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ID0606201800

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    Deutscher Bundestag 62. Sitzung Bonn, Freitag, den 10. Juli 1970 Inhalt: Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Tobaben und Borm 3443 A Amtliche Mitteilungen 3443 A Erweiterung der Tagesordnung 3444 B Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Dr. Schiller, Bundesminister 3444 C Entwurf eines Gesetzes über die Erhebung eines rückzahlbaren Konjunkturzuschlags zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer (SPD, FDP) (Drucksache VI/ 1017) —Erste Beratung — in Verbindung mit Zweite Verordnung über steuerliche Konjunkturmaßnahmen (Drucksache VI/ 1013) und mit Antrag der Fraktion der CDU/CSU betr. konjunkturpolitische Dämpfungsmaßnahmen (Drucksache VI/1025 [neu]) Mertes (FDP) 3447 D Dr. Stoltenberg (CDU/CSU) 3450 C Brandt, Bundeskanzler 3456 A Junghans (SPD) 3460 B Kienbaum (FDP) 3462 C Höcherl (CDU/CSU) 3463 D Dr. Schellenberg (SPD) . 3466 B, 3467 D Nächste Sitzung 3468 C Anlagen: Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten 3469 A Anlage 2 Stellungnahme des Bundesrates zum Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1970 (Hauhaltsgesetz 1970) 3469 C Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. Juli 1970 3443 62. Sitzung Bonn, den 10. Juli 1970 Stenographischer Bericht Beginn: 9.01 Uhr
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Abelein 11. 7. Dr. Achenbach * 11.7. Adams * 11.7. Dr. Aigner * 11. 7. von Alten-Nordheim 11. 7. Dr. Artzinger * 11.7. Baier 11.7. Dr. Barzel 11.7. Dr. Becher (Pullach) 11.7. Behrendt * 11.7. Benda 11.7. Dr. Burgbacher * 11. 7. Dr. Czaja 11.7. Dr. Dittrich * 11. 7. Dichgans * 11. 7. Dröscher * 11.7. Faller * 11.7. Fellermaier * 11. 7. Flämig * 11.7. Dr. Furler * 11. 7. Gewandt 11. 7. Gerlach (Emsland) * 11.7. Dr. Gradl 11.7. Haage (München) * 11. 7. Dr. Hein * 11. 7. Frau Dr. Henze 11. 7. Dr. Hupka 11.7. D. Jahn (Braunschweig) * 11. 7. Klinker * 11.7. Katzer 11.7. Dr. Kley 11.7. Dr. Koch * 11.7. Frau Krappe 11.7. Kriedemann * 11. 7. Frau Dr. Kuchtner 11. 7. Lange * 11. 7. Lautenschlager * 11. 7. Leisler Kiep 11. 7. Lemmer 11. 7. Lenze (Attendorn) 11.7. Liehr 11.7. Dr. Lohmar 11. 7. Dr. Löhr * 11.7. Lücker (München) * 11.7. Meister * 11. 7. Memmel * 11.7. Müller (Aachen-Land) * 11.7. Ollesch 11.7. Frau Dr. Orth * 11. 7. Picard 11.7. Pieroth 11.7. Porzner 11. 7. Richarts * 11.7. Riedel (Frankfurt) * 11.7. Schmidt (Braunschweig) 11. 7. Schmidt (Würgendorf) 11.7. Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Schwabe * 11.7. Schröder (Wilhelminenhof) 11. 7. Dr. Schwörer * 11. 