Rede:
ID0605903200

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Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 6
    1. Das: 1
    2. Wort: 1
    3. hat: 1
    4. Herr: 1
    5. Bundesminister: 1
    6. Ehmke.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 59. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 17. Juni 1970 Inhalt: Begrüßung des Präsidenten des indischen Unterhauses . . . 3215 A Amtliche Mitteilungen . . . . . . . 3215 A Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. Deutschland-, Ost- und Europapolitik (Drucksachen VI /691, VI /757) in Verbindung mit Entwurf eines Gesetzes zu dem Beschluß des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 21. April 1970 über die Ersetzung der Finanzbeiträge der Mitgliedstaaten durch eigene Mittel der Gemeinschaften (Drucksache VI /880) — Erste Beratung — und mit Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 22. Arpil 1970 zur Änderung bestimmter Haushaltsvorschriften der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften und des Vertrags zur Einsetzung eines gemeinsamen Rates und einer gemeinsamen Kommission der Europäischen Gemeinschaften (Drucksache VI /879) — Erste Beratung — Brandt, Bundeskanzler . 3215 C, 3244 C Dr. Marx (Kaiserslautern) (CDU/CSU) 3219 B Wienand (SPD) 3226 C Borm (FDP) 3230 D Scheel, Bundesminister . 3235 D, 3268 A Dr. h. c. Kiesinger (CDU/CSU) . . . 3240 B, 3248 C Dr. Barzel (CDU/CSU) . . 3245 A, 3275 D Dr. Apel (SPD) 3248 D Dr. Ehmke, Bundesminister 3250 A, 3272 B Dr. Rutschke (FDP) 3252 B Baron von Wrangel (CDU/CSU) 3254 D Behrendt (SPD) . . . . . . . 3256 C Strauß (CDU/CSU) 3261 B Mischnick (FDP) 3273 D Nächste Sitzung 3276 D Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 3277 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Juni 1970 3215 59. Sitzung Bonn, den 17. Juni 1970 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
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    Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Juni 1970 3277 Anlage zum Stenographischen Bericht Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete (r) beurlaubt bis einschließlich Bartsch 19. 6. Breidbach 19. 6. Frau Dr. Focke 17. 6. Heyen 19. 6. Katzer 17. 6. Freiherr von Kühlmann-Stumm 17. 6. Dr. Lohmar 30. 6. Müller (Remscheid) 17.6.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Hans Apel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind dank der Intervention des Herrn Kollegen Kiesinger und dank der Worte von Herrn Dr. Barzel unversehens doch wieder in eine Debatte hineingeraten, die nach meiner Auffassung nach dem gestrigen Gespräch im Kreise des Kuratoriums „Unteilbares Deutschland" eigentlich zu Ende sein sollte.

    (Zuruf des Abg. Dr. h. c. Kiesinger.)

    Herr Dr. Kiesinger und Herr Kollege Barzel, bitte erklären Sie mir, was das Wahlergebnis vom vergangenen Sonntag mit den Mehrheiten in diesem Bundestag zu tun hat.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Warten Sie mal ab!)




    Dr. Apel
    Bitte erklären Sie mir, womit Sie die Aussage begründen, daß es in diesem Lande eine Mehrheit für Ihre Ostpolitik gab. Wissen Sie nicht auch, daß im Herbst 1973 in unserem Lande Bilanz gemacht wird und darüber entschieden wird, ob diese Koalition eine gute, eine weniger gute oder eine schlechte Politik gemacht hat?

    (Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Bundestag auflösen!)

    Wir lassen uns wenigstens von dieser Art von Argumentation, die Ihnen im Bundesrat — das ist ja wohl entscheidend für die Bundespolitik — keine stärkere Position als bisher gebracht hat, nicht beeinflussen.

    (Abg. Blumenfeld: Wer forderte denn Neuwahlen?)

    Herr Kollege Kiesinger, es fällt schwer, nachdem Sie diesen Stil und diesen Ton in die Debatte gebracht haben, noch an die Gemeinsamheit zu glauben.

    (Abg. Dr. Stark [Nürtingen] : Jetzt kommt noch einmal der Schulmeister! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    Sie haben das ja eben hier noch einmal zugespitzt und haben gesagt: Na, gut, Landesverräter seid ihr zwar nicht, aber ihr seid so dumm, daß ihr welche werden könntet. Das war zugespitzt ihre Argumentation.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Und da muß ich Sie fragen: Halten Sie das für anständig? Halten Sie das für würdig? Halten Sie es, Ihrem Ansehen in unserer Nation für angemessen, hier so zu sprechen?

