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ID0605901400

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    Deutscher Bundestag 59. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 17. Juni 1970 Inhalt: Begrüßung des Präsidenten des indischen Unterhauses . . . 3215 A Amtliche Mitteilungen . . . . . . . 3215 A Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. Deutschland-, Ost- und Europapolitik (Drucksachen VI /691, VI /757) in Verbindung mit Entwurf eines Gesetzes zu dem Beschluß des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 21. April 1970 über die Ersetzung der Finanzbeiträge der Mitgliedstaaten durch eigene Mittel der Gemeinschaften (Drucksache VI /880) — Erste Beratung — und mit Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 22. Arpil 1970 zur Änderung bestimmter Haushaltsvorschriften der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften und des Vertrags zur Einsetzung eines gemeinsamen Rates und einer gemeinsamen Kommission der Europäischen Gemeinschaften (Drucksache VI /879) — Erste Beratung — Brandt, Bundeskanzler . 3215 C, 3244 C Dr. Marx (Kaiserslautern) (CDU/CSU) 3219 B Wienand (SPD) 3226 C Borm (FDP) 3230 D Scheel, Bundesminister . 3235 D, 3268 A Dr. h. c. Kiesinger (CDU/CSU) . . . 3240 B, 3248 C Dr. Barzel (CDU/CSU) . . 3245 A, 3275 D Dr. Apel (SPD) 3248 D Dr. Ehmke, Bundesminister 3250 A, 3272 B Dr. Rutschke (FDP) 3252 B Baron von Wrangel (CDU/CSU) 3254 D Behrendt (SPD) . . . . . . . 3256 C Strauß (CDU/CSU) 3261 B Mischnick (FDP) 3273 D Nächste Sitzung 3276 D Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 3277 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Juni 1970 3215 59. Sitzung Bonn, den 17. Juni 1970 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
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    Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Juni 1970 3277 Anlage zum Stenographischen Bericht Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete (r) beurlaubt bis einschließlich Bartsch 19. 6. Breidbach 19. 6. Frau Dr. Focke 17. 6. Heyen 19. 6. Katzer 17. 6. Freiherr von Kühlmann-Stumm 17. 6. Dr. Lohmar 30. 6. Müller (Remscheid) 17.6.
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    Rede von Karl Wienand


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    In dieser Situation erleben wir, wie die zur Verhandlung anstehenden Probleme seit Wochen in beinahe epischer Breite in diesem Parlament zur Diskussion stehen. Wir mußten auch erleben, daß Teile von bisherigen Gesprächsergebnissen durch eine verantwortungslose Indiskretion und in unzureichender Weise an die Öffentlichkeit gelangten. Soweit ich sehen kann, ist die Art der Behandlung der Bemühungen der deutschen Bundesregierung in der Deutschland- und Ostpolitik in diesem Parlament ein einmaliger Vorgang im Vergleich zur Behandlung ähnlich wichtiger Beratungsgegenstände in anderen demokratisch regierten Staaten und im Vergleich dazu, wie es in der Vergangenheit hier in diesem Parlament gehandhabt worden ist.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich frage mich mit Ernst und voll Sorge, ob eine solche Behandlung noch mit den erklärten Zielen einer Politik in Einklang gebracht werden kann, I die vorher auch im Grundsätzlichen vom Sprecher der Opposition beschworen wurde. Ich frage mich aber auch, ob durch diese Art und Weise nicht der Verdacht aufkommen muß, daß diejenigen, die möglichst alles sofort ans öffentliche Licht zerren wollen, im Grunde bereit sind, auf der Stelle zu treten und nicht jene notwendige Bewegung in die deutsche Politik zu bringen, von der Herr Dr. Kiesinger in dem eingangs zitierten Absatz seiner Rede vor drei Jahren gesprochen hat.
    Meine Damen und Herren von der Opposition, ich nehme doch an, daß Sie immer noch die Absicht haben, bei sich bietender Gelegenheit die Regierungsverantwortung in diesem Lande erneut zu übernehmen.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Haben Sie wirklich einmal gründlich darüber nachgedacht, ob Sie nicht in den letzten Wochen und Monaten durch Ihre Äußerungen vor diesem Hause sowie auf Veranstaltungen und in Artikeln und Interviews draußen im Lande etwas zerschlagen haben, was Sie selbst noch einmal benutzen müssen? Ist Ihnen, so möchte ich fragen, klar geworden, daß Sie durch allzu forsches Auftreten jene ersten zarten Pflanzen zertreten könnten, die Sie doch nach Aussage Ihrer Politiker pflegen wollen?

