Herr Kollege Strauß, ich habe eben Vierteljahreszahlen und keine Ganzjahreszahlen genannt. Auf ein Jahr umgerechnet kommt man sicherlich auf Ihre Zahlen. Aber das Entscheidende ist doch, daß wir jetzt etwa bei 3,8 % liegen
und 1965/66 — auf das Jahr bezogen auch 3,6 %,
3,7 %, 3,8 %, in manchen Quartalen sogar über 4 %, gehabt haben. Darauf kommt es an.
Ich meine auch, Sie sollten nicht so leichtfertig mit den Argumenten vom sinkenden Vertrauen, abzulesen an sinkenden Sparraten, umgehen. Es gibt sehr gute und sehr genaue Untersuchungen, die zeigen, daß man diese Dinge sehr gründlich prüfen muß
und nicht aus bestimmten Statistiken falsche Schlußfolgerungen ziehen darf, da sich hier offenbar Verlagerungen in der privaten Kapitalbildung abgezeichnet haben.
Im übrigen wäre es, glaube ich, wenn man die Entwicklung der Preise in diesem Jahr und in den letzten Monaten des vergangenen Jahres politisch wirklich würdigen will — vielleicht können wir uns darin sogar einig sein —, doch zweckmäßig, daß einmal die dazu geeigneten Institute versuchen — ob es völlig gelingt, weiß ich nicht — festzustellen, inwieweit Preissteigerungen, die jetzt erst evident geworden sind, durch das Tun oder Unterlassen in vergangenen Perioden vorgeformt worden sind. Dabei denke ich nicht unbedingt nur, Herr Kollege Strauß, an die zu späte bzw. von Ihnen verhinderte Aufwertung. Als Sie kamen, hatten Sie ja darüber nicht mehr zu bestimmen.
Vielleicht wäre es in diesem Zusammenhang auch wichtig, einmal zu untersuchen, inwieweit die enorme Steigerung der Stahlpreise, die wir im vergangenen Jahr, noch zu Ihren Zeiten, erlebt haben — wobei ich Sie gar nicht dafür verantwortlich mache , die gesamte Preisentwicklung beeinflußt hat,
nicht zuletzt deshalb, weil sie, wie wir ja alle wissen, Anlaß für gewisse Bewegungen gewesen ist, die dann die spätere Lohnwelle entscheidend mitgeprägt haben.
Aber. meine Damen und Herren, lassen Sie mich weniges Grundsätzliches zu der Entscheidung sagen, zu der wir uns heute versammelt haben. Das Argument, wir hätten diese Entscheidung wegen der Landtagswahlen vom 14. Juni zurückgestellt, ist absolut unsinnig, Herr Leicht.
Denn, Herr Leicht, Sie wissen genauso gut wie wir, daß z. B. in der Zeit, in der diese Steuervorauszahlungen erhoben werden, also bis zum nächsten Sommer, fünf weitere Landtagswahlen stattfinden werden. Wir sind nun einmal ein Staat, in dem immer
gewählt wird. Insofern ist dieses Argument zunächst einmal unsinnig.
Herr Kollege Strauß hat davon gesprochen, daß die Koalitionsparteien hier in eine miese Rolle gebracht würden. Ich persönlich — ich nehme an, daß ich das in Übereinstimmung mit meinen Kollegen aus beiden Fraktionen sagen kann — sehe das nicht so und empfinde das nicht so. Herr Kollege Strauß, ich sage Ihnen auch: Ich habe kein Wort von dem zurückzunehmen, was ich hier im Februar oder im März oder im Juni bei den Haushaltsberatungen dazu gesagt habe. Denn — und das scheint mir jetzt doch der wichtige Punkt zu sein, wo wir uns unterscheiden —, meine Damen und Herren, ich habe die Haltung der Bundesregierung in diesen Fragen der Konjunkturpolitik in den letzten Monaten, die ich so vertreten, so gesehen und so verteidigt habe und die Sie, Herr Leicht, immer polemisch als Nichtstun abqualifiziert haben
— hören Sie doch einmal zu! —, so verstanden und verstehe sie noch heute so, daß sie der Ausdruck der Bereitschaft dieser Regierung war, den autonomen Kräften der Wirtschaft, die nun einmal in erster Linie dafür verantwortlich sind, die Chance zu bieten, sich aus eigener Verantwortung und aus eigener Einsicht konjunkturgerecht zu verhalten.
