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ID0600600200

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 6. Sitzung Bonn, den 29. Oktober 1969 Inhalt: Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Dr. Barzel (CDU/CSU) 37 A, 67 C von Hassel, Präsident (zur GO) 46 D, 79 B Mischnick (FDP) 47 A Wehner (SPD) 54 D, 68 A Brandt, Bundeskanzler 61 C, 72 A, 93 C Dr. Schmid, Vizepräsident 68 A Rasner (CDU/CSU) (zur GO) 68 B Stücklen (CDU/CSU) 69 B Wehner (SPD) (Erklärung nach § 36 GO) 69 D Dr. h. c. Strauß (CDU/CSU) 69 D, 72 D von Hassel, Präsident 73 A Dr. h. c. Kiesinger (CDU/CSU) 73 B Dorn (FDP) 79 C Wischnewski (SPD) 82 C Scheel, Bundesminister 84 D Freiherr von und zu Guttenberg (CDU/CSU) 91 A Dr. Hallstein (CDU/CSU) 94 B Dr. Schiller, Bundesminister 97 D Dr. Apel (SPD) 104 B Dr. Schmitt-Vockenhausen, Vizepräsident 104 C Ertl, Bundesminister 107 B Junghans (SPD) 109 A Dr. Zimmermann (CDU/CSU) 110 D Schultz (Gau-Bischofsheim) (FDP) 113 C Schmidt, Bundesminister 115 A Mattick (SPD) 117 C Borm (FDP) 119 D Dr. Gradl (CDU/CSU) 121 B Nächste Sitzung 124 D Anlage 125 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 6. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Oktober 1969 37 6. Sitzung Bonn, den 29. Oktober 1969 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage zum Stenographischen Bericht Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Amrehn ** 16. 11. Bergmann * 29. 10. Frau von Bothmer 29. 10. Bremm 29. 10. Dr. Dittrich * 31. 10. Frau Herklotz ** 17. 11. Gottesleben 31. 12. Dr. Jungmann 10. 11. Frau Kalinke ** 17. 11. Lücke (Bensberg) 31. 10. Frau Meermann ** 9. 11. Müller (Aachen-Land) * 30. 10. Petersen ** 17. 11. Pöhler 29. 10. Dr. Preiß 31. 10. Raffert ** 9. 11. Dr. Rinderspacher 14. 11. Schlee 31. 10. Dr. Schmidt (Offenbach) 31. 10. Weigl 31. 10. Dr. Wörner 30. 10. Frau Dr. Wolf ** 20. 11. * Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments ** Für die Teilnahme an einer Tagung der Interparlamentarischen Union
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Rainer Barzel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wieder in Bonn — nicht in Berlin — beginnt auch der 6. Deutsche Bundestag seine Arbeit. So wird deutlich: das deutsche Volk hat sein unveräußerliches Selbstbestimmungsrecht immer noch nicht verwirklichen können. So wird auch deutlich: wir haben noch viel zu tun — Koalition wie Opposition. Wir bleiben dem deutschen Volk, dem unser erstes Wort gilt, vor Geschichte und Gewissen verantwortlich, die Menschenrechte und deren Anerkennung für alle Deutschen zu erringen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Das ist die Anerkennung, für die wir arbeiten.
    Durch diese Aussage bestätigen wir nicht nur unser politisches Ziel, sondern zugleich den zentralen Maßstab, nach dem die stärkste Fraktion dieses Bundestages politische Fragen beantwortet: für uns ist Fortschritt, wo Menschenrechte und ihre gesellschaftliche Basis mehr zur Alltagswirklichkeit werden. Für uns ist Rückschritt, wo Menschenrechte nicht gelten, wo Strukturen sich etablieren, welche sie unterdrücken oder ihre wirksame Entfaltung hemmen.
    Unser zweites Wort gilt Ihnen, Herr Bundeskanzler, und den Mitgliedern Ihrer Regierung, die, wie wir zuversichtlich hoffen, schließlich doch noch vollzählig zu der ersten Einlassung der Opposition anwesend sein werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Im Interesse unseres ganzen Volkes wünschen wir Ihnen Erfolg und eine glückliche Hand.
    Erlauben Sie mir ein persönliches Wort. Sie haben zwar, Herr Kollege Brandt, zum Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt, nun
    mehr Sorgen als andere. Zugleich beginnen Sie zu einer Zeit besonderer Möglichkeiten und in einer Lage, die Ihnen den Kopf völlig frei läßt für diese neuen Möglichkeiten. Der Schutt der Nachkriegsjahre ist weggeräumt. Die Hektik des Wiederaufbaus ist vorbei. Sie treten Ihr Amt an bei Vollbeschäftigung, stabilem Geld und wohlgeordneten Finanzen.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Lachen bei der SPD.)

    Sie finden auf den Gebieten der Bildungspolitik, der Finanz- und der Wirtschaftspolitik bessere Kompetenzen und ein gerade geschaffenes modernes Instrumentarium vor. Dazu treten die neuen Möglichkeiten des Arbeitsförderungs- und des Berufsausbildungsgesetzes sowie die anderen Reformwerke der Großen Koalition.
    Außenpolitisch bleibt festzuhalten: Frankreich setzt seine Akzente der Europa-Politik näher zu den unseren. Polen zeigt Gesprächsbereitschaft. Die Sowjetunion denkt, so scheint es, neu nach über Mitteleuropa. Die Verantwortlichen in Ost-Berlin beginnen sich von starren Formeln zu lösen. Das weltpolitische Gespräch der beiden Großmächte wendet sich den Raketen-Problemen zu und nimmt damit zugleich — endlich — auch politische Spannungsursachen als Thema auf. Seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland stand kein Bundeskanzler bei seinem Amtsantritt in einer vergleichbaren Situation.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir werden sehen, Herr Bundeskanzler, wie Sie von diesem soliden Fundament aus „den Nutzen des deutschen Volkes mehren''. Wir sind bereit, Ihnen dabei zu helfen.
    Aber auch unsere Politik umgreift die Pflicht, „Schaden vom deutschen Volk zu wenden".

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir werden als Opposition nicht nur dafür sorgen, daß die Koalition hier immer wieder für ihre Politik einstehen und ihre Mehrheit beweisen muß; wir bieten auch in aller Form die Möglichkeit an, in den Lebensfragen der Nation zur Kooperation aller zu kommen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ob das zum Nutzen aller Deutschen erreicht wird,
    liegt ganz wesentlich an Ihnen, Herr Bundeskanzler,



    Dr. Barzel
    nämlich an dem Ausmaß, der Stetigkeit und der Offenheit, mit der Sie uns unterrichten, mit uns sprechen und unsere Meinungen in Ihre Entscheidungen einbeziehen. Dieses Angebot wäre — und ich will hier von Anfang an konkret sein und nichts im Unklaren lassen — in Frage gestellt, wenn Sie z. B. den Atomwaffensperrvertrag unterschrieben, bevor unsere Grolle Anfrage, die bereits vorliegt, hier behandelt worden ist, und zwar mit der dem Gegenstand angemessenen Sorgfalt.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren, es wird auch sehr schwer möglich sein, dieses Angebot wirklich durchzuhalten, wenn Sie etwa, Herr Bundeskanzler, wie — bei Ihrem Start — Zeitungsinterviews den Vorrang vor dem Parlament geben.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Sie haben es mit einer Opposition zu tun, die aus 20 Jahren Regierungsverantwortung weiß, was möglich und was unmöglich ist.

    (Lachen bei der SPD.)

    Diese Erfahrung werden wir als Opposition nicht vergessen.

    (Zurufe von der FDP.)

    — Ich hoffe, Herr Dorn, Sie vergessen auch nichts von den vielen Jahren, in denen wir zusammen in der Regierung saßen.
    Sie haben es mit einer Opposition zu tun, welche zum sechsten Male von den Wählern, denen wir danken, zur stärksten Fraktion dieses Hauses gemacht wurde und in deren Reihen der Mann sitzt, der nach dem Willen von 46,1 % der Wähler wieder Bundeskanzler sein sollte: Kurt Georg Kiesinger.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ihre Koalition, Herr Bundeskanzler, hat eine schmale Basis, und Sie selbst werden das Unbehagen spüren, das viele in unserem Volke erfüllt. Wir fühlen uns nicht als eine abgelöste Wache, die nun schlafen gehen und die Augen zumachen darf; und wir denken weder daran, Reden zum Fenster hinaus oder die leichtere Hand beim Geldausgeben für große Stunden der Opposition zu halten.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ja, für uns ist nicht einmal unvorstellbar, zu sagen: die Regierung hat recht.
    Wir sind als Opposition nicht aus der Verantwortung für unseren Staat entlassen. Wir werden diesen Teil der Verantwortung ebenso ernst nehmen und ebenso gewissenhaft erfüllen wie den anderen Teil, den wir bisher innehatten. Wir halten es für unsere Pflicht, unbequem und kritisch zu sein, Kontroversen und Konflikte sichtbar auszutragen, — auch um politische Entscheidungen für jedermann durchsichtig und verständlich zu machen. Wir halten es für unsere Pflicht, nicht einfach nein zu sagen, sondern Besseres vorzuschlagen. Wir werden der Politik der Koalition gegenüberstellen: a) unsere Auffassung von den objektiven Notwendigkeiten der deutschen Politik, b) die Wahlversprechen der
    Koalitionsparteien und c) die Regierungserklärung der Koalition.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Damit ist klar, wie wir unsere Aufgabe sehen und Ihrer Politik begegnen werden, und jedermann kann sich darauf einrichten.
    Sie haben, Herr Bundeskanzler, sich als kleinlich erwiesen, indem Sie kein Wort fanden für Ihre Vorgänger Ludwig Erhard und Kurt Georg Kiesinger.

    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU.)

    Und es hätte Ihnen, so meine ich, in dieser Lage, in der zum erstenmal ein Sozialdemokrat als Kanzler eine Regierungserklärung abgibt,

    (Zurufe von der FDP)

    wohl angestanden, einen Namen noch zu nennen, ohne den doch die Sozialdemokratische Partei Deutschlands nicht stünde, wo sie ist. Ich meine: Fritz Erle r.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Ah-Rufe von der SPD.)

    — Sehen Sie, wir denken noch an diesen Mann und dessen großen Beitrag für die Demokratie in Deutschland.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Hermsdorf Zurufe von der SPD.)

    — Meine Damen und Herren, daß die erste Unruhe an dieser Stelle kommt, ist ein bemerkenswerter Vorgang. Ich habe von Fritz Erler, lesen Sie die Debatten, immer viel gehalten!

    (Anhaltende Zurufe von der SPD: Heuchelei!)

