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ID0609311500

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    Deutscher Bundestag 93. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 28. Januar 1971 Inhalt: Eintritt des Abg. Dr. Farthmann in den Bundestag 5043 A Amtliche Mitteilungen . . . . . . . 5043 A Begrüßung einer Delegation des Parlaments der Volksrepublik Polen 5051 A Bericht der Bundesregierung zur Lage der Nation 1971 (Drucksache V1/1690) in Verbindung mit Große Anfrage der Fraktionen der SPD, FDP betr. Außenpolitik der Bundesregierung (Drucksachen VI/ 1638, V1/1728) und mit Aussprache über den Bericht der Bundesregierung zur Lage der Nation 1971 Brandt, Bundeskanzler . 5043 B, 5058 B Dr. Barzel (CDU/CSU) 5051 B Dr. Apel (SPD) 5059 B Mischnick (FDP) 5064 B Dr. Gradl (CDU/CSU) . . . . . 5071 C Wienand (SPD) 5076 A Borm (FDP) . . . . . . . . 5083 A Schmidt, Bundesminister . . . . 5090 A Dr. Freiherr von Weizsäcker (CDU/CSU) . . . . . . . . . 5100 A Dr. Haack (SPD) . . . . . . . . 5104 C Franke, Bundesminister . . . . . 5108 B Dr. Becher (Pullach) (CDU/CSU) . . 5113 C Dr. Bußmann (SPD) . . . . . . . 5118 A Amrehn (CDU/CSU) . . . . . . 5119 D Moersch (FDP) . . . . . . . . 5122 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . . 5124 C Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 5125 A Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 93. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. Januar 1971 5043 93. Sitzung Bonn, den 28. Januar 1971 Stenographischer Bericht Beginn: 10.00 Uhr
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    Berichtigung: 90. Sitzung, Seite 4932 C, letzte Zeile: Zwischen den Wörtern „Haushaltsausschuß" und „gemäß" ist einzufügen: „mitberatend und" Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Adams ** 28. 1. Dr. Ahrens * 29. 1. Alber * 29. 1. Dr. Arndt (Berlin) 1. 2. Dr. Artzinger ** 29. 1. Bals * 29. 1. Bauer (Würzburg) * 29. 1. Berberich 28. 1. Dr. von Bismarck 28. 1. Blumenfeld 29. 1. Dr. Burgbacher ** 29. 1. Bühling 28. 2. Dasch 5.4. van Delden 29. 1. Dichgans 29. 1. Frau Dr. Diemer-Nicolaus * 29. 1. Dr. Dittrich ** 29. 1. Dr. Dollinger 23. 2. Draeger *** 29. 1. Flämig ** 29. 1. Fritsch * 29. 1. Dr. Furler * 29. 1. Gewandt 29. 1. Dr. Götz 13. 2. Grüner 29. 1. Dr. Hallstein 29. 1. Frau Herklotz 29. 1. Dr. Hermesdorf (Schleiden) * 29. 1. Hösl * 29. 1. Dr. Jahn (Braunschweig) ** 28. 1. Dr. Jungmann 15. 2. Dr. Kempfler 29. 1. Frau Klee * 29. 1. Klinker 29. 1. Dr. Koch ** 29. 1. Kriedemann ** 29. 1. Freiherr von Kühlmann-Stumm 29. 1. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich Lange ** 29. 1. Lautenschlager ** 29. 1. Lemmrich * 29. 1. Lenze (Attendorn) * 29. 1. Lücker (München) ** 28. 1. Dr. Martin 29. 1. Memmel ** 29. 1. Müller (Aachen-Land) ** 28. 1. Dr. Müller (München) * 29. 1. Pöhler * 29. 1. Dr. Prassler 29. 1. Rasner 12. 2. Riedel (Frankfurt) ** 29. 1. Richarts * 29. 1. Richter *** 29. 1. Dr. Rinderspacher *** 29. 1. Roser 29. 1. Schmidt (Würgendorf) * 29. 1. Dr. Schmücker * 29. 1. Frau Schröder (Detmold) 29. 1. Dr. Schulz (Berlin) * 29. 1. Saxowski 2. 2. Sieglerschmidt * 29. 1. Springorum ** 29. 1. Steiner 29. 1. Strauß 29. 1. v. Thadden 6. 2. Frau Dr. Walz *** 29. 1. Dr. Warnke 29. 1. Weber (Heidelberg) 29. 1. Wienand * 29. 1. Dr. Wörner 29. 1. * Für die Teilnahme an Sitzungen der Beratenden Versammlung des Europarates ** Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments *** Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen der Versammlung der Westeuropäischen Union
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Richard von Weizsäcker


