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ID0600624600

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Metadaten
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    Vokabeln: 9
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    7. Borm,: 1
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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 6. Sitzung Bonn, den 29. Oktober 1969 Inhalt: Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Dr. Barzel (CDU/CSU) 37 A, 67 C von Hassel, Präsident (zur GO) 46 D, 79 B Mischnick (FDP) 47 A Wehner (SPD) 54 D, 68 A Brandt, Bundeskanzler 61 C, 72 A, 93 C Dr. Schmid, Vizepräsident 68 A Rasner (CDU/CSU) (zur GO) 68 B Stücklen (CDU/CSU) 69 B Wehner (SPD) (Erklärung nach § 36 GO) 69 D Dr. h. c. Strauß (CDU/CSU) 69 D, 72 D von Hassel, Präsident 73 A Dr. h. c. Kiesinger (CDU/CSU) 73 B Dorn (FDP) 79 C Wischnewski (SPD) 82 C Scheel, Bundesminister 84 D Freiherr von und zu Guttenberg (CDU/CSU) 91 A Dr. Hallstein (CDU/CSU) 94 B Dr. Schiller, Bundesminister 97 D Dr. Apel (SPD) 104 B Dr. Schmitt-Vockenhausen, Vizepräsident 104 C Ertl, Bundesminister 107 B Junghans (SPD) 109 A Dr. Zimmermann (CDU/CSU) 110 D Schultz (Gau-Bischofsheim) (FDP) 113 C Schmidt, Bundesminister 115 A Mattick (SPD) 117 C Borm (FDP) 119 D Dr. Gradl (CDU/CSU) 121 B Nächste Sitzung 124 D Anlage 125 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 6. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Oktober 1969 37 6. Sitzung Bonn, den 29. Oktober 1969 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Amrehn ** 16. 11. Bergmann * 29. 10. Frau von Bothmer 29. 10. Bremm 29. 10. Dr. Dittrich * 31. 10. Frau Herklotz ** 17. 11. Gottesleben 31. 12. Dr. Jungmann 10. 11. Frau Kalinke ** 17. 11. Lücke (Bensberg) 31. 10. Frau Meermann ** 9. 11. Müller (Aachen-Land) * 30. 10. Petersen ** 17. 11. Pöhler 29. 10. Dr. Preiß 31. 10. Raffert ** 9. 11. Dr. Rinderspacher 14. 11. Schlee 31. 10. Dr. Schmidt (Offenbach) 31. 10. Weigl 31. 10. Dr. Wörner 30. 10. Frau Dr. Wolf ** 20. 11. * Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments ** Für die Teilnahme an einer Tagung der Interparlamentarischen Union
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Kurt Mattick


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muß Sie nun bitten, noch einmal auf den Ausgangspunkt der heutigen Diskussion zurückzukommen, da die Themen etwas durcheinandergekommen sind, was allerdings für die Gesamtdiskussion gar nicht schlecht sein kann. Ich möchte ein paar einleitende Bemerkungen vorweg machen.
    Der Herr Barzel hat heute in seiner Rede wieder davon gesprochen, daß die Sozialdemokraten hier in diesem Hause in den ersten Jahren so viel nein gesagt haben. Ich möchte zwei Dinge dazu sagen, meine verehrten Damen und Herren:
    Erstens. Das erste Nein in diesem Hause kam nicht von der Sozialdemokratischen Partei, sondern kam damals von der CSU zum Grundgesetz.

    (Zuruf von der CDU/CSU.)

    Zweitens möchte ich gerne sagen: In den Fällen, wo die CDU in den ersten Jahren der Bundesrepublik überall ja gesagt hat, wird die Geschichte erst darüber entscheiden, welche Möglichkeiten damals unter Umständen zugeschüttet worden sind, die heute gar nicht sichtbar sind, aber später vielleicht noch einmal ergründet werden können.
    Die zweite Bemerkung, die ich machen möchte: Es wurde hier so viel von der Koalition und davon gesprochen, daß die CDU/CSU eigentlich den ersten Schritt zur Regierungsbildung hätte machen müssen. Meine Damen und Herren, die beiden Parteien, die hier jetzt die Regierung bilden, haben ihren Wahlkampf mit dem gemeinsamen Ziel geführt, die Regierung zu bilden, wenn sie eine Mehrheit erreichen. Insofern ist der Wählerwille in diesem Falle voll zur Geltung gekommen.
    Nun zu der allgemeinen Politik, die hier besprochen worden ist. Meine Damen und Herren, wie sieht denn die Weltlage heute aus? Wir befinden



