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ID0605407400

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 54. Sitzung Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970 Inhalt: Anteilnahme des Bundestages an den Naturkatastrophen in Peru und Rumänien 2749 A Regelung für die Einreichung von Fragen während der Parlamentsferien . . . 2749 B Amtliche Mitteilungen 2749 C Beratung des Weißbuchs 1970 zur Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und zur Lage der Bundeswehr (Drucksache VI/765) 2750 A Schmidt, Bundesminister . 2750 A, 2806 C Dr. Zimmermann (CDU/CSU) . . 2762 A Buchstaller (SPD) 2767 A Jung (FDP) 2772 C Brandt, Bundeskanzler 2778 A Dr. Klepsch (CDU/CSU) 2780 D Wienand (SPD) 2786 D Ollesch (FDP) 2791 D Stahlberg (CDU/CSU) 2794 A Pawelczyk (SPD) 2796 A Damm (CDU/CSU) 2799 A Schmidt (Würgendorf) (SPD) . . 2803 B Dr. Wörner (CDU/CSU) 2811 A Schriftlicher Bericht des Verteidigungsausschusses über den Jahresbericht 1969 des Wehrbeauftragten des Bundestages (Drucksachen VI/453, VI/800) Ernesti (CDU/CSU) 2813 D Horn (SPD) . . . . . . . . 2814 A Jung (FDP) 2814 C Nächste Sitzung 2815 C Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 2817 A Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970 2749 54. Sitzung Bonn, den 2. Juni 1970 Stenographischer Bericht Beginn: 14.00 Uhr
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    Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Dr. Ahrens * 4. 6. Alber * 4. 6. Amrehn * 4. 6. Bals * 4. 6. Bauer (Würzburg) * 4. 6. Benda 2. 6. Berberich 5. 6. Dr. Birrenbach 8. 6. Blumenfeld * 4. 6. Frau Dr. Diemer-Nicolaus * 4. 6. Dr. Dittrich ** 2. 6. Draeger * 4. 6. Dr. Erhard 7. 6. Fritsch * 4. 6. Dr. Furler * 4. 6. Dr. Gölter 2. 6. Frau Herklotz * 4. 6. Dr. Hermesdorf (Schleiden) * 4. 6. Heyen 6. 6. Hösl * 4. 6. Katzer 5. 6. Dr. Kempfler * 4. 6. Frau Klee * 4. 6. Freiherr von Kühlmann-Stumm 2. 6. Lenze (Attendorn) * 4. 6. Dr. Martin 5. 6. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Meinecke (Hamburg) 3. 6. Dr. Müller (München) * 4. 6. Müller (Remscheid) 6. 6. Pfeifer 4. 6. Pöhler * 4. 6. Richter * 4. 6. Dr. Rinderspacher * 4. 6. Roser * 4. 6. Dr. Rutschke * 4. 6. Dr. Schmücker * 4. 6. Dr. Schulz (Berlin) * 4. 6. Sieglerschmidt * 3. 6. Strauß 2. 6. Frau Dr. Walz * 4. 6. Werner 2. 6. Zebisch 3. 6. Zoglmann 5. 6. b) Urlaubsanträge Bartsch 20. 6. Dr. Jenninger 21. 6. Säckl 21.6. Schmidt (München) 19. 6. *Für die Teilnahme an einer Tagung der Versammlung der Westeuropäischen Union ** Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments
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    Rede von Karl Wienand


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Ich werde im Verlauf meiner Ausführungen genau darauf zurückkommen. Aber



