Rede von
Dr.
Georg
Kotowski
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Debatte hat für mich als Neuling in diesem Hause eine ganze Reihe von Überraschungseffekten gezeigt. Es wird der CDU/CSU-Fraktion vorgeworfen — völlig ungeprüft übrigens und mit sonderbaren Motivforschungen versehen-, daß sie zu all diesen verschiedenen Dingen doch höchst verschiedene Meinungen habe, während die Regierungfraktionen, die ja doch eigentlich einen einheitlichen Regierungswillen bilden müßten — das steht nämlich im Grundgesetz mit so vielen Zungen sprechen, daß ich jetzt wirklich ganz verwirrt bin.
Der Herr Bundesminister für Bildung und Wissenschaft hat doch eigentlich mit ziemlicher Deutlichkeit den Vorstoß der CDU/CSU-Fraktion — ja, ich bin aus seiner Rede nicht ganz klug geworden, besonders wenn ich sie in Zusammenhang mit Erklärungen der jüngsten Zeit stelle — für unerwünscht oder für verdächtig erklärt. Der Kollege Lohmar hat das mit aller Schärfe getan; er hat die sonderbarsten Motivforschungen angestellt, die mir im politischen öffentlichen Leben seit langem nicht vorgekommen sind.
Auf die Rede des Herrn Kollegen Moersch möchte ich hier nicht eingehen
— entschuldigen Sie, Sie sind ja in der Kritik auch nicht zimperlich! —, weil ich sie für eine Büttenrede am falschen Ort und zur falschen Zeit halte.
Auf der anderen Seite hat für den Bundesminister des Innern der Parlamentarische Staatssekretär dankenswerterweise erklärt, daß sein Haus an einer der Intention unseres Antrages entsprechenden Vorlage arbeitet.
Wir sind dafür dankbar; wir würden doch aber den Herrn Bundesminister für Bildung und Wissenschaft bitten, sich, bevor er sich amtlich für die Regierung äußert, mit dem für Verfassungsfragen zuständigen Bundesminister in Verbindung zu setzen. Ich glaube, das würde die Debatte außerordentlich vereinfachen; sie würde dadurch sehr entschärft werden, und möglicherweise kommen wir dann sogar auf ein und dieselbe grundsätzliche Position.
Meine Damen und Herren! Mir ist ferner merkwürdig gewesen, daß sich die Redner der Regierungsfraktion daran gehalten haben, sich zu bemühen, von der Gesetzes- und von der Verfassungsänderung als solcher abzulenken und in die Vergangenheit zu schweifen. Dagegen habe ich nichts; ich bin Berufshistoriker und würde es an sich also für denkbar halten, daß wir den Gesamtbereich der Menschheitsgeschichte in solche Probleme einbeziehen. Dagegen ist nichts zu sagen; nur eben mit dem Thema hat es wenig zu tun.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Dezember 1969 685
Dr. Kotowski
Ich möchte dann doch gleich hinzusetzen, daß sich die Problematik - das hat Herr Kollege Stoltenberg ja sehr deutlich gemacht - in der Tat dauernd verschiebt, und zwar insofern, als sich hier allmählich deutlicher herausstellt, welche Funktionen von Ländern und Gemeinden mehr oder minder allein und welche eben nicht mehr allein wahrgenommen werden können. Nun ist es für mich die merkwürdigste Sache der Welt, wenn der Herr Bundesminister für Bildung und Wissenschaft hier gleichsam eine ihm zukommende Kompetenz ablehnt, obwohl er uns doch klarmacht — und sicherlich sagt er dabei die Wahrheit —, daß er ja bereits in Verhandlungen steht oder jedenfalls Verhandlungen nicht zu verzögern gedenkt. Warum in aller Welt, Herr Minister, sollten Sie dann nicht die verstärkte Position, die Ihnen doch durch die Anträge der CDU/CSU gegeben wird, in diese Verhandlungen mitbringen?
Was soll das für eine Argumentation sein, zu sagen: Ja, ich habe in meinem Hause dafür keine detaillierten Pläne vorgefunden? Wir machen Ihnen nicht den Vorwurf. daß Sie nach sechs oder sieben Wochen kein komplettes Regierungsprogramm für Ihr Haus haben,
obwohl ich allerdings doch sagen würde, etwas mehr als die vagen Erklärungen, die wir bisher aus Ihrem Hause in dieser Sache gehört haben — ohne daß wir die jetzt auf Ziffern festlegen wollen —, sollten Sie doch schon von sich geben.
