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ID0609301000

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    Deutscher Bundestag 93. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 28. Januar 1971 Inhalt: Eintritt des Abg. Dr. Farthmann in den Bundestag 5043 A Amtliche Mitteilungen . . . . . . . 5043 A Begrüßung einer Delegation des Parlaments der Volksrepublik Polen 5051 A Bericht der Bundesregierung zur Lage der Nation 1971 (Drucksache V1/1690) in Verbindung mit Große Anfrage der Fraktionen der SPD, FDP betr. Außenpolitik der Bundesregierung (Drucksachen VI/ 1638, V1/1728) und mit Aussprache über den Bericht der Bundesregierung zur Lage der Nation 1971 Brandt, Bundeskanzler . 5043 B, 5058 B Dr. Barzel (CDU/CSU) 5051 B Dr. Apel (SPD) 5059 B Mischnick (FDP) 5064 B Dr. Gradl (CDU/CSU) . . . . . 5071 C Wienand (SPD) 5076 A Borm (FDP) . . . . . . . . 5083 A Schmidt, Bundesminister . . . . 5090 A Dr. Freiherr von Weizsäcker (CDU/CSU) . . . . . . . . . 5100 A Dr. Haack (SPD) . . . . . . . . 5104 C Franke, Bundesminister . . . . . 5108 B Dr. Becher (Pullach) (CDU/CSU) . . 5113 C Dr. Bußmann (SPD) . . . . . . . 5118 A Amrehn (CDU/CSU) . . . . . . 5119 D Moersch (FDP) . . . . . . . . 5122 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . . 5124 C Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 5125 A Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 93. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. Januar 1971 5043 93. Sitzung Bonn, den 28. Januar 1971 Stenographischer Bericht Beginn: 10.00 Uhr
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    Berichtigung: 90. Sitzung, Seite 4932 C, letzte Zeile: Zwischen den Wörtern „Haushaltsausschuß" und „gemäß" ist einzufügen: „mitberatend und" Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Adams ** 28. 1. Dr. Ahrens * 29. 1. Alber * 29. 1. Dr. Arndt (Berlin) 1. 2. Dr. Artzinger ** 29. 1. Bals * 29. 1. Bauer (Würzburg) * 29. 1. Berberich 28. 1. Dr. von Bismarck 28. 1. Blumenfeld 29. 1. Dr. Burgbacher ** 29. 1. Bühling 28. 2. Dasch 5.4. van Delden 29. 1. Dichgans 29. 1. Frau Dr. Diemer-Nicolaus * 29. 1. Dr. Dittrich ** 29. 1. Dr. Dollinger 23. 2. Draeger *** 29. 1. Flämig ** 29. 1. Fritsch * 29. 1. Dr. Furler * 29. 1. Gewandt 29. 1. Dr. Götz 13. 2. Grüner 29. 1. Dr. Hallstein 29. 1. Frau Herklotz 29. 1. Dr. Hermesdorf (Schleiden) * 29. 1. Hösl * 29. 1. Dr. Jahn (Braunschweig) ** 28. 1. Dr. Jungmann 15. 2. Dr. Kempfler 29. 1. Frau Klee * 29. 1. Klinker 29. 1. Dr. Koch ** 29. 1. Kriedemann ** 29. 1. Freiherr von Kühlmann-Stumm 29. 1. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich Lange ** 29. 1. Lautenschlager ** 29. 1. Lemmrich * 29. 1. Lenze (Attendorn) * 29. 1. Lücker (München) ** 28. 1. Dr. Martin 29. 1. Memmel ** 29. 1. Müller (Aachen-Land) ** 28. 1. Dr. Müller (München) * 29. 1. Pöhler * 29. 1. Dr. Prassler 29. 1. Rasner 12. 2. Riedel (Frankfurt) ** 29. 1. Richarts * 29. 1. Richter *** 29. 1. Dr. Rinderspacher *** 29. 1. Roser 29. 1. Schmidt (Würgendorf) * 29. 1. Dr. Schmücker * 29. 1. Frau Schröder (Detmold) 29. 1. Dr. Schulz (Berlin) * 29. 1. Saxowski 2. 2. Sieglerschmidt * 29. 1. Springorum ** 29. 1. Steiner 29. 1. Strauß 29. 1. v. Thadden 6. 2. Frau Dr. Walz *** 29. 1. Dr. Warnke 29. 1. Weber (Heidelberg) 29. 1. Wienand * 29. 1. Dr. Wörner 29. 1. * Für die Teilnahme an Sitzungen der Beratenden Versammlung des Europarates ** Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments *** Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen der Versammlung der Westeuropäischen Union
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Hans Apel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege meiner Bundestagsfraktion Professor Carlo Schmid hatte anläßlich der letzten Debatte zur Lage der Nation am 15. Januar 1970 folgende Bemerkung gemacht:
    Nation ist ein Produkt des Willens und nicht nur der gleichen Sprache, nicht einmal nur ein Produkt des Wissens um die gleiche geschichtliche Herkunft von alters her.
    Diese Aussage gilt heute wie in Zukunft. Sie unterstreicht, daß es eine deutsche Nation geben wird, solange die Teilung in zwei deutsche Staaten nicht dem Willen der Deutschen entspricht.
    Insofern stimmt es eben nicht, Herr Dr. Barzel, wenn Sie hier meinen feststellen zu können, wir hätten unsere Forderung auf Selbstbestimmungsrecht für unser Volk aufgegeben. Der Herr Bundeskanzler hatte diesem Thema „Selbstbestimmung für unser Volk" bei seiner damaligen Regierungserklärung einen weiteren Gedanken hinzugefügt. Er hatte gesagt:
    Wir sind alle in Deutschland zu Haus. Wir haben auch noch gemeinsame Aufgaben und gemeinsame Verantwortung für den Frieden unter uns und in Europa.
    Diese zusätzliche Bemerkung des Herrn Bundeskanzlers macht für uns Sozialdemokraten deutlich, daß Selbstbestimmung für unser Volk heute mehr ist als ein bloßes Recht. Sie beinhaltet die Pflicht der Deutschen, an der Sicherung des Friedens konstruktiv und nüchtern mitzuarbeiten. Um diese Nüchternheit bemühen wir uns. Diese Nüchternheit ist schmerzlich. Diese Nüchternheit läßt sich natürlich mit den tönernen Worten des Vorsitzenden der Oppositionsfraktion nicht erreichen.
    Wir müssen uns aber in diesem Zusammenhang, wenn wir über Selbstbestimmung für unser Volk reden, darüber im klaren sein können, daß wir verbindlich politisch nur für die Bundesrepublik handeln können, daß wir uns darüber selbst und anderen nichts vormachen dürfen und — das scheint mir sehr wichtig zu sein — daß die in Moskau und Warschau unterzeichneten Verträge unseren außenpolitischen Spielraum erweitert haben.
    Lautstarkes Geschrei und Bluffen kann über diese Tatsache, daß wir nur für die Bundesrepublik politisch handeln können, nicht hinwegtäuschen. Unter der Kategorie Bluff ist die Bemerkung des Führers der Opposition auf dem CDU-Parteitag zu bewerten - - vielleicht könnte man sie auch als Psychodiagramm des Rainer Barzel bezeichnen —, daß er aus Warschau mehr mitgebracht habe als seinerzeit der Bundeskanzler.