    Ich sprach davon, daß wir als die stärkste Fraktion von dem ausgehen, was wir für die objektiven Notwendigkeiten der deutschen Politik halten. Welches sind diese objektiven Notwendigkeiten?
    1. Eine nüchterne, nicht an Wünschen, sondern an den gegenwärtigen Tatsachen ausgerichtete Analyse der Lage zwingt, unsere Verteidigungsanstrengungen im Bündnis ungeschmälert fortzusetzen und — auch dadurch — die bleibende Anwesenheit der USA in Mitteleuropa sicherzustellen. Die Bundeswehr selbst bedarf der Reform; sie ist eingeleitet. Von der Basis der gesicherten Freiheit aus muß unsere Friedenspolitik stetig und geduldig fortgeführt werden. Auswärtige Kulturpolitik, Entwicklungshilfe und internationale Gesellschaftspolitik gehören wesentlich dazu.
    2. Durch solide Reformen muß unser freiheitlicher, sozialer Rechtsstaat ausgebaut werden. Wir betrachten ohne Selbstgerechtigkeit das Erreichte als gute Basis für weiteren Fortschritt.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Aus unserer Sicht ist vordringlich: in der Bildungspolitik müssen zügig die neuen Bundeskompetenzen ausgeschöpft werden, also ein Rahmengesetz über die allgemeinen Grundsätze des Hochschulwesens, das Zusammenwirken mit den Ländern in



    Dr. Barzel
    der Bildungsplanung, das Wahrnehmen der Gemeinschaftsaufgaben.
    Wir halten für dringlich eine zweite Stufe des Ausbildungsförderungsgesetzes. Die Ausdehnung der Bundeskompetenz auf die Fachhochschulen muß diskutiert, die Zulassungsbeschränkungen an den Hochschulen müssen rasch abgebaut werden, und der Zugang zur Universität für solche Mitbürger, die ihrer Wehrpflicht genügt haben, sollte unverzüglich erleichtert werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die erfolgreichen Bemühungen der letzten Bundesregierung auf dem Gebiete des technologischen Fortschritts müssen fortgesetzt und ausgebaut werden.
    Die Eigentumspolitik bedarf neuer Akzente, zumal die Tarifpartner die Möglichkeiten, welche der Gesetzgeber geschaffen hat, bisher kaum genutzt haben.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Ein verbessertes Betriebsverfassungsgesetz, die Errichtung von Arbeitnehmerkammern, die Neuordnung des Familienlastenausgleichs — ein Wort, das in der Regierungserklärung fehlt —,

    (Sehr richtig! in der Mitte)

    eine bessere Kriegsopferversorgung und bessere Leistungen für Vertriebene und Flüchtlinge, die Lage der Hausfrau, die Altersversorgung der Selbständigen, die Reform der Krankenversicherung, die Verbesserung der Lage der Krankenhäuser sowie ein vernünftiges Städtebauförderungsgesetz —

    (ironischer Beifall bei der SPD)

    alles das sind gesellschaftspolitische Notwendigkeiten.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Lachen und Zurufe bei der SPD.)

    - Herr Wischnewski, wir werden sehen (anhaltende Zurufe von der SPD)

    hören Sie zu, Herr Kollege —, wer schneller ein besseres, mehrheitsfähiges Städtebauförderungsgesetz vorlegt, diese Koalition oder die Opposition.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Dieser Bundestag sollte die Strafrechtsreform abschließen und die Justizreform weiterführen.
    Die Steuerreform muß nun auf die vollzogenen Reformen der Finanzverfassung und des Haushaltsrechtes folgen.
    Die sektorale und die regionale Strukturpolitik, die eingeleitet sind, müssen fortgesetzt werden. Hierzu gehören auch die Fragen der Förderung des selbständigen und des unselbständigen Mittelstandes, der Landwirtschaft und der freien Berufe. Natürlich gebührt wie bisher der Verkehrspolitik der Vorrang.
    Aber wichtig ist — und darauf komme ich nachher zurück, Herr Bundeskanzler —, daß die mittelfristige Finanzplanung fortgeschrieben wird. Wichtig ist, daß dabei sichtbar wird, daß der investive
    Teil der öffentlichen Ausgaben anwächst. Es muß alles geschehen, um unsere Wirtschaftskraft zu stärken, — zumal andere Nationen uns die Spitzenstellung in Welthandel und Industrieproduktion streitig machen.
    Dies alles erfordert Anstrengungen und eine feste Führung, gestützt auf eine verläßliche Parlamentsmehrheit.
    Das Dritte, meine Damen und Herren! Mit dem Wahlkampf und der Regierungsbildung darf das Gespräch mit der kritischen Jugend nicht zu Ende sein. Wir müssen unseren parlamentarischen Arbeitsplan so einrichten, daß genügend Zeit auch für dieses Gespräch bleibt. Denn der Wahlkampf hat doch gezeigt, daß dieses Gespräch und diese Diskussion zwar strapaziös, aber schließlich für die Demokratie doch lohnend ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Demokratie braucht beides: den Kompromiß, ohne den praktisches Zusammenleben ebensowenig möglich ist wie die schrittweise Verwirklichung großer Konzeptionen, und die Herausforderung durch Positionen des moralischen Rigorismus, — und dies letzte schon deshalb, damit die Kompromisse, unsere eigenen eingeschlossen, nicht immer „fauler" werden. Demokratie braucht feste Prinzipien, aber auch Kompromisse. Sie lebt von der Rücksicht auf den anderen und dessen Meinung, von der Achtung vor dem Gesetz und von der Toleranz aller. Wir wissen, daß viele junge Menschen auf die neue Opposition schauen. Auch ihrer kritischen Vernunft zu entsprechen, wird unser Bemühen sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Nun folgt auf die Zeit der „Großen Koalition" eine Zeit der „Großen Kontroverse". Den verschlossenen Türen des „Kreßbronner Kreises" folgt das öffentliche Ringen um den besten Weg hier im Parlament.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Es ist schade, Herr Kollege Schmidt, daß Sie sich an diesem Abschnitt der deutschen Demokratie nicht vor allem hier beteiligen.
    Viertens. Die Vereinigung des freien Europas ist die Lebens- und Friedensbasis für alle Menschen dieses Kontinents. Der in den Römischen Verträgen konzipierte Weg muß zu Ende gegangen werden. Also darf die deutsche Politik sich nicht in eine Alternative zwischen Ausbau oder Erweiterung der Gemeinschaften zwingen lassen; wir brauchen beides.
    Das bevorstehende Treffen der Regierungschefs, Herr Bundeskanzler, sollte nicht nur die anstehenden Fragen des Ausbaus der Gemeinschaft betreffen und auch nicht nur grünes Licht für die Beitrittsverhandlungen geben und Formen der Zusammenarbeit für die Neutralen finden; diese Konferenz sollte endlich die politische Zusammenarbeit nach festen Regeln beschließen.
    Bundeskanzler Kiesinger hat am 22. August mit uns sein Konzept für diese Konferenz erörtert. Wir



    Dr. Barzel
    haben dem zugestimmt und es, soweit es ging, veröffentlicht. Wir halten daran fest,
    Es muß
    — so heißt es darin —
    ein Anfang gemacht werden auf dem Wege zu einer europäischen politischen Gemeinschaft ... Nur dann wird Europa dem gerecht werden, was die Welt von ihm erwartet: ein Faktor der Stabilität und des Friedens zu sein und den Völkern in Asien, Afrika und Lateinamerika mit seinen wirtschaftlichen Leistungen, seinem Wissen und seinen Erfahrungen auf dem Wege ihrer Entwicklung zu helfen.
    Dies bleibt unsere Politik, meine Damen und Herren!

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Dieses Europa muß offen sein für alle und die Zusammenarbeit wie den Ausgleich mit den Europäern in der Mitte und im Osten unseres Kontinents suchen. Für diese Politik, die Deutschland-Politik eingeschlossen, gelten für uns unverändert diese Festlegungen unserer Haltung fort, und ich will sie hier bezeichnen, damit wir am Schluß dieser Debatte auch wissen, wo Kontinuität gesagt und wo sie noch eingehalten wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren, unsere Haltung liegt in folgenden Dokumenten fest: a) der an Polen gerichtete Aufruf zur Aussöhnung Konrad Adenauers vom 1. September 1959, b) die Friedensnote der Regierung Erhard vom 25. März 1966, c) die Regierungserklärung des Bundeskanzlers Kiesinger vom 13. Dezember 1966, d) der Beschluß der NATO-Konferenz von Reykjavik vom 25. Juni 1968, e) der Bundestagsbeschluß vom 25. September 1968.
    In allen diesen Fragen stimmen wir Henry Kissinger zu, der in seinem jüngsten Buch sagt — ich empfehle, die Stelle genauer nachzulesen; ich kann hier nur einen Satz verlesen —:
    Die Neigung vieler Leute im Westen, mit Änderungen im Ton der Sowjets zufrieden zu sein und Atmosphäre mit Substanz zu verwechseln, war sicherlich den Dingen nicht besonders dienlich.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

    Bei allem Verzicht auf Pathos und auf Sonntagsreden zur deutschen Frage — diesen Verzicht begrüßen wir — bleibt nüchtern festzustellen: auf der Grundlage der andauernden Diskriminierung Deutschlands und der Deutschen wird es mit unserer Zustimmung weder eine europäische noch eine innerdeutsche Lösung oder auch nur Befriedung geben! Auf der Basis der Menschenrechte — auch für alle Deutschen — hingegen, um deren Anerkennung wir kämpfen, läßt sich über alles reden.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir haben in der Debatte vom 15. Dezember 1966 konkrete Punkte bezeichnet, über die mit den Verantwortlichen in Ostberlin durch Gespräch, für das wir sind, Einigung erzielt werden sollte. Diese
    Punkte finden sich in der Regierungserklärung vom 12. April 1967 und in den verschiedenen Verhandlungsangeboten des Bundeskanzlers Kiesinger wieder. Das alles gilt für uns fort.
    Im Interesse der Menschen sollten auch diese Themen behandelt werden, die wir damals noch nicht in unserem Katalog hatten: bessere Telefonverbindungen, leichtere Abfertigung im Paket- und Päckchenversand, Reiseerleichterungen, private Geldüberweisungen, mehr wissenschaftlicher, sportlicher und kultureller Austausch, Absprachen über direkte Hörfunk- und Fernsehübertragungen, Rückführung von Kulturgütern an den Ort der ursprünglichen Aufbewahrung und die gemeinsame Abwehr von Seuchen und Katastrophen.
    Auch in den innerdeutschen Fragen ist für uns nur ein Maßstab gültig, nämlich die Menschenrechte. Sie Stück für Stück zu erreichen, bleibt die Hauptaufgabe der Deutschlandpolitik. Und da dies, wie ich hoffe, ein Feld von Gemeinsamkeit wird oder bleibt, möchte ich an dieser Stelle Herbert Wehner zitieren, der dieser Tage auf „die harte Wirklichkeit mit ihren Schranken" hingewiesen hat. Er hat betont:
    Die Deutschlandpolitiker kennen zu ihrem Mißvergnügen nur die Disziplinen Hürden- und Hindernislauf, von Anfang an und bestimmt noch auf lange Strecken.
    Wenn Sie sehr viel Atem brauchen, Herr Franke, sprechen Sie rechtzeitig mit der Opposition.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren, die stärkste Fraktion betrachtet sich hier nicht nur als Opposition; sie wird auch durch eigene Anträge tätig werden. Deshalb habe ich diese Punkte unseres eigenen Programms bezeichnet.
    Nun zur Kritik der Regierungserklärung; darauf wartet der Bundeskanzler sicher schon lange. Das Programm der Koalition, so meinen wir, bleibt hinter diesen objektiven Notwendigkeiten der deutschen Politik zurück.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die neue Regierung beginnt mit einer Politik der leichten Hand. Ohne eine veränderte Finanzplanung vorzulegen, beschlossen die Koalitionspartner zuerst einmal eine Steuersenkung durch Verdoppelung des Arbeitnehmerfreibetrages. Ohne den sozialen Bezug der Einführung der Ergänzungsabgabe — z. B. den Rentnerkrankenversicherungsbeitrag — wenigstens zu erwähnen,

    (lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    beschloß die Koalition, diese Steuer in zwei Etappen abzubauen.

