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ID0609310400

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    Deutscher Bundestag 93. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 28. Januar 1971 Inhalt: Eintritt des Abg. Dr. Farthmann in den Bundestag 5043 A Amtliche Mitteilungen . . . . . . . 5043 A Begrüßung einer Delegation des Parlaments der Volksrepublik Polen 5051 A Bericht der Bundesregierung zur Lage der Nation 1971 (Drucksache V1/1690) in Verbindung mit Große Anfrage der Fraktionen der SPD, FDP betr. Außenpolitik der Bundesregierung (Drucksachen VI/ 1638, V1/1728) und mit Aussprache über den Bericht der Bundesregierung zur Lage der Nation 1971 Brandt, Bundeskanzler . 5043 B, 5058 B Dr. Barzel (CDU/CSU) 5051 B Dr. Apel (SPD) 5059 B Mischnick (FDP) 5064 B Dr. Gradl (CDU/CSU) . . . . . 5071 C Wienand (SPD) 5076 A Borm (FDP) . . . . . . . . 5083 A Schmidt, Bundesminister . . . . 5090 A Dr. Freiherr von Weizsäcker (CDU/CSU) . . . . . . . . . 5100 A Dr. Haack (SPD) . . . . . . . . 5104 C Franke, Bundesminister . . . . . 5108 B Dr. Becher (Pullach) (CDU/CSU) . . 5113 C Dr. Bußmann (SPD) . . . . . . . 5118 A Amrehn (CDU/CSU) . . . . . . 5119 D Moersch (FDP) . . . . . . . . 5122 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . . 5124 C Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 5125 A Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 93. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. Januar 1971 5043 93. Sitzung Bonn, den 28. Januar 1971 Stenographischer Bericht Beginn: 10.00 Uhr
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    Berichtigung: 90. Sitzung, Seite 4932 C, letzte Zeile: Zwischen den Wörtern „Haushaltsausschuß" und „gemäß" ist einzufügen: „mitberatend und" Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Adams ** 28. 1. Dr. Ahrens * 29. 1. Alber * 29. 1. Dr. Arndt (Berlin) 1. 2. Dr. Artzinger ** 29. 1. Bals * 29. 1. Bauer (Würzburg) * 29. 1. Berberich 28. 1. Dr. von Bismarck 28. 1. Blumenfeld 29. 1. Dr. Burgbacher ** 29. 1. Bühling 28. 2. Dasch 5.4. van Delden 29. 1. Dichgans 29. 1. Frau Dr. Diemer-Nicolaus * 29. 1. Dr. Dittrich ** 29. 1. Dr. Dollinger 23. 2. Draeger *** 29. 1. Flämig ** 29. 1. Fritsch * 29. 1. Dr. Furler * 29. 1. Gewandt 29. 1. Dr. Götz 13. 2. Grüner 29. 1. Dr. Hallstein 29. 1. Frau Herklotz 29. 1. Dr. Hermesdorf (Schleiden) * 29. 1. Hösl * 29. 1. Dr. Jahn (Braunschweig) ** 28. 1. Dr. Jungmann 15. 2. Dr. Kempfler 29. 1. Frau Klee * 29. 1. Klinker 29. 1. Dr. Koch ** 29. 1. Kriedemann ** 29. 1. Freiherr von Kühlmann-Stumm 29. 1. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich Lange ** 29. 1. Lautenschlager ** 29. 1. Lemmrich * 29. 1. Lenze (Attendorn) * 29. 1. Lücker (München) ** 28. 1. Dr. Martin 29. 1. Memmel ** 29. 1. Müller (Aachen-Land) ** 28. 1. Dr. Müller (München) * 29. 1. Pöhler * 29. 1. Dr. Prassler 29. 1. Rasner 12. 2. Riedel (Frankfurt) ** 29. 1. Richarts * 29. 1. Richter *** 29. 1. Dr. Rinderspacher *** 29. 1. Roser 29. 1. Schmidt (Würgendorf) * 29. 1. Dr. Schmücker * 29. 1. Frau Schröder (Detmold) 29. 1. Dr. Schulz (Berlin) * 29. 1. Saxowski 2. 2. Sieglerschmidt * 29. 1. Springorum ** 29. 1. Steiner 29. 1. Strauß 29. 1. v. Thadden 6. 2. Frau Dr. Walz *** 29. 1. Dr. Warnke 29. 1. Weber (Heidelberg) 29. 1. Wienand * 29. 1. Dr. Wörner 29. 1. * Für die Teilnahme an Sitzungen der Beratenden Versammlung des Europarates ** Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments *** Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen der Versammlung der Westeuropäischen Union
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    Rede von Dr. Carlo Schmid


