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    Deutscher Bundestag 62. Sitzung Bonn, Freitag, den 10. Juli 1970 Inhalt: Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Tobaben und Borm 3443 A Amtliche Mitteilungen 3443 A Erweiterung der Tagesordnung 3444 B Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Dr. Schiller, Bundesminister 3444 C Entwurf eines Gesetzes über die Erhebung eines rückzahlbaren Konjunkturzuschlags zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer (SPD, FDP) (Drucksache VI/ 1017) —Erste Beratung — in Verbindung mit Zweite Verordnung über steuerliche Konjunkturmaßnahmen (Drucksache VI/ 1013) und mit Antrag der Fraktion der CDU/CSU betr. konjunkturpolitische Dämpfungsmaßnahmen (Drucksache VI/1025 [neu]) Mertes (FDP) 3447 D Dr. Stoltenberg (CDU/CSU) 3450 C Brandt, Bundeskanzler 3456 A Junghans (SPD) 3460 B Kienbaum (FDP) 3462 C Höcherl (CDU/CSU) 3463 D Dr. Schellenberg (SPD) . 3466 B, 3467 D Nächste Sitzung 3468 C Anlagen: Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten 3469 A Anlage 2 Stellungnahme des Bundesrates zum Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1970 (Hauhaltsgesetz 1970) 3469 C Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. Juli 1970 3443 62. Sitzung Bonn, den 10. Juli 1970 Stenographischer Bericht Beginn: 9.01 Uhr
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Abelein 11. 7. Dr. Achenbach * 11.7. Adams * 11.7. Dr. Aigner * 11. 7. von Alten-Nordheim 11. 7. Dr. Artzinger * 11.7. Baier 11.7. Dr. Barzel 11.7. Dr. Becher (Pullach) 11.7. Behrendt * 11.7. Benda 11.7. Dr. Burgbacher * 11. 7. Dr. Czaja 11.7. Dr. Dittrich * 11. 7. Dichgans * 11. 7. Dröscher * 11.7. Faller * 11.7. Fellermaier * 11. 7. Flämig * 11.7. Dr. Furler * 11. 7. Gewandt 11. 7. Gerlach (Emsland) * 11.7. Dr. Gradl 11.7. Haage (München) * 11. 7. Dr. Hein * 11. 7. Frau Dr. Henze 11. 7. Dr. Hupka 11.7. D. Jahn (Braunschweig) * 11. 7. Klinker * 11.7. Katzer 11.7. Dr. Kley 11.7. Dr. Koch * 11.7. Frau Krappe 11.7. Kriedemann * 11. 7. Frau Dr. Kuchtner 11. 7. Lange * 11. 7. Lautenschlager * 11. 7. Leisler Kiep 11. 7. Lemmer 11. 7. Lenze (Attendorn) 11.7. Liehr 11.7. Dr. Lohmar 11. 7. Dr. Löhr * 11.7. Lücker (München) * 11.7. Meister * 11. 7. Memmel * 11.7. Müller (Aachen-Land) * 11.7. Ollesch 11.7. Frau Dr. Orth * 11. 7. Picard 11.7. Pieroth 11.7. Porzner 11. 7. Richarts * 11.7. Riedel (Frankfurt) * 11.7. Schmidt (Braunschweig) 11. 7. Schmidt (Würgendorf) 11.7. Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Schwabe * 11.7. Schröder (Wilhelminenhof) 11. 7. Dr. Schwörer * 11. 7. Seefeld * 11.7. Springorum * 11.7. Dr. Starke (Franken) * 11.7. Frau Dr. Walz 11. 7. Dr. Freiherr v. Weizsäcker 11. 7. Werner * 11.7. Wolfram * 11. 7. Dr. Wörner 11. 7. Wohlrabe 11.7. Anlage 2 Anlage zum Schreiben des Präsidenten des Bundesrates vom 26. Juni 1970 an den Bundeskanzler Stellungnahme des Bundesrates zum Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1970 (Haushaltsgesetz 1970) a) Der Bundesrat hält die Ermächtigung an den Bundesminister der Finanzen, eine „Bildungsanleihe" bis zur Höhe von 1 Milliarde DM aufzunehmen, allein nicht für geeignet, das Problem der Bildungsfinanzierung zu lösen. Es geht bei der Bildungsfinanzierung nicht darum, einen einmaligen investiven Nachholbedarf zu finanzieren, sondern es müssen vor allem die progressiv wachsenden Folgekosten, die Länder und Gemeinden zu tragen haben, finanziell gesichert werden. Im übrigen geht der Bundesrat davon aus, daß von der Anleiheermächtigung nur dann Gebrauch gemacht wird, wenn die Verhältnisse am Kapitalmarkt eine solche Anleihe zulassen und wenn außerdem die Anleihebedürfnisse der übrigen öffentlichen Gebietskörperschaften ausreichend berücksichtigt werden. b) Der Bundesrat bedauert, daß die Bundesregierung die verfügte Aussetzung der Frachthilfe für die Beförderung von Steinkohle ab 10. Februar 1970 nicht rückgängig gemacht hat. Er bittet die Bundesregierung, im weiteren Vollzug des Bundeshaushalts alles zu unternehmen, um die Fortsetzung der Steinkohlefrachthilfe zu ermöglichen. *) Für die Teilnahme an einer Sitzung des Europäischen Parlaments 3470 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. Juli 1970 Der Bundesrat bedauert, daß seine Forderung, im Bundeshaushalt 1970 einen Ansatz von 100 Millionen DM für Investitionshilfen gemäß Art. 104 a Abs. 4 GG zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft oder zur Förderung des wirtschaftlichen Wachstums auszubringen, bei den Beratungen im Deutschen Bundestag unberücksichtigt geblieben ist. Durch gezielten Einsatz derartiger Finanzhilfen hätten strukturpolitisch wichtige Maßnahmen, auf die nach den Grundsätzen des Konjunkturrats vom Januar 1969 Konjunkturdämpfungsmaßnahmen nicht angewendet werden sollen, insbesondere in Problemgebieten leistungsschwacher Länder im Interesse eines stabilitätskonformen Wachstums ermöglicht werden können. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, im Rahmen der Haushaltsberatungen für 1971 und der Fortschreibung der Finanzplanung zu prüfen, ob und in welchem Umfang die Gewährung von Investitionshilfen nach Art. 104 a Abs. 4 GG ab 1971 notwendig und möglich ist.
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    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist völlig in Ordnung, daß hier kritisch unter die Lupe genommen wird, was die Regierung beschlossen und was sie vorgeschlagen hat. Aber es erscheint mir wichtig, daß dabei das eigentliche Thema nicht verlorengeht. Das Thema ist, und davon sollten wir uns nicht abbringen lassen: Was war jetzt notwendig und möglich, um die Arbeitsplätze auch in der Zukunft zu sichern?