    (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Herr Wienand, sind Sie dabei, eine Legende zu machen? — Abg. Rösing: Wollen Sie uns die Schuld zuschieben? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Ich stelle diese Frage. Erregen Sie sich doch nicht, Herr Kollege Rösing! Sie haben ja am wenigsten zu den Dingen gesagt.
    Ich habe Verständnis dafür, daß Sie dieser Regierung und im besonderen meiner Partei Schwierigkeiten bereiten wollen. Haben Sie in Ihre Berechnungen aber auch einbezogen, daß möglicherweise über diesem Schwierigkeiten-Bereiten das notwendige Augenmaß verlorengeht und unheilvolle Allianzen zustande kommen, Allianzen, die teils durch Verbalismus heraufbeschworen, teils dann



    Wienand
    ) nicht mehr zurückgedrängt oder ungeschehen gemacht werden können, wenn es so dargestellt wird, wie es vorhin der Redner der Opposition getan hat?
    Mir liegt nicht daran, in dieser Stunde das noch einmal Revue passieren zu lassen, was in den letzten Wochen und Monaten an „Verzicht" und „Ausverkauf" und ähnlichen Vokabeln in die öffentliche Diskussion hineingebracht worden ist. Mir liegt nicht daran, Restbestände einer politischen Auseinandersetzung der fünfziger Jahre hier erneut zu beleben. Aber ich möchte in diesem Zusammenhang noch einmal nachdrücklich die sechs Punkte der Bundesregierung in Erinnerung rufen, von denen ich einen vorhin zitiert habe, und ich möchte auf eine Reihe von Gesichtspunkten — man kann bei der zur Verfügung stehenden Zeit nicht alle anführen — hinweisen dürfen, die für jede Politik und vor allem für die Politik, die diese Bundesregierung betreibt, von hoher Relevanz sind.
    Hier war immer wieder die Rede von der Frage: Was heißt denn Gewaltverzichtsverträge, was erreicht man zusätzlich damit? Lassen Sie mich aus meiner Sicht etwas dazu sagen. Den Frieden erhalten heißt, Gewaltanwendung und Gewaltdrohung aus den Beziehungen zwischen den Völkern zu verbannen. Immer mehr, so meine ich, müssen strittige Fragen aus dem Zusammenleben, aus dem Nebeneinander der Völker herausgenommen und auf den Weg des Rechts verwiesen werden.

    (Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Sehr richtig!)

    Friede und Nichtgebrauch von Gewalt hängen aufs engste zusammen. Wer den Frieden bricht, ist auch Rechtsbrecher; denn das Verbot von Gewaltanwendung und Gewaltdrohung ist Gegenstand einer Rechtsnorm, nicht nur in der Charta der Vereinten Nationen, sondern auch in unserem Grundgesetz. Die bloße Existenz dieser Norm erfüllt bereits eine Funktion für den Frieden.

    (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Gut!)

    Aber ihre Geltungskraft zu mehren und zu verfestigen ist Sache einer jeden aktiven Friedenspolitik. Da bedarf es keiner Abgrenzung, auch wenn sie der Bundeskanzler vorgenommen hat; denn ich halte eine deutsche Politik, ob nach außen oder innen, nur gezielt als Friedenspolitik für eine vernünftige Politik. Wir sollten das außerhalb der Diskussion halten.

    (Beifall bei der SPD.)

    Das Verbot der Gewaltanwendung und der Gewaltdrohung ist jedenfalls einer der Grundsätze der Vereinten Nationen, auf die die Weltorganisation und ihre Mitglieder die Verwirklichung ihrer Ziele gründen.
    In diesem Zusammenhang spielt der Art. 2 der Satzung der Vereinten Nationen eine entscheidende Rolle. Für die Erhaltung des Friedens kommt es darauf an, daß die Gewaltverbotsnorm allseitig Geltung hat und bekommt. Die Mitglieder der Vereinten Nationen sind auf die Charta und deren Grundsätze schon durch ihren Beitritt verpflichtet, aber auch die Nichtmitglieder haben sich auf die Charta, jedenfalls auf die Beachtung ihrer Grundsätze, festgelegt. Von einer quasi universellen Geltung des Gewaltverbots zu sprechen ist daher keine Übertreibung und ziemt sich gerade für Deutsche in dieser Stunde, wenn wir uns zu diesem Thema äußern.
    Wir wissen aber auch, daß Normen nicht ohne weiteres eingehalten werden, nur weil sie da sind. Um sie durchzusetzen, ihre Ausnahmen einzugrenzen, kommt es darauf an, die Zahl der Übertretungen zu verringern, die Völkergemeinschaft vor nachhaltigen Verletzungen der Verhaltensnormen zu schützen. Dazu bedarf es weiterer Vorklärungen nach einer beharrlichen, oft von Mißerfolgen begleiteten Anstrengung. Ich sehe gerade die vorhin erwähnten Gespräche des Staatssekretärs Bahr als einen wertvollen, nicht zu unterschätzenden Beitrag auf diesem Wege an.
    Im Art. 26 des Grundgesetzes wird sehr deutlich festgelegt, daß darüber hinaus Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, Angriffskriege vorzubereiten oder das Zusammenleben der Völker zu stören, verfassungswidrig sind und unter den Strafanspruch des Staates gestellt werden. Wir haben dies ausdrücklich nicht nur in unserem Grundgesetz, sondern auch zum Ausdruck gebracht, als wir dem Nordatlantikpakt beigetreten sind; ich verweise auf Art. 1 dieses Vertrages.
    Für den Erfolg der auf Friedenserhaltung und Entspannung gerichteten Politik ist es wesentlich, daß keine Gewalt angewendet wird, aber auch, daß nicht mit Gewalt gedroht wird. Gewalt vernichtet den Frieden, Drohung mit Gewalt, gleichviel von welcher Seite sie vorgenommen wird, zerstört jede Entspannung, die Mitvoraussetzung zur Erhaltung des Friedens ist. Trennend zwischen Ost und West, zwischen den Völkern stehen bedauerlicherweise immer noch Doktrinen, die einen bestimmten Gebrauch von Gewalt und der Androhung von Gewalt als gerechtfertigt hinzustellen trachten.