    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

    Ohne mittelfristige Gewißheit

    (Zurufe von der SPD)

    über die Stärke und die Kosten der andauernden
    militärischen Anwesenheit der USA sowie ohne
    eine größere Zahl tatsächlich vorhandener Berufs-



    Dr. Barzel
    und Zeitsoldaten in der Bundeswehr wird — und dies ist in der Regierungserklärung vage formuliert; vielleicht ist es anders gemeint, aber man kann es auch so auffassen — erst einmal ein kürzerer Wehrdienst als künftige Möglichkeit an die Wand gemalt. Ohne den Beweis für etwa verminderte Bedrohung und ohne Rücksicht auf die militärische Integration der Verbündeten werden die Trägerwaffen in Frage gestellt. Das fehlt freilich in Ihrer Regierungserklärung, aber die Ihnen nahestehende Presse brachte es vorher, die FDP behauptete es vorher. Wer hat nun recht? Was ist mit den Trägerwaffen?

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ohne ein Programm, das den gestiegenen Finanzbedarf für investive Zwecke, für Bildung, Verkehr, Strukturpolitik, Technologie zusammenordnet, ohne den Blick auf die anwachsende Wirtschaftskraft anderer Nationen, welche unsere Stellung im Welthandel in Frage stellt, wurden Haushaltsbelastungen und wurde eine Aufwertung beschlossen, welche nicht nur den Export und damit die Vollbeschäftigung morgen trifft, sondern die Bundesbank und den Bundeshaushalt sofort erheblich belasten. Kaum hatten Sie die Führung, banden Sie sich und damit leider uns allen erhebliche Klötze ans Bein, und das Ausmaß der Klötze ist, wie wir aus Brüssel hören, zur Stunde nicht einmal fixierbar und berechenbar.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    So stütze ich mich nur auf die öffentlichen Aussagen der Regierung: 4 Milliarden DM Aufwertungsverlust, 1,7 Milliarden DM jährlich zusätzliche Agrarsubventionen, 1,4 Milliarden DM jährlich Mindereinnahmen durch die Sofortvorhaben der Koalition. Was kosten die anderen Ankündigungen, wie die Abnahme der Schuldenlast der Deutschen Bundesbank, wie die Flexibilität der Altersgrenze und all die anderen Dinge? Bisher ist Antwort darauf nur Schweigen, meine Damen und Herren. Wir werden schon noch Antworten bekommen, meine Herren von der Bundesregierung.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

    — Dann ist es doch gut! Wenn Sie Rechnungen haben und die hier nicht vortragen, dann muß man das doch als schlechten parlamentarischen Stil bezeichnen, und wenn Sie keine haben, muß man das als leichtfertig bezeichnen. Suchen Sie sich eins von beiden aus, meine Damen und Herren!

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

    Die Steuermehreinnahmen werden auf 3,8 Milliarden DM geschätzt. Aber mehr als das wird gebraucht, und mehr wird verbraucht werden, und das angesichts dieser Konjunktur und angesichts der Priorität, ein modernes Land zu bleiben.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

    Wir fragen Sie, Herr Bundeskanzler, nach Ihren Argumenten für diese Politik. Es hätte Ihnen und
    uns allen besser angestanden, nicht einen fröhlichen Einstand zu geben,

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    sondern die Anstrengungen zu fordern, die unser Land machen muß, wenn es modern bleiben will.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir fragen Sie, auf welche Lagebeurteilung, auf welche Finanzplanung, auf welche Konjunkturverläufe Sie, Herr Bundeskanzler, diese Politik, erst einmal einen auszugeben, gründen wollen.

    (Beifall und Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

    Ich fürchte, diese Politik, die sich zu Beginn so billig
    macht, wird uns am Schluß allen zu teuer kommen.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Hätten Sie es, Herr Bundeskanzler, mit einer leichtfertigen Opposition zu tun, so hätten Sie doch bereits — und Herr Kollege Möller müßte schon darüber rechnen — all die Gesetzentwürfe auf dem Tisch, die in der Luft hängen, die scheinbar populär und zum großen Teil auch notwendig sind: so z. B. die Steigerung aller Kriegsopferrenten, einschließlich einer Abschlagzahlung, eine wesentliche Verbesserung des Kindergeldes, Gesetzentwürfe über bessere Beamtenbesoldung, über die Erhöhung der Kilometergeldpauschale, über die Hausfrauenrente, über die Herabsetzung des Rentenalters, über die Verdoppelung des Betrages von 312 DM in der Eigentumspolitik, über die Aufstockung der landwirtschaftlichen Altershilfe und ähnliche Sachen. Nichts davon ist geschehen. Es blieb der Koalition vorbehalten, die ersten ausgabewirksamen Anträge hier ohne mittelfristige Finanzplanung vorzulegen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wenn Sie sich erinnern, wie Sie selbst — nicht alle von Ihnen, aber die, die 1965 schon hier waren — ziemlich kaltherzig das Haushaltssicherungsgesetz 1965 gegen bessere Einsicht abgelehnt haben, dann werden Sie, glaube ich, zu würdigen wissen, welche verantwortliche Haltung die Opposition hier einnimmt. —
    Bevor ich mich außenpolitischen Fragen zuwende, möchte ich gern einige Merkwürdigkeiten der Regierungserklärung und der Regierungspolitik festhalten, sozusagen eine kurze Folge von Hört-HörtZurufen.
    Herr Bundeskanzler, Sie wollen mehr Demokratie wagen. Das ist gut. Mehr Demokratie wagen heißt aber zunächst, dem Parlament mehr und Konkretes sagen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir haben erstmals einen Berlin-Bevollmächtigten, der nicht in Berlin residiert.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

    Nicht wahr, Herr Kollege Mattick: früher hätte man das — ich erinnere an einen bestimmten Vorgang — Demontage von Bundesadlern genannt.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Der Herr Bundeskanzler hat einen Kanzleiminister. Nun gut. Dieses Parlament freilich, Herr Bun-



    Dr. Barzel
    deskanzler, hat es mit Ihnen zu tun, und auch in den
    Fragen der parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste sind Sie der Adressat des Parlaments.
    Sie haben eine Regierung, die in Wahrheit neue, zusätzliche Stellen für acht Parlamentarische Staatssekretäre braucht, während Sie die Zeitungen mit Ihren Heldentaten des Einsparens von vier Ministern beschäftigen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir haben in der Regierung Minister, deren Taktgefühl es zuließ, Staatssekretäre, die besonders erfolgreiche Berufsbeamte waren, nicht einmal selbst zu verabschieden.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD: Meinen Sie auch Herrn Strauß? — Fragen Sie mal Herrn Lemmer, wie man das macht!)

    Wie man hört, soll die Rechtsstellung der Parlamentarischen Staatssekretäre verändert werden. Ohne Gesetz geht das nicht. Und wenn die Vorhaben, die man in der Presse liest, stimmen, geht es nicht einmal ohne Änderung des Grundgesetzes.
    Sie suchen, meine Damen und Herren, nach Ihrer Regierungserklärung ein Sofortprogramm für die bessere Verbrechensbekämpfung. Nehmen Sie das, was Ernst Benda auf seinem Schreibtisch liegen hatte! Das war nämlich gut.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Interpretieren wir richtig, wenn wir nach der Regierungserklärung in Sachen Krankenversicherung und flexible Altersgrenze Vertagung und in Sachen Hausfrauenrente Wegfall notieren?
    Warum ist die Koalition im Parlament gegen unsere Forderung nach einem besonderen Jugendausschuß, während die Koalition in der Regierung so gute Worte zum Problem fand?
    Sie haben gute Worte zur Sozialarbeit der Kirchen gefunden. Gehe ich nun fehl in der Annahme, Herr Bundeskanzler, daß Sie Ihren Einfluß als Parteivorsitzender auch benutzen werden, daß dies auch in Fragen Jugend- und Sozialhilfegesetz bis in die Kommunalpolitik der Sozialdemokraten hinein durchdringt?

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Angeblich hat die Bundesregierung — ich zitiere — „ein schwieriges wirtschaftspolitisches Erbe übernommen".

    (Lachen bei der CDU/CSU.)

    Wir hoffen für Sie, Herr Bundeskanzler, und für uns alle, daß es nie schwieriger für uns alle und auch für Sie werden wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Es gab ein Problem, aber kein schwieriges Erbe. Und wenn das, was die letzte Regierung hierzu gemacht hat, gar so schlimm gewesen wäre, dann hätten Sie ihr doch nicht bis zum Schluß angehört. Sie haben ihr angehört, also kann es nicht gar so schlimm gewesen sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die Hinweise auf „Konzertierte Aktion" und auf volle Tarifautonomie werden hoffentlich die Erfahrungen mit den wilden Streiks einbeziehen und der Konzertierten Aktion ebenso wie der angenommenen Machbarkeit aller wirtschaftlichen Dinge Grenzen setzen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Das Wort „Familienlastenausgleich" fehlt. Während für die so notwendige Kriegsopferversorgung ein Datum genannt wird — 1. Januar 1970 , wird in Sachen Kindergeld eine ungewisse Terminierung bestimmt. Wir wollen, Herr Bundeskanzler, beides, wie wir das früher hier im Hause zusammen beschlossen hatten, beides zum 1. Januar.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Das Wort „Wiedervereinigung" kommt in der Regierungserklärung nicht vor. Trotzdem gilt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. August 1956 mit dem Wiedervereinigungsgebot und mit diesen Sätzen, die ich zitiere:
    Nach der negativen Seite hin bedeutet das Wiedervereinigungsgebot, daß die staatlichen Organe alle Maßnahmen zu unterlassen haben, die die Wiedervereinigung rechtlich hindern oder faktisch unmöglich machen. Das führt aber zu der Folgerung, daß die Maßnahmen der politischen Organe verfassungsgerichtlich auch darauf geprüft werden können, ob sie mit dem Wiedervereinigungsgebot vereinbar sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Soweit, meine Damen und Herren, meine einzelnen Zurufe.
    Nun zu einigen Punkten des Koalitionsprogramms, die nicht auf dem ökonomischen Gebiet liegen, das im Laufe der Debatte ein anderer von uns einführen wird.
    Erstens. Die Regierungserklärung gibt der Bildungspolitik Vorrang. Wir stimmen dem zu und haben vorher gesagt, was wir selbst konkret vorschlagen. Ihnen, Herr Wissenschaftsminister, geben wir gerne eine gute Chance. Ihr Erfolg liegt in ganz besonderer Weise in unser aller Interesse.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    So bleibt uns nur, der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion unser herzliches Beileid dafür auszusprechen, daß Ihr eigener Vorsitzender Ihnen bescheinigt hat, daß Sie für den wichtigsten Posten dieser Regierung dort, wo die Priorität liegt, kein geeignetes Talent hätten, ich sage: hätten!