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Und dann sagen Sie noch, wir diffamierten Sie! Herr Kollege Barzel, warten wir doch hinsichtlich Bielefeld einmal ab. Wir haben ja einen Gerichtstermin. Warten war doch einmal ab; seien Sie nicht zu selbstsicher.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    Einige Bemerkungen zur Sache selbst. Herr Kollege Barzel, wir haben doch immer wieder deutlich gemacht, um was es bei dem sogenannten Bahr-Papier geht: ein sehr wichtiges Dokument, das in vielstündiger Arbeit zustande gekommen ist, das Ergebnisse und Gesprächsgrundlagen darstellt und insofern in der Tat politisch bedeutsam ist. Aber die Bundesregierung hat doch immer wieder mit Nachdruck erklärt — nehmen Sie das doch bitte zur Kenntnis; selbst die Sowjetunion hat das deutlich gemacht —, daß auf dieser Grundlage Verhandlungen beginnen werden, so wichtig dieses Papier ist.
    Herr Kollege Barzel, Sie sagen, Sie wollten die Grenzen zur Kenntnis nehmen, und werfen uns vor, daß wir in diesem Papier sagen, wir wollten die Grenzen achten und auch künftig achten. Wollen Sie denn die Grenzen künftig nicht achten, Herr Kollege Barzel? Das ist doch die Frage, die ich Ihnen stellen muß.

    (Beifall hei den Regierungsparteien.) Es ist doch so, Herr Kollege Barzel, daß in diesem Papier von Herrn Bahr ausdrücklich festgehalten ist, daß bestehende Verträge davon nicht betroffen sind, daß also juristische Vorbehalte gegeben sind, wenn sie auch — das will ich für meine Person hinzufügen — politisch keine Relevanz haben können, wenn wir vor uns ehrlich sein wollen.

    Der Kanzler hat sich in den vergangenen Monaten immer wieder bemüht — und wir sind ihm dafür sehr dankbar —, sich außerhalb der Emotionen und der Polemik zu halten. Aber, meine Damen und Herren, wir müssen von der Opposition erwarten, wenn wir in ruhigere Fahrwasser hineinkommen wollen, daß Sie sich auch einen anderen Ton angewöhnen, daß Sie intellektuell redlicher argumentieren und daß Sie endlich Fakten und politische Aussagen zur Kenntnis nehmen, damit man nicht immer wieder das sagen muß, was schon zehnmal gesagt worden ist.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Lemmrich: Sie hätten doch eigentlich Schullehrer werden sollen!)

    Herr Kollege Barzel, Sie sind ja von Haus aus Jurist. Insofern hat es mich eigentlich sehr gewundert, daß Sie die Bedeutung des Art. 79 des Grundgesetzes unzureichend zur Kenntnis genommen haben; denn dieser Artikel sagt, daß nur dann die Zweidrittelmehrheit sein muß, wenn das, was man an vertraglichen Regelungen anstrebt, die auf dem Wege zu einem Friedensvertrag liegen könnten, dem Grundgesetz widerspricht. Das ist der entscheidende Punkt. Wir haben doch durch unsere Stellungnahmen hier immer wieder deutlich gemacht, und das ist auch im Bahr-Papier deutlich, daß eben nach unserer Überzeugung das, was dort fixiert wird, nicht dem Auftrag des Grundgesetzes widerspricht. Das habe ich auch in dem freundlichst zitierten Artikel von mir, der heute oder morgen in „Publik" erscheint, sehr deutlich gemacht, daß eine völkerrechtliche Anerkennung der DDR in unserer Politik laut Aussage der Regierungserklärung nicht in Frage kommt.
    Eigentlich hatten wir uns vorgenommen, heute über Europa zu reden, und wir sollten auch zeitlich deutlich machen, daß uns diese Europapolitik sehr am Herzen liegt.
    Lassen Sie mich abschließen. Ich erkläre im Namen meiner Fraktion heute am 17. Juni: wir sind uns der Verantwortung für unser Volk bewußt. Wir fordern deswegen die Regierung auf, die sich stets dieser Verantwortung bewußt gezeigt hat, ihre Verhandlungen mit der Sowjetunion, mit Polen und mit anderen osteuropäischen Ländern fortzusetzen. Sie soll die Politik, die unsere Billigung findet, nicht durch diese Debatte beeinträchtigt sehen. Sie wird eines Tages vor diesen Bundestag treten, und dann werden wir zu entscheiden haben, ob etwas dabei herausgekommen ist oder nicht.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Es ist selbstverständlich, daß die von Herrn Barzel genannten zehn Punkte dabei beachtet werden können.



