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ID0609306000

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 93. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 28. Januar 1971 Inhalt: Eintritt des Abg. Dr. Farthmann in den Bundestag 5043 A Amtliche Mitteilungen . . . . . . . 5043 A Begrüßung einer Delegation des Parlaments der Volksrepublik Polen 5051 A Bericht der Bundesregierung zur Lage der Nation 1971 (Drucksache V1/1690) in Verbindung mit Große Anfrage der Fraktionen der SPD, FDP betr. Außenpolitik der Bundesregierung (Drucksachen VI/ 1638, V1/1728) und mit Aussprache über den Bericht der Bundesregierung zur Lage der Nation 1971 Brandt, Bundeskanzler . 5043 B, 5058 B Dr. Barzel (CDU/CSU) 5051 B Dr. Apel (SPD) 5059 B Mischnick (FDP) 5064 B Dr. Gradl (CDU/CSU) . . . . . 5071 C Wienand (SPD) 5076 A Borm (FDP) . . . . . . . . 5083 A Schmidt, Bundesminister . . . . 5090 A Dr. Freiherr von Weizsäcker (CDU/CSU) . . . . . . . . . 5100 A Dr. Haack (SPD) . . . . . . . . 5104 C Franke, Bundesminister . . . . . 5108 B Dr. Becher (Pullach) (CDU/CSU) . . 5113 C Dr. Bußmann (SPD) . . . . . . . 5118 A Amrehn (CDU/CSU) . . . . . . 5119 D Moersch (FDP) . . . . . . . . 5122 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . . 5124 C Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 5125 A Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 93. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. Januar 1971 5043 93. Sitzung Bonn, den 28. Januar 1971 Stenographischer Bericht Beginn: 10.00 Uhr
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    Berichtigung: 90. Sitzung, Seite 4932 C, letzte Zeile: Zwischen den Wörtern „Haushaltsausschuß" und „gemäß" ist einzufügen: „mitberatend und" Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Adams ** 28. 1. Dr. Ahrens * 29. 1. Alber * 29. 1. Dr. Arndt (Berlin) 1. 2. Dr. Artzinger ** 29. 1. Bals * 29. 1. Bauer (Würzburg) * 29. 1. Berberich 28. 1. Dr. von Bismarck 28. 1. Blumenfeld 29. 1. Dr. Burgbacher ** 29. 1. Bühling 28. 2. Dasch 5.4. van Delden 29. 1. Dichgans 29. 1. Frau Dr. Diemer-Nicolaus * 29. 1. Dr. Dittrich ** 29. 1. Dr. Dollinger 23. 2. Draeger *** 29. 1. Flämig ** 29. 1. Fritsch * 29. 1. Dr. Furler * 29. 1. Gewandt 29. 1. Dr. Götz 13. 2. Grüner 29. 1. Dr. Hallstein 29. 1. Frau Herklotz 29. 1. Dr. Hermesdorf (Schleiden) * 29. 1. Hösl * 29. 1. Dr. Jahn (Braunschweig) ** 28. 1. Dr. Jungmann 15. 2. Dr. Kempfler 29. 1. Frau Klee * 29. 1. Klinker 29. 1. Dr. Koch ** 29. 1. Kriedemann ** 29. 1. Freiherr von Kühlmann-Stumm 29. 1. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich Lange ** 29. 1. Lautenschlager ** 29. 1. Lemmrich * 29. 1. Lenze (Attendorn) * 29. 1. Lücker (München) ** 28. 1. Dr. Martin 29. 1. Memmel ** 29. 1. Müller (Aachen-Land) ** 28. 1. Dr. Müller (München) * 29. 1. Pöhler * 29. 1. Dr. Prassler 29. 1. Rasner 12. 2. Riedel (Frankfurt) ** 29. 1. Richarts * 29. 1. Richter *** 29. 1. Dr. Rinderspacher *** 29. 1. Roser 29. 1. Schmidt (Würgendorf) * 29. 1. Dr. Schmücker * 29. 1. Frau Schröder (Detmold) 29. 1. Dr. Schulz (Berlin) * 29. 1. Saxowski 2. 2. Sieglerschmidt * 29. 1. Springorum ** 29. 1. Steiner 29. 1. Strauß 29. 1. v. Thadden 6. 2. Frau Dr. Walz *** 29. 1. Dr. Warnke 29. 1. Weber (Heidelberg) 29. 1. Wienand * 29. 1. Dr. Wörner 29. 1. * Für die Teilnahme an Sitzungen der Beratenden Versammlung des Europarates ** Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments *** Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen der Versammlung der Westeuropäischen Union
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    Rede von Karl Wienand