    (Lachen hei der SPD.)

    Dies ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, mehr als ein Witz.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Es macht deutlich, daß Herr Kollege Barzel augenscheinlich verkennt, daß das Auditorium, welches er in Warschau hatte, und der Empfang, der ihm gegeben wurde — wir begrüßen, daß der Führer der Opposition dieses Hauses dort würdig empfangen wurde —, nur möglich waren, nachdem der Herr Bundeskanzler einige Wochen vorher ein neues Kapitel in den deutsch-polnischen Beziehungen aufgeschlagen hatte.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Herr Kollege Barzel, bei allem Verständnis dafür, daß es in Ihrer Partei um Nachfolgeprobleme geht, verkennen Sie bitte nicht Ursache und Wirkung!

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Unter dem Thema „Beschränkung unserer Aktionsfähigkeit" muß auch die von Herrn Kollegen Barzel wieder vorgetragene Forderung dargestellt werden, die Ratifizierung des deutsch-sowjetischen Vertrages nicht nur mit einer befriedigenden Berlin-Lösung zu verbinden, sondern auch vorher innerdeutsche Fortschritte zu verlangen. Wer das will, ist entweder in Unkenntnis über die tatsächliche politische Situation in Deutschland, oder aber er will



    Dr. Apel
    sich bereits heute ein Alibi dafür schaffen, warum er eines Tages die Ratifizierung der Verträge, die im Interesse der deutschen Nation liegt, ablehnen will.

    (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Identifizieren Sie doch nicht das Interesse der Nation mit ihren parteipolitischen Zwekken!)

    Die Opposition hier im Hause und draußen muß wissen, daß sie die Grenzen der vertretbaren Opposition längst überschritten hat.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    Die Argumentation der politischen Unsauberkeit, der pauschalen Verdächtigungen ohne Beweisführung, schwächt nicht den Bundeskanzler und die Bundesriegrung, sie schwächt Deutschland und deutsche Interessen. Diesen Vorwurf muß sich die CDU gefallen lassen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die CDU/CSU sollte sich aber auch einmal selbst fragen, wie sie ihrer totalen Isolierung in der westlichen Welt entgehen will, nicht zuletzt in ihrem Verhältnis zu den christdemokratischen Schwesterparteien in Westeuropa.

    (Abg. Stücklen: W i r vertreten unsere deutschen Interessen, nicht die Christdemokraten in Italien oder Holland!)

    — Herr Stücklen, welche Interessen Sie vertreten, haben wir gesehen; Sie haben den CDU-Parteitag ja ganz schön erpreßt!

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Lachen bei der CDU/CSU. — Erneuter Zuruf des Abg. Stücklen.)

