein Erfolg unserer ausgewogenen Stabilisierungsmaßnahmen.
    Aber wir wissen auch, mit dem Umschwung in der Konjunkturentwicklung trat ebenfalls eine andere Qualität der Konjunktur in Erscheinung. Waren die Preissteigerungen ursprünglich nachfragebedingt, so wurden sie nun mehr und mehr kostenbedingt. Daraus ergeben sich einige Grundlinien für die weiteren Strategien der Konjunkturpolitik im Jahre 1971.
    Als erstes kann ich für 1971 folgendes erklären. Die Bundesregierung hält an ihrem Stabilitätskurs fest. Sie wird ihn unbeirrt fortsetzen. Angesichts des immer noch vorhandenen Kostendrucks müssen wir nach wie vor versuchen, die Spielräume für Preiserhöhungen einzuengen. Ein „Durchstarten" mit Hilfe von stärkeren Maßnahmen zur Nachfrageexpansion würde nur bedeuten, daß die Kosten- und Preiserhöhungstendenzen noch zusätzliche Nahrung erhielten. Zugleich wollen wir verhindern, daß Wachstum und Investitionen zu weit zurückgehen. Deswegen hat die Bundesregierung für das Jahr
    1971 eine Zielkombination der mittleren Linie formuliert: ein weiteres Wachstum des realen Sozialprodukts um 3 bis 4 % bei einer Arbeitslosenquote unter 1 % ein Abbau der Preissteigerungen beim privaten Verbrauch auf 3 % und die Beibehaltung des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts. Auch diese Zielvorstellung unterscheidet sich noch von einer theoretisch möglichen Optimalkombination. Die im Jahreswirtsaftsbericht vorgelegte Projektion ist vielmehr die realistische Perspektive einer schrittweisen Annäherung an das Gleichgewicht.
    Diese Zielvorstellung stimmt voll mit den Orientierungsdaten der Bundesregierung vom 22. Oktober 1970 überein. Um es gleich zu sagen, niemand von uns will die Preispolitik oder die Lohnpolitik zum Prügelknaben der Konjunkturpolitik machen. Aber wir befinden uns jetzt tatsächlich in einer Konjunkturphase, in welcher das preispolitische Verhalten der Unternehmer und die lohnpolitischen Entscheidungen der Tarifvertragsparteien ein ganz besonderes Gewicht haben. Die Ziele, die wir uns für 1971 gesteckt haben, können nur Wirklichkeit werden, wenn sich alle am Wirtschaftsprozeß Beteiligten an unseren Wegweisern und Warntafeln ohne Verzögerung orientieren.
    Immer noch haben wir es mit den Spuren der vergangenen Entwicklung zu tun. Die Versuchung, den Verteilungskampf fortzuführen, ist nicht gering. Sie kommt zum Ausdruck in der Ankündigung von Preiserhöhungen, die gegen den Markt und gegen die voraussichtliche Nachfrageentwicklung gerichtet sind. Verbandsvorsitzende, die etwa im Bereich von bestimmten Konsumgütern öffentlich Preissteigerungen für das ganze Jahr von bis zu 8 % für möglich oder angebracht halten, bringen ihren Branchen keinen Nutzen. Sie rühren an die Grenzen des marktwirtschaftlichen Prozesses. Dieser richtet sich nicht nach bestimmten Preisempfehlungen, sondern nach den Regeln des Wettbewerbs. Aber vor allem widersprechen solche Empfehlungen für ganze Branchen jedem stabilitätsgerechten Verhalten. Die gleiche Versuchung äußert sich in einigen veröffentlichten Lohnforderungen, die eher in der Nähe der Zunahmen von 1970 als in der Nähe der Orientierungsdaten der Bundesregierung liegen. Dabei weiß doch jeder, der große Schluck aus der Pulle im Jahre 1970 läßt sich nicht wiederholen. Ich verweise da mit besonderer Genugtuung auf die Zielprojektionen des Deutschen Gewerkschaftsbundes und der Unternehmerverbände, die beide im Jahreswirtschaftsbericht dargestellt sind. Sie stimmen mit denen der Bundesregierung sehr weitgehend überein. Alle drei bringen doch zum Ausdruck, wir alle wollen die englische Krankheit nicht haben.
    Die Bundesregierung hat sich nicht gescheut, in ihrem Jahreswirtschaftsbericht die Konsequenzen eines von den Orientierungsdaten abweichenden Verhaltens der Marktparteien in einer „ungünstigen Alternative" (Ziffer 61) deutlich zu beschreiben: ein stärkerer Preisanstieg für den privaten Verbrauch von etwa 4 % sowie weniger reales Wachsturn bis hin zur Gefährdung der Arbeitsplätze. Niemand kann jetzt sagen, er habe von solchen Gefahren nichts gewußt. In der Tat, wenn wir unsere Kräfte