    (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Oft mehr als Doktrin, oft Ideologie, Herr Wienand!)

    — Von mir aus auch Ideologie. —

    (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Das ist schlimmer!)

    Wenn wir aber von dieser grundsätzlichen Einstellung, wie ich sie hier dargetan habe, an diese Dinge herangingen und wenn wir zur Verwirklichung der deutschen Vorschläge mit Moskau, mit Polen, mit der DDR Gewaltverzichtserklärungen austauschten, würde dies zwischen diesen Partnern zu einer Individualisierung der Gewaltsverbotsnorm führen — und wer wollte sich dem entgegenstellen, wenn das erreichbar wäre?
    Speziell gesagt — das muß eingeräumt werden —, fügt der Gewaltverzicht der allgemeinen Gewaltverzichtsnorm nichts hinzu. Immerhin stellt die Anwendung, die Verpflichtung aus der Norm, einen neuen Rechtsgrund, den der vertraglichen Verpflichtung, zusätzlich dar. Er schafft dadurch mehr, als vorhanden war. Er knüpft eine zusätzliche Bindung, wenngleich in derselben Sache, aber doch unter Ein-



    Wienand
    räumung eines speziellen Berufungsrechts an den Kontrahenten.
    Politisch gesehen geht die Bedeutung über die Schaffung eines neuen Rechtsgrundes der Verpflichtung weit hinaus. Der Gewaltverzicht ist ein Mittel zur Entschärfung einer bestimmten Spannungslage, zur Bestätigung des politischen Willens, in einem bestimmten Streitfall oder gegenüber bestimmten Partnern eine Politik ohne Gewalt zu betreiben. Ich empfinde, daß ein großer Dissens in der Auseinandersetzung hier bei uns, aber auch von uns nach draußen hin mit darauf zurückzuführen ist, daß innen bona fide -- das unterstelle ich —, von außen nicht immer bona fide uns etwas unterstellt wird, was wir bewußt ausgeräumt haben, was wir aber durch solche Verhandlungen und durch ständiges Bemühen auch gegenüber der Weltöffentlichkeit außerhalb der Diskussion stellen müssen, wie wir das nach langen leidvollen Erfahrungen endlich bei uns außerhalb der Diskussion gestellt haben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    So gesehen nimmt Gewaltverzicht geradezu den Charakter eines Streitmoratoriums, eines Aufschubs der Lösungen an. Andererseits besteht die Lösungsbedürftigkeit des Konfliktstoffs grundsätzlich weiter. Die programmatische Forderung, den Streit friedlich zu lösen, impliziert --- auch das ist hier schon herausgestellt worden die Feststellung, daß ein unerledigter Konfliktstoff vorliegt, ohne dessen Lösung eine Befriedung nicht eintreten wird, bei dessen Fortbestand auch die Friedlosigkeit fortdauert. Politik bedeutet doch, überzeugend klarzumachen, daß es auf den Fortbestand des Friedens ankommt und daß man deshalb an die Fragen herankommen muß, auch wenn am Anfang die Mißverständnisse so groß erscheinen, daß der eine oder andere Gespräche schlechthin für sinnlos halten mag. Ungeachtet dessen muß der Versuch unternommen, muß gerade auf dieser Ebene weitergearbeitet werden.
    Darüber hinaus muß man dann natürlich bereit sein, über alle anderen anstehenden Fragen zu reden, wenn man will, daß der Partner, mit dem man spricht und mit dem man um der Voraussetzungen willen im Gespräch bleiben muß, auch die Themata mitbehandelt, die unsere Herzensanliegen sind, und die auf den Gesprächstisch bringen und sich darüber unterhalten bedeutet nicht etwas preisgeben, bedeutet nicht etwas billig verkaufen, sondern bedeutet das ständige Ringen, die mühevolle Millimeterarbeit, um diese Konfliktstoffe einzuengen und immer wieder gegenüber der Weltöffentlichkeit unmißverständlich zu betonen, daß wir es sind, die nicht von Moral und von Gesinnung reden, sondern die von der Verantwortungsethik getragen an diese Probleme herangehen, und daß, wenn es schon Schwarze Peter in diesem Spiel gibt, sie sichtbar bei den anderen stecken und nicht uns zugesteckt werden können.