7. Seefeld * 11.7. Springorum * 11.7. Dr. Starke (Franken) * 11.7. Frau Dr. Walz 11. 7. Dr. Freiherr v. Weizsäcker 11. 7. Werner * 11.7. Wolfram * 11. 7. Dr. Wörner 11. 7. Wohlrabe 11.7. Anlage 2 Anlage zum Schreiben des Präsidenten des Bundesrates vom 26. Juni 1970 an den Bundeskanzler Stellungnahme des Bundesrates zum Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1970 (Haushaltsgesetz 1970) a) Der Bundesrat hält die Ermächtigung an den Bundesminister der Finanzen, eine „Bildungsanleihe" bis zur Höhe von 1 Milliarde DM aufzunehmen, allein nicht für geeignet, das Problem der Bildungsfinanzierung zu lösen. Es geht bei der Bildungsfinanzierung nicht darum, einen einmaligen investiven Nachholbedarf zu finanzieren, sondern es müssen vor allem die progressiv wachsenden Folgekosten, die Länder und Gemeinden zu tragen haben, finanziell gesichert werden. Im übrigen geht der Bundesrat davon aus, daß von der Anleiheermächtigung nur dann Gebrauch gemacht wird, wenn die Verhältnisse am Kapitalmarkt eine solche Anleihe zulassen und wenn außerdem die Anleihebedürfnisse der übrigen öffentlichen Gebietskörperschaften ausreichend berücksichtigt werden. b) Der Bundesrat bedauert, daß die Bundesregierung die verfügte Aussetzung der Frachthilfe für die Beförderung von Steinkohle ab 10. Februar 1970 nicht rückgängig gemacht hat. Er bittet die Bundesregierung, im weiteren Vollzug des Bundeshaushalts alles zu unternehmen, um die Fortsetzung der Steinkohlefrachthilfe zu ermöglichen. *) Für die Teilnahme an einer Sitzung des Europäischen Parlaments 3470 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. Juli 1970 Der Bundesrat bedauert, daß seine Forderung, im Bundeshaushalt 1970 einen Ansatz von 100 Millionen DM für Investitionshilfen gemäß Art. 104 a Abs. 4 GG zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft oder zur Förderung des wirtschaftlichen Wachstums auszubringen, bei den Beratungen im Deutschen Bundestag unberücksichtigt geblieben ist. Durch gezielten Einsatz derartiger Finanzhilfen hätten strukturpolitisch wichtige Maßnahmen, auf die nach den Grundsätzen des Konjunkturrats vom Januar 1969 Konjunkturdämpfungsmaßnahmen nicht angewendet werden sollen, insbesondere in Problemgebieten leistungsschwacher Länder im Interesse eines stabilitätskonformen Wachstums ermöglicht werden können. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, im Rahmen der Haushaltsberatungen für 1971 und der Fortschreibung der Finanzplanung zu prüfen, ob und in welchem Umfang die Gewährung von Investitionshilfen nach Art. 104 a Abs. 4 GG ab 1971 notwendig und möglich ist.
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    Rede von Gerhard Kienbaum