    Mattick
    uns in dem Zustand — wie es genannt wird — des Gleichgewichts des Schreckens und — möchte ich hinzusetzen — des Gleichgewichts der Ohnmacht, der Ohnmacht der beiden Großmächte und der Blöcke, in der gegenwärtigen Situation mit ihren Machtpositionen irgendwo außerhalb dieser Blöcke gemeinsam für Frieden und Ordnung zu sorgen. Die Feuer, die an anderen Stellen entstehen, sind unbeeinflußbar durch die beiden Großmächte und durch die Blöcke, eben wegen der festgefahrenen Situation des Gleichgewichts des Schreckens. Wir sollten uns darüber im klaren sein, daß dieser Zustand noch sehr lange Zeit dauern kann.
    In dieser Zeit, verehrte Damen und Herren, geht die Politik weiter, und wir müssen versuchen, unter dem Dach dieses Gleichgewichts, unter dem in Europa kein Krieg entsteht, sondern relativer Frieden herrscht, unsere Politik einzurichten. Niemand sollte heute von der Hoffnung ausgehen, daß China oder die Dritte Welt, von der man so gern spricht, uns in absehbarer Zeit dazu verhilft, daß sich diese Dinge wesentlich verändern.
    In dieser Zeit, meine Damen und Herren, wird der Prozeß, mit dem wir es auch in der deutschen Frage zu tun haben, leider weitergehen. Was ist das für ein Prozeß? Sie, die Sie hier jahrelang die Verantwortung getragen haben, und wir gemeinsam haben es nicht verhindern können, daß befreundete Mächte und uns nahestehende Nationen schrittweise Beziehungen mit der DDR entwickelt haben, verhandelt haben, Verträge abgeschlossen haben, Beziehungen auf kulturellem und auf wirtschaftlichem Gebiet begonnen haben. Das einzige, was diese Mächte nicht vollzogen haben, war die völkerrechtliche Anerkennung der DDR. Aber der Staat DDR hat heute mit vielen der uns befreundeten Mächte Verträge auf allen möglichen Gebieten und Beziehungen, die weit über das Anfangsstadium hinausgehen.
    Sie selbst, verehrte Damen und Herren von der CDU/CSU, haben noch einen weiteren Schritt getan. Im Jahre 1972 bei den Olympischen Spielen in München treten die Sportler dieses Staates auf deutschem, auf bundesrepublikanischem Boden auf, und keiner wird dem widersprechen, daß sie mit ihren Fahnen und ihren Emblemen als Vertreter des zweiten deutschen Staates durch die Münchner Straßen ziehen. Das ist doch gemeint, wenn das in dieser Regierungserklärung heute als einfache Realität dargestellt wird, von der aus die Ausgangsposition für die heutige Politik zu suchen ist. Da entsteht dann die Frage: Was tun?
    Ich möchte mit der Erlaubnis des Herrn Präsidenten aus einem Bericht einer fremden Universität außerhalb Europas zitieren, die sich in einem Gespräch „Deutschland zwischen Ost und West" mit unserer Lage beschäftigt hat. Dort heißt es unter anderem:
    Das Schicksal des deutschen Volkes, in einem geteilten Land leben zu müssen, stellt für die politische Analyse ein interessantes geschichtliches Experiment dar. Im östlichen Teil Eures Landes wird der Versuch unternommen, nach