    (Beifall bei der SPD.)

    gierung betreibt, unterstützt wird, wenn intern und
    auch in öffentlicher Fragestellung und in der Klarstellung der eigenen Standpunkte kein Dolus gegenWenn so gesehen die Politik, die die Bundesreeinander und erst recht nicht gegenüber einer Regierung ins Gespräch gebracht wird, wenn wir dies tun mit dem nötigen Anstand und dem Patriotismus, von dem Sie, Herr Dr. Marx, vorhin gesprochen haben, dann stärken wir die Bundesregierung, zu der wir Vertrauen haben, für diese schwierigen Verhandlungen, und dann kommt es zu Verhandlungen, über die wir als Parlament im Abschluß zu befinden haben. Da würde ich nicht diese oder jene Wahl, diese oder jene Äußerung als ein Plebiszit auf dem Wege zu diesem Ziel hin betrachten

    (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Das stand aber in Ihren Anzeigen!)

    — man muß doch die Zuspitzung und die Situation sehen, in der dann Antworten erfolgten —, sondern da würde ich in ständigem Bemühen um des Patriotischen willen und in der Erinnerung an den Tag, den wir heute als Arbeitstag begehen, mit dem Blick auf diese Arbeit hin zu Gemeinsamkeiten aufrufen, die nicht darin zu liegen haben, daß wir hier und nach außen hin Einigkeit in allem demonstrieren, sondern die darin liegen, daß keiner in diesem Hause und erst recht nicht die Bundesregierung bereit ist, Freiheit und Frieden aufs Spiel zu setzen.
    Aber es wird so oft von Freiheit, von Frieden und von Wiedervereinigung gesprochen, und das als eine Formel, die gängig geworden ist. Können wir es nicht einmal etwas anders formulieren, ohne damit etwas preiszugeben: wir haben aus Gründen, die allen bekannt sind, Frieden, der weiter gesichert werden muß, und wir haben eine Freiheit für uns hier, die weiter ausgebaut werden muß. Wir können beides aber nur erreichen, wenn wir — in der Reihenfolge — Frieden erhalten, mit den adäquaten Mitteln für die Freiheit eintreten und darüber hinaus dann das überwinden, was heute trennend zwischen uns steht, und damit den Auftrag erfüllen, der uns mit diesem Tag gegeben ist.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Kai-Uwe von Hassel
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat für die FDP-Fraktion der Abgeordnete Borm. Für ihn sind 30 Minuten angemeldet.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. William Borm


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist zu begrüßen, daß der Bundestag mit gutem Beispiel vorangeht und diesen Tag der deutschen Trauer als Arbeitstag begeht. Es ist in der Tat kein Grund zum Feiern, und ich glaube, wir werden uns der Aufgabe unterziehen müssen, auch für unser gesamtes Volk einen anderen Stil dieses tragischen Tages zu finden. Aber es ist ein Tag des Gedenkens, ein Tag des Gedenkens an die Opfer der Gewalt, wo immer Diktatur und Gewalt angewendet wird, überall auf der Welt, und nicht nur ein Tag des Gedenkens an jene 21 Todesopfer des 17. Juni 1953, die unserem Herzen naturgemäß am nächsten liegen.
    Es ist aber auch ein Tag des Nachdenkens über unsere Pflicht, über die Pflicht, die einem Vertreter des deutschen Volkes jetzt, 17 Jahre nachher, ob-



    Borm
    liegt. Ich habe den 17. Juni 1953 unter anderen Umständen erlebt als jeder von Ihnen.

    (Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!)