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Ich habe diese Feststellung schon mehrfach öffentlich getroffen. Wenn Sie das Bedürfnis dazu gehabt hätten, dann hätten Sie ja im Auswärtigen Ausschuß darauf zurückkommen können.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir alle bejahen deutsche Beiträge zur internationalen Lage, wenn sie im Einklang mit dem Grunderfordernis der Deutschlandpolitik geleistet und auch so verstanden werden. Aber es ist eine gefährlich kurzfristige Politik, die nachbarlichen Beifall auslöst, weil sie die Realität des fortdauernden Willens der Deutschen, zusammenzugehören, in den Verträgen nicht in der geeigneten Weise zum Ausdruck zu bringen weiß. Es ist eben wesentlich schwieriger, als es sich die Bundesregierung bisher gemacht hat, die beiden Ziele, nämlich Beiträge zur internationalen Entspannung und die Bekräftigung des Selbstbestimmungsrechts, so miteinander zu verbinden, daß sie sich gegenseitig befruchten.
    Eine ähnliche Sorge tritt uns vielleicht noch deutlicher im Verhältnis der beiden anderen Ziele — Selbstbestimmung einerseits und Regelung des Nebeneinander andererseits — gegenüber. In der einen oder anderen technischen Frage mögen Fortschritte gemacht worden sein, trotz manchen Ärgers, den wir gerade auch auf technischem Gebiet in den letzten Tagen bei dem Thema Telefon erlebt haben. Im ganzen können wir aber hier nur in aller Nüchternheit feststellen: Stärker als je zuvor wehrt sich Ost-Berlin ideologisch gegen das Nebeneinander und zieht daraus politische Konsequenzen.

    (Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]:: Und deshalb wollen Sie resignieren?)

    — Ich komme darauf zurück, Herr Schäfer, keine Sorge!
    Die Gründe für diese Abwehrhaltung sind ja nicht schwer zu erkennen. Die SED ist auf Sicherung ihrer Existenz und Macht angewiesen. Der Anspruch auf freie Selbstbestimmung — das wissen wir — trifft sie ins Mark. Sie kann sich nach ihrem Verständnis nur auf solche Fragen des Nebeneinander einlassen,
    von denen sie glaubt, daß sie ihr helfen, den Anspruch auf Selbstbestimmung zurückzuweisen.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Sie ist nach ihrem Selbstverständnis gezwungen, Begriff und Sache der innerdeutschen Beziehungen abzuwehren. Das haben wir doch alle überdeutlich erlebt. Die erste Ostberliner Reaktion auf die neue Bundesregierung war der Staatsvertragsentwurf im Dezember 1969; nicht um praktische Probleme zu lösen, sondern um eine völkerrechtliche Teilung formell anzustreben. Das folgende Erfurter Treffen — ich nannte es schon — war eine quasi-plebiszitäre Bekräftigung des Willens der Zusammengehörigkeit. Aber gerade darauf ließ die heftige Reaktion der SED nicht auf sich warten: Das war die Propagandarede von Stoph in Kassel. Dann folgte die sogenannte Denkpause. Man mauerte in Ost-Berlin, bis man die Chance sah, das eigene Konzept wieder ins Spiel zu bringen. Das waren die Berlin-Verhandlungen.

    (Abg. Dr. Barzel: Sehr richtig!)

    Zur Zeit gibt es nun bei uns viel Streit über die Frage, ob die Verhandlungen über eine Berlin-Regelung und über Deutschland zusammenhängen oder nicht. Die Koalitionsparteien werfen uns vor, wir wollten nur ein neues Hindernis gegen den Moskauer Vertrag aufbauen; es sei gewissermaßen ein taktisches Abwehrmanöver der Opposition, das in Wahrheit die DDR zum Schiedsrichter über das Schicksal unserer Beziehungen zur Sowjetunion machen würde. Ich kann diesen Vorwurf nur zurückweisen und fragen, ob die Bundesregierung denn wirklich übersieht, daß nicht wir, sondern Ost-Berlin selbst diesen Zusammenhang unablässig herstellt. Wir können dem gar nicht aus dem Wege gehen, auch wenn wir es wollten.
    Ulbricht sagt, wenn ihr für den Moskauer Vertrag eine Berlin-Regelung braucht, dann braucht ihr uns, d. h. dann müßt ihr euch zu unseren deutschlandpolitischen Forderungen stellen. Was ist denn — um nur einziges Beispiel zu nennen — der vorgeschlagene Transitvertrag anderes als ein entscheidendes Stück Ostberliner Deutschlandpolitik in Richtung auf eine Dreiteilung Deutschlands?

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wenn Moskau seinem Verbündeten Ulbricht in Sachen Moskauer Vertrag wirklich eine Schiedsrichterrolle spielen lassen wollte, nun, dann besitzt sie Ulbricht doch sowieso schon in der Berlin-Frage. Es heißt doch wahrlich die Dinge auf den Kopf stellen, wenn man behauptet, das erfolge erst durch den Ruf der Opposition nach zusätzlichen innerdeutschen Regelungen.
    Es sind gerade die Berlin-Verhandlungen, die Ost-Berlin Veranlassung geben, in immer neuen Steigerungen das Konzept der Politik der Abgrenzung vorzutragen. Zwar hat auch die SED, wie wir wissen, die Einheit der Nation zum Verfassungsgebot erhoben. Das hindert sie aber keineswegs, ihre Deutschlandpolitik als Gesellschaftspolitik zu betreiben.

    (Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!)




