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    Deutscher Bundestag 54. Sitzung Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970 Inhalt: Anteilnahme des Bundestages an den Naturkatastrophen in Peru und Rumänien 2749 A Regelung für die Einreichung von Fragen während der Parlamentsferien . . . 2749 B Amtliche Mitteilungen 2749 C Beratung des Weißbuchs 1970 zur Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und zur Lage der Bundeswehr (Drucksache VI/765) 2750 A Schmidt, Bundesminister . 2750 A, 2806 C Dr. Zimmermann (CDU/CSU) . . 2762 A Buchstaller (SPD) 2767 A Jung (FDP) 2772 C Brandt, Bundeskanzler 2778 A Dr. Klepsch (CDU/CSU) 2780 D Wienand (SPD) 2786 D Ollesch (FDP) 2791 D Stahlberg (CDU/CSU) 2794 A Pawelczyk (SPD) 2796 A Damm (CDU/CSU) 2799 A Schmidt (Würgendorf) (SPD) . . 2803 B Dr. Wörner (CDU/CSU) 2811 A Schriftlicher Bericht des Verteidigungsausschusses über den Jahresbericht 1969 des Wehrbeauftragten des Bundestages (Drucksachen VI/453, VI/800) Ernesti (CDU/CSU) 2813 D Horn (SPD) . . . . . . . . 2814 A Jung (FDP) 2814 C Nächste Sitzung 2815 C Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 2817 A Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970 2749 54. Sitzung Bonn, den 2. Juni 1970 Stenographischer Bericht Beginn: 14.00 Uhr
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    Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Dr. Ahrens * 4. 6. Alber * 4. 6. Amrehn * 4. 6. Bals * 4. 6. Bauer (Würzburg) * 4. 6. Benda 2. 6. Berberich 5. 6. Dr. Birrenbach 8. 6. Blumenfeld * 4. 6. Frau Dr. Diemer-Nicolaus * 4. 6. Dr. Dittrich ** 2. 6. Draeger * 4. 6. Dr. Erhard 7. 6. Fritsch * 4. 6. Dr. Furler * 4. 6. Dr. Gölter 2. 6. Frau Herklotz * 4. 6. Dr. Hermesdorf (Schleiden) * 4. 6. Heyen 6. 6. Hösl * 4. 6. Katzer 5. 6. Dr. Kempfler * 4. 6. Frau Klee * 4. 6. Freiherr von Kühlmann-Stumm 2. 6. Lenze (Attendorn) * 4. 6. Dr. Martin 5. 6. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Meinecke (Hamburg) 3. 6. Dr. Müller (München) * 4. 6. Müller (Remscheid) 6. 6. Pfeifer 4. 6. Pöhler * 4. 6. Richter * 4. 6. Dr. Rinderspacher * 4. 6. Roser * 4. 6. Dr. Rutschke * 4. 6. Dr. Schmücker * 4. 6. Dr. Schulz (Berlin) * 4. 6. Sieglerschmidt * 3. 6. Strauß 2. 6. Frau Dr. Walz * 4. 6. Werner 2. 6. Zebisch 3. 6. Zoglmann 5. 6. b) Urlaubsanträge Bartsch 20. 6. Dr. Jenninger 21. 6. Säckl 21.6. Schmidt (München) 19. 6. *Für die Teilnahme an einer Tagung der Versammlung der Westeuropäischen Union ** Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments
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    Herr Klepsch, wir müssen uns beide fügen.

    (Abg. Dr. Klepsch: Es handelt sich nur um die Auszüge, Herr Minister.)



Rede von Kai-Uwe von Hassel
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Ich lasse Zwischenfragen auch dann nicht zu, wenn Sie, Herr Bundesminister, bereit sind, auf sie zu antworten. Das ist erst in der Aussprache möglich.

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    Ich glaube, ich habe ohne Arg in fairer Weise zitiert; ich habe den ganzen Aufsatz bei mir. Mir kommt es darauf an, Herr Dr. Klepsch, daß Sie erkennen, daß diese Bundesregierung im Gegensatz zur Meinung der Autoritäten, die Sie zitieren, ihren Wunsch nach beiderseitigen, nach ausgewogenen, nach gleichwertigen Rüstungsbeschränkungen aktiv verfolgt, daß sie ihn im Weißbuch ausführlich vorgetragen und bald darauf — einige Wochen nach dem Beschluß zum Weißbuch im Kabinett - in Rom dazu die Zustimmung unserer Bündnispartner gefunden hat.
    Ich kann mich gut erinnern, wie ich einmal vor beinahe zehn Jahren von dieser selben Stelle aus über die beiderseitige, ausgewogene und gleichwertige Reduzierung militärischer Kräfte in Europa gesprochen habe. Dort, wo Sie, Herr Dr. Klepsch, jetzt sitzen, saß der damalige Bundeskanzler, der sich auf seinen Abgeordnetensitz begeben hatte, Dr. Adenauer. Ich weiß mich gut zu erinnern, wie sorgfältig er zugehört hat, und ich weiß mich genau so gut zu erinnern, daß anschließend nichts geschah. Insofern ist es wirklich Geschichtsklitterung, wenn Sie sagen, wir setzten die Sicherheitspolitik Dr. Adenauers fort.

    (Abg. Dr. Wörner: Würden Sie sich einmal gütigst des Studiums der Friedensnote der Regierung Erhard aus dem Jahre 1966 erinnern, in der eben das vorgeschlagen wurde!)

    — Lieber Herr Dr. Wörner, ich habe kein Hühnchen mit Dr. Schröder zu rupfen. Ich wehre mich gegen die Zitierweise, die mich als den Fortsetzer der Politik von Herrn Strauß darstellt. Dagegen habe ich mich gewehrt.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    Wir haben früher über denselben Komplex unter der Überschrift „Zone beiderseitig begrenzter und verminderter Rüstung in Mitteleuropa" gesprochen. Heute ist der Sprachgebrauch etwas anders, aber im Kern handelt es sich um dieselben Gedanken. Heute redet man von beiderseitiger ausgewogener Verminderung militärischer Kräfte und bezieht das wiederum auf Mitteleuropa.



    Bundesminister Schmidt
    Die Partner der Allianz und wir, die Bundesrepublik, haben auf der NATO-Ratssitzung in Rom gemeinsam angeboten — ich darf wohl zitieren, Herr Präsident —:
    Sofern als Ergebnis dieser Gespräche und in den gegenwärtigen Gesprächen besonders über Deutschland und Berlin Fortschritte erzielt werden, erklären die verbündeten Regierungen, daß sie bereit wären, mit allen interessierten Regierungen multilaterale Kontakte aufzunehmen. Eine der Hauptaufgaben solcher Kontakte bestünde darin, zu erkunden, wann die Einberufung einer Konferenz oder einer Reihe von Konferenzen über die europäische Sicherheit und Zusammenarbeit möglich wäre. Die Errichtung eines ständigen Gremiums könnte als eine von mehreren Möglichkeiten vorgesehen werden, um zu gegebener Zeit multilaterale Verhandlungen aufzunehmen. Zu den zu erkundenden Themen, die die Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa berühren, gehören insbesondere a) die Grundsätze, die für die Beziehungen zwischen den Staaten maßgebend sein sollten einschließlich des Gewaltverzichts. b) die Entwicklung von internationalen Beziehungen ...
    Ich übergehe diesen Passus, der jetzt folgt, weil er mit der Sicherheitspolitik nicht direkt im Zusammenhang steht. Es heißt dann weiter:
    Außerdem messen die Minister der Lander, die sich am Verteidigungsprogramm der NATO beteiligen, der weiteren Erkundung der Möglichkeit einer beiderseitigen und ausgewogenen Truppenverminderung mit anderen interessierten Parteien besondere Bedeutung bei und haben deshalb eine besondere Erklärung veröffentlicht.
    „Parteien" heißt hier „Staaten" - der Text, aus dein ich zitiert habe, ist eine Übersetzung aus dem Englischen —, und die Worte „der Länder, die sich am Verteidigungsprogramm der NATO beteiligen" sind eine freundliche Umschreibung dafür, daß ein Land, nämlich dasjenige, das sich aus der militärischen Integration in der NATO zurückgezogen hat, sich zwar an der Beratung dieses Textes sehr sorgfältig beteiligt hat, nicht aber an der besonderen Erklärung, die hier angekündigt ist und die ja gleichfalls veröffentlicht wurde, beteiligt hat.
    Herr Klepsch, ich komme noch einmal auf Sie zu sprechen. Ich denke nicht daran, Sie mit meinem Amtsvorgänger oder mit Ihrer Gesamtfraktion zu identifizieren. Wenn Sie aber einerseits im „Rheinischen Merkur" die Behauptung aufstellen - ich zitiere - „Schmidt treibt sicherheitspolitisch ein Vabanquespiel erster Ordnung"