    Ich habe die Opfer dieses Tages vier Wochen später hinter den Mauern erlebt, welche mich seinerzeit umschlossen haben. Ich habe den unmittelbaren Eindruck, und aus dieser Erinnerung heraus, meine Kolleginnen und Kollegen, gestatten Sie mir doch einige Bemerkungen.
    Wir sollten diesen Tag der deutschen Trauer und der deutschen Schmach als das sehen, was er ist. Wir sollten ihn nicht glorifizieren. Das würde seine Bedeutung herabmindern. Es war kein organisiertes Aufbegehren. Es war ein spontaner Aufstand,

    (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern]: Sehr wahr!)

    weil das Maß voll war. Was war geschehen? Die Verantwortlichen drüben, die die Macht in Händen haben, haben die Lage verkannt. Sie glaubten, daß sie mit den Menschen umspringen könnten, wie es die jeweilige ökonomische oder politische Ratio eines Diktatursystems ihnen gerade gut erscheinen ließ. Sie versuchten, die Arbeitsnormen heraufzusetzen. Sie versuchten, die arbeitenden Menschen zu erhöhter Leistung und damit zu relativ geringerem Lohn anzuspornen. Das wäre an sich, wenn so etwas bei uns möglich wäre, natürlich ein Anlaß, dagegen auf der Straße zu protestieren. Diese Protestmärsche haben auch stattgefunden. Sie haben auch dort stattgefunden, worum das deutsche Schicksal am intensivsten gerungen wurde und gerungen wird: in Berlin; denn dort ist der Brennpunkt des deutschen Geschehens. Aber diese an sich erklärliche Auseinandersetzung über Arbeitsbedingungen stieß auf eine geistige Bereitschaft - das ist das Aktivum dieses Tages — zum offenen Protest. Das deutsche Volk in der DDR war nicht länger gewillt, die Faust in der Tasche zu ballen. Die Bevölkerung hatte die Diskrepanz zwischen der Propaganda, dem Versprechen einer nebelhaften glücklichen Zukunft und der rauhen, der realen Wirklichkeit erkannt. Das Volk sah täglich die sichtliche ökonomische Überlegenheit unseres Wirtschaftssystems, und es gab, was das Wichtigste ist, ein lebendiges Zusammengehörigkeitsgefühl der Menschen in beiden deutschen Staaten, das zum Ausdruck kommen ließ, daß alles, was bei uns geschieht und geschah, deren Schicksal war, wie ebenfalls bei uns dieses Zusammengehörigkeitsgefühl festzustellen war. Es war eine Auflehnung des Freiheitswillens gegen den manipulierten totalen Zwang.
    Das, meine Damen und Herren, waren die Gründe, und das waren die Erscheinungsformen. Ich selbst kann Ihnen die unmittelbare Wirkung an jenem Tage nennen: eine Ratlosigkeit beim Aufsichtspersonal, eine Ratlosigkeit bei den unteren Rängen der dortigen Hierarchie. Und was war das Ende: Das gewohnte Mittel der Gewalt, wie wir sie in Polen, in Ungarn, in der DDR und in der Tschechoslowakei erlebt haben. Das, meine Damen und Herren, ist das Resümee eines Systems, das vorgibt, dem Menschen dienen zu wollen, dessen Mittel aber der Unterdrückung des Menschen dienen.
    Die Niederschlagung dieses spontanen Aufstandes hatte Rückwirkungen in der Bevölkerung, und diese wirken nach in der Resignation. Man hatte aus dem Zusammengehörigkeitsgefühl heraus natürlich erwartet, daß wir uns und der gesamte Westen, sich des Schicksals der Menschen in der DDR annehmen würden. Man hatte natürlich nicht bedacht, daß das Krieg bedeutet hätte. Das führte zunächst zur Enttäuschung und dann nach einigem Nachdenken zur Ernüchterung bei der Einschätzung der wirklichen Situation. Wer sich in den Klauen eines totalen Regimes befindet, lebt unter anderen Bedingungen als Menschen, deren Lebensstil Demokratie und Freiheit sind,

    (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Sehr wahr!)