So habe ich die Haltung der Bundesregierung verstanden und vertreten.
Ich meine, Herr Leicht, es ist eigentlich zu vordergründig — wenn Sie in der Denkpause, die nun hoffentlich vor uns liegt, darüber nachdenken, werden Sie mir vielleicht zustimmen —, wenn die Opposition meint, sie könne nun in einen billigen Triumph ausbrechen. Wir sollten uns eher gemeinsam in Bekümmernis darüber finden,
daß eben offenbar diese autonomen Kräfte der Wirtschaft, insbesondere die Sozialpartner in den vergangenen Monaten nicht in der Lage, nicht bereit und vielleicht nicht gewillt gewesen sind, aus ihrer eigenen Verantwortung zu handeln und ihrer Verantwortung gerecht zu werden, und nun z. B. die Regierung und das Parlament zu diesen Maßnahmen zwingen. Wir sollten diesen Hintergrund sehen und ihn nicht billig zur Argumentation mißbrauchen, sondern ihn ernst nehmen. Ich als Liberaler nehme ihn jedenfalls ernst.
Meine Damen und Herren, wir sollten dabei doch nicht die Frage übersehen — und ich stelle sie bewußt —, ob dieses Beispiel nicht Schule macht. Heute ist es der Bereich der Konjunkturpolitik, ist es die Zielvorstellung der Geldwertstabilität, die dazu führt, daß man das, was eigentlich in freier Entscheidung getroffen werden müßte, über staatlichen Zwang zu erreichen versuchen muß. Morgen kann es etwas ganz anderes sein. Darüber sollten wir uns einmal klar sein.
3490 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Sonnabend, den 11. Juli 1970
Kirst
Sowohl Herr Strauß als auch gestern Herr Stoltenberg haben zumindest unterschwellig den Versuch unternommen, hier ein Junktim im Bewußtsein unserer Bürger zwischen den Steuervorauszahlungen und den Aufgaben bzw. den Ausgaben für innere Reformen herzustellen. Ich meine, dieser Geschichtsklitterung muß im vorhinein entgegengetreten werden. Es ist doch nun einmal eindeutig klar, daß das Geld, das im Wege der Steuervorauszahlung erhoben wird, überhaupt nicht in die Verfügungsgewalt des Bundesfinanzministers bzw. dieses Parlaments kommt. Es ist eine Kaufkraftstilllegung, die, ich würde sagen, aus mehr technischen Gründen in Form einer an der Steuerschuld berechneten Größe vorgenommen wird.
Über die Verzinsung ist genug gesagt worden. Lassen Sie mich aber noch etwas zum Termin sagen, Herr Kollege Strauß. Zunächst einmal sollten wir hier deutlich feststellen: Der jetzt beschlossene Termin oder der von Ihnen vorgeschlagene Termin — welcher Termin auch immer — ist bzw. wäre immer nur ein Endtermin. Wir sind uns doch einig — es ist auch vorhin schon einmal gesagt worden —, daß die Freigabe möglichst bald zu einem konjunkturpolitisch vernünftigen Zeitpunkt erfolgen soll. Es ist vorhin von dem Herrn Ausschußberichterstatter festgestellt worden, daß durchaus auch die Möglichkeit besteht, daß die Freigabe in Etappen erfolgt.
Aber, Herr Kollege Strauß, es war doch nun wirklich der Gipfel, dieser Regierung oder dieser Mehrheit zu unterstellen, daß sie die Überlegung habe, diese Gelder nicht zurückzuzahlen. Damit unterstellen Sie dieser Regierung und dieser Mehrheit den Willen zum Gesetzesbruch. Darüber sollten Sie sich im klaren sein.
Denn wir beschließen hier ein Gesetz, das diese Rückzahlung praktisch zu einem einklagbaren Anspruch für den betroffenen Bürger macht.