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Sehen Sie, das kommt auf den Standpunkt des Betrachters an. Ich habe in sorgfältiger Abgrenzung wenn Sie das nachlesen, werden Sie es feststellen — mich bemüht, auch aus der Sicht der anderen hier einen Diskussionsbeitrag mit zu leisten, weil wir in der Vergangenheit zuviel aneinander vorbeigeredet haben und jetzt endlich einmal diese Dinge aufarbeiten müssen.

    (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU: Wer hat vorbeigeredet?)

    — Von mir aus allein die anderen, wenn Sie das erleichtert in dieser pharisäerhaften Darstellung hier.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Darum geht es doch gar nicht!)

    Unsere Sicherheit wird also nicht irgendeiner Entspannungseuphorie geopfert, vielmehr werden unsere Verteidigungs- und Beistandsverträge nicht berührt, d. h. vertraglich geschützt. Vor ein paar Jahren noch hätte man jede Bundesregierung zu diesem zusätzlichen sicherheitspolitischen Erfolg beglückwünscht.
    Zu den überholten Grundvorstellungen des kalten Krieges gehört daher auch der Wunsch nach und die Begünstigung von inneren Schwierigkeiten im Bereich des gegnerischen Militärpakts. Der Sicherheitspolitik dieser Regierung und dieser Koalition liegt genau die gegenteilige Auffassung zugrunde. Im Einvernehmen mit unseren NATO-Partnern sind wir der Meinung, je geringer die inneren Schwierigkeiten und Spannungen der Staaten Osteuropas sind, desto sicherer können sich ihre westeuropäischen Nachbarn fühlen. Die wirtschaftliche und wissenschaftliche Zusammenarbeit mit den Staaten Osteuropas aufzunehmen und auszubauen, gebietet daher auch unser eigenes sicherheitspolitisches Interesse.
    Worauf kommt es also an? Unsere Sicherheitspolitik muß dem Bündnis weiter ein hinlänglich starkes Militärpotential zur Verfügung stellen, dasdazu beiträgt, die auf Europa wirkenden Gesamtpotentiale beider Pakte insgesamt im Gleichgewicht zu halten.

    (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Ist das der Fall?)

