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ID0600612700

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    Deutscher Bundestag 6. Sitzung Bonn, den 29. Oktober 1969 Inhalt: Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Dr. Barzel (CDU/CSU) 37 A, 67 C von Hassel, Präsident (zur GO) 46 D, 79 B Mischnick (FDP) 47 A Wehner (SPD) 54 D, 68 A Brandt, Bundeskanzler 61 C, 72 A, 93 C Dr. Schmid, Vizepräsident 68 A Rasner (CDU/CSU) (zur GO) 68 B Stücklen (CDU/CSU) 69 B Wehner (SPD) (Erklärung nach § 36 GO) 69 D Dr. h. c. Strauß (CDU/CSU) 69 D, 72 D von Hassel, Präsident 73 A Dr. h. c. Kiesinger (CDU/CSU) 73 B Dorn (FDP) 79 C Wischnewski (SPD) 82 C Scheel, Bundesminister 84 D Freiherr von und zu Guttenberg (CDU/CSU) 91 A Dr. Hallstein (CDU/CSU) 94 B Dr. Schiller, Bundesminister 97 D Dr. Apel (SPD) 104 B Dr. Schmitt-Vockenhausen, Vizepräsident 104 C Ertl, Bundesminister 107 B Junghans (SPD) 109 A Dr. Zimmermann (CDU/CSU) 110 D Schultz (Gau-Bischofsheim) (FDP) 113 C Schmidt, Bundesminister 115 A Mattick (SPD) 117 C Borm (FDP) 119 D Dr. Gradl (CDU/CSU) 121 B Nächste Sitzung 124 D Anlage 125 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 6. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Oktober 1969 37 6. Sitzung Bonn, den 29. Oktober 1969 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Amrehn ** 16. 11. Bergmann * 29. 10. Frau von Bothmer 29. 10. Bremm 29. 10. Dr. Dittrich * 31. 10. Frau Herklotz ** 17. 11. Gottesleben 31. 12. Dr. Jungmann 10. 11. Frau Kalinke ** 17. 11. Lücke (Bensberg) 31. 10. Frau Meermann ** 9. 11. Müller (Aachen-Land) * 30. 10. Petersen ** 17. 11. Pöhler 29. 10. Dr. Preiß 31. 10. Raffert ** 9. 11. Dr. Rinderspacher 14. 11. Schlee 31. 10. Dr. Schmidt (Offenbach) 31. 10. Weigl 31. 10. Dr. Wörner 30. 10. Frau Dr. Wolf ** 20. 11. * Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments ** Für die Teilnahme an einer Tagung der Interparlamentarischen Union
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Walter Scheel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Kollege Gradl, zur Sache habe ich eben alles gesagt, was dazu zu sagen war. Ich möchte Ihnen aber noch mitteilen, daß der auswärtige Dienst von mir bereits gestern die Weisung bekommen hat, was er tun soll.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU: Was denn?)

    — Meine verehrten Kollegen, bei allem Wohlwollen, Sie werden es mir hoffentlich ersparen, die Weisungen, die ich dem Dienst gegeben habe, hier im Bundestag zu verlesen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Mit dem Hinweis darauf, daß ich zur Sache alles das gesagt habe, was nötig ist, habe ich deutlich gemacht, welches die Grundlage der Weisung sein wird.
    Meine Damen und Herren, ich komme jetzt zu dem zweiten Punkt, den Herr Kiesinger berührt hat, nämlich zu der Frage „Europa". Sie haben in der Regierungserklärung eine Stellungnahme zur politischen Einigung Europas vermißt. Ich will sie hier nachholen. Für die Bundesregierung erkläre ich, daß wir wie bisher — wir haben gar nicht geglaubt, daß es nötig ist, das zu sagen — die politische Einigung des ganzen Europas anstreben. Uns geht es um das vereinigte Europa. Aber der Weg dahin ist leider sehr mühsam, und gerade die Phase, in der wir uns augenblicklich befinden, ist eine der schwierigsten, die wir zu durchlaufen haben. Wir sollten uns aber nicht irre machen lassen, sondern bei diesem geradlinigen Weg auf ein einiges Europa hin bleiben. Wir wollen das, die Bundesregierung will das. Sie wird sich auch durch diese Schwierigkeiten in der EWG nicht von ihrem Ziel, dem einigen Europa zu dienen, abbringen lassen; denn die Einigung Europas, soweit sie bis jetzt fortgeschritten ist, ist eine der be-