    Wienand
    vorab, um Sie zufriedenzustellen, Herr Kollege Wörner, folgendes: Betrachten Sie einmal die Historie unserer Bundeswehr, und überlegen Sie einmal, was damals der Herr Kollege Blank konzipiert hat und der Herr Strauß reduzieren und strecken mußte! Überlegen Sie einmal, was dann der Herr Strauß neu konzipiert hat und was Herr von Hassel reduzieren und strecken mußte! Überlegen Sie einmal, was dann der Herr Schröder gemacht hat, um Ruhe in die Truppe hineinzubekommen, und welche Truppe dann Herrn Schmidt überlassen wurde! Und wenn jetzt Herr Schmidt sagt: „Ruhe in die Truppe, ja; darüber hinaus erst nachdenken, dann handeln", und wenn er sagt, er sei in einer Reihe von Fragen mit der Prüfung noch nicht fertig, und wenn er vorhin sagte, er lasse sich nicht in Zugzwang bringen, aber er werde, wenn er diese Überlegungen abgeschlossen habe, Rede und Antwort stehen, scheint mir das seriös zu sein und nichts Neues in der Geschichte der Bundeswehr! Wer jetzt drängt und glaubt, es könnten in kurzer Zeit Antworten gegeben werden - Antworten, die dann sehr leicht falsch sein können, wie aus dem Ergebnis der Vergangenheit sehr leicht nachzuweisen ist, wo frühzeitig gegebene Antworten uns viel Geld gekostet und Unsicherheit auch in der Öffentlichkeit gebracht haben —, der sollte dankbar und froh sein, daß jetzt eine Atempause gemeinsamer Überlegung eingeleitet worden ist und daß dann nach sorgfältigem Abwägen die Antworten auf gewiß drängende Fragen gegeben werden.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ich wollte nur noch einen abschließenden Gedanken aus meiner Sicht zu der Frage der beiderseitigen Truppenreduzierungen beitragen. Gewiß kann keiner von uns sagen, wie die Reaktion Rußlands oder der anderen Warschauer-Pakt-Staaten sein wird. Aber, meine Damen und Herren, selbst wenn es keine befriedigende Antwort ist, haben wir uns dann etwas damit vergeben, daß wir vernünftige, der Welt verständliche Angebote im Einvernehmen mit unseren Vertragspartnern gemacht haben?

    (Abg. Stücklen: Das hat ja keiner behauptet!)

    — ich stelle doch die Frage; wir können uns ja verständigen -, Angebote, die nicht nur in der westlichen Welt und Öffentlichkeit, die nicht nur bei uns, sondern die, wenn auch nicht an offizieller Stelle, so doch an anderen Stellen, auch im Osten gewürdigt werden? Ich finde, es ist auch ein Beitrag guter und sinnvoller Politik, wenn dann die anderen zu etwas nein sagen müssen, was von uns angeboten wird und der Weltöffentlichkeit als vernünftig erscheint. Allein das sollte doch auch einmal abgewartet und in diesem Zusammenhang auch gewürdigt werden.

    (Abg. Damm: Wir sind doch auch gar nicht dagegen!)

    — Ich weiß nicht, warum Sie dann polemisieren, Herr Damm. Das ist bei Ihnen immer schwer zu verstehen.

    (Abg. Damm: ln dem Punkt polemisieren wir doch gar nicht!)

    Nun, die Außen- und Verteidigungsminister der NATO haben in der vergangenen Woche in Rom der Sowjetunion und den weiteren Mitgliedstaaten des Warschauer Pakts Vorschläge zur gleichwertigen und ausgewogenen Reduzierung der militärischen Kräfte in Mitteleuropa unterbreitet. Die Minister des Bündnisses folgten damit Vorarbeiten der deutschen Bundesregierung. Die Vorschläge von Rom konkretisieren in vier Punkten die in der letzten Zeit wiederaufgelebten Diskussionen über beiderseitige ausbalancierte Rüstungsbeschränkungen und Truppenverminderungen.
    Der römische Appell folgt - ich sage es noch
    einmal-dem Signal von Reykjavik vom Juni 1968.
    Er steht nicht isoliert im Raum, wie es hier und da dargestellt wird, sondern er kann und muß parallel zu den sowjetisch-amerikanischen Gesprächen in Wien über den Versuch einer Begrenzung der großen strategischen Waffen gesehen werden.
    Die Erklärung des Atlantikrats von Rom deckt sich auch mit den entsprechenden Ausführungen des Weißbuchs zur Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland. Die römische Erklärung steht mit den weiteren Überlegungen der Bundesregierung in Übereinstimmung. Das verdient festgehalten zu werden bei allen Anständen, die man zu einzelnen Punkten vorbringen kann.
    Die Verbündeten der Bundesrepublik haben die Außen-, Deutschland- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung fast zur gleichen Stunde nachhaltig unterstützt, als im Deutschen Bundestag vor einer Woche die Opposition die Gefahr an die Wand malte, die Bundesrepublik würde von ihren westlichen Freunden und Verbündeten isoliert. Heute können wir, ja, müssen wir mit Nachdruck und in aller Deutlichkeit feststellen, daß die CDU/CSU in der vorigen Woche die Situation falsch dargestellt hat und heute die Möglichkeit gehabt hätte, nicht nur die Darstellungen zu geben, die gegeben worden sind, sondern ausdrücklich festzustellen, daß sie, wenn sie die Politik der NATO unterstützt, wie sie im Kommuniqué festgehalten worden ist, damit auch die Politik der Bundesregierung in diesen Fragen unterstützt; denn es gibt keinen Unterschied zwischen dem NATO-Kommuniqué und der Politik der Bundesregierung.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wenn die CDU hier anders argumentiert, dann muß sie sich die Frage gefallen lassen, ob sie sich nicht selbst isoliert hat oder zumindest aber verkennt, was dort in letzter Zeit wirklich vorgegangen ist und in Rom einen gewissen Abschluß gefunden hat.
    In Rom wurde nicht nur eine Übereinstimmung unserer sicherheitspolitischen Vorstellungen mit denen der Partner im Bündnis festgestellt. Uneingeschränkt haben die Verbündeten die Ostpolitik der Bundesregierung unterstützt — uneingeschränkt, meine Damen und Herren von der CDU/ CSU! Sie haben gemeinsam festgestellt, daß es einen Zusammenhang gibt zwischen den Versuchen der Bundesrepublik Deutschland, durch zweiseitige Gespräche Verhandlungen mit der Sowjetunion, mit Polen und mit der DDR einzuleiten, und den Ge-



