Das habe ich nicht gesagt. Sie können gern das unkorrigierte Protokoll nachlesen. Ich habe gesagt, daß ein Sprengstoffanschlag gegen das jüdische Gemeindehaus verübt worden ist. Das ist ja wohl als Tatsache unbestritten. Weil ich die Ermittlungen der Polizei nicht kenne und weil ich weiß, daß der Täter jedenfalls nach dem Stand meiner Kenntnis noch nicht gefunden ist, habe ich nicht gesagt und kann ich selbstverständlich nicht behaupten, wer es war, geschweige denn, daß er einer bestimmten Gruppe zuzuordnen ist. Ich bin insoweit dankbar für die Zwischenfrage. Das ist offensichtlich ein Mißverständnis zwischen uns oder im schlimmsten Fall ein Versprecher von mir. Ich glaube aber nicht, das gesagt zu haben.
— Gut, dieser Vorgang ist damit wohl erledigt.
Meine Freunde und ich halten es für geboten, daß vor der abschließenden Entscheidung dieses Hauses über die Reform der Strafbestimmungen — dazu wird noch geredet werden — die Bundesregierung eine Bestandsaufnahme der tatsächlichen Lage vorlegt, die eine unabdingbare Voraussetzung für eine gründliche Prüfung und sorgsame Urteilsbildung auch in dieser Frage sein wird. Auch in dieser Frage ist es unsere Aufgabe, die Realitäten, d. h. die Wirklichkeit, zu erkennen.
In unseren einzelnen Punkten fragen wir daher die Bundesregierung nach den Vorgängen oder bitten sie, darüber innerhalb einer Frist, die wir vorschlagen, einen Bericht vorzulegen. Das Bundesministerium des Innern ist ja nach dem Stande seiner Einrichtungen durchaus in der Lage, das entsprechende Material zusammenzubringen, und wird sicherlich auch bereit sein, es uns in der vorgeschlagenen Form zu vermitteln.
Wir fragen daneben im einzelnen, ob die Bundesregierung z. B. der Auffassung ist — ich greife jetzt nur einzelne Punkte heraus —, daß die gesetzlichen Bestimmungen ausreichen. Meine Damen und Herren, dies — ich möchte das der Klarheit halber sagen — ist wirklich eine Frage und nicht die Andeutung einer Meinung von uns. Wir alle wissen, Herr Kollege Hirsch, auch Sie, es hat in der vorigen Wahlperiode Diskussionen über diesen oder jenen Punkt gegeben. Ich nehme an, daß meine persönliche Antwort, die nicht unbedingt mit der Meinung der Fraktion übereinstimmen muß — wir haben darüber in der Fraktion nicht gesprochen —, würde ich mich selber fragen, lauten würde: sie reichen aus. Das könnte ich auch mit Einzelbeispielen belegen.
Es geht im allgemeinen nicht um die Frage, ob die gesetzlichen Bestimmungen, so wie sie heute sind, an sich ausreichen, sondern es geht darum, ob die politische Führung, die in dem betreffenden Bereich die Verantwortung trägt, wirklich bereit und in der Lage ist, diese Verantwortung mit der nötigen Energie zu erfüllen. Fehlentwicklungen — ich könnte Beispiele nennen — pflegen im allgemeinen auf ein Versagen nicht etwa der Polizei und ihrer Organe, die sich überall die allergrößte Mühe geben, sondern der jeweils zuständigen politischen Führung hinzudeuten.
Daher fragen wir in allgemeiner Form in Ziffer 4
auch dies eine Frage —, welche Vorstellungen die Bundesregierung entwickelt, um den uns allen bekannten und von mir in Stichworten angedeuteten Entwicklungen zu begegnen. Auch dies ist keine juristische Frage, die juristisch zu beantworten ist, sondern eine politische Frage, welche Vorstellungen die Regierung hat und welche Möglichkeiten sie sieht, diese ihre Vorstellungen den jeweils zuständigen Stellen nahezubringen. Natürlich kenne ich die Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und
710 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Dezember 1969
Benda
Ländern etwa im Bereich der Polizeigewalt genauso gut wie jeder von uns. Es geht darum, daß die Bundesregierung diesen zuständigen Stellen ihre politischen Vorstellungen nahebringt mit dem Ziel, sie in diesen Bereichen möglichst auch zu verwirklichen.
Abschließend ein kurzes Wort zu dem letzten Punkt. Der letzte Punkt enthält für mein Empfinden, obwohl er zunächst ein beinahe abstrakter, beinahe esoterischer Punkt zu sein scheint, den Kern der Problematik. Herr Kollege Müller-Emmert hat es in einem anderen Zusammenhang und mit ganz anderen Worten, aber möglicherweise mit derselben Fragestellung, wie ich es versuchen möchte, angesprochen. Wir bitten die Bundesregierung, uns zu sagen, wie sie die Schutzwürdigkeit des durch das Grundgesetz garantierten Rechts auf Versammlungsfreiheit im Verhältnis zu anderen Grundrechten beurteilt. Damit wollen wir sagen, daß es auch zwischen uns und den Antragstellern oder zwischen der Regierung und uns keiner Diskussion über die selbstverständliche Feststellung bedarf, daß das Versammlungsrecht und das Recht der freien Meinungsäußerung in unserem Lande grundrechtlich garantiert sind. Jeder von uns, Parlamentarier oder Angehöriger der Bundesregierung, ist verpflichtet, nach Maßgabe seiner Möglichkeiten dafür einzutreten — und wir sind bereit und entschlossen, dies wie bisher zu tun —, daß diese Grundrechte im vollen Umfang gewahrt und geschützt bleiben. Es kommt darauf an, festzuhalten und festzustellen, daß derjenige, der Steine wirft, der sich Molotow-Cocktails oder Holzlatten oder sonstiger Wurfgeschosse bedient — deswegen ist der vorhin erwähnte Begriff „Demonstrationsrecht" oder „Demonstrationsdelikt" so fragwürdig —, damit, auch wenn er es politisch motiviert oder verbrämt, nicht von einem eigenen Grundrecht Gebrauch macht, sondern im Gegenteil in die Grundrechte anderer Bürger eingreift und diese gefährdet.
