Rede von
Dr.
Franz Josef
Strauß
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Da bei dieser Regierung leider ein rationales Verhalten nicht mehr zu unterstellen ist, kann man die Frage nicht beantworten.
Aber ich sage Ihnen ja, Herr Kollege Professor Ehmke, womit man das glaubwürdig machen kann. Ich habe den Vorschlag hier heute nicht zum erstenmal gemacht, sondern in der Vergangenheit unzählige Male. Ändern Sie das Stabilitätsgesetz so, daß konjunkturpolitisch bedingte Steuererhöhungen
3486 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Sonnabend, den 11. Juli 1970
Strauß
aus der Lohn-, Einkommen- und Körperschaftsteuer von einem bestimmten Zeitpunkt an, der konjunkturpolitisch determiniert werden muß, dem Staatsbürger zurückerstattet werden; denn diese Steuererhöhungen sind ein Stück Enteignung aus Gründen der Globalsteuerung der Wirtschaft, nicht aus Gründen der Steuergerechtigkeit. Deshalb muß diese temporäre Enteignung rückgängig gemacht werden, und deshalb fordern wir auch grundsätzlich die Verzinsung.
Ich gehe in Fragen der Verzinsung — sie steht heute hier allerdings nicht zur Entscheidung an — sogar noch einen Schritt weiter. Die Verzinsung muß in zwei Richtungen erfolgen. Der Staat muß dem Bürger gegenüber Ersatz leisten, wenn er vom Bürger einen Kredit, den er ja später zurückzahlen will, einholt, wie es hier geschieht.
— Herr Dr. Apel, der Begriff „Vorauszahlung" schließt doch ein, daß das, was jetzt im Wege der Vorauszahlung gezahlt wird, durch die spätere Steuerlast eingeholt wird, damit es dann nicht zu größeren Nachzahlungen kommen muß. Aus diesem Grunde ist das Wort „Vorauszahlung" sehr fragwürdig. Aber ich komme Ihnen ja sehr weit entgegen, wenn ich umgekehrt sage: Da meistens der Einkommensteuerpflichtige vom Staat einen Kredit erhält — das ist beim Lohnsteuerpflichtigen nicht der Fall; deshalb der Freibetrag in Höhe von 240 DM; nach Ihren Versprechungen, die Sie nicht halten können, soll er sogar 480 DM betragen —, sollte nach meiner Meinung in Zukunft auch der Staatsbürger, der Einkommensteuerpflichtige bei Nachforderungen des Staates seinerseits Zinsen bezahlen, also dann, wenn er vom Staat einen Kredit bekommen hat. Das bedeutet also eine Verzinsung nach beiden Seiten hin. Bei der Reform der Abgabenordnung wird eine Lösung dieser Art unvermeidlich sein.
Aber in diesem Falle liegen nicht Steuererhöhungen vor, die der Steuergerechtigkeit und der sozialen Pflicht entsprechen. Hier liegen Steuererhöhungen aus rein konjunkturpolitischen Gründen und nicht aus Gründen des finanzwirtschaftlichen Bedarfs vor. Wir sind daher der Meinung, daß diese Steuervorauszahlungen in anderer Form geregelt werden sollten und daß sie verzinst werden sollten. Herr Kollege Ehmke, ich empfehle Ihnen — überlegen Sie es sich als der Chefmanager dieser Regierung —, § 26 des Stabilitäsgesetzes so zu ändern, daß der Staat zur Rückzahlung gezwungen ist. Beschränken Sie sich nicht nur auf die Festlegung von Vorauszahlungen in diesem jetzt zur Entscheidung anstehenden Gesetz, das leichter als ein Stabilitäsgesetz zu ändern ist.