    (Heiterkeit und lebhafter Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

    — Ja, ich kenne solche bei Ihnen.

    (Abg. Haase [Kassel] : Wir alle! — Weitere Zurufe und Gegenrufe.)

    Zweitens. Das Wort „Reform" kommt in der Regierungserklärung oft vor. Jede wichtigere Frage wird so bezeichnet. Das kann nicht darüber hinwegtäuschen, Herr Bundeskanzler, daß Ihr Gesamtprogramm — was jetzt kommt, schließt an den Schluß Ihrer gestrigen Rede an in seinem reformerischen



    Dr. Barzel
    Ansatz weit hinter dem zurückbleibt, was in unserer Regierungszeit an Reformen verwirklicht wurde.

    (Beifall bei der CDU/CSU. Widerspruch bei der SPD.)

    — Ich nenne, schon um zu sagen, was wir besonders verteidigen werden, Herr von Dohnanyi: soziale Marktwirtschaft, soziale Partnerschaft, dynamische Rente,

    (Zurufe von der SPD)

    sozialen Wohnungsbau, Familienlastenausgleich

    (Unruhe bei der SPD)

    — jawohl! — und viele andere Dinge. Ja, wollen Sie denn bestreiten, daß wir das gegen Ihre Stimmen angefangen haben? Sollen wir denn die Debatte noch einmal führen? Ich habe das ja alles nachgelesen, meine Damen und Herren.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich füge hinzu — auch das alles nur wegen dieses Schlußabsatzes; sonst hätte es diese Passage gar nicht gegeben —: die europäische Orientierung der deutschen Friedenspolitik, die Aussöhnung mit Frankreich, die Überwindung des Klassendenkens und des Konfessionshaders in unserem Lande. Dies
    i s t ein modernes demokratisches Land, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Herr Bundeskanzler, es würde vieles erleichtern, wenn Sie meine gestrige öffentliche Aufforderung ernst nähmen und ihr entsprächen. Den Satz: „Wir stehen nicht am Ende unserer Demokratie, wir fangen erst richtig an",

    (lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien)

    diesen Satz halten Sie also aufrecht? Meine Damen und Herren von der FDP, waren Sie nicht in diesen zwanzig Jahren an der Demokratie und in der Regierung beteiligt? Oder glauben Sie vielleicht, meine Kollegen von der SPD, wir haben je bestritten, daß Sie auch als Opposition und in der Regierung an der Demokratie dieses Landes mitgewirkt haben? Meine Damen und Herren, dies war bös, was Sie da soeben sich zusammengeklatscht haben.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Müller-Hermann: Das war „graßlich" ! — Zurufe von der SPD.)

    — Ich kann doch nicht fragen, von wem welche Passage stammt, meine Damen und Herren.

    (Zuruf von der SPD: Warum haben Sie das in der Zeitung, nicht vor dem Parlament gesagt?)

    Herr Bundeskanzler! Es waren Männer und Frauen des Widerstandes, welche die CDU/CSU gründeten; es war die CDU/CSU, welche die längste Periode der demokratischen Geschichte unseres Landes als führende Kraft gestaltet hat. Vieles von der Basis, auf der Sie heute stehen, entstand gegen das Nein Ihrer Partei. Diese Erklärung haben Sie provoziert.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/ CSU.)

    Herr Bundeskanzler, ich hatte nicht vor, diese Passage zu haben.

    (Lachen und Oh-Rufe bei der SPD.)

    — Nein! Ich habe gestern öffentlich gesagt: „Der Bundeskanzler soll das in Ordnung bringen, und die Sache ist vom Tisch." Wer hat denn nicht mal einen Lapsus linguae? Jeder hat den mal. Aber dann gab es ja noch den Beifall bei Ihnen, meine Damen und Herren. — Also mir wäre es lieber gewesen, es wäre nicht nötig gewesen. Aber das haben Sie provoziert, Herr Bundeskanzler.
    Drittens. Meine Damen und Herren, ich komme zu dem außenpolitischen Teil der Regierungserklärung, in dem wohl die entscheidende Formulierung auf Seite 40 steht, nämlich von den wenigen „Festlegungen". Der außenpolitische Teil der Regierungserklärung ist mehr durch Weglassen und durch die Kunst der Wortwahl als durch Präzision gekennzeichnet. Die Welt und Ihre Opposition hier im Hause, Herr Bundeskanzler, werden Ihnen nicht erlauben, aus jedem Entweder-Oder ein konfliktfreies Sowohl-Als-auch zu machen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir haben hier Fragen zu stellen; denn wir wollen wissen, wohin die Reise geht. Das Parlament hat Anspruch darauf. Es will ja nicht nur „angehört" werden.
    a) Sie sagen: Kontinuität. Und ich sage das Folgende jetzt alles, Herr Bundeskanzler, in dem Blick auf unser Angebot zur Kooperation. Sie sagen: Kontinuität. Wie wollen Sie Ihre Erklärung von den „zwei Staaten in Deutschland" in Einklang bringen mit der Präambel des Grundgesetzes?

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wie mit Ihrer Forderung nach Selbstbestimmung aller Deutschen? Und wie mit dieser Erklärung, die wir nach der tschechischen Tragödie gemeinsam ausgearbeitet und hier mit allen Stimmen der CDU/ CSU und der SPD gebilligt haben? Und ich kenne keine verbindlichere Form, sein politisches Wort zu geben, als durch Abstimmung im Parlament.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir haben damals gemeinsam beschlossen — ich zitiere nur einen Satz: „Die Anerkennung des anderen Teiles Deutschlands als Ausland oder als zweiter souveräner Staat deutscher Nation kommt nicht in Betracht."

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

    So erklärten am 25. September 1968 einvernehmlich alle Abgeordneten der CDU, der CSU und der SPD; nicht, an dieser Stelle, die FDP.
    b) Aus welchen Gründen, Herr Bundeskanzler, haben Sie Tatsachen geschaffen, welche andere mißdeuten können? Ich nenne die Umbenennung des Ministeriums für gesamtdeutsche Fragen, die Residenz des Berlin-Bevollmächtigten in Bonn und die bisherige — ich bin sehr vorsichtig — Weigerung der Koalitionsfraktionen, unserer Anregung, wie bisher im Januar mit den Fraktionen und Ausschüs-



    Dr. Barzel
    sen des Deutschen Bundestages nach Berlin zu gehen, zu folgen.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

    c) Sie wollen, Herr Bundeskanzler, wie Sie sagen „über ein geregeltes Nebeneinander zu einem Miteinander" in Deutschland kommen.
    Ist damit gemeint, was Sie präziser nicht hier im Hause, sondern vorher in einem Interview mit einer niederländischen Fernsehgesellschaft erklärten, wo Sie sagten — ich zitiere nach dpa, anderes Material stand mir nicht zur Verfügung, aber es sind zwei dpa-Meldungen gleichen Wortlauts , Sie könnten sich „ein Rechtssystem vorstellen, das bis zur endgültigen Lösung der deutschen Frage zu zwei deutschen Staaten innerhalb einer deutschen Nation führe"?

    (Lachen bei der CDU/CSU.)

    Wie begegnen Sie, Herr Bundeskanzler, für den Fall, daß das zutrifft, z. B. dem jüngsten Einwand Professor Ulrich Scheuners, der Bedenken recht gibt — ich zitiere — „gegen Empfehlungen, den bestehenden Riß durch eine formale Konföderationslösung verbergen zu wollen, deren Wirksamkeit in der gegenwärtigen Lage weder vorausgesetzt werden kann noch wirkliche Erleichterungen verspräche"? Soweit das Zitat.
    Rivalität — das ist unsere Meinung — läßt sich nicht konföderieren, und Freiheit kann man mit Diktatur nicht mischen, meine Damen und Herren!

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Kennen Sie, so frage ich weiter, die Studie des Forschungsinstituts für internationale Politik und Wissenschaft, die hierzu zu dem Ergebnis kommt — ich zitiere —:
    ... es ist schwer einzusehen, wie die formelle Einbeziehung dieser beiden antagonistischen Ordnungssysteme in ein loses Vertragsverhältnis ... die bestehenden Gegensätze mindern oder gar beseitigen könnte ... Ein geschichtlicher Rückblick zeigt, daß für eine funktionsfähige Konföderation drei Voraussetzungen erforderlich sind: gesellschaftliche Homogenität, ideologische Kompatibilität und außenpolitische Solidarität. Nicht eine dieser Voraussetzungen ist jedoch im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und der DDR bisher gegeben oder auf absehbare Zeit zu erwarten.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das Gegenteil ist der Fall!)

    d) Herr Bundeskanzler, am 30. Mai 1969 hat die Bundesregierung Kiesinger mit Ihrer Stimme beschlossen — wenn Pressemeldungen stimmen, sogar weitgehend auf Ihren Vorschlag; ich zitiere —:
    Die nationale Einheit wird von der Ostberliner Regierung mißachtet, infolgedessen kann eine Unterstützung dieser Regierung nur als eine Handlung gewertet werden, die dem Recht des deutschen Volkes auf Selbstbestimmung zuwiderläuft. Die Bundesregierung muß daher die Anerkennung der DDR als unfreundlichen Akt betrachten. Sie wird in einem solchen Fall
    ihre Haltung und ihre Maßnahmen gemäß den
    Interessen des ganzen deutschen Volkes von
    den gegebenen Umständen abhängig machen.
    Soweit das Zitat des Kabinettsbeschlusses, dem wir damals hier zugestimmt haben. Ich frage: Gilt das noch?
    e) Wir begrüßen, daß die Bundesregierung auf die Gesprächsbereitschaft Polens eingehen will. Leider haben Sie hier nichts Konkretes über Ihre Vorhaben gesagt. Herr Bundeskanzler, ohne Kooperation mit der Opposition werden Sie in dieser Frage kaum zu einem Erfolg kommen können.
    Wir meinen: Deutsche und Polen wollen, wie dies Bundeskanzler Kiesinger immer wieder gesagt hat, in gesicherten Grenzen leben, die frei vereinbart werden und die Zustimmung beider Völker finden müssen. Gespräche hierüber sind auch vor einem Friedensvertrag sinnvoll. Verbindliche Regelungen bedürfen der Zustimmung des deutschen Volkes. Wir meinen aber, Herr Bundeskanzler: Wer Grenzfragen lösen oder auch nur entschärfen will, muß — außer dem Verzicht auf Gewalt, das ist eine gemeinsame Politik — der Grenze, um die es geht, zunächst etwas von ihrer Totalität nehmen. In der Zeit der Raumfahrt gilt es, anstatt in Formelbüchern des 19. Jahrhunderts zu suchen, Grenzen zu überwinden, sie durchlässig und den Menschen erträglicher zu machen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und Abgeordneten der SPD.)