    Wenn ich deutlich gemacht habe, daß wir mit Druck und mit Bluff keine Politik machen können, dann unterstreiche ich, daß ebensosehr die Politik der sozialliberalen Koalition und dieser Bundesregierung nicht durch Druck, Bluff und andere Maßnahmen erschüttert werden kann. Die Orientierungspunkte unserer Politik gegenüber Osteuropa sind unverrückbar. Es sind: Recht auf Selbstbestimmung, Streben nach nationaler Einheit und Freiheit im Rahmen einer europäischen Friedensordnung, die Festigung unserer Zusammengehörigkeit mit WestBerlin ohne die Beeinträchtigung der Verantwortung der Vier Mächte für ganz Berlin, die Respektierung der Rechte und Verantwortlichkeiten der drei westlichen Alliierten für Deutschland als Ganzes und die Festigung der westlichen Integration auch als Beitrag einer gemeinsamen Haltung Westeuropas auf dem Wege zu einer europäischen Friedensordnung.
    Das gegenwärtige Trommelfeuer aus Ost-Berlin bringt uns von diesen Grundpositionen nicht ab. Dieses gegenwärtige Trommelfeuer, das sich insbesondere auf führende Sozialdemokraten richtet, ist kein Beweis der Stärke und der Gelassenheit in OstBerlin. Insbesondere aber müssen sich die Ostberliner fragen lassen, wie denn eigentlich diese Art von schrillem crescendo — das kann sich ja noch steigern — und damit der Verteufelung der Bonner
    Politik und ihrer maßgeblichen Vertreter in Moskau und Warschau wirkt; denn dort muß es doch als eine offensive Anklage dagegen verstanden werden, daß diese Regierungen in der Lage gewesen sind, mit uns Gewaltverzichtsverträge abzuschließen.
    Wenn die DDR meint, uns in der aktuellen Situation oder auch später erpressen zu können, so müssen wir ihr sagen: sie irrt sich. Sie wird sich mit dieser Politik selbst in die Isolierung begeben, wobei ich unterstreiche, daß wir diese Isolierung nicht wollen. Wir wollen eine Entspannungspolitik nach Osten, die, wie es der Herr Bundeskanzler dargestellt hat, alle Nachbarn und auch den zweiten deutschen Staat mit einbezieht. Wir müssen aber in aller Bescheidenheit darauf aufmerksam machen, daß die Aktion der DDR zweifelsohne den Fortschritt in der Entspannungspolitik beeinträchtigt.
    Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang einige Bemerkungen zu Berlin machen. Der Herr Bundeskanzler hat mit Nachdruck unterstrichen, daß eine befriedigende Berlin-Lösung in den unverzichtbaren Zusammenhang mit unserer Ostpolitik gehört. Das hat die Bundesregierung, wie der Herr Bundeskanzler dargestellt hat, bereits vor der Unterzeichnung des deutsch-sowjetischen Vertrages erklärt. Die Sowjetunion weiß das. Wir gehen davon aus, wir sind sicher, meine Damen und Herren, daß die Sowjetunion auch weiter den deutsch-sowjetischen Vertrag will.
    Der Herr Kollege Barzel meinte auf eine angebliche Sprachverwirrung Anfang dieses Jahres hinweisen zu müssen. Wir können ihm sagen, diese Sprachverwirrung ist nicht durch Äußerungen verantwortlicher sozialdemokratischer Politiker entstanden, sondern durch eine ungenaue Berichterstattung in der Presse, die dann ihrerseits die Wellen geschlagen hat, die wir kennen.

    (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Warum hat Herr von Wechmar das so gesagt?)

    — Als Herr von Wechmar von Sprachverwirrung sprach, meinte er damit sicherlich als Adressaten einzelne deutsche Presseorgane; denn sie haben doch diese Sprachverwirrung erst zustande gebracht.

    (Abg. Dr. Barzel: Armer Herr Wehner! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Ich will Ihnen zugeben, Herr Kollege Barzel, daß in den Ausführungen von Herrn Kollegen Wehner so viel steckt, daß es schon genaues Hinhören verlangt, wenn man begreifen will, worum es geht. Das ist der wesentliche Unterschied zwischen den Ausführungen von Herrn Wehner und Ihren Ausführungen.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Da haben Sie in dialektischer Weise recht!)

    Meine Damen und Herren, im Namen der SPD-Fraktion unterstreiche ich im folgenden die Feststellungen unseres Fraktionsvorsitzenden. Erstens. Es wäre in der Tat ein Desaster für unsere Außenpolitik, wenn die mit der Sowjetunion und Polen unterzeichneten Verträge an der deutschen Seite scheitern sollten. Das heißt, daß wir es ablehnen,



    Dr. Apel
    den Ratifizierungsvorgang immer mehr mit weiteren, irrealen, weil nicht im Zusammenhang mit diesem Vertrag lösbaren Forderungen zu befrachten. Es gibt keine Alternative zu dieser Politik. Aus diesem Grunde muß diese Politik konsequent zu Ende geführt werden.
    Zweitens. Ohne eine befriedigende Berlin-Lösung wäre der Moskauer Vertrag ein Papier ohne den gewollten Geist dieses Vertrages. Er wäre damit nicht lebensfähig. Deshalb kann er auch nicht vorher und ohne eine befriedigende Berlin-Lösung in Kraft gesetzt werden. Es geht, Herr Kollege Barzel, aber auch nicht an, daß wir schon vorher einen unmöglich realisierbaren Katalog der Maximalforderungen aufstellen, der dann quasi abzuhaken wäre und Ihnen die Möglichkeit gäbe, zu jedem beliebigen Punkt festzustellen, daß die Berlin-Lösung eben nicht befriedigend sei.
    Eine für die Sozialdemokraten befriedigende Berlin-Lösung ist eine Lösung, die Berlin aus der Sphäre eines beliebig verwendbaren Druckknopfes zur Erhöhung oder zur Reduzierung der Ost-West-Spannung herausbringt. Wir schließen uns der Forderung des Bundeskanzlers nach Sicherung der Zugangswege an. Eine befriedigende Berlin-Lösung muß die Lebensfähigkeit dieser Stadt stärken und ihre gewachsenen Bindungen zum Westen sichern. Dabei darf die Viermächteverantwortung für Berlin nicht abgebaut werden.
    Meine Damen und Herren, wir sollten in diesem Hause eine Minute überlegen, ob es in diesem Zusammenhang nach den von mir gemachten Feststellungen zweckmäßig ist, weiterhin mit Schlagworten wie „Junktim" oder „Berlin als Prüfstein" zu arbeiten.

    (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Ist Berlin kein Prüfstein?)

    — Augenblick! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ist in diesem Zusammenhang Herrn Kollegen Dr. Schröder sehr dankbar, daß er in Moskau das Wort „Junktim" nicht verwandt hat, aber deutlich gemacht hat, daß erst eine befriedigende Berlin-Lösung diesen Vertrag lebensfähig macht und damit hier Ratifikationsvorgänge möglich macht.

    (Abg. Vogel: Was heißt das? — Abg. Dr. Huys: Wo ist denn da der Unterschied?)

