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ID0606200800

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    Deutscher Bundestag 62. Sitzung Bonn, Freitag, den 10. Juli 1970 Inhalt: Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Tobaben und Borm 3443 A Amtliche Mitteilungen 3443 A Erweiterung der Tagesordnung 3444 B Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Dr. Schiller, Bundesminister 3444 C Entwurf eines Gesetzes über die Erhebung eines rückzahlbaren Konjunkturzuschlags zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer (SPD, FDP) (Drucksache VI/ 1017) —Erste Beratung — in Verbindung mit Zweite Verordnung über steuerliche Konjunkturmaßnahmen (Drucksache VI/ 1013) und mit Antrag der Fraktion der CDU/CSU betr. konjunkturpolitische Dämpfungsmaßnahmen (Drucksache VI/1025 [neu]) Mertes (FDP) 3447 D Dr. Stoltenberg (CDU/CSU) 3450 C Brandt, Bundeskanzler 3456 A Junghans (SPD) 3460 B Kienbaum (FDP) 3462 C Höcherl (CDU/CSU) 3463 D Dr. Schellenberg (SPD) . 3466 B, 3467 D Nächste Sitzung 3468 C Anlagen: Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten 3469 A Anlage 2 Stellungnahme des Bundesrates zum Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1970 (Hauhaltsgesetz 1970) 3469 C Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. Juli 1970 3443 62. Sitzung Bonn, den 10. Juli 1970 Stenographischer Bericht Beginn: 9.01 Uhr
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Abelein 11. 7. Dr. Achenbach * 11.7. Adams * 11.7. Dr. Aigner * 11. 7. von Alten-Nordheim 11. 7. Dr. Artzinger * 11.7. Baier 11.7. Dr. Barzel 11.7. Dr. Becher (Pullach) 11.7. Behrendt * 11.7. Benda 11.7. Dr. Burgbacher * 11. 7. Dr. Czaja 11.7. Dr. Dittrich * 11. 7. Dichgans * 11. 7. Dröscher * 11.7. Faller * 11.7. Fellermaier * 11. 7. Flämig * 11.7. Dr. Furler * 11. 7. Gewandt 11. 7. Gerlach (Emsland) * 11.7. Dr. Gradl 11.7. Haage (München) * 11. 7. Dr. Hein * 11. 7. Frau Dr. Henze 11. 7. Dr. Hupka 11.7. D. Jahn (Braunschweig) * 11. 7. Klinker * 11.7. Katzer 11.7. Dr. Kley 11.7. Dr. Koch * 11.7. Frau Krappe 11.7. Kriedemann * 11. 7. Frau Dr. Kuchtner 11. 7. Lange * 11. 7. Lautenschlager * 11. 7. Leisler Kiep 11. 7. Lemmer 11. 7. Lenze (Attendorn) 11.7. Liehr 11.7. Dr. Lohmar 11. 7. Dr. Löhr * 11.7. Lücker (München) * 11.7. Meister * 11. 7. Memmel * 11.7. Müller (Aachen-Land) * 11.7. Ollesch 11.7. Frau Dr. Orth * 11. 7. Picard 11.7. Pieroth 11.7. Porzner 11. 7. Richarts * 11.7. Riedel (Frankfurt) * 11.7. Schmidt (Braunschweig) 11. 7. Schmidt (Würgendorf) 11.7. Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Schwabe * 11.7. Schröder (Wilhelminenhof) 11. 7. Dr. Schwörer * 11. 7. Seefeld * 11.7. Springorum * 11.7. Dr. Starke (Franken) * 11.7. Frau Dr. Walz 11. 7. Dr. Freiherr v. Weizsäcker 11. 7. Werner * 11.7. Wolfram * 11. 7. Dr. Wörner 11. 7. Wohlrabe 11.7. Anlage 2 Anlage zum Schreiben des Präsidenten des Bundesrates vom 26. Juni 1970 an den Bundeskanzler Stellungnahme des Bundesrates zum Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1970 (Haushaltsgesetz 1970) a) Der Bundesrat hält die Ermächtigung an den Bundesminister der Finanzen, eine „Bildungsanleihe" bis zur Höhe von 1 Milliarde DM aufzunehmen, allein nicht für geeignet, das Problem der Bildungsfinanzierung zu lösen. Es geht bei der Bildungsfinanzierung nicht darum, einen einmaligen investiven Nachholbedarf zu finanzieren, sondern es müssen vor allem die progressiv wachsenden Folgekosten, die Länder und Gemeinden zu tragen haben, finanziell gesichert werden. Im übrigen geht der Bundesrat davon aus, daß von der Anleiheermächtigung nur dann Gebrauch gemacht wird, wenn die Verhältnisse am Kapitalmarkt eine solche Anleihe zulassen und wenn außerdem die Anleihebedürfnisse der übrigen öffentlichen Gebietskörperschaften ausreichend berücksichtigt werden. b) Der Bundesrat bedauert, daß die Bundesregierung die verfügte Aussetzung der Frachthilfe für die Beförderung von Steinkohle ab 10. Februar 1970 nicht rückgängig gemacht hat. Er bittet die Bundesregierung, im weiteren Vollzug des Bundeshaushalts alles zu unternehmen, um die Fortsetzung der Steinkohlefrachthilfe zu ermöglichen. *) Für die Teilnahme an einer Sitzung des Europäischen Parlaments 3470 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. Juli 1970 Der Bundesrat bedauert, daß seine Forderung, im Bundeshaushalt 1970 einen Ansatz von 100 Millionen DM für Investitionshilfen gemäß Art. 104 a Abs. 4 GG zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft oder zur Förderung des wirtschaftlichen Wachstums auszubringen, bei den Beratungen im Deutschen Bundestag unberücksichtigt geblieben ist. Durch gezielten Einsatz derartiger Finanzhilfen hätten strukturpolitisch wichtige Maßnahmen, auf die nach den Grundsätzen des Konjunkturrats vom Januar 1969 Konjunkturdämpfungsmaßnahmen nicht angewendet werden sollen, insbesondere in Problemgebieten leistungsschwacher Länder im Interesse eines stabilitätskonformen Wachstums ermöglicht werden können. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, im Rahmen der Haushaltsberatungen für 1971 und der Fortschreibung der Finanzplanung zu prüfen, ob und in welchem Umfang die Gewährung von Investitionshilfen nach Art. 104 a Abs. 4 GG ab 1971 notwendig und möglich ist.
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    Rede von Dr. Gerhard Stoltenberg


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen haben diese Sondersitzung des Bundestages in der Ferienzeit beantragt, um jetzt konjunkturpolitische Entscheidungen zu beraten und zu treffen. Seit über sechs Monaten forderten maßgebende Stimmen der deutschen Öffentlichkeit die Regierung mit wachsender Eindringlichkeit auf, zu handeln und ein wirkungsvolles Gesamtprogramm für die Sicherung des gefährdeten wirtschaftlichen Gleichgewichts und der Stabilisierung der Preise vorzulegen. Fünfzehn Sitzungswochen des Parlaments und fünf konjunkturpolitische Debatten sind seit Anfang dieses Jahres verstrichen, ohne daß der Bundeskanzler zu bewegen war, aus seiner Haltung staatsmännischer Tatenlosigkeit herauszutreten