    (Lachen bei der CDU/CSU. — Zurufe.)

    — Ich würde darüber nicht lachen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich würde nicht lachen, meine Herren von der CDU, wenn von der Sicherheit der Arbeitsplätze die Rede ist.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Rawe: Er merkt noch nicht einmal, über wen gelacht wird! — Weitere lebhafte Zurufe von der CDU/ CSU.)

    Ich sage noch einmal: Es ging darum, was jetzt notwendig und möglich war,

    (Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU — Glocke des Präsidenten)

    um die Arbeitsplätze auch in der Zukunft zu sichern, um zu mehr Preisstabilität zurückzufinden und um die Voraussetzungen dafür zu schaffen.

    (Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Sie sollten lernen, sich dem Bundeskanzler gegenüber so zu benehmen,

    (Beifall bei den Regierungsparteien — Lachen und lebhafte Zurufe von der CDU/CSU)

    wie die Fraktionen der Mehrheit sich Ihren Sprechern gegenüber benommen haben.

    (Abg. Wehner: Das dürfen Sie von denen nicht erwarten!)

    Ich habe im Protokoll nachgelesen — —

    (Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Mich bringen Sie nicht vom Rednerpult weg; damit wir uns klar verstehen.

    (Abg. Wehner: Sehr gut!)

    Ich habe im Protokoll nachgelesen, daß Herren aus Ihrer Fraktion den Bundeskanzler neulich 48 mal in einer Rede unterbrochen haben. Das ist nicht in Ordnung, meine Damen und Herren.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    Das wird Ihnen draußen auch nicht abgenommen. Das trägt nicht zur sachlichen Auseinandersetzung in diesem Hause bei.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU.)