    Wir sollten auch darüber nachdenken, ob wir mit dem Begriff „Auftragsverhandlungen" nicht anderen die Möglichkeit geben, sich hinter ihrer scheinbaren oder tatsächlichen Souveränität zu verstecken.
    Außenminister Scheel hat in einem Interview in diesen Tagen eine befriedigende Berlin-Lösung als eine Lösung definiert, der die vier Alliierten, der Berliner Senat und die beiden deutschen Staaten zustimmen können. Dieser Definition ist nichts hinzuzufügen. Sie macht aber deutlich, daß die Bundesrepublik und die DDR in der Tat ihren Part unter der Viermächteverantwortung zu spielen haben.
    Wir lehnen es ab, daß hier in diesem Hause darüber spekuliert wird, ob und gegebenenfalls wie weit und wann in den Viermächteverhandlungen um Berlin und in den Gesprächen der Bevollmächtigten der beiden deutschen Regierungen Ergebnisse erzielt werden können.
    Wir unterstreichen, daß sich die Lage der Berliner verbessern muß, daß wir keinen Status quo minus akzeptieren, wie ihn die DDR augenscheinlich will, und ich denke, das ist die Meinung des gesamten Hauses.
    Unsere Außenpolitik gegenüber Osteuropa, gegenüber unseren westlichen Verbündeten und gegenüber der Dritten Welt ist eine Außenpolitik aus einem Guß. Das oberste Prinzip dieser Politik hat der Herr Bundeskanzler im letzten Satz seiner Regierungserklärung am 28. Oktober 1969 dargestellt. Er hat damals ausgeführt: „Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein und werden im Innern und nach außen." Das heißt konkret, daß wir Frieden halten wollen, aber berechtigte nationale Interessen unbeirrt, aber konziliant vertreten, die Interessen der Nachbarn zur Kenntnis nehmen, objektiv würdigen und verstehen, nach einem allseits vertretbaren, vorwärtsweisenden Kompromiß suchen und für die Durchsetzung dieser Politik den langen politischen Atem haben.
    Mit dieser Politik, Herr Kollege Barzel — hier gibt es Meinungsverschiedenheiten zwischen Ihnen und uns —, haben wir in der westeuropäischen Integration, die sicherlich zu einem späteren Zeitpunkt en Detail diskutiert werden wird, Erfolg gehabt. Was wäre wohl passiert, Herr Kollege Barzel, wenn wir den Extrempositionen und den Extremforderungen einzelner Abgeordneter der CDU/CSU-Fraktion, insbesondere des Kollegen Professor Hallstein, gefolgt wären? Die nächste EWG-Krise wäre damit programmiert worden.
    Es ist eben falsch, wenn Sie sagen, daß der Herr Bundeskanzler und der Herr Außenminister in Paris Lösungen anvisiert haben, die dieses Europa — wie Sie es nennen — immer dünner werden lassen. In Paris sind sicherlich nicht alle Blütenträume gereift. Erreicht worden ist aber, daß der Prozeß der europäischen Integration weitergeht, daß auf diesem Wege unveränderbare Fakten geschaffen werden. Auch hier gilt das, was wir in der Ostpolitik zu beachten haben; auch die Interessen anderer wirken auf uns ein und müssen politisch von uns zur Kenntnis genommen werden.
    Ich möchte zum Thema EWG nur noch den Stellenwert der EWG für unsere Nation, für unser Volk darstellen. Dieser Stellenwert ist ein dreifacher.
    Erstens. Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft ist kein Selbstzweck zur Einräumung von ökonomischen Vorteilen auf der Basis der Gegenseitigkeit.
    Zweitens. Die EWG ist unvollendet; sie muß sich konsequent weiterentwickeln und verwirklichen und damit als Bauelement einer europäischen Friedensordnung wirken.
    Drittens. Die EWG gibt und wird noch stärker unserem Volk seinen Platz in einem Europa der guten Nachbarschaft geben.
    Wir stehen nach Osten erst am Anfang des Weges der guten Nachbarschaft. Wir müssen aber



    Dr. Apel
    unterstreichen — damit keine Mißverständnisse entstehen —: es geht gegenüber Osteuropa nicht um Integration, sondern um eine sich fortentwikkelnde Kooperation. Aber auch in der Ostpolitik kommen wir nicht umhin, die Berechtigung eigener Positionen unserer Nachbarn zur Kenntnis zu nehmen. Es gibt hier nicht nur objektive nationale Interessen, die nicht übersehen werden können. Wir können auch nicht umhin, festzustellen, daß es subjektive Vorbehalte gegenüber Deutschland allgemein und gegenüber der Bundesrepublik im besonderen gibt, die wir, wenn wir eine realistische Politik machen wollen, nicht ohne weiteres beiseite schieben können.

    (Abg. Stücklen: Welche Vorbehalte sind das?)

    — Ich will Ihnen einige dieser subjektiven Vorbehalte nennen: z. B. die Voreingenommenheiten auf Grund historischer Erfahrungen, das persönliche Erleben verantwortlicher Politiker, die Wirkung einer jahrzehntelangen Propaganda, Herr Stücklen, selbst auf die, die diese Propaganda machen, und innere Unsicherheiten in der Beurteilung der aktuellen und der künftigen Entwicklung des eigenen Landes in Osteuropa und Osteuropas insgesamt. Aber wir können auch nicht übersehen, Herr Stücklen, daß subjektive Vorbehalte natürlich auch aus unserer ökonomischen Kraft und unserem militärischen Potential erwachsen.

    (Abg. Dr. Barzel: Vor allen Dingen, wenn wir uns das selber einreden! — Abg. Stücklen: Wir werden uns unseren Fleiß doch nicht vorwerfen lassen!)