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

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Rede von Freiherr Karl Theodor von und zu Guttenberg
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Kollege Schmidt, nachdem Sie soeben in einer, wie ich finde, nicht sehr freundlichen Weise den früheren amerikanischen Außenminister Acheson
offenkundig abgewertet haben, frage ich Sie, ob Sie auch Herrn Ball zu den Staatsmännern rechnen, die über siebzig Jahre alt sind und offenbar nicht mehr in 'der Lage, die Dinge in Europa zu bewerten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU.)


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    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: ()
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    Herr von Guttenberg, ich bin Ihnen zunächst dankbar; Sie haben mich darauf aufmerksam gemacht, daß ich mich in ein oder zwei Worten vielleicht zu salopp ausgedrückt habe. Ich bedaure das. Ich habe einen großen Respekt vor Leuten wie Acheson oder McCloy — um einen zweiten zu nennen — oder auch George Ball. Ich bedaure, wenn ich mich salopp ausgedrückt haben sollte; das möchte ich nicht. Aber ich möchte deutlich machen, daß diese Herren zum Teil seit fünfzehn Jahren aus der tatsächlichen, operativen Politik und Diplomatie entfernt sind.

    (Abg. Freiherr von und zu Guttenberg: Das stimmt nicht!)

    — Das stimmt für Dean Acheson ganz gewiß.

    (Abg. Freiherr von und zu Guttenberg: Herr Acheson gehört zu den ständigen Beratern mehrerer Präsidenten!)

    Ich will mich nicht streiten. Ich habe großen Respekt für ihn. Ich kenne ihn ganz gut und halte ihn für eine eindrucksvolle Persönlichkeit. Nur, er spricht nicht für die amerikanische Regierung; das muß nun wirklich einmal verstanden werden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Für die amerikanische Regierung sprach Herr Rogers, sprach Herr Laird, sprach Dave Kennedy und sprach Herr Nixon.

    (Abg. Freiherr von und zu Guttenberg: Schwieg Herr Nixon!)

    — Nein, sprach! Er ließ doch auf dieser NATO-RatsTagung, die zu dem Papier führte, 'das ich Ihnen so ans Herz lege, einen Brief vorlesen, der er dieser Konferenz geschrieben hatte. Er schwieg gar nicht. Die Welt ist ein bißchen anders, als Sie sich das malen; Sie müssen nur die Tatsachen einmal zur Kenntnis nehmen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. Abg. Dr. Wulff: Warum ist Herr Ehmke nach Amerika gefahren?)

    Herr Barzel hat in einem Zwischenruf soeben auf die vier Punkte hingewiesen, auf die er noch eine Antwort haben möchte. Ich will dem Bundeskanzler nicht vorgreifen. Ich will aber auch nicht den Eindruck machen, daß ich ausweiche. Mir machen diese vier Punkte den Eindruck wohltuender Sachlichkeit, ich sagte es am Anfang schon. Über sie kann man ernsthaft miteinander streiten, ohne sich zu zerstreiten. Ich habe auch dafür Verständnis, daß Sie, Herr Dr. Barzel, am Schluß nach diesen vier Kriterien sagten: Wenn ich sie nun anlege, dann entsprechen die Verträge und Ergebnisse, die uns bisher vorliegen, den Maßstäben, die ich soeben nannte, nicht. Jedenfalls finde ich, daß dies eine Ausdrucksweise und eine Sprache ist, die es ermöglicht, daß man miteinander im Gespräch ist und



    Bundesminister Schmidt
    bleibt. Mehr will ich im Augenblick dazu nicht sagen. Ich sagte das schon am Anfang, und ich meinte diese Ihre vier Punkte, als ich von dem wohltuenden Unterschied sprach.
    Auf der anderen Seite sind nun allerdings auch wir nicht der Meinung, daß das alles schon fertige Ergebnisse sind. Wer bei der Rede, die der Bundeskanzler heute morgen gehalten hat, irgendwie zugehört hat, kann doch nicht der Meinung sein, daß er z. B. den Zustand Berlins für ein fertiges Ergebnis hält.
    Dann hat Herr Barzel Bismarck zitiert. Wenn ich mich richtig erinnere, ist gesagt worden, Bismarck habe es als eines seiner Motive bezeichnet — und Herr Barzel habe das in den Gedenkreden vermißt —, daß es endlich aufhören müsse, daß Deutsche auf Deutsche schießen. Ich will unterstellen, Bismarck habe das so gesagt und habe es ehrlich so gemeint. Ich will gar nicht daran erinnern, daß er 1866 mit schuld daran war, daß Brüder auf Brüder schossen; lassen wir das einmal offen.