    Wienand
    sprächen zwischen den drei Mächten und der Sowjetunion in Berlin und daß damit die westlichen Anstrengungen, in Mitteleuropa zu einer wirksamen Entspannung zu kommen, eine Einheit bilden. Diese Einheit sollten wir bewahren helfen, und wir sollten dazu unseren Beitrag leisten. Die CDU/CSU steht hier also zur Zeit mit ihren vorgebrachten Argumenten leider allein.
    Die in Rom erzielte Übereinstimmung der Zielvorstellungen für die nächsten Jahre und im besonderen die zwischen den römischen Erklärungen und den Intentionen des Weißbuches bestehende Übereinstimmung hinsichtlich der weitergehenden Ziele der gemeinsamen — ich unterstreiche: der gemeinsamen — Sicherheitspolitik bedeuten für meine Fraktion und für mich, daß den besonderen psychologischen Realitäten dieser Tage wirkungsvoll und in vierfacher Weise Rechnung getragen wurde.
    Die Gestaltung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik hat erstens die Unterstützung unserer Freunde und Verbündeten. Zweitens ist sie den Gesprächen mit den Staaten des Warschauer Paktes dienlich. Sie berücksichtigt drittens in gebührendem Maße den inneren Zustand der Bundeswehr, und sie liegt viertens im Trend der in der Öffentlichkeit der Bundesrepublik mehrheitlich gestützten und immer stärker erkennbar werdenden politischen Zielvorstellungen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wie lauten die denn?)

