Rede von
Josef
Ertl
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nachdem mich der Kollege Ritz ausdrücklich aufgefordert hat, hier Stellung zu nehmen, will ich das gerne tun. Ich bin überzeugt, daß wir im Sinne des agrarpolitischen Wiederkauens die „Aufwertungs-Wiederkaudebatte" in der nächsten Woche bei der zweiten und dritten Lesung wieder haben werden. Aber an mir soll es nicht liegen. Ich habe mich hier noch nie einer Verpflichtung entzogen. Wenn es so sein soll, dann soll es so sein.
Herr Kollege Ritz, meine beiden Vorredner, die Kollegen Schmidt und Peters, haben eine Reihe von Fragen beantwortet. Ich meine, meine verehrten Kollegen von der CDU — und darum bitte ich Sie ganz ernstlich —, bevor wir nochmals in dieser Form Debatten führen, sagen Sie doch klipp und klar, daß Sie der Meinung sind, daß die Devisenkursfreigabe und das Außenwirtschaftssicherungsgesetz der alten Bundesregierung falsch waren. Denn dann gäbe es das Thema Aufwertung nicht. Oder Sie sagen: wir hätten das alles nach der Devisenkursfreigabe rückgängig machen müssen. Und dann sagen Sie auch hier einmal in aller Deutlichkeit, welche Auswirkung die Anpassungsinflation für die deutsche Volkswirtschaft und die deutsche Landwirtschaft gehabt hätte. Ich glaube, das muß man hier in aller Deutlichkeit sagen; denn es ist doch nicht so, daß die Aufwertung plötzlich gekommen ist wie vom Himmel heruntergefallen, so wie heute am Nikolaustag.
— Oder morgen. Ich denke immer schon der Zeit voraus, wie Sie wissen.
Wir hatten einen November mit Grenzabgaben, und wir haben letzten Endes die Devisenkursfreigabe mit allen negativen Folgen auf dem Währungssektor gehabt. Ich sage das wirklich nicht als Vorwurf, aber man hat es einfach leid, Scheingefechte zu führen.
Ich liebe es, sachlich die Argumente auszutauschen. Wenn aber jemand immer so tut, als ob eine ganz neue Situation entstanden wäre, obwohl er mit in der Verantwortung gestanden hat, dann macht er es sich zu leicht.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 18. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Dezember 1969 643
Bundesminister Ertl
Meine verehrten Freunde, ich muß mir sagen lassen: Halbheiten. Ich muß Ihnen sagen, solange die Bauern mir sagen, 1,7 Milliarden DM für vier Jahre sei etwas, was noch nie zuvor eine Bundesregierung zuwege gebracht habe, bin ich zufrieden.
Darüber freue ich mich. Ich will Ihnen hier ein Beispiel nennen.
— Ich bin jedes Wochenende bei den Bauern, heute abend schon wieder. Ich gehöre nicht zu denen, die nicht mit der Praxis in Kontakt stehen. Ich weiß auch, daß man mit Scheinargumenten in bezug auf die Aufwertung Unruhe erzeugen will. Davor warne ich. Das nutzt niemandem etwas, auch Ihnen von der Opposition nicht.
Womit haben wir die Maßnahmen, die die Bundesregierung für Obst und Gemüse und Geflügel beschlossen hat, abgedeckt? Dafür haben sich übrigens beide Verbände bedankt, was ich gern zur Kenntnis nehme und Ihnen hier mitteilen möchte; sie haben gesagt, das hätten sie überhaupt nicht erwartet. Wir haben diese Maßnahmen aus Mitteln, die die vorige Regierung gesperrt hatte, abgedeckt. Ist das nicht ein großzügiges Handeln, und ist das nicht Ausdruck eines Verständnisses für die Belange der Landwirtschaft?!
Über das, was Sie sagen, muß ich mich wirklich wundern. Man sollte hier nicht immer so tun, als wäre eine vollkommen neue Situation entstanden.
Ich habe eine weitere Bitte. Hier wäre noch sehr viel in der Debatte zu sagen. Ich möchte aber jetzt nur auf einige Probleme eingehen. Noch einmal aber das Problem der Grenzausgleichsabgabe. Können Sie sich vorstellen, daß in dem Papier, das von der Kommission jetzt als Diskussionsgrundlage vorgelegt worden ist, der Vorschlag gemacht worden wäre: Um wieder zu einem harmonisierten EWG-Agrarmarkt zu kommen, sollte man sich bei den Preisen in der Mitte einigen; die Franzosen sollten mit den Preisen um 5,5 % heraufgehen, die Deutschen um 5,5 % heruntergehen. — Glauben Sie, daß die Position für die deutsche Landwirtschaft und für die Ausgleichszahlungen dann leichter gewesen wäre? Glauben Sie nicht, daß die Position noch schwieriger werden würde, wenn dieser Vorschlag mit der Beseitigung der Überschußprobleme und aller sonstigen Druckpositionen gekoppelt wäre? In diesem Falle hätten wir die deutsche Öffentlichkeit wahrscheinlich nicht mehr hinter uns. Gottlob haben wir sie nach der Aufwertung jetzt hinter uns.