    Dr. Freiherr von Weizsäcker
    Angesichts der Unterschiede der Gesellschaftssysteme heißt diese Deutschlandpolitik also heute Abgrenzung. Der konstitutionelle Auftrag lautet, alle Deutschen in der sozialistischen Gesellschaft zu vereinen.
    Für den Bereich der DDR — so Ulbricht - ist dieses Ziel schon erreicht. Die DDR ist der sozialistische deutsche Nationalstaat — der Bundeskanzler hat heute morgen auch schon auf dieses Zitat hingewiesen , der sich auf dem Wege zur Herausbildung einer sozialistischen deutschen Nation befindet. Ich glaube, nach dem Verständnis von Ulbricht besteht da kein Widerspruch, Herr Bundeskanzler. In der Bundesrepublik aber — so Ulbricht — herrscht der Klassenfeind; der Einheitsauftrag läßt sich zur Zeit folglich nur durch eine Politik der Abgrenzung wahren; intensive und besondere Beziehungen innerdeutscher Art, die auf die Initiative des imperialistischen Teils Deutschlands zurückgehen, können diesen Einheitsauftrag nur gefährden. Erst später, nach weiterer innerer Konsolidierung und bei der erhofften zunehmenden deutschlandpolitischen Erlahmung im Westen, erst dann soll die Herrschaftschance für eine vereinte sozialistische Nation positiv offensiv ins Spiel gebracht werden.

    (Abg. Dr. Stark [Nürtingen] : Das ist Realität!)

    Bis dahin aber hält es die SED für nötig, ihre Politik zum eigenen Schutz auf dein Gegensatz zur Bundesrepublik aufzubauen.
    Seit langem gibt es bei uns einen heftigen Streit, welches die richtige Bonner Antwort 'darauf sei, um nämlich die Zusammengehörigkeit der Deutschen zu fördern, zugleich aber der Regierung Ulbrichts das Gefühl der Unsicherheit oder des Bedrohtseins zu nehmen. Es ist ein Streit, der oft genug mit ideologischem Eifer und moralischen Vorwürfen gegen die früheren Bundesregierungen geführt wurde. Da hieß es dann, eine Politik der Nichtanerkennung sei die wesentliche Ursache der Spannung, weil sie es Ost-Berlin nicht erlauben, die Empfindung deutscher Zweitklassigkeit abzulegen. Entkrampfung, so hieß es, werde es nur geben, wenn wir uns öffnen, entgegengehen und kooperieren. Das sind bestechende Vorschläge, kein Zweifel, und wir sind uns darüber einig, das unser Selbstvertrauen einen solchen Weg nahelegt.
    Wandel durch Annäherung heißt also die Parole. Aber was ist daraus geworden? — Eine in Wandlung befindliche Position der DDR im Bereich der internationalen Anerkennung und eine bekräftigte Unwandelbarkeit ihrer Beziehungen zu uns. Statt Annäherung treibt die Abgrenzung immer neue Blüten.
    Ich fürchte, dies zeigt sich auch an den Folgen der Einstellung, die die Bundesregierung bisher zum Thema Anerkennung hat erkennen lassen. Sie, Herr Bundeskanzler, und Herr Staatssekretär Bahr haben mehrfach ausgesprochen, es könne keine völkerrechtliche Anerkennung Ost-Berlins durch uns geben, weil das eine Verfügung über Deutschland als Ganzes im Sinne der Teilung und ein Eingriff in die Rechte der Vier Mächte wäre. Gleichzeitig aber hat Ihre Regierung in Kassel und im Bahr-Papier eine
    Absichtserklärung über den Beitritt beider deutscher Staaten in die UNO abgegeben.
    Wie aber ist die Ostberliner Interessenlage? -Dort sucht man vor allem internationale Anerkennung. Man braucht sie für die Konsolidierung des eigenen Systems. Der alles entscheidende Schritt hierfür ist aber die UNO-Mitgliedschaft, dagegen keineswegs der Botschafteraustausch mit uns.
    Natürlich sage ich damit nicht, daß wir deshalb diplomatische Beziehungen zu Ost-Berlin aufnehmen sollten. Wir würden ja damit nur ein taktisches Argument beseitigen, aber den Kern des Bedürfnisses nach Abgrenzung überhaupt nicht treffen. Ich sage nur, daß Absichtserklärungen wegen der UNO-Mitgliedschaft einer der Punkte sind, wo die SED unsere Zeichen guten Willens wortlos und ohne Dankeszeichen in die Tasche steckt, zugleich aber ihre Politik der Abgrenzung nur noch steigert.
    Die letzten zwölf Monate haben uns — das ist meine Überzeugung — eine Deutschland-Politik gebracht, die eine unglückliche Mischung von zu weitgehender sachlicher Konzessionsbereitschaft mit zu weitgehender provokativer Beunruhigung darstellt.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir sollten uns die „Ehrentitel", die man Ihnen von der Regierungskoalition und uns immer wieder von drüben her verleiht, nicht gegenseitig um die Ohren schlagen.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Die deutsche Sozialdemokratie ist eine der tragenden Kräfte der deutschen Demokratie überhaupt. Aber die Sorge Ost-Berlins vor dem „Sozialdemokratismus" sollte wahrlich auch nicht — wie man es gelegentlich hört — zum Anlaß eines gewissen Stolzes dienen, daß man die Sozialdemokratie deswegen so fürchten müsse, weil sie und sie allein eine ernst zu nehmende Chance drüben habe. Sondern jede der Seiten dieses Hauses hat die Pflicht zum selbstkritischen Nachdenken dann, wenn ihre politische Lesart im Feld der gesamtdeutschen Politik provokatorisch wirkt und Abgrenzung statt Annäherung fördert.
    Meine Damen und Herren! Es ist schwierig genug, die Einheit zu wahren und zugleich zur Entkrampfung zwischen den beiden Teilen Deutschlands beizutragen. Seit dem letztjährigen Bericht zur Lage der Nation sind wir diesem Ziel wahrlich nicht nähergekommen. Um so mehr ist es unsere gemeinsame Aufgabe, darüber nachzudenken, was zu geschehen hat.
    Lassen Sie mich zum Abschluß, Herr Präsident, hierzu noch drei Punkte nennen:
    Erstens. Die Bundesregierung steht mitten in Berlin-Verhandlungen, und wir sollten jede Anstrengung machen, diese Verhandlungen von hier aus gemeinsam zu fördern, ganz unabhängig davon, wie wir zu den unterzeichneten Verträgen stehen. Diese Verhandlungen sind eine große außenpolitische Operation. Dafür braucht man ein klares Konzept und eine feste Rückfallposition. Es sollte nicht möglich sein, den eigenen Standpunkt zu relativieren und den Eindruck zu erwecken, als ob einem der