    Es geht darum, neben der Sicherheit der Arbeitsplätze auch für die Zukunft, neben dem Zurückfinden zu mehr Preisstabilität, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß wir uns stärker als bisher der inneren Reformen annehmen können.
    Nun kann man sagen: Die Regierung hätte entsprechende Maßnahmen schon früher treffen müssen.

    (Zurufe von der CDU/CSU: So ist es! Sehr richtig!)

    Darüber kann man reden. Warum nicht? Nur werden mir alle seriösen Kritiker zugeben müssen: Es gibt auf diesem Gebiet keine Gesetze, die mit denen der exakten Naturwissenschaften vergleichbar sind. Das weiß doch jeder von Ihnen. Wann ist es zu früh, wann ist es zu spät? Jeder Kundige bei Ihnen weiß, daß es sehr gewichtige Stimmen gab, die uns — Sie wissen es doch so gut wie ich! — auch jetzt gesagt haben: „Wartet lieber noch ab, verschiebt eure Entscheidung zumindest bis in den Herbst."

    (Abg. Dr. Müller-Hermann: Ich denke, Sie haben einen Wirtschaftsminister! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    Das haben wir nicht getan. Wir haben den Zeitpunkt jetzt für richtig gehalten — Herr Schiller hat das begründet —, und keiner wird sagen wollen, keiner wird verantworten wollen zu sagen, auch wenn er dieser Regierung noch so kritisch gegenübersteht, es sei zu spät.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das werden wir sehen!)

    — Na, ich würde bei dem bleiben, was ich sage.
    Ich bin froh, daß unsere Entscheidung in enger Fühlungnahme mit der Deutschen Bundesbank erfolgen konnte.
    Herr Kollege Stoltenberg, ich kann mich noch aus dem vergangenen Jahr an viele Monate quälender Passivität und eines lähmenden Gegeneinanders erinnern. Die heutige Konstellation ist mir lieber. Denn es ist ein Vorteil, wenn Bundesregierung und Bundesbank an einem Strang ziehen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Lachen und Zurufe von der CDU/CSU.)

    Ich hoffe, daß sich dies auch auf dem Gebiet auswirken wird, für das die Bundesbank ihre besondere Verantwortung zu tragen hat, d. h., daß wir
    zu einem niedrigeren Zinsniveau kommen werden.
    Nun wird gesagt, wir hätten nicht nur früher entscheiden sollen, sondern wir hätten jetzt zuwenig, über zuwenig entschieden. Wer so argumentiert, der muß, bitte, deutlicher werden als bisher.

    (Abg. Dr. Stoltenberg: Das ist bisher geschehen! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Auf den Haushalt komme ich gleich zurück, Herr Kollege Stoltenberg. Jetzt geht es um die Frage — wenn man keine „halben Sachen" will, um Sie zu zitieren —, welche Leistungen der Steuerzahler und welche Opfer der Arbeitnehmer, des Mittelstandes und anderer diejenigen vorgesehen haben, die sagen, wir hätten zuwenig entschieden. Ich meine,



    Bundeskanzler Brandt
    daß diese Debatte gewinnen würde, wenn hierauf eine klare Antwort gegeben würde.

    (Abg. Dr. Müller-Hermann: Die hat Herr Stoltenberg eben erteilt! — Zuruf von der CDU/CSU: Der Haushalt!)

    — Haushalt kommt, warten Sie doch bitte! -

    (Zuruf von der CDU/CSU: Ja, das ist das Entscheidende!)

    — Herr Kollege Stoltenberg muß zu einem Punkt — nicht nur zu einem, sondern auch zu dem, zu dem ich jetzt spreche — einem Irrtum erlegen sein; denn ich kann nicht annehmen, daß er etwas Falsches hat sagen wollen. Er hat in Verbindung mit der Auseinandersetzung um die letzten Landtagswahlen behauptet, ich hätte in diesem Landtagswahlkampf Steuersenkungen versprochen

    (Zuruf von der CDU/CSU: Ja, natürlich! — Weitere Zurufe von der Mitte)

    und statt dessen habe die Regierung durch dieses Paket oder einen Teil dieses Paketes nun das Steueränderungsgesetz unbefristet hinausgeschoben. Das ist ein Irrtum, Herr Kollege Stoltenberg, dieses Thema war nicht ein Thema der letzten Landtagswahlen, sondern, wie jeder weiß, Bestandteil des Regierungsprogramms,

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    abgeleitet aus den Programmen, mit denen die Parteien nicht in die Landtagswahlen des Jahres 1970, sondern in die Bundestagswahlen des Jahres 1969 gegangen waren.