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine verehrten Damen! Meine Herren! Die FDP stimmt den zur Debatte stehenden Vorhaben zu, wie nach Bekanntgabe des einstimmigen Fraktionsbeschlusses nicht anders zu erwarten war.

    (Abg. Dr. Müller-Hermann: Aber nach den Auslassungen von Herrn Kienbaum war das zu erwarten!)

    Die FDP hat dabei, so vermutete ein Presseorgan, eine Kröte geschluckt, die Kröte zeitweiliger Aussetzung der degressiven Abschreibung. Meine Damen und Herren, die FDP tat es — um im Bild zu bleiben —, um eine Kaufkraftabschöpfung an Stelle einer Steuererhöhung zu ermöglichen. Die FDP verbindet wahrlich keine überhöhten Erwartungen mit der Durchführung der anstehenden Maßnahmen.

    (Abg. Dr. Althammer: Sehr richtig!)

    Wir wissen nämlich zu gut, daß die gewünschte Wirkung auf der einen Seite vom gleichgerichteten Verhalten der Nachfrager — einem unseren Vorstellungen entsprechenden Verhalten der Nachfrager —, vor allem aber vom vernünftigeren Verhalten der Tarifpartner abhängt. Vorschußlorbeeren können daher von uns ebensowenig erwartet werden wie prophetische Voraussagen, was nun eintreten wird, da sich diese schon oft nach kurzer Zeit leider als völlig falsch erweisen.
    Der FDP erscheint es deshalb dringend erforderlich, in diesem Hohen Hause auch einmal diejenigen sehr ernst anzusprechen, die nach unseren Beschlüssen über die zukünftige Kostenentwicklung durch die autonomen Entscheidungen befinden. Ich kann es einfach nicht anerkennen, daß dieses Thema im Parlament tabu bleibt. Das Parlament muß auch hierzu Stellung nehmen. Hier gilt es, zunächst eines festzustellen. Trotz lautstarker und in immer kürzeren Abständen wiederholter gegenteiliger Behauptungen führen nun einmal Verbesserungen der Vergütungen, die über die Steigerung der Produktivität hinausgehen, unabdingbar zu Kostensteigerungen. Ich wiederhole: sie führen unabdingbar zu Kostensteigerungen, und damit treiben sie die Preise, die sich nun einmal nicht nach Wünschen, und seien sie noch so edel, sondern nach den Gesetzen des Marktes und der Fakten richten und — ich füge es hinzu — auch in Zukunft richten werden. Deshalb erwarten wir, mag es auch sehr schwer sein, eine Rückkehr zur Vernunft, und zwar von beiden Gruppen der Tarifpartner. Eindeutig unvernünftig sind Vergütungssteigerungen von 15% und mehr binnen Jahresfrist, wie sie bereits hinter uns liegen.

    (Abg. Lücke [Bensberg] : Sehr richtig!)

    Sie können einfach nicht durch Produktivitätssteigerungen abgefangen werden, und sie gefährden daher unsere erreichte Position, ganz besonders aber die Position von Mitbürgern mit bescheidenen Einkommen.
    In unsere Erwartungen schließen wir den öffentlichen Arbeitgeber insonderheit ein, den Bund, die Länder und die Kommunen. Sie müssen das Ihre dazu beitragen, zunächst einmal die zahlenmäßige Übernachfrage nach Arbeitskräften abzubauen. Aus-



    Kienbaum
    drücklich stellt die FDP fest: Der Ansatzpunkt für die Wiederherstellung der Stabilität nach den Beschlüssen dieses Wochenendes ist der Arbeitsmarkt, ist die Wiederherstellung einer ruhigen Entwicklung der Arbeitsvergütung. Deshalb fordern wir alle verantwortlichen Verhandelnden, aber auch — und das mit Nachdruck — die Entscheidenden auf, unverantwortlichen Vorstellungen zu widerstehen.

    (Vorsitz: Vizepräsident Dr. Jaeger.)

    Wir fügen hinzu, daß in unserer Lage alles unverantwortlich ist, was den Produktivitätszuwachs aus Arbeits- plus Kapitalproduktivität übersteigt.
    Meine Damen und Herren, bei dieser Problematik muß ich mich mit dem bisherigen und dem heutigen Beitrag der Opposition beschäftigen. Sie hat seit Monaten schon, meist durch ihren Sprecher Herrn Dr. Stoltenberg, allgemeine Forderungen erhoben, z. B. Stabilitätspolitik aus einem Guß. Sie beantragt heute eine globale Erhöhung der Konjunkturausgleichsrücklage, allerdings wiederum ohne Angaben, wo gekürzt werden soll.

    (Abg. Dr. Luda: Wie im Haushaltsausschuß von uns detailliert beantragt: 2 Milliarden DM!)

    — Allgemein, sehr allgemein, Herr Dr. Luda!

    (Abg. Dr. Luda: Ganz detailliert! Die Anträge sind von Ihnen alle abgelehnt worden!)

    — Herr Dr. Luda, Sie brauchen sich gar nicht zu erregen. Ich bin über diesen Vorgang sehr genau unterrichtet, und ich wiederhole: allgemeine Forderungen ohne detaillierte Substanz.

    (Abg. Rawe: 80 detaillierte Anträge wollen Sie doch wohl nicht als allgemein bezeichnen! — Abg. Dr. Luda: Sie haben keine Ahnung von den Vorgängen!)

    — Ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie mir bescheinigen, daß ich keine Ahnung habe. Es gibt andere, die darüber anders urteilen.

    (Abg. Dr. Luda: Keine Ahnung von diesen Vorgängen!)

    Die Opposition übersieht geflissentlich, daß es dieser speziellen Maßnahme der Erhöhung der Konjunkturausgleichsrücklage gar nicht bedarf, weil durch Beschluß in Verbindung mit der Verabschiedung des Haushaltsgesetzes 1970 bereits verpflichtend festgelegt ist, daß alle Steuermehreinnahmen
    — offenbar erwarten Sie sehr viel höhere Eingänge — stillgelegt werden.
    Die Opposition beantragt ferner, allgemeine Grundsätze zur Verschuldung im soeben vom Kabinett verabschiedeten Haushalt 1971 festzulegen. Sie werden mir sicher die Frage erlauben, welche Wirkungen zum heutigen Thema Sie von dieser allgemeinen Forderung erwarten, es sei unterstellt, ihr wird entsprochen.
    Ich füge eine Frage hinzu: wann wird sich die Opposition zu dem von mir soeben angeschnittenen Problemkreis der Tarifpolitik äußern?

    (Abg. Dr. Müller-Hermann: Am laufenden Band geschehen!)

    Wann dürfen wir ihre Vorstellungen zu diesem, dem dritten Bereich des Einflusses auf die Stabilität erfahren?

    (Abg. Dr. Luda: Was Sie da gesagt haben, war im Widerspruch zu den Äußerungen des Bundeskanzlers!)

    Oder müssen wir davon ausgehen, daß die Opposition nun ausschließlich Fiskalpolitik zu treiben gedenkt? Ich habe heute morgen aus den Ausführungen von Herrn Stoltenberg den Eindruck gewonnen — kann mich aber täuschen —, daß das bisherige Handeln der Bundesbank in der Monetärpolitik, dem zweiten wirksamen Bereich, gar nicht gern gesehen wird und daß an die Stelle dieser Politik Fiskalmaßnahmen hätten gesetzt werden sollen.

    (Widerspruch bei der CDU/CSU.)

    Deshalb stelle ich wiederholt fest: wir sind sehr gespannt, nun detaillierte Wünsche, Anregungen oder Forderungen zu bekommen.
    Auf einen Punkt möchte ich insonderheit eingehen. Der Sprecher der Opposition, mit dem ich ja nicht nur im Parlament mehrfach Gelegenheit hatte zu diskutieren, hat mit ernstem Unterton — das habe ich durchaus vermerkt — die Feststellung wiederholt, daß es immer schwieriger wird, aus den verfügbaren Daten ein sicheres Urteil über die Situation, aber auch über den Trend der zurückliegenden Entwicklung und erst recht über die zukünftigen Erwartungen zu gewinnen. Ich unterstreiche das. Gerade deshalb aber mißt die FPD denjenigen Bestimmungen, die wir heute erneut zu verabschieden haben, das größte Gewicht zu, die eine sofort wirkende Beendigung der Dämpfung ermöglichen und die zudem einen unmittelbar greifenden Wiedereinsatz der stillgelegten Mittel erlauben. Wir wollen nur hoffen — hier spreche ich aus detailliertem Einblick aus meiner beruflichen Tätigkeit —, daß zu dem Zeitpunkt, zu dem solche Entscheidungen notwendig werden, das Klima und die Bereitschaft zum Risiko des Investierens auch genügend gegeben sind.
    Deshalb, meine Herren von der Opposition, kritisiert die FDP nachdrücklich die seit Monaten anhaltende Kampagne,

    (Beifall bei den Regierungsparteien)

    die unübersehbar zur Unsicherheit in der Bürgerschaft wie in der Wirtschaft beiträgt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)



Rede von Dr. Richard Jaeger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Abgeordnete Höcherl.

