Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß der erste Teil dieser Debatte als Rückschlag für die Kulturpolitik in Bund und Ländern betrachtet werden kann.
— Ich werde das gleich erläutern.
— Natürlich, warten Sie doch! Sie sind so nervös, daß es mit Ihnen überhaupt nicht mehr zu schaffen ist.
Sie sind so nervös, daß Sie noch nicht einmal eine Aussage abwarten können. Meine Damen und Herren, ich kann angesichts dieser Unsicherheit nur sagen: Machen Sie das doch unter sich ab, und stärken Sie sich im Glauben, aber tun Sie es hier nicht öffentlich.
Meine Damen und Herren, Herr Moersch, Herr Lohmar und ich haben über Jahre hinweg versucht, in bildungspolitischen Fragen zu einem gesamtstaatlichen Handeln zu kommen, weil wir der Überzeugung sind, daß die Fragen in diesem Lande nicht anders zu lösen sind als unter anderem dadurch, daß dem Bund weitere Kompetenzen zuwachsen. Wenn Herr Lohmar heute sagt, darauf komme es überhaupt nicht an, sondern es sei eine Geldfrage, so kann er sich nur dazu gratulieren, daß er noch keine Memoiren geschrieben hat, sonst müßte er
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Dezember 1969 691
Dr. Martin
sie jetzt einstampfen. Über Herrn Moersch will ich mich nicht äußern. Daß man, Herr Moersch, wenn man sich mit 0,6 % über der Notstandsgrenze politisch bewegen muß,
kulturpolitisch nichts durchsetzen kann und daß die FDP außerdem seit über 10 Jahren über keine konkreten kulturpolitischen Erfahrungen mehr verfügt, das nehme ich alles nicht so ernst.
Nachdem die Polemik jetzt abgeschlossen ist, möchte ich ein Versäumnis nachholen. Fr au D r. Hamm-Brücher ist heute zum erstenmal hier im Deutschen Bundestag, und ich möchte sie namens meiner Fraktion als neuen Gesprächspartner herzlich begrüßen.
Meine Damen und Herren, das führt mich zu einer anderen Bemerkung. Frau Hamm-Brücher zeichnet sich durch ein differenziertes Denken aus, das mir gefällt, dem ich nicht zustimme, das mir aber gefällt. Bestürzt bin ich allerdings, wenn der Minister für Bildung — Bildung! — und Wissenschaft hier die Fragen der Gesamthochschule unter „Klassendenken" rubriziert. Wer so egalitär einlinig denkt, dem wird es schwerfallen, etwas zu konzipieren, denn die Bildungspolitik hat ja zwei große Probleme, und die muß man einmal gegeneinander halten, wenn man darüber diskutieren will. Das eine ist die Durchsetzung von Demokratie, Chancengleichheit. Das ist sozusagen das demokratische, wenn Sie sogar wollen, nivellierende Element. Das andere Element, daß diese Gesellschaft hohe Leistungen braucht, ist das elitäre Element. Diese zwei Dinge, jedem seine Chance und seine Möglichkeit, ihn so lange zu bilden, bis seine Möglichkeiten erschöpft sind, und in dieser Gesellschaft die hohen wissenschaftlichen, menschlichen und demokratischen Leistungen zustande zu bringen, das pädagogisch und organisatorisch in Zusammenhang zu bringen, ist die Aufgabe der Hochschulreform und der Bildungsreform insgesamt. Wer glaubt, er könne das mit der Bemerkung „Klassendenken" erledigen, der ist, glaube ich, in dem Lernprozeß noch nicht so weit wie die CDU.
Meine Damen und Herren, einfach den Fortschritt — das ist das andere Wort —, die Progressivität für sich zu beanspruchen, wie das hier sozusagen in „schlichter Einfalt"
von der SPD seit Jahren geübt wird, das ist einfach umwerfend, dazu kann man nichts mehr sagen. Da kann man nur noch sagen: Na bitte schön, wenn Sie das Wort lieben, dann kauen Sie es durch wie einen Kaugummi, von rechts nach links, von oben nach unten!
Meine Damen und Herren, Herr Lohmar hat mich oder uns gefragt, was wir denn nun wollten. Sie hätten doch, wenn Ihre Gereiztheit Sie nicht am Nachdenken gehindert hätte, gesehen, daß hier ein kulturpolitischer Gesamtzusammenhang vorgetragen wird und daß heute hier ein konkreter Schritt erfolgt. Was wir mit dem Artikel 91 a vorhaben, verhindert nicht die Gesamthochschule oder den Hochschulbereich, sondern gibt die verfassungsmäßigen und finanziellen Vorausseztungen dafür, daß der notwendige Hochschulbereich überhaupt entsteht.
Das sollte man sehen.
Die ideologieverdächtige Bemerkung von Lohmar muß noch einmal festgenagelt werden. Meine Damen und Herren, was die Gesamthochschule sein wird, das ist hier nicht unsere Sache. Wir werden im Hochschulrahmengesetz den Weg zum Hochschulbereich und zur Gesamthochschule eröffnen, aber es wäre ein Vorgriff auf die Hoheit der Länder, das hier definitiv sagen zu wollen. In dieser Sache ist die Liberalität bei der CDU/CSU-Fraktion und der Zwang bei den anderen.