    Bundesminister Dr. Schiller
    im Verteilungskampf erschöpfen, bei dem in der jetzigen Situation per Saldo nichts herauskommen kann, verpassen wir die Chance des Wohlstandszuwachses für alle. Der inflationäre Infekt würde hartnäckig bleiben, und dies um so mehr, als auch 1971 der Einfluß der Außenwirtschaft auf unsere Binnenkonjunktur wirksam sein wird. Denn auch jetzt leben wir natürlich nicht in einem „isolierten Staat". Wir werden ohnehin bei unserer Politik, genauso wie im vergangenen Jahr, die Einflüsse der internationalen Konjunktur auf die Entwicklung in unserem Land sorgfältig beachten müssen.
    Das Bild der Weltkonjunktur wird sich im Jahre 1971 von der Wirtschaftslage, die im Jahre 1970 größtenteils vorherrschte, deutlich abheben: hier eine Belebung des wirtschaftlichen Wachstums in den Vereinigten Staaten, in Kanada und in Großbritannien und dort voraussichtlich eine Verlangsamung der Expansion, so vor allem in der Europäischen Gemeinschaft, im übrigen Kontinentaleuropa sowie in Japan. Nach der dynamischen Entwicklung im hinter uns liegenden Jahr wird der Welthandel etwas langsamer zunehmen; er wird aber durch die zu Beginn dieses Jahres wirksam gewordene Zollsenkung im Rahmen der Kennedy-Runde einen neuen Impuls erhalten. Dieser Impuls sollte nicht durch protektionistische Maßnahmen wichtiger Welthandelsländer zunichte gemacht werden.
    Die Preisentwicklung wird international immer noch recht angespannt sein. Sie könnte jedoch in der Europäischen Gemeinschaft insgesamt und auch in den meisten Partnerländern dieser Gemeinschaft ihren Höhepunkt überschritten haben. Dort wie bei uns, überall kommt es nun darauf an, die der realen Konjunktur hinterherlaufenden Kostensteigerungen zu begrenzen und die Überwälzungsmöglichkeiten zu beschneiden.
    Für die deutsche Wirtschaft bedeutet die internationale Umgebung, daß sie 1971 neben Märkten, auf denen das Geschäft schwerer wird, auch Märkte mit wachsender Nachfrage finden wird. Sie wird sich ihre Wettbewerbsposition dabei um so besser erhalten können, je schneller sie für entspannte Verhältnisse im eigenen Haus sorgt.
    Die staatliche Wirtschaftspolitik wird — auch im Zeichen der hoffentlich nahenden Wirtschafts- und Währungsunion — die Bemühungen um die Begrenzung des Preis- und Kostenanstiegs in Europa unterstützen. Weniger als 1970 — damals mit dem Rükkenwind der Aufwertung — können wir freilich 1971 inflatorische Einflüsse aus dem Ausland von uns fernhalten. Noch mehr als 1970 gilt daher: Stabilität beginnt zu Hause. Dabei ist der von uns in der Jahresprojektion vorgezeichnete Weg eng; er ist ein schmaler Mittelweg. Aber er ist weder ein Weg der „einkalkulierten Inflation" noch. ein Weg der „gewollten Rezession".