    Dr. Apel
    Lassen Sie uns also, meine Damen und Herren,
    in Zukunft sachbezogener argumentieren, und lassen wir die Emotionen draußen, Herr Kiesinger, lassen Sie uns damit aufhören, so wie Sie hart an der Grenze der Beleidigung zu argumentieren, sonst kommen wir mit Sicherheit nicht zu der Gemeinsamkeit, die durchaus im Interesse dieses Landes ist.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Lemmrich: Wollen Sie das einmal Herrn Wehner sagen!)



Rede von Liselotte Funcke
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat Herr Bundesminister Ehmke.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Horst Ehmke


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure, daß der Kollege Barzel jetzt draußen ist, weil ich mich zunächst zu seinen juristischen Ausführungen äußern wollte. Ich weiß zwar, daß Herr Kollege Barzel seine juristische Ausbildung nicht vollendet hat,

    (Oho-Rufe von der CDU/CSU) trotzdem schmerzt es mich immer


    (Abg. Rasner: Herr Brandt auch nicht!)

    — ja, beruhigen Sie sich erst einmal ein bißchen —, mit welcher Billigkeit von ihm juristische Argumente gebracht werden, die auch nicht dadurch richtiger werden, daß er sie in der glatten Art vorbringt, die ihn uns allen so sympatisch macht.

    (Heiterkeit und lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich erinnere mich daran, daß der Kollege Barzel bei der Diskussion über den Nichtverbreitungsvertrag anfing, Sohm- „Institutionen" zu zitieren. Die hatte er wohl aus dem ersten Semester. Ich habe mich freundschaftlich mit ihm darüber unterunterhalten. Er zitierte dort etwas über „error in objecto" bei Kaufverträgen. Die Klammer, die er in dem Satz weggelassen hat, brachte als ein Beispiel, daß man einen Sklaven kauft, es sich aber in Wirklichkeit um eine Sklavin handelt. Das brachte er als Beispiel für den Fall, daß zwei Partner einen völkerrechtlichen Vertrag unterschiedlich interpretieren. Ich war damals der Meinung, es sei unter dem Niveau, darauf zu antworten, zumal wir das doch eigentlich noch ganz gut auseinanderhalten können.

    (Heiterkeit bei der SPD.)

    Ich sage heute, daß die Berufung auf Art. 79 Abs. 1 des Grundgesetzes nicht die Spur von Seriosität haben kann. Sie wissen doch, das ist eine Formvorschrift.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Herr Lenz und Herr Benda, Sie wissen doch,

    (Abg. Rasner: Sind Sie der Verfasser des Grundgesetzes?)

    wie diese Vorschrift in das Grundgesetz hineingekommen ist. Sie kam hinein, als man einen Vertrag hatte, von dem man nicht wußte — oder von dem Sie jedenfalls sagten, man wisse nicht genau,
    wie Karlsruhe entscheiden werde —: sind darin Verfassungsänderungen enthalten? Man hat gesagt: Für den Fall, daß welche enthalten sind, daß also der Vertrag die Verfassung durchbricht, soll das im Text klargestellt werden.

    (Abg. Rasner meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

    — Herr Rasner, im Augenblick nicht.
    Art. 79 Abs. 1 ist also überhaupt nicht herauszuziehen für die Frage, wann eine Verfassungsänderung erforderlich ist. Ich warne davor, so manipulativ mit Verfassungsargumenten umzugehen. Im übrigen hat Herbert Wehner Ihnen schon einmal gesagt: Gute Reise nach Karlsruhe! Ich halte es nur für unverantwortlich, in dieser Weise eine Situation heraufzubeschwören — das gilt ja auf längere Zeit auch für Sie —, in der man dieses Land — das ist, glaube ich, eine der großen Gefahren Ihrer Politik, wobei ich weiß, daß es unter Ihnen sehr verschiedene Meinungen und Nuancen gibt; ich mache ein Schwarzweißmalen nicht mit;

    (Abg. Rasner: Denkste! Möchteste!)