    — Wir sind überzeugt davon, und Sie werden Gelegenheit haben, wenn die Antwort zu der Großen
    Anfrage vorliegt, Ihre Bedenken vorzubringen.
    Hoffentlich können Sie dann auch Roß und Reiter nennen und bleiben nicht nur bei vagen Darstellungen.
    Unsere Sicherheitspolitik muß jedoch zusätzlich den gegenwärtigen Zustand dafür ausnutzen, neue Möglichkeiten zu erkunden. Sie muß neue Regelungen vereinbaren mit jenen, die über die Sicherheit Westeuropas mitbestimmen, mit den Mitgliedstaaten des Warschauer Paktes. Denn ob allein das bereitgestellte Militärpotential der NATO-Mitglieder auch in Zukunft einen Krieg ersparen kann, muß bezweifelt werden. Noch nie war langjährig durchgehaltene Funktionstüchtigkeit zugleich eine Garantie für die Zukunft. Wer aber für unsere Zukunft verantwortlich ist und wer die rasante Entwicklung moderner Waffentechnologie verfolgt, muß nach zusätzlichen Sicherungen Ausschau halten, die das bestehende System der Kriegsverhütung zunächst ergänzen und später sogar einmal ersetzen können. Denn das Ausmaß unserer Sicherheit wird nur zu einem Teil von der Effektivität der Streitkräfte bestimmt. Nicht minder entscheidend für unsere Sicherheit ist der politische Rahmen, das politische Verhältnis zur Gegenseite. Nur im Einvernehmen mit den Staaten Osteuropas — das wird niemand bestreiten wollen — ist es möglich, die Rüstungslasten zu senken und gleichzeitig die Sicherheit in Europa zu erhöhen. Ohne gemeinsame Absprachen jedoch ist es wahrscheinlich — darauf weist die Weiterentwicklung der Waffentechnik hin —, daß die NATO ihre Rüstungslasten erhöhen muß und daß gleichzeitig die Sicherheit Europas Einbußen erleidet.
    Auch die Mitarbeiter des Weizsäcker-Forschungsinstituts kommen in ihrer soeben vorgelegten Studie über Kriegsfolgen und Kriegsverhütung zu dieser Erkenntnis. Es heißt dort, daß auf eine permanente technische Stabilisierung der Kriegsverhinderung durch Abschreckung nicht zu rechnen ist. Sie haben festgestellt: Die technische Weiterentwicklung der Waffen bietet günstigenfalls die Aussicht, daß der jetzige Sicherheitsgrad der Verhütung eines Weltkrieges gewahrt bleibt. Sie enthält aber eine Fülle von Möglichkeiten, daß er sich verschlechtert.
    Unsere Sicherheit kann heute, wie wir wissen, nur relativ sein. Das Zeitalter absoluter Sicherheit für bestimmte Menschen oder bestimmte Gebiete ist unwiderbringlich zu Ende gegangen. Für uns als Politiker wäre es sowohl kurzsichtig als auch unverantwortlich, wollten wir uns auf die dauerhafte Verläßlichkeit ausbalancierter Waffensysteme verlassen. Die gegenwärtige, waffentechnologisch bedingte Stabilität schafft uns die für Verhandlungen und Vereinbarungen dringend erforderliche Zeit. Wir erkennen deutlich: Der zeitliche Spielraum ist begrenzt. Vor seinem Ende müssen Ersatzsysteme für die künftige Sicherheit gefunden sein; denn schon ist der Punkt berechenbar, an dem eine hemmungslos weiterentwickelte Waffentechnik begrenzte Kriege wieder erfolgversprechend machen könnte.
    Ich darf zusammenfassen: Unsere Abschreckungsbemühungen haben wie die des Warschauer Paktes das Ziel, den Krieg zu verhindern. Ziel unserer Ent-



    Wienand
    spannungsbemühungen ist es, den daraus resultierenden Frieden so zu gestalten, daß er sicherer wird. Nur auf der Basis funktionierender Kriegsverhinderung und nur in einer entspannten Atmosphäre gegenseitigen Vertrauens wird es möglich sein, auch im dritten Bereich unserer Sicherheitspolitik Fortschritte zu machen, Fortschritte auf dem Felde der Rüstungsbegrenzung und des Rüstungsabbaus. Deshalb sollten wir folgendes sehen: die Entspannungspolitik dieser Bundesregierung. schafft im Effekt nicht weniger, sondern entscheidend mehr Sicherheit für die Bundesrepublik und für Deutschland. Ich habe vorhin schon auf die von uns eingebrachte Große Anfrage hingewiesen. Sie wird inzwischen vorliegen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern]: Wir werden sie lesen!)



Rede von Dr. Richard Jaeger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Abgeordnete Borm.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. William Borm


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige Debatte über die Lage der Nation steht unter anderen Bedingungen als frühere Debatten dieser Art. Während diese Debatten bis 1969 eine bedauerliche Elegie auf Zustände zu sein schienen, die kaum zu ändern waren, erfolgte 1870 seitens der jetzigen Bundesregierung eine Absichtserklärung.

    (Heiterkeit.)

    — Ich meine: 1970. Ich kann mich ja auch einmal versprechen; das ist besser, als danebenzudenken.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    1971 stehen wir mitten in der Effektuierung dessen, was 1970 angekündigt war. Die Europa- und die Weltpolitik sind in Bewegung geraten.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das haben wir gemerkt!)