    dem sowjetischen Modell-Bild ein kommunistisches Macht-System aufzubauen. In der Bundesrepublik gelten die Grundsätze der parlamentarischen Demokratie. Beide Systeme stehen sich in einer gesellschaftlichen Konfrontation gegenüber. Es ist das gleiche deutsche Volk hüben und drüben, dieselbe professionelle Qualifikation einer hochentwickelten Industrienation. Wir beobachten die Entwicklung in beiden Teilen Deutschlands, stellen Vergleiche an und ziehen unsere Schlußfolgerungen. Das ist der spezifische Beitrag Deutschlands zum geschichtlichen Wettbewerb der Systeme in unserer Zeit.
    Ich meine, meine Damen und Herren, die heutige Außenpolitik kann nicht besser untermauert werden als mit dem, was der Bundeskanzler als seine wichtigste Aufgabe bezeichnet hat: Reformen in der Innenpolitik zu entwickeln. Denn, wenn die Menschen in Leipzig, Magdeburg und Dresden, aber auch in Warschau und in anderen Städten und Ländern in absehbarer Zeit auf dieses Westeuropa zeigen und sagen können: Dort geht es auf demokratischem Wege auf allen Ebenen besser als bei uns, dann ist das ein Stück Außenpolitik in einer Phase, in der Außen- und Innenpolitik gar nicht getrennt werden können und die Konfrontation im Grunde genommen erst vorbereitet werden muß. Diese Konfrontation der beiden Systeme, von der hier gesprochen wird, ist im letzten Ende erst möglich, wenn Mauern und Stacheldraht aufgestoßen werden. Das scheint mir in dieser Phase die Frage zu sein, vor der wir heute stehen.
    Die Ostpolitik der Bundesregierung ist bemüht, mit anderen Ostblockländern in Beziehungen, in Kontakte zu kommen auf allen Ebenen, die möglich sind, um, wie wir sagen, aufzulockern und deutlich zu machen, daß wir eine Friedenspolitik betreiben, die auch für Osteuropa eine gute Politik sein muß. Wenn dann auch zwischen diesen Völkern und uns Tore aufgestoßen werden und die menschlichen Beziehungen sich erweitern, entsteht die Frage, ob Ulbricht dann auf die Dauer seine Mauer und seinen Stacheldraht aufrechterhalten kann. Das ist die Probe, die noch nicht zu Ende bestanden ist. Wir stehen vor der Frage, ob es eine Politik gibt, die dazu beiträgt. Jetzt, in einer Periode, in der wir nicht davon ausgehen können, daß sich international in absehbarer Zeit Grundlegendes ändert, müssen wir eine solche Politik betreiben.
    Herr Barzel hat über Berlin und die Tagungen in Berlin gesprochen. Ich möchte in diesem Zusammenhang als Berliner zunächst der Bundesregierung Dank sagen für die in der Regierungserklärung gegebene Zusage, mit den Alliierten und mit der Sowjetunion über die Berlin-Frage und über die Verbesserung der Berliner Lage ausgiebig zu verhandeln. Aber Herr Barzel hat mich in der einen Frage persönlich angesprochen, und dazu möchte ich eine Bemerkung machen.
    Ich habe mir einmal ausziehen lassen, wann der Deutsche Bundestag Plenarsitzungen in Berlin abgehalten hat. Das war am 19. und 20. Oktober 1955, am 10. und 11. Oktober 1956, am 15. Oktober 1957 und vom 1. bis 3. Oktober 1958, also zu der Zeit,