    Das Weißbuch der Bundesregierung führt an mehreren Stellen aus, daß es das vorrangige Interesse der deutschen Politik sei, von der Phase der Konfrontation zu einer Ara der Kooperation zu kommen. Auch dies ist wiederum ein gemeinsames Ziel des Bündnisses, wie es in dieser Deutlichkeit zuerst vor knapp zwei Jahren in Reykjavik, dann im vergangenen Jahr in Brüssel und nun in der vergangenen Woche in Rom wieder formuliert wurde. Es handelt sich hierbei zudem um einen Zugang zu den Problemen der internationalen Politik in Europa, den auch die gegenwärtige amerikanische Regierung ganz oben auf ihrer Prioritätenliste stehen hat.
    Der Übergang von der Konfrontation zur Kooperation kann nicht von heute auf morgen gesehen werden. Der Herr Bundeskanzler hat das vorhin in sehr eindrucksvoller Weise klargestellt. Meine Freunde und ich halten es für bedeutsam, daß wir nun immerhin gemeinsam mit unseren Verbündeten erkannt haben, daß wir uns in einer Übergangsphase befinden. Ich brauche nicht zu betonen, daß der Abbau der Spannungen bei den vorhandenen tatsächlichen und psychologischen Realitäten niemals ein Drahtseilakt ohne Netz sein darf. Alle Stufen, die zu einer Entspannung führen sollen und können, müssen dadurch gekennzeichnet sein, daß das Gleichgewicht der in Europa wirksamen und auf Europa wirkenden politischen, wirtschaftlichen und militärischen Kräfte erhalten bleiben muß.
    In einer für deutsches sicherheitspolitisches Denken bisher einmaligen Art und Weise — jedenfalls wenn man sich auf offizielle Dokumente beruft —macht das Weißbuch der Bundesregierung allen, die es zu lesen verstehen, klar, daß dieses Gleichgewicht niemals statisch und niemals statistisch war und auch nicht so gesehen werden darf. Das Weißbuch macht ebenso deutlich, daß gewisse Asymmetrien konstant sind und bleiben werden, ohne daß darunter das Gleichgewicht oder gar das Prinzip der wirksamen gegenseitigen Abschreckung leiden müßte. Das ist die Antwort, Herr Dr. Klepsch, auf eine Reihe der von Ihnen und auch von Herrn Dr. Zimmermann gestellten Fragen.
    Ich darf für meine Fraktion und für meine Partei in Anspruch nehmen, daß über Reykjavik und Brüssel bis zu Rom in jüngster Zeit Überlegungen in die offizielle Bündnispolitik Eingang gefunden haben, die von der SPD schon vor etwa 12 Jahren erstmals diskutiert und dann vornehmlich von Fritz Erler und Helmut Schmidt hier im Bundestag und auch in der WEU vertreten wurden. Vielleicht war es für unsere damaligen sozialdemokratischen Initiativen mit dem Ziel, die militärische Konfrontation speziell in Mitteleuropa abzubauen und zu einem besseren Sicherheitssystem zu kommen, noch zu früh. Ich will heute nicht darüber rechten. Immerhin dürfte feststehen, daß wir Sozialdemokraten am Ende der 50er und zu Beginn der 60er Jahre mit unseren sicherheitspolitischen Vorstellungen nicht nur bei den damaligen Regierungsparteien in der Bundesrepublik, sondern, was die Denkansätze anging, zunächst auch im Bündnis insgesamt nur auf geringes Verständnis stießen. Das hat sich mittlerweile grundsätzlich gewandelt.
    Die 60er Jahre haben in der Bundesrepublik, im westlichen Bündnis und wohl auch in dem uns gegenüberstehenden Warschauer Pakt eine nüchterne und realistische Betrachtung der mit der Sicherheit und Verteidigung der Völker einhergehenden Probleme mit sich gebracht. Wir sollten weiter alle daran interessiert sein, daß es bei dieser Versachlichung bleibt, damit Gespräche möglich sind. Diese Wandlung fand z. B. in der Änderung der Strategie des Bündnisses im Frühjahr 1967 ihren Niederschlag, der ja schon fünf bis sechs Jahre vorher die entsprechende Wandlung der amerikanischen Strategie vorausgegangen war. Ich sehe hier noch einige Kollegen, die Anfang der 60er Jahre mit im Verteidigungsausschuß saßen. Ich erinnere sie daran, wie ernsthaft wir darüber nachgedacht und diskutiert haben und wie sehr wir uns bemüht haben, diesen Anschluß herzustellen. Ich erinnere sie daran, wieviel uns damals noch unverständlich erschien und daß selbst die Bundesregierung und der Verteidigungsminister im Ausschuß mit Analysen und Erklärungen nicht nachkommen konnten. Das sind doch die Stunden in jenen Jahren gewesen, die jeder noch in Erinnerung hat und die teilweise hier in diesem Bundestag ihren Niederschlag gefunden haben. Wir alle sollten froh darüber sein, daß all das überwunden ist und wir jetzt zu einer versachlichenden Sprache in diesen Punkten gekommen sind.
    Im Zuge dieser Entwicklung hat sich zwar das Sicherheitsbedürfnis der europäischen Völker nicht gemindert, wohl aber ist jene Einstellung aus den