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    Rede von Hermann Höcherl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich an die Spitze meiner Ausführungen eine ganz kurze Bilanz der Regierungsarbeit in diesen acht Monaten stelle, so kann ich sagen, daß es eine Regierung der hektischen Außenpolitik und der unentschlossenen ängstlichen Wirtschaftspolitik ist. Genau umgekehrt müßte es sein: eine behutsame vorsichtige Außen-



    Höcherl
    politik und eine entschlossene und klare Wirtschaftspolitik.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben hier etwas sehr Seltsames erlebt, nämlich das gestörte Verhältnis des Herrn Bundeskanzlers zur Wirtschaftspolitik. Was er hier als wirtschaftspolitische Leistung vorgetragen hat — ich muß mich sehr vorsichtig ausdrücken, denn er gehört zu den Empfindsamen in diesem Lande und hat sich schon einmal beschwert, daß er achtundvierzigmal unterbrochen worden sei —, war dürftig. Herr Bundeskanzler, Sie wissen ganz genau, daß Sie allein es waren und niemand anders, der in Ausübung seines Richtlinienrechtes im Februar dieses Jahres die Durchführung des Vorschlages von Bundeswirtschaftsminister Schiller verhindert hat, angesichts der sich auftürmenden Preiswelle Maßnahmen zu ergreifen.

    (Abg. Struve: So ist es!)

    Sie allein trifft diese Verantwortung.
    Aber auch die Fraktion der SPD ist verantwortlich, die damals dem Bundeswirtschaftsminister bei seinen durchaus zutreffenden Überlegungen in den Arm gefallen ist. Es war nicht die frühere Mehrheit der CDU/CSU, die ihn an den richtigen Entscheidungen gehindert hat, sondern Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, und insbesondere Sie, Herr Bundeskanzler, haben ihn daran gehindert, obwohl Sie seit Jahren bis heute im Lande umherziehen und die Behauptung wiederholen, wir hätten in der Frage der Aufwertung gezögert und einen Verspätungsschaden angerichtet. Wenn man schon so denkt und einen solchen Vorwurf erhebt — dabei war der Vorschlag einer Aufwertung von 6,25 % ein Wellenpeitschen und gar nicht ernst zu nehmen — und wenn man im ganzen Wahlkampf und bis heute diese Frage hochzieht und von Verschleppen spricht, dann muß man aber gerade dafür sorgen, daß einem nicht selber der Vorwurf der Verschleppung gemacht werden kann.
    Es wird hier von einer Kampagne, von einem Heraufreden der Preise gesprochen. Ich darf die Frage erheben: Kann man auch bei den Monatsberichten der Bundesbank, bei den Berichten der OECD, der BIZ, den Berichten der wissenschaftlichen Institute von Kampagnen reden,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    oder handelt es sich hier nicht um ernst zu nehmende Beobachter der wirtschaftspolitischen und der konjunkturpolitischen Situation? Aber Sie haben Ihre eigenen Einsichten, Ihre wahltaktischen Überlegungen über diese mahnenden Stimmen gesetzt. Das war das Entscheidende. Am 14. Juni haben Sie nun ein erstes Warnzeichen durch den Wähler bekommen. Sie haben das Wahlergebnis ausgewertet und erklärt, nicht die Ostpolitik sei es gewesen — die war es auch —, sondern die Wirtschaftspolitik. Deswegen ist Ihnen auf einmal die große Einsicht gekommen.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Sie sagen, die Arbeitsplätze müßten gesichert werden. Das nehmen wir sehr ernst. Das ist ein ernstes Problem, und das ist das Wichtigste. Aber Sie müssen wissen, daß die Sicherung der Arbeitsplätze — das hat die Vergangenheit bewiesen, und das beweisen Beispiele in anderen Volkswirtschaften — auf die Dauer nur durch Stabilität möglich ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Sie, Herr Bundeskanzler, haben sich an der Sicherheit der Arbeitsplätze versündigt, weil Sie gegen den Rat der wissenschaftlichen Institute und der Beobachter und Ihres eigenen Bundeswirtschaftsministers acht Monate gebraucht haben, um leichte Ansätze zu einer Stabilitätspolitik zu ergreifen. Das ist eine Gefährdung der Arbeitsplätze, die wir nicht mitmachen, und deswegen drängen wir fortgesetzt auf Stabilität.
    Wo gibt es denn eine Opposition — vielleicht erinnern Sie sich an Ihre eigenen Oppositionszeiten! —, die so viel Lebenshilfe im Interesse geordneter Verhältnisse geleistet hätte? Das war damals der Fall bei dem Vorschlag des Kollegen Barzel, den Herr Möller sofort aufgegriffen hat, weil Sie Ihren großen Geschenk-Katalog vom 28. Oktober ja nicht einhalten konnten. Obwohl damals schon ganz gefährliche konjunkturelle Anzeichen sichtbar waren, haben Sie es über sich gebracht — auch der Bundeswirtschaftsminister —, einen Milliardensegen zu versprechen. Meine Damen und Herren, das war intellektuell und konjunkturpolitisch von der Verantwortung einer Regierungspolitik her nicht zu rechtfertigen.
    Sie sagen, in der Konjunkturpolitik gibt es nicht die Sicherheit der Daten wie in der Naturwissenschaft. Zweifellos ist es so. Aber wenn die Preise und der Arbeitsmarkt derartige Erhitzungen und Anspannungen aufweisen, dann genügt das für einen Blinden, daran zu sehen, daß etwas nicht in Ordnung ist; und das sind Daten, die mehr aussagen als all die anderen Hilfsmittel, die hier verwendet werden.
    Meine Damen und Herren, Sie sagen, Sie seien eine Regierung der inneren Reformen. Sie kommen zu diesen inneren Reformen nicht! Warum? Weil Sie die Stabilität gefährden; die Stabilität aber ist die Voraussetzung dafür, daß das alles in geordneter Weise finanziert werden kann. Sie legen heute einen Haushalt mit einer 12 %igen Steigerung vor. Ich glaube, Herr Stoltenberg hat mit Recht darauf hingewiesen. Sie schlagen ja allen psychologischen Gesetzen ins Gesicht, wenn sich die Leute heute schon wieder darauf einrichten können, daß es im nächsten Jahr munter weitergeht, daß der Haushalt da um 12 % höher sein wird.