    Dr. Freiherr von Weizsäcker
    Abschluß von Vereinbarungen wichtiger sei als die Verteidigung des eigenen Standpunktes.

    (Abg. Dr. Barzel: Sehr gut!)

    Die Verhandlungspartner müssen vielmehr genau wissen — und dazu sollten wir gemeinsam beitragen —, daß auch der Abbruch der Verhandlungen in Frage kommt, wenn ihre Fortführung den harten Kern des eigenen Konzepts gefährdet.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Zweitens. In der Deutschlandpolitik müssen wir zu jeder Verhandlung, zur Regelung jeder technischen und menschlichen Frage mit Ost-Berlin bereit sein. Wir dürfen uns auch nicht scheuen, hierfür Interesse und Kooperation der Ostberliner Regierung zu gewinnen, sowenig sie von ihrer eigenen Bevölkerung legitimiert und geliebt sein mag. Freilich, der übergeordnete politisch-sachliche Begriff der innerdeutschen Beziehungen hat dies bisher nicht erleichtert. Alles, was wir tun können, muß in dem Bewußtsein geschehen, daß die Hebel des direkten Kontakts zwischen Bonn und Ost-Berlin zu kurz sind, um die Beziehungen der Deutschen in einem politisch umfassenden Sinn auf eine neue Basis zu stellen, um das Miteinander wirklich bilateral zu lösen. Dazu sind und bleiben wir auf größere Zusammenhänge angewiesen.
    Drittens und letztens. Es geht für niemanden von uns um gesamtdeutsche Vertretungsmacht oder um nationale Ansprüche um der Ansprüche willen. Der jüngste Anschauungsunterricht bei den Ereignissen in Westafrika davon war heute schon mehrfach die Rede - hat uns gelehrt, daß keine Regierung in diesem Land darum herumkommt, für die Wallrung des Namens aller Deutschen einzutreten. Sie muß es schon zum Schutz des Lebens ihrer eigenen Bürger tun.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wenn es einen Sinn haben soll, einen 20-PunkteKatalog für die Beziehungen der Deutschen untereinander aufzustellen und dabei von der Einheit der Nation auszugehen, dann muß von dieser Einheit auch in der Substanz der Punkte ausdrücklich die Rede sein. Diese Einheit aber muß sich zuerst und vor allem auf die Rechte und Pflichten der Deutschen beziehen. Wenn hüben und drüben Bürger einer Nation leben, dann haben für sie im Prinzip auch hüben und drüben dieselben Pflichten zu gelten. Auch wenn wir das nicht durchsetzen können und natürlich nicht mit Gewalt durchsetzen wollen, so haben wir es doch zu fordern und für unseren Bereich zuzusagen.
    Unsere Aufgabe ist und bleibt, über den Zusammenhalt der Nation nicht nur wissenschaftliche Erhebungen anzustellen, so wertvoll sie auch sein können, und nicht nur die Entwicklung des Willens der Bürger zu beobachten, sondern in erster Linie durch konkrete politische Forderungen diesen Willen zu beeinflussen und lebendig zu halten, diesen Willen, der eine Identifizierung mit Deutschland als Ganzem ist und bleibt.