    (Abg. Dr. Klepsch : Richtig!-Lachen bei der SPD)

    und andererseits in einer Verlautbarung Ihrer Pressestelle sagen - ich zitiere —: „Helmut Schmidt hat sich als vernünftiger, abwägender Mann erwiesen", so tut es mir leid, diese letztere Schmeichelei dem Abgeordneten Klepsch höchstens dann zurückgeben zu können, wenn jedermann versteht, daß es sich hierbei um abgrundtiefe Ironie handelt.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD.-Abg. Dr. Klepsch: Sie stehen unter dem Schutz der Geschäftsordnung!)

    - Herr Klepsch, vielleicht lernen Sie daraus, daß die Sicherheit dieses Landes im Grunde zu wichtig ist, als daß sie mit billiger Polemik in der öffentlichen Debatte behandelt werden könnte.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.-Abg. Dr. Klepsch: Wer hier klittert, das sind Sie! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    Ich habe viele Monate lang keine einzige Gelegenheit genommen, auf diese Art von Anzapfungen zu antworten. Was habe ich alles lesen müssen, angefangen vom „Bayernkurier" bis hin zu den eben zitierten Schritten und Reden! Aber irgendwann im Laufe des parlamentarischen Prozesses kommt der Augenblick, wo man zurückzahlen muß.

    (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU: Das werden wir auch tun!)

    Ich habe deswegen all die Monate geschwiegen, Herr Klepsch, weil ich die sachliche Arbeit an der Bestandsaufnahme der Bundeswehr und durch die Bundeswehr nicht durch Beteiligung an solcher Polemik gefährden wollte. Lassen Sie mich zu dieser sachlichen Arbeit und ihren sachlichen Ergebnissen jetzt einiges sagen.
    Das bedeutendste Problem der Armee ist offenkundig das Personalproblem. Der Armee fehlen 26 000 Unteroffiziere, 3500 längerdienende Mannschaften, ungefähr 2600 Zeitoffiziere. Dazu kommen die Sorgen, denen sich die in der Bundeswehr dienenden Unteroffiziere und Offiziere gegenübersehen, vor allem die etwa 3000 Hauptleute und Kapitänleutnante, die ihre Stabsoffizierprüfung bestanden haben, aber nicht zum Major oder zum Korvettenkapitän befördert werden können, weil es bisher keine Stellen gibt. Es kann deshalb — nicht nur deswegen, auch wegen der dringenden Reformbedürftigkeit der Bildungsgänge der Offiziere - nicht verwundern, daß heute junge Leute zögern, Offizier zu werden, und daß es der Bundeswehr an Offiziersanwärtern gegenwärtig etwas mangelt. Aus diesem Mangel erklärt sich vielleicht auch, warum die Bundeswehr mehr Stabsoffiziere als Leutnante hat.
    Die Bundesregierung schlägt dem Bundestag in dem Weißbuch ein massives Sofortprogramm vor. In! übrigen arbeiten wir derzeit an neuen Vorstellungen von struktureller und quantitativer Personalplanung, daneben auch an Veränderungen für die qualitative Personalplanung; die quantitative bezieht sich auf die Aufkommensplanung im allgemeinen, die qualitative auf die Verwendung für den einzelnen Mann.
    Eine Fülle von Maßnahmen, die eine größere Durchsichtigkeit der Werdegänge ermöglichen soll, eine Neugestaltung des Laufbahnwesens, ein intensiver Ausbau des Berufsförderungswesens — das ist übrigens ein Gebiet, auf dem wir der Öffent-



    Bundesminister Schmidt
    lichkeit in diesem Weißbuch zeigen, was hier schon alles von mehreren meiner Amtsvorgänger geleistet worden ist — all das zusammen soll hier Abhilfe schaffen.
    Der Deutsche Bundestag wird noch in diesem Jahr Gelegenheit erhalten, sich mit diesbezüglichen Gesetzesvorlagen der Bundesregierung zu beschäftigen. Wir möchten die heutige Debatte abwarten, um unmittelbar anschließend an das Ausarbeiten, an das Niederschreiben der Gesetzentwürfe zu gehen. Sie werden sie nach den parlamentarischen Sommerferien in Ihrem Posteingang finden.
    Im Zusammenhang mit dem Personalkomplex steht dann zweitens die große Zahl all derjenigen Probleme, die sich aus den Mängeln in der Fürsorge ergeben. Ich meine jetzt Fürsorge im umfassendsten Sinne, so wie man unter Soldaten von Fürsorge für die Truppe spricht; ich meine nicht nur Fürsorge im Sinne des sozialgesetzgeberischen Begriffsinhalts. Gemessen an den Maßstäben, die sich sonst überall in unserer Wohlstandsgesellschaft eingebürgert haben, ist der Soldat in seinem sozialen Status an vielen Stellen beträchtlich zurückgeblieben, und dies, obwohl er besonderen, in diesem Beruf spezifischen Belastungen ausgesetzt ist, nämlich häufigen Versetzungen, dienstlicher Überbeanspruchung, vielfältigen Kommandierungen, unregelmäßigen Dienstzeiten — Sonderbelastungen, wie sie in dieser Addition für den einzelnen in kaum einer anderen Berufsgruppe anzutreffen sind. Der soziale Status der Soldaten ist vielfach den sachlichen Umständen, unter denen sie arbeiten und leben müssen, nicht angemessen. Was wir etwa jungen ledigen Unteroffizieren in der räumlichen Unterbringung zumuten, ist angesichts des Lebensstandards, den sich ein gleichaltriger ziviler Arbeitnehmer leisten kann, in meinen Augen nicht tragbar. Wir geben in diesem Weißbuch einige erschreckende Beispiele, die ich der Lektüre empfehle.
    Die Bundesregierung ist fest entschlossen, den Sozialstaat endlich auch für den Soldaten zu einer spürbaren, erlebten Wirklichkeit werden zu lassen. Das Weißbuch enthält auf diesem Gebiet ein Sofortprogramm, von dem ich hoffe, daß der Bundestag ihm zustimmen wird.
    Ich berühre im Zusammenhang mit dem Personalproblem ein drittes Hauptproblem, das ist das Bildungswesen. Ich bin hier sehr freimütig und sage, obgleich es in den bisherigen publizistischen Kritiken durch Kollegen und durch Journalisten kaum recht berührt worden ist, dennoch, daß auf diesem Felde nicht nur aus den eigengesetzlichen Notwendigkeiten innerhalb der Armee einiges geändert werden muß, sondern insbesondere deshalb, weil niemand von uns sehenden Auges zulassen könnte, daß bei dem großen Wandel, den das Bildungswesen in der Gesamtgesellschaft gegenwärtig durchmacht — nicht nur in bezug auf die Bildungsgänge, sondern auch in bezug auf die Bildungsinhalte —, dies etwa ohne Auswirkung auf die Bildung in der Bundeswehr bleiben dürfte.