    (Beifall bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, unser klarer Stabilitätskurs für 1971 ist nur möglich, wenn zugleich volle Handlungsfreiheit für die Konjunkturpolitik gegeben ist. Die Politik muß in der Lage sein, jederzeit dann rasch und wirksam einzugreifen, wenn
    die Normalisierung der Nachfrage und der Beschäftigung das angestrebte Maß überschreiten sollte. Neben der Preisstabilität werden in der Tat auch andere Ziele, wie Verstetigung der Investitionen, hoher Beschäftigungsgrad und angemessenes Wachstum, in den Vordergrund der wirtschaftspolitischen Aufmerksamkeit rücken. Aber die Maßnahmen des vergangenen Jahres schaffen dabei für uns auch eine günstige Ausgangslage für ein elestisches Handeln in diesem Jahr. Fünf Maßnahmengruppen sind in diesem Jahr möglich und vorgezeichnet; wir haben sie in Ziffer 68 des Jahreswirtschaftsberichts wertfrei dargestellt.
    Die öffentlichen Haushalte sind mit einer Zuwachsrate von mehr als 12 % konjunkturgerecht. Alle Sachverständigen sind da einer Meinung. Der politische Theaterdonner, der im letzten Sommer in dieser Angelegenheit veranstaltet wurde, ist verhallt. Der Rest ist Schweigen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Unruhe bei der CDU/CSU.)

    — Der Rest ist Schweigen, wie Figura zeigt.
    Die Beschlüsse der Bundesregierung vorn 17. Januar haben dabei die weiter erforderliche Klarheit geschaffen: keine Steuererhöhungen für 1971. Falls die geplanten Ausgaben nicht durch entsprechende Steuereinnahmen gedeckt werden können, wird eine vertretbare Erhöhung der Nettokreditverschuldung ins Auge gefaßt.
    Mit den Kon junkturausgleichsrücklagen und mit dem Konjunkturzuschlag verfügt die Bundesregierung im Augenblick über eine stattliche wirtschaftspolitische Reservemasse in Höhe von 5,6 Milliarden DM. Diese Reserve ist auf den Sonderkonten der Bundesbank eingesperrt und würde maximal, bei Erhebung des Konjunkturzuschlages bis zum gesetzlichen Endtermin, auf über 8 Milliarden DM anwachsen. — Meine Damen und Herren, das nenne ich eine „vorbeugende Konjunkturpolitik"!

    (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    Über Zeitpunkt, Kombination und Dosierung der tatsächlich zu ergreifenden Maßnahmen wird die Bundesregierung, entsprechend der Entwicklung und orientiert an den Zielvorstellungen, entscheiden. Sie wird hierzu auch die anderen verantwortlichen Stellen der staatlichen Wirtschaftspolitik, also besonders den Konjunkturrat und die autonomen Gruppen hören.
    Durch die Entwicklung selbst und durch das allen sichtbar angereicherte konjunkturpolitische Arsenal der Bundesregierung wird die Konzertierte Aktion einen verstärkten Resonanzboden haben. Die Bundesregierung wird sich bei ihren Entscheidungen oder Vorschlägen allein von den verfügbaren Indikatoren und Daten, vom Gesamtbild der Konjunktur, leiten lassen und nicht etwa von einseitigen Aspekten oder Emotionen.
    Aus heutiger Sicht ergeben sich für die Wirtschaftspolitik folgende Perspektiven.
    Erstens. Die fiskalpolitischen Bremsmaßnahmen aus dem Jahre 1970 sollen, soweit sie nicht schon



    Bundesminister Dr. Schiller
    programmgemäß beendet sind, zunächst weiter- und auslaufen, so wie das durch die Juli-Beschlüsse programmiert ist. Ein vorzeitiger Stopp des Konjunkturzuschlages wird unter den gegenwärtigen Bedingungen von keiner staatlichen Instanz und auch nicht vom Sachverständigenrat befürwortet oder erwogen. Auch steht eine Rückzahlung des Konjunkturzuschlages heute und hier unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht zur Diskussion.

    (Abg. Lemmrich: Wenn Landtagswahlen sind!)

    Ich habe Verständnis dafür, daß die Frage der vorzeitigen Beendigung und der vorzeitigen Rückzahlung des Konjunkturzuschlages in den letzten Wochen und Monaten auf die Opposition so appetitanregend wirkte wie eine Wurst im Schaufenster.

    (Heiterkeit bei den Regierungsparteien. — Lachen bei der CDU/CSU.)