Sie sollten klare Fakten schaffen und hier versprechen, daß Sie bereit sind, das Stabilitätsgesetz in dem Punkte so zu ändern, wie ich es hier vorgeschlagen habe. Damit werden dann klare Verhältnisse geschaffen, weil Steuererhöhungen so und Steuererhöhungen so zwei ganz verschiedene Dinge sind. Steuererhöhungen aus konjunkturpolitischen Gründen sind ein Stück Enteignung des Bürgers, die wieder rückgängig gemacht werden muß und für die eine Vergütung erfolgen muß. Wenn wir so verfahren, haben wir eine ganz klare Bilanz. Niemand wird dieser Regierung dann vorwerfen können, daß sie etwa die Absicht hätte, diese Vorauszahlungen später propagandakräftig zum Zwecke der Finanzierung von Gemeinschaftsinvestitionen umzuwandeln. In diesem Punkte wollen wir Klarheit haben. Deshalb stellen wir hier diese Anträge.
Herr Kollege Apel, ich verstehe, daß Sie aufgeregt sind.
— Ich weiß, daß bei Ihnen viel passieren muß, bis Sie aufgeregt sind. Wenn Sie jetzt aufgeregt sind, muß viel passiert sein.
Bei den von mir vorher zitierten Äußerungen des Kollegen Schiller haben ja damals die beiden Koalitionsfraktionen begeistert applaudiert. Heute müssen sie zu genau demselben, wozu sie damals applaudiert haben, nein sagen. Das, was sie damals abgelehnt haben, müssen sie heute mit Applaus überschütten. Es ist eine ganz miese Rolle, die man Ihnen hier zuschiebt. Darüber gibt es doch gar keinen Zweifel.
Herr Kollege Professor Schachtschabel von der SPD-Fraktion — wenn meine Unterlagen noch up to date sind, wie man auf gut deutsch sagt, ist er Ordinarius für Volkswirtschaft an der Universität Mannheim —
hat ebenfalls am 3. Juni erklärt:
Rigorose konjunkturpolitische Maßnahmen, wie sie vom Sachverständigenrat unter Berücksichtigung des wirtschaftspolitischen Zieles der Preisniveaustabilität vorgeschlagen werden,
— es handelte sich dabei in erster Linie um die heute zur Entscheidung stehenden Steuererhöhungen und Steuervorauszahlungen —
können nicht akzeptiert werden, weil sie eine Preisdämpfungspolitik unter bewußter Inkaufnahme von Beschäftigungsrückschlägen bewirken.
Das ist doch von Ihrer Fraktion gesagt worden. Was würden Sie heute sagen, wenn wir uns hinstellten und sagten: „Nein, auf Grund Ihrer eigenen Äußerungen, die wir uns als gelehrige Schüler und Zuhörer privatissime et gratis zu eigen gemacht haben, ist das, was Sie heute vorschlagen, mit einer Gefährdung der Vollbeschäftigung identisch und bringt die Gefahr der Arbeitslosigkeit mit sich."?
Der Kollege Junghans, der gestern für die SPD-Fraktion eine schwierige Funktion erfüllen mußte, hat am 4. Juni 1970 im Bundestag erklärt, daß dann, wenn entsprechend meinen hier schon öfter vorgetragenen Überlegungen im vorigen Jahr eine vorübergehende Erhöhung der Lohn- und Einkommensteuer mit der Pflicht zur Rückzahlung durchgeführt
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worden wäre ich zitiere ihn wörtlich —, „Wachstum und damit die Möglichkeiten für Reformen gleich Null gewesen wären". Ich muß Sie fragen, da Sie die heute von Ihnen beabsichtigten Maßnahmen noch vor fünf Wochen als eine Politik „kontra Reformen, Wachstum Null" bezeichnet haben, ob Sie heute noch der gleichen Meinung sind. Sind Sie nicht bereit, zuzugeben, daß hier vor fünf Wochen dummes Zeug geschwätzt worden ist?
