Rede:
ID0609301600

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 12
    1. Herr: 1
    2. Abgeordneter: 1
    3. Mischnick,: 1
    4. gestatten: 1
    5. Sie: 1
    6. eine: 1
    7. Zwischenfrage: 1
    8. des: 1
    9. Herrn: 1
    10. Abgeordneten: 1
    11. Dr.: 1
    12. Barzel?: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 93. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 28. Januar 1971 Inhalt: Eintritt des Abg. Dr. Farthmann in den Bundestag 5043 A Amtliche Mitteilungen . . . . . . . 5043 A Begrüßung einer Delegation des Parlaments der Volksrepublik Polen 5051 A Bericht der Bundesregierung zur Lage der Nation 1971 (Drucksache V1/1690) in Verbindung mit Große Anfrage der Fraktionen der SPD, FDP betr. Außenpolitik der Bundesregierung (Drucksachen VI/ 1638, V1/1728) und mit Aussprache über den Bericht der Bundesregierung zur Lage der Nation 1971 Brandt, Bundeskanzler . 5043 B, 5058 B Dr. Barzel (CDU/CSU) 5051 B Dr. Apel (SPD) 5059 B Mischnick (FDP) 5064 B Dr. Gradl (CDU/CSU) . . . . . 5071 C Wienand (SPD) 5076 A Borm (FDP) . . . . . . . . 5083 A Schmidt, Bundesminister . . . . 5090 A Dr. Freiherr von Weizsäcker (CDU/CSU) . . . . . . . . . 5100 A Dr. Haack (SPD) . . . . . . . . 5104 C Franke, Bundesminister . . . . . 5108 B Dr. Becher (Pullach) (CDU/CSU) . . 5113 C Dr. Bußmann (SPD) . . . . . . . 5118 A Amrehn (CDU/CSU) . . . . . . 5119 D Moersch (FDP) . . . . . . . . 5122 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . . 5124 C Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 5125 A Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 93. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. Januar 1971 5043 93. Sitzung Bonn, den 28. Januar 1971 Stenographischer Bericht Beginn: 10.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Berichtigung: 90. Sitzung, Seite 4932 C, letzte Zeile: Zwischen den Wörtern „Haushaltsausschuß" und „gemäß" ist einzufügen: „mitberatend und" Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Adams ** 28. 1. Dr. Ahrens * 29. 1. Alber * 29. 1. Dr. Arndt (Berlin) 1. 2. Dr. Artzinger ** 29. 1. Bals * 29. 1. Bauer (Würzburg) * 29. 1. Berberich 28. 1. Dr. von Bismarck 28. 1. Blumenfeld 29. 1. Dr. Burgbacher ** 29. 1. Bühling 28. 2. Dasch 5.4. van Delden 29. 1. Dichgans 29. 1. Frau Dr. Diemer-Nicolaus * 29. 1. Dr. Dittrich ** 29. 1. Dr. Dollinger 23. 2. Draeger *** 29. 1. Flämig ** 29. 1. Fritsch * 29. 1. Dr. Furler * 29. 1. Gewandt 29. 1. Dr. Götz 13. 2. Grüner 29. 1. Dr. Hallstein 29. 1. Frau Herklotz 29. 1. Dr. Hermesdorf (Schleiden) * 29. 1. Hösl * 29. 1. Dr. Jahn (Braunschweig) ** 28. 1. Dr. Jungmann 15. 2. Dr. Kempfler 29. 1. Frau Klee * 29. 1. Klinker 29. 1. Dr. Koch ** 29. 1. Kriedemann ** 29. 1. Freiherr von Kühlmann-Stumm 29. 1. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich Lange ** 29. 1. Lautenschlager ** 29. 1. Lemmrich * 29. 1. Lenze (Attendorn) * 29. 1. Lücker (München) ** 28. 1. Dr. Martin 29. 1. Memmel ** 29. 1. Müller (Aachen-Land) ** 28. 1. Dr. Müller (München) * 29. 1. Pöhler * 29. 1. Dr. Prassler 29. 1. Rasner 12. 2. Riedel (Frankfurt) ** 29. 1. Richarts * 29. 1. Richter *** 29. 1. Dr. Rinderspacher *** 29. 1. Roser 29. 1. Schmidt (Würgendorf) * 29. 1. Dr. Schmücker * 29. 1. Frau Schröder (Detmold) 29. 1. Dr. Schulz (Berlin) * 29. 1. Saxowski 2. 2. Sieglerschmidt * 29. 1. Springorum ** 29. 1. Steiner 29. 1. Strauß 29. 1. v. Thadden 6. 2. Frau Dr. Walz *** 29. 1. Dr. Warnke 29. 1. Weber (Heidelberg) 29. 1. Wienand * 29. 1. Dr. Wörner 29. 1. * Für die Teilnahme an Sitzungen der Beratenden Versammlung des Europarates ** Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments *** Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen der Versammlung der Westeuropäischen Union
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Wolfgang Mischnick