    Mattick
    als die CDU/CSU in diesem Hause die absolute Mehrheit hatte. Dann war Schluß. Seit 1958 ist das Parlament nie mehr in Berlin zusammengetreten. Auf unser Drängen haben wir im Jahre 1965 noch einmal einen Versuch gemacht. Damals kamen die Tiefflieger, und seitdem ist es ganz aus.
    Nun meine ich, es ist keine schlechte Idee, einmal zu überlegen, ob diese Art der Sitzungen, wie wir sie jetzt in Berlin durchgeführt haben, noch ein sinnvoller Ausgleich der Versäumnisse der Vergangenheit darstellt.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Darüber kann man reden!)

    Als der Bundeskanzler Kiesinger am 4. März dieses Jahres nach Berlin kam, hat er folgendes gesagt — ich darf das mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren —:
    Die Bundesversammlung findet zum vierten Male in Berlin statt. Sie ist ein Zeichen unserer Verbundenheit mit dieser Stadt. Die Wahl des Bundespräsidenten in Berlin ist ein durchaus friedlicher Vorgang, der niemand stört, niemand bedroht, niemandes Recht verletzt. Trotzdem ist unser Entschluß, die Bundesversammlung in Berlin abzuhalten, Gegenstand heftiger Angriffe, die mit Bedrohungen verbunden sind. Drohungen verfangen bei uns nicht. Aber trotzdem sind wir ohne Preisgabe unseres guten Rechtes auch in Zukunft zu jeder vernünftigen und praktischen Verständigung bereit, die dieser Stadt und ihrer Bevölkerung zugute kommt und dem Frieden dient.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Na und?)

    — Genau dabei sind wir jetzt. Genau das steht in dieser Regierungserklärung in bezug auf Berlin. Genau das hat etwas zu tun mit dieser Aussprache, die wir heute hier führen.
    Eine dritte Bemerkung. Herr Barzel hat mich wegen des Berlin-Bevollmächtigten angesprochen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sage ganz offen — ich weiß nicht, ob ich hier in Übereinstimmung mit meinen Freunden bin —, ich habe diese Position schon vor zehn Jahren als für Berlin nicht mehr angebracht angesehen. Welche Leistungen dann noch aus diesem Haus in bezug auf die Personen kamen, die als besondere Bevollmächtigte beauftragt waren, — das Urteil darüber überlasse ich Ihnen. Wenn heute jemand von der Regierung benannt wird, der seinen Hauptsitz in Berlin hat,

    (Abg. Köppler: Sie sollten zu Herrn Wehner sprechen!)

    dann ist das sicher von der Regierung gedacht als eine Verbindung, die notwendig ist unter anderen Auspizien als denen, unter denen die beiden letzten Herren im Berliner Bundeshaus gewirkt haben.

    (Abg. Köppler: Haben Sie das Herrn Wehner mal gesagt?)

    Und eine letzte Bemerkung möchte ich machen. Herr Barzel hat in seiner Rede der Regierung vorgeworfen, daß sie „hinter dem Rücken der Vertriebenen" Gespräche mit Polen führen würde. Ich
    weiß nicht, was das heißt, meine Damen und Herren: „hinter dem Rücken der Vertriebenen". Diese Bundesregierung steht hier vor diesem Hause, hat hier Rechenschaft abzulegen,

    (Beifall bei den Regierungsparteien)

    und hier sitzen auch die Vertriebenen in allen Fraktionen, die sich damit auseinanderzusetzen haben. Hinter einem Rücken wird überhaupt nichts getan. Die Regierung hat erklärt, daß sie ihre Politik durchsichtiger machen wird, als das bisher der Fall war.
    Aber in diesem Zusammenhang gestatten Sie mir noch eine Erinnerung. Wir kennen zwei Telegramme, im Wortlaut beinahe gleich. Ich möchte dem Hause davon Kenntnis geben. Ein Telegramm des BdV an Helmut Schmidt:
    Der BdV nimmt mit Empörung von der in der Presse mitgeteilten Absicht einer zukünftigen SPD-FDP-Koalition Kenntnis, das Entwicklungsministerium aus politischen Gründen aufrechtzuerhalten, während ein Fortbestehen des Bundesvertriebenenministeriums aus politischen Gründen nicht für erforderlich gehalten wird. Der BdV hat nicht das geringste Verständnis dafür, daß die Interessen anderer Völker höher bewertet werden als die nationalpolitischen Interessen des eigenen Volkes, insbesondere eines Viertels seiner Bevölkerung.
    Ein Telegramm ist unterschrieben von Herrn Rehs und ein ähnlich lautendes von Herrn Edgar Jahn, MdB.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, dazu kann man doch nur sagen: Niedriger hängen und sich nicht viel damit auseinandersetzen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Denn daß die Bundesregierung in ihrer Regierungserklärung heute deutlichgemacht hat, in welchem Sinne sie die Vertriebeneninteressen wahrnehmen wird, sollten auch diese Herren zur Kenntnis nehmen, die solche Telegramme schicken.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Dr. Hermann Schmitt
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Herr Kollege Borm, unser Alterspräsident.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. William Borm


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Zeit ist sehr vorgeschritten; ich weiß es und will Ihre Geduld nicht allzusehr in Anspruch nehmen. Ich werde mich sehr eng an die Erklärung der Regierung halten und will zwei Themen ansprechen: einmal das, was Berlin angeht, und zum anderen einen Punkt, der uns ein Hauptthema in unserer ganzen Politik sein muß: die Sicherung des Friedens.
    Über Berlin steht in der Erklärung der Bundesregierung: Die Bundesregierung wird bei den VierMächte-Besprechungen über Berlin darauf achten, daß der Status Berlins nicht angetastet wird.