    Ob das nun in Ursache und Wirkung mit uns zusammenhängt, kann egal sein. Aber eines ist sicher: die Weltpolitik ist in Bewegung geraten. Da Deutschland der Schlüsselpunkt, einer der Angelpunkte europäischer Politik ist, sind wir uns der großen Verantwortung bewußt, die wir dadurch tragen.
    Wir handeln in geistiger Unabhängigkeit und lehnen es ab, Sklave vorgefaßter Meiningen und sonstiger Dogmen zu sein.
    Wer wie ich nunmehr fünf politische Systeme hat erleben müssen, dem ist die Relativität bewußt, die darin liegt, kaisertreu, königstreu erzogen worden, 1918 mit sehr großen inneren Schwierigkeiten Demokrat geworden zu sein und 1933 — wenn auch ohne Erfolg — unter dem Versuch gestanden zu haben, davon überzeugt zu werden, daß das Führertum das Richtige sei. Wer dann wie ich in der gleichen Stadt mit demselben Wort „Demokratie", östlich und westlich, völlig verschiedene Begriffe serviert bekommt, für den ist es einigermaßen schwer, sich zurechtzufinden, und er flüchtet sich in die geistige Unabhängigkeit.
    Meine Damen und Herren, was wir tun, hat tiefe Rückwirkungen auf alle Gebiete, insonderheit auf die Innenpolitik in der Bundesrepublik und in der DDR. Bevorzugt will ich mich diesen Fragen widmen. Nach Antritt der neuen Regierung ist in der Bundesrepublik unzweifelhaft eine Polarisierung, eine Position des Entweder-Oder eingetreten; das ist bei einer so starken Opposition vielleicht unvermeidlich.
    Lassen Sie mich ein sehr ernstes Wort zu 'der trotzdem verlangten Gemeinsamkeit sagen. Wer wollte leugnen, daß dieses Prinzip höchst erwünscht ist! Aber es fragt sich doch: Gemeinsamkeit auf welcher Basis, Gemeinsamkeit mit wem? Sie können doch nicht leugnen, daß es uns schwer wird, diese Gemeinsamkeit derzeit bei Ihnen, meine Damen und Herren, zu suchen angesichts der fundamentalen Unterschiede, die die — erfreuliche —Diskussion in Ihren Reihen beleben. Es gibt da fundamentale Unterschiede. Sie reichen von kompromißloser Ablehnung bis zur Prüfungsbereitschaft und zur Einsicht in die unvermeidlichen Notwendigkeiten. Wer Gemeinsamkeit fordert, sollte in diesem Punkte erkennen, daß Ostpolitik angesichts der lebenswichtigen Bedeutung für unsere Nation das ungeeignetste Mittel wäre, als Motiv für eine gewünschte Regierungsablösung zu dienen. Wir werden — das lassen Sie sich bitte sagen — die Gemeinsamkeit suchen und praktizieren, soweit es möglich ist und soweit erkennbar ist, wohin Sie wirklich wollen. Aber wir werden das, was wir als notwendig erkannt haben, weder verwässern noch behindern oder gar verhindern lassen; denn wenn wir das täten, hätten wir keine Gemeinsamkeit der Aktion, sondern eine Gemeinsamkeit der Schuld.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Auch Halbheiten wären politisch wertlos. Deswegen erinnern wir uns — und wir nehmen auch gern Lehren von jemandem an, der andere politische Absichten hat —, wie seinerzeit Bundeskanzler Adenauer gehandelt hatte, als er sein politisches System unter dem massiven Widerstand der damaligen Opposition unter Dach und Fach brachte. Er hat es mit Ihren Stimmen durchgesetzt, und das werden wir, mutatis mutandis, auch mit unseren Stimmen tun.
    In der DDR hat das, was hier geschieht, Unsicherheit und deswegen Verhärtung hervorgerufen. Ich verweise auf eine Verlautbarung des Herrn Minister Franke, die das ausdrückt: „Es zeigt sich hier erneut die herkömmliche Erfahrung, daß sich der Prozeß der Bildung neuer Meinungen und Verhaltensweisen in der DDR sehr langsam, aber immer unter dem Schirm äußerlicher Verhärtung vollzogen hat." Wer nun idiese äußerliche Verhärtung mit demselben Bedauern wie Sie feststellt, kann — wie Sie — glauben, daß das der Endzustand sei. Wir glauben aber, daß gerade das ein Beweis sein kann — nicht sein muß — dafür, daß sich die DDR dieser Entwicklung nicht entziehen kann. Denn das kann sie nicht; auch sie ist mitten im Wandel, so wie wir es sind und bleiben werden.
    In der Tat: Wer sich einmal in die Situation des Herrn Ulbricht hineinversetzt, 'muß doch feststellen,