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Ich habe nicht gesagt, daß Sie es generell nicht wollten. Ich dachte, Sie wollten das morgen machen. Aber wenn Sie es heute machen wollen, — uns ist es egal, wie Sie die Dinge im einzelnen behandeln.
    Wir gehen davon aus, daß es nicht nur außenpolitische — ich werde in meinen Ausführungen noch dazu kommen —, sondern auch eine ganze Reihe von innenpolitischen Problemen zu beachten gilt, wenn man zur Lage der Nation Stellung nimmt. Ich bin der Meinung, daß man mit der Zeit sparsam umgehen und die Dinge möglichst systematisch behandeln sollte.
    Meine Damen und Herren, wir haben immer wieder betont — das ist auch heute erfreulicherweise zum Ausdruck gekommen —, daß zwischen der Berlin-Lösung und dem deutsch-sowjetischen Vertrag ein enger Zusammenhang besteht. Wir Freien
    Demokraten stimmen mit dem, was der Bundeskanzler und der Bundesaußenminister gesagt haben, überein, daß eine akzeptable Berlin-Regelung — wie wir immer betont haben — Voraussetzung für die Ratifizierung des deutsch-sowjetischen Vertrages ist. Im Detail hier darüber zu debattieren, was unter einer solchen Regelung im einzelnen zu verstehen ist, halten wir — gemeinsam, wie wir inzwischen feststellen konnten — nicht für richtig.
    Nur so viel scheint mir jetzt notwendig zu sein, noch zu sagen: Entscheidend ist und bleibt, daß die gewachsenen Bindungen Berlins an die Bundesrepublik Deutschland nicht angetastet werden dürfen. Diese müssen unsere osteuropäischen Nachbarn und die DDR als Realität zur Kenntnis nehmen. Lassen Sie mich hier einen Satz einfügen, weil vorhin der Zuruf „Berlin-Verkehr" kam. Wir gehen davon aus, daß es z. B. das gute Recht des Fraktionsvorsitzenden der Freien Demokraten in Berlin ist, die Fraktionsvorsitzenden der FDP in das Berliner Abgeordnetenhaus einzuladen, und wir haben das Recht, dieser Einladung zu folgen.

    (Allgemeiner Beifall.)

