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    Deutscher Bundestag 16. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 3. Dezember 1969 Inhalt: Glückwünsche zu den Geburtstagen des Abg. Schulhoff und des Vizepräsidenten Dr. Schmid 575 A Amtliche Mitteilungen 575 B Fragestunde (Drucksache VI/104) Frage des Abg. Wagner (Günzburg) : Erstattung der Sonderumsatzsteuer für Ausfuhren in der Zeit vom 29. September bis 10. Oktober 1969 Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär 576 A, B, C, D Wagner (Günzburg) (CDU/CSU) . . 576 C Frage des Abg. Krammig: Bekanntgabe der für den Betriebsprüfungsdienst Zoll verbindlichen Bestimmungen der Betriebsprüfungsordnung (Steuer) Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär ........576 D Frage des Abg. Dr. Schneider (Nürnberg) : Ausgleich des durch die Erhöhung des Arbeitnehmerfreibetrages den Gemeinden entstehenden Einnahmeverlustes Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär 577 A, B, C Dr. Schneider (Nürnberg) (CDU/CSU) 577 B, C Dr. Schulze-Vorberg (CDU/CSU) . . 577 C Frage des Abg. Dr. Schneider (Nürnberg) : Erhöhung des Anteils der Gemeinden an der Mineralölsteuer Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . 577 D, 578 A Dr. Schneider (Nürnberg) (CDU/CSU) 578 A Frage des Abg. Dr. Jobst: Entwurf eines Gesetzes zur Anhebung der Kilometerpauschale im Zonenrandgebiet Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär . . . 578 B, C, D, 579 A Dr. Jobst (CDU/CSU) ......578 C Dr. Warnke (CDU/CSU) . . . . 588 D Erhard (Bad Schwalbach) (CDU/CSU) 579 A Fragen des Abg. Erhard (Bad Schwalbach) : Empfehlung des Hessischen Gemeindetages betreffend Erhöhung der Gewerbesteuerhebesätze Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär 579 A, B Frage des Abg. Dr. Haack: Gebührenfreie Ablehnung der Einsprüche gegen die Herabsetzung der Kilometerpauschale Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär 579 D II Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Dezember 1969 Frage des Abg. Dr. Apel: Verpflichtung zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung für Lohnsteuerpflichtige . . . . . . . . . 580 A Frage des Abg. Dr. Apel: Wettbewerbsverfälschungen bei der Preisgestaltung eingeführter Spirituosen 580 A Fragen des Abg. Mursch (Soltau-Harburg) : Erhebung von Zöllen für den benutzten Wagen bei Geschäftsreisen nach Frankreich Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . . 580 B Frage des Abg. Dr. Hauser (Sasbach) : Bereitstellung von Mitteln zur Beseitigung von Westwallbunkern im Haushaltsjahr 1970 Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär . . . 580 C, D, 581 A Dr. Hauser (Sasbach) (CDU/CSU) . 580 C, D Josten (CDU/CSU) 580 D Burger (CDU/CSU) 581 A Frage des Abg. Dr. Warnke: Steuerbegünstigung für Arbeitnehmer im Zonenrandgebiet Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . 581 B, C, D Weigl (CDU/CSU) 581 C Dr. Warnke (CDU/CSU) . . . 581 C, D Frage des Abg. Pieroth: Vermeidung sozialer Härten bei Entlassungen durch die Stationierungsstreitkräfte Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär 582 A, B Pieroth (CDU/CSU) 582 A, B Frage des Abg. Dichgans: Ausgabe europäischer Münzen neben nationalen Münzen Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär . . 582 C, D, 583 A, B Dichgans (CDU/CSU) 582 D Josten (CDU/CSU) 583 A Dr. Lenz (Bergstraße) (CDU/CSU) . 583 A Frage des Abg. Richarts: Steuerausfall bei Anpassung des Mehrwertsteuersatzes für Wein an den Steuersatz für andere Agrarprodukte Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . . 583 B Richarts (CDU/CSU) . . . . . . 583 C von Hassel, Präsident . . . . . . 583 C Fragen des Abg. Fellermaier: Verzicht auf Gebührenerhebung bei Einsprüchen gegen die Reduzierung der Kilometerpauschale . . . . . . . 583 C Vorlage des Abg. Mertes: Weitere Privatisierung von wirtschaftlichem Bundesvermögen 583 C Fragen des Abg. Jung: Einheitliche Anwendung der Zollbestimmungen durch französische Behörden Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . 583 D, 584 A Jung (FDP) 584 A Frage des Abg. Erhard (Bad Schwalbach) : Einführung einer allgemeinen Straßenbenutzungsgebühr Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär 584 B Erhard (Bad Schwalbach) (CDU/CSU) 584 B, C von Hassel, Präsident 584 C Frage des Abg. Weigl: Wettbewerbsnachteile für Ziegelwerke im Zonenrandgebiet Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär . . . 584 D, 585 B, C Weigl (CDU/CSU) 585 B Frage des Abg. Müller (Berlin) : Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung der Vorschriften über die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär 585 C, D Müller (Berlin) (CDU/CSU) . . . 585 D Schmidt (Kempten) (FDP) . . . . 585 D Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Dezember 1969 III Fragen des Abg. Dr. Wagner (Trier) : Überbrückungshilfe für den aus der Aufwertung entstandenen Einkommensverlust von Grenzgängern Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär . . 586 A, B, D, 587 A, B Dr. Wagner (Trier) (CDU/CSU) . 