    Bundesminister Scheel
    deutendsten politischen Leistungen gewesen, die wir überhaupt in der Nachkriegszeit in Europa erlebt haben. Die Europäische Gemeinschaft ist der Kern, von dem aus die Gesamtentwicklung in Europa vorgetragen werden kann. Diese Europäische Gemeinschaft befindet sich aber eben an einem Wendepunkt ihrer Entwicklung, in dem der Erfolg oder der Mißerfolg des weiteren Weges von dem politischen Willen der Mitglieder, der Beteiligten, abhängt. Ich sage „der Beteiligten", um damit deutlich zu machen, daß es auch von jenen abhängt, die beitrittswillig sind und die schon an der Gesamtdiskussion der europäischen Politik mitwirken.
    Die augenblickliche Stagnation, die zu einer Krise ausarten könnte, und zwar sehr bald, hat erkennbar zwei Ursachen, die miteinander in einem Zusammenhang stehen, und zwar ist es einerseits die Tatsache, daß die wichtigsten bisherigen Ergebnisse unserer Politik im Gemeinsamen Markt, nämlich der freie Warenverkehr und die gemeinsame Agrarpolitik, in Gefahr geraten, wenn es nicht gelänge, konkrete und wirksame Fortschritte beim Aufbau der Wirtschaftsunion zu machen. Nur durch eine jetzt aber sichtbare Annäherung der Wirtschafts- und Währungspolitik in der EWG wird es möglich sein, die Fragen einer Neugestaltung der Agrarpolitik sinnvoll zu lösen. Wenn wir die Agrarpolitik nicht neu gestalten und keine neue Vorstellung dafür entwickeln und beschließen können, wird es schwer sein, Vereinbarungen über die finanzielle Zusammenarbeit innerhalb Europas für die Zukunft zu treffen. Wir — die Bundesrepublik — sind bereit, an Fortschritten, die wir brauchen, mitzuwirken und dazu auch selbst konstruktive Beiträge zu liefern. Das ist die eine Seite.
    Die andere Seite ist die, daß die ungelöste Frage der Erweiterung der EWG, vor allem der Beitritt Großbritanniens zur EWG, nun auf der Gemeinschaft und ihrem ganzen Wirken lastet wie ein Bleiklotz. Die bisherigen Meinungsverschiedenheiten in dieser zentralen politischen Frage der Europapolitik haben dazu geführt, daß auch bei den Menschen in Europa langsam das Verständnis für den Sinn dieser ganzen technokratischen Beschlüsse, die in Brüssel gefaßt werden, verloren geht. Dadurch wird das Interesse auch der Öffentlichkeit, das Interesse der jungen Menschen an diesen Dingen, in einer Weise gelähmt, die für den weiteren Weg, den wir in Europa gehen, gefährlich ist.
    Es wird in dieser Lage darauf ankommen, die Stagnation zu überwinden und eine neue Dynamik zu entwickeln. Das kann aber nach unserer festen Überzeugung nur gelingen, wenn wir sowohl beim Ausbau als auch bei der Erweiterung der EWG zu Fortschritten gelangen. Herr Dr. Kiesinger hat darauf hingewiesen, daß man beides mit Energie betreiben muß. Die Bundesregierung fordert keine sofortigen Ergebnisse auf diesen beiden Gebieten. Das kann auch gar nicht sein; dazu ist der Zusammenhang zu komplex, und dazu sind die Einzelfragen zu schwierig. Wir fordern aber die Einigung über einen eindeutig bestimmten neuen Beginn, auf den sich die Beteiligten für die nächste Zukunft einigen müssen.
    Hier möchte ich vor allem etwas über die Frage der Erweiterung sagen, weil hier in den letzten Monaten ganz eindeutig der Kern des Gegensatzes gelegen hat.
    Die Erweiterung hat zwei Aspekte. Der eine Aspekt ist ein politischer. Großbritannien hat in den letzten Jahrzehnten in einer gewissen Distanz zum Kontinent gelebt. Es hat immer eine wichtige Rolle in der europäischen Politik gespielt, ohne daß dabei allerdings eine Nähe zu Kontinentaleuropa spürbar geworden wäre. Heute erleben wir, daß Großbritannien eine Wendung macht, die niemand in der Vergangenheit vermutet hätte, eine Wendung zum Kontinent hin. Dies ist eine einmalige politische Chance, die jetzt, in der Zeit, in der sie besteht, genutzt werden muß. Wenn wir diese politische Chance nicht jetzt nutzen, meine Damen und Herren, dann könnte sie vorübergehen und ungenutzt bleiben, und das könnte am Ende die westliche Welt als Ganzes schwächen, die wir aber durch unsere Politik gestärkt haben wollen.