Der Kollege Hermsdorf ich habe noch einen
jüngeren Bezugspunkt — hat noch am 18. Juni 1970 — das war einen Tag, bevor die neue Erleuchtung kam; da wußte er noch nicht, was ihm bevorsteht,
er wußte nämlich nicht, daß am folgenden Tag das Steueränderungsgesetz, die Verdoppelung des Arbeitnehmerfreibetrags und der Wegfall der Ergänzungsabgabe von der Bundesregierung praktisch zurückgezogen wird — unter deutlicher Bezugnahme auf die steuerlichen Möglichkeiten des Stabilitätsgesetzes erklärt: „Wir lehnen auf jeden Fall hektische Maßnahmen ab." Gibt es eine hektischere Maßnahme, als den Bundestag nach neun Monaten konjunkturpolitischer Blindheit zu einer Sondersitzung einzuberufen und hier dieses Theater zu veranstalten?
Auch wir lehnen hektische Maßnahmen ab. Was heißt „hektisch"? Die Anwendung des Stabilitätsgesetzes ist doch keine Hektik. Das soll man zur rechten Zeit, normal, ohne allzuviel Pathos machen. Aber es muß ja immer alles mit einem riesigen Pathos gemacht werden, nur daß diesmal das Pathos sozusagen in die Hose gegangen ist.
Ich muß fragen: Was ist denn eigentlich passiert, daß das Hohe Haus zwei Wochen nach Beginn der Sommerpause in einer wirklich nicht mehr zu überbietenden Hektik zusammengerufen worden ist, um die noch bis gestern von dieser Koalition abgelehnten Maßnahmen zu beschließen? Ich kann Ihnen die Antwort gerne geben. Es sind doch nicht die alten Konjunkturdaten, es ist vielmehr einzig und allein die Analyse der von der Bundesregierung verlorenen Landtagswahlen, die zu einem Denk- und Lernprozeß — es gibt auch hier Denkpausen, Herr Bundeskanzler , zu einer Denkpause geführt hat, deren kümmerliches Ergebnis uns heute vorliegt. Das ist doch der wirkliche Grund.
Bis dahin hat man auf eine für sozialistische Regierungen sozusagen charakteristisch-typische Politik der Gefälligkeiten gesetzt und glaubte, man könne damit den Erfolg sicherstellen.
Jetzt merkt man, Herr Kollege Schiller — darf ich das sagen —, daß das Wort von der Stabilität des Geldwertes, mit dem Sie früher Ihre Oppositionsreden bestritten haben, in unserem Volke so ernst genommen wird, daß es sich gegen die Redner von früher und Sünder von heute auswirkt.
In der Regierungserklärung wurde doch jedem alles versprochen. Steuersenkungen wurden angekündigt. Die Warnungen unserer Fraktion, des Sachverständigenrates, der Bundesbank, der Mehrheit der Forschungsinstitute, sonstiger kompetenter Stellen, im Interesse der Preisstabilität etwas kürzer zu treten, den konjunkturellen Notwendigkeiten Beachtung zu schenken, wurden mit dem Stichwort „Reformen" in den Wind geschlagen. Darum zahlen wir darum nehmen wir es so ernst; es ist nicht politische Streitlust, die uns hier zum Auftritt bewegt — heute die Zeche, weil diese Politik im Fach Sozialpolitik die Note „miserabel" verdient.
Was nützen diese dramatischen Erhöhungen auf allen Gebieten, wenn damit kaum mehr das finanziert werden kann, was ohne diese Erhöhungen bei normaler Geldwertstabilität hätte finanziert werden können?
In den letzten drei Monaten sind doch die Preise im Hochbau um 15 bis 17 % gestiegen, in den letzten sechs Monaten um 20 bis 30 % regional unterschiedlich -, zum Teil sogar darüber hinaus. Was soll da der kleine Mann machen? Da geht es doch an mit der Geldwertstabilität. Wer vor einigen Jahren einen Bausparvertrag abgeschlossen hat, wer sich ausgerechnet hat, was er sich dann damit in absehbarer Zeit, wenn er fleißig weiter spart, leisten kann, kann heute nur mehr 70 % dessen finanzieren, was er damals mit der gleichen Summe hätte finanzieren können. Der geht doch jetzt in den Verbrauch hinein, weil er sagt: es hat keinen Sinn mehr; es ist besser, ich kaufe die Ware jetzt als in einem Jahr, weil sie dann 10 % mehr kostet. Dazu hat diese Politik der inflatorischen Mentalität und der inflatorischen Praxis in Wirklichkeit geführt.