586 B, C Burger (CDU/CSU) 586 D Jung (FDP) 587 A Richarts (CDU/CSU) 587 A Maucher (CDU/CSU) 587 B Frage des Abg. Dichgans: Umbau der Strahltriebwerke von Flugzeugen Börner, Parlamentarischer Staatssekretär 587 C, D Dichgans (CDU/CSU) ......587 C Fragen des Abg. Josten: Fahrpreisermäßigung für Jugendliche auf Grund einer europäischen Jugendkarte Börner, Parlamentarischer Staatssekretär 588 A, B Josten (CDU/CSU) . . . . . . 588 B Frage des Abg. Ollesch: Zusammenlegung der Omnibusbetriebe der Bundesbahn und der Bundespost Börner, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . . 588 C Frage des Abg. Ott: Einheitliche Abschleppvorrichtungen für Personenkraftwagen Börner, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . 588 D, 589 A Ott (CDU/CSU) 589 A Frage des Abg. Seefeld: Erhöhung der Mittel für Maßnahmen auf dem Gebiet der Ersten Hilfe für Unfallverletzte im Straßenverkehr Börner, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . • 589 B, C Seefeld (SPD) 589 C Frage des Abg. Schwabe: Übereinkommen zur Feiertagsregelung durch die Bundesländer Börner, Parlamentarischer Staatssekretär . . . 589 C, D, 590 A Schwabe (SPD) . . . . 589 D, 590 A Frage des Abg. Erhard (Bad Schwalbach) : Stärkere Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs Börner, Parlamentarischer Staatssekretär 590 B Wahl der Mitglieder kraft Wahl des Richterwahlausschusses (Drucksache VI/110) in Verbindung mit Wahl der Wahlmänner (Drucksache VI/111) 590 B Dr. Schmid, Vizepräsident 597 D, 601 A, 602 C Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Brandt, Bundeskanzler 591 A Dr. Barzel (CDU/CSU) 593 C Dr. Apel (SPD) 596 A Dr. Achenbach (FDP) 598 B Scheel, Bundesminister 599 A Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Schlußtermins für den Abbau der Wohnungszwangswirtschaft und über weitere Maßnahmen auf dem Gebiete des Mietpreisrechts im Land Berlin (SPD, FDP) (Drucksache VI/46) ; Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Städtebau und Wohnungswesen (Drucksache VI/105) — Zweite und dritte Beratung — in Verbindung mit Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Schlußtermins für den Abbau der Wohnungszwangswirtschaft und über weitere Maßnahmen auf dem Gebiete des Mietpreisrechts im Land Berlin (Abg. Müller [Berlin], Benda, Dr. Gradl, Wohlrabe u. Gen.) (Drucksache VI/55); Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Städtebau und Wohnungswesen (Drucksache VI/105) — Zweite Beratung — Dr. Gatzen (CDU/CSU) . . . . . 601 C Grabert, Senator des Landes Berlin . 602 A Nächste Sitzung . . . . . . . . . . 602 A Anlagen Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 603 A Anlage 2 Schriftliche Antwort auf die Mündliche Frage des Abg. Dr. Bardens betr. Ausbildung der Gerichtsmediziner 603 C Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Dezember 1969 575 16. Sitzung Bonn, den 3. Dezember 1969 Stenographischer Bericht Beginn: 9.02 Uhr
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Aigner *** 5. 12. Baier 5. 12. Benda 3. 12. Berding 3. 12. Blumenfeld * 5. 12. Frau Brauksiepe 20. 12. Draeger * 6. 12. Dr, Fuchs 6. 12. Häussler 6. 12. Frau Dr. Henze 31. 12. Frau Herklotz ** 6. 12. Dr. Kempfler 5. 12. Frau Klee 12. 12. Dr. Kreile 5. 12. Freiherr von Kühlmann-Stumm 3. 12. Lenze (Attendorn) ** 6. 12. Lücke (Bensberg) 20. 12. Pöhler * 5. 12. Raffert 3. 12. Dr. Rinderspacher 31. 12. Dr. Rutschke * 5. 12. Dr. Schmidt (Wuppertal) 20. 12. Dr. Schulz (Berlin) * 5. 12. * Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen der Versammlung der Westeuropäischen Union ** Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen der Beratenden Versammlung des Europarats Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments Anlagen zum Stenographischen Bericht Seifriz 3. 12. Dr. Starke (Franken) 6. 12. Dr. h. c. Strauß 6. 12. Dr. Zimmermann 6. 12. Anlage 2 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Bayerl vom 28. November 1969 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. Bardens (Drucksache VI/76 Frage A 42) : Ist es nach Ansicht der Bundesregierung erforderlich, strengere Anforderungen an die Ausbildung der Gerichtsmediziner, die in der Bundesrepublik Deutschland keiner Facharzlweiterbildung bedürfen, zu stellen? Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die Ausbildung gerichtlicher Sachverständiger dem neuesten Forschungsstand entsprechen muß. Dies ist aber ein Problem, dem die zuständigen Länderinstanzen sicherlich ihre Aufmerksamkeit widmen werden. Darüber hinaus muß die Aus- und Fortbildung der Richter und Staatsanwälte in den strafprozessualen Hilfswissenschaften, dazu gehört auch das Gebiet der gerichtlichen Medizin, intensiviert werden, damit sie in weiterem Umfang, als es bisher in der Regel der Fall ist, in der Lage sind, sich mit den Sachverständigengutachten kritisch auseinandersetzen und gegebenenfalls rechtzeitig zu erkennen, ob die Einholung eines Obergutachtens erforderlich ist."
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    Professor Walter Hallstein.