    Wer dieses Recht des Fraktionsvorsitzenden im Berliner Abgeordnetenhaus bestreitet, der bestreitet damit gleichzeitig die eigenständige Handlungsfähigkeit gewählter Organe in West-Berlin, vergeht sich damit gegen den Vier-Mächte-Status und widerspricht dem, worüber sich die Vier Mächte in der Vergangenheit immer einig gewesen sind. Das muß man mit aller Deutlichkeit feststellen. Das hat nichts mit Provokation zu tun; das hat nichts mit Störaktion zu tun. Das hat alles damit zu tun, oh das Westberliner Abgeordnetenhaus und seine Fraktionen voll handlungsfähig und frei sind, das zu tun, was sie selbst für richtig halten. Das müßten doch gerade diejenigen von der SED besonders gut verstehen, die manchmal davon sprechen, West-Berlin zu einer selbständigen Einheit machen zu wollen. Sollte das bedeuten, daß sie dann auch vorschreiben, wer eingeladen werden, wer nach Berlin kommen darf? Gerade mit diesen Maßnahmen hat sich die SED nach meiner Überzeugung insofern selbst einen schlechten Dienst erwiesen, als sie deutlich macht: es geht ihr nicht darum, die Entspannung zu unterstützen, sondern im Gegenteil selbst die Entspannungsbemühungen ihres eigenen großen Partners in Frage zu stellen.
    Der Verlauf der Berlin-Gespräche hat gezeigt, daß zumindest die Sowjetunion und die Staaten Osteuropas diesen Zusammenhang zu erkennen beginnen. Ich gehe zuversichtlich davon aus, daß wir deshalb, weil diese Übereinstimmung besteht und daher der Wille vorhanden ist, zu einer Ratifizierung der Verträge zu kommen, auch eine Lösung, die allseits — wie es der Außenminister formuliert hat — akzeptabel ist, finden werden.
    Das Fundament und die Voraussetzung für diese aktive Politik der Normalisierung des Verhältnisses zu Osteuropa und zum anderen Teil Deutschlands ist und bleibt für uns die bewährte Partnerschaft mit unseren Freunden und Verbündeten in Westeuropa und in der Atlantischen Gemeinschaft. Sie alle ich wiederhole es, auch wenn es die Kollegen



    Mischnick
    von der Opposition nicht gern hören wollen ---unterstützen und befürworten die Außenpolitik dieser Bundesregierung. Daran gibt es keinen Zweifel.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die Gemeinschaft des Westens zu halten und zu stärken, wie das schon im ersten Amtsjahr der neuen Bundesregierung unter Beweis gestellt worden ist, wird natürlich auch für die Zukunft eine Grundlage unserer Politik sein. Nur sie allein kann das Fundament sein, von dem aus wir mit Ruhe und Zuversicht in Verhandlungen über übergeordnete europäische Lösungen eintreten können.
    Bei aller Bedeutung, die der Ostpolitik zukommt, sollte daher nicht vergessen werden, daß die ersten Schritte des Bundesaußenministers nach Bildung dieser Regierung der Überwindung der seit Jahren andauernden europäischen Krise galten. Der auf Initiative der deutschen Delegation zurückgehende Beschluß von Den Haag vom Dezember 1969 und die inzwischen ja auch erfolgte Aufnahme von Verhandlungen mit den vier beitrittswilligen Staaten sind Meilensteine auf dem Wege der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, die neben weiteren beachtlichen Fortschritten in der Westeuropapolitik besonders hervorzuheben sind. Das soll man nicht immer verkleinern. Im Gegenteil!

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir haben allen Anlaß, gemeinsam darüber erfreut zu sein, daß hier ein Schritt nach vorn gegangen worden ist.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Welcher denn?)