    (lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    und die Zügel in die Hand zu nehmen. Immer wieder sind wir in diesen Diskussionen der vergangenen Monate von der Regierungsbank aus und von der sozialdemokratischen Fraktion der Schwarzmalerei, der Panikmache und der Beunruhigung friedlicher und zufriedener Bürger geziehen worden,

    (Zustimmung bei der CDU/CSU — Sehr wahr! bei der .SPD)

    als wir mit anderen warnend auf die wachsenden Spannungen und die Gefahren verwiesen haben, der geeignete Zeitpunkt könne verpaßt werden.
    Wir verzichten darauf, diese Zitate unserer Kritiker im einzelnen nochmals vorzutragen, obwohl dies verlockend wäre. Sie würden angesichts der heutigen Vorlage und ihrer Begründung durch die Kollegen Schiller und Mertes manchem in diesem Hause nicht sehr angenehm im Ohr klingen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    In seiner dritten Ferienwoche soll nun der Bundestag nach dem Willen der Koalition das lang Versäumte im Eiltempo nachholen. Am Montagnachmittag dieser Woche erfuhren wir von dem Plan, bereits am Sonnabend den jetzt vorliegenden Gesetzentwurf in dritter Lesung zu verabschieden. Am Dienstagnachmittag hat uns die Bundesregierung von ihrem Sechs-Punkte-Programm unterrichtet, das heute und morgen zur Entscheidung ansteht. Denn, meine Damen und Herren — ich möchte das ganz deutlich zu Beginn unserer Aussprache sagen —, wir stimmen hier nicht nur über den vorliegenden Gesetzentwurf ab, wir treffen damit ein politisches Votum über alle sechs Punkte des Kabinetts, und wir müssen dabei zugleich auch jene von der Regierung nicht einbezogenen Elemente staatlichen Handelns mitbewerten,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    von denen der weitere Konjunkturverlauf, Erfolg oder Mißerfolg der jetzt vorgeschlagenen Maßnahmen maßgeblich mitbeeinflußt werden.



    Dr. Stoltenberg
    Wir haben, soweit dies bei dem doch recht eigentümlichen Verfahren und in der Kürze der genannten Fristen überhaupt möglich war, versucht, in einer kritischen Analyse diese Faktoren richtig zu bewerten. Die sachliche Beurteilung, die ich im einzelnen kurz begründen werde, ist für unser Votum bestimmend, aber wir können doch nicht umhin, zunächst einiges Nähere zu der Vorgeschichte dieser Vorlage und unserer jetzigen Beratungen zu sagen.
    Wenn die unzulängliche, die peinliche Art, mit der die Vorschläge des Sachverständigenrates, der Bundesbank, auch des Wirtschaftsministers, der CDU/CSU und vieler anderer zur Stabilitätspolitik so lange nicht ernsthaft behandelt, sondern verschleppt und abqualifiziert wurden, so ist das nicht nur eine Frage des politischen Stils;

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    sondern es ist heute, im Juli, in einer relativ späten Phase des Konjunkturzyklus auch in der Sache schwieriger, die Wirkungen einzuschätzen, als dies im Januar, Februar oder noch im April der Fall gewesen wäre.

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)

    Diese Einsicht hat ja auch, wie wir hören, die Beratungen im Lager der Koalitionsfraktionen offensichtlich nicht ganz leicht gemacht und jedenfalls Manchem die Entscheidungen erschwert.
    Die Bedenkenlosigkeit, mit der der sozialdemokratische Parteivorsitzende, Herr Brandt, noch unmittelbar vor den Landtagswahlen am 14. Juni gegen den dringenden Rat vieler Fachleute innerhalb und außerhalb seiner Regierung den Bürgern Steuersenkungen versprochen hat, mußte den Widerstand gegen befristete Steuererhöhungen bei den Betroffenen in vielen Organisationen und Verbänden verstärken.

    (Beifall und Zurufe von der CDU/CSU.)

    Sie hat, wie wir in den ersten Reaktionen dieser Tage spüren, ihre Bereitschaft, den neuen, ganz anderen Argumenten dieser in ihrer politischen und moralischen Glaubwürdigkeit schwer erschütterten Regierung zu folgen, vermindert. Das haben manche Reaktionen der letzten Tage klargemacht, nicht zuletzt auch Stimmen aus dem Lager der Gewerkschaften. Die Regierung hat ihre wichtigste Aufgabe, in einer zweifellos schwierigen politischen Situation zu einer kontinuierlichen, intellektuell überzeugenden und redlichen Orientierung für die öffentliche Meinungsbildung zu kommen, nicht gemeistert.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Herr Kollege Schiller hat heute versucht, an Hand alter Zitate aus Berichten der Regierung in den ersten Monaten dieses Jahres darzustellen, daß es schon damals Hinweise für eine aktive Stabilitätspolitik gegeben habe. Nun, eine Regierung, die sich in ihren Berichten und auch in ihren führenden Exponenten so häufig widerspricht wie diese, wird auch bei der unerwartetsten Wendung irgendwo in den alten Archiven noch ein Zitat finden, das diese neue Linie abdeckt.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

    Es bleibt dem Bundeskanzler vorbehalten, hier seinen Sinneswandel überzeugender zu begründen, als er es in den letzten Tagen in der Öffentlichkeit tat. Mittwoch hat er dem deutschen Volke erklärt, die steuerlichen Belastungen sollten der Sicherung der Stabilität und der Arbeitsplätze dienen. Am 1. Mai klang es in Dortmund wie auch bei vielen folgenden Gelegenheiten vor den Landtagswahlen ganz anders. Damals, vor zehn Wochen, sagte Herr Brandt, daß härtere Dämpfungsmaßnahmen von manchen Leuten gefordert würden, um uns eine zweite Talfahrt zu bescheren.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

    Das ist die nun schon hinreichend bekannte Methode dieser neuen Regierung, Vorschläge der CDU/CSU zu verketzern und wenige Wochen später ähnliche Initiativen der Regierung, die dem gleichen Ziel dienen sollen, dann als verantwortungsbewußte Aktion zu feiern.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir möchten es gern deutlicher und überzeugender hören: Welche neuen Einsichten haben nun zu dieser Umwertung der Ziele und diesem Kurswechsel wirklich geführt?

    (Zurufe von der CDU/CSU: Wahlen!)

    Wir nehmen mit sehr vielen Kommentatoren dieser Tage bis zum Beweis des Gegenteils an, daß es eine seit dem 14. Juni erheblich veränderte Einschätzung des Wählerverhaltens war

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    und nicht die sehr geringfügigen letzten Schattierungen in den Konjunkturdaten, die nun doch, Herr Kollege Schiller und Herr Kollege Mertes, als ein reichlich dürftiges Alibi dienen sollen. Für was muß der gute, alte Ifo-Konjunkturtest eigentlich in den kommenden Jahren noch herhalten?, kann man nach manchen Äußerungen und Bezugnahmen auf ihn für völlig verschiedene und entgegengesetzte Absichten heute nur fragen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die Antwort des Bundeskanzlers auf genau diese Frage in seiner Pressekonferenz vom 8. Juli möchte ich dem Hohen Hause doch nicht vorenthalten. Die Frage lautete: „Herr Bundeskanzler, worauf ist eigentlich der Wandel in der Konjunkturpolitik zurückzuführen?" Der Bundeskanzler hat den Journalisten dann geantwortet: „Wollen Sie das nicht Herrn Schiller überlassen?"