    So hieß es im „Pinneberger Tageblatt" vom 24. Dezember, just zum Heiligen Abend 1970: „Die CDU fordert eine sofortige Beendigung des 10 %igen Konjunkturzuschlages zur Lohn- und Einkommensteuer." Aber Herr Müller-Hermann wurde am 5. Januar 1971 im „Deutschland-Union-Dienst" bedeutend staatsmännischer, als er sagte: „Es ist daher ... zu früh, den Konjunkturzuschlag sofort zu stoppen. Es ist jedoch an der Zeit, sich um den richtigen Zeitpunkt des Stopps Gedanken zu machen."

    (Lachen bei der SPD.)

    Herr Stoltenberg variierte diesen wirklich wegweisenden Beitrag von Herrn Müller-Hermann am 14. Januar 1971 folgendermaßen: „Die CDU fordert die Bundesregierung auf, jetzt zu entscheiden, wann eine vorzeitige Beendigung des Konjunkturzuschlages möglich ist,

    (Abg. Dr. Stoltenberg: „Ob" heißt es! — Abg. Dr. Müller-Hermann: Nun zitieren Sie mal Herrn Klaus Dieter Arndt!)

    da diese Maßnahme sich nach den Feststellungen des Sachverständigenrates als Fehlschlag erwiesen hat." — Nun, Herr Stoltenberg, was die Haltung des Sachverständigenrates zur Einführung des Konjunkturzuschlages betrifft, so brauche ich nur — und das müssen Sie auch lesen — auf das im Jahresband veröffentlichte Sondergutachten des Sachverständigenrates vom 9. Mai 1970 zu verweisen, in dem der Rat diese Maßnahme — übrigens auch mit Sozialgrenze für niedrige Einkommen — selbst vorgeschlagen hat.

    (Abg. Dr. Stoltenberg: Warum zitieren Sie nicht das letzte Gutachten, auf das ich verwiesen habe?)

    — Beide Gutachten sind im Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung - in der Ziffer 7 - zitiert und gegeneinander abgewogen. Da ist deutlich gesagt: Zum Zeitpunkt der Entscheidung hat dieser Sachverständigenrat aus wohlerwogenen Gründen diese Maßnahme selber vorgeschlagen — auch im Unterschied zu Ihnen.

    (Abg. Dr. Luda: Zweieinhalb Monate früher!)

    — Also, hören Sie mal: Entscheidungsprozeß! Ich bitte Sie! Er begann Anfang Mai, dann kamen die Juni- und Juli-Debatte, und Anfang Juli ist entschieden worden.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Da war Landtagswahl!)

    Aber die öffentliche Debatte über eine vorzeitige Entscheidung beim Konjunkturzuschlag, an der sich die Opposition draußen im Lande so fruchtbar und anregend beteiligt hat, hat auch ihren Vorteil gehabt. Der damit verbundene Lernprozeß hat es allen klargemacht — ich nehme an, auch den Damen und Herren der Opposition —: wie das Gesetz es befiehlt, wird die Bundesregierung den Konjunkturzuschlag zum konjunkturgerechten Zeitpunkt auf Heller und Pfennig zurückzahlen.

    (Abg. Dr. Müller-Hermann: Vor der nächsten Wahl!)

    — Den Endtermin sehen Sie im Gesetz; er ist dort festgehalten. Im übrigen werden wir — das werden wir Ihnen zeigen — diese Sache mit dem Konjunkturzuschlag ehrlich zu Ende bringen.

    (Lachen bei der CDU/CSU.)

    Wir werden ihn nicht verrechnen — etwa gegen eine Einkommensteuererhöhung oder überhaupt gegen eine direkte Steuererhöhung —, sondern wir werden ihn bar ins Haus zurückschaffen. Das ist unsere Haltung.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Lemmrich: Drei Monate vor der Bundestagswahl! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Konjunkturgerecht! Sie regen sich jetzt wieder so auf, wie Sie sich im Sommer 1970 über die Steigerungsrate eines kommenden, noch gar nicht existenten Haushalts aufgeregt haben. Das ist genau dasselbe. Nun warten Sie doch einmal ab, wann wir diese Entscheidungen treffen! Sie werden sich sicherlich freuen. Es wird eine Überraschung für Sie sein.