    (Sehr wahr! bei der SPD. — Abg. Stücklen: Die Bayern durften ja gar nicht schießen! — Heiterkeit.)

    — Den Bayern tut das heute noch leid.
    Aber, Richard Stücklen, nun im Ernst. Wenn Otto von Bismarck für die Lage unserer Nation heute Relevanz hat, dann mag es dazu verschiedene Aspekte geben. Ich rede nicht davon, wie alte Sozialdemokraten über den Mann, über seine Innenpolitik und seine Sozialpolitik denken müssen. Aber wenn seine Außenpolitik überhaupt Relevanz hat, dann wird man doch nicht übersehen, daß er jedenfalls auch gewußt hat, daß die deutsche Nation mit zwölf Nachbarnationen im Einklang leben muß und daß darunter sehr mächtige Nachbarn sind. Ich rede weiß Gott nicht der Idee das Wort, wir könnten wieder einen Rückversicherungsvertrag mit Rußland schließen. Aber dieser Vertrag Otto von Bismarcks seinerzeit zeigte, daß er gewußt hat, daß unsere Nachbarschaft, in die wir eingebettet sind, die wir nicht beherrschen können, .ein wichtiger Faktor ist und daß wir sie in Richtung Westen wie in Richtung Osten nach unseren Möglichkeiten in Ordnung halten müssen.

    (Abg. Dr. Barzel: Mit den Sätzen hätten Sie andere Leute beraten sollen, bevor sie ihre Reden hielten, Herr Schmidt!)

    — Das ist ja nun wohl keine Kritik an mir. Das müssen Sie dann den Kollegen sagen, die Sie kritisieren, und ich bin ganz überzeugt, daß sich die Damen und Herren zu wehren wissen.
    Lassen Sie mich noch einmal auf die NATO-Ratssitzung vor acht Wochen in Brüssel zurückkommen. Ich weiß nicht, ob Ihnen entgangen ist, daß hier ein ganz interessanter Ansatz der Westeuropäer untereinander nicht nur insofern zustande gebracht wurde, als sich die europäischen NATO-Partner auf eine erhebliche zusätzliche finanzielle Aufwendung untereinander verständigt haben, sondern auch insofern, als dieses europäische Verstärkungsprogramm ein entwicklungsfähiges politisches Element
    zukünftiger europäisch-amerikanischer Beziehungen und vor allen Dingen ein sehr entwicklungsfähiges Element europäischer Zusammenarbeit auch ohne den großen Bruder auf der anderen Seite des Atlantik darstellt. Vielleicht ist es Ihrer Aufmerksamkeit entgangen, daß die Franzosen zu einem ganz kleinen Teil angefangen haben, sich an solchen gemeinsamen Unternehmungen zu beteiligen; das war einer der Gründe, weswegen ich mir vorhin die Freiheit nahm, zu sagen, die Zusammenarbeit mit den Franzosen auf dem Gebiet der Sicherheit sei heute besser als lange, lange Jahre vorher. Vielleicht haben Sie übersehen, daß hier von europäischer Seite eine der entscheidenden psychologischen Voraussetzungen dafür geschaffen wurde, daß die amerikanische Regierung in Brüssel schriftlich geben konnte, daß sie die Substanz ihrer Präsenz nicht verändern wird. Vielleicht haben Sie übersehen, daß diese Voraussetzung ganz wesentlich durch die politischen und diplomatischen Anstrengungen dieser deutschen Bundesregierung zustande gebracht worden ist. Wir haben dabei von der Opposition leider keine Hilfe gehabt. Einzelne Abgeordnete der Opposition reisten nach Amerika und kamen wieder und verkündeten lauthals, wir müßten noch mehr zahlen, als wir vereinbart hätten; das sei alles zu wenig. Manchmal hat man Hilfe von der Opposition, in diesem Falle hatten wir sie nicht.
    Lassen Sie mich, auf den Schluß kommend, Herr Präsident, ein Argument aufgreifen, das man im Lande auch hört, ohne daß es von der CDU/CSU käme. Es kommt aus anderer Richtung. Ich meine das Argument, wir könnten, wenn wir erst mit der Sowjetunion einen Vertrag über Gewaltverzicht hätten, aus dem Bündnis ausscheiden, könnten die Bundeswehr aufgeben, oder dergleichen Naivitäten mehr. Es gibt hier im Hause wahrscheinlich niemanden, der dem Bundesminister der Verteidigung unterstellt, daß er solche Absichten, solche Motivationen in seiner Brust hegte. Ich sähe es aber ganz gerne, wenn man es auch dem Herrn von Weizsäcker — ich meine Carl Friedrich von Weizsäcker — nicht unterstellte, der in den letzten 14 Tagen zu Recht in vieler Leute Munde gewesen ist. Ich kann nur empfehlen, obwohl ich nicht in allen Punkten übereinstimme, dieses etwa 20 Seiten umfassende, in einer auch für uns Laien verständlichen Begriffssprache geschriebene Vorwort zu lesen, die Einleitung zu lesen, die Weizsäcker zu jenen umfangreichen Untersuchungen geschrieben hat. Die Untersuchungen sind in ihrer Qualität ungleichmäßig, zum Teil muß man dafür auch wirklich sehr viel studiert haben, um sie zu begreifen, aber das Vorwort des Professors Carl Friedrich von Weizsäcker hat wirklich Qualität, und Kollege Borm hat zu Recht darauf hingewiesen. Es wäre ein Mißverständnis, daraus zu lesen, Herr von Weizsäcker habe gemeint, da man nicht für alle Zukunft sicher sein könne, daß die beiderseitige Abschreckung, das Gleichgewicht der Abschreckung, den Frieden wahre, solle man das System des Gleichgewichts aufgeben. Er hat nur darauf hingewiesen — das bezieht sich bei ihm vor allen Dingen auf die beiden Supermächte —, daß man nicht für alle Zeiten sicher sein könne — und je weiter die Betrachtung