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

    Vielleicht hätte er diesen Grundsatz schon etwas eher befolgen sollen.

    (Erneute Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich zitiere weiter:
    Wir haben es
    — so sagte der Bundeskanzler —— das gilt nicht nur auf diesem Gebiet — mit
    zwei Faktoren zu tun. Wir haben es mit der



    Dr. Stoltenberg
    Lage zu tun und mit den Kräften, die sich auf die Lage einzustellen haben.

    (Lachen bei der CDU/CSU.)

    Da geht manches rascher, manches weniger rasch; manches geht in einer bestimmten Situation, was in einer anderen nicht geht. So einfach ist das.

    (Lachen und Beifall bei der CDU/CSU.)

    Klar, meine Damen und Herren, so einfach ist es für den Bundeskanzler.

    (Abg. Haase [Kassel] : Stammt das von Ehmke?)

    Aber man muß doch wohl fragen, ob er sich bei der Schicksalhaftigkeit dieser Frage der Stabilität für die soziale, wirtschaftliche und politische Zukunft unseres Volkes nicht etwas zu einfach macht.

    (Beifall 'bei der CDU/CSU.)

    Herr Schiller hätte die heutige Begründung für die Vorschläge der Regierung lieber im Februar gegeben. Sie wäre dann vielleicht etwas überzeugender ausgefallen. Es hätte dazu für ihn — wie für viele andere — nicht angeblich neuer Trends und Daten bedurft.
    Die Merheit des Kabinetts hat jedoch bis zum 14. Juni nicht nur die ökonomischen Faktoren, sondern auch das Stabilitätsbewußtsein der meisten deutschen Bürger völlig falsch eingeschätzt, nämlich ihre berechtigte Erwartung, daß alle Ziele des vielgepriesenen Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes ernstgenommen werden, und das Handeln der Regierung bestimmen. Die ebenso unzutreffende wie gefährliche Behauptung, langfristige Sicherheit der Arbeitsplätze und Preisstabilität seien Gegensätze, ist nun hoffentlich mit dem heutigen Tage für alle Zukunft aus dem Arsenal der Regierungsargumente verschwunden.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Sie ist übrigens mit der soeben in Deutschland veröffentlichten Studie von Professor Henry C. Wallich „Geldwertstabilität und Wirtschaftswachstum" erneut in einer eindrucksvollen empirischen wissenschaftlichen Untersuchung widerlegt worden.
    Meine Damen und Herren, drei der sechs Punkte der Bundesregierung entsprechen dabei ganz oder zumindest teilweise Forderungen, die wir seit Anfang dieses Jahres mit anderen vertreten. Die Regierung hat jetzt ausdrücklich beschlossen, daß der Bundeswirtschaftsminister am 17. Juli in der Konzertierten Aktion den Sozialpartnern die Entscheidung der Regierung darlegen und versuchen soll, sie für ein abgestimmteres Verhalten in ihren autonomen Dispositionen zu gewinnen. Wir meinen in der Tat, daß dies ein Kernpunkt für ein erfolgreiches Bemühen um Stabilität ist. Es kann sich nicht auf den Bund beschränken. Aber sein Handeln wird die Regierung nach so langer Untätigkeit und so vielen unschönen Winkelzügen erst wieder zu einem glaubwürdigen Gesprächspartner mit sachlicher Autorität werden lassen.
    Es gibt eben seit dem vergangenen Herbst keine Konzertierte Aktion, die diesen Namen verdient, weil der Wirtschaftsminister bisher immer mit leeren Händen kommen mußte. Es bleibt abzuwarten, ob die neuen Planungen der Regierung geeignet sind, das schwer erschütterte Vertrauen schrittweise wiederherzustellen und so auch in der Einkommens- und Preispolitik zu einem stabilitätsgerechteren Verhalten beizutragen.
    Wir müssen allerdings sagen, Herr Kollege Schiller, daß uns Ihre Interpretation dieser Bemühungen in der eben erwähnten Pressekonferenz vom 6. Juli auch nicht zufriedenstellt. Ich möchte hier Ihre Antwort auf eine ebenfalls sehr entscheidende Frage gern kurz zitieren. Vielleicht ist es möglich, die Dinge dann noch zu präzisieren. Sie sind gefragt worden: -
    Was spricht dagegen, solche Orientierungsdaten für die Konzertierte Aktion zu beschließen und vorzulegen?
    Sie haben dann geantwortet — ich zitiere —:
    Die Psychologie! Wir haben jetzt ein Paket beschlossen, das sicher von vielen in der gegenwärtigen Konjunkturphase als hart angesehen wird. Wir sollten erst einmal die immanente Kraft dieses Pakets in der Konzertierten Aktion sich auswirken lassen.
    Meine Damen und Herren, das bleibt doch weit hinter dem zurück, was Sie selbst auf Aufgabe der Konzertierten Aktion in den Jahren 1967/68 vertreten und praktiziert haben und was auch der Wortlaut des Stabilitätsgesetzes nach unserer Überzeugung in einer solchen Situation vorschreibt.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Damals hat es ganz andere Verhaltensweisen und Ziele gegeben. Ich zitiere noch einmal zum Vergleich aus dem Kommuniqué der ersten Konzertierten Aktion vom 2. März 1967. Da heißt es:
    Für das Jahr 1967 erkennen die Beteiligten die wirtschaftspolitischen Zielsetzungen der Bundesregierung an und sind bereit, diese Zielsetzungen durch ihre eigenen autonomen Entscheidungen zu unterstützen. Die Beteiligten sind sich darin einig, daß der Staat bei seinen Maßnahmen und die autonomen Gruppen bei ihren preis- und lohnpolitischen Entscheidungen diese Orientierungsdaten berücksichtigen sollen.
    Damals haben manche — auch aus unseren Reihen — gefragt, ob dies nicht etwas zu weit gehe in dem Eingriff in den legitimen Spielraum autonomer Gruppen. Aber heute müssen wir alle feststellen, daß das, was Sie auf dieser Pressekonferenz verkündet haben, hinter dem zurückbleibt, was die Lage erfordert.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die Bundesregierung hat die Beratung des Steueränderungsgesetzes 1970 nicht nur bis zum Herbst, sondern in eine ungewisse Zukunft verschoben. Das Schicksal dieser Vorlage, meine Damen und Herren, bietet nun allmählich genügend Stoff für eine abendfüllende Komödie.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)