    (Anhaltender, lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)



Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Dieter Haack. Seine Fraktion hat eine Redezeit von 20 Minuten erbeten.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Dieter Haack


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch die Rede des Herrn Abgeordneten von Weizsäcker konnte nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Bundeskanzler heute vormittag in seinem politischen Bericht über die Lage unserer Nation ein klares, nüchternes und realistisches Bild gezeichnet hat. Das ist eben der Ausdruck der Deutschland- und Ostpolitik dieser Regierung, daß sie keine Widersprüche, keine Halbheiten und keine Unwahrhaftigkeit und keine Illusionen beinhaltet. Sie geht klar und nüchtern und unpathetisch von den im Jahre 1971 bestehenden Realitäten in Deutschland aus, von der Teilung in zwei Staaten, von dem Verlust der deutschen Ostgebiete, von dem Fortbestehen der Einheit der Nation. Dabei sind wir der Auffassung, daß die staatliche Wiedervereinigung Deutschlands nicht der ausschließliche Weg sein muß. Schließlich geht sie von den engen und unauflöslichen Bindungen zwischen West-Berlin und der Bundesrepublik aus.
    Ich glaube, daß sich dadurch diese Politik von der Politik früherer Bundesregierungen grundsätzlich abhebt, von der Politik der Regierungen Adenauer und Erhard, in denen gegenüber der DDR eine von Rechtspositionen festgelegte Politik der Ignorierung betrieben wurde. Diese dogmatische Politik war so stark ich darf Ihnen nur ein Beispiel nennen —, daß in dieser Regierung sogar im Dezember 1963 vor Abschluß des ersten Passierscheinabkommens Widerstände überwunden werden mußten. Aber ich glaube, diese Regierungspolitik ist auch ein Fortschritt gegenüber der Politik der Großen Koalition, die zwar in Ansätzen eine wesentliche Neuorientierung unserer Deutschlandpolitik gebracht hat, die aber wegen der unterschiedlichen Auffassungen des damaligen Koalitionspartners CDU/CSU nicht zu einem ganz konsequenten Handeln dieser Regierung führen konnte. Ich glaube außerdem, daß die Deutschlandpolitik dieser Regierung der einzige Weg ist, um in der Zukunft ein besseres Verhältnis zwischen den beiden getrennten Teilen Deutschlands zu erreichen, weil diese Politik einen Zustand in Deutschland anstrebt, der mit den Interessen unserer Nachbarvölker übereinstimmt, der auf der realen Lage in Mitteleuropa aufbaut, der die deutschen Probleme in den Gesamtzusammenhang der Ost-West-Probleme stellt und der die Staatspartei der DDR als notwendigen Gesprächspartner nicht isoliert, sondern im Gegenteil zur Kooperation bringen will.
    Eine solche Politik muß zwangsläufig auf viele Widerstände stoßen: bei den konservativen und nationalistischen Kräften in der Bundesrepublik, die Rechtsansprüche und antikommunistische Phraseologie seit 25 Jahren als Politik ausgeben und dadurch mit zu einer fast totalen Spaltung beigetragen haben; bei den kalten Kriegern in Ost-Berlin, für die eine Besserung des Verhältnisses zwischen der Bundesrepublik und der DDR eine Infektionsgefahr ist, die ihr Herrschaftssystem in Frage stellt.