    Borm
    Es hieße Eulen nach Athen tragen, wenn wir den Herrn Bundeskanzler darauf aufmerksam machen wollten, daß hier ein zentrales Lebensproblem dieser Stadt angesprochen wird. Ich darf als Berliner aus meiner vollen Überzeugung sagen, daß ich das Schicksal dieser Stadt nirgends besser aufgehoben wüßte als in den Händen des früheren Regierenden Bürgermeisters der Stadt Berlin.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    In der Regierungserklärung steht aber auch noch etwas anderes:
    Die Lebensfähigkeit Berlins werden wir weiterhin sichern. West-Berlin muß die Möglichkeit bekommen, zur Verbesserung der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen der beiden Teile Deutschlands beizutragen.
    Meine Damen und Herren, ich bin gern bereit, diesen Satz sehr ernst zu nehmen und sehr extensiv auszulegen. In diesem Satz kann etwas stehen, was lange Anliegen der Berliner gewesen ist und was nach meiner und der Meinung meiner Freunde viel zu lange verabsäumt worden ist. Darin kann — und ich hoffe, daß es so ist, Herr Bundeskanzler — eine politische Aufgabe der Stadt Berlin eingeschlossen sein. Es kann nicht die Aufgabe der Bundesregierung sein — wie sie es dankenswerterweise tut — das wirtschaftliche Leben durch irgendwelche Zuwendungen zu sichern; es kann auch nicht das alleinige Ziel der Politik sein — sowie es durch unsere Bundesgenossen, unsere Schutzmächte geschieht —, das politische Leben militärisch zu schützen. Es gilt, diese Stadt Berlin entsprechend ihrer geographischen Lage mit ihrer politischen Aufgabe zu erfüllen: ein Bindeglied zwischen Mächten, zwischen Systemen zu sein, deren Zusammenkommen und deren Zusammenarbeit heute kaum abzusehen ist. Wir sollten die geographische Lage Berlins nutzen, indem wir Berlin diese politische Aufgabe übertragen.
    Es wurde noch etwas anderes über Berlin und auch über die Zonenrandgebiete gesagt, daß es nämlich notwendig sei, unter Erhaltung der Priorität Berlins und des Zonenrandgebiets die Stärkung der Leistungskraft ländlicher Gebiete zu sichern. Meine Damen und Herren, ich möchte den Herrn Bundeskanzler nur darauf aufmerksam machen -ich weiß, das ist nicht nötig —, daß es immer ein Brauch dieses Hauses und der Regierungen gewesen ist, auch in den Präferenzen Prioritäten entsprechend der Gefährdung eines Gebiets zu setzen. An erster Stelle hat immer Berlin gestanden, und zwar nicht nur dieser Stadt wegen, sondern einfach deshalb, weil in dicer Stadt die Gefährdung am allergrößten ist. Ich wollte das nur angemerkt haben.
    Es ist vielleicht gut, daß die Debatte heute etwas durcheinandergegangen ist. Ich habe sehr aufmerksam zugehört, als über die militärischen Dinge gesprochen wurde. Herr Kollege Zimmermann hat einen Satz gesagt, der in der Tat wohl die Zustimmung des ganzen Hauses findet. Er hat sinngemäß gesagt: Es wird in der Bundesrepublik nur so viel Freiheit geben, wie Regierung und Bundestag finanziell und moralisch dafür zu zahlen bereit sind. In der Tat, meine Damen und Herren, es kann nur dort Freiheit geben, wo das Volk bereit ist, moralisch für diese Freiheit einzutreten. Es kann auch nur dort Freiheit geben, wo Regierung und Volk bereit sind, dafür zu zahlen.
    Aber — jetzt kommt das grolle Aber, meine Damen und Herren — es fragt sich, wo man zweckmäßigerweise die Mittel gemäß der Wichtigkeit einsetzt.