    Bundesminister Schmidt
    in die Zukunft reicht, um so geringer erscheint ihm die Sicherheit —, daß dieses Gleichgewicht in Frieden bewahrt wird und daß man zusätzlich etwas erfinden müsse. Was das Zusätzliche angeht, so heißt es da:
    Die Öffentlichkeit muß begreifen, daß das eigene Überleben davon abhängen kann, ob der Strukturwandel der Welt, der zum politisch garantierten Weltfrieden führt, die erste Priorität der Politik ihres eigenen Landes ist.
    Und etwas später auf derselben Seite:
    Ohne Zweifel gehört zu solcher Politik der Versuch, die Konfliktherde, die im eigenen Land und in seiner Beziehung zum Nachbarn liegen, zu löschen. Dies wird heute versucht, und wenn unsere Analyse richtig ist, so ist dieser Versuch lebenswichtig.
    Diese Sätze möchte ich voll unterschreiben. Ich möchte im übrigen den Aufsatz dem nachdenklichen Lesen aller unserer Kollegen empfehlen.
    „Dieser Versuch ist lebenswichtig": Wenn die Verträge ratifiziert sein werden, so werden sie für die zukünftige nachbarliche Entwicklung in Europa für unser Volk im Verhältnis zu seinen Nachbarn um so mehr Bedeutung haben, je sicherer auf beiden Seiten von der Erhaltung des Gleichgewichts ausgegangen werden kann. Dies ist nicht nur deutsches Interesse, dies ist auch polnisches Interesse; das ist nicht nur englisches oder französisches oder dänisches oder norwegisches Interesse, das ist auch ungarisches oder rumänisches oder slowakisches oder tschechisches Interesse.
    Ich möchte am Schluß etwas an die Adresse einiger Politiker in Washington sagen. Ich kann es begreifen, wenn einige amerikanische Senatoren aus vielen innenpolitischen Gründen meinen, daß die amerikanischen Truppen in Europa verringert werden sollten. Ich bin froh, daß die amerikanische Regierung, auf unsere Vorschläge eingehend, gesagt hat: aber nur, wenn auch auf der östlichen Seite, wenn beiderseitig gleichgewichtig verringert wird, sonst nicht! Ich kann die amerikanischen Senatoren verstehen. Nur, wenn sie sagen, daß der deutschsowjetische Vertrag, wenn er ratifiziert sein sollte, d. h. wenn eine befriedigende Berlin-Regelung erreicht ist, und wenn der Vertrag mit den Polen wirksam wird, es überflüssig mache, daß die Amerikaner ihre Rolle in Europa spielten, dann irren sich diese Herren. Wir alle wissen, daß diese Art von Argumentation nicht durch die Regierung Brandt/Scheel ausgelöst worden ist, sondern daß Mike Mansfield und andere ihre Propanganda seit Jahr und Tag betreiben. Ich wäre dankbar, wenn man das auseinanderhielte