    (Beifall bei der CDU CSU.)

    Sie müssen doch daran denken, daß ein ganz erheblicher Teil der Konjunkturpolitik auf dem psychologischen Felde liegt. Da dürfen Sie nicht Ankündigungen machen, die bis in das Jahr 1974 mit 108, 110 und 112 Milliarden reichen. Sie beeinträchtigen damit jede Möglichkeit einer Konjunkturpolitik.



    Höcherl
    Sie sagen, Herr Bundeskanzler, Sie hätten kein Wahlversprechen auf Steuersenkung abgegeben. Erinnern Sie sich denn nicht mehr an jene peinliche Situation vom 19. Juni hier,

    (Sehr richtigt! bei der CDU/CSU)

    als Ihre beiden Fraktionen nicht eine einzige Hand bewegen konnten angesichts des peinlichen Vorgangs, daß Sie das zurücknehmen mußten, was Sie in der Regierungserklärung gesagt hatten? Und bis zum 5. Juni, dem letzten Sitzungstag vor den Wahlen, haben Sie im Ausschuß mit 17 : 16 Stimmen, mit dieser einen kümmerlichen Stimme Mehrheit, dieses Steueränderungsgesetz durchgesetzt. Der Herr Finanzminister hat drei Briefe geschrieben; es konnte ihm gar nicht eilig genug sein; und kürzlich hat er noch erklärt: „Im September muß es wieder auf die Tagesordnung."

    (Zuruf von der CDU/CSU: Vor der Wahl!)