    und er muß sich mit dieser seiner Situation auseinandersetzen.
    Heute, meine Damen und Herren, dürfen wir feststellen — wir müssen dies sogar feststellen, wenn wir uns keinen Trugschlüssen hingeben wollen —, daß es eine Wiederholung des 17. Juni 1953 in der damaligen Form nicht geben wird. Die Methoden sind verfeinert; sie sind raffinierter und nicht un-bewährt. Bei der Anwendung der Methoden arbeitet man zwar ohne sichtbar eingesetzte Gewalt. Sie basieren aber nach wir vor nicht darauf, daß man sich des freien Willens der Unterdrückten versichern will, sondern nur darauf, daß die Gewalt verdeckt ist, obwohl sie immer vorhanden bleibt. Meine Damen und Herren, dessen sind sich die Menschen drüben bewußt.
    Ferner ist nicht abzuleugnen — auch das müssen wir in Rechnung setzen --, daß unzweifelhaft ein ökonomischer Erfolg gegenüber der Zeit von 1953 eingetreten ist. Das hat zur Folge, daß die Menschen, welche diesen Erfolg unter wesentlich schwereren Bedingungen als wir und trotz aller ihnen auferlegten Hemmnisse errungen haben, einen gewissen berechtigten Stolz auf diese ihre Leistung zur Schau tragen. Wir sollten sehr wohl bedenken, daß so manche unserer Äußerungen dort drüben als überheblich angesehen wird und von unserer Seite aus keinen guten Beitrag zu dem Werk des — zunächst — gegenseitigen Verständnisses der beiden Teile Deutschlands darstellt.
    Meine Damen und Herren, schließlich ist noch der Faktor der Gewöhnung zu nennen. Er ist nicht gering zu veranschlagen. 25 Jahre gehen an einem Volk nicht ohne Spuren vorüber. Die nachwachsende Jugend hat keine Vergleichsmöglichkeiten. Sie tritt unter anderen Voraussetzungen in das politische Leben ein, als wir sie hier erlebt haben. Ich glaube, dieses Beispiel wird auch uns selbst oft genug vor Augen geführt. Über die Erfahrungen, die wir in zwei Weltkriegen, in einem Weltkrieg oder in der Zeit nach dem Weltkrieg gesammelt haben, verfügt unsere Jugend nicht. Dasselbe ist drüben festzustellen. Diesen Faktor müssen wir ständig im Auge haben, wenn wir uns des richtigen Mittels bedienen wollen, um glaubwürdige Einwirkungsmöglichkeiten ohne List und Hinterlist auf den anderen Teil Deutschlands zu finden. Man kann eben nicht 25 Jahre in einer inneren Emigration
    3232 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 59. Sitzung, Bonn, Mittwoch, den 17. Juni 1970
    Borm
    leben. Man kann nicht lebenslang ohne Hoffnungsschimmer im Gegensatz zu einem nicht erwünschten System, dessen Wirkung man täglich ablehnt, leben. Man muß sich irgendwie arrangieren, besonders dann, wenn man weiß, daß wirkliche Hilfe, wenn sie in der Art gegeben werden sollte, wie man drüben vielleicht hoffte, kriegerische Verwicklungen nicht ausschließen könnte. Das bedeutet natürlich nicht, daß die Menschen ihren Frieden mit dem System gemacht haben. Aber das Denken ist nicht mehr nur ein Schwarzweißdenken; es ist differenziert und nuanciert. Wir würden uns täuschen, wenn wir glaubten, daß alles das, was 1953 Selbstverständlichkeit war, heute noch vorausgesetzt werden könnte. Ebenso ist in der Stadt, aus der ich komme, in Berlin, heute ein anderes Denken festzustellen als zur Zeit der äußeren Bedrückung, zur Zeit der Blockade. Die Gefahr ist die gleiche geblieben. Die Mittel, deren sich die andere Seite bedient, haben sich geändert und infolgedessen auch die Bewußtseinlage.
    Ein Letztes. Unsere Propaganda, die wir nach drüben leiten, ist nicht immer zweckentsprechend. Sie ist nicht immer überzeugend. Sie ist auch deswegen nicht überzeugend, weil sie die berechtigte Kritik, die an den Zuständen bei uns geübt werden kann und muß, unterdrückt und sich scheut, bestehende Fehler zuzugeben. Wir haben unbestritten den besseren Lebensstandard. Wir haben einen freiheitlichen Lebensstil. Wer aber glaubt, die Überlegenheit unseres Systems allein auf die ökonomische Überlegenheit des Lebensstandards gründen zu können, verkennt die Vielfalt des Lebens und die geistigen Elemente, die diesem Leben zugeordnet sind.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren, was ist nun objektiv geblieben, und was ist die Ausgangsposition, die wir stets im Auge behalten müssen, wenn wir die notwendige Auseinandersetzung mit dem System drüben und dabei meine ich mit „drüben" nicht nur die DDR —, mit dem totalen kommunistischen System suchen, weil wir sie suchen müssen? Es ist geblieben die eingeschränkte Freiheit, es ist geblieben für die DDR die menschliche Belastung durch die zerrissenen Bande der Familie und der Freundschaft, es ist geblieben die Unvereinbarkeit der Systeme, die Unvereinbarkeit politisch, ökonomisch und gesellschaftlich. Es ist bei uns geblieben — und das ist der erfreuliche Ansatz, der hoffentlich einmal jene schädlichen und unnützen Polemiken um der Polemik willen beendet — die gemeinsame Zielsetzung, über eine Milderung der Spaltung zu deren Überwindung zu gelangen.
    Der Grund, der die Regierung und die Regierungsparteien veranlaßt, die mühselige gefährliche Arbeit zu verrichten, nach 20 Jahren den Versuch eines anderen Weges zu machen, nachdem der — sicherlich individuell redlich gemeinte — frühere Weg nicht zum Erfolg geführt hat, ist zunächst ein menschlicher, individueller, denn dieses menschliche Leid zu beenden ist die Aufgabe eines jeden, der sich über die Ökonomie hinaus den menschlichen Dingen zuwendet. Er ist aber auch ein nationaler, und wir scheuen uns nicht, dieses Wort in den Mund zu nehmen. Nur Heloten nehmen eine Spaltung ihres Landes widerspruchslos in Kauf.

