Rede von
Dr.
R. Martin
Schmidt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach Ihren Erklärungen, Herr Kollege Ritz, muß ich mich fragen, ob Sie das, was Sie hier gesagt haben, selber noch glauben und ob Sie überhaupt wissen, was Sie tun.
Wir haben heute die erste Lesung eines Gesetzentwurfs, der völlig mit dem übereinstimmt, den wir vor 14 Tagen, am 13. November, debattiert haben. Dieser Gesetzentwurf ist in den Ausschüssen bereits fix und fertig beschlossen; er kommt nächste Woche ins Plenum. Wir werden dann eine zweite und dritte Lesung haben. Ich frage mich, Herr Kollege Struve, ob Sie das bei Ihrer Erfahrung überhaupt noch gutheißen können. Ich bin überzeugt, auch Sie werden ein wenig den Kopf darüber geschüttelt haben, daß Ihre jungen Leute nun so übereifrig sind.
Im übrigen, Herr Kollege Ritz, haben Sie Haarspalterei betrieben. Ich würde Ihnen sehr empfehlen, einmal die europäische Nomenklatur durchzusehen.
Sie kennen anscheinend die Römischen Verträge nicht; sonst müßten Sie wissen, daß es dort einige Formulierungen gibt, die wir hier auch übernehmen müssen.
Ihr Versuch, alles das noch einmal durchzukauen, was wir schon längst von uns gegeben haben, ist doch im Grunde mehr als peinlich.
Die kürzeste Antwort, die Sie verdienen, wäre doch die, daß ich der Frau Präsidentin zumute, alle die Reden des 13. November, die hier von meinen Kollegen und mir selber gehalten wurden, wieder zu Protokoll zu nehmen. Aber das würde zuviel Drukkerschwärze erfordern. Aus diesem Grunde erlaube ich mir, zu Ihren 'Bemerkungen
folgende Feststellung zu treffen:
In der Regierungserklärung hat der Herr Bundeskanzler zu der Frage D-Mark-Aufwertung und Einkommensausgleich folgendes gesagt — ich zitiere —:
Die Aufwertung der D-Mark verlangt von uns einen Einkommensausgleich für die Landwirtschaft. Unsere Verpflichtung gegenüber den deutschen Bauern müssen wir jedoch mit den Römischen Verträgen über den Gemeinsamen Markt in Einklang bringen.
Der Rat der Europäischen Gemeinschaften hat anerkannt, daß der Einkommensverlust der deutschen Landwirtschaft voll ausgeglichen werden muß.
Der Bundeskanzler berichtet dann über die Maßnähmen, die dort vereinbart worden sind und schließt wörtlich:
Leider hat der Rat dem mehrfach und mit großem Nachdruck vorgetragenen Antrag der Bundesregierung, das bisherige Preisniveau durch ein Grenzausgleichssystem auf Dauer beizubehalten, nicht entsprochen.
Auch Sie sollten von diesen Tatbeständen ausgehen, es sei denn, daß Sie in der Europäischen Gemeinschaft den Beschluß des Rates in Frage stellen wollen, was ich nach der Erklärung des Kollegen Barzel in dieser Woche nicht annehmen kann.
Sie mögen aber aus dieser Erklärung ersehen, daß auch wir uns etwas Besseres vorstellen können. Es wurde nicht erreicht. Es stände Ihnen und der Opposition gut an, hier einmal ein anerkennendes Wort über die Verhandlungsleistungen der deutschen Bundesregierung in den letzten Wochen auszusprechen.
Zweitens. Ich möchte den Vorwurf, daß die Aufwertung ohne ausreichende europäische Absicherung und völlig ohne Absicherung im Innern erfolgt sei, zurückweisen. Dieser Vorwurf geht an Sie selbst zurück,
an ein Kabinett, das von Herrn Kiesinger geführt worden ist und in dem Sie die Mehrheit hatten.
Ich möchte eine dritte Feststellung treffen. Die Grundsatzbeschlüsse über den Einkommensausgleich sind im Ministerrat unter voller Anerkennung und voller Wahrnehmung der deutschen landwirtschaftlichen Interessen gefaßt worden, immerhin ein Erfolg, wie er noch keiner deutschen Delegation seit 1962 vergönnt war.