    (Lachen bei der CDU/CSU.) Das ist ein großer Unterschied.


    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    Hier ist etwas Falsches behauptet worden. Ich muß mich dagegen wehren.

    (Abg. Leicht: Sie hatten doch einen Termin verschoben!)

    Ich muß dieses als eine plumpe Ablenkung von der wirklichen Situation bezeichnen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Die im Steueränderungsgesetz vorgesehenen Maßnahmen — betreffend Arbeitnehmerfreibetrag, betreffend Ergänzungsabgabe —,

    (Zurufe von der CDU/CSU: Das sind doch Steuersenkungen!)

    ich sage es noch einmal, sind nicht im Landtagswahlkampf versprochen worden.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Ja!)

    — nein! — (erneute Zurufe von der CDU/CSU: Ja!)

    — nein! —

    (weitere Zurufe von der CDU/CSU Abg. Stücklen meldet sich zu einer Zwischenfrage)

    — nein, ich möchte jetzt meine Auffassung ebenso in Ruhe darlegen, wie es Herr Stoltenberg getan hat —,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr unangenehm!)

    sondern sie stellen, ich sage es noch einmal, einen Programmpunkt der Regierungserklärung dar, und zu diesem Programm gehören die erwähnten Maßnahmen weiterhin. Die Bundesregierung hat keinerlei Zweifel darüber gelassen, daß an diesen Maßnahmen, auch wenn sie zunächst unter konjunkturpolitischen Gesichtspunkten zeitlich hinausgeschoben werden müssen, festgehalten wird.
    Nun, meine Damen und Herren, wird leichthin von Steuererhöhungen gesprochen, wo es sich in Wirklichkeit um rückzahlbare Konjunkturzuschläge handelt.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Und die Geldabwertung? — Und die Abschreibung?)

    Die damit beabsichtigte Stillegung von Kaufkraft trifft sich durchaus mit Vorstellungen der CDU/ CSU-Fraktion, so daß die Kritik daran eigentlich schwer verständlich erscheint.

    (Abg. Köppler: Nur haben wir das vorher gesagt!)

    Es ist richtig, daß ein früherer Vorschlag des CDU-Präsidiums vom Mai dieses Jahres etwas andere Modifikationen vorsah, nämlich marktgerechte Verzinsung von freiwilligen Steuervorauszahlungen.

    (Abg. Stücklen: Freiwilligen!)

    Die Bundesregierung hält es im Gegensatz dazu nicht für erforderlich, ihre Stabilitätspolitik in dieser Weise am freien Markt zu handeln. Dafür ist die Einsicht unserer Mitbürger in die Notwendigkeit der getroffenen Maßnahmen und ihr Interesse an einer wirksamen Stabilisierungspolitik groß genug.
    Die Bundesregierung hat ihre Beschlüsse zur Ausgabenpolitik in den kommenden Jahren auf der Grundlage des von ihr vorgelegten umfassenden Stabilisierungsprogramms gefaßt, und die Bundesregierung ist der Meinung, meine Damen und Herren, daß unseren Mitbürgern mit einer Stabilisierungspolitik, die den ungeschmälerten Fortgang im Ausbau der öffentlichen Infrastruktur unberührt läßt, besser gedient ist, als mit einer Politik, die Inflationsängste anheizt und die inneren Reformen wieder liegen läßt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich habe im Entwurf des neuen Programms der Christlich-Sozialen Union folgenden Abschnitt gelesen:

    (Zuruf von der CDU/CSU: Zur Sache, bitte!)

    Soweit die wachsenden Einnahmen des Staates nicht für die Finanzierung unserer vorrangigen Reformvorhaben ausreichen, ist ein steigender Anteil der öffentlichen Hand am Bruttosozialprodukt in einem sozial und gesamtwirtschaftlich vertretbaren Ausmaß notwendig.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)




    Bundeskanzler Brandt
    Wenn das heute noch nicht konkretisiert werden kann, so wird das gewiß zu einem späteren Zeitpunkt von den Kollegen der Union geschehen.