    (Beifall bei allen Fraktionen.)

    Der Weg ist aber auch — und das unterscheidet unsere jetzige Position von der Position des deutschen Bismarckschen Reiches und auch des Reiches von Weimar — international begründet. Erstmalig in der Geschichte sind unsere nationalen Interessen gleichlaufend mit den internationalen Interessen des Friedens, der Verständigung, der Aussöhnung, weil die Welt unteilbar geworden ist und weil unsere Position imperialistische —

    (Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Die Welt ist geteilt!)

    — Unteilbar geworden ist, Herr Kollege Dr. Kiesinger! Sie ist sicherlich noch geteilt, und trotzdem ist sie unteilbar, oder sie geht zugrunde.

    (Zustimmung bei den Regierungsparteien. — Erneuter Zuruf des Abg. Dr. h. c. Kiesinger. — Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Das sind populär-philosophische Umdeutungen von Teilhard de Chardin! Mehr ist das nicht!)

    — Gut, aber ich glaube, Herr Kollege Marx, daß Sie ohne Erkenntnis der wirklichen grundlegenden Zusammenhänge sicherlich nicht immer den richtigen Kompaß haben; wenn man sich nur von Tagesereignissen bestimmen läßt, wohl nicht.

    (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Aber Herr Borm, das quält uns doch, daß die eine Welt so tief geteilt ist!)

    — Ich freue mich, Sie so verstehen zu dürfen. Diese Qual tragen wir gemeinsam.
    Deutschland hat eine besondere Verantwortung. Es liegt geographisch inmitten desjenigen Erdteiles, der noch immer eine entscheidende Rolle in den Geschicken der Welt spielt. Gerade die Bundesrepublik, aber auch die DDR, trägt wegen ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eine weitere zusätzliche Verantwortung. Sie haben, beide zusammen und jeder für sich, die Schlüsselstellung für Europa, so wie Berlin die Schlüsselstellung für Deutschland hat. Deswegen gibt es sicherlich keinen Zweifel im ganzen Haus: Wer Berlin aufgibt oder aufgeben will, versündigt sich an Deutschland, und wer Deutschland und seine Zukunft aufgeben will, versündigt sich an Europa.

    (Beifall bei allen Fraktionen.)

    Das, meine Damen und Herren, ist das, was uns verbindet.
    Nun zu den Methoden! Ich habe sehr aufmerksam heute die Einlassungen unseres Kollegen Marx gehört. Sie waren nicht ermutigend. Das kann ein persönlicher Eindruck sein. Ich vergleiche mit diesen Ausführungen ein Papier mit neun Thesen, das gestern bei der Präsidiumssitzung des Kuratoriums Unteilbares Deutschland von unserem Kollegen Dr. Gradl überreicht worden ist. Ich habe diese Thesen