Der Satz „Wir sind bereit, mit den kooperationswilligen Ländern zusammenzuarbeiten", bedeutet doch: mit den ideologiewilligen Ländern zusammenzuarbeiten.
Wenn Sie uns hier den Vorwurf machen wollen, wir würden präjudizieren, so ist das der Sache nach falsch. Wir öffnen, und Sie haben Angst vor der freien Entscheidung der Länderparlamente.
Im übrigen, Herr Minister, haben Sie gar keine Sorge! Ich habe noch nie jemand in seiner Aktivität behindert. Da halte ich es mit der christlichen Seefahrt: mit Gott und gutem Wind! Wir wollen nur alsbald sehen, was Sie da zustande bringen. Wir haben schon Minister erlebt, die sich so viel Suggestivkraft
— ich dachte jetzt an einen von der FDP; Sie sind hier anscheinend noch neu zugetraut haben, auf dem Wege der Persuasion, der Überredung, des persönlichen Charmes oder — technisch ausgedrückt — als Bundeslokomotive aufzutreten. All das waren Dinge, die uns um Jahre zurückgeworfen haben. Wir möchten gesetzliche Grundlagen haben.
Herr Lohmar, es war nicht elegant von Ihnen — ich darf Ihnen das als altem Mitarbeiter und auch Freund sagen —, daß Sie versuchten, die CDU auseinanderzudividieren. Seit wann ist es denn ein Vorwurf, wenn eine große Fraktion über individuelle Köpfe mit profunder Erfahrung verfügt? Wir sind keine Kaderpartei. Als ich in die CDU eintrat, habe ich meinen Kopf nicht bei der Garderobe abgegeben, sondern bin erhobenen Hauptes in diese Partei gegangen!
— Bitte jetzt nicht, Herr Lohmar. Nein, ich brauche
meine Zeit ganz für mich. Wir unterhalten uns so oft.
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Dr. Martin
Meine Damen und Herren, Herr Lohmar hat hier — einer sagte sogar: vor dem deutschen Volke; na! — gesagt, Sie hätten ein Konzept. Dann hat er fünf Punkte vorgetragen. Meine Damen und Herren, die Frage des Numerus clausus war die Spitze. Wir, die CDU, haben in der vorigen Woche durchgesetzt, daß dieses Thema gegen den anfänglichen Widerstand der SPD zum Hauptthema der Ausschußberatungen wurde. Heute nimmt Herr Lohmar die Ergebnisse dieses Hearings das haben nämlich all die Herren da gesagt , die fünf Punkte, her und sagt, das sei das SPD-Programm.
Ich würde, wenn ich eine Anzeige machte, sagen: „Kulturpolitik — leicht gemacht".
Meine Damen und Herren, wir haben in der Sache ein durchlaufendes Programm, Unsere Meinung ist, daß die Bildungsexpansion ihre Antwort finden muß. Wir müssen die Chancen — —
— Ja, ich habe meine wahrgenommen. — Das heißt konkret — wir haben es Ihnen im Schwerpunktprogramm doch gesagt, Herr Lohmar hat es zwei Tage später dann doch -auch gesagt —: Wir brauchen 120 000 Studienplätze an den Universitäten mehr, wir brauchen 100 000 Studienplätze an den Fachoberschulen. Das sind die konkreten und echten Zahlen. Es ist eine Geldfrage. Der Herr Bundesminister hat gesagt, er wolle den Ländern dabei helfen. Darauf werden wir ihn immer wieder ansprechen, — nicht „anzapfen". Ach, Herr Minister, anzapfen! Ich weiß genau, was in Ihrem Haus besprochen wird; das brauche ich von Ihnen hier öffentlich gar nicht zu erfahren. Darum geht es ja gar nicht. Das ist die eine Seite.
Dann müssen wir die Lehrkörperstruktur ändern. Das ist eine Frage der Novellierung des Bundesrahmengesetzes. Das wird bei uns vorbereitet. Wir brauchen ein Hochschulrahmengesetz. Es ist fast fertig. Sie können davon ausgehen, daß diese Fraktion die Frage, die Sie gestellt haben, Herr Lohmar — zu dem Hearing —, fast genauso beurteilt wie Sie.
Ich habe die Präzision der Herren von der Bundesassistentenkonferenz bewundert. Es war ein intellektueller Genuß, das mitanzuhören. Aber, Herr Lohmar, wenn wir schon in der Vergangenheit sind, dann denken wir doch bitte auch an eines: Alle waren sich einig. Wir haben es mit Zurückhaltung angehört, daß einer der Gründe des Dilemmas, in dem wir uns befinden, die jahrelangen Fehlprognosen des Wissenschaftsrats gewesen sind.
Das ist dort auch gesagt worden, nicht von uns,
sondern von den Herren, die etwas davon verstehen.
Meine Damen und Herren, ich möchte zusammenfassen. Das, was wir hier vorschlagen, ist Stück eines kulturpolitischen Programms. Sie werden dem am Ende zustimmen, weil wir nicht den ideologischen Ballast des 19. Jahrhunderts an den Füßen kleben haben, sondern an konkreter, realer und durchsetzungsfähiger Kulturpolitik in diesem Lande interessiert sind. Sie werden das hier Stück für Stück auf den Tisch bekommen!