    Dr. Stoltenberg
    Bei aller Komik, die hier Konzeptionslosigkeit und Führungsschwäche bewirkten, ist freilich auch nicht der schon erwähnte ernstere Hintergrund eines zunehmenden Mißtrauens gegen neue Aussagen und Versprechungen dieses Kabinetts schlechthin zu verkennen, der durch solche Aktionen verursacht wird. So war es sicherlich richtig, daß jetzt von der Regierung keine neuen Fristen für das Inkrafttreten und die Behandlung dieser Vorlage gesetzt wurden. Noch besser wäre es allerdings gewesen, sie ganz zurückzuziehen und die Fragen des Arbeitnehmerfreibetrags und der Ergänzungsabgabe völlig in den Zusammenhang der Steuerreform zu stellen, wo sich für die Arbeiter, die Angestellten, den Mittelstand und auch für die wichtigen Aufgaben der Bildungsfinanzierung auf Grund der noch ausstehenden Sachverständigengutachten für alle Beteiligten neue Gesichtspunkte ergeben dürften.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Was jetzt vom Kabinett ohne ein Konzept zur Steuerreform zu Einzelfragen, z. B. auch in der Verbindung von Ergänzungsabgabe und Bildungsfinanzierung beschlossen wurde, erweckt wieder einmal den Eindruck der wenig durchdachten Improvisation, die wir vor der großen Steuerreform jetzt alle vermeiden sollten.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Aber dieser fünfte Akt des Dramas einer erneuten Revision von Steuerbeschlüssen ist mit der jetzt vorgesehenen Behandlung keineswegs ausgeschlossen, vielleicht sogar erleichtert worden.
    Das Kabinett hat sich ferner für das von uns seit langem vertretene Ziel einer Umrüstung der Konjunkturpolitik ausgesprochen. Seit Februar haben wir immer wieder auf das gefährliche Mißverhältnis der Politik von Bundesbank und Bundesregierung hingewiesen: die zu starke einseitige Belastung durch den Diskont, zunehmende Strukturschäden und wachsende außenwirtschaftliche Probleme als Folgen der unzulänglichen Fiskalpolitik des Staates. Wir hören deshalb mit Interesse, daß die Koalition jetzt die sehr ernsten Gefahren dieser Disharmonie offenbar nicht mehr bagatellisiert, sondern sie zugibt und in Konsultationen mit dem Zentralbankrat durch staatliche Maßnahmen in absehbarer Zeit zu einer Senkung der Zinsbelastung gelangen möchte. Neben den Folgewirkungen für die Entscheidungen der Sozialpartner, die eben noch nicht übersehbar sind, ist dies fraglos ein ganz zentraler Punkt für die Bewertung der vorgesehenen steuerlichen Maßnahmen.
    Die Regierung kann jedoch bei dem jetzt nach zu
    langer Passivität plötzlich eingeschlagenem Tempo
    offenbar nicht davon ausgehen, daß sich die Bundes-
    bank in der Lage sieht, sehr bald zu einer Senkung
    des Diskontsatzes zu kommen. Pressemeldungen aus
    Frankfurt und die Berichte über die Ausführungen
    von Herrn Emminger vor der OECD lassen es als
    sehr ungewiß erscheinen, ob diese erhoffte Wirkung
    eintritt. Dabei dürfte auch die von der Bundesbank
    mehrfach geäußerte harte Kritik am Haushaltsgebaren der öffentlichen Hände eine Rolle spielen,
    das durch die gestrigen Beschlüsse der Bundesregierung leider nicht erfreulicher und konjunkturgerechter wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Sie können also, Herr Kollege Schiller — ich möchte das im Anschluß an unsere letzte Debatte hier sagen —, heute die sehr wesentliche Frage nicht beantworten, ob die vorgesehenen steuerlichen Maßnahmen der Bundesregierung in den kommenden Wochen und Monaten additiv zu der Hochzinspolitik der Bundesbank treten — das eine der vier von Ihnen genannten Modelle — oder ob sie die Bundesbank jetzt in den Stand setzen, den Diskontsatz unverzüglich herabzusetzen. Damit bleibt aber eine ganz wesentliche Unbekannte in der Abstimmung dieses Hauses heute und morgen.
    Wir verstehen es, daß sich die Meinungsbildung im Zentralbankrat nicht in den gleichen asymmetrischen Zyklen von Passivität und Hektik vollzieht, wie dies bei der Koalition der Fall ist und wie man es dem Parlament jetzt zumutet.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Aber es wäre gut, wenn die Regierung — jedenfalls
    etwas mehr, als es bisher geschah — präzisieren könnte, ob dieses Ziel der Umrüstung in den nächsten Wochen ein reales ist, oder ob damit gerechnet werden muß, daß die deutsche Wirtschaft und die deutschen Bürger in den kommenden Monaten die doppelte Belastung trifft.
    Das Kernstück der sechs Punkte sind die beiden steuerlichen Maßnahmen. Wir haben in den vergangenen Monaten wiederholt deutlich gemacht, daß wir dieses Instrument als Teil einer umfassenden, wirkungsvollen Stabilitätspolitik nicht ausschließen und entsprechende Vorschläge der Regierung sachlich prüfen werden. Freilich ist durch die Verschleppung der Entscheidung auf den Sommer 1970 gerade hier die Einschätzung der Wirkungen schwieriger geworden. Wir erkennen dies auch an den recht unterschiedlichen Reaktionen auf die Regierung, die nicht nur, Herr Kollege Schiller, unterschiedliche Interessenstandpunkte wiederspiegeln, sondern eben auch dieses Dilemma der außenordentlichen Schwierigkeit, in diesem Zeitpunkt die Folgen zu bewerten.
    Es stellt sich u. a. die Sachfrage, ob die Kombination von Vorauszahlungen bei der Lohn-, Einkommen- und Körperschaftsteuer mit der Aussetzung der degressiven Abschreibung nicht in erster Linie ein Ergebnis der völlig entgegengesetzten politischen Ausgangspositionen der beiden Koalitionsfraktionen ist, von denen die SPD noch bis vor kurzem jede steuerliche Belastung der Arbeitnehmer empört ablehnte, während die FDP hier immer wieder durch ihre Sprecher eine Erschwerung von Rationalisierungs- und Ausrüstungsinvestitionen als unannehmbar bezeichnete. Rein statistisch soll sich nach den Vorstellungen der Regierung in den kommenden elf Monaten eine Verminderung der Nachfrage um etwa 7 Mrd. DM ergeben. Wir alle wissen, wie schwer kalkulierbar dabei vor allem die Wirkungen einer Aussetzung der degressiven Abschreibung sind. Zunächst einmal, Herr Kollege Schiller, hat es in den beiden Wochen vor dem 6. Juli durch eine Art Vor-



    Dr. Stoltenberg
    ankündigungseffekt sicher einen neuen Höhepunkt an Bestellungen und Anzahlungen gegeben.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wie sich die Firmen in den kommenden Monaten in dieser Frage bei einer solchen Entscheidung, einer solchen Gesetzgebung verhalten, kann heute in der Tat niemand sagen.

    (Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Die Bundesregierung hätte das verhindern können!)

    Bei der Einkommensteuer bleibt abzuwarten, ob und inwieweit es unter dem Vorzeichen erneut steigender Preise zu einer Reaktion der Entsparung kommt. Es ist nun in der Tat — auch was diesen Zeitpunkt anbetrifft — ganz besonders unglücklich, daß die Steuerentscheidungen jetzt offensichtlich doch mit dem Anfang einer neuen Preiswelle zusammenfallen,

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    die von vielen Sachverständigen erst für den Herbst erwartet wurde und die von der Regierung in den letzten Wochen überhaupt bestritten wurde, für die es in den statistischen Veröffentlichungen der letzten Tage jedoch einige deutliche Anhaltspunkte gibt.
    Diese hier angedeuteten Sachfragen werden nach unserer Auffassung heute in den Ausschüssen noch gründlich zu erörtern und zu prüfen sein. Eines möchte ich jedoch ganz klar sagen. Wir können die Vorlagen der Regierung vor allem nur unter der Fragestellung bewerten, ob die Koalition sich hier
    und heute endlich zu einer stabilitätsgerechten Haushaltspolitik für die Jahre 1970 und 1971 entscheidet.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die Regierung ist mit ihren Vorschlägen aus der völligen Passivität herausgetreten. Aber sie bleibt zugleich durch die fehlende Integration der Haushaltspolitik in das Stabilitätskonzept bis jetzt auf halbem Wege stehen.