    (Beifall bei der FDP.)

    Der zweite Aspekt bezieht sich auf die Gemeinschaft selbst. Ich knüpfe damit an das an, was ich am Anfang sagte. Es ist eine politische Tatsache, die durch die Erfahrungen der letzten .Jahre erhärtet ist, daß es uns nicht gelingen wird, eine neue Dynamik im Innern der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu entwickeln, wenn und solange die Frage des Beitritts Großbritanniens und anderer beitrittswilliger Länder ungelöst bleibt. Wir sind der Überzeugung — und ich weiß mich darin einig mit dem größten Teil hier und auch in der europäischen öffentlichen Meinung —, daß Europa England braucht und daß Großbritannien auch Europa braucht. Damit ist aber gesagt, daß Ausbau und Erweiterung der Gemeinschaft tatsächlich miteinander verbunden sind. Das ist kein politisches Junktim in dem Sinne, wie man es manchmal vorträgt, sondern es ist eine tatsächliche Verbindung zwischen diesen beiden politischen Problemen innerhalb der EWG vorhanden. In der Realität ist es eben so, daß Ausbau und Erweiterung sich entweder wechselseitig blockieren, wie das im Augenblick mehr und mehr der Fall ist, oder daß sie sich wechselseitig befruchten, wie es in der Zukunft der Fall sein muß und wie wir es — ich sehe vor mir Herrn Professor Erhard sitzen — in den Diskussionen um die Römischen Verträge wegen der Befruchtung der EWG hier in diesem Hause einstimmig als ein notwendiges Ziel gefordert haben.
    Das ist der Geist, meine Damen und Herren, in dem wir an die Vorbereitung der bevorstehenden europäischen Gipfelkonferenz herangehen werden. Es ist ein konstruktiver Geist. Wir sind zum Fortschritt in der Gemeinschaft ebenso bereit wie zu der praktischen Solidarität, die allerdings auch zur Politik der EWG gehört.
    Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte zum Abschluß dieses Teils der Debatte sagen, daß die Bundesregierung ihre Außenpolitik nach ganz einfachen Maximen ausrichten wird. Sie weiß, daß es keine christliche Außenpolitik gibt, daß es



    Bundesminister Scheel
    keine sozialistische Außenpolitik gibt, daß es keine liberale Außenpolitik gibt. Die Außenpolitik dient den nationalen Interessen unseres Volkes im wohlverstandenen Sinn.

    (Beifall bei den Regierungsparteien und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

    Das wollen wir zur Grundlage unseres Handelns machen. Wir wissen, daß es im wohlverstandenen nationalen Interesse unseres Volkes ist, wenn wir in allem, was wir tun, die Interessen der anderen um uns herum berücksichtigen.
    Meine Damen und Herren, in diesem Ziele wissen wir uns einig mit allen Fraktionen dieses Hauses, und um dieses Ziel zu erreichen, werben wir um die Mitarbeit und bieten wir unsere Mitarbeit in diesem Hause an.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Dr. Richard Jaeger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Abgeordnete Freiherr zu Guttenberg.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Freiherr Karl Theodor von und zu Guttenberg


