Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte zwingt mich leider, noch einmal einige Bemerkungen zu machen.
Zum ersten. Der allgemeine Preisaufstieg ist gebremst. In den mittleren ArbeitnehmerhaushaltsIndizes ist die Preissteigerungsrate von 3,0 auf 2,6 % zurückgegangen. Ich sage das deshalb, weil dazu die deutsche Landwirtschaft in Form der Hinnahme der Aufwertung ein großes Opfer bringt, und daher hat sie ein Recht auf Ausgleichszahlung. Und wenn man, verehrte Kollegen von der CDU/ CSU, diese Ausgleichszahlung schon als Subvention bezeichnen will — was ich gar nicht tue —, dann allenfalls als Verbrauchersubvention und nicht als Erzeugersubvention. Ich habe zudem das Gefühl,
*) Siehe Anlage 4
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die gesamte deutsche Bevölkerung hat für diese Ausgleichszahlung in dieser Form volles Verständnis. Ich bedanke mich auch bei der deutschen Publizistik, daß sie diesen Standpunkt mit Nachdruck vertreten hat.
Zum zweiten. Ich muß leider noch einmal etwas zur Aufwertung sagen. Es tut mir furchtbar leid; ich weiß gar nicht, wann diese Debatte abgeschlossen ist. Aber ich würde sagen, und ich muß es wiederholen: Wenn man sich das so anhörte, wurde man beinahe in die Meinung versetzt, die Aufwertungsdebatte gebe es erst nach der Wahl. Ich kann mich erinnern, daß es bereits im November 1968 Diskussionen darüber gab. Ich kann mich erinnern, daß es Minister gab, die gesagt haben: einmal werten wir auf, einmal werten wir nicht auf. Ich will den Kollegen von der Landwirtschaft — —
— Dazu gehört auch der Kollege Franz Josef Strauß; das muß man einmal mit aller Deutlichkeit sagen, damit Sie nicht immer den Falschen verdächtigen. ich hätte es nicht gesagt, wenn Sie es nicht so gedeutet hätten. Ich bin bereit, Ihnen die Presseberichte zu zeigen, damit wir uns da ganz klar verstehen. Immer bei der Wahrheit bleiben!
Aber den verehrten Kollegen der CDU und von der Landwirtschaft will ich etwas sagen. Haben wir nicht den ganzen Sommer über das Problem der Getreidespekulation gehabt
mit den hohen Kosten für die Intervention, mit allen nachteiligen Folgen, mit Preiszusammenbrüchen und ähnlichem mehr? Ja, meine verehrten Damen und Herren, warum haben Sie damals nicht gehandelt? Da können Sie doch nicht der Regierung, die gehandelt hat, weil sie zum Handeln gezwungen war, im Interesse der Stabilität, einen Vorwurf machen! Das verstehe ich einfach nicht.
Ein weiteres. Herr Kollege Siemer, Sie haben ein Plädoyer für die gewerbliche Veredelungswirtschaft gehalten.
— Nein? Im Gesetz heißt es: wenn sie nicht gewerbliche sind. So heißt es im Gesetz.
Ich glaube, die CDU/CSU war mit uns immer der Meinung, daß wir die bäuerliche Veredelungswirtschaft schützen sollten. Ich muß Ihnen sagen, ich habe gerade gestern in Brüssel mit meinem niederländischen Kollegen über dieses Thema verhandelt, weil er gesagt hat: Ich habe große Befürchtungen wegen des Durchschlagens der Preissenkung bei Futtermitteln bezüglich der gewerblichen Veredler im norddeutschen Raum. Darauf habe ich gesagt: Bitte sehr, Herr Kollege, machen wir doch gemeinsam ein Veredelungsschutzgesetz. Ich bin dazu bereit, denn das Problem der Überschüsse muß man
mit einkalkulieren. Und hier geht es mir darum, daß durch Überschüsse aus der gewerblichen Wirtschaft nicht die bäuerlichen Betriebe ihre Existenz verlieren.