Nun hat Herr Kollege Strauß in Verbindung mit der Entscheidung seiner Fraktion, diesem Gesetz ihre Zustimmung zu versagen — denn so muß man es sehen, wenn man formuliert, man wolle sich enthalten , davon gesprochen, daß die Maßnahmen der Regierung nicht ausreichend seien. Ich habe gestern im Haushaltsausschuß gesagt und ich wiederhole das hier in aller Öffentlichkeit: Dieser Antrag Drucksache VI/1025, den wir vorhin bei der zweiten Lesung abgelehnt haben, dient offenbar — und das bestätigt sich jetzt durch Ihre Ankündigung, sich zu enthalten der CDU/CSU als Alibi für diese Entscheidung, für dieses Sichdrücken um die Zustimmung zu diesen Maßnahmen.
Nun können Sie sich aussuchen, was Sie später sagen wollen.
Wenn es Erfolg hat, werden Sie sagen: Na, wir waren ja nicht dagegen.
Wenn es keinen Erfolg haben sollte oder soweit es kritisiert wird, werden Sie sagen: Wir sind nicht da- für gewesen. Wir kennen das doch. Ich meine, daß Sie diesen Verdacht, daß der Antrag Drucksache VI/1025 diese Alibifunktion gehabt hat, nur zerstreuen könnten, wenn Sie bereit wären, jetzt diesem Gesetz zuzustimmen.
Nun hat der Kollege Althammer — ich muß darauf noch kurz eingehen — im Zusammenhang mit diesen Überlegungen mindestens zwei Ausführungen gemacht, die hier nicht unwidersprochen bleiben dürfen. Er hat noch einmal die Mär von den 80 Anträgen der Opposition aus dem Haushaltsausschuß vorgetragen. Ich habe schon im Juni darauf hingewiesen, daß darunter mindestens 40 Anträge waren, bei denen es darum ging, ob eine Stelle gehoben oder nicht gehoben oder ob eine Stelle mehr oder weniger bewilligt wird.
An Sachanträgen, Zahlenanträgen haben Sie 40 Anträge gestellt — also nicht 80 —
mit einem Volumen von 2,15 oder — ich will großzügig aufrunden — 2,16 Milliarden DM. Davon aber entfallen allein 1,5 Milliarden DM auf globale Minderausgaben und 300 Millionen DM auf Kürzungen bei den Verstärkungsmitteln. Die übrigen 38 Anträge betrafen mit 353 Millionen DM 0,4 % des Gesamthaushalts. Außerdem haben Sie — zur Abrundung des Bildes - Ihrerseits 12 Erhöhungsanträge mit einem Volumen von 66,9 Millionen DM gestellt. Ich meine also, daß man diese Mär wirklich nicht mehr vorbringen sollte.
— Herr Kollege Leicht, wir wollen uns, glaube ich, alle bemühen, die Dinge jetzt zügig zu behandeln. Lassen Sie mich deshalb bitte meine Ausführungen jetzt, wenn es geht, so zu Ende bringen.
Herr Kollege Althammer hat dann als angebliche Möglichkeit, die Konjunktur zu dämpfen, jedenfalls im Bewußtsein der Staatsbürger wieder unterstellt, die Regierung könnte weniger, wie er sagte, für Propaganda ausgeben. Nun, Herr Kollege Althammer, ganz abgesehen davon, daß das wirtschaftlich Unfug ist, muß ich Ihnen sagen: Nicht Ihre Konsequenz ist richtig, sondern ich fürchte, daß die Ausgaben, die wir für Maßnahmen zur Unterrichtung der Bevölkerung zu bewilligen haben, proportional zum Maß der Demagogie wachsen müssen, mit der wir hier und anderswo konfrontiert werden.