    (Beifall bei der SPD.)

    Hier kommt es auf eine sehr sorgfältige Verzahnung an. Alles, was man von dem lernen kann, das sich auf dem Gebiet des Bildungswesens in der Gesellschaft tut, muß man prüfen. Diese Prüfung ist für die Bundeswehr heute deswegen nicht leicht, weil sich bis heute noch nicht auf allen Gebieten der Reform des Bildungswesens sehr klare Linien abgezeichnet haben. Wir haben uns im Weißbuch zu diesem Punkt auch deshalb zurückhalten müssen, weil wir noch nicht deutlich erkennen, wohin der Gesamtkomplex Bildungsreform auf vielen Einzelgebieten heute in der Gesamtgesellschaft zielt.
    Das vierte Problem, das Problem der Wehrgerechtigkeit, ist im Frühjahr in diesem Parlament mehrfach behandelt worden. Die Bundesregierung legt das erste Mal von Amts wegen einen zusammenhängenden Plan vor, größere Wehrgerechtigkeit zu schaffen, als die bisherige Praxis sie ermöglicht hat. Wir wissen, daß es eine absolute Gerechtigkeit nirgendwo unter Menschen geben kann. Aber wir wollen und wir müssen den wehrpflichtigen jungen Leuten unseres Volkes, die ihren Wehrdienst leisten, zumindest die Gewißheit geben, daß wir uns um die größtmögliche Wehrgerechtigkeit von Staates wegen, von Parlaments wegen, von Regierungs wegen bemühen.
    Das muß durch eine weitgehende Gleichbehandlung der wehrpflichtigen jungen Männer, durch einen Abbau der Wehrdienstausnahmen, der Wehrdienstbefreiungen, und durch einen Härteausgleich für die Dienenden erreicht werden. Sie finden dazu im Weißbuch eine Reihe von in Aussicht genommenen Schritten. Dazu gehören auch diejenigen, die verhindern sollen, daß Studienbewerbern zusätzlich zu dem 18monatigen Zeitverlust aus ihrem Wehrdienst erhebliche weitere Nachteile erwachsen, etwa durch Wartezeiten zwischen ihrer Entlassung aus der Bundeswehr und dem Beginn des Studienjahres oder wegen neuer, während ihres Wehrdienstes zusätzlich eingeführter Zulassungsbeschränkungen.
    Ich möchte hier ein deutliches Wort sagen. Eigentlich ist es eine Wiederholung; ich habe schon einmal eine andere kurze Debatte in diesem Frühjahr dazu benutzen dürfen, die Tendenz dessen, was ich hier sagen will, zum Vortrag zu bringen. Ich hoffe, daß es durch die Wände dieses Hauses dringt und von den Verantwortlichen der Länder, besonders in den Kultusministerien, vernommen wird.
    Es ist eine erwiesene Tatsache, daß die Bundeswehr ohne Abiturienten nicht funktionieren könnte. In den letzten Monaten ihres Wehrdienstes nehmen wehrpflichtige Abiturienten vor allem im Heer wichtige Unterführeraufgaben wahr. Ich möchte hinzufügen dürfen, daß sie dies überwiegend in einer guten und verläßlichen Weise tun. Wer das weiß, wird an dem gängigen Bild von der ausschließlich „aufbegehrenden Jugend" eine, wie mir scheint, erhebliche Ergänzung vornehmen müssen. Diesen jungen Männern die Steine auf dem Weg zum Studium fortzuräumen, wäre eine Aufgabe, der sich die Länderregierungen und die Universitäten mit mehr Eifer und Verständnis sollten widmen können, als dies bis zum heutigen Tage der Fall gewesen ist.

    (Beifall.)

    Deutscher Bundestag —6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970 2755
    Bundesminister Schmidt
    Am Rande nur ein kleines Beispiel: Ich halte es für ein Unding, daß es bisher nicht gelungen ist, mit den Kultusministern eine Abmachung zu treffen, nach der den dringend benötigten aktiven Sanitätsoffizieren wenigstens 50 Studienplätze im Jahr — 50 für die ganze Bundesrepublik! — eingeräumt werden. Ich halte das für unerträglich.

    (Abg. Damm: Das muß in das Hochschulrahmengesetz!)

    Ich appelliere von dieser Stelle aus an die Verantwortlichen in den Landesministerien und den Universitäten, dort Entgegenkommen zu zeigen, wo es darum geht, größere Wehrgerechtigkeit herzustellen und wo dringende Maßnahmen dazu außerhalb der Kompetenz des Bundes und insbesondere außerhalb der Kompetenz des Bundesverteidigungsministeriums liegen.
    Im übrigen denken wir unter dem Aspekt der Gleichbehandlung und der Gerechtigkeit, daß es unerträglich ist, daß derzeit von 100 Wehrpflichtigen nur etwa 60 tatsächlich zum Wehrdienst oder zu einem vergleichbaren Dienst eingezogen werden. Die Bundesregierung wird diese untragbaren Relationen dadurch verbessern, daß künftig bis zur Hälfte derjenigen, die als „eingeschränkt tauglich" gemustert werden, ihre Wehrpflicht ableisten müssen. Durch modifizierte Grundausbildung und Verwendung in bestimmten, festgelegten Funktionen ist dies ohne weiteres möglich. Wir haben nicht die Absicht, die medizinischen Kriterien in irgendeiner Weise zu diesem Zweck zu ändern oder zu beeinflussen. Wir denken nur, daß jemand, der Plattfüße hat, in einer motorisierten Truppe durchaus vollgültig seinen Dienst tun kann.

    (Heiterkeit.)

    Zur Wehrgerechtigkeit gehört weiter, daß für die Kriegsdiensverweigerer der Ersatzdienst funktioniert. Mein Kollege Bundesminister Arendt ist dabei, den Ersatzdienst so auszubauen, daß Wehrdienstverweigerer in Zukunft keine größere statistische Chance haben, an einer Dienstleistung vorbeizukommen, als die restlichen 99 Prozent der Wehrpflichtigen.
    Die Bundesregierung — das will ich an dieser Stelle sagen — achtet die Entscheidung eines jeden jungen Mannes, der sich aus Gewissensgründen weigert, Wehrdienst zu leisten. Die Bundesregierung hat jedoch einen ebenso hohen Respekt vor der Gewissensentscheidung der übergroßen Mehrheit unserer jungen Männer, die 18 Monate lang ihre Pflicht in der Bundeswehr erfüllen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

    Wir möchten darum bitten, daß jedermann sich hüte, die jungen Männer je nach ihrem Gewissen in zwei verschieden gut zu bewertende Kategorien einzuteilen.

    (Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Wörner: Das sollten Sie auch einigen Leuten in Ihrer Partei ins Bewußtsein bringen!)

    — Herr Wörner, ich sage das überall, wo es geboten ist.
    Ich darf den Gedanken noch ein wenig fortsetzen: ebenso abwegig, ebenso diskriminierend und ebenso anmaßend gegenüber den Staatsbürgern in Uniform wäre die Vorstellung, daß nur die Kriegsdienstverweigerer Friedensdienst leisteten.

    (Sehr richtig!)

    Ich möchte dieser Vorstellung mit aller Entschiedenheit entgegentreten.