    Borm
    daß in seinem Herrschaftsbereich eine tiefe Enttäuschung über die Tatsache erklärlich ist, daß man zwar in Karlsbad vereinbart hatte, Besprechungen oder gar Verträge mit der Bundesrepublik nur dann abzuschließen, wenn die vorherige Anerkennung der DDR durch die Bundesrepublik erfolgt sei. Und heute? Der Vertrag von Moskau, der Vertrag von Warschau ist unterschrieben. Über die Anerkennung ist nicht geredet worden. Wer wollte annehmen, daß das in einem totalitären Staat nicht zu inneren Spannungen führen sollte? Ein Ausfluß dieser Spannungen kann sehr wohl das sein, was wir heute uns gegenüber erleben.
    Unsere Friedenspolitik hat keine Alternative, wohl aber schmerzliche Konsequenzen. Würden wir diese Konsequenzen nicht beachten, so müßte alles Lippenbekenntnis bleiben. Bei uns in der Bundesrepublik sind wir dem Grundsatz treu geblieben und werden ihm treu bleiben, einzustehen für die Freiheit unserer Nation, für unser Recht auf Selbstbestimmung und für Annäherung mit dem Ziel — wann immer das möglich ist —, auch die staatliche Einheit der Nation wiederherzustellen.
    Lassen Sie mich ein Wort zu einem Problem sagen, das vielen Menschen im Ausland nicht recht verständlich ist, nämlich die Tatsache, daß 25 Jahre nach dem Krieg die volle Souveränität dieser beiden Staaten nicht hergestellt ist, die Souveränität in den Fragen, wo es eben gerade um das Gemeinsame in der Nation geht. Ich glaube, wir könnten glücklich sein, wenn es unter allseitiger Zustimmung möglich wäre, auch die Deutschland-Verträge dadurch überprüfbar zu machen, daß die äußeren Verhältnisse eine Wendung zum Besseren genommen haben. Unsere Methode erfordert gemäß den Umständen, die wir 1969 vorgefunden haben, Geduld. Sie erfordert lange Zeiträume, und wir haben erkannt, daß wir das deutsche Problem nicht frontal angehen können, sondern nur dadurch, daß wir das Klima in der Umwelt verändern, insonderheit das Klima zu unseren und mit unseren östlichen Nachbarn verändern.
    Wir hoffen, daß wir, indem wir die Grenzen zu unseren östlichen Nachbarn durchlässig machen — und zwar nicht nur physisch, sondern auch geistig —, näher an unser Ziel herankommen, den Ausgleich auch mit der DDR unter besseren Bedingungen herbeiführen zu können. Für uns ist natürlich das Schicksal unserer Nation vorrangig. Aber auch dies wirkt auf uns zurück, daß für unsere Nachbarn dieses für uns vorrangige Problem vielschichtig ist und sehr viele Facetten aufweist. Aber die Freiheit, in der wir handeln und für die wir handeln, hat doch nichts zu fürchten, und sie sollte sich deswegen nicht das Gesetz des Nichtberührens aufzwingen lassen.
    Da fragen wir uns, was es bedeutet, wenn für den ökonomischen Bereich die daran interessierten Kreise nichts dagegen einzuwenden haben, daß die ökonomische Tür geöffnet wird, sie aber sofort Bedenken tragen, wenn auch politische Kontakte unvermeidlich scheinen und gesucht werden; möglicherweise, weil sie glauben, daß dadurch der Bestand ihres — ich sage: unseres — Systems gefährdet werden könnte. Als ob wir etwas zu fürchten hätten! Wollen wir denn etwa so reinlich Ökonomie
    und Politik scheiden, wie es drüben geschieht? Das ist doch drüben schon im Ansatz falsch. Jeder Politiker sollte sich zu schade sein, derartige Ansichten, die geradezu schizophren sind, zu unterstützen und zu glauben, man könne Ökonomie und Politik in den Kontakten mit anderen Staaten voneinander scheiden.
    Wir sollten aber auch an die Rückwirkungen denken, die unser Tun und unser Handeln gegenüber den Oststaaten auf die dritte Welt hat.
    In der DDR, meine Damen und Herren, zeigt sich, daß Verfassungstext und Verfassungswirklichkeit kaum in Übereinstimmung zu bringen sind. Da heißt es denn in dem Vertrag zwischen der DDR und der UdSSR:
    Die hohen vertragschließenden Seiten vereinen ihre Anstrengungen zur Gewährleistung des Friedens und der Sicherheit in Europa und in der ganzen Welt in Übereinstimmung mit den Zielen und Grundsätzen der Satzung der Organisation der Vereinten Nationen....
    Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie denken immer, es sei schädlich und die Welt falle ein, wenn die DDR in die Vereinten Nationen aufgenommen würde. Überlegen Sie sich doch bitte einmal, daß man auch anders argumentieren kann: Diese Vereinten Nationen verpflichten ihre Mitglieder zur Respektierung der gegenseitigen Gleichberechtigung, zur Nichtdiskriminierung und zur Menschlichkeit.