    Wienand
    50er Jahren gewichen, nach der es galt, einer unmittelbar und beinahe unausweichlich drohenden Gefahr zu begegnen. Ich will damit nicht sagen, daß wir möglichen drohenden Gefahren gegenüber nachlässiger geworden wären oder daß sich bei uns die Tendenz ankündige, die eigenen Verteidigungsanstrengungen zu reduzieren. Wohl aber wird uns allen in zunehmendem Maße deutlich, daß Sicherheit in diesem Jahrzehnt etwas anderes bedeutet als im vergangenen Jahrzehnt oder gar als vor rund 20 Jahren. Mit dieser Feststellung soll keine Kritik an den Maßnahmen, die aus Ihrer Sicht damals als richtig angesehen wurden, aus unserer Sicht — zumindest was die Ausgangsposition anging — als falsch angesehen wurden, verbunden seien. Ich möchte diesen Streit nicht erneut aufleben lassen, sondern nur darauf hinweisen, daß wir uns heute gemeinsam in einer besseren Position, was die gemeinsamen Beurteilungsgrundlagen angeht, befinden. Es wird in zunehmendem Maße deutlich, daß die Sicherheit heute anders sichergestellt werden kann und muß und daß viele Dinge teilweise auch anders beurteilt werden.
    Meine Damen und Herren, dieser Bewußtseinswandel, der meines Erachtens nichts mit zunehmender Nachlässigkeit zu tun haben darf und kann, ist nicht allein auf die Völker Westeuropas beschränkt. Die aus dem Bereich des Warschauer Paktes erkennbaren Gesten auch der Verantwortlichen deuten an, daß man auch dort zumindest den Trend in den Völkern verspürt und vielleicht in einem Nachholprozeß, in dem auch wir uns jahrelang befunden haben, bemüht ist, aus der dortigen Sicht Anschluß zu finden.

    (Abg. Dr. Wörner: Ist das eine Hoffnung?)

    — Sollte dann von uns aus, Herr Dr. Wörner, sei es durch drohende Gebärden, sei es durch eine falsche Sprache, sei es durch eine Darstellung der Politik, wie wir sie gemeinsam nicht wollen, selbst wenn es nur eine Hoffnung ist, diese Hoffnung zunichte gemacht werden, oder lohnt es das Ziel nicht, alles daran zu setzen, daß aus den Hoffnungen Realitäten werden!

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion begrüßt es, daß die hier von mir skizzierten Wandlungen auch im Weißbuch der Bundesregierung ihren Niederschlag gefunden haben. Allein schon die knappe Diktion dieses Dokumentes, der Verzicht auf schmückende und meist verzerrende Beiworte, muß doch jedem Leser angenehm auffallen. Die doppelte Funktion unserer Sicherheits- und Verteidigungspolitik wird durch die klare Sprache deutlicher als jemals zuvor. Diese doppelte Funktion, das möchte ich hier noch einmal hervorheben, bedeutet: wir sind auf der einen Seite dabei, die notwendigen und möglichen Maßnahmen zu unserer Verteidigungspolitik gemeinsam mit unseren Verbündeten zu tragen, und wir werden bei diesen Anstrengungen nicht erlahmen. Wir sehen auf der anderen Seite die Notwendigkeit, abgedeckt durch diese Maßnahmen in einem stärkeren Maße als bisher eine Politik in die Wege zu leiten, durch welche Spannungen beseitigt und Wege in eine Zukunft gefunden werden sollen, die uns ein System für Europa bringen könnten, das vom Standpunkt der Sicherheit für die europäischen Völker beiderseits der trennenden Linien interessanter, weil sicherer sein könnte oder würde.
    Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion gibt zu verstehen, daß diese Bundesregierung mit dem Weißbuch ein Dokument vorgelegt hat, das durch die Deckungsgleichheit mit den politischen Vorstellungen der Verbündeten gekennzeichnet ist und das in einem bisher nicht gekannten Ausmaß die in der Bundeswehr vorhandenen Probleme erkennt und zusammenfaßt. Das ist auch von Rednern Ihrer Fraktion unterstrichen worden. Wir glauben, daß die dem Weißbuch vorangegangenen Diskussionen des Ministers und seiner Mitarbeiter mit einigen tausend Soldaten auch in der Bundeswehr einen Prozeß weiterer Diskussion auslösen werden. Schon jetzt merken die Truppe und die interessierte Öffentlichkeit, wie manche Begleiterscheinungen in den Unterhaltungen und Kommentaren über die Bundeswehr entzerrt worden sind, weil durch die Vorlage des Weißbuchs die Dinge beim Namen genannt und deshalb ohne Nebelschleier dargelegt werden können.
    Die Bundesregierung hat jetzt die Aufgabe, für die fast hundert im Weißbuch angekündigten konkreten Maßnahmen die gesetzestechnische Form zu finden. Sie wird meine Fraktion an ihrer Seite finden, wenn es darum geht, die von ihr eingebrachten Vorschläge ohne Zeitverzögerung zu verwirklichen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Liselotte Funcke
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat der Abgeordnete Ollesch.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Alfred Ollesch


