Rede von: Unbekanntinfo_outline
Fehlurteile können auf verschiedenen Ursachen beruhen. Fast stets handelt es sich um unzutreffende Tatsachenfeststellungen, die auf unrichtigen Zeugenaussagen, wahrheitswidrigen Einlassungen der Angeklagten, falschen Sachverständigengutachten, unrichtiger Würdigung der Beweise und anderem mehr beruhen. Hierbei spielt die Unzulänglichkeit menschlicher Erkenntnisse eine nicht unbedeutende Rolle. Diese Fehlerquelle wird durch gesetzgeberische Maßnahmen allein niemals ganz ausgeschlossen werden können. Anhaltspunkte dafür, daß einer bestimmten wiederkehrenden Ursache, etwa falschen Sachverstädigengutachten, in diesem Zusammenhang überwiegende Bedeutung zukommt, sind der Bundesregierung bisher nicht bekanntgeworden.
Die Bundesregierung und die Landesjustizverwaltungen fördern seit mehreren Jahren die Arbeit der Forschungsstelle für Strafprozeß und Strafvollzug der rechtswissenschaftlichen Fakultät Tübingen unter der Leitung von Herrn Professor Dr. Peters. Dort werden im Rahmen einer Untersuchung über Fehlerquellen im Strafprozeß über 1000 abgeschlossene Wiederaufnahmeverfahren systematisch ausgewertet. Die Arbeiten stehen kurz vor dem Abschluß. An Hand ihrer Ergebnisse wird untersucht werden, ob es gesetzgeberische Möglichkeiten gibt, die Gefahr von Fehlurteilen zu verringern. In diesem Zusammenhang wird auch das Recht der Wiederaufnahme eines Verfahrens sorgfältig zu prüfen sein. Ich werde hierauf noch bei der Beantwortung der Fragen des Herrn Kollegen de With zurückkommen.
Zu der Frage, ob das Risiko fehlerhafter gerichtsmedizinischer Gutachten sich möglicherweise dadurch verringern läßt, daß Gutachten nicht von einzelnen Ordinarien, sondern einem Team gleichberechtigter Wissenschaftler erstellt werden, darf ich darauf hinweisen, daß schon die geltende Strafprozeßordnung die Möglichkeit bietet, Fachbehörden als solche, z. B. auch Universitätsfakultäten, mit der Erstattung eines Gutachtens zu beauftragen. Das Gericht kann zur Klärung einer Frage auch von vornherein mehrere selbständige Gutachter beiziehen. Wird nur ein einzelner Sachverständiger beauftragt, ist dieser nicht gehindert, sich bei der Erarbeitung seines Gutachtens der sachverständigen Hilfe anderer Wissenschaftler zu bedienen. Dies
614 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Dezember 1969
Bundesminister Jahn
kann sich bei besonderer Gestaltung des Sachverhalts geradezu aufdrängen.
Die Erkenntnis, daß Teamwork zu besseren Ergebnissen führen kann als die Arbeit eines einzelnen, setzt sich immer mehr durch. Dieser Grundsatz gilt sicher auch für gerichtsmedizinische Gutachten. Dabei wird es jedoch stets auf die Besonderheiten des zu beurteilenden Sachverhalts ankommen. Keineswegs sind alle Fälle so gelagert, daß stets Sachverständige verschiedener Disziplinen beteiligt werden müßten. Ich denke z. B. an die Vielzahl von Blutalkoholgutachten in Verkehrsstrafsachen. Auch erscheint es zweifelhaft, ob die Zuständigkeit des Bundes auf dem Gebiet des gerichtlichen Verfahrens ausreicht, um die organisatorischen Voraussetzungen der Bildung von Gutachterteams anzuordnen und zu regeln. Dieser Fragenkomplex bedarf im Zusammenhang mit der Reform des Strafverfahrensrechts noch eingehender Überprüfung.
Zur Tätigkeit der Sachverständigen vor Gericht darf ich abschließend hervorheben, daß sie im Strafverfahren nur als Gehilfen des Richters tätig werden. Aufgabe des Sachverständigen ist es, durch sein Gutachten zu einer sachgerechten Entscheidung beizutraaen, sofern das Gericht im Einzelfall die für die Feststellung bestimmter Tatsachen erforderliche besondere Sachkunde nicht besitzt. Es ist Sache des Gerichts, die erstatteten Gutachten in richterlicher Unabhängigkeit auf ihre Überzeugungskraft hin zu prüfen. Es kommt deshalb auch darauf an, die Aus-und Fortbildung der Richter, Staatsanwälte und Verteidiger so zu gestalten, daß diese in weiterem Umfange als bisher in die Lage versetzt werden, Gutachten von Sachverständigen einer kritischen Wertung zu unterziehen.