    Herr Rasner, es sind nicht alle so schlimm wie Sie, ganz bestimmt nicht —,

    (Beifall bei der SPD.)

    in der man diesen Staat praktisch handlungsunfähig macht, indem man erklärt: Für diese Dinge, die von Ihnen so lange hinausgeschoben worden sind, braucht man eine Zweidrittelmehrheit.
    Ich bin der Meinung, da Sie sich auf Wahlen berufen — ich verstehe Ihre Freude; herzlichen Glückwunsch! —, sollten Sie auch die Mehrheit in diesem Hause respektieren. Auch eine knappe Mehrheit hat das zu tun, was sie für das Wohl unseres Landes für erforderlich hält.
    Nun wäre ich über diese Juristerei schon unglücklich genug. Ich muß aber sagen, ich bedauere die rabulistische Art, mit der Herr Kollege Barzel auch politische Argumente hier hin- und her- und umgedreht hat.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.) Der Herr Bundeskanzler hat gesagt,


    (Abg. Lemmrich: Wenn man selber ein Rabulistiker ist wie Sie, Herr Ehmke, sollte man dies nicht anderen andichten!)

    damals hätten die Alliierten dabeigestanden. Da haben wir alle dabeigestanden, auch die CDU. Unter CDU-Kanzlern ist der fortschreitende Prozeß der Teilung Deutschlands hingenommen und respektiert worden. Es blieb uns ja gar nichts anderes übrig. Was macht Herr Barzel daraus? — Er spielt sich auf als die Schutzmacht der Alliierten

    (Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien)

    und tut so, als wisse der frühere Regierende Bürgermeister von Berlin nicht, was wir den Alliierten in Berlin zu verdanken haben. Das ist Rabulistik.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)




    Bundesminister Dr. Ehmke
    Damit kann man keine Politik machen. Und wenn wir in diesem Hause dazu kommen, daß wir nicht zur Gemeinsamkeit hinfinden, wird die Überschrift über diesem Kapitel Rainer Barzel heißen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Rasner: Wehner heißen!)

    Damit komme ich zu der Reaktion, mit der Kollege Barzel heute morgen auf den Versuch des Bundeskanzlers geantwortet hat, die Fronten zu Lokkern. Daß das alles schwierige Probleme sind, daß man verschiedener Meinung sein kann, wissen wir. Was macht Herr Barzel? Er geht hier herauf und sagt dazu, sehr von oben herab: Das wäre zu loben. Dann kommt aber sofort: Na bitte, er zieht ja schon zurück; jetzt muß er auf unsere Position einschwenken. — Stellen Sie sich das als Gemeinsamkeit vor, jeden Versuch, in ein Gespräch zu kommen und gemeinsame Positionen zu behalten, so zu beantworten?! — Sie haben gleich großsprecherisch gesagt: er steckt die Pflöcke zurück. — Wir haben nichts zurückzustecken,

    (Beifall bei den Regierungsparteien)

    weil wir ja doch im Ernst nicht zulassen können, daß Sie noch einmal 20 Jahre in der Deutschland-Politik nichts tun.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — OhoRufe von der CDU/CSU.)

    Ich ziehe aus den Wahlen eine ganz andere Folgerung. Wir haben uns viel zu lange damit aufgehalten - so fürchte ich, wie der Kollege Barzel, ich rede nur zu ihm, argumentiert hat --, den Versuch zu machen, breitere Mehrheiten zu finden. Sie wollen nicht. Sie hören nicht unsere Argumente. Wenn der Kanzler den Versuch macht, wird er erst gelobt. Dann kommt der Tritt und es wird gesagt: Na ja, jetzt muß er zurück; da ist ja auch nichts hinter. - Da muß sich Ihre Fraktion entscheiden. Wenn Sie das so machen wollen, ist klar, daß es keine Gemeinsamkeit gibt.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir werden dann die Verantwortung, die uns der Wähler und die uns das Amt auferlegt, allein zu tragen haben. Ich bin der Meinung, daß wir das auch mit sehr gutem politischen Gewissen tun können, weil mir, Herr Dr. Kiesinger, nämlich einer der großen Unterschiede in der Art, wie an die ostpolitischen Fragen herangegangen wird, der zu sein scheint, daß die CDU/CSU sich, obgleich man konservativen Parteien eigentlich eine größere Wirklichkeitsbezogenheit nachsagt, rein in Deklamationen und Formeln bewegen. Ich nenne die wunderbarste Formel — Herr Barzel findet sie so schön, daß er sie gleich dreimal gesagt hat —: Die deutsche Frage „muß in der Substanz offen bleiben". Sie glauben doch nicht, Sie könnten, wenn Sie in der Ostpolitik nichts tun, sondern nur Resolutionen auf Parteitagen verabschieden, die Probleme so lösen, daß die Frage „in der Substanz offen bleibt". Sie ist in den letzten 20 Jahren nicht offen geblieben. Die Jugend dieser beiden Teile Deutschlands kennt sich kaum noch. Sie glauben doch nicht, daß Sie den historischen Prozeß, auf den Sie sich sonst immer berufen, hier ignorieren können. Das Problem ist doch dies —

    (Abg. Dr. Wörner: Welches ist denn die Schlußfolgerung, die Sie daraus ziehen?)