    (Lachen bei der CDU/CSU.)

    - Sie lachen? Halten Sie das für lächerlich? — Das war ein bißchen daneben. — Halten Sie es dann nicht auch für erwägenswert, daß man sich fragen kann, ob nicht gerade die Mitgliedschaft bei den Vereinten Nationen einen Druck in dieser Richtung auf die DDR verstärken könnte, daß dieser Druck stärker wäre, als wenn die DDR draußen stünde und bloß einseitig handeln könnte? Unter diesem Gesichtspunkt sollten wir die heute wieder von Ihnen postulierte Ablehnung dieser Möglichkeit auch einmal überlegen.
    Unserer Nation jedenfalls, meine Damen und Herren, dient friedlicher Wettstreit, nicht Feindschaft. Abschließung aber ist unvermeidlich der Beginn der Feindschaft.
    Allerdings muß zugegeben werden, daß die von uns erstrebten Gespräche wohl der härteste Brokken sind, der uns vorgesetzt werden kann. Das bisherige Ergebnis dieser Gespräche — wir müssen es zugeben — ist nichts als die Feststellung der Zähflüssigkeit dieser Gespräche. Aber immerhin, es ist gesprochen worden, es wird gesprochen, und es wird gesprochen werden.
    Im Gegensatz zu Ihnen sind wir aber der Meinung, daß gerade die Schwierigkeit mit der DDR die weitere Entwicklung hinsichtlich der anderen Ostblockstaaten nicht blockieren darf. Wenn das Werk, das wir mit den Ostblockstaaten angestrebt haben, sich immer weiter günstig entwickelt, so wird sich und kann sich auch Herr Ulbricht nicht der Rückwirkung dieser Tatsachen entziehen.