Sie wissen es, aber es muß auch hier einmal ausgesprochen werden: die Tatsache, daß die Aussetzung der degressiven Abscheibung — eine Methode, die dem Stabilitätsgesetz durchaus entspricht und denkbar ist wegen des monatelangen Hickhacks bei den Großen bestimmt nichts mehr nützt.
Sie wissen doch ganz genau, daß eine Kabinettssitzung so werläuft wie eine Tagung von Marktfrauen auf dem Marktplatz in Bonn, nämlich völlig öffentlich;
das war bei uns nicht viel anders, aber jetzt ist es noch schlimmer.
Deshalb weiß man doch auch in der großen Wirtschaft seit Wochen, was mit dieser degressiven Abschreibung gespielt wird. Das weiß man doch. Man hat doch in ganzen Konzernen am letzten Wochen-
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ende Marathonsitzungen durchgeführt und hat die Bestellungen hinausgegeben. Wen es trifft, das sind die Kleinen und Mittleren, die hier zu kurz kommen.
Hätten Sie es rechtzeitig, lautlos getan und dabei ruhig riskiert, daß wir als Opposition dann gemekkert hätten, so hätte Ihnen das nicht wehgetan, aber Sie hätten recht behalten. Aber so haben Sie monatelang darüber geredet, sind hinaufgestiegen aufs Sprungbrett, haben oben Freiübungen gemacht und sind wieder heruntergestiegen,
und die Öffentlichkeit hat dann gewartet, was nunmehr geschieht. Damit ist etwas eingetreten, was man nicht auf die leichte Schulter nehmen sollte, nämlich ein weit und breit festzustellender Vertrauensschwund, ein Schwund des Vertrauens, der zur Folge hat, daß ein Wort der Regierung und ihrer Fraktionen einfach nicht mehr ernstgenommen wird.
Sie sagen, es sei unerhört, Ihnen zu unterstellen, Sie wollten das nicht zurückzahlen. Ich sage nur, daß Sie uns mit Ihrer Argumentation dafür geradezu die Worte liefern. Wie kann eine Regierung, die am 3. Juni und deren Sprecher noch bis Ende Juni so gesprochen hat, wie ich es zitiert habe, und die heute genau das Gegenteil sagt, die das, was sie damals als eine „Politik der gezielten Arbeitslosigkeit" angeprangert hat, heute ihrerseits tut, Vertrauen beanspruchen? Es wird eine lange Zeit vergehen, bis die Fehler und Schäden, die hier eingetreten sind, wieder aufgeholt sind.
Es wird jetzt ein Zeichen gesetzt. Wirken wird es in dem erwünschten Ausmaß und in der notwendigen Zeit nicht mehr. Und weil ein Zeichen gesetzt wird, wird sich meine Fraktion der Stimme enthalten.
— Hören Sie mich ganz genau an! Ich kneife nicht. Wir sagen, daß wir die hier angewandten Mittel
— wenn auch anders: das Stabilitätsgesetz ändern, nicht Vorauszahlungen, wie ich es vorhin erwähnt habe; aber in der Praxis würde es auf das gleiche, nur mit mehr Sicherheit und Glaubwürdigkeit, hinauslaufen — im rechten Zeitpunkt und im rechten Umfange für richtig halten, daß wir sie aber zu diesem Zeitpunkt aus den vorher genannten Gründen für nicht mehr wirksam halten, weil jetzt nichts mehr wirken kann. Es kann nur mehr wirken eine allgemeine Besinnung, sich von dem inflatorischen Taumel des Tanzes um das Goldene Kalb allmählich wieder auf den Boden solider Überlegungen zurückzuziehen.