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte einige Worte zu dem sagen, was Kollege Dorn hier vorhin an die Adresse von Bundeskanzler Kiesinger geäußert hat. Er hat, wenn ich recht verstanden habe, gesagt, das Angebot von Bundeskanzler Kiesinger seinerzeit an die FDP, mit ihr ein Regierungsbündnis einzugehen, widerspreche der Auffassung der CDU/CSU, die sie hinsichtlich des Wahlrechts vertreten habe. Herr Dorn, mir scheint, daß diese Ihre Äußerung an der Wirklichkeit vorbeigeht. Die Wirklichkeit war doch damals die, daß Sie in Verhandlungen mit der SPD eingetreten waren und daher eine Große Koalition — auch aus anderen Gründen — nicht mehr möglich war. Also mußte der Führer jener Partei, die unbestritten die Wahl gewonnen hatte — wenn auch nicht die Regierungsbildung —, selbstverständlich Ihnen ein solches Angebot machen. Daß sich das Wahlrecht nur im Zusammenwirken beider großen Parteien, also nur durch eine Große Koalition ändern läßt, das wissen Sie so gut wie wir. Ich sehe hier keinerlei Widerspruch.
    Sie haben dann gesagt, auch Bundeskanzler Kiesinger habe dem jetzigen Außenminister Scheel damals das Außenministerium angeboten, und dies stehe in einem gewissen Widerspruch zu den Äußerungen, die Bundeskanzler Kiesinger vorher über die Außenpolitik der FDP gemacht habe. Herr Dorn, das, was Sie damit sagen wollen, ist ganz einfach historisch nicht haltbar. Der Bundeskanzler Kiesinger hat damals Ihrer Partei eine Zusammenarbeit in die 70er Jahre hinein angeboten. Er sagte dazu, daß man sich hinsichtlich der Gesellschaftspolitik und der Bildungspolitik sicherlich einig werde. Das gleiche gelte für die Wirtschaftspolitik. Hinsichtlich der Außen- und Deutschlandpolitik sagte damals Kiesinger aber Ihren Leuten: darüber müsse man noch sprechen, um festzustellen, ob man einig werden könne. Dies zur historischen Wahrheit.
    Lassen Sie mich nun ein paar Worte zum Thema Deutschlandpolitik sagen, da ich wie Bundeskanzler
    Kiesinger der Meinung bin, daß das in der Tat die zentrale Problematik dieser Debatte und wohl auch der kommenden Zeit sein wird.
    Zunächst zum Thema: Gibt es zwei deutsche Staaten? Was hier die Herren Kollegen Dorn und Wischnewski und auch der Herr Außenminister zu diesem Thema gesagt haben, hat mich aufs äußerste bestürzt.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Hier wurde nämlich gesagt, daß diese Anerkennung als zweiter deutscher Staat in Wahrheit schon von Bundeskanzler Kiesinger dadurch vollzogen worden sei, daß er einen Brief an Herrn Ministerpräsidenten Stoph geschrieben habe.

    (Bundesminister Scheel: Habe ich nicht gesagt!)

    — Vielleicht wurde das nicht wörtlich so gesagt, aber jedenfalls war dies der Sinn dessen, was gesagt wurde.
    Meine Damen und Herren, wenn heute jemand aus dem Bereich unseres früheren sozialdemokratischen Koalitionspartners erklärt, der damals geschriebene Brief sei eine Vorwegnahme dieser staatlichen Anerkennung, dann müßte ich ja eigentlich annehmen, daß man uns getäuscht hat; denn wir haben doch damals gemeinsam gesagt, daß dies nicht Anerkennung sei. Und wir haben damals auch gemeinsam die Meinung vertreten, daß man sehr wohl miteinander reden könne, ohne denen drüben dadurch den Charakter eines Staates zusprechen zu müssen. Ich mache auch darauf aufmerksam, daß in diesem Brief, den Kiesinger an Stoph geschrieben hat, zu lesen steht, daß diese Bundesregierung — im Brief an Stoph zu lesen! — für ganz Deutschland spreche, solange die Menschen drüben nicht frei ihren Willen bekunden könnten.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Hier ist viel von der notwendigen Kontinuität die Rede gewesen, auch in der Rede von Herrn Scheel. Glauben Sie mir bitte, der ich einer war und bin, der zu dem steht, was wir in den vergangenen drei Jahren gemacht haben, daß ich für diese Kontinuität bin, und daß diese ganze Fraktion der CDU/CSU dies ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Aber das, was wir hinsichtlich dieses zweiten deutschen Staates in der Regierungserklärung gelesen und heute gehört haben, ist nicht Fortentwicklung der Kontinuität, das ist in diesem entscheidenden Punkt — leider, sage ich, leider! — Bruch der Kontinuität.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren, ich sage ein Weiteres. Als ich in dieser Regierungserklärung las, daß es also zwei deutsche Staaten gebe, da habe ich dies als eine dunkle Stunde angesehen, eine dunkle Stunde für dieses Haus, für unser Volk; die Stunde nämlich, in der erstmals eine frei gewählte deutsche Regierung von einem „zweiten deutschen Staat" spricht.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)