Meine Damen und Herren, wir haben über die wesentlichen Punkte, die jetzt von der CDU/CSU zum Anlaß genommen werden, diesem Gesetz ihre Zustimmung zu verweigern, im Rahmen der Haus-
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haltsberatungen gesprochen. Die verstärkte Konjunkturausgleichsrücklage ist, wenn ich so sagen darf, ein um ein Drittel vergrößerter alter Hut, nicht mehr 1,5, sondern 2 Milliarden DM. Über § 6 Abs. 1 ist heute morgen schon genug gesagt worden. Die Regierung hat sich entschieden, daß sie dieses Mittel in dieser Form aus Gründen der Praktikabilität, wenn ich es richtig gesehen habe, nicht anwenden will, was nichts daran ändert, daß sie den Geist dieses Paragraphen erfüllen will. Daß Ihre Anträge hinsichtlich der Verpflichtungsermächtigungen nicht praktikabel waren, habe ich Ihnen im Juni zwei-, drei- oder viermal erzählt. Ich will das jetzt im einzelnen nicht wiederholen.
Neu war in diesem Antrag, der für Sie als Begründung zur Stimmenthaltung dient, die Situation des Haushalts 1971. Ich glaube, wir sollten zunächst einmal feststellen, daß es zum erstenmal in der Geschichte der Bundesrepublik sein wird, daß dieses Hohe Haus schon im September mit den Beratungen für einen neuen Haushalt beginnen kann. Ich glaube, das ist ein Fortschritt.
— Herr Leicht, ich weiß, es war sonst im Oktober.
— Gut, aber trotzdem ist es das erste Mal. Man hätte Gesetzesbefehle auch früher erlassen können. Das ist jedenfalls kein Argument.
Aber wir sollten uns auch als Parlament nicht in diesen Fragen präjudizieren und heute, im Juli 1970, hier über den Haushalt 1971, der uns noch gar nicht vorliegt, entscheiden. Ich bitte zu bedenken — ich habe das gestern auch im Haushaltsausschuß gesagt —: man muß diese 12% in der richtigen Relation sehen. Diese 12 % ergeben sich natürlich nur, weil wir jetzt 2 Milliarden aus dem Haushalt 1970 herausgestrichen haben. Wenn wir die dringelassen hätten, ergäbe sich die durchschnittliche Steigerungsrate von 9,5 %, wie sie für die Finanzplanungsperiode vorgesehen ist.
Im übrigen muß man — ich habe das auch gestern gesagt — einmal genau analysieren, worauf diese Steigerungen beruhen. Auf die Rentenversicherungsangelegenheit will ich jetzt nicht eingehen; das ist wohl auch schon eingehend dargelegt worden.
Meine Damen und Herren, wenn man die Qualität dieser Anträge sieht, kann man der Opposition daraus wirklich nicht das Recht zugestehen, ihre Entscheidung über die Maßnahmen der Regierung davon abhängig zu machen, wie wir uns in diesem Zeitpunkt zu den in dieser Form ungeeigneten Vorschlägen der Opposition verhalten.
Vor allen Dingen ist eines wirklich falsch, nämlich — und das ist das politisch Entscheidende — die Behauptung der CDU/CSU, ohne den Antrag Drucksache VI/1025 wäre die Konjunkturdämpfung einseitig verteilt. Das ist genau der falsche Punkt; denn wir dürfen nicht vergessen, daß gerade durch die heute zu beschließenden bzw. zu bestätigenden Maßnahmen die Einseitigkeit, die bisher beim Bundeshaushalt gelegen hat, ausgeglichen wird. Der Bundeshaushalt — um das so kurz zu formulieren — hat durch die 2 Milliarden Kürzungen, die 500 Millionen Sperren und andere Maßnahmen vorgeleistet. Hier entsteht eine falsche Optik, wenn Sie sagen, damit das ausgeglichen werde, müßten jetzt zusätzliche fiskalische oder haushaltspolitische Maßnahmen getroffen werden. Gewiß, jede Fraktion muß sich entscheiden, wie sie es für richtig hält. Auch wenn Sie dagegen stimmten, würde dieses Gesetz, wie wir heute morgen gesehen haben, mit Sicherheit angenommen werden. Aber ich meine, die Entscheidung darüber, ob die CDU/CSU diesem Gesetzentwurf zustimmt oder nicht, ist eine Entscheidung darüber, ob ihre Rolle als stabilitätspolitischer Gralshüter glaubwürdig ist oder nicht.