Rede von
Dr.
Gerhard
Stoltenberg
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unser Antrag, die gemeinsame Planung und Finanzierung von Bund und Ländern auf den gesamten Hochschulbereich zu erweitern, ist Anlaß zu einer kurzen Erörterung der Erfordernisse, Zielvorstellungen und Prioritäten in der Hochschulpolitik. Wir erblicken in dieser Initiative eine bedeutsame und logische Weiterentwicklung der Konzeption, die Regierung und Parlament im Frühjahr mit der Finanzreform und dem Hochschulbauförderungsgesetz verfolgt haben. Es war damals schwierig, diese Vorstellungen im bundesstaatlichen Dialog in unsere Verfassungs- und Rechtsordnung einzubringen. Aber schließlich konnte eine Verständigung über diese bedeutsame Reform erreicht werden. Die neue Form der institutionellen Zusammenarbeit von Bund und Ländern soll für die wissenschaftlichen Hochschulen eine langfristige, übergreifende gesamtstaatliche Planung und Finanzierung sichern. In einem zweiten Schritt, im Hochschulbauförderungsgesetz, wurde dann im Juni dieses Jahres erstmals das erforderliche wirkungsvolle Instrumentarium für diese Kooperation und eine angemessene Beteiligung des Bundes an der Planung geschaffen.
Bei den Verhandlungen zur Finanzreform ist in den Ausschüssen des Bundestages bereits die Frage erörtert worden, ob diese neue Gemeinschaftsaufgabe auf den gesamten Hochschulbereich ausgedehnt werden solle. Dafür sprachen damals in den zuständigen Ausschüssen des Bundestages Abgeordnete aller Fraktionen. Aber es gab zwei wesentliche Gründe gegen eine solche Lösung. Einmal bestanden bei den Ländern Bedenken gegen diese Erweiterung. Die Bundesregierung und die große Mehrheit des Bundestages entschieden sich deshalb dafür, das Gesamtwerk der Finanzverfassungsreform nicht durch weitere Forderungen zu gefährden. Zum anderen fehlte es aber auch an einer Regelung für die gemeinsame Planung vor allem im Sektor der Fachhochschulen, während bei den Universitäten mit den Empfehlungen des Wissenschaftsrates bereits eine gewisse Basis gegeben war.
Deshalb ist in dem Schriftlichen Bericht des Rechtsausschusses des Bundestages vom 6. Dezember 1968 ausdrücklich betont worden, man habe nach gründlicher Prüfung darauf verzichtet, die Formulierung „wissenschaftliche Hochschulen" in der Regierungsvorlage durch „Hochschulen" zu ersetzen, um deutlich begrenzte und gleichmäßige Verpflichtungen des Bundes gegenüber den Ländern zu schaffen.
Diese Erweiterung nun, die Regierung und Parlament damals aus verständlichen Gründen ablehnten, beantragen wir heute unter neuen, veränderten Bedingungen.
Mit der Verabschiedung des Hochschulbauförderungsgesetzes im Juni verfügen wir erstmals über ein wirkungsvolles Instrumentarium für eine gesamtstaatliche Hochschulplanung, ihre Erweiterung auf den gesamten Hochschulbereich schafft keine nennenswerten neuen Schwierigkeiten.
Vor allem aber ist bei den Ländern und in der Öffentlichkeit die Erkenntnis gewachsen, daß angesichts der weiter zunehmenden Spannungen und der sich rasch steigernden sachlichen und finanziellen Erfordernisse noch mehr Zusammenarbeit, noch mehr Initiative und die weitgehende Mobilisierung aller Kräfte von Bund und Ländern notwendig ist, um großen Schaden abzuwehren.
Hierzu soll die von uns vorgeschlagene Verfassungsänderung einen wesentlichen Beitrag leisten. Sie wird schon heute von der Mehrzahl der Kultusminister der Bundesländer und einer Reihe von Kabinetten begrüßt und nachdrücklich unterstützt, und wir würden es begrüßen, wenn wir auch die Aufmerksamkeit und Unterstützung des Bundesinnenministers für diese Initiative gewinnen könnten, vor allem auch die Aufmerksamkeit in diesem Hause, Herr Kollege Genscher.
