Rede von
Josef
Ertl
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Ich habe mich hier nicht mit Thesen auseinandergesetzt, sondern ich habe Ihrer Position und Ihrer Erfahrungen wegen an Ihre Mithilfe appelliert.
Ich appelliere an Sie: Sie können in Brüssel der beste Botschafter für uns sein, wenn Sie uns helfen, bessere Lösungen zu finden. Sie dienen dann Europa.
— Tausend Dank!
Ich möchte hier ein Weiteres sagen. Grundlage unserer Europapolitik kann nicht das sein, was viele in diesem Hause immer als Agrar- oder EWG-Chinesisch bezeichnen. Seien wir doch ehrlich: Wie viele gibt es in diesem Hohen Hause, die überhaupt diesen Wirrwarr von Agrarmarktkonstruktionen kennen?
Wir müssen mit Bitternis feststellen, daß selbst Kabinettsmitglieder immer erschrecken, wenn der Agrarminister dann, wenn er sagt, das müsse so und so gestaltet werden, immer mit einer Vorlesung beginnen muß.
Herr Kollege Stein, Sie brauchen sich nicht zu freuen; das war bei früheren Kanzlern und anderen Ministern um kein Jota besser. Der Bauernverband hat dem jetzigen Kanzler bestätigt, daß er wohlinformiert war. Aber das nur am Rande.
Grundlage unserer Politik, verehrter Herr Kollege Hallstein, muß der EWG-Vertrag — nicht aber eine Agrarmarktordnung — sein, denn jedes Gesetz, ob national oder international, ist kein Dogma, sondern muß gegebenenfalls immer den Notwendigkeiten und Erfordernissen angepaßt werden. Das muß auch für EWG-Agrarmarktordnungen gelten. Die Grundlage unserer Politik ist der Vertrag. Mit der Genehmigung des Herrn Präsidenten möchte ich hier einige Sätze aus dem Vertrag zitieren. In Art. 39 des Vertrages steht unter anderem — ich wäre glücklich, wenn das mehr berücksichtigt worden wäre —:
auf diese Weise der landwirtschaftlichen Bevölkerung, insbesondere durch Erhöhung des Pro-Kopf-Einkommens der in der Landwirtschaft tätigen Personen, eine angemessene Lebenshaltung zu gewährleisten;
weiter heißt es dann:
die besondere Eigenart der landwirtschaftlichen
Tätigkeit, die sich aus dem sozialen Aufbau der
Landwirtschaft und den strukturellen und naturbedingten Unterschieden der verschiedenen landwirtschaftlichen Gebiete ergibt.
Ich will das jetzt gar nicht verlängern, sondern nur auf eines hinweisen. Sie wissen, in diesem Hause haben wir oft um den richtigen Weg gerungen. Ein erfahrener Kollege wie der von mir so sehr hochverehrte Bundeskanzler Erhard - ich bedauere sehr, daß er jetzt nicht da ist — hat mir wiederholt gesagt: Es wäre besser gewesen, man hätte den Weg nach Art. 40 b — Koordinierung nationaler Marktordnungen - beschritten.
Herr Hallstein, das ist Vertragstext. Da kann man doch nicht sagen: Wer hier Revisionen fordert, begibt sich von Europa und vom Vertrag weg. Der Vertrag ist die Ausgangsbasis, und die Marktordnungen müssen den Vertrag berücksichtigen. Ich hätte mir gewünscht, daß die Kommission manchmal vertragstreuer gewesen wäre und nicht so sehr nationaler Egoismus vorherrschend gewesen wäre. Das muß man hier in aller Deutlichkeit sagen. Es stellt sich eben heraus, daß, wenn es keine Wirtschafts- und Währungsunion gibt, der Preis auf die Dauer nicht das alleinige Instrument für die Agrarpolitik sein kann. Das ist eine wirtschaftliche Erkenntnis. Wer dann sagt, wegen Europa darf man das nicht machen, der macht das, was Erhard einmal mit Recht als wirtschaftlichen, aber politisch notwendigen Unsinn bezeichnet hat. Das ist aber keine Politik, die auf die Dauer gut ist.
Es gehört dazu, daß man in der jetzigen Situation feststellt: Dieses ganze Kompositum mixtum, das wir jetzt auf uns zukommen sehen, macht uns keine Freude. Es wäre natürlich die klarere Lösung gewesen, die Grenzabgabe einzuführen, aber um Europas willen haben wir uns zurückgehalten. Das muß doch hier gesagt werden. Wenn die gesamte Gemeinschaft erklärt: „Jetzt, weil ihr einmal aus dem gemeinsamen Topf etwas wollt, gibt es kein communautaires Verhalten", muß es doch selbstverständlich recht und notwendig sein, daß dieses Verursachungsprinzip für alle gilt. Auch Europa kann nur gebaut werden auf der Basis des gleichen Rechtes und der gleichen Pflichten.
Das, verehrter Herr Kollege Hallstein, muß hier ganz eindeutig gesagt werden. Und wenn Sie uns dabei helfen und Sie haben es mir zugesichert —, bin ich überzeugt, werden wir in der EWG zu einer besseren Kooperation kommen und über die EWG hinaus für Gesamteuropa eine Form finden, die auch der Landwirtschaft eine gleiche Lebenschance gibt bei aller Notwendigkeit der Integration in eine moderne Industriegesellschaft.