    (Beifall bei den Regierungsparteien und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

    Unsere 460 000 Soldaten leisten Friedensdienst oder sind — wie das Zweite Vatikanische Konzil mit Recht formuliert hat — Diener des Friedens. Wer das nicht begreifen kann, der hat eben nichts begriffen von den Kräften und den Konzepten, von den politischen, den militärischen, den psychologischen Mechanismen, die in unserem Teil der Erde in den letzten 20 Jahren den Frieden bewahrt haben und, wie wir hoffen, auch weiterhin zuverlässig bewahren werden.
    Natürlich wird eine Erhöhung der Wehrgerechtigkeit durch Verminderung der Ausnahmen für die Struktur der Bundeswehr Konsequenzen haben. Im Weißbuch erklärt die Bundesregierung, daß sie den Willen hat, den bisherigen organisatorischen Umfang der Bundeswehr von 460 000 Mann beizubehalten; ebenso den Willen zur Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht. Aber sie gibt zu erkennen — ich sagte das schon —, daß in Zukunft 50 Prozent der eingeschränkt Tauglichen zu bestimmten Funktionen eingezogen werden sollen. Das macht zwangsläufig, wenn man beides zusammennimmt, eine Verkürzung der Dauer des Grundwehrdienstes nötig. Überlegungen, die dazu im Weißbuch angestellt und angedeutet sind, sollen von einer Kommission, die die Bundesregierung in diesen Wochen einsetzen wird, weiterverfolgt werden. Ich gehe davon aus, daß der Bundestag seine durch Gesetz zu treffende Entscheidung über diesen Vorschlag im Laufe des späten Winters wird treffen können.
    Natürlich geschieht dies keineswegs, ohne daß wir in engster Konsultation mit unseren Verbündeten über dieses Problem stehen. Ich habe meine Kollegen in den Vereinigten Staaten, in Frankreich, in Großbritannien und Holland, die ich in dem kurzen halben Jahr meiner bisherigen Amtszeit habe besuchen können, aber auch den NATO-Rat insgesamt, von unseren vorläufigen Erwägungen, von der Tendenz unserer Gedanken offen unterrichtet. Ich will hier hinzufügen, daß in einigen unserer europäischen Partnerländer, zumal in Frankreich, Holland und in anderen — aus der gleichen Notwendigkeit, Gleichbehandlung, Gerechtigkeit zu erzielen —, ähnliche Erwägungen zum Teil nicht nur gepflogen wurden, sondern auch schon in Gesetzgebungsbeschlüssen durch das Kabinett ihren Niederschlag gefunden haben.
    Zu den Grundsätzen der Inneren Führung, zum Konzept des Staatsbürgers in Uniform, finden Sie in diesem Weißbuch sehr eindeutige Darlegungen.



    Bundesminister Schmidt
    Das Weißbuch versucht dem Leser nahezulegen, daß Schluß gemacht werden muß mit der künstlichen Gegeneinanderstellung von Militär einerseits und ziviler Gesellschaft andererseits. Es ist niemandem damit gedient, wenn hier immer wieder Kontraste geschaffen werden, wo in Wahrheit keine sind oder keine mehr sind. Daß Weißbuch formuliert unmißverständlich; ich darf zitieren:
    Die Bundeswehr ist ein Teil unserer pluralistischen Gesellschaft.
    Die Bundesregierung kann und will den gesellschaftlichen Standort der Bundeswehr nicht definieren. Jeder einzelne kann und muß sich seinen Standort in der Gesellschaft selbst suchen und schaffen. Es ist deshalb gut und richtig, daß in der Bundeswehr diskutiert wird, und es ist natürlich, daß dabei auch gegensätzliche Positionen bezogen werden. Die Diskussion, eine der fundamentalen Spielregeln einer demokratischen Gesellschaft, wird von mir innerhalb der Armee bewußt und energisch gefördert. Die Bundesregierung erklärt dazu, daß Diskussion unter Soldaten und Gehorsam sich nicht ausschließen, daß sie sich vielmehr ergänzen. Der Gehorsam fällt der Jugend leichter, wenn sie begreift, weshalb und warum sie gehorchen soll.
    Die Bundesregierung erklärt ebenso eindeutig, und ich möchte es hier wiederholen, daß es bei der Diskussion allerdings eine einzige, unerläßliche Ausnahme gibt, nämlich der Gehorsam gegenüber dem Grundgesetz, gegenüber der verfassungsmäßigen Bundesregierung, gegenüber den Gesetzen, gegenüber den Befehlen, die auf der Basis des Grundgesetzes gegeben werden. Dieser Gehorsam ist nicht diskutierbar.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Wörner: Das ist ja die Regel und nicht die Ausnahme!)

    — Herr Wörner, Sie werden das nicht als Polemik gegen sich empfunden haben.

    (Abg. Damm: Das ist gar keine Polemik, sondern eine Klarstellung für Ihre Leute drüben!)

    — Ich bin dankbar, daß Sie, Herr Damm, den Unterschied — —

    (Abg. Damm: Ich habe die Saarbrückener Anträge alle gelesen! Schlimm war das teilweise, was da alles gefordert wurde!)

    — Ja, auch ich würde zustimmen, daß manches in den Anträgen weiß Gott mein politischer Geschmack nicht war. Insofern würde auch ich zustimmen. Nur, lieber Herr Damm, was ist das für ein Unterschied zwischen einer demokratischen Partei, in der tausend Ortsvereine tausend Anträge einbringen, und einer anderen, in der durch Akklamation Reden zugestimmt wird, die im Grunde den Kern der Sache nicht treffen?!

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Damm: Sie sprechen von der FDP? — Abg. Dr. Klepsch: Er spricht vom Koalitionspartner!)

    Ich sage: Diskussion ist ein Wesenselement demokratischer Spielregeln.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Auch bei uns!)

    — Sicher, auch bei Ihnen. — Zur Diskussion gehört, daß jedermann seinen Standpunkt erst einmal vorbringt; dann kann man darüber debattieren.

    (Abg. Damm: Er sollte aber tunlichst mit dem Grundgesetz übereinstimmen!)

    — Das würde auch ich denken.
    Lassen Sie mich zur inneren Führung noch ein anderes sagen. Das Grundgesetz hat das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform verbindlich gemacht. Auch wenn das Wort „Staatsbürger in Uniform" im Grundgesetz nicht vorkommt, so sind doch alle Elemente dieses Konzepts darin verbindlich gemacht worden. Die Bundesregierung erklärt deshalb, daß diese Grundsätze keine „Maske" sind, die man ablegen könnte, sondern ein Wesenskern dieser Armee. Wer diesen Wesenskern ablehnt, taugt nach der Vorstellung der Bundesregierung nicht zum Vorgesetzten unserer Soldaten.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir sagen klipp und klar: Die demokratische Gesellschaft schafft sich durch Gesetzgebung, durch Regierung, durch parlamentarische Kontrolle die ihr gemäßen Streitkräfte und weist ihnen ihren Auftrag zu. Es ist nicht etwa umgekehrt die Aufgabe der Armee, den Staat oder die Gesellschaft zu gestalten oder umzugestalten. Am Prozeß und an der Reform der Gesellschaft können und sollen alle Staatsbürger mitwirken, auch die Staatsbürger in Uniform. Nicht aber hat die Bundeswehr als Institution hier eine Aufgabe. Ebensowenig kann die Bundeswehr Sachwalterin eines bestimmten gültigen weltanschaulichen Konzepts oder eines allgemeingültigen Geschichtsbildes sein, ganz abgesehen davon, daß es kein einheitliches Bild geben kann.
    Für den Abgeordneten Dr. Kiesinger und notabene auch für den Schriftsteller von Studnitz füge ich an dieser Stelle hinzu: Die Schule der Armee ist die Nation

    (Zuruf von der CDU/CSU: Ist die Gesellschaft!)

    und nicht etwa umgekehrt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Damm: Was heißt das? Erläutern Sie das ein bißchen!)

    — Erläutern? Sie waren doch im vorigen Bundestag hier, als der Abgeordnete Kiesinger, damals als Bundeskanzler, von diesem Pult aus sprach und uns mit der überraschenden Weisheit beglückte, daß die Armee eine Schule der Nation sei.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Eine Friedensschule! — Auch eine Schule! — Weitere lebhafte Zurufe von der Mitte.)