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)

    Die Bemühungen des Wirtschafts- und des Finanzministers, mit § 6 des Stabilitätsgesetzes nunmehr auch eine restriktivere Ausgabenpolitik für 1970 sicherzustellen, wurden von der Kabinettsmehrheit verworfen.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

    Herr Kollege Möller hat diesen § 6 zwar gestern im deutschen Fernsehen zitiert, aber das Kabinett hat ihm nicht die Ermächtigung gegeben, ihn anzuwenden. Das ist der wunde Punkt, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Damit kann nach Inkrafttreten des Haushaltsgesetzes 1970 in den kommenden Monaten ein neuer Nachfragestoß an Verpflichtungsermächtigungen und Zahlungen ausgelöst werden, der die Wirkung der vorgesehenen steuerlichen Belastungen zunichte macht.
    Noch bestürzender ist für uns freilich das Ergebnis der gestrigen Kabinettsberatungen über den Etat 1971. Wir wissen, daß innerhalb der Regierung ernsthaft ein Vorschlag zur Diskussion stand, für das kommende Jahr einen Kernhaushalt und einen Eventualhaushalt vorzulegen, wie es das Stabilitätsgesetz in einer, jetzt gegebenen Situation des Ungleichgewichts klar verlangt, um eine flexible, konjunkturgerechte Ausgabenpolitik sicherzustellen. Auch hier hat die Mehrheit des Kabinetts die klaren Vorschriften des Stabilitätsgesetzes mißachtet und die richtige Entscheidung verhindert, die einen neuen konjunkturpolitischen Kurs überhaupt erst glaubwürdig gemacht hätte.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die gestrige Ankündigung des Bundesfinanzministers, der Etat 1971 werde eine Steigerung von 12 % gegenüber den bereits überhöhten Ausgaben des Jahres 1970 bewirken, bringt einen schrillen Mißton in die neue Stabilitätsmelodie der Koalition.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Hier sollte man die Verantwortlichkeiten klar erkennen. Die Verantwortung liegt beim Bundeskanzler und beim Bundesfinanzminister, die in diesem Zusammenhang nach dem Gesetz besondere Rechte haben. Es wäre sicher ein Fehler, wenn wieder einmal der unglückliche Herr Ahlers für die schlechte Kommentierung in der heutigen Morgenpresse verantwortlich gemacht würde, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Der Herr Kollege Möller hat gestern in seiner Pressekonferenz eine neue, sehr gefährliche und falsche Alternative aufgebaut, diesmal nicht mehr Sicherheit der Arbeitsplätze und Stabilitätspolitik, sondern etwas anderes: die angebliche Entscheidung zwischen stabilitätsgerechter restriktiver Ausgabenpolitik einerseits und der Förderung der großen inneren Reformen andererseits. Meine Damen und Herren, was bewirkt denn die starke Ausweitung der Infrastrukturmaßnahmen für Bildung und Wissenschaft, für Gesundheit, Wohnungsbau und Verkehr, wenn wir weiterhin Preissteigerungen in der Bauwirtschaft von jährlich 20 bis 30 % haben sollten,

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    die den numerischen Zuwachs der Einzeletats, mit denen die Herren Ressortminister sich schmücken, doch faktisch zunichte machen und so 1970, und wenn es so weitergeht, auch 1971 in Wahrheit keine echte Steigerung der Investitionen ermöglichen?

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Was ist das für eine neue Finanzplanung, die unter dem aktuellen Vorzeichen der Überhitzung, des Ungleichgewichts die Ausgaben für 1971 um 12 % erhöhen will bei gleichzeitigen Steuerbelastungen für die Bürger in diesem Jahr 1971 und die in den folgenden Jahren, für die wir doch wohl alle eine ausgeglichenere Situation erwarten, dann Steigerungsraten von rund 8 % veranschlagt? Hier sind doch die elementarsten Erfordernisse einer dem Stabilitätsgesetz gerechten Finanzplanung gröblich mißachtet worden.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    In der Art, wie hier gehandelt und vom Finanzminister gestern gesprochen wurde, wird nun auch



    Dr. Stoltenberg
    die schicksalhafte Frage erneut bagatellisiert, ob wir durch einen neuen Stabilitätskurs wirklich den drohenden verhängnisvollen inflatorischen Prozeß aufhalten, eindämmen wollen und können oder ob mit der Regierung auch die autonomen Partner sich schließlich doch auf seine schreckliche Gesetzmäßigkeit der Eskalation, der Steigerung einstellen. Die wirtschaftlichen und psychologischen Wirkungen einer halbherzigen Stabilitätspolitik, die bei der Steuerpolitik jetzt in die Vollen geht, aber haushaltspolitisch nicht mitgeht, ja, teilweise gegensteuert, können nur negativ sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir wünschen nicht, meine Damen und Herren, daß die neue Steuerbelastung der Bürger im wesentlichen dazu dient, dem Staat für seine Ausgabenpläne einen größeren konjunkturpolitischen Spielraum zu verschaffen.

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)

    Steuer- und Haushaltspolitik müssen sich jetzt dem entscheidenden Ziel der Wiedergewinnung der Stabilität, der Bekämpfung der Inflation unterordnen. Beide müssen dies tun.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich stimme Herrn Kollegen Schiller zu, der gesagt hat: Stabilität kann weh tun. Das ist richtig; aber offenbar haben die Ressortminister gestern dafür gesorgt, daß sie nicht zu denen gehören, denen bei Ihren Plänen wehgetan wird, und das wird die Bürger noch etwas mehr schmerzen, als es diese vorgesehenen steuerlichen Entscheidungen ohnehin tun.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Weshalb mißachtet die Regierung weiterhin die eindeutigen Bestimmungen der §§ 5, 6, 7 und damit auch 19 des Stabilisierungsgesetzes, die der Kollege Möller doch noch im Jahre 1969 in seinem Kommentar, zweite Auflage, so eindrucksvoll erläutert hat?