    (Beifall bei allen Fraktionen.)

    Wir alle wissen aber auch, wie sehr in den letzten Jahren die europäische Entwicklung gehemmt wurde, und zwar nicht zuletzt durch die ungelöste Frage des Beitritts anderer Staaten, insbesondere Großbritanniens, die bereit waren und bereit sind, die in den Römischen Verträgen niedergelegten Grundsätze sowie das nachfolgende europäische Recht zu akzeptieren und die volle Mitgliedschaft zu erwerben.
    Die Bundesrepublik konnte — und daran haben Regierungswechsel nichts oder fast nichts geändert — frühere, sehr dezidierte Vorbehalte der französischen Regierung gegen eine Erweiterung der Gemeinschaft niemals billigen. Diese Zeit und dieser Streit sind vorbei. Frankreich hat der baldigen Eröffnung von Verhandlungen zwischen der Gemeinschaft und den beitrittswilligen Staaten zugestimmt und wünscht — wie wir — einen Erfolg dieser Verhandlungen. Wer den französischen Staatspräsidenten auf der Konferenz gehört hat, wird aus Überzeugung sagen müssen: Wir haben Vertrauen in das gegebene Wort.
    Diese Beitrittsverhandlungen werden spätestens Mitte kommenden Jahres beginnen, und sie werden von der Gemeinschaft in dem Geist geführt werden müssen, den ein erfolgreicher Abschluß voraussetzt und der ihn dann auch gewährleisten kann.
    Wir haben auch festgelegt, daß — unmittelbar nach Beginn der Verhandlungen mit den beitrittswilligen Staaten — mit den anderen EFTA-Ländern, die dies wünschen, Gespräche über die Herstellung eines besonderen Verhältnisses zur EWG geführt werden.
    Mindestens so wichtig, meine Damen und Herren, ist dies: Die Staats- und Regierungschefs haben die Außenminister beauftragt, die Frage der politischen Einigung in Europa erneut zu prüfen, und zwar bereits in der Perspektive der Erweiterung. Hierüber soll bis Mitte nächsten Jahres berichtet werden.
    Ich halte dies für einen Kernpunkt des Ergebnisses der Gipfelkonferenz, weil er zweierlei deutlich macht: Die qualifizierte politische Zusammenarbeit soll eines Tages dazu führen, daß Westeuropa mit einer Stimme in weltpolitischen Zusammenhängen auftreten kann, und sie soll schon bald bereichert werden durch die in Aussicht genommene Teilnahme weiterer Länder an diesem Prozeß des politischen Zusammenrückens.
    Mit Recht hat die europäische, hat gerade die deutsche Öffentlichkeit mit wachem Interesse — hier und da auch mit Bangen — auf die Entscheidung gewartet, die im Haag in der Frage der Beitritte gefällt werden würde. Mit Recht, so kann ich wohl sagen, hat die Bundesregierung, haben der Außenminister und ich die Lösung dieser Frage in den Mittelpunkt unserer Bemühungen gestellt, weil es eine Schlüsselfrage für die Behandlung auch der anderen Themen war. Ohne ein Ergebnis auf diesem Gebiet hätte die europäische Stagnation nicht beseitigt werden können, wäre die Konferenz — mit anderen Worten — zum Scheitern verurteilt gewesen.
    Es lag unserer Meinung nach in der Natur der Sache, daß zwischen der Beitrittsfrage und den Fra-
    592 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Dezember 1969
    Bundeskanzler Brandt
    gen der Vollendung und der Vertiefung der Gemeinschaft eine innere Verbindung besteht und deutlich gemacht werden mußte. Diese Auffassung hat sich durchgesetzt. Aber es handelte sich hier nicht um Konzessionen, die wie bei einem Geschäftsabschluß die Vertreter des einen Standpunktes an die des anderen machen mußten. Auch wir, die wir uns im Interesse Europas so stark für die Erweiterung der Gemeinschaft eingesetzt haben, sind nicht weniger als Frankreich und andere an der Vollendung und Vertiefung der Gemeinschaft interessiert. Ich kann auch hier mit Befriedigung feststellen, daß uns im Haag Fortschritte miteinander gelungen sind, die nicht nur die unmittelbare Zukunft, sondern auch die weitere Zukunft bestimmen werden.
    Was die nächsten Wochen angeht, meine Damen und Herren, so haben wir uns miteinander verpflichtet, die endgültige Finanzregelung der gemeinsamen Agrarpolitik bis zum Ende des Jahres festzulegen, wobei nicht auszuschließen ist, daß man die Uhr ein wenig wird anhalten können oder vielleicht auch wird anhalten müssen. Wir werden die Verpflichtung nach dem Vertrag — und darum geht es: um eine Verpflichtung nach dem Vertrag — erfüllen, aber wir werden dabei natürlich nicht allein die allgemeinen Interessen der Gemeinschaft, sondern auch die einer gesunden Erzeugungspolitik, einer Beherrschung der Überschußprobleme, einer vernünftigen Finanzwirtschaft und vor allem die Interessen unserer Bauern im Auge haben.
    Ich habe auf der Konferenz im übrigen ganz deutlich gemacht, daß zu unserem eigenen Programm hier in der Bundesrepublik eine moderne, wettbewerbsfähige deutsche Landwirtschaft gehört und daß die Strukturpolitik im Agrarbereich in der Hand der Bundesregierung verbleiben muß. Die Reform der Agrarpolitik steht, im Unterschied zur Agrarfinanzierung, auf der Tagesordnung der Gemeinschaft. Die Notwendigkeit zur Ratifizierung der Finanzregelungen durch unsere gesetzgebenden Körperschaften ist unbestritten. Es ist auch anerkannt worden, daß die Agrarpolitik im Zusammenhang mit der Erweiterung der Gemeinschaft bis zu einem gewissen Grade anpassungsfähig bleiben muß.
    Was die weiteren Perspektiven europäischer Zusammenarbeit betrifft, so wurde im Haag der Wille deutlich, die Europäische Gemeinschaft zur Wirtschaftsunion fortzuentwickeln. Das kann nicht ohne eine konvergente Wirtschaftspolitik gelingen. Das Ziel ist die Ausformung einer Wirtschaftsunion. Der Grundsatz der Solidarität muß eines Tages, vom Kleineren zum Größeren sich entwickelnd, voll wirksam werden. Es ist selbstverständlich, daß währungs- und wirtschaftspolitische Solidarität nur entstehen kann, wenn es tatsächlich zu einer gemeinsamen weltoffenen Politik des Wachstums und der Stabilität kommt. Wir haben beschlossen, daß der Rat in enger Zusammenarbeit mit der Kommission im Laufe des Jahres 1970 einen Stufenplan für die Errichtung der Wirtschafts- und Währungsunion ausarbeiten soll. Und in diesem Zusammenhang soll dann auch die Möglichkeit der Errichtung eines Europäischen Reservefonds geprüft werden.
    Ich habe im übrigen bei der Diskussion über diese Fragen darauf hingewiesen, daß die Bundesregierung den Gesichtspunkt der Stabilität unbeirrt im Auge behalten wird. Dies war wichtig, da von dem einen oder anderen Partner von der französischen Abwertung und der deutschen Aufwertung gewissermaßen als von Zwischenfällen gesprochen worden war, was ja nur richtig gewesen wäre, wenn wir es schon mit einer wirklichen konvergenten Politik im wirtschaftlichen und Währungsbereich zu tun gehabt hätten. Ich habe auch keinen Zweifel daran gelassen, daß insbesondere unsere Rentner und unsere Sparer das Übernehmen einer inflationistischen Politik anderer als eine Enteignung ansehen würden