    — Ja, ich kann mich noch genau an die Interpretationskunststücke erinnern, die er hinterher vierzehn Tage lang angestellt hat.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)




    Bundesminister Schmidt
    Er hat damit weder der Armee noch sich selbst noch seiner Partei einen Dienst erwiesen. Das ist seine Sache. Nur, meine Sache mußte es sein, auch in diesem Punkte klarzustellen, daß diese Bundesregierung, Herr Dr. Klepsch, nicht die Politik ihrer Vorgängerinnen fortsetzt.

    (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU. Abg. Stücklen: Herr Schmidt, das ist ja unsere Sorge!)

    — Lieber Richard Stücklen, ich werde Ihnen doch nicht Ihre Sorgen nehmen. Ich bin ja froh, wenn Sie Sorgen haben. Wenn ich den „Bayernkurier" lese, kommt mir das reichlich sorglos vor, muß ich sagen.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD. Zurufe von der CDU/CSU.)

    Ich möchte im Zusammenhang mit öffentlichen Debatten über Themata, die mit dem Komplex der Inneren Führung zusammenhängen, eines hier auch klarstellen: Ich habe in den, wie ich zugebe, nicht sehr langen Monaten meiner bisherigen Amtszeit nirgendwo den geringsten Anlaß gehabt, an der Loyalität der Soldaten gegenüber den verfassungsmäßigen Organen zu zweifeln. Das möchte ich hier sehr deutlich sagen.

    (Beifall bei allen Fraktionen.)

    Die vielen Diskussionen, die ich bei Truppenbesuchen und in Konferenzen gehabt habe, veranlassen mich auch dazu, zu sagen, daß nach meinem Eindruck unsere Soldaten sich als Bürger unter Bürgern fühlen und in der großen Mehrheit auch in zunehmendem Maße in der Öffentlichkeit so angesehen werden. Man findet das bestätigt durch Meinungsumfragen sowohl unter den Soldaten wie im zivilen Teil unserer Gesellschaft. Mir scheint es unnütz, daß wir angesichts dieser Sachlage den Soldaten dauernd öffentliche Bekenntnisse zur demokratischen Grundordnung abverlangen, genauso unnütz und genauso überflüssig

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    bitte lassen Sie mich den Satz zu Ende sprechen —, wie es der Versuch wäre, die Gesellschaft ständig auf öffentliche Bekenntnisse zur Bundeswehr festnageln zu wollen. Das ist beides nicht notwendig.

    (Beifall bei der SPD.)

    Die Bundesregierung wird jedenfalls alles tun, um die Entwicklung solcher Selbstverständlichkeit zu fördern. Das sollte uns um so leichter fallen, als die ganze aufgeregte Diskussion, die zu Beginn des Jahres um die Innere Führung Wellen schlug, sich inzwischen auf ihre normale Proportion zurückentwickelt hat.
    Ich muß hier das Bekenntnis der Bundesregierung zur Institution des Wehrbeauftragten nicht wiederholen; es ist jedem in Erinnerung.
    Ich will aber im Zusammenhang mit dem Gebiet der Inneren Führung eines noch sagen: Wir brauchen keine ideologische Überhöhung des soldatischen Dienstes, weder in der einen Richtung noch in der anderen. Wir brauchen auch nicht so viel Verkündigung. Wir brauchen auch nicht so viele Pro-und Kontra-Traktate über Fragen der Inneren Führung, die angeblich Grundlagen schaffen sollen, aber meistens doch nur Streit stiften. Ich denke, daß die Diskussion der praktischen Fragen der Inneren Führung sich nicht so sehr an Theorien ausrichten soll, sondern an den geltenden Rechtsnormen, an den Gesetzen, an der Truppenerfahrung und allerdings auch an der fortschreitenden Erkenntnis und an den fortschreitenden Ergebnissen der pädagogischen Wissenschaft.
    Hier gilt es überall und unwiderruflich den Anschluß an die heutige Zeit zu finden. Die Armee von heute ist nicht wie die Armee von gestern. Sie ist anders, in einer sehr viel besseren Gesellschaftsordnung insgesamt; und dieser Andersartigkeit muß man auch in dem Bereich, von dem hier die Rede ist, Rechnung tragen.
    Mir liegt am Herzen, in diesem Zusammenhang einen anderen Gedanken zwar kurz, aber sehr deutlich auszusprechen: Für die Bundeswehr, für die Soldaten ist die Fähigkeit zu kämpfen, kämpfen zu können, kämpfen zu wollen im Notfalle, unerläßlich. Kämpfen zu können ist die beste Garantie dafür, nicht kämpfen zu müssen.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

    Ich beeile mich allerdings hinzuzufügen: Für diese unsere Armee ist der Frieden der Ernstfall. Ich meine das nicht nur als abstrakte Aussage über die Abschreckungsfunktion. von Streitkräften im Zeitalter der modernen Massenvernichtungsmittel, sondern ich meine dies - Frieden der Ernstfall - auch ganz konkret für den Alltag unserer Truppe.
    Was dieser Alltag der Truppe im Frieden abfordert, steht nicht viel hinter dem zurück, was in anderen Zeiten, in anderen Situationen - in schlimmeren. Situationen. - Soldaten abgefordert worden ist. Nur handelt es sich heute um ganz andere Arlen von Leistung, andere Arten. von Zucht und andere Arten von Disziplin, nämlich um Sachdisziplin, von der im Weißbuch als Bestandteil zeitgemäßer Menschenführung gesprochen ist.
    Sachdisziplin entsteht aus der unerbittlichen Logik, aus den Zwängen der Technik. Es gibt im industriellen, im technischen Bereich Abläufe, Tätigkeiten, Handgriffe, die immer wieder mit der gleichen Zuverlässigkeit von Menschen ausgeführt werden müssen, weil davon die Sicherheit, das Leben oder die Gesundheit anderer oder die Erhaltung von großen Sachwerten abhängen. Das gilt ebenso und in gleichem Maße für große Bereiche der Streitkräfte, die vorwiegend technisch orientiert sind. Es gilt besonders dort, wo die Abschreckungspräsenz von Mensch und Technik Dauerleistungen verlangt, die immer wieder und immer in gleichbleibender Qualität und gleichbleibender Sicherheit erbracht werden müsen. Gegen Versagen des Materials mag strengste Materialkontrolle helfen, gegen menschliches Versagen kann nur absolute Sachdisziplin helfen.
    Noch nie in der Geschichte bewaffneter Streitkräfte in unserem Land ist von Soldaten im Frie-



