Rede von
Walter
Scheel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Kollege Guttenberg, wenn Sie das Kommuniqué des NATO-Ministerrats durchlesen, werden Sie feststellen, daß es sich mit nichts anderem befaßt als mit dem Suchen nach einer Möglichkeit, ein Gespräch zwischen den Mitgliedern der NATO und den Mitgliedern des Warschauer Pakts mit dem Ziel zustande zu bringen, die Sicherheit in Europa zu verbessern und zu einer europäischen Friedensordnung zu gelangen. Nun unterstellen Sie doch nicht den NATO-Mitgliedern, daß sie das wollen, indem sie die Gesellschaftsordnung der Warschauer-Pakt-Staaten ändern wollen! Das kann man doch schlechthin nicht unterstellen, sondern das ist Voraussetzung.
— Herr Kollege, das Selbstbestimmungsrecht der Völker ist, wir wissen es doch, ein in der UNO- Charta niedergelegtes Recht, von dem wir wissen, daß nicht alle Völker es gleichermaßen verwirk-
lichen können, auch solche nicht, die Mitglieder der UNO sind.
Meine verehrten Kollegen, es ist, glaube ich, sinnlos, in dieser Form die praktische Zusammenarbeit in Europa zu diskutieren. Das ist das Bild, das Herr Kollege Ehmke gezeichnet hat, nämlich das Bild von dem Mann, der mit der Fahne und seinen schönen Parolen auf der Fahne herumläuft, ohne damit etwas bewirken zu können und ohne den Menschen zu helfen, um die es gehen soll.
Herr Kollege Strauß, ich möchte mich jetzt mit Ihnen über die Frage, die Sie in den Mittelpunkt gestellt haben, unterhalten, nämlich über das Gewaltverzichtsabkommen, das wir mit der Sowjetunion abschließen wollen. Es ist zweifellos so, daß die reine Wiederholung der Gewaltverzichtsbestimmungen der UNO-Charta — ich habe es heute morgen schon gesagt — ein abstraktes Gewaltverzichtsabkommen wäre, das nicht dem Ziel dienen könnte, darauf eine Änderung des Verhältnisses der Bundesrepublik zu den osteuropäischen Ländern aufzubauen. Sie haben gelesen — ich will einmal, ohne auf Einzelheiten einzugehen, unterstellen, daß das, was darüber geschrieben wurde, dem Inhalt entspricht —, daß Gewaltverzicht und Formulierungen über die Respektierung der Grenzen in Europa auseinandergezogen sind.
Aber es wird Ihnen nicht entgangen sein, daß diese Formulierungen über die Respektierung der Grenzen in Europa ganz auf die Gewaltverzichtstheorie aufgebaut sind. Das heißt, es ist hier nicht von Anerkennung die Rede, es ist auch nicht von der Unverrückbarkeit von Grenzen die Rede, sondern hier geht es nur darum, Grenzen jetzt und auch in der Zukunft zu achten, und es geht darum, ihre Unverletzlichkeit zu bestätigen.
Aber, meine Damen und Herren, wer wollte denn hier etwas anderes sagen? Wer wollte denn sagen, daß die Unverletzlichkeit einer Grenze für ihn zwar jetzt gegeben ist, aber in der Zukunft nicht? Es handelt sich doch ausschließlich daraum, ob wir in der Lage sein werden, in Zukunft zwei Dinge zu tun: einmal, die europäische Integration dadurch weiterzutreiben, daß wir in Europa auch Grenzen aufheben können, ohne mit dem Abkommen, das wir abschließen wollen, in Konflikt zu kommen. Das ist gewährleistet.
Das Zweite ist die Frage der Grenze, der Demarkationslinie zwischen den beiden Teilen Deutschlands. Hier geht es um die Respektierung und darum, daß unser politisches Ziel, die Vereinigung der beiden Teile Deutschlands zu betreiben, mit dem Abkommen, das wir abzuschließen gedenken, nicht in Konflikt gerät. Das ist gewährleistet, und zwar nicht nur durch den Wortlaut allein, sondern wir machen es dadurch deutlich — Herr Strauß hat es hier eben erwähnt —, daß wir unsere Position in einer Erklärung an unseren Partner sichtbar machen, und wir erwarten, daß eine solche Erklärung unserer Position akzeptiert wird.
Nun werden Sie sagen: Warum steht denn das Ziel der Wiedervereinigung Deutschlands nicht in
Bundesminister Scheel
einem Vertrag, und warum sollte es nicht in einem Vertrag stehen? -- Nun, die Sowjetunion hat früher immer die Wiedervereinigung Deutschlands als ihr Ziel bezeichnet. In der Zwischenzeit tut sie das nicht mehr, wie wir wissen. Ich glaube, wir sollten gar keine Diskussion darüber führen, ob ein politisches Ziel, das wir für uns in Anspruch nehmen, in einem Vertrag mit einem Partner Sowjetunion auch zu deren Ziel gemacht werden soll, so wie es in den Verträgen mit unseren westlichen Verbündeten geschehen ist. Das werden Sie nicht erreichen können, aber Sie werden erreichen, daß die Legitimität unseres politischen Zieles besteht und anerkannt wird. Und ich glaube, darauf kommt es an.