    Borm
    Es wird Sie nicht verwundern, meine Damen und Herren, daß ich als Berliner nun einiges zu Berlin sage. Das Problem Berlin ist nun einmal für uns alle nicht von unserem Willen her, sondern den Gegebenheiten entsprechend Brennpunkt und Prüfstein für das, was von uns, gegen uns und um uns geschieht. Ja, es ist geradezu vorweggenommenes deutsches, vorweggenommenes europäisches Schicksal.
    Wir sollten uns einmal ganz nüchtern fragen: Was ist eigentlich Berlin? Für uns Deutsche, meine Damen und Herren, ist die Antwort eindeutig: WestBerlin ist ein Teil der Bundesrepublik nach dem Willen aller Bürger — ich will keinen Unterschied machen —, die unter der Geltung des Grundgesetzes leben.
    Für die drei Alliierten aber bedeutet Berlin schon wieder etwas anderes. International ist West-Berlin, so wie es am 8. Mai 1945 war, ein besetztes Gebiet, und die Oberhoheit liegt nicht beim Senat, sie liegt nicht beim Abgeordnetenhaus, sondern bei den alliierten Besatzungsmächten. Das 'ist gut so, das ist derzeit nicht zu ändern, aber es es nun einmal Tatsache. Die internationalen Verpflichtungen bestehen in der Haager Landkriegsordnung. Diese ist zugegebenermaßen, weil es erforderlich war, erfreulicherweise zu unseren Gunsten modifiziert, fortlaufend ergänzt und verbessert worden. Das führte dazu, daß Berlin auch in der Praxis unabhängig von seinem völkerrechtlichen Status unlösbar mit der Bundesrepublik in Recht, Wirtschaft und Finanzen verbunden ist. So soll es, so wird es nach dem Willen der Berliner bleiben; denn diese haben nicht umsonst die Blockade überstanden und 25 Jahre alle Schwierigkeiten im Interesse unser Nation auf sich genommen.
    Politisch ist zwischen den Besatzungsmächten in West und Ost jedoch umstritten, was die Position Berlins ist und wie sie praktiziert werden soll. Die Weststaaten sagen ja zur politischen Vertretung Berlins durch den Bund. Daß der Osten es nicht tut, wissen sie. Das ist eine der schwierigen Fragen, um die es geht. Sie würde jedoch, wenn sie nicht befriedigend gelöst werden kann, ein großes, vielleicht unüberwindbares Hemmnis bei der Verwirklichung unserer Pläne darstellen. Ein ungeklärtes Verhältnis bietet immer Gelegenheit zu emotionellen Entladungen, zu Selbfsttäuschung und damit zu Fehlverhalten.
    Meine Damen und Herren, Berlin dient man nicht mit lauten Deklamationen. Berlin dient man, wie es geschieht, am besten durch stille, zähe Arbeit am Ausgleich. Wer zum Osten Verständigung sucht, hilft Berlin. Wer Konflikte duldet oder gar schürt, gefährdet diese Stadt.
    Denken wir an Chruschtschow. Als man ihm einmal sagte, er könne und sollte doch ohne Gefahr diese Stadt vereinnahmen — die Amerikaner würden dagegen schon nicht allzusehr opponieren, wenigstens nicht mit Gewalt — sagte er, er denke gar nicht daran. Immer wenn ihm die Amerikaner irgendwo auf der Welt unbequem würden, dann trete er ihnen in Berlin auf den Fuß, dann würden
    sie schon etwas friedlicher werden. Es ist nicht sehr schön, in einer Stadt zu leben, die damit zum Objekt der Weltgeschichte wird, in der Spannungen abreagiert werden, für die diese Stadt am wenigsten kann, auch die Bundesrepublik nicht.
    lm Ostsektor liegen die Dinge völkerrechtlich anders. Durch Verträge zwischen der damaligen sowjetischen Besatzungsmacht und der DDR ist Ost-Berlin in den Status entlassen worden, in dem sich die DDR befindet. Was das in den kommunistischen totalen Staaten bedeutet, mag dahingestellt sein, aber immerhin ist dieser Stadtteil Ost-Berlin nicht mehr unter der Oberhoheit der damaligen Besatzungsmacht, wenn auch noch Rudimente, Relikte aus an-anderen Gründen bestehen. Praktisch ist die Vereinnahmung vollzogen, und an dieser Praxis wird wohl kaum etwas zu ändern sein.
    Ich wiederhole es: Wir Westberliner dürfen und wollen nicht Blitzableiter für Spannungen sein, wir sind nicht der Prügelknabe der Welt. Wir rechnen nicht auf, und wir rechnen nicht vor, aber wir weisen darauf hin, daß der besonders zu Wahlzeiten intensivierte Versuch der Opposition, sich allein als zuverlässiger Helfer dieser Stadt zu präsentieren, durch die Vergangenheit und durch die Gegenwart widerlegt ist. Er entspricht auch heute nicht den Tatsachen; eine gegenteilige Behauptung bedeutet Demagogie.
    Meine Damen und Herren, Sie könnten überzeugender argumentieren, wenn die Mauer durch Berlin im Jahre 1971 gezogen wäre. Sie ist aber 1961 gezogen worden. Das bedeutet, daß Ihr Vorwurf, daß wir nichts täten, um das Verhalten im anderen Teil Deutschlands zu beeinflussen, ins Leere stößt. Auch Sie haben es nicht gekonnt; unter Ihrer Ägide ist die Mauer gebaut worden. Ich sage das, ohne es Ihnen anlasten zu wollen. Auch Sie haben den Mauerbau eben nicht verhindern können. Daran sollten Sie sich erinnern.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)