    Bundesminister Schmidt
    den ein so hohes Maß an Sachdisziplin so kategorisch gefordert worden wie gegenwärtig in der Bundeswehr. Dabei stehen ganz offensichtlich manche Waffengattungen unter einem noch höheren Anforderungsmaß als andere.
    Ein Wort zum Rüstungsplan der Bundeswehr! Die vorige Bundesregierung und die zuständigen Ausschüsse dieses Hauses haben in den vergangenen Jahren einer Reihe von Rüstungsprojekten für die Bundeswehr — zum Teil Neubeschaffungen, zum Teil Umrüstungen — zugestimmt. Sie befanden sich bei Amtsantritt .der gegenwärtigen Bundesregierung in verschiedenen Stadien der Planung, der Entwicklung und der Beschaffung. Die Bestandsaufnahme hat in diesem Zusammenhang zu zweierlei Ergebnissen geführt.
    Zum ersten. Der bisherige Rüstungsplan war nach den bisherigen Plafondsziffern der mittelfristigen Finanzplanung, die wir in bezug auf den Einzelplan 14 ja nicht verändert haben, nicht durchfinanziert. Ebenso hat sich ergeben, daß er nach dem Entwicklungsstand der jeweiligen Projekte zeitlich nicht im Rahmen des Programms abzuwickeln gewesen wäre.
    Zum zweiten. Die Bestandsaufnahme hat zu der Notwendigkeit geführt, einen Teil der Mittel im Einzelplan 14 — im Verteidigungshaushalt — umzuschichten auf die Gebiete, von denen ich vorhin gesprochen habe. Beides führt dazu, daß der bisherige Rüstungsplan insgesamt neu angesehen werden muß. Ich bin mitten darin. Einige Entscheidungen sind schon getroffen. Ich will sie für diejenigen, die dem Verteidigungsausschuß nicht angehören, noch einmal ins Bewußtsein heben.
    Wir haben im Einvernehmen mit der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika die deutschamerikanische Gemeinschaftsentwicklung des Kampfpanzers 70 — in der Presse manchmal als „MBT Seventy" zitiert — als gemeinsames Projekt eingestellt. Einzelne Baugruppen dieser Entwicklung werden für den „Leopard II" übernommen werden. Ich sage hier als Fußnote und in Klammern, daß Leser, die darüber in den Zeitungen etwas berichtet finden, erkennen müssen, daß es wie beim Bau ziviler Automobile genauso auch bei der Bundeswehr und bei jeder Streitkraft immer notwendig ist, eine Reihe von Projekten bis zu einer gewissen Reife zu entwickeln, um dann zu entscheiden, daß dieser „Erlkönig" oder jener „Erlkönig" nicht in die Serienproduktion geht. Das kann man nicht am Reißbrett entscheiden, sondern erst dann, wenn bestimmte Entwicklungsstadien erreicht und bestimmte Erprobungen durchgeführt worden sind. — Ich sehe mit besonderer Freude, daß der Betriebsratsvorsitzende einer der größten deutschen Automobilfabriken in diesem Fall zustimmend mit dem Kopf nickt.
    — Anders ist das auch in der zivilen Industrie nicht möglich.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Wie bitte? — Nein, der versteht was davon. —Anders ist es hier auch nicht möglich. Ich würde also bitten, daß z. B. in bezug auf den Kampfpanzer 70 nun nicht nachträglich anderen, die vor mir in diesem
    Amt tätig gewesen sind, deswegen große Vorwürfe gemacht werden, weil sie diese Entwicklung eingeleitet haben. Es ist notwendig, vielerlei Entwicklungen einzuleiten, die nicht alle hinterher in die Serienproduktion führen. Schlimm ist es, wenn man glaubt, man habe schon in eine Entwicklung zu viel Prestige investiert, wenn man meint, sich selbst schon so festgelegt zu haben, daß man unbedingt auch in die Serienfertigung gehen müßte. Solche Fälle gibt es; ich kann mich daran erinnern, daß es im Laufe der letzten 15 Jahre solche gegeben hat.
    Eine zweite Entscheidung ist getroffen worden. Die ursprünglich vorgesehene Zahl von 800 neuen Kaumpfflugzeugen MRCA wird ganz wesentlich reduziert werden. Ich mache übrigens diejenigen, die nachher noch darüber sprechen wollen, darauf aufmerksam, daß die MRCA niemals als ein Allzweckflugzeug gedacht gewesen ist, weder von der Luftwaffe noch von meinem Amtsvorgänger. Manches von dem, was ich an Kritik gelesen habe, läßt mich daran zweifeln, ob alle diejenigen, die sich darüber schriftlich ausdrücken, damals oder heute den Gesamtzusammenhang erfaßt haben.
    Drittens. Es ist klar, daß die Fregatte 70 insbesondere wegen ständig steigender Kostenvoranschläge als Projekt eingestellt werden mußte. Wir waren zuletzt bei einem Aufwand angelangt, der für jede der vier geplanten Fregatten auf über 300 Millionen DM hinauslief. Dies schien mir unerträglich.

    (Zuruf des Abg. Damm.)

    — Bitte sehr?

    (Abg. Damm: Im Weißbuch steht etwas von der Konzeptionsphase!)

    —Ja, wir sind in diesem Punkt seit dem Weißbuch schon etwas weiter vorangekommen.

    (Abg. Damm: Also endgültig gestrichen?)

    — Jawohl! Wir sind in den letzten 14 Tagen etwas weitergekommen.
    Das heißt nicht, wie ich irgendwo gelesen habe, daß die Marine nun nichts bekäme. Das finanzielle Volumen, das im Rüstungsplan für die Marine vorgesehen war, ihr Anteil, wird genutzt werden — viele Kollegen auch von der CDU/CSU werden sich nachträglich in manchem bestätigt finden, was sie in früheren Jahren dazu gesagt haben —, um für die Ostsee Boote wesentlich kleineren Typs, anderer Auslegung und anderer taktischer Aufgabenstellung für die Marine zu beschaffen.
    Wir sind ferner dabei, uns das Transporthubschrauberprogramm und das Fla-Panzer-Programm, ein besonders problematisches Programm, kritisch anzusehen. Wir müssen uns bei all dem von der Vorstellung losmachen, daß die Bundeswehr überall das Meiste und das Beste haben könnte. Wir müssen uns von der Faszination der großen Zahlen und der technischen Perfektion freimachen. Manchmal ist das Einfachere und manchmal ist das Billigere angesichts der Verhältnisse, unter denen wir leben, das Geeignetere. Das überzüchtete, beste und teuerste Gerät ist keineswegs immer das zweckmäßigste, und zwar auch deshalb, weil es



    Bundesminister Schmidt
    unsere Truppe zum Teil wirklich überfordert. Auch dafür gibt es Beispiele, die ich hier nicht noch einmal zu nennen brauche, nämlich daß sehr teure und sehr komplizierte Waffensysteme mindestens zunächst die betreffende Waffengattung überfordert haben.
    Ich hoffe, daß diese generelle Überprüfung der großen Rüstungsvorhaben noch in diesem Sommer abgeschlossen werden kann. Ich biete dem Verteidigungsausschuß an, ihn während der Ferien darüber sorgfältig zu unterrichten, wenn wir so weit sind. Das kann Anfang Juli der Fall sein.
    Ich möchte aber in diesem Zusammenhang noch eines an die Adresse der Mitglieder des Verteidigungsausschusses sagen dürfen. Ich fühle mich, meine Damen und Herren — das gilt für manche meiner militärischen und zivilen Mitarbeiter in gleicher Weise —, auf ein sehr indirekte und schwer erkennbare, aber doch sehr spürbare Weise bei manchen der soeben angedeuteten und bei manchen der nicht genannten Projekte durch eine mir durchaus verständliche Rüstungslobby aus der Industrie unter Druck gesetzt. Ich möchte alle Kolleginnen und Kollegen in diesem Hause dringend bitten, sich nicht —schon gar nicht bewußt; das muß ich wohl nicht eigens aussprechen — ungewollt und unbewußt zu Instrumenten der deutschen oder der amerikanischen oder sonstiger ausländischer Rüstungslobby machen zu lassen.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

    Ich habe seit meinem Amtsantritt mit keinem einzigen deutschen und auch keinem ausländischen Rüstungsindustriellen gesprochen, Ich meine, daß sich der politische Verantwortliche angesichts der Notwendigkeiten, die die Streitkräfte vorzutragen haben, und angesichts der Möglichkeiten, die sich aus dem Haushalt ergeben, zunächst ein eigenes Urteil bilden muß. Ich sehe die ganze halbgare, in das Gewand militärischer Argumentation gekleidete Pression in allen möglichen Diensten und Dünsten mit großer Besorgnis. Ich würde mich freuen, wenn alle Kollegen in diesem Hause sehr viel Abstand von denen hielten, die das schreiben, und auch Abstand hielten im Zitieren. Es hat jüngst ein süddeutsches Intelligenzblatt gemeint, in solchem Zusammenhang das Folgende schreiben zu sollen — ich darf zitieren, Herr Präsident —:
    Der Bundesverteidigungsminister tut alles, um unsere Bundeswehr, die ohnehin heute einen schweren Stand hat, noch weiter zu verunsichern. Aus opportunistischer Gesinnungskumpanei mit den linksextremen Kräften innerhalb der Partei

    (Lachen bei der SPD)

    versucht die SPD, den Verteidigungsauftrag und die Schlagkraft unserer Streitkräfte derart zu nivellieren, daß sie kein ernst zu nehmender Gegner mehr sind.
    Herr Strauß ist nicht anwesend, er hätte nicht zu raten brauchen, denn das stand natürlich im „Bayernkurier" !