Die Mittel für den Ausbau und Neubau von wissenschaftlichen Hochschulen sind von 1964 bis 1969 von 600 Millionen DM auf 1,4 Milliarden DM jährlich angestiegen. Allein der Bund hat von 1965 bis 1969 seine Leistung für diese Aufgabe von 280 Millionen DM auf 750 Millionen DM erhöht. Aber trotz dieser durchaus eindrucksvollen staatlichen Anstrengungen haben sich die Studienbedingungen an einer Reihe von Fakultäten verschlechtert. Der sogenannte Numerus clausus nimmt in allen Bundesländern von Semester zu Semester zu. Wir alle wissen, zu welch ernsten politischen und sozialen Spannungen, vor allem aber auch, zu welchen menschlichen Belastungen und Bedrückungen diese Lage geführt hat.
Es muß uns als Politiker sehr nachdenklich stimmen, wenn eine so beträchtliche Erhöhung der öffentlichen Mittel bisher nicht zu einer entscheidenden Verbesserung der strukturellen Bedingungen führte, sondern die Verhältnisse teilweise noch schlechter wurden, wenn also die Linien der öffentlichen Leistungen und der realen Lage an den Hochschulen nicht parallel, sondern teilweise bis jetzt gegenläufig verliefen.
Wir sehen heute deutlicher, daß eine in der Grundtendenz richtige Bildungsexpansion im Schulwesen nur in enger Abstimmung mit der Entwicklung der Hochschulen, den erkennbaren Möglichkeiten in der Berufswelt von morgen und der öffentlichen Finanzplanung erfolgreich sein kann. Hieran hat es in den bildungspolitischen Debatten und Entscheidungen des letzten Jahrzehnts gelegentlich gefehlt. Auf Grund der Orientierung an manchmal irreführenden internationalen Statistiken, an isolierten Forderungen und Parolen und punktueller Kritik sind in vielen Bundesländern Veränderungen eingeleitet worden, ohne daß ihre Konsequenzen im Gesamtsystem der Bildungs-, Gesellschafts- und Finanzpolitik übersehen wurden.
Dr. Stoltenberg
Dies ist kein Anlaß zur wechselseitigen Polemik. Die Lage ist in den elf Bundesländern fast gleich, unabhängig von der parteipolitischen Zusammensetzung ihrer Regierungen. Solche Erfahrungen zwingen uns aber, in Zukunft unsere Planungen im Hochschul- und Bildungswesen auf ganz soliden Unterlagen aufzubauen, klare rechtliche Voraussetzungen zu schaffen und vor allem für die Übereinstimmung der Ziele einerseits und der politischen, administrativen und finanziellen Mittel andererseits zu sorgen, damit in der Verwirrung der Begriffe, der Projektionen und Zukunftsbilder die Spannungen nicht noch größer und schließlich unerträglich werden.
Bis 1975 werden sich die Absolventenzahlen der weiterführenden Schulen nochmals fast verdoppeln. Das parallel dazu verlaufende Anwachsen der Zahl. der Studienbewerber wird die Schwierigkeiten zunächst noch weiter vergrößern. Es gibt hier keine Patentrezepte, aber dieser Sachverhalt akzentuiert auf das eindringlichste die Notwendigkeit neuer weiterführender Lösungen. Wir müssen dabei von dem engen Zusammenhang zwischen den quantitativen Problemen unserer Hochschulen und den Strukturfragen ihrer inneren Reform ausgehen. Wenn wir den Zustand der ständigen Überfüllung und der unzureichenden Arbeitsbedingungen in vielen Fakultäten nicht überwinden, bleiben Strukturveränderungen weitgehend wirkungslos. Umgekehrt bringt eine erneute Erhöhung der Mittel, die notwendig ist, keinen Ausweg, wenn wir nicht durch sachgerechte innere Reformen bessere Bedingungen für ein modernes, qualifiziertes Studium und eine anspruchsvolle Forschung schaffen.
Ich sprach von sachgerechten Reformen, weil leider nicht alles, was in den letzten Jahren — und auch heute noch — als Rezept für die Neuordnung der Hochschulen angeboten und in Verbindung mit manchen Ländergesetzen diskutiert wird, zukunftsweisend und erfolgversprechend ist.