    — Wir werfen uns nichts vor, Herr Kollege Stücklen. Wir müssen nur, wenn wir realistische Politik
    machen, auch dies mit in unser Kalkül einbeziehen.
    Aus diesem Grunde, meine Damen und Herren, bleiben die 20 Punkte von Kassel die entscheidende Grundlage für unsere Politik gegenüber der DDR. Diese 20 Punkte sollen auch die subjektiven Vorbehalte der Regierung der DDR berücksichtigen und den Weg für völkerrechtlich verbindliche Verträge ohne doppelten Boden freilegen. Diese Verträge sollen den Frieden in Europa sichern und unserem deutschen Volk dienen. Unsere Position ist im Gegensatz zur Position der CDU/CSU in diesen Fragen klar:
    Erstens. Es gibt zwei deutsche Staaten. Jeder ist von dem anderen unabhängig in Angelegenheiten, die seine innere Hoheitsgewalt anlangen. Keiner kann für den anderen handeln. Wir sehen die innerdeutschen Realitäten, sanktionieren aber nicht die völkerrechtliche Teilung unseres Landes.
    Zweitens. Aus dem Fortbestand der besonderen Rechte und Vereinbarungen der Vier Mächte für Deutschland als Ganzes und Berlin erwachsen besondere Verpflichtungen der beiden deutschen Staaten.
    Drittens. Die gewachsenen Bindungen zwischen West-Berlin und uns stehen nicht zur Disposition.
    Wir begrüßen, daß die Materialien zum Bericht zur Lage der Nation für unsere Politik eine Grundlage legen. Die Bundesregierung hat angekündigt, daß sie auf dieser Basis weiter arbeiten will. Sicherlich werden hier weitere Fortschritte möglich sein. Wichtig ist für uns in diesem Zusammenhang insbesondere die Aussage, daß die tiefgreifenden politischen Unterschiede, ja, die Unvereinbarkeit der politischen Systeme dadurch nicht verwischt wird.
    Herr Kollege Barzel, wenn Sie in Ihren Bemerkungen meinen, West-Berlin sei in diesen Materialien nicht enthalten, so ist das falsch. Für uns ist es selbstverständlich — und ich denke, für Sie auch —, daß in alle Aufbereitung des Materials, das Deutschland anlangt, West-Berlin eingeht, und zwar auf dem Konto und auf der Seite der Bundesrepublik. Dies bedarf wenigstens aus dem Selbstverständnis der Sozialdemokraten keiner besonderen Anmerkung und keines besonderen Hinweises.
    Ich halte es auch für geradezu peinlich, wenn Sie in diesem Zusammenhang versuchen, Mauer- und Grenzzwischenfälle der Ostpolitik und der Deutschlandpolitik der Bundesregierung anzulasten,

    (Widerspruch bei der CDU/CSU)

    — zumindest aber so zu argumentieren, als sähen wir diese Probleme nicht.

    (Abg. Dr. Barzel: Sie sind verschwiegen! — Abg. Stücklen: Sie sind nicht ausgewiesen!)

    — Herr Kollege Barzel, wir sehen diese Probleme sehr genau.

    (Abg. Stücklen: Dann muß man sie auch hineinschreiben!)

    In dieser Frage gibt es, zwischen uns und Ihnen zweifelsohne keine Meinungsverschiedenheiten.

    (Abg. Stücklen: Dann kann man es auch hineinschreiben!)

    Ausgemacht peinlich, Herr Kollege Barzel — und dies muß ich im Namen meiner Fraktion bedauern —, ist, daß es Ihnen vorbehalten blieb, das schwierige Thema Guinea, das Drama, das sich in Guinea abgespielt hat, in diese Debatte einzubeziehen

    (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Wollen Sie das auch verschweigen, die Konsequenzen dieser Politik?)

    und zumindest den Eindruck erwecken zu wollen, als sei dies indirekt auch die Verantwortung der Bundesregierung, indem sie eine neue deutsche Ostpolitik versucht. Diese Unterstellung weise ich mit allem Nachdruck zurück.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Vogel: Sie bauen Pappkameraden auf! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    So hat der Herr Kollege Barzel es dargestellt, und wir weisen das zurück. Dies ist unredlich.

    (Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die Opposition greift unsere Ost- und Deutschlandpolitik an. Wir halten das für ihre Aufgabe, sind aber der Meinung, daß es Zeit wird, konkrete Alternativen auf den Tisch zu legen. Auch für die



    Dr. Apel
    Opposition muß nun bald die Zeit der frommen Sprüche vorbei sein.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Das sind doch platteste Redensarten!)

    — Das Lippenbekenntnis, Herr Kollege Marx, zu einer aktiven Ostpolitik hören wir zwar, aber wenn es um konkrete Schritte geht, dann weichen Sie — und das hat uns der Herr Kollege Dr. Barzel vorgemacht — entweder in Leerformeln aus, mit denen politisch nicht hantiert werden kann, oder aber in billige Polemik.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Vogel: Was reden Sie denn die ganze Zeit? — Zuruf des Abg. Dr. Marx [Kaiserstern].)

    Gegenüber Polen und der Sowjetunion sind subjektive Vorbehalte ebenfalls von uns mit einzukalkulieren. Wir müssen wissen, daß sie auch politisch virulent werden können. Insofern ist das öffentliche Auftreten maßgeblicher Politiker der Bundesrepublik insbesondere in den osteuropäischen Ländern für den Erfolg unserer Politik wichtig. Unsere Fraktion hat den Eindruck, daß der Besuch unseres Kollegen Dr. Schröder in Moskau in diesem Zusammenhang ein positiver Beitrag für die gemeinsam versuchte Ostpolitik war.
    Unsere Ostpolitik läuft — das hat insbesondere die Antwort auf die Große Anfrage deutlich gemacht — Hand in Hand mit unseren westlichen Alliierten. Sie ist die unübersehbare Konsequenz unserer Westpolitik, aber wir haben hier, wie der Herr Bundeskanzler unterstrichen hat, einen eigenständigen Beitrag zu leisten, um die Dinge, die national von uns geregelt werden können, im Kontext mit unseren Alliierten auch zu regeln.
    Wir tun das insbesondere mit dem mit Polen unterzeichneten Vertrag. Wir haben nicht nur hier das nachvollzogen, was unsere westlichen Alliierten bereits vor uns getan haben, wir haben insgesamt als gleichberechtigter Partner der westlichen Allianz aufgehört, endlich aufgehört, andere für uns handeln und agieren zu lassen. Wir tun selbst etwas für die europäische Friedensordnung und unser Recht auf freie Selbstbestimmung.
    Wir hören in diesen Wochen Debatten darüber, daß zumindest Gruppen der Opposition in diesem Hause ernsthaft daran denken, nach der Ratifizierung der beiden Ostverträge diese in Karlsruhe beim Bundesverfassungsgericht auf ihre Verfassungsgemäßheit überprüfen zu lassen. Wir haben hier niemandem einen Rat zu geben, selbstverständlich ist jedem dieser Schritt unbenommen, wir möchten Sie aber darauf aufmerksam machen, daß es angesichts der gegebenen politischen Realitäten in Mitteleuropa und in unserem Lande, die, meine Herren von der CDU, nicht zuletzt Sie selbst mit geschaffen haben,