    Auch hier darf sich die Regierung durch die in jüngster Zeit ohne deutsches Verschulden eingetretenen Verzögerungen nicht daran hindern lassen, auf dem als richtig erkannten Weg fortzuschreiten. Wir sind gewiß, daß das, was im Augenblick an Schwierigkeiten aufgetaucht ist, schneller zu überwinden sein wird, als das in der Vergangenheit möglich war, eben weil das Ineinandergreifen von West- und Ostpolitik heute garantiert ist und nicht eine einseitige Haltung eingenommen wird.
    Was stellt sich aber nun der Bürger unseres Landes vor, wenn wir hier die Lage der Nation insgesamt diskutieren und dafür die Materialien vorliegen? Mir scheint eine nüchterne Betrachtung der Zahlen und Daten notwendig zu sein, die uns mit diesem Material dankenswerterweise erstmalig in dieser Konzentration vorgelegt worden sind.
    Erstens. In beiden Teilen Deutschlands ist langfristig in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht eine stetige Aufwärtsentwicklung festzustellen.
    Zweitens. Dabei hat sich allerdings der Abstand zwischen der DDR und der Bundesrepublik in der wirtschaftlichen Entwicklung weder gehalten noch etwa verringert, sondern er ist interessanterweise größer geworden.
    Drittens. Alle Anzeichen deuten darauf hin, daß sich dieser Abstand — von Teilbereichen abgesehen — weiter vergrößern wird.
    Wenn man nun versucht, die Ursachen dieser unterschiedlichen Entwicklung zu ergründen, so kann man folgendes feststellen.
    Erstens. Sie liegen nicht darin, daß man in der DDR oder in der Bundesrepublik etwa fleißiger oder nicht fleißiger wäre oder daß die Erwerbsquote höher oder nicht höher gewesen wäre. Im Gegenteil: wenn man diese Gesichtspunkte — Arbeitszeit, Erwerbsquote — betrachtet, müßten eher die Ergebnisse in der DDR besser liegen.
    Zweitens. Auch die unterschiedliche Ausgangslage der Nachkriegszeit bietet in bestimmten Teilbereichen keine ausreichende oder gar überzeugende Erklärung dafür, daß diese unterschiedliche Entwicklung eingetreten ist. So war sie z. B. in der Landwirtschaft nicht so verschieden, daß sich daraus die unterschiedlichen Erträge ergäben, die wir heute aus den Materialien feststellen können.
    Vergleiche in allen Sektoren nach verschiedensten Kriterien lassen daher nur folgenden Schluß zu — man sollte bei einem solchen Bericht zur Lage der Nation auch daran wieder einmal erinnern —: Die Ursachen für diese unterschiedliche Entwicklung müssen zu einem beträchtlichen Teil im unterschiedlichen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen System liegen, dessen Praxis auch bei gleicher oder vergleichbarer Ausgangssituation — zu unterschiedlichen Ergebnissen führt.
    Das ist für die meisten von uns eine Selbstverständlichkeit; mir scheint das aber bei einer solchen Gelegenheit zu betonen deshalb notwendig zu sein, weil es schon wieder viele in unserem Lande gibt, die genau das, was wir uns in jahrzehntelanger Arbeit erarbeitet haben, heute vergessen haben und zum Teil Mythen nachhängen, wie man hier bessere gesellschaftspolitische Voraussetzungen schaffen könne.
    Wir dürfen uns jedoch nicht mit der Tatsache beruhigen, daß sich unser System bisher als wirksamer erweist, sondern wir müssen die eigenen Probleme in vielen Teilbereichen nicht nur sehen, sondern uns bemühen, sie auch zu erkennen und zu meistern, und auch bedenken, welche Konsequenzen es auf die Dauer hat, wenn diese unterschiedliche Entwicklung weitergeht und die Diskrepanz in der Entwicklung in den beiden deutschen Staaten größer wird.
    Wir wissen, daß wir uns mit der gegenwärtigen Situation nicht zufriedengeben dürfen. Es gibt eine Reihe von Tatbeständen, die, für sich allein betrachtet, nicht als optimal und zufriedenstellend gelöst bezeichnet werden können. Bei uns handelt es sich hier nicht um systembedingte Konsequenzen, sondern um die Frage, ob sich unsere Gesellschaft mit diesem Problem immer in der nötigen und richtigen Weise auseinandergesetzt hat.
    Aber eine solche langfristige Betrachtungsweise läßt auch noch einige andere interessante und wesentlich erscheinende Schlußfolgerungen zu: Die gesellschaftspolitische Entwicklung in der DDR — in der Wirtschaftspolitik, in der Sozialpolitik — basiert ja auf der gleichen Ideologie wie in den anderen Staaten des Warschauer Paktes. Sie ist im