    Borm
    mehrmals gelesen. Ich würde Ihnen, meine Kollegen von der CDU/CSU, empfehlen, sich diese Thesen einmal anzusehen. In ihnen ist so vieles an Gemeinsamkeiten enthalten sicherlich auch noch an Zweifelsfragen —, daß auf einer solchen Basis sehr wohl jene notwendige — da folge ich Ihnen sehr -- und erstrebenswerte größtmögliche Breite in der Vertretung unserer deutschen Interessen gegenüber den östlichen totalitären Systemen zu finden ist.
    Jene Feststellung, die Sie zitiert haben — auch der Herr Bundeskanzler hat sie zitiert, Herr Kollege Wienand hat sie zitiert — aus der Rede des früheren Bundeskanzlers Dr. Kiesinger, jene Feststellung, daß die Zeit nicht für uns arbeitet — und wenn sie nicht für uns arbeitet, muß sie natürlich gegen uns arbeiten —, wird auch von uns geteilt. Sie ist ein Motiv gewesen, endlich daraus die nach unserer Meinung richtigen Konsequenzen zu ziehen. Wir werden Gelegenheit haben, Herr Kollege Marx — wir kennen uns ja nicht erst seit heute —, Ihre Rede sehr aufmerksam zu lesen. Aber mein erster Eindruck ist nicht so ermutigend wie der Eindruck, den mir die Lektüre des Papiers von Herrn Di. Gradl gegeben hat.
    Wir sind nach 20 Jahren — wenn ich nun sagte: Mißerfolg, würden Sie das als eine Wertung ansehen —, wir sind nach 20 Jahren Mühen, welche ohne Erfolg geblieben sind, sehr realistisch geworden. Wir haben den Mut gehabt, auf vier Ebenen gleichzeitig anzupacken, und wir hörten heute aus dem Munde des Herrn Bundeskanzlers, daß eine fünfte Ebene — die der Gespräche mit der Tschechoslowakei — in Aussicht genommen ist. Wir gehen also das Problem in der Gesamtheit an. Es ist mühselig. Wir suchen noch nicht — so weit sind wir noch nicht — nach der Möglichkeit eines Do ut des, sondern wir suchen zunächst einmal, insonderheit in unserer Unterhaltung mit den Machthabern in der DDR, alle jene Punkte, in denen im deutschen, im internationalen Interesse wenigstens noch ein Funke von Gemeinsamkeit festzustellen sein sollte, wenn auch nur in Dingen wie Verkehr, Kultur oder sonst etwas.
    Wir haben uns daran erinnert, daß es einmal eine Zeit gab, in welcher die Sowjetunion ständig erklärte, Deutsche müßten sich an einen Tisch setzen, und sie müßten und sollten miteinander reden, weil das die einzige Möglichkeit sei, zur Lösung der deutschen Probleme zu kommen. Wir werden die Sowjetunion daran erinnern, auch wenn ihre Interessenlage heute eine andere ist. Sie möge uns dazu helfen durch Einwirkung auf die DDR, daß diese ihren erkennbaren Widerstand — ihre Gründe brauchen hier nicht untersucht zu werden — endlich aufgibt und auf das offene, ehrliche Gespräch eingeht, das wir ihr angeboten haben. Wenn die Sowjetunion das tut, so dient sie zunächst ihren eigenen Interessen, wenigstens so, wie sie sie in ihrer Propaganda darstellt. Sie dient aber auch dem Frieden und damit Europa.
    Nun, meine Damen und Herren, wir wären versucht, heute über viele Einzelheiten zu reden. Es ist nicht die erste, es wird nicht die letzte Unterhaltung, die letzte Debatte sein, die wir über die deutschen Schicksalsfragen miteinander zu führen haben. Aber wir sollten zum Schluß feststellen, welche Lehren wir Freie Demokraten aus dem 17. Juni 1953 ziehen und — ich möchte noch etwas einschieben — welche Lehren wir glauben ziehen zu müssen aus dem wenig ermutigenden Stil des Wahlkampfes, den hier fortzusetzen wir uns scheuen sollten, weil das der sicherste Weg wäre, nicht zueinander-, sondern auseinanderzukommen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Herr Kollege Marx hat einige Beispiele angeführt, die ihn verletzt haben, die ihm Schwierigkeiten bereiten. Gestatten Sie mir, nur eines zu sagen. Wir glauben nicht, daß es dem Verständnis der Fraktionen untereinander dienlich ist, wenn vor 14 Tagen in Niedersachsen in einer Tagung der Landespolitiker der CDU meine Partei, die Freien Demokraten, als „Krebsgeschwür der deutschen Demokratie" bezeichnet worden ist.

    (Pfui!-Rufe bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren, solche Töne sollte man unterlassen. Ich glaube, ich brauche nichts weiter hinzuzusetzen; das wird wohl die Billigung keines der Kollegen, die in diesem Saale sind, finden. Wir werden uns bemühen, solche Töne herauszuhalten.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Barzel: Wie ist das mit dem Krieg, Herr Borm?)

    — Auf das mit dem Krieg habe ich Ihnen geantwortet. Lesen Sie es bitte nach. Ich glaube, meine Antwort ist klar. Lesen Sie die FDK!
    Unsere Lehren aus dem 17. Juni! Wir können es uns, da die Zeit gegen uns arbeitet, nicht mehr leisten, abseits zu stehen. Wir müssen uns in den weltweiten Kampf um Ausgleich und Frieden einreihen, und haben uns darin eingereiht. Dazu gibt es nur eine Alternative: die gegenseitige Vernichtung. Der Schwerpunkt unserer Bemühungen ist, auch wenn wir jetzt auf vier, später auf fünf Ebenen verhandeln, unsere eigene, unsere deutsche Nation. Wir haben glücklicherweise festzustellen — ich sagte es bereits —, daß wir uns im Gleichlauf befinden mit den europäischen Interessen, die auf Frieden gerichtet sind, ebenfalls weil es eine andere Alternative nicht gibt.
    Der heutige 17. Juni sollte uns und wird uns Freien Demokraten ein Anlaß sein, diese unsere nationale, unsere menschliche und unsere europäische Pflicht noch zielbewußter zu verfolgen als bisher.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)