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist das zweite Weißbuch, das der Deutsche Bundestag diskutiert. Wir beschäftigen uns mit diesem Weißbuch schon seit 14 Uhr, immerhin seit 4 1/2 Stunden, und es sieht so aus, als wenn es uns noch eine geraume Zeit beschäftigen wird. Ich erinnere mich an die Diskussionen über das erste Weißbuch, das dem Hohen Hause im vergangenen Jahr vorgelegt wurde. Damals wurde dieses Weißbuch kaum diskutiert. Der einzige Sprecher, der in längeren Ausführungen dazu Stellung nahm, war mein früherer Kollege, der jetzige Wehrbeauftragte. Daran mögen Sie erkennen, daß dieses Weißbuch, das die jetzige Bundesregierung vorgelegt hat, sich gegenüber dem ersten Weißbuch, das uns im vergangenen Jahre vorlag, sicherlich fortentwickelt hat. So schlecht kann es also nicht sein, wie es von den Rednern der Opposition gelegentlich dargestellt wird. Denn sonst würden wir ja keinen Grund haben, uns so lange damit zu beschäftigen.
    Von den Sprechern der Opposition ist in den Eingangsbemerkungen Kritik an der Höhe des Verteidigungshaushalts, gemessen am Gesamthaushalt, geübt worden. Es wird der Eindruck zu erwecken versucht, als zeige sich hier eine mangelnde Ver-



    Ollesch
    teidigungsbereitschaft der jetzigen Bundesregierung und der diese Regierung tragenden Koalition.
    Meine Damen und Herren, die Mittel an sich sind weder Ausdruck einer Kampfkraft noch des Verteidigungswillens. Es würde uns nichts nützen, wenn wir die Mittel erhöhten, aber nicht die Menschen hätten, die in der Lage wären, diese Mittel in effektive Kampfkraft umzusetzen.

    (Abg. Damm: Was nützt es uns, wenn wir die Menschen haben, aber nicht die Kampfkraft?)

    — Herr Kollege Damm, bisher hat es mehr an den Menschen als an den Geräten gemangelt. Das steht wohl außer Frage.
    Sie kritisieren, daß die Ansätze zu niedrig seien. In diesem Zusammenhang darf ich darauf hinweisen, daß Sie das schon seit geraumer Zeit bei den verschiedensten Problemen, die wir hier in diesem Hause behandeln, zu tun pflegen. Immer haben Sie der Regierung und den Regierungsfraktionen vorgeworfen, es sei eben zu wenig an Mitteln bereitgestellt worden, und die Aufgaben seien damit nicht so zu lösen, wie es notwendig wäre. Ich kann mich aber daran erinnern, daß Sie der Bundesregierung im Frühjahr dieses Jahres vorgeworfen haben, sie habe einen Haushalt vogelegt, der nicht konjunkturgerecht sei, weil er eine Steigerungsrate gegenüber dem Vorjahr aufweise, die viel höher sei als der Produktivitätszuwachs. Irgend etwas kann an Ihren Argumenten nicht stimmen: entweder legen wir einen konjunkturgerechten Haushalt vor — dann ist in allen Bereichen unserer Politik kein Platz für die Erhöhung von Mitteln —, oder wir beschränken uns darauf, besondere Vorhaben besonders zu fördern. Ich denke nur an Ihre Anträge zum Familienlastenausgleich, zu den Bildungsaufgaben und zum Wohnungsbau.

    (Abg. Damm: War der Haushalt denn konjunkturgerecht?)