    Wir haben von den militärischen Vorbereitungen, Verteidigungsmaßnahmen und deren Notwendigkeit gehört. Über die Notwendigkeit dieser Dinge brauchen wir nicht zu reden. Aber es gibt auch Gesichtspunkte nichtmilitärischer Art, die genauso wichtig sind. Es gibt etwas, was den Einsatz militärischer Mittel unnötig macht — und das sollte die Aufgabe jeder Regierung sein —: die Sicherung, die Planung und die Erhaltung des Friedens. Darüber jetzt einige Worte.
    Meine Damen und Herren, wir alle wissen, daß wir heute einen gesicherten Frieden nicht haben. Wir leben bestenfalls in einem Zustand des NichtKrieges. Das Gleichgewicht des Schreckens läßt etwas anderes nicht zu. Aber ich glaube, daß dieses Gleichgewicht des Schreckens nicht ausreicht, daß etwas geschehen muß, um diesen Nicht-Krieg in einen gesicherten Frieden zu verwandeln. Über die Instrumente dazu nachzudenken, z. B. eine eventuelle europäische Sicherheitskonferenz vorzubereiten und durchzuführen, ist Aufgabe der Regierung. Ich freue mich, daß die Regierung da etwas getan hat.
    Aber zu einer Friedensplanung, meine Damen und Herren, gehört der Wille dieses ganzen Hauses, der Wille der Regierung, mehr zu tun. Wir freuen uns, daß in der Regierungserklärung hierüber einiges gesagt ist. Wir sehen in dein, was die Bundesregierung über die Notwendigkeit der Sicherung des Friedens sagt, einen ersten Schritt weg von der Deklaration, die billig ist, zu einer Praxis, die realisiert werden soll.
    In der Tat, der Friede ist kein Teilaspekt der Regierungsarbeit, er ist das zentrale Problem. Er ist ein Problem der Außenpolitik, der Innenpolitik, er ist ein gesellschaftliches, umfassendes Problem. Wie wir uns zum Frieden stellen, wie die Glaubwürdigkeit unseres Friedenswillens bewiesen werden kann, das wird das Angesicht und die Glaubwürdigkeit der deutschen Politik in der Zukunft formen. Es prägt das Gesicht dieser Bundesrepublik.
    Friedensforschung ist nur eines. Friedensplanung, Abrüstung, Rüstungskontrolle, Analyse der Möglichkeiten zur Lösung von Konflikten — alle diese Dinge gehören zusammen. Wir wissen alle — auch das geht wieder ins Militärische hinein -, daß es im militärischen Bereich eine Zentralstelle gibt - nennen Sie es Planungsstab, nennen Sie es Generalstab -, in. der alles zusammenläuft, was zur Verteidigung eines Volkes, zu dessen Wehrhaftmachung notwendig ist. Wir sollten uns ernstlich Gedanken darüber machen, Herr Bundeskanzler, ob es nicht an der Zeit ist, neben den militärischen



    ) Borm
    Planungsstab einen Generalstab des Friedens zu setzen. Der Herr Bundespräsident hat mehrere Male eindringlich auf diese Notwendigkeit hingewiesen, den Frieden zu planen und zu sichern. Wir werden im Laufe der kommenden Zeit einige Fragen an die Regierung zu richten haben, die die löbliche Absicht etwas konkretisieren sollen.
    Wir werden insonderheit fragen, welche Institutionen gefördert werden sollen, um die Friedensforschung und Friedensplanung zu betreiben. Wir werden aber auch die dringende Frage stellen, wo die Nahtstelle zwischen der theoretischen Forschung und der Umsetzung der Ergebnisse dieser Forschung in die politische Praxis sein wird und soll.
    Das ist das, was ich mit dem globalen Begriff Friedensstrategie, Generalstab des Friedens glaubte umreißen zu sollen. Militärische Planung ist das eine; den Einsatz der militärischen Mittel unnötig zu machen, ist der wahre Sinn einer Politik, die dem Wohl und Wehe des Volkes entsprechen soll.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)