    (Abg. Köppler: Allerdings! Da können Sie sicher sein!)

    Wir haben uns bekanntlich in dem Stabilitätsprogramm, das die Regierung am Montag verabschiedet hat, darauf beschränkt, die zweite Stufe der Ergänzungsabgabe vorweg vorzusehen, um dem Haushalt auf diese Weise Mittel für die Bildungsfinanzierung zufließen zu lassen. Und das ist kein Mangel an Konzeption, Herr Kollege Stoltenberg; denn es wäre falsch gewesen, diese Quelle zunächst einmal zu verschütten oder versiegen zu lassen.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    Ich würde es begrüßen, wenn auch über dieses Haus hinaus Schluß gemacht würde mit der Irreführung,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wer hat hier irregeführt?)

    die darin besteht, daß man unser Volk die europäischen und weltwirtschaftlichen Zusammenhänge nicht hinreichend erkennen läßt.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir leben nicht für uns allein. Wir sind keine — und können es nicht sein — Insel der Stabilität.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Aus der Vorlage erkennt man das aber nicht!)

    Wir sind nicht unabhängig von dem, was andere ) tun oder was sie unterlassen zu tun. Die Preise — ob Sie etwas anderes behaupten oder nicht — sind anderswo leider noch stärker gestiegen als bei uns.

    (Abg. Stücklen: Das ist doch kein Trost für uns!)

    — Da haben Sie völlig recht, Herr Stücklen, das ist kein Trost, und es darf uns nicht zum Nichtstun verleiten. Darin sind wir uns einig.

    (Demonstrativer Beifall bei der CDU/CSU. — Beifall bei Abgeordneten der Regierungsparteien.)

    Ein Blick in die westliche Welt zeigt, daß es die Gefahr einer kombinierten Stagnation und Geldentwertung abzuwenden gilt. Das ist nicht die Aufgabe einer Partei, das ist eine nationale Aufgabe.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zustimmung bei der CDU/CSU. — Abg. Köppler: Das sagen wir doch seit Monaten!)

    Man kann dieser Regierung viel vorwerfen,

    (demonstrativer Beifall bei der CDU/CSU)

    aber nicht, daß sie vor unpopulären Maßnahmen und Fragestellungen zurückschrecke.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Köppler: Genau das! — Abg. Dr. MüllerHermann: Eine Regierung der Gefälligkeitspolitik! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    In diesem Augenblick sind nicht nur linksradikale
    Agitatoren am Werk, um in den Betrieben und
    anderswo Unruhe zu stiften. Sie werden keinen
    Erfolg haben. Davon bin ich überzeugt. Aber zugleich gibt es die ernst zu nehmenden Fragen — —

    (Zuruf der Abg. Frau Kalinke.)

    — Ich würde auch hier, verehrte Frau Kollegin, nicht den Eindruck aufkommen lassen, als ob das Thema, über das ich eben jenseits aller parteipolitischen Polemik sprach, in der Mitte des Hauses nicht ernst genommen würde.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Althammer: Die Internationale im Kanzleramt!)

    Es gilt zugleich, all das ernst zu nehmen, was an Fragen von soliden Belegschaften und ihren Betriebsräten in diesen Tagen auf uns zugekommen ist. Es gibt die ernsten Einwände und die kritischen Hinweise der Gewerkschaften. Dazu möchte ich in diesem Augenblick dreierlei sagen.
    Erstens. Es ist meiner Überzeugung nach nicht zutreffend, daß die vorgesehenen Maßnahmen unzumutbar und unausgewogen seien. Sie sind so angelegt, daß der sozialen Ausgeglichenheit Rechnung getragen wird: durch die Sozialgrenze ab 100 DM Steuerschuld im Monat, dadurch, daß die Ergänzungsabgabe für die höheren Einkommen weitere vier Jahre gilt und auch durch die Koppelung mit der degressiven Abschreibung.
    Zweitens. Die Steuervorauszahlungen von 10 % der Steuerschuld — nicht des Einkommens, wie Demagogen im Lande behaupten — werden zurückerstattet. Darauf kann sich jeder verlassen. Wenn wir echte Steuererhöhungen für notwendig hielten, würden wir dies sagen, begründen und dafür einstehen. Daß man sich auf das verlassen kann, was wir sagen, haben alle im Falle des Krankenkassenbeitrages der Rentner feststellen können.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Leicht: Das macht das Beispiel des Arbeitnehmerfreibetrages deutlich!)