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    keine andere Politik gibt, um dem Recht auf Selbstbestimmung für unser Volk Genüge zu leisten. Es
    wird Ihnen schwerfallen, zu beweisen, daß die
    Ostverträge diesem Recht auf Selbstbestimmung zuwiderlaufen oder es gar unmöglich machen.
    Die CDU/CSU bietet auch in unserem Verhältnis zu Polen gegenüber der Politik, die die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen begonnen haben, keine konstruktive Alternative:
    Erstens. Das Offenhalten der Grenzfrage ist, falls nicht nur wahltaktisch bestimmt, der beste Weg zur Blockierung unserer Friedenspolitik nach Osten.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD.)

    Zweitens. Diese Frage ist kein Tauschobjekt mehr. Wenn sie es überhaupt jemals war, dann hat das die CDU selbst verspielt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Drittens. Heute gewinnen wir allerdings durch diesen Vertrag einen anderen Gegenwert: die Chance der Aussöhnung mit den Völkern Osteuropas und den Gleichklang unserer Ostpolitik mit unseren westlichen Verbündeten.
    Viertens. Unser Volk kann und muß die Wahrheit ertragen, daß unser Wohlstand und unsere wirtschaftliche Kraft uns heute und in der Zukunft nicht helfen können, 1945 und das, was davor war, auszulöschen, denn 1945 haben wir die Ostgebiete unwiderruflich verloren.

    (Zuruf des Abg. Stücklen.)

    Wir erkennen die Vertreibung nicht als rechtmäßig an. Wir setzen die uns betreffenden Abkommen und Verträge, die unsere Sicherheit und unsere Freiheit garantieren, nicht außer Kraft. Die Bundesrepublik kann nur für sich sprechen. Sie allerdings stellt die Westgrenze Polens nicht mehr in Frage. Die im deutsch-polnischen Vertrag vorgesehene Fortentwicklung der gegenseitigen Beziehungen gibt uns auch Möglichkeiten, über die jetzt anlaufende Auswanderung deutschstämmiger Bürger hinaus den Prozeß der menschlichen Beziehungen voranzubringen.
    Die CDU/CSU-Spitze behauptet, unsere Ostpolitik diene nicht dem deutschen Volke und nütze einseitig der Sowjetunion. Herr Kollege Dr. Barzel hat das heute etwas vornehmer formuliert, aber in der Sache hat er dasselbe gesagt. Im Namen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion stelle ich folgendes fest: Diese Behauptungen verschiedener führender Politiker der CDU/CSU sind nicht nur eine ungeheuerliche Verleumdung des Bundeskanzlers, der Bundesregierung und der sie tragenden parlamentarischen Mehrheit, sie untergraben auch die Möglichkeiten unserer Ost- und Deutschlandpolitik und gefährden sie damit.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wahr ist dagegen, Herr Kollege Barzel, daß der deutsch-sowjetische Vertrag die Sowjetunion ausdrücklich auf einen umfassenden Gewaltverzicht gegenüber der Bundesrepublik festgelegt hat.

    (Abg. Stücklen: Das Friedlichste, was ich in meinem Leben gesehen habe!)

    Die Sowjetunion akzeptiert mit diesem Vertrag zum
    erstenmal unsere westliche Bündnispolitik und die



    Dr. Apel
    ihr zugrunde liegenden Verträge. Wir haben mit diesen Verträgen unseren Anspruch auf Selbstbestimmung nicht aufgegeben. Wir haben damit unsere freiheitliche Grundordnung abgesichert.

    (Abg. Dr. Schneider [Nürnberg] : Wo lesen Sie das denn heraus?)

    — Schauen Sie einmal selber genauer nach! Ich bin nicht dazu da, Ihnen Nachhilfeunterricht zu geben.

    (Beifall bei der SPD.)

    Hektik und Verwirrung in die ostpolitische Debatte hat die Opposition bewußt durch die Verwendung unlauterer Argumente gebracht. Einzelne Vertreter der CDU/CSU benutzen ihre Opposition gegen unsere Ostpolitik immer deutlicher als Waffe zur Übertrumpfung von anderen Wettbewerbern innerhalb der Partei um die bald frei werdenden Führungspositionen der CDU/CSU.

    (Beifall bei der SPD. — Lachen bei der CDU/CSU. — Abg. Stücklen: Ihre Sorgen möchte ich haben!)

    Der CDU-Parteitag hat den unübersehbaren Einfluß der Machtstellung der CSU innerhalb der CDU deutlich gemacht.

    (Abg. Kiep: Eine sehr hanseatische Rede, Herr Apel! — Abg. Dr. Schneider [Nürnberg] : Bitte keine Einmischung in fremde Angelegenheiten!)