    Mischnick
    Prinzip - wenn ich das einmal so sagen darf - ein
    geistiger, politischer und wirtschaftlicher N achvollzug
    dessen, was durch die Sowjetunion vorgezeichnet
    wurde. Ein wesentlicher Unterschied liegt natürlich
    in der 30jdhrigen Differenz von 1917 bis 1945.
    Diese nicht unbeträchtliche Zeitspanne läßt vermuten,
    daß es eben nicht gelungen ist, Schwierigkeiten
    und Mängel zu vermeiden, die sich bei dem
    erstmaligen Versuch gezeigt haben, sozialistische
    Ideologie und Theorie in die Praxis umzusetzen.
    Das sollte doch einmal eine Fundgrube für alle
    diejenigen in unserem Lande sein, die immer wieder
    glauben, daß man hier für die Gestaltung unseres
    gesellschaftlichen Systems etwas finden könne. Es
    wäre gut, wenn mancher, der uns mit sehr viel
    Ideologie eine bessere Politik bescheren will, zuerst
    einmal die Kenntnis vertiefte über das, was an Erfahrungen
    bei anderen schon vorhanden ist.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Es ist doch offensichtlich so, daß das, was in verschiedenen
    Modellen und politischen Ideologien als
    zwangsläufig richtig, als möglich, als erreichbar angesehen
    wird, in der Praxis dann sehr oft zu anderen
    und dabei zumeist sehr schlechten Ergebnissen
    führt.
    Es ist in der politischen Diskussion häufig üblich,
    im Rahmen eines punktuellen Vergleichs den Vorteil
    des einen Systems und den Nachteil des anderen
    abzulesen und zu messen. Dies muß nicht, aber
    es kann natürlich zu Fehlprognosen führen, wenn
    man sich nicht mit dem Gesamtzusammenhang auseinandersetzt.
    So sind z. B. die Volksrepubliken stolz auf ihre
    "sozialen Errungenschaften". Ich halte es für notwendig,
    darüber heute etwas zu sagen, weil durch
    die zahlreicher werdenden Begegnungen auch die
    ständig wachsende Auseinandersetzung mit den
    Uberlegungen unserer neuen Gesprächspartner erforderlich
    ist. Der Begriff "soziale Errungenschaften"
    bedeutet mehr, als bei uns im allgemeinen in der
    Sozialpolitik unter "soziale Leistungen" verstanden
    wird. Aber selbst wenn wir einmal nur den Teilbereich
    dessen untersuchen, was im Hinblick auf die
    sozialen Leistungen als Ausfluß der sozialen Errungenschaften
    oder des sozialen Fortschritts verglichen
    werden kann, stellen wir fest, daß das
    soziale Leistungsniveau, insgesamt gesehen, absolut
    und relativ betrachtet, bei uns wesentlich höher
    liegt als in der DDR. Es hat sich erneut gezeigt, daß
    Sozialpolitik im engeren Sinne eben nur im engsten
    Zusammenhang mit der Wirtschaftspolitik, d. h. mit
    der Leistungsfähigkeit des wirtschaftlichen Systems,
    gesehen werden muß.
    Interessant ist auch eine Gegenüberstellung der
    sozialen Leistungen für die Wechselfälle des Lebens
    in den beiden deutschen Staaten. Bemerkenswert
    ist dabei auch die völlig andere Betrachtungsweise.
    Dieser Vergleich der sozialen Leistungen in
    beiden Teilen Deutschlands zeigt sowohl im Hinblick
    auf die Institutionen wie auf die Bemessung
    der jeweiligen sozialen Leistungshöhe prinzipielle
    Unterschiede. Hier sollten wir uns ins Gedächtnis
    zurückrufen, daß Sozialleistungen in der DDR eben
    nicht die Funktion haben, Lohnersatz oder Einkommensersatz
    darzustellen, wie es bei uns ist. Sie sind
    dort nach wie vor ganz in der Linie der sogenannten
    klassischen Sozialpolitik auf die Sicherung eines
    Existenzminimums ausgerichtet, wenn man von der
    bevorzugten Behandlung ideologischer Kader oder
    bestimmter Berufsgruppen absieht, denen eine besondere
    politische oder wirtschaftliche Bedeutung
    beigemessen wird.
    Der Hintergrund dieser Regelung liegt auf der
    Hand - und wir sollten uns dessen immer bewußt
    sein -: der Konsum soll in dem Bereich, aus dem
    ein produktiver Beitrag nicht oder nicht mehr zu
    erwarten ist, möglichst in Grenzen gehalten werden,
    um die entsprechenden Mittel für andere wirtschaftliche
    oder sonstige Zwecke zur Verfügung zu
    stellen.
    Das spiegelt sich beispielsweise auch in der Lebenserwartung
    wider. Hier zeigt sich, daß unser
    freiheitliches System im ganzen gesehen ohne die
    Vokabel "soziale Errungenschaften" diesen Methoden
    eben doch weit überlegen ist. Das in einer solchen
    Debatte wieder einmal festzustellen scheint
    mir erforderlich zu sein,