Viertens. Es ist unwahr, meine Damen und Herren von der Opposition, wenn behauptet wird, der volle Ausgleich werde nicht erreicht. Wir haben in den Ausschüssen die Zahlen vernommen, wie die Ausgleichsbeträge errechnet worden sind. Wir ha-haben Tabellen und anderes Zahlenmaterial in die Hand bekommen, aus denen sich ergibt, in welchem Umfang der Einkommensausgleich durch die Mehrwertsteuer erreicht wird. Diese Fakten haben Sie in den Beratungen der Ausschüsse nicht bestritten. Ich meine, das, was hier festgelegt wird, ist eine günstige Regelung. Wenn Sie immer noch herumschreien, meine Damen und Herren von der Opposition,
will ich Ihnen sagen: Sie könnten eventuell schlafende Hunde wecken. Denken Sie an den Grünen Bericht, der am 15. Februar verkündet wird. Dann könnten Sie manche Ihrer Worte noch bereuen.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 18. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Dezember 1969 641
Dr. Schmidt
Fünftens. Ich bin völlig sicher, daß es Einkommensübertragungen geben wird. Für eine Vermanschung werden wir unsere Hand nicht geben. Natürlich, Herr Kollege Ritz, werden es direkte Beiträge zum Einkommensausgleich über die Mehrwertsteuer hinaus sein. Es können aber auch indirekte sein, z. B., nach meiner persönlichen Meinung, durch die Übernahme aller Kosten für die Berufsgenossenschaften durch den Bund. Das wäre ja auch eine Lösung, aber auch ein Beitrag zur Kostensenkung und damit also ein Ausgleich.
Dabei werden wir natürlich so gerecht wie nur möglich verfahren müssen. Ich weiß genau wie Sie — das habe ich in diesem Hause wiederholt betont —, daß es nicht leicht sein wird, ein vollkommen gerechtes System zu finden. Aber Sie sind aufgefordert, daran mitzuarbeiten, wenn Anfang des Jahres der entsprechende Gesetzentwurf in diesem Hause vorgelegt wird. Ich kann mir nicht vorstellen, meine Herren von der Opposition, daß Sie zu einem solchen Beitrag nicht bereit sind.
Wir räumen diesem Ausgleich eine hohe finanzielle Priorität ein. Die Landwirtschaft kann völlig sicher sein, daß diese Leistungen erfolgen. Die Geschichte eines EWG-Anpassungsgesetzes der Jahre 1965/66, meine Damen und Herren von der CDU/ CSU, wird sich nicht wiederholen. Wir halten unser Wort.
Sechstens. Die Vorlagen waren eilbedürftig. Der Grund liegt darin, daß, zumindest was die Mehrwertsteuer angeht, die Bauern schon am 2. Januar in den Genuß eines solchen Ausgleichs gelangen sollten. Oder sollte ich etwa Ihre Polemik gegen die Eilbedürftigkeit, Herr Kollege Ritz, so verstehen, daß Sie den Bauern diesen Ausgleich nicht gönnen?
Im übrigen können Sie ganz beruhigt sein. In der Verantwortung für den Einkommensausgleich, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, haben wir ein ganz ruhiges Gewissen.
Und, last not least, siebentens. Wollen Sie nicht angesichts der Erklärungen des Bundeskanzlers in Den Haag zu den Fragen der deutschen und europäischen Landwirtschaft und ihrer Interessen und angesichts der Erklärungen des Herrn Bundeskanzlers am Mittwoch dieser Woche, in denen er noch einmal im Zusammenhang mit der Finanzierung der gemeinsamen Agrarpolitik gesagt hat, daß er bei allen diesen Fragen insbesondere die Interessen unserer
Bauern im Auge haben wird, begreifen, begreifen und zur Kenntnis nehmen,
daß es eine Regierung und eine Mehrheit in diesem Hause gibt, die nicht zulassen wird, daß man mit der deutschen Landwirtschaft Schindluder treibt?