    Wir haben deshalb leider wenig Hoffnung auf eine baldige Versachlichung der Haltung der Opposition zur Außenpolitik der Bundesregierung.
    Wir haben den langen Atem für unsere Außenpolitik nach Westen wie nach Osten. Bundeskanzler Brandt und Außenminister Scheel haben stets darauf aufmerksam gemacht, daß der politische Prozeß der Entspannung zwischen den Blöcken risikoreich ist, gute Nerven verlangt und Zeit kostet. Auch in der westlichen Integrationspolitik werden wir noch manche Klippe geschickt umschiffen müssen. Uns läßt der Fortgang unserer Ostpolitik nicht gleichgültig. Mit heißem Herzen, aber mit kühlem Verstand wollen wir unseren Beitrag im Interesse Deutschlands leisten und den Frieden in Europa sicherer machen. An uns soll und darf es nicht liegen, wenn es darum geht, echte — also keine vorgetäuschten — Fortschritte zu erzielen, die alle Beteiligten und alle Betroffenen akzeptieren können. Die Ratifizierung der Verträge ist nicht Selbstzweck, sondern Basis und Voraussetzung einer weiterreichenden Entspannungspolitik in Europa.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Dr. Hermann Schmitt
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Mischnick.

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    Rede von Wolfgang Mischnick


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In Erfüllung des vor Jahresfrist gegebenen Versprechens hat die Bundesregierung eine deutsche Bestandsaufnahme vorgelegt. Im Gegensatz zu dem, was hier von Herrn Dr. Barzel gesagt worden ist, möchte ich feststellen, daß diese Bestandsaufnahme in strenger Sachlichkeit und einem konsequenten Verzicht auf Anprangerung und Polemik die wichtigsten Lebensbereiche unseres gegen seinen Willen gespaltenen Volkes vergleicht und die tatsächliche Situation in unserem Vaterland beschreibt.
    Wir danken der Bundesregierung, dem Herrn Bundesminister Franke und der Wissenschaftlichen Kommission unter Leitung von Professor Ludz für die geleistete Arbeit. Ich werde auf einzelne Punkte noch zurückkommen. Mir scheint in dem Vergleich der Situation der innenpolitische Teil in unserer bisherigen Aussprache etwas zu kurz gekommen zu sein.
    Wichtig erscheint mir zunächst dies: Dieser Lagebericht macht in seiner Form und Thematik deutlich, worum es dieser Bundesregierung geht, sowohl in der Deutschland- wie in der Ost- und Europapolitik, und wie notwendig der eingeschlagene Weg ist. Ausgangspunkt und Ziel aller Bemühungen ist und bleibt — getreu dem Auftrag unserer Verfassung — das ganze deutsche Volk. Das heißt aber auch, daß ich in allen meinen Bemühungen eben nicht nur an formale Dinge denken darf, sondern immer die Menschen des ganzen Volkes dabei im Auge behalten muß.

    (Beifall bei der FDP und Abgeordneten der SPD.)

    Wenn diese Bundesregierung hier über die Lage der deutschen Nation Rechenschaft ablegt, dann kann sie eben nicht nur von dem Bereich sprechen, in dem sie selbst unmittelbare politische Einwirkungen hat. Sie muß das Vergleichbare vergleichen, aber auch das Gemeinsame, wie es hier geschehen ist, betonen. Dies, meine Damen und Herren — das ist unsere feste Überzeugung —, ist in der Tat eine neue Sprache echter politischer Verantwortlichkeit, die hier zum Ausdruck kommt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Es ist die Sprache einer Politik, die wir Freien Demokraten seit Jahren als notwendig erkannt und gefordert haben. Diese Koalition — das muß doch in aller Deutlichkeit gesagt werden — hat damit Schluß gemacht, gesamtdeutsches Pathos und bloße Deklamation an die Stelle des praktischen Handelns zu setzen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir wollen eben nicht nur beklagen, sondern versuchen, mit praktischer Politik — wenn auch in schwierigen Einzelmaßnahmen — das Beklagenswerte zu überwinden.
    Diese Regierung hat Ernst gemacht mit der Erkenntnis, daß der innerdeutsche Immobilismus der letzten zwei Jahrzehnte niemandem außer denen geholfen hat, die die deutsche Einheit eben nicht wollten, und daß wir durch diesen Immobilismus auseinandergetrieben worden sind. Diese Bundesregierung — daß man darüber überhaupt noch sprechen muß, ist an sich schon bedauerlich — hat unabänderliche Tatsachen zur Kenntnis genommen, den sinnlosen und unheilvollen Weg der Konfrontation verlassen und konkrete Schritte unternom-



    Mischnick
    men, um das Verhältnis der beiden deutschen Staaten zueinander zu versachlichen und auch die Möglichkeiten der Zusammenarbeit auszuloten.
    Ich habe mit Freude gehört, daß auch von der Opposition von der Geduld und der Ruhe gesprochen worden ist, die hierzu notwendig ist. Nur frage ich mich dann, wie das mit dem ständigen Schreien zu vereinbaren ist, daß nicht zwei, drei Tage nach der Unterschrift unter einem Vertrag schon die Ergebnisse auf dem Tisch liegen. Das paßt doch nicht zueinander.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Stücklen: Der Geist! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    Ob wir die Legitimität der Verantwortlichen in Ost-Berlin von unserem Rechtsstaatsverständnis in Frage stellen oder nicht in Frage stellen, daß sie Macht ausüben, daß sie in ihrem Bereich Herrschaftspositionen haben, darf uns doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß allein in der Kooperation im Rahmen der von der Bundesregierung aufgezeigten Grenzen eine Chance liegt, trotz der tiefgreifenden Unterschiede der Wirtschafts- und Gesellschaftsysteme noch einen Teil des gemeinsamen Bandes der Nation zu erhalten.
    Ich habe bewußt von der Chance gesprochen, die hierin liegt, von nichts mehr. Diese Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen haben nie einen Zweifel darüber gelassen, daß sie es als einen schweren Weg ansehen und daß man hier nicht mit spektakulären schnellen Erfolgen rechnen kann. Deshalb sind wir ja auch bereit, diese Politik langfristig anzulegen und sie nicht danach zu messen, ob wir von Wahltermin zu Wahltermin einen Erfolg präsentieren können.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Der Herr Bundeskanzler hat hier in absoluter Offenheit und ohne jede vom Kollegen Kiesinger vor einigen Tagen in Aussicht gestellte Schönfärberei dargelegt, wie schwierig diese Gespräche mit der DDR sind. Das ist immer wieder betont worden. Trotzdem kann aber niemand sagen, daß bisher nichts geschehen sei, daß sich nichts verändert habe. Keiner unserer Landsleute wird vergessen, was in Erfurt und in Kassel war. Eine große Mehrheit unseres Volkes hüben und drüben hat verstanden — davon sind wir fest überzeugt , wie ernst es uns ist um das Bemühen, wirklich Lösungen zu finden, die Bestand haben und nicht etwa bei jeder Gemütsschwankung des einen oder anderen Verantwortlichen wieder in Frage gestellt werden.
    Niemand wird auch bestreiten können, daß allen Rückschlägen und aller Stagnation zum Trotz seit jenen Begegnungen eine Veränderung in Deutschland eingetreten ist, die für die gesamte Nation bedeutungsvoll ist: Die Zeit der totalen Ignoranz ist zu Ende gegangen. Die 20 Punkte von Kassel liegen auf dem Tisch, und wir wissen, wie unbequem diese 20 Punkte gerade auch der DDR sind.