    In der Großen Koalition haben die Sozialdemokraten als Teil eines Programms zur Ordnung der Staatsfinanzen sogar eine Belastung der Rentner mitgemacht. In der veränderten Lage hat die jetzige Koalition diese Belastung aufgehoben, und zwar durch die Beschlüsse dieses Hauses rückwirkend ab 1. Januar.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    Drittens. In den Vorschlägen, die jetzt von den Gewerkschaften und aus den Betrieben aus verschiedenen Zweigen der Wirtschaft kommen, steckt viel Wichtiges und Beachtenswertes. Ich denke dabei nicht nur an die besorgniserregende Entwicklung der Mieten. Es steckt in dem, was uns in diesen Tagen durch Gespräche und durch Briefe auf den Tisch kommt, viel, worauf man wird zurückkommen müssen. Nur müssen sich bitte alle draußen im Lande darüber im klaren sein, was jetzt zu entscheiden ist und was in der Folge zu bedenken bleibt. Aber alle Anregungen, die aus den Erörterungen dieser Tage erwachsen, werden sorgfältig geprüft und im Rahmen des Möglichen berücksichtigt.



    Bundeskanzler Brandt
    Inzwischen werden alle Beteiligten gut daran tun, den Rat zu befolgen, der dahin geht, daß wir alle miteinander dafür sorgen sollten, daß wir ohne Gefährdung des Wachstums zu mehr Stabilität und damit auch zu einer Beruhigung der Preise gelangen.
    Nun wird gesagt — und der Kollege Stoltenberg hat darauf einen wesentlichen Teil seiner Redezeit verwendet —, wir hätten gestern im Kabinett keinen Haushaltsplan für 1971 verabschieden dürfen, der eine Steigerung der Ausgaben vorsieht.

    (Unruhe bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Stoltenberg: Von 12 %! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU: 12 %!)

    Ich meine, über den Haushalt 1971 und über die mittelfristige Finanzplanung 1972/73/74 wird sehr eingehend und ernsthaft zu reden sein, wenn der Bundesfinanzminister den Haushalt hier im September einbringt.

    (Abg. Stücklen: Das ist doch in der Presse bekanntgegeben!)

    Dann geht es um den Haushalt; heute geht es um das stabilitätspolitische Programm.

    (Unruhe und lebhafter Widerspruch bei der CDU/CSU. — Abg. Weber [Heidelberg] : Unglaublich, so etwas! — Abg. Köppler: Schöne Demokratie ist das! — Zuruf von der CDU/CSU: Der hat doch keine Ahnung!)

    Und dann wird man sehen

    (anhaltende Unruhe — Abg. Dr. Luda: Keine Ahnung! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — ich habe Zeit —

    (Abg. Köppler: Herr Bundeskanzler, wir lassen uns nicht vorschreiben, was wir wann diskutieren!)

    ich sage, dann wird man sehen,

    (Abg. Dr. Müller-Hermann: Haben Sie den Zusammenhang immer noch nicht erkannt? — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Der versteht ja nichts davon!)

    daß es gute Gründe für steigende Ausgaben gibt, und man wird sehen, daß sie gedeckt werden können.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Und die Inflation?)

    Übrigens, Herr Stoltenberg: Wir sind alle nicht ganz sicher, daß wir nicht manchmal Informationen erhalten, die sich als nicht voll richtig erweisen.

    (Lachen bei der CDU/CSU. — Zuruf von der CDU/CSU: Bielefeld!)

    Ihre Informationen darüber, daß im Kabinett über die Verabschiedung des Haushalts mit Mehrheit entschieden worden sei, ist falsch.

    (Abg. Dr. Stoltenberg: Das habe ich nicht gesagt! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU: Das hat er gar nicht gesagt!)

    Das Kabinett hat einstimmig über diesen Haushalt entschieden.

    (Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)



Rede von Kai-Uwe von Hassel
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    Bitte sehr!

    (Abg. Stücklen: Diese Zwischenfrage ist Ihnen wohl nicht unangenehm, während meine für Sie wohl unangenehm war?)