    Freiherr von und zu Guttenberg
    Und warum? Aus einem ganz einfachen Grund: Nicht aus irgendwelchen juristischen Überlegungen oder, wie vorhin gesagt wurde, aus irgendwelchen aus einem völkerrechtlichen Seminar abgeleiteten Formeln, sondern aus diesem Grund: Es gibt nur e in en Souverän, der darüber befinden darf, der darüber befinden kann, ob auf deutschem Boden ein oder zwei Staaten bestehen; und dieser Souverän ist das deutsche Volk.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

    Und also sage ich — objektiv —, daß keine deutsche Bundesregierung in dieser Lage das Recht hat, über das deutsche Volk hinweg,

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU)

    über den Kopf der betroffenen Deutschen hinweg einen zweiten deutschen Staat anzuerkennen.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

    Lassen Sie mich für mich und meine Freunde erklären, daß wir — und wir sind nicht ganz, aber beinahe die Hälfte in diesem Hause — unbeirrt weiterhin zu diesem Pseudostaat drüben dies sagen: auch wir wissen, daß dort Macht ausgeübt wird, auch wir wissen, daß es dort ein Territorium gibt, auf dem und über das diese Macht ausgeübt wird; aber wir erklären, daß die Menschen drüben noch nicht befragt worden sind und in freier Abstimmung darüber entschieden haben, oh es zwei deutsche Staaten geben soll. Wenn sie hierüber einmal befragt sein werden, dann soll ihre Erklärung gelten, auch für uns.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich warne in diesem Zusammenhang davor, undeutliche, zweideutige, zweilichtige Begriffe

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    in dieses Gebiet der Deutschlandpolitik einzuführen.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Gewiß, in der Regierungserklärung wird gesagt, man sei gegen völkerrechtliche Anerkennung — was soll der Zusatz heißen? — als Ausland. Gibt es denn andere völkerrechtliche Anerkennung? Aber wir müssen doch sehen, welche Wirkung nach außen ausgestrahlt wird, wenn die deutsche Regierung davon spricht, daß es zwei deutsche Staaten gebe. Zeigen Sie mir den dort in der UNO, irgendwo in Afrika, in Asien, in der Dritten Welt, der zu unterscheiden verstünde zwischen: völkerrechtlich als Ausland nein, staatsrechtlich aber als Staat gleicher Nation ja.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Ich sehe das leider nicht, und ich möchte unseren Außenminister bitten, in jener Anweisung, von der er sprach, so deutlich wie möglich zu machen, was hier deutlich gemacht werden muß, nachdem dieser Satz leider einmal gesagt wurde.
    Meine Damen und Herren, ich warne also vor Begriffsakrobatik in diesen Kernfragen unserer Politik.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Staatsrechtlich ja, völkerrechtlich nein — Staat ja, Ausland nein.
    Und dann kommt noch einer — immerhin der Regierende Bürgermeister von Berlin, Schütz — und sagt, man müsse die Machtstruktur der DDR anerkennen. Meine Damen und Herren, dieser Satz und dieses Wort hat mich ganz besonders bestürzt. Denn was heißt dieses Wort, wenn man seine Elemente zergliedert? Was ist denn „die Machtstruktur drüben" ? Es gibt leider genaue Kriterien dieser Machtstruktur. Ein Kriterium ist die Mauer in Berlin. Ein anderes Kriterium sind die Schüsse, die dort fallen, und ein drittes Kriterium sind Minenfeld und Stacheldraht durch Deutschland. Das sind die Kriterien dieser Machtstruktur.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich unterstelle Herrn Schütz nicht, daß er uns etwa auffordern wollte, dies alles anzuerkennen. Aber ich sage ihm, er soll vorsichtiger mit den Begriffen der deutschen Sprache umgehen!