Es ist die Aufgabe der staatlichen Organe, der Gesetzgebung, der Exekutive und der Rechtsprechung, ihn daran zu hindern, das zu tun. Es ist eine Verfälschung des Tatbestandes, wenn man dann meint, dies sei eine Frage, die auch nur ein Randgebiet des sogenannten Demonstrationsrechtes — also juristisch präziser gesagt: der Versammlungs- oder Meinungsfreiheit - betreffe. Dies ist es eben nicht, sondern es ist der Angriff auf Grundrechte anderer, und den gilt es abzuwehren. Da kann im Faktischen, wie ich wohl weiß, ein Spannungsverhältnis bestehen.
Natürlich hat derjenige, der von seinem Recht der Meinungsfreiheit auf der Straße — inhaltlich interessieren mich in dem Zusammenhang seine Thesen nicht — Gebrauch machen will, ein Recht, dies zu tun, und dieses Recht muß auch geschützt werden. Daher hat er auch das Recht, nach Maßgabe der Bestimmungen Demonstrationen zu veranstalten. Aber derjenige Fußgänger oder Autofahrer, der nicht Neigung hat — aus welchen Motiven immer —, sich dieser Meinungsbekundung zu unterziehen, hat das gleiche Recht, nicht daran gehindert zu werden, sich von dem Ort einer solchen Veranstaltung zu entfernen. Hier entsteht praktisch das Spannungsverhältnis zwischen zwei Grundrechten, die gegeneinander oder möglicherweise in einem Spannungs- und Konfliktverhältnis zueinanderstehen. Hier gibt es die eine oder andere Frage, die Herr Müller-Emmert angeschnitten hat und mit der man sich im weiteren beschäftigen wird.
Es geht uns also darum — ich sage es zusammengefaßt noch einmal —: Demonstrationsfreiheit, d. h. die Verbreitung von Meinung und Information, ist und bleibt ohnehin selbstverständlich geschützt, übrigens auch dann, wenn das geltende einschlägige Strafrecht nicht geändert würde. Denn selbstverständlich hat dieses verfassungskonform ausgelegt zu werden. Wo dies im Einzelfall wirklich oder angeblich nicht der Fall sein sollte, steht dem Betroffenen der Weg zum Bundesverfassungsgericht zur Nachprüfung eines solchen Vorganges ohnehin frei.
Verbreitung von Information und Meinung, aber unter keinen Umständen ist nach unserer Meinung
ich zitiere Herrn Hannover — die Demonstrationsfreiheit als ein Vorgang zu verstehen, der „alle Äußerungsformen menschlicher Handlungsfreiheit umfaßt, die geeignet und dazu bestimmt sind, auf den Prozeß der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung einzuwirken". In der Konsequenz dieser juristisch absurden These geht dann Herr Hannover in der Tat soweit zu sagen, daß auch das Einwerfen von Fensterscheiben oder das Anzünden von Zeitungswagen — weil Ausdruck einer politischen Meinungsfreiheit — zulässig sein müsse.
Mit der gleichen Konsequenz, mit der er dieses sagt, muß er freilich auch den unmittelbaren psychischen oder physischen Terror gegen Personen mit dem Argument vor sich selber oder anderen rechtfertigen: die sind ja nun leider anderer politischer Meinung als derjenige, der angeblich von seiner Meinungsfreiheit Gebrauch macht.
Meine Damen und Herren, an sich ist die Auseinandersetzung hierüber sicherlich für uns nicht zwingend notwendig. Aber notwendig — und deswegen fragen wir die Bundesregierung danach und bitten sie, uns ihre Meinung zu sagen — ist eine klare, hier scharf abgrenzende und scheidende Äußerung zum Schutz des Demonstrationsrechtes, der Versammlungsfreiheit, der Meinungsfreiheit auf der einen Seite und auf der anderen Seite — dem dient unser Antrag zum Schutz der Rechte jedes einzelnen Bürgers, zu dessen Freiheitsrechten auch das Recht gehört, nicht zu demonstrieren, Demonstrationen angenehm oder nicht angenehm zu finden, sich an Demonstrationen zu beteiligen oder sich von ihnen zu entfernen. Der Schutz unserer Bürger ist eines der Anliegen, das hier mit zu erörtern ist. Es ist nicht nur eines der Anliegen, es ist das zentrale Anliegen, über das wir unter diesem Punkt der Tagesordnung zu reden haben.