    — Das sage ich Ihnen gleich; das ist sehr einfach, Herr Wörner. Wenn gute Resolutionen beschlossen würden, dann würden wir sie auch gemeinsam beschließen. Aber was Sie machen, ist doch praktisch dies: Sie haben eine Fahne, darauf steht „Menschenrechte", darauf stehen Ihre Wünsche, darauf steht „Selbstbestimmungsrecht". Damit marschieren Sie an der Grenzlinie auf und ab und haben dabei ein gutes Gefühl.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir sind in den Grundsätzen nicht verschiedener Meinung, Herr Benda. Wir sind vielmehr der Meinung, es reicht nicht aus, das eigene Gewissen zu beruhigen, indem man stereotyp Grundsätze wiederholt, ohne seit Jahrzehnten Mittel zu finden, diese Grundsätze zur Anwendung zu bringen.

    (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    Wir sind der Meinung, daß man dann in die Arena heruntersteigen und das „schmutzige" und schwierige Geschäft machen muß, den Leuten wirklich zu mehr Rechten zu verhelfen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Daß das immer und immer wieder zitiert wurde, hat keinen Menschen drüben genützt, und das wird auch in Zukunft nicht nützen.

    (Zuruf von der CDU/CSU.)

    Ich greife das Wort von der Alternative auf. Ich habe nichts gegen die Grundsätze, die Sie proklamieren, wenn Sie dabei nur sagen würden, wie Sie denn im Gegensatz zu allem, was wir hinter uns haben, praktisch vorwärtskommen wollen.
    Ich will wie Sie, Herr Dr. Kiesinger, kein Prophet sein. Ich sage nur eines, es ist meine persönliche Beurteilung: Wenn die Chance, die sich im Augenblick im Rahmen und gewissermaßen auch unter der Decke der amerikanisch-sowjetischen Gespräche abzeichnet, verpaßt wird und wir wieder in die Positionen zurückfallen, die wir als unsere eigenen Prinzipien deklarieren und betonen, ohne irgend etwas in der Welt zu ändern, dann werden wir, Herr Dr. Kiesinger, genau zu dem kommen, was Sie vermeiden wollten, nämlich zu einer defensiven Politik. Ich kann Ihnen voraussagen, daß wir dann nach fünf oder sechs Jahren in der deutschen Politik stehen und sagen werden: Hätten wir damals zugegriffen und das gemacht, was als Regelung möglich war. Das sage ich Ihnen als meine Meinung. Jedenfalls können mich die 20 Jahre, die wir hinter uns haben, nicht überzeugen, daß nichts zu tun und immer nur die hehren Prinzipien zu zitieren irgend etwas besser macht.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)




    Bundesminister Dr. Ehmke
    — Ich würde gern ihre Frage beantworten, aber ich verstehe sie nicht.

    (Abg. Blumenfeld: Wohin und wo zugegriffen?)

    Auch dort ist doch das Problem: Wir sind uns einig, es soll Gewaltverzichtsverträge geben, wir wollen zu einer Regelung in Mitteleuropa kommen. Wir wissen, es gilt nach Osten, genauso wie es für Adenauer nach Westen gegolten hat, daß kein deutscher Bundeskanzler nachträglich den zweiten Weltkrieg gewinnen kann. Davon haben wir auszugehen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Man kann dann auch nicht sagen: Das meinen wir im Prinzip, und, wenn man dann mit einem harten Gegner zu verhandeln hat — und ich kann nur sagen, es ist in Moskau gut verhandelt worden —, sagen: Ja, aber hier weichen wir von unseren Prinzipien ab. Entweder meint man das ernst — dann muß man sich klar sein, daß die eigenen Prinzipien nicht voll durchzusetzen sind —, oder man sollte ganz glatt sagen: Wir tun lieber gar nichts, weil wir der Meinung sind, uns mit denen einzulassen führt nur dazu, daß die uns zurückdrücken. Diese Klarheit müssen wir auch einmal von Ihnen haben. Sonst haben wir hier viele Stunden lang und mit viel Kraft versucht, Gemeinsamkeiten zu finden, während ich jetzt nach der Intervention von Kollegen Barzel den Eindruck habe, daß Sie gar nicht daran denken, sie zu suchen und uns zu begleiten.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Rasner: Respekt! Ein treuer Diener seines Herrn! Das kann man nicht anders sagen!)