    (Beifall bei den Regierungsparteien und Abgeordneten der Mitte)

    um gerade denjenigen, die ständig bemüht sind,
    all das, was bei uns geschaffen worden ist, in Frage
    zu stellen und als nicht ausreichend zu bezeichnen,
    deutlich zu machen, daß Ihr Hinweis auf die bessere
    Lösung von der praktischen Politik her widerlegt
    ist.

    (Abg. Stücklen: Sagen Sie das mal Herrn Bremer!)

    Aber, lieber Herr Kollege Stücklen, Sie können
    dessen sicher sein, daß ich das nicht nur sagen
    werde, sondern schon sehr oft gesagt habe. Ich wäre
    allerdings dankbar, Herr Kollege Stücklen, wenn
    Sie dann auch innerhalb Ihrer eigenen Reihen mit
    daran denken würden. Manchmal habe ich den
    Eindruck, wenn ich an die CDU/CSU denke, so eine
    Art Selbstbedienungsladen vor mir zu haben, wo
    sich jeder das herausnimmt, was er in politischen
    Dingen gerade braucht.

    (Abg. Wehner: Einen Supermarkt!)

    Sogar einen Supermarkt. Aber "Supermarkt"
    geht mir deshalb ein bißchen zu weit, weil mir der
    gigantische Sprachgebrauch der CDU/CSU etwas
    fernsteht.
    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einige
    zusammenfassende Bemerkungen zur Gesamtsituation
    machen, wie sich uns die Lage im demokratischen
    Teil der deutschen Nation darstellt.
    Nach einem Amtsjahr kann natürlich eine Bundesregierung
    nur einen Teil dessen verwirklichen, was
    sie sich vorgenommen hat. Aber die gesamte innenund
    außenpolitische Bilanz dieser Bundesregierung
    und der sie tragenden Koalition ist positiv. Im Innern
    wurde mehr soziale Gerechtigkeit durch Verbesserung
    bei der Kriegsopferversorgung, bei der
    Krankenversicherung, beim Lastenausgleich,

    (Abg. Stücklen: Konjunkturzuschlag!)





    Mischnick
    beim Kindergeld, beim Wohngeld, bei der Förderung der Vermögensbildung erreicht. Das wir in einem Jahr so viele Gesetze über die Bühne gebracht haben, wie Sie es in vier Jahren absoluter Mehrheit nicht geschafft haben, behagt Ihnen nicht. Dafür habe ich Verständnis.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    Nach gründlicher Vorarbeit wird diese Regierung
    in der Lage sein, in diesem Jahr folgende Gesetze
    — ich will sie nicht alle im einzelnen aufzählen — —

    (Abg. Windelen: Doch!)

    — Ich bin gern dazu bereit, wenn Sie es hören wollen, weil Sie es offensichtlich immer wieder hören müssen.

    (Abg. Windelen: 564 Maßnahmen der inneren Reformen!)