    — Vor der Wahl! — Stabilität und Wachstum haben Sie im großen Wahlkampf und im kleinen Wahlkampf versprochen, Steuersenkungen! Nichts haben Sie gehalten! Sie konnten es nicht halten. Und heute kommen Sie daher und sagen, die Ergänzungsabgabe solle für Bildungsausgaben aufrechterhalten werden. Vor wenigen Tagen haben Sie gesagt, sie werde in Stufen abgebaut werden, und Sie wollten eine Bildungsanleihe von einer Milliarde DM auflegen. Meine Damen und Herren, die Echternacher Springprozession ist ein Parademarsch im Vergleich zu dem, was Sie hier vortragen!

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

    Sie berufen sich, genau wie Ihr Wirtschaftsminister, darauf, daß Sie mit der Bundesbank Arm in Arm gehen. Sie haben die Bundesbank allein draußen stehen lassen wie eine unansehnliche Geliebte!

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren, der neue Präsident der Bundesbank steht Ihnen sehr nahe. Es ist ein Bündnis zwischen dem Bundeswirtschaftsminister und diesem neuen Präsidenten der Bundesbank, dem man wirklich bescheinigen muß, daß er den Mut besitzt, gegen die Untätigkeit dieser Regierung anzugehen. Nur diesem Bündnis und dem Ultimatum sind Sie jetzt gewichen. Das ist doch die Lage!

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    In sechs Berichten hat die Bundesbank immer wieder darauf hingewiesen, daß die bisherigen Maßnahmen der Regierung allenfalls konjunkturneutral, aber keineswegs antizyklisch sind. Das hat Sie alles nicht gekümmert. Bis das Ultimatum kam. Das Ultimatum trat am 1. Juli in Kraft. Es hat Sie ebenfalls nicht gestört. Woher, darf ich fragen, kommt auf einmal die große Erkenntnis? Die Auswertungsergebnisse des 14. Juni sind es! Wenn es hier Mode werden soll, daß wir nach Wahlterminen Wirtschaftsoder Außenpolitik machen, dann gehen wir in eine düstere und unsichere Zukunft.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Sie haben darauf hingewiesen, Herr Bundeskanzler, daß Sie vor allem die Zukunftsinvestitionen zum
    Gegenstand Ihrer Regierungspolitik gemacht haben. Sie haben durchaus unseren Beifall und unsere Unterstützung. Aber das geht nur auf dem Weg der Stabilität.
    Die heutige Sondersitzung wäre gar nicht notwendig gewesen. Sie haben im Stabilitätsgesetz, das wir in der Großen Koalition auch für Sie gemacht. haben — „der Welt Bestes", wie es einmal Schiller in einer gewissen Euphorie bezeichnet hat die erforderlichen Möglichkeiten. Dieses Stabilitätsgesetz hätte Sie meines Erachtens sogar auch zu den Steuervorauszahlungen berechtigt, und zwar deswegen: wenn Steuererhöhungen erlaubt sind — auf dem Verordnungsweg mit Kassationsrecht —, dann ist eine mindere Maßnahme meines Erachtens darin enthalten. Auch die weitere Maßnahme bezüglich der Investitionen — Fortfall der degressiven .Abschreibung — hätten Sie ebenfalls per Verordnung regeln können.
    Der Vergleich drängt sich auf mit der Telefongebühren-Sondersitzung, die von der Opposition damals wegen eines ganz kümmerlichen Anlasses verlangt wurde. Die jetzigen Maßnahmen hätten Sie vor wenigen Wochen am 19. Juni beraten können. Da gab es das blamable Ereignis, daß Professor Schiller einen falschen Antrag stellte, Strauß ihm über die Hürden helfen mußte und Sie, die Regierungskoalition, stumm wie ein Fisch da saßen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Da hätten Sie diese bescheidene Maßnahme, die allein nicht ausreicht, ebenfalls auf den Tisch legen können; dann hätten wir einen Tag oder zwei Tage länger getagt. Jetzt wollen Sie spektakulär nachweisen und die Öffentlichkeit täuschen: „wir wollen doch handeln". Eine spektakuläre Sondersitzung: auf einmal kommen die Kraft und der Mut, die acht Monate lang gefehlt haben. Das Fehlen hat einen Schaden eingebracht, der wahrscheinlich so hoch ist, daß diese Maßnahmen gar nicht ausreichen.
    Herr Junghans, es ist intellektuell nicht erlaubt, hier die Behauptung aufzustellen, daß jemand mit partieller Arbeitslosigkeit gedroht hätte. Dieses Gespenst, diese Legende wird offen und versteckt fortgesetzt herumgetragen. Die 20 Jahre CDU/CSU-Regierung haben einen Aufbau und eine Sicherung von Arbeitsplätzen wie in keinem anderen Land der Welt gebracht.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir brauchen uns einen solchen Vorwurf nicht machen zu lassen.
    Herr Kienbaum hat gesagt, er habe eine Kröte geschluckt. Ja, über den Hergang und die Entstehungsgeschichte dieser bescheidenen, zu spät gekommenen Maßnahmen sind wir uns alle im klaren. Die FDP wollte aus ganz klaren Überlegungen heraus natürlich verhindern, in die degressive Abschreibung einzugreifen. Die andere Seite wollte wiederum diese Maßnahme zunächst als einzige haben. Dann hat man sich auf einen faulen Kompromiß geeinigt und beide vorgeschlagen.
    Wir entziehen uns unserer Pflicht nicht, obwohl es vielleicht gegen taktische Interessen ist. Wir haben