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

    Weshalb kommt es auch jetzt nicht zu der dringend gebotenen, vom Finanz- und Wirtschaftsminister vor Monaten geforderten stärkeren Bildung einer Konjunkturausgleichsrücklage im Jahre 1970 und zu der von der Bundesbank verlangten Stillegung von Finanzierungsüberschüssen der Sozialversicherung, zu der auch der Verband deutscher Rentenversicherungsträger offensichtlich grundsätzlich bereit ist?
    Zu diesen Kernpunkten der Haushaltspolitik haben wir in unserem vorliegenden Antrag konkrete Einzelvorschläge gemacht, die in den Ausschüssen und bei der abschließenden Plenarberatung im einzelnen noch näher erläutert werden. Ich möchte aber hier schon ganz deutlich sagen, daß die schwere Entscheidung für befristete Steuererhöhungen uns nur dann vertretbar erscheint, wenn auch eine grundlegende Neuorientierung der Haushaltspolitik erfolgt, die den Bürgern dann auch den Preis der Stabilität bringt und nicht den Erfolg der neuen Maßnahmen aufs Spiel setzt.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

    Deshalb wird die Behandlung unseres Antrages zu
    den genannten Punkten für die abschließende Stellungnahme meiner Fraktion zu den Vorschlägen der Regierung, der Koalition, von ausschlaggebender Bedeutung sein.
    Wir halten darüber hinaus bestimmte Verbesserungen und Präzisierungen der Steuervorlagen für notwendig. Wir beantragen, daß die Rückzahlung des Konjunkturzuschlages spätestens bis zum 30. Juni 1972 erfolgt.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Durch die Verkürzung dieses Termins könnten die weitverbreiteten Befürchtungen vermindert werden, die versprochene Rückerstattung sei nicht gesichert. Außerdem wird der unangenehme, von der Koalition sicher nicht gewünschte Eindruck vermieden, der Zeitpunkt in ihrer Vorlage sei bewußt wenige Monate vor die nächste Bundestagswahl gelegt, um vielleicht durch eine größere Geldzahlung bei den Bürgern die vielen Enttäuschungen dieser Wahlperiode zu lindern.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

    Um den ganz besonderen Charakter dieser Steuervorauszahlung deutlicher zu machen und die eindeutige Verpflichtung zur fristgerechten Rückzahlung noch klarer festzulegen, beantragen wir ferner eine Jahresverzinsung des Konjunkturzuschlags von 6%.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren! Die Sozialdemokraten haben vor der letzten Landtagswahl im Juni die Parole ausgegeben: „Keine halben Sachen!"

    (Lachen bei der CDU/CSU.)

    Dieses Motto möchten wir Ihnen, meine Damen und Herren von der Koalition, jetzt für die Konjunkturpolitik, für die Entscheidungen von heute und morgen als Richtschnur nachdrücklich empfehlen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Sie sollten sich dazu entschließen, die nicht ausreichenden Vorschläge der Bundesregierung durch eine Neuorientierung der Haushaltspolitik, durch ihre Integration in die Stabilitätspolitik zu einem geschlossenen Konzept weiterzuentwickeln. Nur dann besteht nach meiner Überzeugung die Chance, den Verlust an Vertrauen, der durch das unrühmliche Hin und Her der letzten Monate, die miserable Taktik eintrat, wieder zu überwinden.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Die „besseren Männer" !)

    Machen wir in der Tat hier keine halben Sachen. Dann werden Sie mit einer konstruktiven Mitwirkung der starksten Fraktion dieses Hauses für Ihr erweitertes Stabilitätsprogramm rechnen können und auch das heute noch fehlende Vertrauen der Bürger für einen neuen Kurs wiedergewinnen und damit zugleich die Chancen für den sachlichen Erfolg dieser Politik vergrößern.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)



Rede von Kai-Uwe von Hassel
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.




  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist völlig in Ordnung, daß hier kritisch unter die Lupe genommen wird, was die Regierung beschlossen und was sie vorgeschlagen hat. Aber es erscheint mir wichtig, daß dabei das eigentliche Thema nicht verlorengeht. Das Thema ist, und davon sollten wir uns nicht abbringen lassen: Was war jetzt notwendig und möglich, um die Arbeitsplätze auch in der Zukunft zu sichern?

    (Lachen bei der CDU/CSU. — Zurufe.)

    — Ich würde darüber nicht lachen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich würde nicht lachen, meine Herren von der CDU, wenn von der Sicherheit der Arbeitsplätze die Rede ist.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Rawe: Er merkt noch nicht einmal, über wen gelacht wird! — Weitere lebhafte Zurufe von der CDU/ CSU.)

    Ich sage noch einmal: Es ging darum, was jetzt notwendig und möglich war,

    (Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU — Glocke des Präsidenten)

    um die Arbeitsplätze auch in der Zukunft zu sichern, um zu mehr Preisstabilität zurückzufinden und um die Voraussetzungen dafür zu schaffen.

    (Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Sie sollten lernen, sich dem Bundeskanzler gegenüber so zu benehmen,

    (Beifall bei den Regierungsparteien — Lachen und lebhafte Zurufe von der CDU/CSU)

    wie die Fraktionen der Mehrheit sich Ihren Sprechern gegenüber benommen haben.

    (Abg. Wehner: Das dürfen Sie von denen nicht erwarten!)

    Ich habe im Protokoll nachgelesen — —

    (Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Mich bringen Sie nicht vom Rednerpult weg; damit wir uns klar verstehen.

    (Abg. Wehner: Sehr gut!)

    Ich habe im Protokoll nachgelesen, daß Herren aus Ihrer Fraktion den Bundeskanzler neulich 48 mal in einer Rede unterbrochen haben. Das ist nicht in Ordnung, meine Damen und Herren.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    Das wird Ihnen draußen auch nicht abgenommen. Das trägt nicht zur sachlichen Auseinandersetzung in diesem Hause bei.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU.)

    Es geht darum, neben der Sicherheit der Arbeitsplätze auch für die Zukunft, neben dem Zurückfinden zu mehr Preisstabilität, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß wir uns stärker als bisher der inneren Reformen annehmen können.
    Nun kann man sagen: Die Regierung hätte entsprechende Maßnahmen schon früher treffen müssen.

    (Zurufe von der CDU/CSU: So ist es! Sehr richtig!)

    Darüber kann man reden. Warum nicht? Nur werden mir alle seriösen Kritiker zugeben müssen: Es gibt auf diesem Gebiet keine Gesetze, die mit denen der exakten Naturwissenschaften vergleichbar sind. Das weiß doch jeder von Ihnen. Wann ist es zu früh, wann ist es zu spät? Jeder Kundige bei Ihnen weiß, daß es sehr gewichtige Stimmen gab, die uns — Sie wissen es doch so gut wie ich! — auch jetzt gesagt haben: „Wartet lieber noch ab, verschiebt eure Entscheidung zumindest bis in den Herbst."

    (Abg. Dr. Müller-Hermann: Ich denke, Sie haben einen Wirtschaftsminister! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    Das haben wir nicht getan. Wir haben den Zeitpunkt jetzt für richtig gehalten — Herr Schiller hat das begründet —, und keiner wird sagen wollen, keiner wird verantworten wollen zu sagen, auch wenn er dieser Regierung noch so kritisch gegenübersteht, es sei zu spät.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das werden wir sehen!)

    — Na, ich würde bei dem bleiben, was ich sage.
    Ich bin froh, daß unsere Entscheidung in enger Fühlungnahme mit der Deutschen Bundesbank erfolgen konnte.
    Herr Kollege Stoltenberg, ich kann mich noch aus dem vergangenen Jahr an viele Monate quälender Passivität und eines lähmenden Gegeneinanders erinnern. Die heutige Konstellation ist mir lieber. Denn es ist ein Vorteil, wenn Bundesregierung und Bundesbank an einem Strang ziehen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Lachen und Zurufe von der CDU/CSU.)