    (lebhafter Beifall bei allen Fraktionen)

    und daß wir eine solche Entwicklung nicht akzeptiert haben und im Rahmen unserer Möglichkeiten entschieden abwenden werden.
    Es ist uns übrigens bei der Konferenz gelungen, eine grundsätzliche Einigung über die Rettung von Euratom zu erzielen. Dies gelang, weil alle Beteiligten die Bedeutung der Technologie und der Zukunftsindustrien für die Gemeinschaft und ihre Mitgliedsländer verstehen. Das heißt, der Passus zu dieser Frage im Kommuniqué will so verstanden werden, daß die Forschungsstelle von Euratom bewahrt werden soll und daß man sich im übrigen flexibler auf diesem Gebiet und über das Gebiet der Kernenergie hinaus um Gemeinsamkeit im Bereich der Technologie und ihrer Anwendung für die moderne Wirtschaft bemühen will.
    Auch in diesem Zusammenhang habe ich — ich hoffe, ich kann das ohne Übertreibung sagen; davor muß man sich natürlich hüten, und ich hüte mich sehr davor — den Eindruck gewonnen, daß nach vielen Rückschlägen und Enttäuschungen ein europäisches Bewußtsein im Wachsen ist, das auf die Zukunft gerichtet ist und sich nicht, wie so oft, in der Regelung prozeduraler Fragen erschöpft. Insofern können wir heute vor die junge Generation in unseren Ländern treten und sagen: Natürlich hätte man sich noch mehr vorstellen können, aber das, was jetzt zu machen war, ist geschehen; über das, worüber jetzt entschieden werden konnte, ist entschieden worden. Die Schwierigkeiten, die noch vor uns liegen, dürfen nicht übersehen werden, aber die europäische Idee hat neue Impulse bekommen; und das ist gut.
    Der Vorschlag übrigens, in Anlehnung an meine Regierungserklärung ein Europäisches Jugendwerk zu schaffen, hat nach den Erörterungen im Haag jetzt auch eine Chance der Verwirklichung.

