Rede von
Benno
Erhard
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Darf ich Sie bitten, Ihre Frage bei der nächsten Gelegenheit zu stellen, da ich jetzt fortfahren möchte.
Gestatten Sie, daß ich noch einige Fragen zu besonderen Teilen stelle. Es wäre reizvoll, die einzelnen Bestimmungen auch in ihrer Zuordnung hier sorgfältig auszubreiten, um festzustellen, wie interessant manche Gedankenvorgänge bei Ihnen angestellt worden sind. Wie interessant — mehr will ich vorläufig gar nicht sagen. Ich muß mir das versagen, weil wir in der ersten Lesung sind, und ich will deshalb weitere Fragen stellen.
Die Aufforderung zum Verbrechen und zum Vergehen soll künftig noch unter Strafe gestellt sein. Bisher war nur die Aufforderung zu einer strafbaren Handlung unter Strafe gestellt. Wenn aber diese von Ihnen vorgelegten Entwürfe und Vorstellungen die Ordnungswidrigkeiten und die Übertretungen insofern freihalten wollen, d. h. auch die Aufforderung zur konkreten Ordnungswidrigkeit, also z. B. zum Auflauf, überhaupt nicht mehr irgendwie mit Strafe bedroht sein sollen, weiß ich nicht, wie Sie den öffentlichen Frieden, eben diesen Gemeinschaftsfrieden, im Konfliktsfalle aufrechterhalten wollen.
Warum wollen Sie unter der Bestimmung des Widerstandes den geschützten Personenkreis nicht,
714 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Dezember 1969
Erhard
wie bei allen Beratungen seither für erforderlich gehalten, erweitern? Der § 113 StGB ist doch zu eng. Haben Sie bedacht, daß die vorgesehene Irrtumsregelung in diesem Zusammenhang und auch im Rahmen der Bestimmungen über den Landfriedensbruch die Gefahr heraufbeschwört, daß der handelnde Beamte im Konfliktsfalle in gewissem Umfang rechtlos gestellt wird? Glauben Sie nicht, es müsse den betroffenen Bürgern zugemutet werden, bei Gefahr der Bestrafung der behördlichen Anordnung zunächst nachzukommen,
weil davon auszugehen ist, daß sich unsere Beamten an Recht und Gesetz halten, und nicht umgekehrt davon auszugehen ist, daß der Konflikt zwischen dem Beamten und dem einzelnen im konkreten Fall auf der Straße ausgetragen werden könnte?
Ich knüpfe hier an Ihr Beispiel an, Herr Kollege Müller-Emmert, das Sie dazu gebracht haben. Wenn der Betreffende, der von dem Beamten als ein vermeintlicher Mörder erkannt wird, nicht festgenommen werden kann,
nicht festgenommen werden könnte, wie Sie das darzustellen versucht haben, wären wir am Ende der wirksamen Strafverfolgung.
Der Bundesgerichtshof hat jedenfalls erst am 23. Juli 1969 zu diesem Problem ausgeführt, dies — nämlich daß der Bürger zunächst folgen muß — gebiete das berechtigte Bedürfnis der staatlichen Ordnung, dem sich der einsichtige Bürger auch beugen müsse. — Wollen Sie wirklich einer solchen Änderung das Wort reden, die nach meiner Auffassung und nach unserer Auffassung zum Faustrecht auf der Straße führt?
Meinen Sie wirklich, daß die Strafvorschrift des § 114 StGB — Beamtennötigung — durch den allgemeinen Nötigungstatbestand überflüssig sei? Es kann Ihnen doch nicht entgangen sein, daß bei dem Straftatbestand der Beamtennötigung die Relation zwischen Mittel und Zweck, die die Vorschrift über die allgemeine Nötigung zur Feststellung der Rechtswidrigkeit voraussetzt, unmöglich entbehrt werden kann, d. h. daß wir unmöglich diese Relation auf den Tatbestand der Beamtennötigung übertragen können und dürfen, weil dann ja der Beamte jedem Druck und jeder Nötigung ausgesetzt wäre.
Über die Streichung des § 115 StGB — Aufruhr — lassen wir mit uns reden, wenn wir zu der Systematik zurückkehren können, die in der bisherigen Beratung und im Entwurf 1962 Gegenstand der Vorstellung gewesen ist. Es müßte aber beachtet werden, daß der Aufruhrtatbestand nur dann entbehrlich ist, wenn sowohl im Rahmen der Widerstandsvorschriften wie auch der über den Landfriedensbruch systematisch wie praktisch die notwendige Effektivität erhalten bleibt. Ich wiederhole: die notwendige Effektivität. Das heißt, es muß der Rechtsfrieden gewahrt bleiben.