    Dr. Haack
    Fortschritte in der deutschen Frage, soweit es auf die beiden deutschen Seiten ankommt, hängen deshalb in der nächsten Zeit davon ab, daß in der Bundesrepublik die begonnene Entspannungspolitik konsequent fortgesetzt werden kann und daß die Führung der SED in Ost-Berlin den Wunsch aller Völker Europas nach Verständigung, Ausgleich, Frieden und Zusammenarbeit ihrer Politik zugrunde legt und ihre Minderwertigkeitskomplexe in der Auseinandersetzung mit der Bundesrepublik ablegt.
    Die Polemik der SED der letzten Wochen ist wieder besonders hektisch. Darüber wurde heute schon verschiedentlich gesprochen. Da es hier um eine Debatte über die Lage der Nation geht, sollten wir auch darüber nicht hinweggehen. Ich möchte in diesem Zusammenhang drei Äußerungen zitieren. Die erste stammt von DDR-Ministerpräsident Stoph beim Festakt anläßlich des einundzwanzigjährigen Bestehens der DDR im Oktober 1970, wo er von der Fiktion der Einheit der Nation und einem unvermeidbaren Prozeß der Abgrenzung und nicht der Annäherung sprach.
    Ferner möchte ich die Feststellung des Staatsratsvorsitzenden Ulbricht bei der Vorbereitung des 25. Jahrestages der SED im Dezember des vergangenen Jahres erwähnen, wo er vom „sozialistischen deutschen Nationalstaat DDR" sprach, in dem sich der Prozeß der Herausbildung einer sozialistischen deutschen Nation vollziehe, während die Bundesrepublik Deutschland ein imperialistischer Staat der NATO sei, der den verbliebenen Teil der burger-lichen deutschen Nation unter den Bedingungen des staatsmonopolistischen Herrschaftssystems verkörpere.
    Ich möchte hier feststellen, daß diese letzte Außerung von Herrn Ulbricht immerhin einen Fortschritt gegenüber seiner internationalen Pressekonferenz im Januar 1970, nach dem letzten Bericht des Bundeskanzlers zur Lage der Nation, darstellt, auf der Herr Ulbricht selbst der Bundesrepublik nicht mehr den Charakter einer Nation zugestanden hat.
    Schließlich möchte ich die Außerung von Herrn Winzer zum 100. Jahrestag der Reichsgründung zitieren, nach der es, wenn wir von „Nation" sprechen, eine pure Heuchelei und Rechtfertigung aggressiver Pläne sei.
    Ich glaube, daß man bei einer solchen Diskussion, wenn man wirklich über die Lage der Nation spricht, den Führern der SED ihre Äußerungen bis zum Jahre 1966 entgegenhalten müßte, in denen sie von der Einheit der Nation ausgegangen sind. Ich möchte auf drei Dokumente hinweisen, ohne sie hier zu zitieren: auf das Nationale Dokument der SED aus dem Jahre 1962, auf den 6. Parteitag der SED von 1963 und auf den 20. Jahrestag der SED von 1966, auf dem Ulbricht ein grundlegendes Referat über den künftigen Weg Deutschlands gehalten hat. Hier wurde noch von der Einheit der Nation gesprochen.
    Ich frage, ob solche Begriffe wie „Nation" manipulierbar, ob sie nur Funktion politischer Taktik sind. Ich meine, daß die gegenwärtige Diskussion über den Begriff der Nation ein durchsichtiges Manöver der SED aus innenpolitischen Gründen ist, das so weit geht, daß unsere deutsche Nation sogar noch rückwirkend, in die Vergangenheit hinein, gespalten werden soll, indem alles, was positiv in der deutschen Geschichte gewesen ist — ich nenne die Freiheitskämpfe und den Widerstand gegen Hitler — für die DDR reserviert wird.
    Ich sage das wegen der innenpolitischen Diskussion in der Bundesrepublik. Diese Bundesregierung geht mit Recht von der Einheit der Nation aus, denn 25 Jahre nach der Teilung Deutschlands besteht die Spaltung offenkundig nur im staatlichen Bereich. Die menschlichen Kontakte sind stark und ungebrochen. Die Übersteigerung des Nationalen im Nationalsozialismus zum Nationalismus, Rassismus und Imperialismus und die neue Linie der SED, die Nation zu leugnen, können uns in der Bundesrepublik Deutschland nicht aus der nationalen Verantwortung entlassen oder resignieren lassen. Aus unserer leidvollen Geschichte heraus haben wir die Verpflichtung, dem nationalen Gedanken einen neuen Sinn zu geben; denn auch in diesem Bereich gibt es Realitäten. Überall in der Welt gibt es Nationen. Die nationalen Interessen sind nach wie vor Grundlage für das politische Handeln der Staaten, und wir Deutschen werden nach wie vor überall in der Welt, im Westen, im Osten und im neutralen Ausland, als eine Nation verstanden.
    Aber ich glaube, daß wir Deutschen —auch darüber muß man sprechen bei einer Diskussion über den Bericht zur Lage der Nation — das Nationale heute nur noch verstehen können als Standortbestimmung in einem bestimmten, uns unmittelbar als Raum politischen Handelns und politischer Verantwortung zugewiesenen Lebensbereich. Dieser Verantwortung können wir uns nicht entziehen. Solange die Deutschen ein Gefühl und ein Bewußtsein der Zusammengehörigkeit haben, solange sie sich untereinander enger verbunden fühlen als mit Menschen anderer Sprache, solange sie gemeinsame Auffassungen, Erfahrungen und Erinnerungen haben, so lange können und müssen wir trotz staatlicher Trennung von einer Nation sprechen.
    Aber für den Politiker geht es nicht darum, von etwas zu sprechen, sondern er muß handeln. Eine deutsche Nation in der Zukunft erhalten wir nicht durch Sonntagsreden, durch Deklamieren von Rechtsansprüchen oder durch Angst vor Auseinandersetzungen und Scheu vor Risiken, sondern nur durch ein vernünftiges Streben nach einem friedlichen Ausgleich der europäischen Staaten, durch konsequente Bemühungen um Erleichterungen in unserem getrennten Volk, durch beharrliche und realistische Versuche, zu einer Kooperation auch zwischen gegensätzlichen Gesellschaftsordnungen zu kommen.
    Die Sozialdemokratische Partei hat in der Phase des geplanten Redneraustauschs zwischen der SPD und SED die Grundlagen für die jetzige Politik gelegt. Ich glaube, es ist hier der Anlaß, auf einiges hinzuweisen, was dort im Jahre 1966 grundlegend für die notwendige, in der Zukunft uns noch bevorstehende Auseinandersetzung zwischen DDR und Bundesrepublik gesagt worden ist. So hat das Prä-



