Ich weiß - und ich stimme Ihnen zu, daß Sie das gesagt haben —, daß es Hindernisse auf diesem Wege gibt, eine Grundsatzentscheidung herbeizuführen.
Einmal ist sie schwierig in der Sache; denn dazu gehört vor allem auf dem Gebiet der Währungspolitik die Zielsetzung für eine gemeinsame Stabilitätspolitik, und das ist kein Honiglecken. Aber ich möchte doch sagen: so schwer diese Entscheidungen sind, sie sind nicht schwerer als die Entscheidungen, die in den letzten 12 Jahren innerhalb der Gemeinschaft zu fällen waren und gefällt worden sind.
Die zweite Schwierigkeit ist, daß einer die Initiative übernehmen muß, und hier bin ich bei meinem zentralen Punkt. Warum eigentlich nicht wir? Ich sehe gar keinen Einwand dagegen. Auf die Bundesregierung richten sich ohnedies aller Augen. Es wird ja zuviel davon gesprochen, wie stark wir wirtschaftlich sind. Vielleicht wäre es klüger, darin etwas leiser zu sein. Alle warten im Grunde darauf, daß eine Initiative von uns kommt. Sie haben Furcht vor unserer Stärke, auch im Westen. Wäre es nicht eine gute Sache, dagegen etwas zu tun im Sinne einer Bekräftigung eines tätigen guten Willens, einer tätigen Bereitschaft zu einer redlichen und rückhaltlosen Eingliederung in eine europäische Gemeinschaft? Ist das nicht ein ausgezeichnetes Mittel, um diese Furcht zu besänftigen? Es steht dabei mehr auf dem Spiel als bloß ökonomische Interessen; denn wie schon gesagt worden ist und wie Sie selbst erwähnt haben, Herr Bundeskanzler, ist diese Gemeinschaft der Kern eines größeren Werks, eines letztlich politischen Werks. Wir wollen nicht nur ökonomisch den Großraum nutzen. Wir wollen den Frieden zwischen den Beteiligten wahren. Die europäischen Gemeinschaften sind die einzige existierende europäische Friedensordnung unserer Zeit, und eine verläßliche.
Wir wollen Sicherheit für Europa durch diese Zusammenfassung. Und wir wollen schließlich eine Teilhabe an der Weltpolitik wiedererlangen, die vielleicht die einzige reale Chance ist, die Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit herbeizuführen.
Nun sagt man, Eile ist geboten, vor allem wegen der englischen Verhandlungen. Ein richtiger Einwurf. Deshalb würde ich sagen: man sollte sich bei den bevorstehenden Entscheidungsgelegenheiten, vor allem beim Gipfel, aber auch bei den Konferenzen, die ihn vorbereiten oder begleiten und umranken werden, auf das Notwendige beschränken und die Einzelausarbeitungen den Organen der Gemeinschaft, die darin geübt sind — Kommission und Rat —, überlassen.
Was gehört zu dieser Grundsatzentscheidung? Zuerst die Festlegung des Ob, des Wann, d. h. der Etappen der Vollendung einer Wirtschafts- und Währungsunion. Das Europäische Parlament hat vor
wenigen Tagen den Vorschlag gemacht, den 1. Januar 1975 als Zieldatum für dieses Werk zu bestimmen. Warum das nicht aufnehmen?
Das zweite ist die Wiederherstellung der organisatorischen Ordnung, die notleidend geworden ist: Wiederherstellung des normalen Verfahrens im Ministerrat. einschließlich der Mehrheitsabstimmung dort; die Wiederherstellung der Stellung der Kommission, die arg angeschlagen ist durch den Unwillen vieler, gerade in der Handelspolitik sie nach dem Vertrage agieren zu lassen; weiter die Verstärkung des Europäischen Parlaments.
Schließlich die Entscheidung über das Verfahren für den Beginn der Verhandlungen.
Das alles sollte zusammengefaßt werden. Ich glaube, es wäre eine gute Sache, wenn die Bundesregierung sich zum Sprecher dieses Gemeinschaftsbedürfnisses machte.
Das, was in der Regierungserklärung gesagt worden ist, ist nur eine Beschreibung der Problematik, und ich bedauere sagen zu müssen, Herr Bundesminister: auch das, was Sie gesagt haben, geht nicht darüber hinaus. Wir vermissen die Aufklärung über die konkrete Aktion in dieser aktuellen und höchst grundsätzlichen Frage. Es geht um eine Art von Zusatzgründung zu dem, was über die Zollunion hinaus geschehen muß. Ich glaube, daß wir ein Anrecht darauf haben, zu wissen, was Sie konkret vorhaben. Die bisherigen Aussagen genügen uns nicht. Ich darf daher die Bundesregierung fragen, ob ein Konzept von der Art, wie ich es eben hier skizziert habe, ihren Vorstellungen entspricht, wenn ja, wie sie es zu verwirklichen gedenkt — durch welche konkreten Aktionen und bei welchen Gelegenheiten —, und wenn nein, welche anderen Vorstellungen sie hat. Ich glaube, daß von der Antwort hierauf nicht nur in Deutschland das Urteil über die Grundeinstellung dieser Regierung zu den Fragen der europäischen Einigung abhängig sein wird.