    Ich hoffe, daß sich dies auch auf dem Gebiet auswirken wird, für das die Bundesbank ihre besondere Verantwortung zu tragen hat, d. h., daß wir
    zu einem niedrigeren Zinsniveau kommen werden.
    Nun wird gesagt, wir hätten nicht nur früher entscheiden sollen, sondern wir hätten jetzt zuwenig, über zuwenig entschieden. Wer so argumentiert, der muß, bitte, deutlicher werden als bisher.

    (Abg. Dr. Stoltenberg: Das ist bisher geschehen! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Auf den Haushalt komme ich gleich zurück, Herr Kollege Stoltenberg. Jetzt geht es um die Frage — wenn man keine „halben Sachen" will, um Sie zu zitieren —, welche Leistungen der Steuerzahler und welche Opfer der Arbeitnehmer, des Mittelstandes und anderer diejenigen vorgesehen haben, die sagen, wir hätten zuwenig entschieden. Ich meine,



    Bundeskanzler Brandt
    daß diese Debatte gewinnen würde, wenn hierauf eine klare Antwort gegeben würde.

    (Abg. Dr. Müller-Hermann: Die hat Herr Stoltenberg eben erteilt! — Zuruf von der CDU/CSU: Der Haushalt!)

    — Haushalt kommt, warten Sie doch bitte! -

    (Zuruf von der CDU/CSU: Ja, das ist das Entscheidende!)

    — Herr Kollege Stoltenberg muß zu einem Punkt — nicht nur zu einem, sondern auch zu dem, zu dem ich jetzt spreche — einem Irrtum erlegen sein; denn ich kann nicht annehmen, daß er etwas Falsches hat sagen wollen. Er hat in Verbindung mit der Auseinandersetzung um die letzten Landtagswahlen behauptet, ich hätte in diesem Landtagswahlkampf Steuersenkungen versprochen

    (Zuruf von der CDU/CSU: Ja, natürlich! — Weitere Zurufe von der Mitte)

    und statt dessen habe die Regierung durch dieses Paket oder einen Teil dieses Paketes nun das Steueränderungsgesetz unbefristet hinausgeschoben. Das ist ein Irrtum, Herr Kollege Stoltenberg, dieses Thema war nicht ein Thema der letzten Landtagswahlen, sondern, wie jeder weiß, Bestandteil des Regierungsprogramms,

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    abgeleitet aus den Programmen, mit denen die Parteien nicht in die Landtagswahlen des Jahres 1970, sondern in die Bundestagswahlen des Jahres 1969 gegangen waren.

    (Lachen bei der CDU/CSU.) Das ist ein großer Unterschied.


    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    Hier ist etwas Falsches behauptet worden. Ich muß mich dagegen wehren.

    (Abg. Leicht: Sie hatten doch einen Termin verschoben!)

    Ich muß dieses als eine plumpe Ablenkung von der wirklichen Situation bezeichnen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Die im Steueränderungsgesetz vorgesehenen Maßnahmen — betreffend Arbeitnehmerfreibetrag, betreffend Ergänzungsabgabe —,

    (Zurufe von der CDU/CSU: Das sind doch Steuersenkungen!)

    ich sage es noch einmal, sind nicht im Landtagswahlkampf versprochen worden.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Ja!)

    — nein! — (erneute Zurufe von der CDU/CSU: Ja!)

    — nein! —

    (weitere Zurufe von der CDU/CSU Abg. Stücklen meldet sich zu einer Zwischenfrage)

    — nein, ich möchte jetzt meine Auffassung ebenso in Ruhe darlegen, wie es Herr Stoltenberg getan hat —,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr unangenehm!)

    sondern sie stellen, ich sage es noch einmal, einen Programmpunkt der Regierungserklärung dar, und zu diesem Programm gehören die erwähnten Maßnahmen weiterhin. Die Bundesregierung hat keinerlei Zweifel darüber gelassen, daß an diesen Maßnahmen, auch wenn sie zunächst unter konjunkturpolitischen Gesichtspunkten zeitlich hinausgeschoben werden müssen, festgehalten wird.
    Nun, meine Damen und Herren, wird leichthin von Steuererhöhungen gesprochen, wo es sich in Wirklichkeit um rückzahlbare Konjunkturzuschläge handelt.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Und die Geldabwertung? — Und die Abschreibung?)

    Die damit beabsichtigte Stillegung von Kaufkraft trifft sich durchaus mit Vorstellungen der CDU/ CSU-Fraktion, so daß die Kritik daran eigentlich schwer verständlich erscheint.

    (Abg. Köppler: Nur haben wir das vorher gesagt!)

    Es ist richtig, daß ein früherer Vorschlag des CDU-Präsidiums vom Mai dieses Jahres etwas andere Modifikationen vorsah, nämlich marktgerechte Verzinsung von freiwilligen Steuervorauszahlungen.

    (Abg. Stücklen: Freiwilligen!)

    Die Bundesregierung hält es im Gegensatz dazu nicht für erforderlich, ihre Stabilitätspolitik in dieser Weise am freien Markt zu handeln. Dafür ist die Einsicht unserer Mitbürger in die Notwendigkeit der getroffenen Maßnahmen und ihr Interesse an einer wirksamen Stabilisierungspolitik groß genug.
    Die Bundesregierung hat ihre Beschlüsse zur Ausgabenpolitik in den kommenden Jahren auf der Grundlage des von ihr vorgelegten umfassenden Stabilisierungsprogramms gefaßt, und die Bundesregierung ist der Meinung, meine Damen und Herren, daß unseren Mitbürgern mit einer Stabilisierungspolitik, die den ungeschmälerten Fortgang im Ausbau der öffentlichen Infrastruktur unberührt läßt, besser gedient ist, als mit einer Politik, die Inflationsängste anheizt und die inneren Reformen wieder liegen läßt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich habe im Entwurf des neuen Programms der Christlich-Sozialen Union folgenden Abschnitt gelesen:

    (Zuruf von der CDU/CSU: Zur Sache, bitte!)

    Soweit die wachsenden Einnahmen des Staates nicht für die Finanzierung unserer vorrangigen Reformvorhaben ausreichen, ist ein steigender Anteil der öffentlichen Hand am Bruttosozialprodukt in einem sozial und gesamtwirtschaftlich vertretbaren Ausmaß notwendig.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)




    Bundeskanzler Brandt
    Wenn das heute noch nicht konkretisiert werden kann, so wird das gewiß zu einem späteren Zeitpunkt von den Kollegen der Union geschehen.

    (Abg. Köppler: Allerdings! Da können Sie sicher sein!)

    Wir haben uns bekanntlich in dem Stabilitätsprogramm, das die Regierung am Montag verabschiedet hat, darauf beschränkt, die zweite Stufe der Ergänzungsabgabe vorweg vorzusehen, um dem Haushalt auf diese Weise Mittel für die Bildungsfinanzierung zufließen zu lassen. Und das ist kein Mangel an Konzeption, Herr Kollege Stoltenberg; denn es wäre falsch gewesen, diese Quelle zunächst einmal zu verschütten oder versiegen zu lassen.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    Ich würde es begrüßen, wenn auch über dieses Haus hinaus Schluß gemacht würde mit der Irreführung,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wer hat hier irregeführt?)

    die darin besteht, daß man unser Volk die europäischen und weltwirtschaftlichen Zusammenhänge nicht hinreichend erkennen läßt.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir leben nicht für uns allein. Wir sind keine — und können es nicht sein — Insel der Stabilität.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Aus der Vorlage erkennt man das aber nicht!)