    (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Wann wir diese Entscheidungen für einen vorzeitigen Stopp oder für eine vorzeitige Rückzahlung

    (Hört! Hört! bei der CDU)

    des Konjunkturzuschlages treffen, meine Damen und Herren, das steht ganz konkret in Ziffer 70 des Jahreswirtschaftsberichts. Dort heißt es: „Wenn der private Verbrauch spürbar weniger expandiert als bisher", werden wir diese Maßnahme zur Stützung der Nachfrage ergreifen.
    Zweitens. Die verstärkten fiskalischen Dämpfungsmaßnahmen vom Juli und die Zinsentwicklung im Ausland haben es der Deutschen Bundesbank erlaubt, im zweiten Halbjahr 1970 den Diskont bisher dreimal um insgesamt 11/2 Prozentpunkte zu senken. Die Bundesbank sollte zum gegebenen Zeitpunkt diesen monetären Kurs fortsetzen. Die Entwicklung im Ausland erleichtert eine solche Politik. Binnenwirtschaftlich wird ein deutliches Reagieren der Bundesbank auf den Entspannungsprozeß in der



    Bundesminister Dr. Schiller
    Wirtschaft in dreifacher Sicht von Vorteil sein: erstens, um den in der Phase der hohen Zinsen aufgestauten Konsolidierungsbedarf kurzfristiger Kredite in der Wirtschaft zu decken; zweitens, um die Investitionsbereitschaft der Wirtschaft zu stabilisieren und um die mittelständische Wirtschaft zu entlasten, die sich in der Restriktionsphase weit weniger Liquidität aus dem Ausland beschaffen konnte als die Großunternehmen; drittens, um eine konjunkturgerechte Ausgabenpolitik aller Gebietskörperschaften, z. B. auf dem Gebiet des Wohnungsbaus und bei den kommunalen Investitionen, zu ermöglichen. Das wären die Vorteile einer solchen Politik.
    Die Bundesbank ihrerseits hat eine zusätzliche zins- und liquiditätspolitische Auflockerung oder Erleichterung an die Erwartung geknüpft, daß die Normalisierung der Wirtschaft sich stärker auf den Bereich der Löhne und der Preise erstrecken müsse. Wir haben dafür Verständnis. Auch der Sachverständigenrat hat in seinem Gutachten zur Geldpolitik ausdrücklich folgendes erklärt: Es „ ... wäre eine rasche und starke Zinssenkung seitens der Bundesbank spätestens dann angezeigt, wenn die Indikatoren der konjunkturellen Entwicklung ... die Tendenz, die unserer Prognose zugrunde liegt, einige Monate lang bekräftigt haben".
    Drittens. Meine Damen und Herren, in dieser Konstellation muß sich die Bundesregierung bemühen, ihre Orientierungsdaten als Kurszahlen der Stabilität im öffentlichen Bewußtsein zu verfestigen. Sie wird es damit auch der Bundesbank erleichtern, rechtzeitig ihre entsprechenden Entscheidungen zu treffen.
    Alle Teilnehmer der Konzertierten Aktion am 10. Dezember letzten Jahres haben die den Orientierungsdaten zugrunde liegenden wirtschaftlichen Ziele als wünschenswert und realisierbar bezeichnet. Die Bundesregierung hat dazu erklärt, daß Fortschritte in Richtung auf eine höhere Preisstabilität erreicht werden können, wenn sich unter anderem die effektiven Lohnsteigerungen im Jahresverlauf in einer Größenordnung von durchschnittlich 7 bis 8 % bewegen. Die Bruttoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen könnten dann gleichzeitig um 3 bis 4 % ansteigen. Solche Größen entsprächen der voraussichtlichen Entwicklung an den Warenmärkten und am Arbeitsmarkt. Sie würden auch dem Charakter des Jahres 1971 als Jahr des Übergangs zu einem besseren Gleichgewicht gerecht.
    Viertens. Hinter den Orientierungsdaten steht eine Wirtschaftspolitik, die den Unternehmern folgendes sagt.
    Die gegenwärtige Lage rechtfertigt keinen Konjunkturpessimismus. Es lohnt sich gerade 1971, alte Investitionen finanziell zu konsolidieren und neu zu investieren.
    Von den Unternehmern verlangen wir weiß Gott nicht karitative Preisgeschenke, sondern realistische Preisentscheidungen. Gerade in der Normalisierungsphase der Konjunktur können Preiserhöhungen einen unerwartet raschen Rückgang der Nachfrage bewirken. Damit würde einer befriedigenden
    Entwicklung der Unternehmergewinne im Jahre 1971 ebenso der Boden entzogen wie den dringend erforderlichen kostensenkenden Investitionen. Gerade die Unternehmer sollten in dieser Situation die Flagge der Marktwirtschaft zeigen. Gerade bei weichender Nachfrage erhält der Leistungswettbewerb eine besondere Bedeutung. Eine offen oder stillschweigend nach oben koordinierte Preispolitik der Unternehmer könnte ihre Situation allenfalls für kurze Frist verbessern. Schon bald würde eine solche Politik der Koordinierung der Preise nach oben niemandem nützen und allen schaden, weil sie die marktwirtschaftliche Anpassung an die neue Konjunkturlage verzögert oder erschwert.
    Die Unternehmer sollten auch zur Kenntnis nehmen, daß es in der Regierungserklärung von Bundeskanzler Brandt vom 28. Oktober 1969 wörtlich folgendermaßen heißt:
    Auf Dauer können Stabilität und Wachstum nur in einer funktionsfähigen marktwirtschaftlichen Ordnung erreicht werden.
    Diese Verpflichtung auf die Marktwirtschaft, Herr Höcherl, gilt also nicht nur für einige dafür besonders zuständige Kabinettsmitglieder, sondern diese Verpflichtung auf die Marktwirtschaft wird von der ganzen Bundesregierung als Richtschnur ihres Handeins angesehen.