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, denken Sie auch daran, daß die Aufwertung beispielsweise bei einigen Produktionsmitteln durchschlägt. Denken Sie ein klein wenig daran, daß es auch in Holland und Frankreich Institute gibt, die nachrechnen, wie sie sich bei einzelnen Produkten auswirkt. Es gibt auch in Frankreich und Holland Marktinstitute. Ich bitte Sie, zwingen Sie mich nicht dauernd, mich hier zu rechtfertigen. Sie nützen damit der Position der deutschen Landwirtschaft, was diese 200 Millionen DM angeht, nicht. Wie gesagt, es gibt auch in Frankreich und Holland Institute, die die
Auswirkungen auf bestimmten Märkten nachrechnen. Das wurde heute morgen auch schon in der Fragestunde deutlich. Ich sage Ihnen das nur, damit wir nicht gemeinsam die Position der Landwirtschaft schwächen.
Ich gebe zu, daß die Kommission darauf besteht
— der Vertrag muß ja respektiert werden —, daß die Mehrwertsteuer in Form eines Vorschusses gezahlt wird. Ich will auch gar nicht sagen, wer diese Politik hauptsächlich betreibt; das ist ein Kapitel für sich. Auf die Einzelheiten möchte ich hier in diesem Hohen Hause nicht eingehen. Das sind alles Fakten, die Sie genauso gut kennen wie ich. Ich glaube, wir sollten uns daher in dieser Frage das Leben nicht gegenseitig schwer machen. Wir sollten vielmehr froh sein, daß die 3 % Mehrwertsteuer dabei sind, und diese, wie meine Vorredner gesagt haben, dann am 1. Januar wirksam wird.
Auch Art. 93 gibt es nun einmal in dem Vertrag. Ich muß ihn respektieren. Dadurch habe ich es aber ermöglicht, daß die Degressivität vermieden wurde. Und die degressiven Beträge bezüglich des kommunitären Anteils sind eigentlich als soziale und strukturelle Maßnahmen zu betrachten.
Ich freue mich, daß wir uns in einem Punkt weitgehend einig sind, nämlich darin, daß wir gegebenenfalls auch Möglichkeiten der Altershilfe usw. ins Kalkül ziehen wollen.
Was nun das Gesetz anbetrifft, so muß ich Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen, wirklich ein klein wenig um Verständnis bitten. Von den fünfeinhalb Wochen, die ich im Amt bin, habe ich 12 Tage in Brüssel verbracht. Dazu kamen noch Vorbereitungen für die Gipfelkonferenz und weiteres mehr.
— Gnädige Frau, ich soll wohl nicht nach Brüssel fahren? Haben Sie doch die Güte, das laut zu sagen. Ich bleibe auf Fragen ungern eine Antwort schuldig.
— Das mache ich noch nebenbei. Das bin ich den Bauern schuldig, gnädige Frau. Ich muß auch darauf achtgeben, was ansonsten an subkutaner Arbeit getrieben wird. Das muß ich ja wissen, damit ich ihr begegnen kann.
Im übrigen müßte man ein neues Gesetz für die Beamten machen. Da ich ein sozialer Arbeitgebet bin, lasse ich sie am Wochenende frei. Ich mache solche Gesetzentwürfe nur unter der Woche. Hoffentlich finde ich da das Verständnis einer christlich-demokratischen Politikerin.
Ich habe den Wissenschaftlichen Beirat einberufen und werde noch vor Weihnachten ein eigenes Gremium aus Praktikern einberufen. Dann werde ich einen Vorschlag unterbreiten und zudem den Berufsstand konsultieren. Ich wäre dem Berufsstand sehr dankbar, wenn er hier konstruktiv mitarbeiten würde. Dann werden wir im Januar ein Gesetz be-
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Bundesminister Ertl
kommen. Der Ernährungsausschuß und dieses Hohe Haus werden Gelegenheit haben, ausführlich darüber zu beraten.
Man darf auch hier nicht vergessen, daß zunächst Milch und die ganzen Bodenprodukte betroffen sind. Die Bodenproduktion, die Ernte, steht ja erst ab Juni an. Ich glaube nicht, daß man dieser Bundesregierung sagen kann, sie verursache von sich aus leichtfertig Zeitversäumnisse. Im übrigen bemühe ich mich wirklich, im engen Kontakt mit diesem Hohen Haus eine möglichst offene und faire Aussprache zu führen.