    (Beifall bei den Regierungsparteien und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

    Die Institutionen der Gemeinschaft sind das politische Gerüst für den europäischen Bau. Es war von Bedeutung, daß der Präsident der Kommission gestern an unseren Beratungen teilgenommen hat. Die Kommission und der Rat in Brüssel werden sowohl bei der Erweiterung der Gemeinschaft als auch bei ihrem inneren Ausbau wichtige Dienste zu leisten
    Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Dezember 1969 593
    Bundeskanzler Brandt
    I haben. Deshalb müssen sie Möglichkeiten erhalten, effektiver zu arbeiten.
    Die Finanzregelungen werden die unabhängige Haushaltsführung der Gemeinschaft fördern, und daraus ergibt sich zwangsläufig — das ist festgehalten worden — eine Verstärkung der Befugnisse des Europäischen Parlaments. Diese Erweiterung der parlamentarischen Kompetenzen und der parlamentarischen Kontrolle ist erfreulicherweise jetzt auch nicht mehr umstritten.

    (Beifall.)

    Meine Damen und Herren, ich möchte es heute mit dieser ersten Erläuterung der Beschlüsse der Haager Konferenz bewenden lassen. Die Bundesregierung geht davon aus, daß insbesondere der Auswärtige Ausschuß auf eine detaillierte Berichterstattung Wert legen wird. Die Bundesregierung steht dafür selbstverständlich sofort, wann immer das Haus dies wünscht, zur Verfügung.
    Lassen Sie mich zusammenfassen. Es gelang, eine Krise der Gemeinschaft abzuwenden. Es hat sich bestätigt, daß Europa eben doch kein technischer Begriff ist, sondern daß es eine politische Aufgabe ist, der sich die Regierungen stellen. Es hat sich gezeigt, daß in einem Augenblick, in dem um ein neues Verhältnis zwischen den Weltmächten, den großen Atomriesen, gerungen wird, und in dem vieles in der Welt in Bewegung ist, die Europäer zu neuen Anstrengungen fähig sind.
    Ich bin selbstverständlich immer davon ausgegangen, daß die neuen Bemühungen in Europa und bei uns selbst um — wenn es geht — bessere Beziehungen zwischen Ost- und Westeuropa eingebettet sein müssen in eine Festigung des Zusammenhalts der westeuropäischen Staaten.

    (Beifall.)

    Die Bundesregierung ist sich über den Standort unserer Bundesrepublik im Kreis der Verbündeten und Partner nicht im unklaren, und diese sind sich darüber auch nicht im unklaren. Wir werden alles daransetzen, daß der im Haag erkennbar gewordene Neubeginn nicht steckenbleibt. Dafür bitte ich um die Aufgeschlossenheit und die Mitarbeit des ganzen Hauses. Auch die Beratungen, die heute und morgen in Brüssel im Rahmen des atlantischen Bündnisses stattfinden, verdienen, wenn auch nur in indirektem Zusammenhang hiermit, unsere volle Aufmerksamkeit.
    Ich erinnere mich, meine Damen und Herren, an viele der mühsamen, zähflüssigen Konferenzen, die ich in den letzten drei Jahren als Außenminister erlebt habe oder erleben mußte. Ich weiß also, was ich sage, wenn ich sage: nach den letzten beiden Tagen hat Europa doch die Chance, eine neue Perspektive zu finden. Dabei dürfen wir uns — ich sage dies noch einmal — keiner Täuschung hingeben. der Weg ist noch weit, er bleibt auch steinig, und von uns werden nicht immer leichte Entscheidungen erwartet werden. Aber jene Barrieren, die den Weg bis gestern blockierten, haben wir im Haag endlich mit unseren Partnern beiseite räumen können.

    (Beifall auf allen Seiten des Hauses.)



Rede von Kai-Uwe von Hassel
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Ich danke dem Herrn Bundeskanzler für die Abgabe der Regierungserklärung.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Barzel.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Rainer Barzel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundestagsfraktion der CDU/CSU begrüßt, daß der Herr Bundeskanzler zum frühestmöglichen Zeitpunkt den Deutschen Bundestag über die Ergebnisse der Gipfelkonferenz unterrichtet hat. Wir begrüßen, daß dies so sachlich geschah, und teilen die Meinung, mit der der Herr Bundeskanzler heute nacht das Urteil über diese Konferenz zusammengefaßt hat: es sei „ein Ergebnis an der unteren Grenze des von uns Wünschbaren" gewesen. Diese sachliche Festellung nimmt nichts von dem Ereignis dieser Tage.
    Wir erkennen an, daß die Bundesregierung entsprechend der gemeinsamen Verabredung, in den großen Fragen zu kooperieren, vor dieser Konferenz ein Gespräch mit uns hatte, das zu einer weitgehenden Übereinstimmung in den politischen Fragen geführt hat. Wir erinnern daran, ,daß wir in der Debatte über die erste Erklärung dieser Bundesregierung gesagt haben, wir könnten uns vorstellen, auch einmal zu sagen: die Bundesregierung hat recht, wenn es sich nach unserer Meinung so verhält.
    Wir wollen heute darauf zurückkommen und hier festhalten, daß wir uns über das europäische Engagement des Herrn Bundeskanzlers, das auf dieser Konferenz sichtbar wurde, gefreut haben