    Bei Freizügigkeit, bei europäischem Volksgruppenrecht — —

    (Abg. Behrendt: Darüber müssen wir noch verhandeln!)

    — Aber ich habe doch damit angefangen, daß ich sagte: Wir begrüßen, daß Sie auf die Gesprächsbereitschaft Polens eingehen wollen. Meine Damen und Herren, das ist ein so wichtiger Punkt. Hier würde ich wirklich gern fortfahren; denn auch da kommt es nach unserer Meinung auf jedes Wort an. Bei Freizügigkeit

    (Zuruf von der SPD)

    — ich bleibe Ihnen doch keine Antwort schuldig; das ist doch wohl bekannt —, bei europäischem Volksgruppenrecht, bei Abbau aller Diskriminierungen nach Herkunft, Stand, Religion und Meinung überall in Europa erschienen Grenzfragen in einem anderen Licht.
    Nachdem diese Gesprächsbereitschaft Polens vorliegt, wäre die Bundesregierung gut beraten, nicht nur auf gesamteuropäische Initiativen anderer zu reagieren, sondern ihrerseits initiativ zu werden und allen Ländern Europas den Entwurf einer solchen Charta der Freizügigkeit, des Volksgruppenrechts und der Nichtdiskriminierung vorzulegen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir erinnern den Herrn Bundeskanzler an seine gute Erklärung vom 2. Juli 1967; Herrn Kollegen Wehner an sein Wort hierzu vom 28. August 1966; an unsere Festlegungen vom 29. November 1965 und vom 15. Dezember 1966 sowie an die Bundestags-



    Dr. Barzel
    beschlüsse vom 2. Juli 1969. Ich sage das nur, damit wir die Pflöcke kennen, um die es hier geht.
    Eine europäische Sicherheitskonferenz, welche — und nur so ist sie doch für uns sinnvoll — einen Beitrag zur europäischen Friedensordnung leisten will, sollte nicht den staatlichen Status quo, sondern die Sicherheit menschenwürdigen Lebens in den Mittelpunkt stellen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ein europäisches Sicherheitssystem und mehr noch eine europäische Friedensordnung brauchen gemeinsame Normen zur inneren Festigung der europäischen Lage.
    In dem Gespräch mit Polen muß also, wie wir meinen, auch die Lage der einen Million Deutschen, die im Verantwortungsbereich der polnischen Regierung leben, behandelt werden. An diesem Punkt wird — ebenso wie bei den innerdeutschen Problemen — deutlich, daß sich selbst eine neue politische Grenze aufbaut, wer Grenzfragen lösen will, ohne zuerst — oder zumindest zugleich — die Fragen der Menschen gelöst zu haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren, Franzosen und Deutsche haben allen Europäern bewiesen, daß es möglich ist — auch, wie es möglich ist —, durch gemeinsame Arbeit den Blick in die Zukunft zu richten. Auch Deutsche und Dänen haben in den Menschenrechtsfragen Lösungen gefunden.

    (Abg. Köppler: Sehr richtig!)

    Polen und Deutsche könnten aller Welt beweisen, daß durch gemeinsame Regeln für Freizügigkeit, für Volksgruppen und gegen Diskriminierung die Landschaft des Friedens und der einvernehmlichen Regelung aller Fragen entsteht.
    Uns geht es auch hier um die Frage der Menschenrechte. Wenn es das zu besiegeln gilt, fragen wir nicht nach der Farbe der Tinte und der Form eines Unterschriftsformulars. Uns geht es um die Menschenrechte.
    Wer hier weiterkommen will, darf nicht zuerst ein Recht verschenken, der darf nichts hinter dem Rücken der Vertriebenen versuchen,

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    der muß die Tür für europäische Lösungen offenhalten;

    (Zuruf von der SPD)

    der darf sie nicht zuschlagen; der muß anerkennen, daß gerade unsere Vertriebenen und deren oft zu Unrecht gescholtenen Funktionäre diese europäischen Lösungen allen anderen voran suchen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich habe eben zum Thema „europäische Sicherheitskonferenz" eine für uns wesentliche Anregung gegeben. Ich möchte dazu noch ein paar Worte sagen, weil sich die Regierungserklärung dazu ausschwieg und die Regierung eben wissen soli, wie die Opposition denkt, damit sie beurteilen kann, ob Kooperation möglich und gewünscht ist.
    Zu den östlichen Vorschlägen für eine solche Konferenz empfehle ich allen, die nüchtern und realistisch an das Projekt herangehen wollen, eine Studie des amerikanischen Professors Marshall D. Shulman im letzten oder vorletzten Europa-Archiv. Dort ist nachzulesen, die sowjetrussische Regierung ginge davon aus, daß Perioden hoher Spannung den Antikommunismus förderten, während unter den Bedingungen nachlassender internationaler Spannungen der Zeiger des politischen Barometers im Westen nach links wandere.

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)

    Dieses Konzept sei — ich beziehe mich immer noch auf diese Studie — nicht nur außenpolitisch, sondern auch gesellschaftspolitisch gemeint und angelegt. „Ein sondierender Vorstoß zur Ermutigung neutralistischer Tendenzen in der Bundesrepublik" gehöre zu den Vorbereitungen.

    (Zuruf von der SPD: Ist das Ihre Meinung?)

    — Meine Meinung kommt jetzt. Es ist nach wie vor die, welche der Bundeskanzler als Außenminister bei der Tagung des Ministerrats der Westeuropäischen Union am 7. Juni 1969 unterstützt und mit herbeigeführt hat. Ich nehme an, Sie gehen davon weiter aus, Herr Bundeskanzler.
    Dort ist beschlossen worden: keine Vorbedingungen, Teilnahme der USA und Kanadas, sorgfältige Vorbereitung und — ich zitiere —: „Ihre Abhaltung"
    — also die Abhaltung der Konferenz — „ist nur gerechtfertigt, wenn Aussicht ... besteht, ... daß zumindest Fortschritte in der deutschen Frage einschließlich des Berlin-Problems und der Sicherheitsfragen, wie der Truppenstärken auf beiden Seiten, zu erwarten" sind. Dazu stehen wir.
    Meine Damen und Herren, die jüngsten französisch-russischen Beratungen vom Oktober haben das Prinzip einer „gründlichen Vorbereitung" bekräftigt und neben dem Fragenkreis Sicherheit den der Zusammenarbeit betont. Dies ist eine gute Tendenz.
    Zur Vorbereitung auf diese Debatte in einer für uns ungewohnten Rolle habe ich natürlich alte Debatten über Regierungserklärungen nachgelesen. Ich fand dabei aus der ersten Diskussion dieses Hauses am 21. September 1949 einen Satz; ich mache hier keine Mätzchen ich sage gleich, er ist von Kurt Schumacher. Ich glaube nicht, daß er für ewige Zeiten und auch nicht apodiktisch gemeint war und bestimmt auch nicht als Dogma gilt. Aber dieser Satz bleibt, ich glaube, für uns alle, eine stete Herausforderung an die kritische Selbstkontrolle vor allen ostpolitischen Schritten. Der Satz heißt:
    Wir müssen bei dieser Politik auch abrücken von einem Rückfall in die missionarische Illusion der Brückentheorie. Das sind Illusionen, die 1933 aus der Hoffnung entstanden, mit einem totalitären Gegner, der das Ganze will, zu einem Kompromiß zu kommen, das einem die eigene politische Existenz und Selbständigkeit läßt.
    So weit dieses Zitat.



    Dr. Barzel
    Fünftens und für diesen Bereich letztens: Herr Bundeskanzler, Sie haben einige Berichte angekündigt, die überwiegend seit einiger Zeit ohnehin weitgehend kraft Gesetzes in diesem Haus erstattet werden müssen. Sie haben leider vergessen, darauf hinzuweisen, daß die Terminplanung in diesem Hause nicht von der Regierung verordnet, sondern vom Parlament festgelegt wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Hier hätten Sie doch nun klatschen können, Herr Wienand. Sie sind doch nun wirklich ein erfahrener Parlamentarier.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und Zurufe von der SPD.)

    Im Mai wollen Sie also, wie wir gestern gehört haben, hier Bildungspolitik behandeln. Meine Damen und meine Herren von der Bundesregierung und Herr Kollege Leussink, ich darf mit Verlaub sagen: Das wird früher geschehen, nämlich auf Grund von Initiativen der Opposition.

    (Beifall bei der CDU/CSU. Zuruf des Abg. Dorn.)

    — Bitte, Herr Dorn?

    (Abg. Dorn: Sie wollen wohl Ihren Nachholbedarf dokumentieren! Lachen bei der CDU/CSU.)

    — Aber Herr Dorn, nun hören Sie mir einmal gut zu! Sie haben doch ein gutes Gedächtnis. Wer hat sich denn bei der Gesetzgebung über die Finanzverfassungsreform, als es um diese Kompetenzen ging, vor der dritten Lesung im Vermittlungsausschuß zuerst über den zu geringen Grad an Zusammenordnung unbefriedigt gezeigt? Das waren Sie und das waren wir; Ihr Partner war das nicht.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

    Dann ging es in den Vermittlungsausschuß und kam noch etwas geschmälerter wieder. Wir haben es schließlich akzeptiert, damit überhaupt etwas da war.

    (Aha-Rufe bei der SPD.)

    Aber in der Regierungserklärung haben wir von Ihren Forderungen nach einem Bundeskultusministerium usw. nichts mehr gehört, Herr Dorn.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Auf gut deutsch: si tacuisses, verehrter Herr neuer Parlamentarischer Staatssekretär!

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren, ich möchte gern noch eine für uns prinzipielle Bemerkung machen.

    (Abg. Dorn: Das ist dringend notwendig; da haben Sie recht!)