    (Abg. Höcherl: Das kann man nur hoffen! — Abg. Dr. Althammer: Das war früher selbstverständlich, Herr Minister!)

    — Bei dem, was wir von Ihrer Seite hören, fühlen wir uns manchmal darin ermutigt, für die Marktwirtschaft auch nach Ihrer Seite hin einzutreten.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU.)

    - Jetzt redet der griechische Chor aber arg durcheinander, Herr Stoltenberg.
    Fünftens. Den Arbeitnehmern und den Gewerkschaften raten wir in dieser Konjunkturphase folgendes. Eine Normalisierung und Verstetigung des privaten Verbrauchs ist am Platze. Niemand sollte aus Furcht vor anhaltenden Preissteigerungen zukünftigen Konsum ohne Not in die Gegenwart vorverlegen. Das Sparerverhalten hat sich gegen Ende des Jahres erfreulicherweise stabilisiert. Die Börsenentwicklung profitiert davon. Und als Meinungsbarometer spiegelt sich in den Börsenkursen auch gestärktes Vertrauen wider, Vertrauen darauf, daß Bundesregierung und Bundesbank die Dinge stärker im Griff haben. Das ist der Grund.

    (Abg. Dr. Müller-Hermann: 1970 minus 30 %!)

    — Wir sind jetzt ein bißchen weiter. Sie sind nicht à jour.

    (Abg. Dr. Stoltenberg: Minus 28 %!)

    Auch die Tarifpolitik sollte sich 1971 realistischen Maßstäben nähern. Und alle Erfahrungen der Vergangenheit haben gezeigt, daß eine expansive Nominallohnpolitik, der eine Preissteigerung auf den Fersen ist, auf mittlere Frist nur wenig Erfolg für eine reale Veränderung der Einkommensverteilung ver-



    Bundesminister Dr. Schiller
    spricht. Wenn sich die Lohnentwicklung jetzt und in Zukunft den Orientierungsgrößen sichtbar annähert, ist die Chance dafür gegeben, daß sich das nun erreichte hohe Nominallohnniveau auch in entsprechenden zukünftigen Realeinkommen niederschlägt.
    Auch die Arbeiter und Angestellten haben ein Eigeninteresse am vollen Funktionieren des marktwirtschaftlichen Prozesses. Denn nur in diesem System können wir jenes Maß an leistungssteigernden Investitionen erwarten, das für neue und bessere Arbeitsplätze, für eine nachhaltige Verbesserung der Individualeinkommen und für ein Mehrangebot an öffentlichen Leistungen auf allen Gebieten der Infrastruktur unerläßlich ist.