    — Sie stellen wohl fest, daß wir uns das als Ziel gesetzt haben. Wenn Sie die Zeit, die Sie zum Zählen verwandten, dazu benutzt hätten, Alternativen zu entwickeln, wäre das eine große Tat gewesen!

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ob das der Ausbau der Gesundheitssicherung, die Frage des Umweltschutzes, die Sicherung innerhalb der verschiedenen Lebensbereiche ist — all das macht deutlich, daß für uns die Lage der Nation sowohl eine innenpolitische als auch eine außenpolitische Aufgabe ist. Nach außen haben wir — darüber gibt es keinen Zweifel — durch unsere konsequente Friedenspolitik mehr Sicherheit und ein

    (J) wachsendes Ansehen erreicht. Dies, meine Damen und Herren von der Opposition, ist doch wohl eine gesunde Grundlage, auf der wir eine konstruktive Politik im Sinne des Fortschritts und des Friedens zum Wohle aller aufbauen können.

    In der Außenpolitik ist es dieser Koalition gelungen, den Hauptmangel früherer westlicher Positionen gegenüber den Völkern des Ostens abbauen zu helfen, der einfach darin bestand, daß die auf Aussöhnung gerichtete Politik nicht immer so klar und so konsequent getrieben wurde, wie es nötig gewesen wäre, um glaubwürdig zu sein. Genau das ist jetzt erreicht worden. Wem die Zukunft unseres Volkes nicht gleichgültig ist, muß deshalb weiterhin das politische Bemühen der Bundesrepublik bejahen, das Verhältnis zwischen Ost und West umzugestalten und zu verbessern, damit eine allgemeine europäische Friedensordnung möglich wird. Dieses Endziel eines wichtigen Annäherungsprozesses erfordert von uns — das wissen wir — Zeit und Geduld.
    Ich hätte allerdings gern einmal das Rezept dafür gewußt, Herr Kollege Barzel, wie es möglich war, zu erreichen, daß am selben Abend des Tages, an dem Sie erklärten, Sie hätten in Warschau erreicht, daß die Aussiedlung sofort beginnt, im Fernsehen zu sehen war, wie der Zug mit den ersten Aussiedlern ankam. Das war wirklich eine artistische Leistung, die hier in dieser kurzen Zeit vollbracht wurde!

    (Zuruf von der SPD: Das war Barzelei! — Zuruf von der CDU/CSU: Das hat er doch gar nicht behauptet!)

    Herr Kollege Barzel, Sie haben darauf hingewiesen, daß schon früher Aussiedlungen möglich waren. Ich weiß aber sehr genau, daß die Zahl der Aussiedler aus den polnischen Gebieten sehr, sehr klein war und daß es sehr viel Mühe gekostet hat, eine Lösung dieser Frage in einem überschaubaren Zeitraum für alle diejenigen zu erreichen, die unter diese Vereinbarung fallen. Das ist der entscheidende Fortschritt gegenüber früher, nur in kleinen Grüppchen in die Bundesrepublik kommen zu können.


Rede von Dr. Hermann Schmitt
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Abgeordneter Mischnick, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Barzel?

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Rainer Barzel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Kollege Mischnick, sind Sie bereit, sich an die Zeit zu erinnern, als wir beide im Kabinett Adenauer mit solchen Dingen zu tun hatten? Sie werden es deshalb im deutschen Interesse, das der Regierungssprecher bestätigt hat, zu schätzen wissen, wenn ich für die Opposition mitteilen kann, daß die Verantwortlichen in Polen mir versichert haben, niemand werde einen Nachteil daraus haben, daß er einen solchen Antrag stellt.
    Wenn Sie die Güte hätten, in dem Kommuniqué des Bundeskanzlers über seinen Besuch nachzulesen, würden Sie dort weder den Jugendaustausch noch die deutsch-polnische Industrie- und Handelskammer noch andere Dinge finden. Wenn Sie mehr wissen wollen, wird der Außenminister, der ebenso wie der Herr Bundeskanzler informiert ist, Sie gern darüber unterrichten.