    Wir begrüßen, daß der Bundeskanzler dem innenpolitischen Feld breiten Raum eingeräumt hat. Freilich muß die Debatte auf dem auswärtigen Gebiet noch die notwendigen Klarstellungen bringen. Die richtige Gesellschaftspolitik nämlich entscheidet über die Zukunft der Demokratie. Auf diesem Gefechtsfeld wird der friedliche Kampf zwischen rechter oder linker Diktatur und Freiheit gewonnen oder verloren.
    Ob die politischen Vorgänge für den Bürger durchsichtig und verständlich sind oder ihm fremd und unheimlich erscheinen, ob staatliche, wirtschaftliche und gesellschaftliche Machtapparate Angst einflößen oder ihrer Tätigkeit und inneren Ordnung wegen als berechtigt angesehen werden, ob eine politische Landschaft der Zufriedenheit und des Respekts gegenüber der gesellschaftlichen Wirklichkeit oder die Geneigtheit zu sozialer Explosion entstehen, dies alles wird gesellschaftspolitisch entschieden. Somit ist dies die Basis der Freiheit, die Basis der Außenpolitik und auch des auswärtigen Friedens.
    Meine Damen und Herren, ich füge hinzu: Moderne Politik und die, die sie verantworten, brauchen heute nicht nur ein geschichtliches Bewußtsein, außenpolitische Vorausschau und das rechtzeitige Einrechnen wirtschaftlicher Fakten; ebenso sehr ist es nötig, daß die Verantwortlichen soziale Gesinnung, gesellschaftspolitische Voraussicht und Wissenschaftsverständnis haben.
    Meine Damen und Herren, wir werden als Opposition so arbeiten, wie es diesem Satz Konrad Adenauers entspricht:
    Eine große Partei,
    - so sagt er —
    sie mag heißen wie sie will und sie mag an der Macht sein oder nicht, hat in der Lage des deutschen Volkes nur eine Politik zu befolgen: das Vaterland über die Parteipolitik zu stellen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP. — Lachen und Beifall bei der SPD.)

    — Dies war ein Selbsttor, aber es kam von hinten, Herr Wehner, nicht von vorn in Ihrer Fraktion.
    Das Vaterland über die Parteipolitik zu stellen, dem wissen wir uns verpflichtet. Darauf kann uns jeder ansprechen, jeder im Volk, jeder hier im Hause und auch die neue Bundesregierung!

    (Lebhafter anhaltender Beifall bei der CDU/CSU.)



Rede von Kai-Uwe von Hassel
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren, bevor ich das Wort an den Vorsitzenden der FDP-Fraktion, Herrn Mischnick, weitergebe, darf ich folgendes bemerken. In der Ihnen zugestellten Geschäftsordnung heißt es unter § 39 zur Rededauer, daß ein Sprecher der Fraktion 45 Minuten Redezeit bekommen kann, daß aber der Präsident diese Redezeit entweder auf Antrag oder wenn der Gegenstand oder der Verlauf der Aussprache dies nahelegt, verlängern kann. Ich glaube, das Hohe Haus ist völlig damit einverstanden, daß der Präsident bei der ersten großen Aussprache hier eine solche Ausnahme macht. Er hat in der Zwischenzeit die beiden anderen Fraktionen — in der Reihenfolge der Redner also die FDP und die SPD — davon unterrichtet, daß die Redezeit, die Herr Barzel in Anspruch genommen hat — er hat die normale Redezeit mit einer



Präsident von Hassel
Viertelstunde überschritten —, auch den beiden anderen Fraktionen zugebilligt wird.
Das Wort hat nunmehr der Vorsitzende der FDP-Fraktion, Herr Mischnick.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Wolfgang Mischnick


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zwanzig Jahre nach Bildung der Bundesrepublik Deutschland zeigt sich, im Gegensatz zur Weimarer Republik, daß extreme Störungen bei uns auf radikale Ablehnung stoßen. Mit Befriedigung können wir heute feststellen, daß es dem gemeinsamen Bemühen aller Demokraten in diesem Hause gelang, den Extremisten den Einzug in dieses Parlament zu verwehren. Es zeigte sich wieder einmal mehr, daß der Wille zum Ausbau unserer parlamentarisch-demokratischen Ordnung in unserem Volke wächst.
    Nach unserer Auffassung ist der vollzogene Regierungswechsel nach zwanzigjähriger CDU/CSU-Herrschaft

    (Zuruf von der CDU/CSU: Und der FDP!)

    ein Dienst an der Demokratie. Wir sind froh darüber, daß das möglich war.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    Leider, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist aber der Wechsel zwischen Regierung und Opposition noch keine Selbstverständlichkeit, wie aus dem zahlreichen persönlichen Beleidigtsein bei vielen prominenten Vertretern der CDU/CSU unverhohlen zum Ausdruck kommt.

    (Zurufe von der CDU/CSU. Abg. Dr. Stoltenberg: Meinen Sie das Wort von der Pendler-Partei, oder was?)

    Nachdem mit der Bildung der Großen Koalition 1966 für jedermann deutlich sichtbar wurde, daß die Koalitionsfähigkeit bei jeder der drei Fraktionen dieses Hohen Hauses vorhanden war, mußte natürlich jede Fraktion auch mit der Oppositionsmöglichkeit rechnen, was offensichtlich bei der CDU/CSU damals nicht der Fall war.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    Die neue Koalition, die eine Koalition der Reformbereitschaft und des Fortschrittwillens ist, wird sich nicht beeindrucken lassen - so wie es eben wieder durch den Kollegen Barzel versucht worden ist
    — durch den Hinweis, daß wir eine zahlenmäßig schmale Mehrheit haben.

    (Abg. Köppler: Gegen Zahlen sind Sie allergisch!)

    — Im Gegenteil, bei Zahlen bin ich hellwach. Ich wäre froh, wenn Sie Zahlen immer so genau behalten könnten, wie es notwendig ist.

    (Abg. Dr. Barzel: Das Wort „zahlenmäßig" ist nicht vorgekommen!)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben eine in der bisherigen Geschichte der Bundesrepublik einmalig zügige und trotzdem sachlich gründliche Regierungsbildung erlebt, und das hat
    schon sichtbar werden lassen, daß die gemeinsame Plattform für die Politik der nächsten vier Jahre, für die notwendigen Entscheidungen breiter ist, als es sich im Augenblick stimmenmäßig ausdrückt. Ich darf dabei mit Befriedigung feststellen, daß uns die Offenheit der Gespräche zwischen den Verhandlungspartnern und das beiderseits eingebrachte Vertrauenskapital die Garantie für eine gute menschliche Zusammenarbeit geben, auch wenn es in Sachfragen in diesem oder jenem Punkt zu unterschiedlichen Meinungen kommen wird. Die gegenseitige Achtung und der Respekt vor der eigenständigen politischen Auffassung wird eine loyale Zusammenarbeit gewährleisten, und das scheint uns die entscheidende Voraussetzung zu sein.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Herr Kollege Barzel hat soeben davon gesprochen, er bedauere es, daß der Herr Bundeskanzler kein Wort für die Amtsvorgänger Erhard und Kiesinger gefunden habe. Wenn ich an die Regierungserklärung 1966 denke und wenn ich an die Beurteilung des Amtsvorgängers des Herrn Bundeskanzlers Kiesinger denke, dann muß ich sagen, es wäre besser gewesen, Herr Kollege Barzel, Sie hätten das hier nicht mehr erwähnt. Damals sah das ganz anders aus.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Barzel: Stimmt doch gar nicht!)

    Diese Bundesregierung hat unmittelbar nach ihrem Amtsantritt mit der Aufwertung der D-Mark der deutschen und der internationalen Öffentlichkeit demonstriert, daß sie entschlossen ist, die vom bisherigen Bundeskanzler zu verantwortende konjunkturelle Fahrlässigkeit unverzüglich zu beenden. Das ist geschehen, und die CDU/CSU wäre gut beraten, wenn sie diese Entscheidung der neuen Bundesregierung mit sachlichen Darlegungen, mit sachlicher Kritik begleiten würde, statt hier auf Stimmungsmache zu arbeiten.

    (Zurufe von der CDU/CSU.) Es ist einfach unseriös,


    (erneute Zurufe von der CDU/CSU)

    so zu tun, als würde diese Regierung durch die Aufwertung der deutschen Wirtschaft schwere Nachteile aufbürden, als würde diese Regierung ihr Klötze ans Bein binden.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    Die Opposition sollte doch endlich zur Kenntnis nehmen, daß es uns darum geht, die Milliardenverluste, die durch eine laufende —

    (Abg. Dr. Barzel: Herr Kollege Mischnick, mein Klotz war der Haushaltsklotz! Differenzieren Sie bitte!)

    — Aber entschuldigen Sie, Herr Kollege Barzel, ich werde gleich noch einmal zu dem „Klotz" kommen, keine Sorge!
    Uns geht es darum, die Milliardenverluste, die durch eine laufend steigende Geldentwertung bei den Sparern und Verbrauchern verursacht werden, in Grenzen zu halten. Wenn jetzt Grund zur Kritik



    Mischnick
    vorliegt, Herr Kollege Barzel, dann nur Grund zur Selbstkritik bei Ihnen und sonst niemandem.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Barzel: So selbstgerecht haben wir nie gesprochen, Herr Mischnick! — Weitere Zurufe von der Mitte.)

    — Wenn Sie selbst, Herr Kollege Barzel, diese Kritik nicht verdienen, dann bedaure ich, daß Sie sich damals als Fraktionsvorsitzender gegenüber Ihrer Regierungsmehrheit im Kabinett nicht haben durchsetzen können.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Barzel: Das ist aber ein kleines Karo, mit dem Sie heute anfangen!)