    (Abg. Dr. Stark [Nürtingen] : Sagen Sie das einmal Herrn Steffens!)

    — Nun, gerade für eine aktive Infrastrukturpolitik auf der Basis eines stetigen wirtschaftlichen Wachstums ist er sehr. So ist es.
    In dieser Lage der Konjunktur müssen wir Risiko und Chance sorgsam abwägen. Das akute Risiko der gegenwärtigen Konjunktursituation liegt in der Erwartung weiter steigender Preise und in der Fortdauer des Kostendrucks.

    (Abg. Dr. Müller-Hermann: Sehr richtig!)

    Wenn in einer Gesellschaft der Glaube an die Unvermeidbarkeit von Preissteigerungen als Folge von früheren Lohnerhöhungen in ein bestimmtes Stadium getreten ist und sich weit ausgebreitet hat, so kann es zu einem Perpetuum mobile von Preis- und Lohnsteigerungen kommen. Wir halten dagegen weitere Preis- und Kostensteigerungen nicht für unvermeidbar, und wir werden unseren Kampf gegen die Inflationsmentalität nicht aufgeben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Lachen und Zurufe bei der CDU/CSU.)

    - Zu dem Kampf gegen die Inflationsmentalität könnten Sie von der Opposition auch ein bißchen beitragen, wenn die Lage hier so realistisch eingeschätzt wird.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    Wir müssen dem Kostendruck auf zwei Wegen entgegenwirken: durch kostensenkende Investitionen und durch eine marktgerechte Lohnpolitik. Der technische Fortschritt muß ebenso zur Wirkung kommen wie eine konsequente Wettbewerbspolitik im Innern und nach außen. Es gibt in unserer freiheitlichen Ordnung und in dieser Konjunkturphase nur eine sehr schmale Wegstrecke, auf der hohe Beschäftigung und höhere Geldwertstabilität gleichzeitig zu haben sind. Wenn wir diesen Weg verfehlen, könnte die Alternative „Flucht in den Dirigismus" einerseits oder „stetige Erosion unserer Wohlstandsgesellschaft durch inflationäre Entwicklungen" andererseits heißen. Beide Alternativen wollen wir vermeiden, und beides werden wir vermeiden.
    Meine Damen und Herren, dies ist eine ernste Herausforderung an alle Kräfte in unserer Gesellschaft. Denn wir finden in der westlichen Industriewelt, in den zahlreichen Preis- und Lohnstopps auf
    der einen Seite und in den eruptiven gesellschaftlichen Auseinandersetzungen auf der anderen Seite, leider manche praktische Beispiele für die beiden unguten Möglichkeiten, die ich geschildert habe. Aber wir in der Bundesrepublik befinden uns da in einer sehr guten Lage, und das ist die große Chance für unsere weitere Stabilitätspolitik. Für uns ist die Wahl für den Weg des Gleichgewichts offen. Wir können frei optieren. Unsere autonomen Gruppen, die so viele Verdienste für die Stabilität unserer Gesellschaft haben, sind intakt. Unser Industrieapparat ist hochmodern und hocheffizient. Unser marktwirtschaftliches System funktioniert. Die kollektive Vernunft, wie sie sich etwa in der Konzertierten Aktion ausdrückt, ist in unserem Lande nicht aufgegeben.

    (Abg. Dr. Stark [Nürtingen] : Was könnte man da mit einer besseren Regierung erreichen!)

    Ja, unsere Bevölkerung hat einen sehr wachen Sinn dafür.

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)

    Sie wünscht nämlich, daß wir die Probleme durch gemeinsame Anstrengungen lösen. So sollte es allen, Staat und Gesellschaft, nicht schwerfallen, die Entscheidungen für den Weg zum Gleichgewicht, die Entscheidung für die Vernunft zu treffen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Haase [Kassel] : Aber nicht mit so einer Regierung!)