    Höcherl
    in diesen acht Monaten durch unsere Repräsentanten und Sprecher zum Ausdruck gebracht, daß wir bereit sind, eine Stabilitätspolitik auch mit harten Maßnahmen mitzumachen. Aber diese Maßnahmen reichen nicht aus.
    Herr Kienbaum hat uns vorgeworfen, wir hätten zur Tarifpolitik nichts gesagt. Wir haben eine Tariefautonomie und eine Konzertierte Aktion, die allerdings vollständig verstummt ist, und die ganzen Instrumente sind verstimmt, funktionieren nicht mehr. Hoffentlich wird ihr nächster Zusammentritt überzeugend sein. Es kann keinen Zweifel geben, daß dabei auch das Lohnproblem eine ganz erhebliche Rolle spielt. Es ist eine große Frage, ob mit diesen Maßnahmen der Zweck noch erreicht werden kann. Wir sind der Meinung, daß eine Ergänzung auf dem Sektor der Fiskalpolitik unter allen Umständen notwendig ist. Ich wundere mich, daß Sie zu unseren Vorschlägen keine Stellung nehmen. Wir haben Ihnen Vorschläge gemacht, die in Ihre Richtung zielen, die das Ergebnis verbessern und eine wirkliche Wirkung hervorrufen sollen. Wir machen unsere Zustimmung davon abhängig, ob Sie auch den weiteren Weg mit uns gehen, so wie ihn Stoltenberg vorgetragen hat.
    Ich zweifle an Ihrer Schätzung, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß durch den Eingriff in die degressive Abschreibung die Bestellungen um 4 Milliarden DM reduziert werden. Ich verstehe einfach nicht, was Sie eigentlich reitet, daß Sie es immer wieder versuchen, Dinge, die man nicht quantifizieren kann, mit Zahlen vorzulegen, bloß um eine Schau aufzuziehen. Ihre Erkenntnisse waren doch alles rachitische Eintagsfliegen, die keinen einzigen Tag überleben.

    (Allgemeine Heiterkeit.)

    Keine einzige Voraussage, keine Schätzung, nichts hat gestimmt.
    Herr Bundeskanzler, Sie hätten sich heute hinstellen und sagen müssen: „Ich bedauere, meine Vermutungen, meine Überlegungen, meine Einschätzungen und Beurteilungen waren falsch. Ich bitte das Hohe Haus, mir jetzt zu helfen, damit ich den Fehler von acht Monaten wiedergutmachen kann, wenn das überhaupt noch möglich ist." Das wäre die Sprache gewesen, die Ihnen gut angestanden hätte.

    (Abg. Wehner: Die Ihnen gefallen hätte! — Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)