Die von Ihnen vorgesehene Bestimmung über den Landfriedensbruch — § 125 — hat bei mir einen ganz erheblichen Schrecken ausgelöst. Es ist kein Massendelikt mehr — nach dem Wortlaut, den Sie vorschlagen —; hier wird das Recht auf den Kopf gestellt: zwischen der Überschrift und dem, was darunter kommt. Sie halten es nur noch für eine Spezialvorschrift für sonstige Täter, die auch schon etwas anderes verbrochen haben. Wenn künftig nur noch verfolgt und bestraft werden kann, wer eigenhändig Gewalttätigkeiten verübt oder an solchen Gewalttätigkeiten in Form von Anstiftung oder Beihilfe teilnimmt, dann ist gegen diese Massendelikte nicht mehr wirksam anzugehen.
Warum eigentlich wollen Sie den Rädelsführer, der selbst nicht die konkrete Gewalt verübt hat, nicht mehr unter die Strafdrohung stellen?
— Nein, lesen Sie mal Ihre Vorschriften! Der fällt eben genau nicht darunter. Sie haben den Rädelsführer nur noch dann in der Strafe darin, wenn er gleichzeitig Täter, d. h. z. B. Steinwerfer ist.
— Herr Kollege Arndt, Sie haben den Entwurf offenbar nicht richtig gelesen.
Wie ist das eigentlich bei diesem Vorschlag mit dem Schreibtischtäter? Soll er künftig zusätzlich von jeder Strafdrohung in diesem Zusammenhang freigestellt werden? Ich will hoffen, daß es sich hier um nicht gewollte Mißverständnisse der Antragsteller und nicht um den politischen Willen handelt.
Die planenden und organisierenden Hintermänner müssen auf jeden Fall mit schärferer Strafe belegt werden als die kleinen mißbrauchten oder über das Ziel hinausspringenden Ausführenden.
— Ich habe ihn richtig gelesen.
Wir sind der Meinung, daß Sie aus der Praxis die nötigen Anhaltspunkte entnehmen können, daß Spontanversammlungen und Demonstrationen nur dann aufgelöst wurden, wenn neben erheblichen Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gewalttätige Ausschreitungen unmittelbar zu befürchten waren. Eine wirkungsvolle Abwehr solcher Gefahren im Vorfeld schwerer Straftaten ist aber
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Erhard
kaum noch gewährleistet, wenn wir Ihrem Vorschlag folgen und den Auflauf von dem Zeitpunkt an, wo er rechtswidrig wird - und das ist nach dreimaliger rechtmäßiger Aufforderung zum Auseinandergehen nur noch als Ordnungswidrigkeit bezeichnen. Ist die Vorbeugung gegen schweren Rechtsbruch zum Schutze des friedlichen Zusammenlebens der Bürger sowie deren Gesundheit und Eigentum wirklich nicht mehr zentrales Anliegen, das strafrechtlichen Schutz verdient?
Aus welchem Grunde, meinen Sie, haben die Schweden denjenigen mit abgestuften Strafdrohungen versehen, der an einer zusammengerotteten Menschenmenge teilnimmt und nicht auf Befehl der öffentlichen Gewalt die Ansammlung verläßt? Eine Aufforderung genügt in Schweden. Bei uns drei! Warum, meinen Sie, genügt auch in der Schweiz als Strafbarkeitsvoraussetzung das Sich-nicht-Entfernen nach einmaliger behördlicher Aufforderung?
— In der Schweiz, Herr Kollege Arndt, wird auch das bloße Dabeisein, allerdings erst nach Nichtbefolgen der behördlichen Aufforderung, zum kriminellen Tatbestand, nicht zum Ordnungswidrigkeitstatbestand. Ganz ähnlich sind die Regelungen in Norwegen, in Österreich, in Frankreich. Überall genügt, wenn überhaupt vorgeschrieben, das Nichtbefolgen der einmaligen Aufforderung, die Zusammenrottung zu verlassen. Ich wiederhole: bei uns mull dreimal aufgefordert werden. Und auch das soll noch abgemildert werden?
Wir wünschen und hoffen, daß ein Gesetz zustande kommt, das jeder bekannten Form von Gewalttätigkeit und den vorgestellten Aktionen von Terror gerecht wird, ganz gleich, von wem und von welcher Seite, also auch bei Terror, der z. B. gegen eine eventuelle Anerkennung der DDR oder durch Rechtsradikale entstehen könnte. In jedem Falle muß auch morgen und auch dann, wenn dieses Gesetz Wirksamkeit erhält, der freiheitlich-demokratische Rechtsstaat geschützt sein.
Wir gehen von folgenden Vorstellungen aus. Aus dem Recht zur friedlichen Versammlung kann kein Recht zu unfriedlicher Demonstration hergeleitet werden.
Die Anerkennung eines Vorrechts im Rahmen von Demonstrationen gegenüber den geschützten Grundrechten anderer liefe auf die Legalisierung eines von militanten Minderheiten geübten Terrors hinaus, welche mit der auf dem Mehrheitsprinzip fußenden demokratischen Verfassung und der freiheitlichen demokratischen Grundordnung schlechthin unverträglich ist.
So hat es der Bundesgerichtshof entschieden, so
sollten wir es uns im Gedächtnis behalten. Wenn
wir davon ausgehen, werden wir kein Recht schaffen, das in seiner praktischen Auswirkung keine Amnestie mehr notwendig macht, weil keiner mehr bestraft werden wird.