    Wir sind nicht unabhängig von dem, was andere ) tun oder was sie unterlassen zu tun. Die Preise — ob Sie etwas anderes behaupten oder nicht — sind anderswo leider noch stärker gestiegen als bei uns.

    (Abg. Stücklen: Das ist doch kein Trost für uns!)

    — Da haben Sie völlig recht, Herr Stücklen, das ist kein Trost, und es darf uns nicht zum Nichtstun verleiten. Darin sind wir uns einig.

    (Demonstrativer Beifall bei der CDU/CSU. — Beifall bei Abgeordneten der Regierungsparteien.)

    Ein Blick in die westliche Welt zeigt, daß es die Gefahr einer kombinierten Stagnation und Geldentwertung abzuwenden gilt. Das ist nicht die Aufgabe einer Partei, das ist eine nationale Aufgabe.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zustimmung bei der CDU/CSU. — Abg. Köppler: Das sagen wir doch seit Monaten!)

    Man kann dieser Regierung viel vorwerfen,

    (demonstrativer Beifall bei der CDU/CSU)

    aber nicht, daß sie vor unpopulären Maßnahmen und Fragestellungen zurückschrecke.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Köppler: Genau das! — Abg. Dr. MüllerHermann: Eine Regierung der Gefälligkeitspolitik! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    In diesem Augenblick sind nicht nur linksradikale
    Agitatoren am Werk, um in den Betrieben und
    anderswo Unruhe zu stiften. Sie werden keinen
    Erfolg haben. Davon bin ich überzeugt. Aber zugleich gibt es die ernst zu nehmenden Fragen — —

    (Zuruf der Abg. Frau Kalinke.)

    — Ich würde auch hier, verehrte Frau Kollegin, nicht den Eindruck aufkommen lassen, als ob das Thema, über das ich eben jenseits aller parteipolitischen Polemik sprach, in der Mitte des Hauses nicht ernst genommen würde.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Althammer: Die Internationale im Kanzleramt!)

    Es gilt zugleich, all das ernst zu nehmen, was an Fragen von soliden Belegschaften und ihren Betriebsräten in diesen Tagen auf uns zugekommen ist. Es gibt die ernsten Einwände und die kritischen Hinweise der Gewerkschaften. Dazu möchte ich in diesem Augenblick dreierlei sagen.
    Erstens. Es ist meiner Überzeugung nach nicht zutreffend, daß die vorgesehenen Maßnahmen unzumutbar und unausgewogen seien. Sie sind so angelegt, daß der sozialen Ausgeglichenheit Rechnung getragen wird: durch die Sozialgrenze ab 100 DM Steuerschuld im Monat, dadurch, daß die Ergänzungsabgabe für die höheren Einkommen weitere vier Jahre gilt und auch durch die Koppelung mit der degressiven Abschreibung.
    Zweitens. Die Steuervorauszahlungen von 10 % der Steuerschuld — nicht des Einkommens, wie Demagogen im Lande behaupten — werden zurückerstattet. Darauf kann sich jeder verlassen. Wenn wir echte Steuererhöhungen für notwendig hielten, würden wir dies sagen, begründen und dafür einstehen. Daß man sich auf das verlassen kann, was wir sagen, haben alle im Falle des Krankenkassenbeitrages der Rentner feststellen können.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Leicht: Das macht das Beispiel des Arbeitnehmerfreibetrages deutlich!)

    In der Großen Koalition haben die Sozialdemokraten als Teil eines Programms zur Ordnung der Staatsfinanzen sogar eine Belastung der Rentner mitgemacht. In der veränderten Lage hat die jetzige Koalition diese Belastung aufgehoben, und zwar durch die Beschlüsse dieses Hauses rückwirkend ab 1. Januar.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    Drittens. In den Vorschlägen, die jetzt von den Gewerkschaften und aus den Betrieben aus verschiedenen Zweigen der Wirtschaft kommen, steckt viel Wichtiges und Beachtenswertes. Ich denke dabei nicht nur an die besorgniserregende Entwicklung der Mieten. Es steckt in dem, was uns in diesen Tagen durch Gespräche und durch Briefe auf den Tisch kommt, viel, worauf man wird zurückkommen müssen. Nur müssen sich bitte alle draußen im Lande darüber im klaren sein, was jetzt zu entscheiden ist und was in der Folge zu bedenken bleibt. Aber alle Anregungen, die aus den Erörterungen dieser Tage erwachsen, werden sorgfältig geprüft und im Rahmen des Möglichen berücksichtigt.



    Bundeskanzler Brandt
    Inzwischen werden alle Beteiligten gut daran tun, den Rat zu befolgen, der dahin geht, daß wir alle miteinander dafür sorgen sollten, daß wir ohne Gefährdung des Wachstums zu mehr Stabilität und damit auch zu einer Beruhigung der Preise gelangen.
    Nun wird gesagt — und der Kollege Stoltenberg hat darauf einen wesentlichen Teil seiner Redezeit verwendet —, wir hätten gestern im Kabinett keinen Haushaltsplan für 1971 verabschieden dürfen, der eine Steigerung der Ausgaben vorsieht.

    (Unruhe bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Stoltenberg: Von 12 %! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU: 12 %!)

    Ich meine, über den Haushalt 1971 und über die mittelfristige Finanzplanung 1972/73/74 wird sehr eingehend und ernsthaft zu reden sein, wenn der Bundesfinanzminister den Haushalt hier im September einbringt.

    (Abg. Stücklen: Das ist doch in der Presse bekanntgegeben!)

    Dann geht es um den Haushalt; heute geht es um das stabilitätspolitische Programm.

    (Unruhe und lebhafter Widerspruch bei der CDU/CSU. — Abg. Weber [Heidelberg] : Unglaublich, so etwas! — Abg. Köppler: Schöne Demokratie ist das! — Zuruf von der CDU/CSU: Der hat doch keine Ahnung!)

    Und dann wird man sehen

    (anhaltende Unruhe — Abg. Dr. Luda: Keine Ahnung! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — ich habe Zeit —

    (Abg. Köppler: Herr Bundeskanzler, wir lassen uns nicht vorschreiben, was wir wann diskutieren!)

    ich sage, dann wird man sehen,

    (Abg. Dr. Müller-Hermann: Haben Sie den Zusammenhang immer noch nicht erkannt? — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Der versteht ja nichts davon!)

    daß es gute Gründe für steigende Ausgaben gibt, und man wird sehen, daß sie gedeckt werden können.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Und die Inflation?)

    Übrigens, Herr Stoltenberg: Wir sind alle nicht ganz sicher, daß wir nicht manchmal Informationen erhalten, die sich als nicht voll richtig erweisen.

    (Lachen bei der CDU/CSU. — Zuruf von der CDU/CSU: Bielefeld!)

    Ihre Informationen darüber, daß im Kabinett über die Verabschiedung des Haushalts mit Mehrheit entschieden worden sei, ist falsch.

    (Abg. Dr. Stoltenberg: Das habe ich nicht gesagt! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU: Das hat er gar nicht gesagt!)

    Das Kabinett hat einstimmig über diesen Haushalt entschieden.

    (Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)