    (Heiterkeit bei der SPD. — Abg. Stücklen: Sie bekommen noch Provision von ihm!)

    — Lieber Herr Stücklen, das Kennzeichnende ist, daß da nie ein Name daruntersteht! Man muß es also dem Herausgeber anrechnen. Wenn das ein Namensartikel wäre, könnte ich dessen Namen ja zitieren.
    Aber es gibt auch seriösere Quellen für nicht haltbare Behauptungen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, aus Ihren Reihen! Ich habe vor mir den „Deutschland-Union-Dienst" vom 29. Mai. Er ist für die heutige Debatte geschrieben. Da schreibt einer Ihrer Kollegen in einer sachlich erscheinenden Anklage — ich kann das nicht alles hier aufgreifen, ich nehme nur dies eine auf —, man kürze die Flugstunden, um die Materialübermüdung hinauszuschieben. Wo haben Sie das eigentlich her, Herr Klepsch?

    (Abg. Dr. Klepsch: Ich werde es Ihnen nachher sagen!)

    Fragen Sie einmal Herrn Steinhoff! Fragen Sie Herrn
    Admiral Jeschonneck! Ich nehme an, es hat Ihnen
    ein mißgünstiger Mensch einen Bären aufgebunden.

    (Heiterkeit bei den Regierungsparteien.)

    Ich könnte auch formulieren: Sie haben sich einen Bären aufbinden lassen!

    (Erneute Heiterkeit bei den Regierungsparteien.)

    Oder zweitens: Sie polemisieren, man fordere eine stärkere Rolle der Luftwaffe im Erdkampf — das ist richtig — und halbiere gleichzeitig die Beschaffungszahlen der MRCA. Ja, was hat das miteinander zu tun? Haben Sie bisher das MRCA als reines Erdkampfflugzeug aufgefaßt?

    (Zurufe.)

    — Um Gottes willen!

    (Abg. Dr. Wörner: Können Sie mir illustrieren, worin Sie die Rolle der MRCA sehen?)

    — Das will ich gern tun. Ich habe dem Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses gesagt, daß ich bereit bin, das nach dem morgigen Tage zu tun, weil ich, seit langen Monaten auf morgen terminiert, eine umfängliche Sitzung von Fachleuten einberufen habe, nach der ich etwas klarer sehen werde.

    (Unruhe bei der CDU/CSU.)




    Bundesminister Schmidt
    Wir hatten eine Verabredung, Herr Wörner, mit dem Verteidigungsausschuß!

    (Abg. Damm: Sie haben ihn heute kritisiert, dann müßten Sie doch heute schon dazu etwas sagen können!)

    — Das muß ich gar nicht! Ich lasse mir doch weder von Lobbyisten draußen noch von denen in diesem Hause vorschreiben, wann ich Entscheidungen zu treffen habe!

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Das muß ich gar nicht! Ich kann mich gut erinnern, wie hier mancher meiner Amtsvorgänger unter Druck gebracht worden ist, über materielle Rüstungsbeschaffungen eher zu entscheiden, als sie wirklich ausgereift waren.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Darum geht es doch gar nicht!)

    Das möchten wir nicht wiederholen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Und wenn ich Herrn Klepsch zitiert habe, dann nur wegen des einen Satzes in einem dieser Dienste.

    (Abg. Dr. Wörner: Sie haben gesagt: „Woher wissen Sie, daß das ein Erdkampfflugzeug ist?" Das sollen Sie mir jetzt einmal erläutern!)

    — Dazu bin ich bereit, und zwar nach dem morgigen Tage!

    (Lachen und Zuruf von der CDU/CSU: Wie war das mit dem Bären?!)

    — Das mit dem Bären bezog sich auf die Flugstunden, die angeblich eingeschränkt sind. Gut, wir werden das hören. Daß das MRCA nur ein Erdkampfflugzeug wäre, wird Herr Klepsch im Ernst hier nicht vertreten wollen. Er hat an anderer Stelle von einem Allzweckflugzeug gesprochen.
    Ich muß noch ein letztes hier zitieren. Da wird kritisiert, wir beschrieben die sowjetische Luftüberlegenheit, zögerten anschließend aber die Entscheidung über ein Luftabwehrsystem der Panzerverbände hinaus. Derjenige, der das geschrieben hat, weiß genau, daß nicht unter meiner Leitung, aber unter der Leitung meiner Amtsvorgänger viele Jahre nebeneinander zwei Projekte entwickelt worden sind und daß ich in diesem Sommer die Entscheidung zu treffen haben werde, welches von beiden genommen werden soll. Aber daß ich das nun nicht drei Tage vor dieser Debatte mache, wird im Ernst auch Herr Klepsch mir nicht verargen. Auch dazu braucht man Sorgfalt und Ruhe.
    Ich will auf den finanziellen Aspekt zu sprechen kommen. Wie die Umfangsstärke, so ist auch die Höhe unserer Verteidigungsausgaben, wie sie sich aus den Plafondszahlen der mittelfristigen Finanzplanung ergibt, angemessen; sie berechtigt die Bundesregierung zu der Feststellung, daß dieser Staat Bundesrepublik Deutschland im Verhältnis zu seiner Wirtschaftskraft in angemessener Weise zu den gemeinsamen Anstrengungen des Bündnisses beiträgt. Es stimmt, daß die Atommächte USA, Großbritannien und Frankreich einen größeren Anteil ihres Sozialprodukts für ihre Verteidigungsanstrengungen, für ihren Beitrag zum Bündnis aufwenden. Es stimmt ebenso, daß eine Reihe von NATO-Partnern einen kleineren Anteil aufwenden als wir, und es stimmt auch, daß der deutsche Sozialproduktanteil, der für die Verteidigung aufgewandt wird, fast genau bei dem statistischen Mittel innerhalb der Allianz liegt. Die Bundesrepublik leistet einen angemessenen Beitrag für Sicherheit und Frieden und wird das auch in Zukunft tun.
    Ich möchte das allerding nun auch mit Nachdruck unterstreichen, meine Damen und Herren: Ich würde es für lebensgefährlich halten, wenn wir in unserem Beitrag zur gemeinsamen Sicherheit nachließen, ehe die Bemühungen um eine allgemeine Entspannung zu konkreten, verbindlichen Vereinbarungen über eine beiderseitige gleichzeitige und gleichwertige Rüstungsverringerung geführt haben. Die Bundesregierung wird dieses Gebot nicht außer acht lassen, auch nicht angesichts der gewaltigen innenpolitischen Aufgaben, die in diesem Jahrzehnt gelöst werden müssen.
    Hier gibt es eine Korrelation der Notwendigkeiten: Ohne Reform im Innern werden wir auf die Dauer die Sicherheit nach außen nicht bewahren können. Und umgekehrt: Ohne äußere Sicherheit kann es auch keinen zuverlässigen inneren Fortschritt geben.
    Ich habe mich aus diesem Grunde dafür stark gemacht, daß die Verteidigungsausgaben nicht erhöht werden. Ich habe die konjunkturell bedingte Sperre nach Durchrechnung aller sich daraus ergebenden Konsequenzen akzeptiert, aus Überzeugung vertreten und mich dafür verbürgt, daß auch die von uns geplanten und Ihnen dargelegten Maßnahmen zur sozialen Besserstellung der Soldaten im Rahmen des unveränderten mittelfristigen Finanzplans finanziert werden können. Das Kabinett hat diesen Standpunkt gebilligt.
    Ich möchte mit gleicher Eindeutigkeit hinzufügen, daß die mittelfristige Planung für den Einzelplan 14 auch nicht verringert werden darf, wenn wir das Weißbuch-Programm durchführen wollen.
    Das Weißbuch hat seit der Veröffentlichung einen erheblichen publizistischen und politischen Widerhall gefunden. Auf den letzteren bin ich hier schon ein wenig eingegangen. Ich bin, wenn ich mir die Diskussion in den Zeitungen anschaue, im Grunde froh darüber, daß die Bundeswehr, daß die Soldaten sich nicht nur mit ihren Problemen wiedererkannt haben, sondern daß sich die Soldaten — wenn ich lese, was die Zeitungen zustimmend oder kritisch zu den Darlegungen der Bestandsaufnahme sagen - auch in ihrem Dasein und in ihrem So-Sein anerkannt fühlen dürfen.
    Ich will eine Tendenz der kritischen Bemerkungen, die ich bisher gelesen oder gehört habe, noch einmal aufgreifen. Jemand hat es so ausgedrückt, das Ganze lese sich wie der Bericht einer Betriebsversammlung; die eigentlichen Elemente würden ausgeklammert, dafür aber Aufstiegschancen und Ver-