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Wir sollten uns alle davor hüten, einen Schleier von Worten, einen Nebel von Begriffen um den Kern der Sache entstehen zu lassen. Dieser Kern, meine Damen und Herren, ist seit 20 Jahren der gleiche: die fehlenden Menschenrechte drüben in der Zone und die Verweigerung des Selbstbestimmungsrechts für die Menschen dort.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    In der Regierungserklärung ist ein Satz, der mir sehr gefallen hat, nämlich der Rückblick auf die Verbrechen der Hitler-Clique. Ich meine, wir alle sollten ab und zu einmal einen solchen Satz sagen. Aber wenn wir diesen Satz dort stehen sehen, dann drängt sich eine andere Überlegung auf. Deutschlands Unglück war damals doch dies: daß es radikalen Kräften gelang, die zweite deutsche Demokratie zu zerstören und Deutschland aus dem Lebensbereich der westlich-demokratischen freiheitlichen Welt herauszuführen.
    Meine Damen und Herren, ich sage das nicht ohne aktuellen Bezug. Die Bundesrepublik ist heute dank unser aller Tätigkeit fest in diesem westlich-demokratischen freiheitlichen Verband und Lebensbereich verankert. Ich wage aber, zu sagen, daß diese Anker nur so lange verläßlich bleiben, wie wir alle dafür sorgen, daß die neuerliche Leugnung demokratischfreiheitlicher, rechtsstaatlicher Werte auf deutschem Boden drüben im Bewußtsein aller Deutschen bleibt.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Das aber bedeutet für uns, eine klare und saubere Sprache zu führen, und es bedeutet auch, daß man nicht mit intellektuellen Tricks gegen diesen konsequenten, klaren, harten Willen der Großmacht Sowjetunion angehen kann. Ich leugne nicht, daß ich eine gewisse Bewunderung gegenüber dieser sowjetischen Politik empfinde, die in der Tat für uns nichts zu überlegen und zu zweifeln übrigläßt. Was diese Politik von uns Deutschen will, wissen wir alle; das sagt uns die Sowjetunion sozusagen täglich und deutlich. Wir sollten doch nicht glauben, daß wir mit der Davidsschleuder solcher Begriffsakrobaten gegen diesen Goliath antreten können.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)




    Freiherr von und zu Guttenberg
    Meine Damen und Herren, das ist doch nur Schlaumeierei durch einen solchen David. Oder vielleicht heißt er in diesem Fall Egon; das könnte auch sein.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

    Was wird denn mit solchen Begriffsmanipulationen bezweckt? Ich glaube nicht an die Bereitschaft drüben, sich auf ein solches Spiel einzulassen. Der Katalog dessen, was man in Ostberlin von uns will, ist eindeutig. Ich brauche ihn nicht aufzuzählen. Ich fürchte nur, daß die Forderungen drüben um so höher werden, je mehr Konzessionsbereitschaft hier vermutet wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Zum Thema der Anerkennung durch Dritte hat es hier eine recht bezeichnende Episode gegeben. Nachdem die Regierungserklärung hierüber nichts gesagt hat, sich vielmehr in Schweigen hüllte, und man schon den Eindruck haben konnte, als wünsche die Regierung auf diesem Feld carte blanche für das, was sie für richtig hält, ist hier nun der Außenminister gefragt worden. Er hat vorhin gesagt, er sei bereit, mit uns zu kooperieren; und wir haben erklärt, daß wir bereit sind, diese Regierung zu unterstützen.
    Aber, meine Damen und Herren, dazu gibt es doch eine selbstverständliche Voraussetzung, nämlich die, daß man voneinander weiß, was man will.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Herr Scheel hat hier erst auf bohrende Fragen hin, und dann nur halbe Antworten gegeben.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich frage mich, da ich mich erinnere, was Herr Scheel und seine Partei im Wahlkampf zu dieser Frage gesagt haben, und da ich weiß, was die SPD noch im Mai zu diesem Thema gesagt hat — „unfreundlicher Akt" hat sie damals in der Regierung gesagt — : Ist es etwa so, daß dieses Resthäuflein der FDP Ihnen von der SPD in diesem Punkt seinen Willen aufgezwungen hat? Ich frage mich dies deshalb, weil ich heute nicht mehr von der Regierung höre, daß die Anerkennung der DDR durch Dritte ein unfreundlicher Akt sei.
    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich wegen der beschränkten Zeit nur noch kurz einen dritten Punkt ansprechen.