— Die Kooperation ist eine bäuerliche Betriebsform. Ich spreche von der gewerblichen, von der flächenunabhängigen; denn auch das ist bisher immer ein klein wenig vergessen worden, und ich hätte hier nichts gesagt, wenn nicht immer solche den Tatsachen nicht entsprechende Feststellungen getroffen würden.
Die Futtermittel müssen durch die Aufwertung im Preis heruntergehen. Das bringt Kostenvorteile; das ist doch unbestreitbar. Das ist eine Tatsache, die man nicht hinwegnehmen kann.
Ich weiß nicht, ob eine Verfassungsklage kommt. Ich weiß auch nicht, ob es sinnvoll ist, über alle Fragen eine Verfassungsklage anzustreben. Eines, glaube ich, können Sie von mir hinnehmen: ich werde mich bemühen, die Ausgleichszahlungen so gerecht und so optimal wie nur irgend möglich zu gestalten.
Es wurde wiederum gesagt, es wäre besser, die Grenzausgleichsabgabe einzuführen. Darüber läßt sich streiten. Es wäre nur besser, wenn sie nicht degressiv gestaltet würde. Das haben meine Vorredner betont. In dem Moment, wo sie degressiv ist, müssen Sie sagen, daß Sie bereit sind, der deutschen Landwirtschaft im Jahr 1971 5 % Preissenkung zuzumuten. Das muß ich Ihnen sagen.
— Die Franzosen haben sich auf eine degressive Lösung eingelassen. Da sind Sie nicht genau informiert.
— Auf eine progressive, aber im Sinne der Degressivität, Herr Kollege Ritz, — damit Sie hier nicht falschen Betrachtungen unterliegen. Sie hätten im Jahre 1971 dann die Preise für die Erzeuger um 5 % gesenkt. Gut, das nehmen wir hin. Das ist ein Vorschlag, darüber kann man reden. Sie hätten auch einen Antrag einbringen können, dann würden wir weiterkommen. Aber nach Den Haag verstehe ich das gar nicht mehr.
Selbstverständlich ist uns dieser Kompromiß nicht leichtgefallen. Aber es ist ein Kompromiß in der Hoffnung, daß die Möglichkeiten für die Fortführung der europäischen Zusammenarbeit im Sinne einer Partnerschaft, im Sinne der Erweiterung, im Sinne der Herbeiführung einer Wirtschafts- und Währungsunion von uns aus noch einmal aktiviert werden können. In dem Sinne haben wir dem Kompromiß zugestimmt, vielleicht nicht ganz leichten Herzens, aber in der Sicherheit, daß die deutsche Landwirtschaft keine Einkommensverluste zu verzeichnen hat.
Nun wurde gesagt, es seien gar keine Feststellungen über die Verteilung der 920 Millionen DM getroffen, und gleichzeitig wurde gesagt, die Mehr-
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wertsteuer sei keine Lösung. Nun, hinsichtlich der Mehrwertsteuer kann ich es mir leicht machen: Diese Idee habe ich im Sinne der Kontinuität von der früheren Bundesregierung übernommen, und ich nehme doch an, daß die CDU zum mindesten zu dem steht, was ihre eigenen Minister einmal gemacht haben. Im übrigen ist die Mehrwertsteuer sofort wirksam. Eine Vielzahl von Kollegen hat mich sogar geradezu flehentlich gebeten, einen höheren Mehrwertsteuersatz durchzusetzen, weil er sofort wirksam ist. Ich könnte darüber einen Dialog führen.
— Ja, ich schließe Kompromisse, in der Regierung schließt man eben Kompromisse. Ich freue mich aber, Herr Kollege Reinhard, daß Sie einen höheren Satz wollen. Nur frage ich: Hat Herr Krammig auch für Sie gesprochen, Herr Reinhard? Denn Sie sind doch offensichtlich anderer Meinung. Da müssen Sie erst einmal klären, wer überhaupt für wen bei Ihnen spricht.