Die Fragen des Zuganges zu den Hochschulen und ihrer künftigen Struktur werden uns im neuen Jahr sehr eingehend beschäftigen, im Zusammenhang mit unserer Anfrage zum Numerus clausus und mit der Rahmengesetzgebung des Bundes für das Hochschulwesen. Letzteres ist eine der großen Aufgaben, die wir im Jahre 1970 in diesem Hause gemeinsam zu meistern haben.
Heute geht es um eilreif weiteten wichtigen konkreten Schritt zur wirkungsvolleren Planung und schnelleren Steigerung der Kapazitäten und Mittel. Wir haben bereits im Juli und August, also vor der Bundestagswahl, die Forderung nach einer solchen weiteren Verfassungsänderung mehrfach öffentlich erhoben. Wir haben das — in folgerichtiger kontinuierlicher Weiterentwicklung unserer Hochschulpolitik — damals als Regierungspartei genauso getan, wie wir es heute in der Opposition tun. Wir hoffen, daß sich auch die anderen Fraktionen dieses Hohen Hauses an dem orientieren, was sie vor der Wahl über eine erweiterte Zusammenarbeit von
Bund und Ländern und die notwendige Stärkung der Möglichkeiten des Bundes öffentlich gesagt haben.
Die von uns beantragte Erweiterung der gemeinsamen Planung und Finanzierung wird die Zusammenarbeit und gegenseitige Durchlässigkeit von Universitäten und Fachhochschulen im Hochschulbereich fördern — eine Notwendigkeit, die heute von allen Parteien in der bildungspolitischen Diskussion bejaht wird —, sie wird die Entwicklung neuer Studiengänge und Berufsbilder im Zusammenwirken von Bund, Ländern und Wirtschaft voranbringen, sie wird eine Verdreifachung der jährlichen Investitionsmittel von jetzt 200 Millionen DM im Fachhochschulbereich durch das Hinzukommen eines gleichgroßen Betrages aus dem Bundeshaushalt und durch eine Steigerung um etwa 50% bis zum Jahre 1973 bewirken, und sie wird schließlich zu der Schaffung von mindestens 100 000 neuen Studienplätzen im Fachhochschulbereich bis 1975 führen können.
Wir haben bei der vorgesehenen Novellierung des Hochschulbauförderungsgesetzes zunächst vorgesehen, die Kunst- und Musikhochschulen im Hinblick auf die dort häufige Trägerschaft kommunaler und privater Stellen nicht in die Gemeinschaftsaufgaben einzubeziehen. Wir sind jedoch bereit, diese Spezialfrage im Ausschuß noch einmal sehr sorgfältig im Für und Wider zu erörtern.
Meine Damen und Herren, die ersten Reaktionen des zuständigen Bundesministers und auch einiger Kollegen der Koalitionsfraktionen auf unseren Antrag haben uns etwas überrascht. Ich habe deshalb versucht, seine rechts- und hochschulpolitische Begründung und die konkreten Ziele kurz, aber doch etwas genauer zu umreißen. Herr Minister Leussink hat gemeint, unsere Initiative könne zu einer verfassungsrechtlichen Verdeutlichung führen. Dieser Antrag will jedoch mehr. Seine Annahme soll erstmals eine Mitplanung und Mitfinanzierung des Bundes für den neuen Bereich der Fachhochschulen überhaupt ermöglichen.
Es trifft auch nicht zu, wie Minister Leussink in seiner Stellungnahme schrieb, daß Bundestag und Bundesrat in Art. 91 a des Grundgesetzes eine Unklarheit geschaffen oder hinterlassen hätten. Der von mir zitierte Bericht des Rechtsausschusses dieses Hohen Hauses mit der Unterschrift des Abgeordneten Dr. Arndt vom 6. Dezember 1968 und die anderen Materialien zur Verfassungsänderung und Gesetzgebung machen ganz deutlich, was gewollt und deshalb für den Bund jetzt möglich ist und was nicht.