Aber mir ist überhaupt nicht begreiflich, warum sich Parteien, die sich nach außen hin den Anschein geben, für eine, sagen wir einmal, fortschrittliche Kulturpolitik einzutreten, so verhalten. Im übrigen darf ich mir hier die Bemerkung erlauben: Wenn Sie einmal die sozialdemokratische Schul- und Hochschulpolitik am jeweiligen Ort konkret untersuchen, dann fällt der Nimbus des Fortschritts aber wirklich in sich zusammen, meine Damen und Herren.
Aber wie Sie sich das auch denken, ich kann gar nicht begreifen, warum Sie solche Kompetenzausweitungen ablehnen.
Nun wird der CDU hier — ganz merkwürdig übrigens der Vorwurf gemacht, als Regierungspartei habe sie das doch nicht gemacht oder allenfalls in Andeutungen gemacht. Jetzt überschlägt sich Ihre Argumentation aber insofern: Wir geben doch Ihnen Kompetenzen, nicht uns, nachdem wir die Bundesregierung nicht mehr führen.
Entschuldigen Sie, Verfassungsänderungen können Sie ohne uns nicht machen, falls Sie das nicht wissen sollten.
Ich meine, das sind doch elementare Dinge, und ich kann nicht begreifen, warum die ersten zwei Stunden dieser Debatte auf diesem Niveau und mit solchen Argumenten gelaufen sind.
Lassen Sie mich noch folgendes sagen
Ich möchte zum Schluß noch folgendes sagen. Herr Minister Leussink sprach vom Lernprozeß und sprach von uns als Lernsystemen. Ich bin freilich bei aller Würdigung solcher Argumentation immer etwa skeptisch, wenn man Menschen mit Maschinen oder mit abstrakten — —
— Ich lehne es ja nicht ab, Herr Kollege Lohmar. Ich sage nur, der Ausdruck, daß wir alle offene Lernsysteme sind oder repräsentieren, gefällt mir nicht ganz. Das ist sehr schön, und wir wissen, daß sich die Entwicklung von 1949 bis zur Gegenwart eben in Etappen und in bestimmten Sprüngen vollzogen hat.
Es kommt uns darauf an, Herr Minister, bei den Ländern nicht den Verdacht zu erregen, daß der Bund und seine Instanzen die im Grundgesetz geschaffenen Kompetenzen extensiv und möglicherweise am Rande der Verfassungsaushöhlung gebrauchen. Denn wenn bei den Ländern dieser Verdacht entsteht, daß der Bund Kompetenzen haben oder ausdehnen will, ohne den Consensus der Länder zu finden, dann allerdings werden wir auf Schritt und Tritt Schwierigkeiten bekommen, die sehr viel leichter ausgeräumt werden können, wenn alle Länderministerien — die sozialdemokratisch geführten schließe ich dabei ausdrücklich ein —davon ausgehen, daß Bundesregierung und Bundestag unausweichlich werdende Ausdehnungen ihrer Kompetenzen redlich mit den Ländern und mit dem Bundesrat abklären, dann aber auch auf keinen Fall versuchen werden, die Länder gleichsam auf kaltem Wege von der Wahrnehmung ihrer verfassungsmäßigen Aufgaben auszuschließen.
Genau in dieser Richtung zielt der Antrag der CDU/CSU-Fraktion, von dem ich mir — ich darf das zum Schluß noch einmal sagen — überhaupt nicht vorstellen kann, wie er bei Parteien, wie es die SPD und die FDP doch sind — jedenfalls nach ihrer offiziell verkündeten Programmatik —, auf ernste Vorbehalte stoßen kann. Allenfalls könnte ich noch der Frau Kollegin Funcke zustimmen, wenn sie sagt, er gehe ihr nicht weit genug. Das ist ein Argument, über das sich reden läßt. Aber zu sagen, wir seien überhaupt gegen eine notwendige Ausweitung, das übersteigt mein Fassungsvermögen.
Vielleicht werden die Fraktionen der SPD und FDP in diesem Sinne doch noch zu lernfähigen Systemen werden in einer Zeit, in der grundsätzliche Entscheidungen gefällt werden müssen.