Rede von
Dr.
Ernst
Müller-Hermann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren, vor der Schlußabstimmung erkläre ich für meine Fraktion folgendes.
Politik ist entscheidend eine Sache des Vertrauens. Das gilt insbesondere für die Wirtschaftspolitik.
Gerade hier geht es um das Vertrauen in die Klarheit und Zielstrebigkeit des wirtschaftspolitischen Kurses, aber auch um das Vertrauen in die Entschlußfreudigkeit und Glaubwürdigkeit der Persönlichkeiten, die für den wirtschaftspolitischen Kurs verantwortlich zeichnen. Seitdem im Oktober 1969 Bundeskanzler Brandt die Regierung gebildet hat,
breiten sich bei uns im Land Unsicherheit und Unbehagen aus.
Lange Zeit war die Bundesrepublik ein Hort der Stabilität.
Jetzt zeichnet sich die Bundesrepublik eher durch Labilität aus.
Daß dem ,so ist, meine Damen und Herren, ist nicht, wie der Bundeskanzler glauben machen will, die Folge einer angeblichen Verunsicherungspolitik der Opposition.
Tatsache ist, daß die amtierende Bundesregierung keine Glaubwürdigkeit besitzt und daher auch keine Autorität beanspruchen kann.
Dies und nichts anderes ist die Ursache für den um sich greifenden Vertrauensschwund.
Meine Damen und Herren, in Übereinstimmung mit der Bundesbank und anderen berufenen Instanzen haben die Unionsparteien die Bundesregierung immer wieder vor der um sich greifenden Inflationsmentalität gewarnt.
Die Untätigkeit der Bundesregierung war das auslösende Element für dieses schleichende Gift.
Seit Oktober 1969 blieb kostbare Zeit ungenutzt. Erst jetzt hat sich die Bundesregierung praktisch zu zwei Maßnahmen,
nämlich zur Aussetzung der degressiven Abschreibung und zu Steuervorauszahlungen durchgerungen.
Alle anderen Punkte des sogenannter Konjunkturprogramms der Bundesregierung sind nichts anderes als weiße Salbe. Zum gleichen Zeitpunkt aber, da die Bundesregierung angeblich Zeichen einer restriktiven Politik setzen will,
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Sonnabend, den 11. Juli 1970 3497
Dr. Müller-Hermann
legt sie einen Bundeshaushalt für 1971 vor, der in seiner Planung und Anlage den konjunkturpolitischen Anforderungen geradezu widerspricht.