Im übrigen hat uns das Urteil des Ministers verwundert, die frühere Bundesregierung habe durch die Konzentration auf Verfassungs- und Zuständigkeitsfragen zuviel Zeit verloren. Meine Damen und Herren, es war der ganz entschiedene Wille der Fraktionen dieses Hauses, durch die Finanzverfassungsreform endlich bessere und klarere Zuständigkeiten zu schaffen,
670 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Dezember 1969
Dr. Stoltenberg
eine unsystematische und willkürliche Mischfinanzierung zu beseitigen, deren Nachteile aus den letzten acht Jahren alle kennen, und dem Bund ein wirkungsvolleres Instrumentarium für seine Wissenschalts- und Hochschulpolitik zu geben, das er dringend brauchte.
Die außerordentliche positive Wertung dieser Reform und Neuordnung durch führende Politiker der CDU/CSU und der SPD, unter ihnen auch Willy Brandt und Alex Möller, vor diesem Hause und in der Öffentlichkeit steht in einem deutlichen Gegensatz zu diesem ungünstigen und meines Erachtens sachlich falschen Urteil. Wir sollten Übereinstimmungen in den Grundfragen unserer staatlichen Organisation und Politik, die bisher bestehen, nicht ohne Notwendigkeit einschränken.
Die Wissenschafts- und Hochschulpolitik des Bundes kann nach meiner Überzeugung nur auf klaren verfassungsrechtlichen Grundlagen und mit dem angemessenen Instrumentarium für die Planung und Kooperation erfolgreich sein. Sie sollte es vermeiden, dort in eine ungeordnete Fondswirtschaft oder in ein System formeller Absprachen zurückzufallen, wo ein abgestimmtes gesamtstaatliches Sachkonzept wie im Hochschulwesen bei der Größe der Aufgaben unbedingt erforderlich ist. Wir haben deshalb auch Wert darauf gelegt, daß unsere Initiative bereits in dieser Sitzungswoche behandelt wird, und rechnen mit der Möglichkeit einer abschließenden Beratung und Beschlußfassung im März oder April des nächsten Jahres. Insofern wird sicher keine Zeit verloren.
Diese Debatte und diese Initiative sind schließlich auch geeignet, den Vorrang der Wissenschafts- und Hochschulfragen noch einmal vor aller Öffentlichkeit zu betonen. Die neue Regierung hat auf vielen Gebieten finanzwirksame Initiativen eingebracht, noch in dieser Woche, wie ich höre, einen Dringlichkeitsantrag im Haushaltsausschuß zur Steigerung der Kokskohlesubvention, oder Leistungen in Aussicht gestellt. Über ihre Pläne und Absichten zur Wissenschafts- und Hochschulfinanzierung haben wir jedoch bisher nichts gehört. Vielleicht können deshalb diese Debatte und diese Initiative den zuständigen Minister bei seinen offenbar recht schwierigen Verhandlungen innerhalb der Bundesregierung über die Wissenschaftsfinanzierung über den Etat 1970 und die Finanzplanung etwas unterstützen.
Es ist ganz klar, daß zu der Initiative für die Fachhochschulen entsprechende neue und wesentlich erleichterte Planungen für die Universitäten kommen müssen. Die Bundesregierung bezieht sich nach der bisherigen Praxis und auch nach den Bestimmungen des Hochschulbauförderungsgesetzes hierbei auf die Empfehlungen des Wissenschaftsrates. In Zukunft werden für die Regierungen verbindliche Beschlüsse im Planungsausschuß durch Bund und Länder erfolgen.
Wir hoffen sehr, daß der Wissenschaftsrat nun bald seine Vorschläge für den Aus- und Neubau von wissenschaftlichen Hochschulen für die Zeit von 1971 bis 1975 vorlegt und damit der Regierung eine
Präzisierung ihrer eigenen Planungen ermöglicht. Nur so können wir die erneut drohende isolierte Entwicklung in elf Ländern und 40 Universitäten vermeiden. Das war das Ziel der Finanzverfassungsreform. Nur so können wir zu der notwendigen Steigerung der Mittel, den richtigen Schwerpunkten und Neugründungen kommen.
Das, meine Damen und Herren, sind einige der Voraussetzungen für die Lösung der großen Aufgabe, zu der auch unser Antrag einen Beitrag leisten soll.
Wir hoffen, daß wir in den kommenden Ausschußberatungen doch zu einer Verständigung gelangen und uns auf eine positive Weiterentwicklung unserer Verfassung in diesem zentralen Punkt einigen können.