    (Abg. Kiep: Das merkt man auf der Autobahn!)

    Sie sind ein Ausdruck des guten Willens der Bundesregierung und haben — das wird oft übersehen und auch von manchen in der politischen Auseinandersetzung nicht voll genutzt — in den anderen osteuropäischen Staaten, den Staaten des Warschauer Paktes, eine Beachtung gefunden, die deutlich macht, wie sehr man dort beginnt, den Zusammenhang zwischen diesen 20 Punkten und unseren Normalisierungsbestrebungen zu erkennen. Mit dieser Politik wird eine Außenpolitik, eine Ostpolitik der praktischen Vernunft betrieben und nicht der heillosen Illusion. Ziel dieser Politik ist es, wie es auch der Bundeskanzler noch einmal zum Ausdruck gebracht hat, zu vertraglichen Regelungen zu kommen, weil dies nach unserer Meinung auf die Dauer die einzige Möglichkeit sein wird, in Europa tatsächlich zu einer Entkrampfung zwischen den beiden deutschen Staaten zu gelangen. Aber diese Politik trägt nach unserer festen Überzeugung auch dazu bei, die Einheit der Nation zu wahren und sie nicht etwa zu gefährden, indem nämlich das Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem anderen Teil Deutschlands

    (Abg. Stücklen: Zwei Staaten!)

    aus der politischen und geistigen Verkrampfung der vergangenen 20 Jahre herausgelöst wird. — Wenn Sie jetzt entgegenhalten, Herr Kollege Stücklen: „zwei deutsche Staaten", so muß ich sagen, es ist doch feststellbar, daß in den letzten 20 Jahren die Verkrampfung stärker geworden ist und daß wir jetzt den Versuch unternehmen, sie abzubauen. Das ist doch der entscheidende Unterschied.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Stücklen: Die Schikanen nehmen zu! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    Das Bemühen dieser Regierung, das Verhältnis der Bundesrepublik zum anderen Teil Deutschlands auf eine neue Grundlage zu stellen und die Einheit der Nation durch Kooperation, wenn ich so sagen darf, in wertneutralen Lebensbereichen zu wahren, konnte doch von vornherein nur dann realistisch sein, wenn es zugleich die Zustimmung derjenigen Staaten fand, die mit der DDR im Warschauer Pakt verbunden sind. Und deshalb war es eben notwendig, das Problem DDR : Bundesrepublik nicht einseitig zu betrachten, sondern erst die Normalisierung des Verhältnisses zu unseren osteuropäischen Nachbarn als Grundlage für eine Entspannung und Entkrampfung des Verhältnisses der Deutschen untereinander zu nehmen. Es ist deshalb doch nur folgerichtig gewesen, daß die Bundesregierung mit ihren Initiativen in der deutschen Frage mit dem Ausgleich mit den übrigen Mächten verband, also den Vertragsabschluß mit der Sowjetunion und mit Polen. Wir werden ja morgen im Zuge der Debatte über die Große Anfrage noch im einzelnen über dieses Problem zu diskutieren haben.

    (Abg. Stücklen: Wieso morgen?)

    — Ich bin sicher, daß auch morgen noch weitgehend dazu Stellung genommen werden wird. Herr Kollege Stücklen, wenn Sie nicht ganz orientiert sind, daß untereinander, auch zwischen den Geschäftsführern darüber gesprochen worden ist, morgen in



    Mischnick
    erster Linie die Große Anfrage zu behandeln, dann will ich das hier nachholen.

    (Abg. Stücklen: Der Bundeskanzler hat doch mit der Großen Anfrage angefangen!)

    — Aber lieber Kollege Stücklen, wenn Sie es so formalistisch sehen, lasse ich Sie gern dabei. Ich bin jedoch sicher, daß Sie morgen noch einiges sagen wollen. Wenn meine Orientierung richtig ist, will z. B. Kollege Marx morgen für Sie zur Großen Anfrage eine Art Eröffnungsrede halten. Wenn Sie das vergessen haben sollten, tut es mir leid.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)


    (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Von mir aus heute nachmittag! — Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU.)

    Wenn Sie das nicht wollen, dann kann ich Ihnen nur sagen, Herr Kollege Marx, daß ich nicht verstehe, weshalb ein solches Drängen bestand, unbedingt diese sitzungsfreie Woche zu benutzen, um den gesamten Bericht zu behandeln. Wir sind davon ausgegangen, daß Sie so viel zu sagen haben, daß Sie zwei Tage dazu brauchen. Aber wenn Sie das nicht wollen, — das liegt an Ihnen!

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)