    (Beifall auf allen Seiten)

    und daß wir seiner Grundsatzerklärung, soweit wir sie dem Bulletin haben entnehmen können — wir nehmen an, daß das so ganz gilt und gesagt ist —, überwiegend zu folgen vermögen. Unser Vorbehalt betrifft vor allem die Ziffer VII dieser Darlegungen.
    Ich denke, daß man auf die konkreten Fragen der Agrarpolitik und auf viele andere Einzelheiten später nicht nur im Auswärtigen Ausschuß, sondern, wenn Anlaß dazu ist, auch hier im Hause wird zurückkommen können. Wir werden Sie gern beim Wort nehmen, Herr Bundeskanzler, und dafür sorgen, daß die Möglichkeiten, die diese Konferenz eröffnet hat, auch mit dem nötigen Nachdruck aus dem Parlament versehen werden.
    Ich möchte Ihnen danken für das gute Wort, das Sie für unseren Kollegen Hallstein gefunden haben. Es ist klar, daß wir dies unterstützen.

    (Beifall.)

    Ich möchte Ihnen danken, daß Sie sich bereit gefunden haben, in dem Kommuniqué einem Satz zuzustimmen wie diesem — ich zitiere aus der Ziffer 3 —:
    daß wohl nie zuvor unabhängige Staaten eine weitergehende Zusammenarbeit verwirklicht haben, und waren einheitlich der Auffassung, die Gemeinschaft sei gerade wegen der erzielten Fortschritte heute an einem Wendepunkt ihrer Geschichte angelangt.
    594 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Dezember 1969
    Dr. Barzel
    Wer einem solchen Satz als deutscher Bundeskanzler zustimmt, macht damit deutlich — das ist für dieses Haus wichtig —, daß der Streit über Europapolitik im Wesentlichen, soweit er einmal ein parteipolitischer Streit war, vorbei ist; der macht damit deutlich, daß er auch das Werk der Vorgänger anerkennt, nämlich Adenauers, Erhards und Kiesingers.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD.)