    (Beifall bei den Regierungsparteien)

    und wüßte, daß es sich um inneramerikanisch motivierte Zielsetzungen handelt, für die wir Verständnis haben müssen. Es sind wichtige Personen in einem uns eng verbündeten Land, deren Auffassung wir aber aus unserem Sicherheitsinteresse und, wie wir glauben, aus dem richtig verstandenen Sicherheitsinteresse der Vereinigten Staaten selber nicht
    akzeptieren. Mit der deutschen Ostpolitik hat es nichts zu tun.
    Deutsche Politik ist auf die Erhaltung des Friedens eingerichtet — und nicht nur dies, nicht nur einfach auf die Erhaltung des Friedens. Sie will nicht ein mehr oder minder mechanischer Beitrag im Sinne von „es wird schon so weitergehen wie bisher" sein. Die deutsche Politik will auf dynamische Weise der Erhaltung des Friedens dienen.
    Ich sagte, ich möchte Gelegenheit haben, auch meine persönliche Position einmal klarzumachen. Ich für meine Person war für diese Politik seit vielen Jahren. Ich bin ihretwegen zweimal in Moskau und in anderen osteuropäischen Hauptstädten gewesen, übrigens unter schauderhafter Begleitmusik aus der CSU, Herr Stücklen.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Wir waren in diesen Hauptstädten und haben sondiert, was bei einer neuen Regierung wohl möglich wäre, lange ehe Herr Dr. Barzel für die CDU nach Warschau reiste. Daß Sie nach Warschau reisten, Herr Dr. Barzel, daß Herr Dr. Schröder nach Moskau

    (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern]: Ich bin 1956 in Moskau gewesen!)

    — Ja, aber in anderer Funktion, Herr Marx! — Daß der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU nach Warschau reist, finde ich gut. Ich finde, es liegt im Sinne der deutschen Politik, es liegt im gemeinsamen Interesse, daß die Polen sehen, wie die Lage bei uns ist, und sicherlich haben sie auch gesehen, daß Herr Barzel das, was er sagt, auch so meint. Und ich finde es gut, daß Herr Dr. Schröder nach Moskau gereist ist und daß er aus der Sicht der Opposition das gesagt hat, was er hat sagen müssen, so daß auch für unseren sowjetischen Verhandlungs- und Vertragspartner die Lage plastischer werden konnte. Ein bißchen habe ich mich gewundert, daß dann jemand gesagt hat, er habe aus Warschau mehr mitgebracht als der Bundeskanzler.

    (Lachen bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Lenz [Bergstraße] : Das war doch nicht so schwierig, Herr Schmidt!)

    — Herr Lenz ruft dazwischen: Das war nicht so
    schwierig. Nun, die Vorarbeit hatten ja wir gemacht.

    (Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Aber ich freue mich darüber; denn beide Reisen von zwei hervorragenden Oppositionspolitikern tragen dazu bei, daß auch der Opposition selber klar wird, daß der Handlungsspielraum der deutschen Politik größer ist, als man früher gewußt und geglaubt hat, größer sogar, als man heute vor sich selber zuzugeben bereit ist. Es gibt Spielräume. Aber — auch das will ich zum Schluß sagen — wir müssen auch beide wissen, und diese Bundesregierung jedenfalls weiß, daß sie ihre Spielräume nur in konsequenter Befolgung der Notwendigkeiten des Gleichgewichts zu benutzen versuchen kann. Auf dieser Grundlage wird die Bundesrepublik Deutschland dazu beitragen, in ihrer Außen- und Sicherheitspolitik den Notwendigkeiten zu folgen, ohne dabei die Möglichkei-



    Bundesminister Schmidt
    ten unterzubewerten und ohne dabei die Chancen vorübergehen zu lassen.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)