    Dr. Haack
    sidium der SPD am 10. Juli 1966 in der damaligen Phase des Redneraustauschs festgestellt:
    Es genügt nicht mehr, zu deklarieren, wie Deutschland nach den Vorstellungen der einen oder der anderen Seite geordnet werden könnte. Die Zeit der Deklamationen und der Rezepte ist abgelaufen. Es ist Zeit, darüber zu reden, wie den Menschen im gespaltenen Deutschland das Leben leichter gemacht werden kann, weil davon weitere Schritte abhängen, die dem ganzen deutschen Volk endlich Frieden innen und außen bringen werden.
    Unser Fraktionsvorsitzender, Herbert Wehner, hat am 14. Juli 1966, an dem Tag, an dem das geplante Treffen in Chemnitz stattfinden sollte, über Rundfunk und Fernsehen u. a. gesagt:
    Die SPD und die SED haben als politische Parteien in ihren Zielen und Methoden nichts gemeinsam. Aber für die Austragung ihrer gegensätzlichen Auffassungen haben sie etwas, auf das sie und mit ihnen alle anderen Parteien im gespaltenen Deutschland gemeinsam angewiesen sind. Sie werden nämlich von der Geschichte danach beurteilt werden, ob sie sich bemüht haben, den Lebensinteressen unseres deutschen Volkes zu dienen, oder ob sie sich sträflich gegen sie vergangen haben. Darüber, was in Deutschland nach dem Kriege getan worden ist und wer das oder jenes zu verantworten hat, wird noch viel gedacht und gestritten werden. Aber jede Partei wird von der Geschichte auch danach beurteilt werden, ob sie Menschenmögliches getan oder unterlassen hat, im gespaltenen Deutschland Formen des Miteinander-lebens zu finden, die vorteilhaft für die Menschen sind.
    Wenn wir von Nation sprechen, geht es also nicht um eine unbedingte Identität von Nation und Staat, sondern um die geregelte Herstellung von Verhältnissen, die es eines Tages den Menschen in beiden Teilen Deutschlands ermöglichen, Art und Ausmaß ihrer Zusammengehörigkeit und Gemeinsamkeit frei und selbst zu bestimmen.
    Meine Damen und Herren, Voraussetzung jeder realistischen und verantwortungsvollen Deutschlandpolitik ist die Kenntnis der Situation in den getrennten Teilen Deutschlands. Wir begrüßen es daher, daß die Bundesregierung erstmalig umfassendes Material, wenn auch zunächst über einige Bereiche als Vergleich Bundesrepublik — DDR, vorgelegt hat. Wir haben Verständnis dafür, daß nicht in kurzer Zeit — und dazu gehört auch ein Jahr — alle Lebensbereiche in einem solchen Vergleich behandelt werden können. Wir bitten darum, daß die Bundesregierung für den nächstjährigen Bericht vor allem die Herrschaftsordnungen, die Rechtsordnungen und die Wirtschaftssysteme untersuchen läßt.
    Die uns jetzt vorgelegten Materialien zeichnen sich durch Nüchternheit, Sachlichkeit und wissenschaftliche Genauigkeit aus. So konnte bisher auch nur bei denen Polemik entstehen, für die eine vorurteilsfreie Betrachtung der Verhältnisse in der DDR schon eine Aufweichung oder ein Verzicht ist. Wer wie ein Kommentator im „Münchner Merkur" die
    Berliner Mauer als einzige Materialie bezeichnet,
    trägt wohl kaum zur Überwindung dieser Mauer bei.

    (Beifall bei der SPD.)

    Und wer, wie der Oppositionsführer heute früh, sagt, daß die Verletzung der Grundrechte in der DDR in den Materialien als Werturteil bezeichnet wird, der beweist, daß er diese Materialien gar nicht gelesen hat. Denn in diesen Materialien wird ausdrücklich zwischen Werturteilen und Tatsachenaussagen getrennt. Die Wissenschaftlergruppe stellt ganz deutlich fest,

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    — ich freue mich, daß Sie jetzt wenigstens zuhören, Herr Dr. Barzel; das wollte ich nur erreichen — —

    (Abg. Dr. Barzel: Lesen Sie ruhig weiter, Herr Kollege!)

    — Sie können sehen, daß ich nicht lese. — Die Wissenschaftlergruppe stellt ausdrücklich fest, daß sie von einer wissenschaftstheoretischen Position ausgeht, die es ihr von selbst verbietet, die tiefgreifenden politischen Unterschiede zwischen den beiden Ordnungen in Deutschland zu verwischen. Das können Sie ausdrücklich in dem Vorwort nachlesen.

    (Abg. Dr. Barzel: Aber es fehlt doch in dem Vorwort des Ministers und des Kanzlers; das war doch mein Einwand!)

    — Aber diese Materialien sind eine wissenschaftliche Darlegung. Ich spreche jetzt von dem wissenschaftlichen Inhalt dieses Materials, ich spreche von dem Material, und das Material geht von dieser Voraussetzung aus.
    Der Bericht gibt uns meiner Ansicht nach heute schon wesentliche Erkenntnisse: einmal, daß sich die DDR zu einem leistungsfähigen Industriestaat entwickelt hat und weiterentwickeln wird. Ich glaube, daß es uns gut ansteht, bei einer Diskussion über den Bericht zur Lage der Nation auch die wirtschaftlichen Leistungen unserer Landsleute unter schweren Voraussetzungen und Bedingungen besonders zu würdigen. Ich glaube, daß der Stolz auf die eigene Leistung unmittelbare Auswirkungen auf das Bewußtsein der Menschen und ihr Verhältnis zu ihrem Staatswesen hat. Schon von daher kann es in der vor uns liegenden Zeit nicht um Überheblichkeit gegenüber der DDR, sondern nur um die faire und nicht diskriminierende Partnerschaft beider Teile Deutschlands gehen.
    Weiter zeigt der Bericht, welche Bedeutung die DDR der Bildung und Ausbildung einräumt. Ohne die ideologischen Hintergründe der Erziehung in der DDR zu verwischen, bleibt festzustellen, daß wir hier in der Bundesrepublik auf diesem Gebiet einen großen Nachholbedarf haben. Ich darf Sie nur einmal auf die Schaubilder „Gliederung des Bildungssystems" auf Seite 150/151 der Materialen verweisen. Ich glaube, daß die Untersuchungen über die Situation der Jugend die unterschiedlichen Verhältnisse besonders in diesem Bereich bei der politischen, bei der gesellschaftspolitischen Erziehung zeigen, daß hier aber dennoch auch ähnliche oder