    Wir begrüßen es dankbar, daß bei den Verhandlungen in Brüssel in den letzten Tagen die Bundesminister Ertl und Schiller für unsere Landwirtschaft eine sechswöchige Verschnaufpause erreicht haben,

    (Lachen und Zurufe von der CDU/CSU)

    was in den bisherigen Verhandlungen zu keinem Zeitpunkt möglich war. Das ist bisher ein einmaliges Ergebnis.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Heck: Sehr bescheiden! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Wenn Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU, heute die Schwierigkeiten in der Landwirtschaft kritisieren, müssen Sie sich an die eigene Nase fassen; denn das sind die Folgen der Politik der vergangenen 20 Jahre, die Folgen der Vorleistungen in Brüssel, die in erster Linie Sie vollbracht haben, niemand anders.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir Freien Demokraten gehen davon aus, daß, nachdem die Währungsparität verändert worden ist und hier Voraussetzungen geschaffen worden sind, das Ziel unserer Wirtschaftspolitik, nämlich Stabilität und Wachstum zu gewährleisten, nur erreicht werden kann a) durch das Bremsen von preissteigernder Übernachfrage auf allen Gebieten und b) durch umfassende Maßnahmen zur Steigerung der Produktivität. Beides wird nach unserer Überzeugung hohe Anforderungen an die Flexibilität unserer Wirtschaft stellen. Dabei dürfen wir aber niemals vergessen, daß heute bereits 10 "/o des Kräftebedarfs nicht mehr aus den erwerbstätigen Jahrgängen unseres eigenen Volkes gedeckt werden können. Wir meinen deshalb, daß der alte Vorschlag der Freien Demokraten, Überstundenentgelte von der Lohnsteuer und von Sozialabgaben zu befreien sowie mehr Teilzeitarbeit zu ermöglichen, so lange aktuell bleibt, solange wir einen zusätzlichen Anreiz für Mehrarbeit brauchen. Wir werden deshalb diese Gedanken wie bisher weiter verfolgen.
    Unser Ziel ist es, die marktwirtschaftliche Ordnung zu festigen auf der Grundlage eines hohen Beschäftigungsgrades, die Stabilität der Währung zu sichern und ein stetiges volkswirtschaftliches Wachstum zu gewährleisten. Dabei gehen wir davon aus, daß sich staatliche Regelungen immer auf die Erhaltung und den Ausbau der Wettbewerbsvoraussetzungen in allen Bereichen unserer Volkswirtschaft konzentrieren.
    Der Kollege Barzel hat mit einigen Bemerkungen den Eindruck erweckt, als wäre das, was sich diese Koalition vorgenommen hat, eine Gefährdung unserer Finanzpolitik. Wenn ich nur einmal ganz kurz überdenke, was er selbst als „Notwendigkeiten" genannt hat, so muß ich sagen: ich habe feststellen können, daß im Grundsatz in weiten Bereichen durchaus Übereinstimmung besteht und in der Regierungserklärung dazu durchaus konkret Stellung genommen worden ist, soweit das heute schon möglich ist.
    Die Finanzpolitik soll nach unserer Meinung einer freien Gesellschaftsordnung entsprechen und soziale Gerechtigkeit gewährleisten. Das bedeutet, daß Regierung und Bundestag vorn Staatsbürger nicht mehr an Steuern und Abgaben verlangen dürfen, als zur Erfüllung dieser Aufgaben unbedingt notwendig ist. Wir begrüßen die Feststellung der Bundesregierung, daß die Steuerlastquote, insgesamt gesehen, nicht erhöht werden soll. Das Finanz- und Steuersystem muß nach unserer Überzeugung noch mehr als bisher die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse in der gesamten Bundesrepublik gewährleisten. Deshalb meinen wir, daß die Weiterführung der Finanzreform und der Steuerreform diesem Ziele dienen und eine sinnvolle Neuordnung der Aufgaben und der Ausgaben aller Gebietskörperschaften herbeiführen muß. Hier muß das, was in der letzten Legislaturperiode als Ansätze sichtbar wurde, weitergeführt werden, damit unser föderatives System in sich leistungsfähiger werden kann, als es bisher der Fall war.
    Die Fraktion der Freien Demokraten hat mit Befriedigung davon Kenntnis genommen, daß die Bundesregierung die längst fällige Steuerreform mit aller Energie anpacken will. Sie begrüßt es — das möchte ich hier mit aller Deutlichkeit feststellen , daß die Bundesregierung weder den Leistungswillen noch die Investitionsbereitschaft der Wirtschaft durch konfiskatorische Steuern beschränken will. Im Interesse der Sicherheit der Arbeitsplätze und einer gerechten sozialen Weiterentwicklung dart deshalb die Steuerbelastung, wie angekündigt, nicht höher werden. Wir gehen allerdings davon aus, daß mit der Steuerreform auch endlich das Steuerdickicht zugunsten einer größeren Steuergerechtigkeit gründlich durchforstet wird. Es muß aufhören, daß jedermann einen Steuerberater braucht, um überhaupt seine Möglichkeiten voll nutzen zu können.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    Wir unterstützen die Vorschläge, vorab den Arbeitnehmerfreibetrag zu verdoppeln und die unserer Meinung nach ungerechtfertigte Ergänzungsabgabe innerhalb eines Jahres völlig zu beseitigen. Damit würde eine mehrjährige Forderung der Freien Demokraten erfüllt.

    (Abg. Dr. Stoltenberg: „Völlig" steht da gar nicht!)




    Mischnick
    — Entschuldigung, es ist beabsichtigt, daß sie zunächst einmal ab 1. Januar 1970 vermindert und daß sie ab 1971 ganz verschwinden soll.
    Wir lassen aber keinen Zweifel daran, daß im Zuge der Steuerreform keine zusätzlichen Belastungen insbesondere der lohnintensiven Wirtschaft kommen dürfen. Wir werden uns nicht nur mit aller Energie gegen etwaige, früher leider sehr verbreitete Überlegungen wenden, die Lohnsummensteuer obligatorisch einzuführen, sondern wir werden darüber hinaus bemüht bleiben, einen gemeinsamen Weg zu finden, um Steuerarten abzubauen, die sich wettbewerbsverzerrend innerhalb der EWG auswirken, weil sie nur bei uns in der Bundesrepublik vorhanden sind.

    (Zuruf des Abg. Haase [Kassel].)

    Ich denke dabei an die Diskussion um die Lohnsummen- und Gewerbesteuer, selbstverständlich unter dem Gesichtspunkt, daß ein Ausgleich bei den Gemeinden dafür erfolgen muß.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Das kann aber nur, Herr Kollege, im Zuge der Harmonisierung der Steuern in der EWG geschehen. Wir sind der Meinung, daß nicht nur der Agrarmarkt, sondern darüber hinaus die gesamte Wirtschafts- und Steuerpolitik in der EWG harmonisiert werden soll. In diesen Rahmen gehört es hinein.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Nichts Neues!)

    — Herr Kollege, wenn Sie sagen „Nichts Neues": zwanzig Jahre, darauf sind Sie doch so stolz, Sie hätten mindestens zehn Jahre intensiver daran arbeiten können. Das ist ja leider bisher nicht geschehen.

    (Beifall bei der FDP. — Abg. Lemmrich: Sie übersehen anscheinend, daß viele Jahre die FDP den Finanzminister stellte!)

    Wir wollen eine moderne, in die Zukunft weisende Gesellschaftspolitik unterstützen, die ohne dogmatische oder ideologische Scheuklappen die Probleme der heutigen Industriegesellschaft zu lösen versucht. Eine sinnvolle Weiterentwicklung unserer sozialen Gesetzgebung muß nicht automatisch zu einer schematischen Ausweitung staatlicher Einflußnahme oder gar zu unnötigen Bevormundungen durch den Staat führen. Die Möglichkeit der freien Wahl bestimmter sozialer Sicherungsarten braucht nicht den Gedanken der Solidargemeinschaft zu gefährden, wenn man Ausmaß und Umfang der sozialen Sicherung in stärkerem Maße als bisher der Entscheidung des einzelnen überläßt.
    Für uns ist auch die gesamte Eigentumspolitik — nicht erst seit heute, sondern schon über ein Jahrzehnt lang — eine gesellschaftspolitisch wie wirtschaftspolitisch besonders wichtige Aufgabe. Die bekannten Förderungsmöglichkeiten sind bereits in der Regierungserklärung angesprochen worden; sie können in den verschiedensten Formen ausgebaut und verbessert werden. Die Freien Demokraten werden aber auch darauf achten, daß der Möglichkeit breitgestreuter Eigentumsbildung am Wirtschaftsvermögen insgesamt die größte Aufmerksamkeit gewidmet wird. Dabei geht es nicht — um allen unsinnigen Gerüchten vorzubeugen und um allen böswilligen Interpreten gleich von vornherein den Stempel der Unglaubwürdigkeit aufzudrücken — um eine verbrämte Enteignung von Eigentum. Wer solche Auslegungen verbreitet, vergiftet bewußt die Atmosphäre für die Diskussion, die wir brauchen, um zu einer sinnvolleren Verteilung von Vermögen und Eigentum zu kommen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren, was bereits in großen Betrieben jahrelang zur Selbstverständlichkeit gehört, nämlich die Möglichkeit der Mitarbeiter, Miteigentum zu erwerben, sollte in Zukunft für alle Interessierten — Arbeiter, Angestellte, Beamte und Selbständige — möglich gemacht und mehr als bisher auch vom Staat gefördert werden. Maßstab bei all diesen Überlegungen muß aber sein, die Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft nicht zu gefährden und die Arbeitsplätze zu sichern.
    Meine Damen und Herren, es wäre verführerisch, in der Stellungnahme zur Regierungserklärung zu allen Sachbereichen einiges zu sagen. Wir werden nachher und morgen noch Gelegenheit haben, bestimmte Sachfragen im Detail zu diskutieren. Ich erspare es mir deshalb, hier den gesamten Bereich der vor uns liegenden Aufgaben auch nur partiell zu behandeln.
    Ich halte es aber für notwendig, auf einen Tatbestand hinzuweisen. Wir konnten mit besonderer Genugtuung feststellen, daß die Angestellten nunmehr endlich mit den Arbeitern gleichgestellt werden sollen. Die jahrelange Forderung der FDP, allen Angestellten, deren Einkommen oberhalb der Versicherungsgrenze liegt, auch den Arbeitgeberbeitrag zu zahlen, soll endlich erfüllt werden. Wir haben nie verstanden, warum entsprechende Vorschläge in der Vergangenheit in diesem Hause nicht die Mehrheit gefunden haben. Mit der Erfüllung dieser Forderung wird ein wesentlicher Schritt getan, um ungerechtfertigte Benachteiligungen der Angestellten zu beseitigen.
    Die vorgesehene Dynamisierung der Krankenversicherungspflichtgrenze für Angestellte darf aber nach unserer Überzeugung nicht dazu führen, daß die Entscheidungsfreiheit, ob der einzelne in der gesetzlichen Krankenversicherung bleiben will oder ob er sich privat -weiterversichern will, eingeschränkt wird. Beim Übergang muß ihm diese Entscheidungsfreiheit belassen werden. Wir werden auch in Zukunft den größten Wert darauf legen, daß erweiterte Schutzmöglichkeiten für Arbeiter und Angestellte immer mit der Möglichkeit verbunden werden, über Ausmaß und Umfang selbst mitentscheiden zu können.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben in der letzten Regierungserklärung aus dem Jahre 1966 und auch wieder in dieser Regierungserklärung eine Reihe von Passagen gefunden, die sich mit der Kriegsfolgengesetzgebung befassen. Wir Freien Demokraten begrüßen die Absicht der Bundesregierung, auch die Kriegsfolgeleistungen — ich denke an die Kriegsopferrenten und an die Renten



    Mischnick
    für Flüchtlinge und Vertriebene — in Zukunft regelmäßig jährlich anzupassen. Auch hier geht es darum, eine Benachteiligung zu beseitigen. Wir hoffen, daß die erneute Ankündigung, daß man auch im Kriegsfolgenbereich endlich zu Abschlußgesetzen kommen will, verwirklicht werden kann. Wir wissen, daß es 20 Jahre nach Kriegsende höchste Zeit wird, daß es notwendig ist, Ungerechtigkeiten, ungerechte Behandlungen der verschiedenen Gruppen, die die Kriegsfolgen besonders zu tragen haben — ich denke hier insbesondere an die sozialpolitisch und rechtlich ungerechtfertigten Unterscheidungen und Benachteiligungen bei politischen Häftlingen und bei Flüchtlingen aus dem Bereich der DDR —, endlich zu beseitigen.
    Der Herr Kollege Barzel hat darauf hingewiesen, daß ihm der Termin, im Mai über die Bildungspolitik zu sprechen, etwas zu fern sei. Ich kann nur sagen: Wir freuen uns darüber, daß die Fraktion dieses Hauses, die sich mit am meisten dagegen gesträubt hat, Fragen der Hochschul- und Bildungspolitik überhaupt in diesem Hause zu diskutieren,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt doch gar nicht! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    in den letzten zwei Jahren einen erfreulichen Wandel durchgemacht hat.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Lassen Sie mich ausreden! — Ich kann mich noch entsinnen, als wir Freien Demokraten in diesem Hohen Hause diese Fragen ansprachen, kam der Hauptwiderstand aus den Reihen der CDU/CSU.