    Nach Ihrer Meinung tun wir auf allen diesen Gebieten zuwenig; jetzt tun wir auch noch auf dem Sektor der Verteidigung zuwenig! Wie soll der Haushalt denn eigentlich aussehen? Wenn wir summieren, kommt immer mehr heraus; das ist eben das Wesen der Summierung.
    Das vorliegende Weißbuch ist das Ergebnis einer Bestandsaufnahme. Wir sollten dieses Weißbuch dementsprechend würdigen als das Ergebnis einer Feststellung, was ist mit Vorschlägen, wie die Verteidigung in der Bundesrepublik unter Beachtung unserer Bevölkerungsstärke, unserer Wirtschaftskaft und unserer Finanzkraft organisisiert werden soll. Diese Punkte können nicht unbeachtet bleiben. Wir sind dankbar für diese Bestandsaufnahme und stellen fest, daß sie erstmalig in diesem großen umfassenden Rahmen erfolgt ist.
    Das Weißbuch ist in zwei große Abschnitte gegliedert: „Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland" und „Die Lage der Bundeswehr". Im Abschnitt zur Lage der Bundeswehr nimmt das Kapitel „Wehrstruktur und Wehrreform" eine besondere Stellung ein. Der Bundesverteidigungsminister stellt fest — wir unterstreichen diese Fesstellung —, daß die Bundesregierung auch in Zukunft am Prinzip der allgemeinen Wehrpflicht festhalten wird, ungeachtet der Tatsache, daß in späterer Zeit eine andere Struktur unserer Verteidigung möglich sein könnte.
    Selbst bei einer Hinwendung zur Berufsarmee würden wir auf die allgemeine Wehrpflicht — dann allerdings von kürzerer Zeitdauer im Rahmen einer Miliz oder ähnlichem — nicht verzichten können. Die Vorschläge der Freien Demokraten zur Reorganisation der Bundeswehr und zur Struktur der Bundeswehr für die Zukunft gingen auch immer von der Voraussetzung aus, daß die allgemeine Wehrpflicht beibehalten bleibt. Aber, meine Damen und Herren, das System der allgemeinen Wehrpflicht läßt sich nur praktizieren — unter Vermeidung innerpolitischer Schwierigkeiten —, wenn eine ausreichende Wehrgerechtigkeit erreicht wird. Wir sind dem Verteidigungsminister besondes dankbar, daß das Problem der Wehrgerechtigkeit in diesem Weißbuch einen großen Raum einnimmt. Die Bundesregierung hat in ihrer Regierungserklärung erklärt: Wir wollen ein Maximum an Gerechtigkeit durch Gleichbehandlung der wehrpflichtigen jungen Männer schaffen. Und der Verteidigungsminister sagt: Die Erreichung größerer Wehrgerechtigkeit bei der Durchfühung der Wehrpflicht ist zum Kernproblem und Prüfstein des derzeitigen. Wehrsystems geworden.
    Hier stimmen wir zu. Diese Zustimmung fällt uns leicht, weil wir uns in der Vergangenheit — und ich selbst einige Male hier von diesem Pult aus — gerade dieses Problems in besonderer Weise angenommen haben.
    Es ist also der Wille der Bundesregierung, größere Wehrgerechtigkeit zu erreichen, dabei aber die Kampfkraft zu erhalten, den Haushaltsrahmen nicht zu überschreiten, die Präsenzstärken nicht zu verändern — sie sind auch vom Haushalt her bestimmt —, aber die Hälfte aller heute wegen eingeschränkter Tauglichkeit Noch-nicht-Dienenden zum Wehrdienst heranzuziehen und die Rückstellungsgründe zu überprüfen, die dazu führen, daß ein großer Teil unserer jungen Menschen — und nicht die unintelligentesten, aus Ausbildungsgründen heraus — am Wehrdienst vorbeikommt.
    Dieser Wille, die Wehrgerechtigkeit zu erreichen, ist anzuerkennen, und ich glaube, er findet den Beifall des ganzen Hauses, denn wir haben uns in der Vergangenheit aus vielen aktuellen Anlässen heraus allzuoft mit diesem Problem beschäftigen müssen. Aber, meine Damen und Herren, das ist ein Teufelskreis. Denn die Jahrgangsstärken steigen in den 70er Jahren an, und wenn wir das Potential ausschöpfen wollen, dazu noch den Anteil der eingeschränkt Tauglichen — heute bis zu 35 % —drastisch verringern, die Hälfte zum Wehrdienst einziehen wollen, ,die Rückstellung nicht mehr so großzügig wie bisher handhaben, aber andererseits die gleiche Präsenzstärke, die gleiche Umfangszahl beibehalten wollen, dann ist das Problem nicht lösbar, wenn wir die derzeitige Dauer des Grundwehr-