    Dr. Haack
    Bleichgelagerte Verhaltensweisen durchsichtig werden.
    Natürlich können solche Materialien keine Begründung für das Fortbestehen der Nation sein. Denn das ist keine Frage wissenschaftlichen Materials, sondern das ist eine Frage des politischen Willens und des politischen Handelns. Ich glaube aber, daß durch diesen Bericht nicht nur ein guter Beitrag für die Politik geleistet wird, sondern darüber hinaus neue Wege für die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Politik und für die politische Bildung gewiesen werden. Wie wichtig es ist, über die DDR und ihre Verhältnisse sachlich zu informieren und die in den letzten 25 Jahren bei uns entstandenen Klischeevorstellungen zu beseitigen, zeigt allein die Tatsache, daß heute bei uns in der Bundesrepublik schon über die Hälfte der Bevölkerung keine Vorstellungen von einem einheitlichen Deutschland nach eigenem Erleben hat.
    Die Vorlage und die angekündigte kontinuierliche Fortführung dieser Materialien zum Bericht zur Lage der Nation zeigen, glaube ich, in überzeugender Weise den Orientierungspunkt dieser neuen Deutschland- und Ostpolitik. Denn es geht, um das noch einmal zu betonen — und das zeigt auch diese Vorlage der Materialsammlung —, um den Abbau der Konfrontation von Bundesrepublik und DDR, um erste vertragliche Regelungen der beiden deutschen Teilstaaten, nicht aber um Bevormundung und Diskriminierung, wie Bundesminister Franke zu Recht in seinem Vorwort feststellt.
    Die SED muß aufhören, von Diskriminierung und Bevormundung zu sprechen, wenn es um sachliche Lösungen geht. Die Kasseler 20 Punkte des Bundeskanzlers liegen auf dem Tisch. Der Herr Bundeskanzler hat heute früh darauf verwiesen. Sie sind von unserer Seite ein faires und glaubwürdiges Angebot.
    Aber auch die Opposition in diesem Haus muß aufhören, von Verzicht, Aufgabe von Rechten, Einschwenken auf sowjetische Politik zu sprechen, wenn es um einen Weg nach vorn für die Deutschen geht. Am Ende der Regierungspolitik der jetzigen Opposition stand — ohne zu werten, aber als Tatsache —die totale Spaltung Deutschlands. Auf diesem Erbe sitzt die neue Regierung. Sie beschreitet neue Wege. Die CDU hat sich als Regierungspartei in ihrer Außenpolitik vom Osten abgegrenzt. Heute grenzt sich die DDR-SED von der Bundesrepublik ab. Insofern macht heute die DDR Adenauers Politik der Absperrung.

    (Abg. Horten: Unerhört!)

    — Wenn das unerhört ist, darf ich Sie darauf hinweisen, daß genau dies Ihr Parteifreund, der Politologe Waldemar Besson in seinem Buch „Die Außenpolitik der Bundesrepublik" geschrieben hat; lesen Sie es bitte nach!

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich habe sogar die Seitenzahl hier — das wird auch Herrn Barzel interessieren —: Seite 452.

    (Abg. Dr. Barzel: Ich kenne das Gauze!)

    Die Furcht der CDU vor einer offensiven Auseinandersetzung entspricht meiner Meinung nach der
    Furcht der SED vor dem „Sozialdemokratismus", dem sie durch Leugnung der gemeinsamen Nation zusätzlich Ausdruck gibt. Aber ebenso wie die Positionen der CDU in der Deutschlandpolitik längst brüchig geworden sind, so sind auch die Positionen der SED bereits überlebt.

    (Abg. Dr. Stoltenberg: Geschmackvoller Vergleich, wirklich!)

    Die europäischen Völker wollen Frieden und Ausgleich. Dazu hat diese Bundesregierung ihren Beitrag angeboten und geleistet, auch im innerdeutschen Verhältnis. — Wenn Sie diesen Vergleich als geschmacklos bezeichnen, Herr Dr. Stoltenberg, ist das eine Geschmacksfrage. Ist es vielleicht geschmackvoller, wenn Herr Guttenberg unsere Politik als die Politik der Sowjetunion darstellt?

    (Abg. Wehner: Sehr wahr! Abg. Dr. Stoltenberg: Wann ist das geschehen? — Abg. Kiep: Wo hat Herr von Guttenberg das gesagt? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    Diese Politik, die diese Bundesregierung treibt, ist keine Vorleistung, wie die CDU/CSU glauben macht.

    (Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Ich freue mich, daß ich Sie endlich in Erregung bringen kann,

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    weil Sie bei sachlichen Darlegungen über die Nation, die wesentlich sind, gar nicht aufpassen. — Das hat Herr von Guttenberg sinngemäß in seinem I Beitrag am 27. Mai hier und bei anderen Äußerungen gesagt: daß diese Außenpolitik dieser Bundesregierung auf die Linie der sowjetischen Außenpolitik eingeschwenkt sei.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das klingt schon anders!)