    Bundesminister Schmidt
    sorgungsfragen in den Vordergrund gerückt, und die Sicherheitsfragen fielen dabei dieser Tendenz zum Opfer. Ich halte es für nötig, dazu folgendes zu sagen, meine Damen und Herren: Wenn wir uns nicht intensiver und nicht besser um den sozialen Status der Soldaten, die psychologischen Umstände, unter denen sie leben, kümmern, z. B. um das Bildungsgefüge insbesondere der Längerdienenden, dann geht die Bundeswehr an personeller Auszehrung ein, und dann nützen uns weder soviel noch soviel hundert Flugzeuge!

    (Beifall bei den Regierungsparteien und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

    Die Gesundung der-lassen Sie mich ruhig mal
    das Wort aus der Industrie nehmen — Betriebsatmosphäre ist nicht möglich nur mit Worten und mit Wortklauberei. Da muß man wirklich etwas tun. Wenn es uns nicht gelingt, von daher das Klima wesentlich zu ändern, das Vertrauen in den Staat wesentlich zu stärken, dann sind alle Worte über Kampfkraft in den Wind geredet.
    Über die Kampfkraft ist in diesem Weißbuch keineswegs zuwenig, sondern sehr lapidar etwas gesagt. Auf Seite 43 lesen Sie, wie die Bundesregierung die Kampfkraft dieser Bundeswehr einschätzt. Ich darf zitieren:
    Der physische und geistige Gesamtzustand der Bundeswehr, ihre Kampkraft und Einsatzbereitschaft brauchen einen Vergleich mit den Verbündeten nicht zu scheuen. Die Bundeswehr ist in befriedigender Weise geeignet, gemeinsam mit unseren Bündnispartnern jenen Abschreckungsauftrag zu erfüllen, der zur Wahrung des Gleichgewichts notwendig ist.
    Ich vertrete dieses Urteil. Wir haben lange Zeit gebraucht und Sorgfalt aufgewandt, ehe wir es uns gebildet haben. Das Urteil ist eine Quersumme aus der Einzelbewertung von vielen Verbänden, Großverbänden. Waffengattungen, wie sie die militärische Spitze regelmäßig jedes Jahr nach NATO-Kriterien vorzunehmen hat. Wir haben im Kabinett und im Sicherheitsrat im einzelnen erläutert, aus welchen Komponenten sich das Urteil zusammensetzt. Die Gesamtnote „befriedigend" ergibt sich aus dem gewogenen Durchschnitt der Einzelnoten. Einige Verbände liegen unter dieser Note, viele liegen darüber. Aber das im Weißbuch festgestellte gewogene Mittel dieser Bewertung ist eine durch die Tatsachen gerechtfertigte Gesamtwertung.
    Es gibt eine andere Tendenz der Kritik, die hier vielleicht auch erwähnt und berührt werden muß. Jemand schreibt — vielleicht nicht nur für sich; ich glaube es war in der „Süddeutschen Zeitung" - das Weißbuch weise keinen Weg in eine Zukunft, in der der Frieden nicht mehr von der Existenz der gegenseitigen Drohsysteme abhänge. Dieser Mann, der das schreibt, glaubt offenbar nicht an das Gleichgewichtssystem. Ich will dazu sagen: Das Wort „Drohsystem" ist ein anderes Wort für das System gegenseitiger Abschreckung, das seit 1945 in Europa den Zustand des Nicht-Krieges garantiert hat.
    Ich halte dieses System, ob wir es nun „gegenseitige Abschreckung" nennen oder ob wir es wie jener „Drohsystem" nennen, keineswegs für ideal. Ich bin dafür, daß aus dieser Konfrontation auf sehr hoher Ebene in der Rüstung etwas anderes wird. Wir haben vorhin darüber gesprochen. Aber für den gegenwärtigen Augenblick, für das Jahr 1970, für das dieses Weißbuch geschrieben ist, hat noch niemand recht aufzeigen können, wie wir wohl mit geringeren Risiken etwa bessere Garantien für unser staatliches Überleben in Freiheit und Unabhängigkeit verbürgen könnten.
    Den Vorwurf der Ideologiefeindlichkeit nehme ich, was die Sicherheitspolitik unseres Staates angeht, gern auf mich.

    (Beifall bei der SPD.)

    Die Sicherheitspolitik muß ideologiefeindlich sein. Sie muß nämlich nüchtern und abwägend und realistisch sein. Sie muß ideologiefeindlich nach beiden Seiten sein nach links, wo uns eine Utopie des kostenlosen Friedens angedient wird, wie nach rechts, wo uns Feindbilder und Rezepte für die Militarisierung der eigenen Gesellschaft aufgeschwatzt werden sollen, die man als Demokrat ablehnen muß. Ich halte die Utopie von einem Frieden zu kleinen Preisen und zu kleinen Anstrengungen für eine gefährliche Utopie. Ich mache daraus gar kein Hehl. Genauso ist mir allerdings das Weltbild der ehemaligen AdK unsympatisch, die wir mit diesem Weißbuch endgültig aus den Akten der Bundeswehr getilgt haben.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ich will der Debatte, die Sie zu führen beabsichtigen, meine Damen und Herren, nicht weiter vorgreifen. Ich weiß, daß die Opposition mit dem Argument operieren möchte, dieses Weißbuch bringe nichts Neues. Ich kann da nur raten zu vergleichen. Ich habe beide Weißbücher auf meinem Tisch liegen. Ich kann auch nur raten, zu vergleichen, wieviel Zeit man für das eine und für das andere gebraucht hat. Mir kommt es nicht darauf an — das will ich ebenso deutlich sagen —, wer zuerst etwas aufs Papier gebracht hat, sondern mir kommt es darauf an — und uns allen muß es darauf ankommen, wann etwas in die Tat umgesetzt und verwirklicht wird.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU: Sehr gut! — Ausgezeichnet!)

    Diese Regierung, die sich mit der Sicherheitspolitik von Amts wegen gerade sieben Monate hat beschäftigen können, verpflichtet sich, dem Parlament alsbald nach der Sommerpause die Gesetzentwürfe vorzulegen, die zur Verwirklichung des im Weißbuch angekündigten Programms notwendig sind. Es ist der Wunsch und die Erwartung der Soldaten — und ich halte es für möglich , daß die Masse dieser Gesetze bis Ostern nächsten Jahres durch den Gesetzgebungsgang hindurch ist, durch Bundestag und Bundesrat. Was die Bundesregierung dazu tun kann, wird sie tun, damit dieser Termin eingehalten wird. Ich möchte meine Ausführungen mit dem Appell an die Damen und Herren



    Bundesminister Schmidt
    des Hohen Hauses beschließen, die Erwartungen unserer Soldaten insoweit nicht zu enttäuschen.

    (Anhaltender Beifall bei den Regierungsparteien.)