Im übrigen habe ich Ihnen, meine verehrten Kollegen, das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats meines Hauses zugeleitet, und ich habe es sogar veröffentlicht. Darin ist ein genauer Vorschlag, wie die 920 Millionen DM verteilt werden sollen, und ich habe bis heute noch niemand gehört, der gesagt hätte, das gehe so überhaupt nicht.
Ich muß weiter darauf hinweisen und Sie müssen das entschuldigen-, daß ich leider, und zwar
nicht weil ich das verursacht hätte, sondern weil ich auch hier im Sinne der Kontinuität handle, permanent in Brüssel verhandle. Auch heute nacht bin ich erst wieder um 1/22 Uhr aus Brüssel zurückgekommen, und nächste Woche soll es die ganze Woche hindurch gehen. Ich habe die Fähigkeit doppelter Anwesenheit leider nicht geerbt, dafür kann ich nichts. Sie müssen also entschuldigen, wenn ich nicht in der Lage bin, in allen Fragen sofort und persönlich alle Dinge in Angriff zu nehmen. Es wird der Praktikerausschuß gehört werden, und ich nehme an, der Kollege Dr. Schmidt als mein hoher Souverän im zuständigen Ausschuß wird mir nicht böse sein, wenn ich hier sage, daß ich mit ihm besprochen habe, im Ausschuß Mitte Januar ein Hearing zu veranstalten. Bis dahin werden Sie von mir eine große Synopse mit allen möglichen Varianten bekommen. Wir werden alle Betroffenen und auch alle Interessenten, alle Verbände in einem öffentlichen Hearing hören, wir werden die Chance haben, sehr viel Kluges aufzunehmen und zu verwerten, und dann werde ich meinen Gesetzentwurf machen, weil ich ihn ganz demokratisch unter Mitwirkung auch all jener, die bis heute keine Vorschläge gemacht haben, machen will.
Lassen Sie mich noch ein grundsätzliches Wort zu dem Zeitpunkt sagen. Ich mußte doch irgendwann zu einem Abschluß kommen; denn wenn nicht jetzt am 1. Januar einmal klare Verhältnisse auch an der Grenze geschaffen werden, dann gibt es auch auf diesem Sektor wieder Spekulationen. Ich erinnere nur an Obst, Gemüse und Geflügel. Es darf doch nicht so sein, daß der deutsche Steuerzahler permanent für Spekulationen zahlen muß. Darum müssen klare Verhältnisse geschaffen werden.
Meine verehrten Damen und Herren, ich habe in den letzten Tagen wiederum gesagt ich komme mir in Brüssel beinahe wie ein Wanderprediger vor —: Wenn diese Politik nicht bald in eine gemeinsame Wirtschafts- und Währungspolitik eingebettet wird, dann wird sie permanent in Krisen hineinsteuern. Es gibt ja auch ein EWG-Parlament, und es soll sogar Kollegen aus allen Fraktionen geben, die darin sitzen. Ich kann nur hoffen, daß auch von dort einmal Vorschläge auf mich zukommen, damit ich auch einmal eine hilfreiche parlamentarische Unterstützung bekomme. Es ist doch nicht so, daß immer nur dieser Minister allein sozusagen das Füllhorn ausschütten und Wunder wirken kann. So einfach ist es weiß Gott nicht.
Ich möchte dennoch am Schluß sagen: Ich betrachte die Stimmenthaltung der CDU als einen Akt des Goodwill. Das anerkenne ich, und darüber freue ich mich. Im übrigen bedanke ich mich bei all denen, die mitgeholfen haben, daß die Angelegenheit so schnell und beschleunigt in diesem Hause behandelt wurde. Ich glaube, unsere Landwirte können von der Sicherheit ausgehen, daß ihre Einkommensverluste, soweit sie am 1. Januar entstehen, voll ausgeglichen werden, und damit hat die Bundesregierung ihr Wort gehalten.