    Ollesch
    dienstes von 18 Monaten beibehalten. Das ist eine schlichte und einfache Feststellung. Das läßt sich auch mit einfacher Mathematik errechnen; dazu bedarf es nicht großer Rechenkunststücke oder besonderer Computer.
    Der Bundesverteidigungsminister spricht dieses Problem an und legt ein Denkmodell dar, bei dem von einer Grundwehrdienstdauer von 15 Monaten ausgegangen wird. Da befinden wir uns in voller Übereinstimmung mit dem Bundesverteidigungsminister, denn die Verringerung des Grundwehrdienstes in der zeitlichen Dauer haben wir Freien Demokraten nicht erst seit heute oder seitdem wir in der Regierung sind oder solange wir in der Opposition waren, sondern auch davor schon gefordert.
    Ich bin der Auffassung - und ich vertrete die Meinung der Fraktion —,

    (Abg. Damm: Herr Jung nicht?)

    daß die Verringerung der Grundwehrdienstdauer —— Zu diesem Problem, Herr Damm! Wenn wir hier oben stehen, vertreten wir immer die Auffassung der Fraktion.

    (Abg. Damm: Ich fragte es, weil Sie das besonders betont haben!)

    - Ja, ich sagte zwar: „ich bin der Auffassung",
    wollte aber nur unterstreichen, daß ich es nicht allein bin. Herr Damm, das wissen Sie aber auch, ohne mich fragen zu müssen.

    (Abg. Damm: Sie sprachen für die anderen 30 mit?)

    - Ja, natürlich, immer, Herr Kollege.
    Die Kampfkraft braucht dadurch nicht verringert zu werden; denn sie wird nicht allein von der Dauer bestimmt. Vielmehr können die Intensität der Ausbildung und die Möglichkeit, die Ausbildung zweckmäßig zu gestalten, durchaus den Nachteil des kürzeren Grundwehrdienstes ausgleichen. Drei Monate scheinen mir nicht überwältigend zu sein.
    Hier sollten recht bald nach Rücksprache mit unseren Verbündeten die Vorarbeiten zur Einführung eines kürzeren Grundwehrdienstes betrieben werden. Denn, meine Damen und Herren, wir können Waffensysteme anschaffen, welche immer wir wollen, wenn wir das Personalproblem der Bundeswehr, wenn wir die Wehrgerechtigkeit nicht in zufriedenstellender Weise lösen, dann wird diese Bundeswehr eben nicht Teil des gesamten deutschen Volkes sein, nicht ins Bewußtsein unserer Jugend hineingerückt werden, dann werden wir auch nicht die Verteidigungsbereitschaft erreichen können, deren wir bedürfen. Das Problem der Wehrgerechtigkeit ist, wie ich meine, von daher so ungeheuer wichtig, daß es nicht mehr nur verbal abgetan werden kann, sondern daß die Vorarbeiten zur Erreichung einer Wehrgerechtigkeit mit den Kriterien, die ich erwähnt habe, und den Zwangsläufigkeiten, die gesehen werden müssen, bald durchgeführt werden müssen.
    Von einem meiner Vorredner ist hier bemängelt worden ich glaube, es war der Kollege Dr. Klepsch -, daß die Frage des Zivilschutzes in diesem Weißbuch verhältnismäßig kurz behandelt wird. Sie wissen, daß die Bundesregierung einen Bericht zur Zivilverteidigung vorgelegt hat, in dem sie dargetan hat, daß im Jahre 1970 nicht mehr Mittel bereitgestellt werden können, als es in der Vergangenheit der Fall war, daß sie aber bereit ist, im Rahmen der Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung mehr Mittel einzustellen. Wir stellen ausdrücklich fest, daß zur Verteidigung die aktive militärische Verteidigung, aber auch der zivile Bevölkerungsschutz gehören.