    Wir sind froh auch über die Sätze, die Sie eben gefunden haben, Herr Bundeskanzler, und die völlig klarmachen, daß auch diese Bundesregierung als Basis ihrer Politik die Verankerung in der freien Welt, konkret: im Bündnis und im vereinigten Europa hat. Auch damit ist ein Streit weg, meine Damen und Herren.
    Die Bundestagsfraktion der CDU/CSU hatte am 25. November 1969, also vor dem erwähnten Gespräch beim Herrn Bundeskanzler, ihre Auffassung zu der bevorstehenden Konferenz veröffentlicht. Wir wollen das heute in Erinnerung rufen, weil es wichtig ist, zu messen, was unsere Wünsche, unsere Erwartungen und unsere Hoffnungen waren und was nun eingetreten ist.
    Wir hatten von der Überprüfung des Agrarmarktes gesprochen. Wir hatten gehofft und gewünscht, es werde zu festen Terminen kommen für das Ende der Übergangszeit, für die Herbeiführung der Wirtschafts- und der Währungsunion, für den Beginn der Beitrittsverhandlungen mit Großbritannien, Däne-
    ,) mark, Irland und Norwegen. Es werde eine feste Verabredung geben für weitere Treffen der Regierungschefs als Beginn der politischen Zusammenarbeit. Wir hatten gehofft, es werde eine politische Verständigung und eine Aussage über die Beziehungen der EWG zu den neutralen Staaten gefunden werden; es werde zu einer Einigung über die bekannten Assoziationsprobleme kommen, man werde sich mit dem Problem befassen, eine Offerte an die Länder Ost- und Mitteleuropas zur ökonomischen, wissenschaftlichen und sozialen Zusammenarbeit zu richten sowie einen europäischen Währungsreserve-fonds zu bilden und in der Frage der parlamentarischen Kontrolle weiterzukommen.
    Der Verlauf der Konferenz von Den Haag und insbesondere Ihre Einlassung dort, Herr Bundeskanzler, bestätigen — natürlich nur, soweit uns der Verlauf bekannt ist —, daß die Bundesregierung alle diese Ziele gleichfalls angestrebt hat. Das Ergebnis der Konferenz, das sich für uns in dem Kommuniqué und in dem Bericht, den wir soeben gehört haben, niederschlägt, erfüllt einige dieser Erwartungen. In anderen Bereichen läßt es zu wünschen übrig und bleibt hinter diesen Erwartungen zurück. Ich habe zu meiner Genugtuung aus der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers gesehen, daß er es genauso nüchtern sieht und hier nicht den Eindruck erweckt, als seien dort alle deutschen Punkte durchgekommen.
    Das Kommuniqué ist für denjenigen, der nicht dabei war, vage und interpretationsfähig. Sie werden gleich an zwei Punkten sehen, daß Ihre Ergänzungen, wie wir hoffen, schon einiges deutlicher gemacht haben. Heute ist es sehr schwer, klar zu erkennen, was konkret verabredet ist. Deshalb muß über Einzelheiten auch später gesprochen werden.
    Einig ist man sich offenbar das wollen wir
    festhalten —, zwei Termine festzulegen — das sind nicht alle, die wir gewünscht hatten —, nämlich den 31. Dezember 1969 für das Ende der Übergangszeit und denselben Termin für die endgültige Agrarfinanzierung.
    Die Andeutungen, daß eigene Einnahmen der Gemeinschaft weiter geschaffen werden und die „Haushaltsbefugnisse" des Europäischen Parlaments, wie es in dem Kommuniqué heißt, gestärkt werden sollen, sind noch zu unbestimmt, als daß darüber ein Urteil möglich wäre. Das wird noch dadurch unterstrichen, daß zwar „eine Reform der Agrarpolitik mit dem Ziel einer Beschränkung der Haushaltslasten" — so das Zitat — gefordert, aber keine Mitteilung über den Inhalt und die Richtung dieser Politik gemacht wird, mindestens nicht im Kommuniqué.
    Die Ziffer 7 dieses Kommuniqués wird uns allen mit Sicherheit noch Kopfschmerzen bereiten. Sie heißt — ich möchte sie zitieren; es ist ein einziger Satz —:
    Die Annahme einer Finanzregelung gemeint ist die Agrarpolitik —
    für die Endphase schließt ihre einstimmig vorzunehmende Anpassung, insbesondere an eine erweiterte Gemeinschaft, nicht aus, wobei jedoch die Grundsätze dieser Regelung nicht verfälscht werden dürfen.
    Manche Diplomaten werden schon wissen, was sie mit dieser Formel anfangen. Und mancher in Großbritannien wird sich überlegen, ob das wirklich hilfreich ist. Auf jeden Fall hat die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers nicht hier im Hause, aber in einem Interview mit der Londoner „Times" vom 3. November, in dem er sagte — ich zitiere —:
    Um zu einer langfristigen Landwirtschaftspolitik zu kommen, muß man wissen, wie groß der Gemeinsame Markt sein wird
    im Kommuniqué keinen Niederschlag gefunden.
    Dagegen ist es offenbar gelungen — wenn auch ohne Verabredung eines konkreten Termins —, eine prinzipielle Zustimmung aller zum Beginn der Beitrittsverhandlungen in absehbarer Zeit zu erreichen. Wir unterstützen, wenn Sie sagen: wir haben keinen Zweifel in das gegebene Wort, und dies Ganze ist ein Fortschritt, den wir begrüßen.
    So ist eine Entwicklung eingeleitet, welche — und das sagen wir sehr vorsichtig — die Erweiterung der Gemeinschaft möglich machen könnte, und, wie wir hoffen: möglich machen wird. Wir werden alles dazu tun, daß dieses Ziel erreicht wird. Aber automatisch wird das auch nach der Konferenz von Den Haag nicht eintreten. Aber schon dieses Ergebnis lohnte, diese Konferenz zu fordern, wie es der Bundeskanzler Kiesinger auf der letzten Konferenz in Rom getan hat, sie dann vorzubereiten und auch abzuhalten.
    Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Dezember 1969 595
    Dr. Barzel
    Hinsichtlich der politischen Zusammenarbeit wurden sicher manche Erwartungen enttäuscht. Entgegen vielen Erwartungen und auch in der Presse genährten Hoffnungen selbst aus prominentem Munde — vieler europäischer Politiker wurde hinsichtlich der politischen Zusammenarbeit weder ein Termin für ein neues Treffen der Regierungschefs verabredet, noch wurde der Fouchet-Plan beschlossen. Die Außenminister, so heißt es, sollen nun Vorschläge machen. Wir hoffen, Herr Bundeskanzler und Herr Kollege Scheel, daß hierbei den deutschen Außenminister niemand an Energie und niemand an Bestimmtheit übertrifft, wenn es um diese Vorschläge geht. Wir werden gern bereit sein — sofern dies nützlich ist oder uns notwendig erscheint —, auch hier im Hause durch Plenardebatten des Bundestages die Notwendigkeit verstärkter politischer Zusammenarbeit weiter zu betonen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Und nun kommt ein Punkt, Herr Bundeskanzler, über den ich mir nicht klar bin. Das Kommuniqué sagt zu unserem Bedauern — und ich wollte dies hier festhalten — nichts aus über Ihren Vorschlag, ein europäisches Jugendwerk zu schaffen. Sie wissen, daß wir den Vorschlag begrüßen. Er ist die konsequente Fortentwicklung unserer Politik. Sie haben soeben mitgeteilt, es werde wohl doch dazu kommen. Ich nehme an, daß dieses Wort des Bundeskanzlers, gesprochen im Deutschen Bundestag, seinen Hintergrund hat. Ich freue mich über dieses Wort, hätte es freilich noch lieber im Kommuniqué gelesen, damit die ganze europäische Öffentlichkeit gesehen hätte: diese Anregung aus Bonn ist durchgedrungen.
    Ähnlich verhält es sich, Herr Bundeskanzler, mit einem anderen Punkt. Sie haben zu Euratom ein paar Sätze mehr gesagt — und zu meiner Freude, zu unser aller Freude inhaltsreicher gesagt — als dieses Kommuniqué, das sich insoweit mit Absichtserklärungen begnügt. Wir unterstützen diese Position, Euratom zu stärken, aus den Gründen, die wir hier oft genug vorgetragen haben, und nehmen auch dieses Wort des Bundeskanzlers gerne zur Kenntnis, weil es weitergeht und weiterträgt, wie wir hoffen, als das Kommuniqué den Anschein erweckt.
    Zum Problem der Währungs- und der Wirtschaftsunion, der technologischen Zusammenarbeit, der Forschung und des Währungsreservefonds enthält das Kommuniqué leider nur — wie auch zu Euratom — Absichtserklärungen. Es enthält keine festen Termine und auch keine konkreten Inhalte. An dieser Stelle wird deutlich wie an allen Stellen: Es kommt nun darauf an, was man daraus macht. Wir glauben, daß bei gutem Willen aller Beteiligten eine praktische Politik daraus werden könnte, aber nicht automatisch werden muß.
    Dagegen vermissen wir Hinweise auf die Politik der sechs Länder gegenüber den Neutralen, auf die Lösung der Assoziationsfragen. Wir sehen gar nichts hinsichtlich des Problems, für die Gebiete der Wissenschaft, der Wirtschaft, des Sozialen auch ein Gespräch mit Ländern Ost- und Mitteleuropas zu suchen.
    Wir bedauern, daß das Kommuniqué den Wert des möglichen Beitritts der Länder, die die Anträge gestellt haben, vor allem wirtschaftlich und technologisch begründet. Wir hätten hier lieber gesehen, daß man auch politisch und historisch — so nämlich ist der Rang der Probleme — argumentiert hätte.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir sind schließlich besorgt, daß ständige Konferenzen von Fachministern, wie sie in dem Kommuniqué vorgeschlagen sind, dazu führen könnten, daß die Institutionen der Gemeinschaft ausgehöhlt werden. Ich nehme an, daß die Bundesregierung diese Befürchtung teilt; und wenn sie sie teilt, wird sie sicher alles in ihren Kräften Stehende tun, um dem entgegenzuwirken.
    Ich sage noch einmal, daß wir unbefriedigt sind mit der Formulierung über die parlamentarische Kontrolle. Wir halten es für dringend erforderlich, eine stärkere parlamentarische, nicht nur Kontrolle, sondern Mitwirkung gerade dann sicherzustellen, wenn die Gemeinschaft weitere eigene Einnahmen erhält. Darüber wird ja noch zu sprechen sein, wenn hier zu der Agrarfinanzierung und ähnlichem eine Zustimmung des Hauses herbeizuführen sein wird. Auf jeden Fall möchten wir anmelden, daß unsere Forderung nach der direkten Wahl des Europäischen Parlaments für uns aufrechterhalten bleibt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der Regierungsparteien.)

    Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Erklärung in Den Haag und auch eben noch einmal gesagt — ob das so stimmt, wollen wir mal dahingestellt sein lassen —, daß wir zwischen einem „mutigen Schritt nach vorn und einer gefährlichen Krise zu wählen" hatten. Folgt man diesen Worten, dann kann man, glaube ich, sagen: die Konferenz von Den Haag hat, so ist unser Eindruck, eine offene Krise vermieden, ist uns aber den mutigen Schritt schuldig geblieben.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Das Ergebnis ist ein Kompromiß, mit dem sich, wie wir hoffen, leben lassen wird, wenn alle mit gutem Willen und mit Zähigkeit zusammenwirken. Es ist im übrigen ein Kompromiß, der wohl den realen Kräften und den realen Tendenzen der heute in Europa Verantwortlichen und Entscheidenden entspricht. Das darf uns aber nicht hindern, unsere Kräfte und Tendenzen in der richtigen Richtung — und die Opposition wird dafür sorgen — auch deutlich zu machen. Denn das, was hier erreicht ist, ist noch nicht genug. Wir wollen miteinander weitere Fortschritte. Deshalb wird ja wohl die Opposition davon sprechen können, auch wenn wir versuchen, hier eine gemeinsame Politik zu machen.
    Vielleicht gehört es eben zur Kunst, Europapolitik zu treiben, nicht nur immer von Krisen zu reden — und sie zu verhindern —, und von technokratischen Dingen, sondern sich einmal zu überlegen, daß es den Menschen in diesem Europa heute schon sehr viel besser als früher geht; deshalb spricht man ja
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    Dr. Barzel
    von den Fortschritten. Vielleicht müssen wir alle lernen, mit latenten Krisen in Europa zu leben — als der Situation, die uns heranführt, uns aneinander zu gewöhnen, an Kompromisse zu gewöhnen, an die Notwendigkeit des Zusammenwirkens zu gewöhnen. Vielleicht ist dies der Zustand einer zusammenwachsenden politischen Gemeinschaft.
    Ich komme zum Schluß. Die Bundesregierung und alle Länder, die Mitglieder der EWG sind oder ihr beitreten wollen, können jederzeit auf die Unterstützung der CDU/CSU rechnen, wenn es darum geht, weitere Schritte auf dem Wege zur Vereinigung Europas zu machen. Dies ist für uns keine Parteifrage, sondern dies ist für uns eine Politik, die ohne Alternative ist. Wir erklären: unser Ziel bleibt ein Bundesstaat Europa.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU. — Vereinzelter Beifall bei der SPD.)

    Vizekräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Apel.