    (Abg. Köppler: Und jetzt? Wo ist er denn jetzt, Herr Mischnick?)

    — Ich komme noch dazu, keine Sorge. — Erst jetzt sind wir so weit, daß wir endlich die Fragen der Bildungspolitik als eine gemeinsame Aufgabe ansehen. Die Freien Demokraten streben mit Unterstützung dieser Bundesregierung eine Gesellschaftsordnung an, in der jeder die seiner Begabung und seiner Leistung entsprechende wirtschaftliche und soziale Stellung einnehmen kann. Das ist nach unserer Überzeugung nur durch eine entsprechende Bildungspolitik möglich. Deshalb werden wir alle Versuche unterstützen, die jetzt vorhandenen Zuständigkeiten des Bundes voll auszunutzen. Wir lassen keinen Zweifel daran, daß wir gern eine Ausweitung sehen würden. Das wird aber nur möglich sein, wenn in diesem Hohen Hause eine entsprechende Zweidrittelmehrheit zustande kommt. Hier wird es an der Opposition liegen, ob sie in diesen Fragen, auch ohne Regierungsbeteiligung,

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    wenn sie akut werden, mit der Regierungsmehrheit zusammenarbeiten will.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Barzel: Erst einmal müßt ihr mit uns reden!)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, die wichtigste Aufgabe eines modernen Bildungswesens
    in einem demokratischen Staat ist für uns die Sicherung von Geistesfreiheit und Toleranz durch die Heranbildung freier, selbstverantwortlicher und kritischer Bürger, die zur Zusammenarbeit mit anderen nicht nur willens, sondern auch in der Lage sind. Wirksame politische Bildung kann unserer Auffassung nach nicht ausschließlich Aufgabe eines bestimmten Unterrichtsfaches in der Schule sein. Die Vermittlung und Einübung sozialer und demokratischer Tugenden, die Erziehung zum kritischen Denken, zur politischen Urteilsfähigkeit muß im gesamten Unterricht und in einem eigenen Verantwortungsfeld der Schüler geleistet werden. Dazu bedarf es demokratischer Arbeitsformen in einer offenen Gestaltung der Schule und der Unterrichtsprozesse unter verantwortlicher Mitwirkung auch der Schüler. Nur so wird die politische Bildung mehr sein als ein bloßes Instrumentarium für bestimmte Stunden, mehr sein als Institutionenkunde oder ein wirkungsloses Sandkastenspiel.
    Wir meinen, daß wir uns zur Sicherung der Freiheit von Forschung und Lehre und des Studiums um eine kritische Überprüfung der deutschen Hochschultradition und um eine geschlossene Fortentwicklung im Hinblick auf den einzelnen und seine Aufgaben in der modernen Gesellschaft bemühen müssen. Ziel der FDP ist es, eine innere Reform des gesamten Hochschulwesens in Forschung, Lehre, Studium und Selbstverwaltung herbeizuführen, die die Hochschulen in die Lage versetzt, allen für eine Hochschulausbildung geeigneten Menschen in angemessener Zeit einen Studienabschluß zu ermöglichen.
    In eine Hochschulreform müssen unserer Auffassung nach die Bildungsangebote der heutigen höheren Fachschulen, der Fachhochschulen und der wissenschaftlichen Hochschulen einbezogen sein. Es muß ein Ganzes sein. Es darf nicht mehr auseinanderstreben, wie es bisher leider meistens noch der Fall ist. Dadurch kann ein System aufeinander aufbauender Studiengänge und abgestufter Studienabschlüsse erreicht werden, die den verschiedensten Anforderungen von Verwaltung und Wirtschaft, Forschung und Lehre gerecht werden. Wir meinen, Numerus clausus und starre Befristung der Immatrikulation können nicht Mittel der Hochschulpolitik sein. Wir lehnen sie ab.
    Wir meinen auch, daß das Bildungswesen, wenn winden Anschluß an die technische Entwicklung halten wollen, nicht in Formen der Tradition erstarren darf. Das Bildungssystem muß sich auch selbst als Gegenstand der Forschung verstehen und durch Bildungsforschung die Grundlagen der Bildungsplanung und Bildungspolitik mitgestalten.
    Der Bund hat die Aufgabe — und hier kann er selbst tätig werden —, in den Forschungseinrichtungen, die von ihm voll finanziert werden, unverzüglich mit gutem Beispiel beim Abbau hierarchischer Strukturen voranzugehen und ein Kollegialsystem einzuführen, das allen Wissenschaftlern volle Mitwirkungsrechte und Mitverantwortung sichert. Mit dieser Maßnahme könnte die Bundesregierung für die Hochschulpolitik ein Exempel des Fortschritts



    Mischnick
    statuieren, das für alle übrigen wissenschaftlichen Bereiche ein Vorbild sein kann.

    (Beifall bei der FDP.)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch die internationale Arbeitsteilung in diesem wissenschaftlichen Bereich muß zum Gegenstand der deutschen Forschungspolitik gemacht werden.
    In allen Ausbildungsbereichen und auf allen Qualifikationsstufen müssen künftig nach unserer Auffassung einmal erworbene Kenntnisse und Qualifikationen im ständigen Wechsel von Ausbildungs- und Berufsphasen immer wieder überprüft, erneuert und ergänzt werden. Dazu ist es allerdings notwendig, alle Formen der Erwachsenenbildung einschließlich Fern- und Funkunterricht entsprechend auszubauen und Methoden zu finden, um die Freistellung vom Beruf für diese Weiterentwicklung zu ermöglichen. Wir legen gerade auf dieses Gebiet besonderes Gewicht. Wir meinen, daß es unsere Aufgabe sein muß, hier in den nächsten vier Jahren Akzente zu setzen. Denn wenn wir die Fragen der Bildungspolitik als den wesentlichen Teil der Gesellschaftspolitik nicht lösen, wird es uns auch nicht möglich sein, die notwendigen Reformen der 70er Jahre auf Dauer durchzuhalten.

    (Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auch noch ein paar Sätze zur Frage der Mitbestimmung sagen. Wir haben nie verheimlicht, daß hier zwischen den Koalitionspartnern in bestimmten Punkten unterschiedliche Auffasungen bestehen. Wir sind bereit, das offen zu sagen. Tiefgreifende Änderungen vollziehen sich nicht nur in den Berufen und ihren Anforderungen an jeden einzelnen. In einer immer stärker vom Wandel geprägten Welt wachsen die Ansprüche an die Selbstverantwortung der selbständig und der unselbständig Tätigen. An den jeweiligen Arbeitsplätzen ergeben sich neue Situationen und neue Verantwortungsbereiche. Diese Entwicklung muß nach unserer Überzeugung auch bei der Organisation der Zusammenarbeit von Menschen berücksichtigt werden. Sie muß sowohl eine umfassende Information aller an einem gemeinsamen Ziel im Betrieb tätigen Mitarbeiter sicherstellen als auch die Interessen und den Sachverstand dieser Mitarbeiter differenziert zur Geltung bringen. Es sollten auch nach unserer Überzeugung mehr Vereinbarungen abgeschlossen werden, durch die Mitarbeitern eine Zusatzvergütung zuteil wird, die am selbst beeinflußten Ergebnis orientiert und kontrollierbar ist, um hier den Leistungswillen des einzelnen steigern zu helfen. Die gesetzlichen Rahmenbestimmungen sollten solche Zielsetzungen ermöglichen und ihnen angepaßt werden.
    Die erforderliche Weiterentwicklung der Bestimmungen zur lebendigen Mitwirkung der Arbeiter, Angestellten und Beamten in ihren Wirkungsbereichen wird für die Wirtschaft durch eine Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes, für den öffentlichen Dienst durch eine Novellierung des Personalvertretungsgesetzes einzuleiten sein. Wir Freien Demokraten haben dazu ja bereits in der
    letzten Legislaturperiode Gesetzentwürfe vorgelegt. Sie werden gemeinsam mit den Vorschlägen der Kollegen der SPD Grundlage unserer Überlegungen sein.

    (Abg. Dr. Heck: Die sind aber sehr verschieden!)

    — Sie werden beide Grundlage sein. Das schließt nicht aus, daß zunächst einmal von verschiedenen Punkten ausgegangen wird. Das war ja auch in Ihrer Koalition so, Und so wie Sie sich in vielen Punkten gefunden haben, bin ich sicher, werden auch wir uns finden. Der Wille dazu ist auf beiden Seiten absolut vorhanden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die FDP will die Mitwirkung und Mitverantwortung der Arbeitnehmer in den Betrieben stärken. Ich sage in aller Offenheit: die paritätische Mitbestimmung des Montanmodells schafft dies unserer Überzeugung nach nicht. Wir lehnen es deshalb ab. Ich habe dazu in diesem Hohen Hause anläßlich der Beratung der entsprechenden Gesetzentwürfe ausführlich gesprochen. Alle Hoffnungen aber, meine sehr verehrten Kollegen von der CDU/CSU, daß das nun der Dollpunkt werden wird, sollten Sie sehr schnell begraben. Denn wir sind entschlossen, uns gerade auf diesem Gebiet durch Sie nicht provozieren zu lassen.

    (Abg. Stücklen: Auf anderen?)

    In der Regierungserklärung ist sehr deutlich davon gesprochen worden, daß die Umstrukturierung, die in unserer Wirtschaft und in unserer Gesellschaft insgesamt vorangegangen ist, weitergetrieben werden soll. Diese Umstrukturierung ist auf der einen Seite durch den technischen Fortschritt bedingt und auf der anderen Seite eine Folge des Krieges. Gerade diese Fragen der Umstrukturierung gelten in besonderem Maße für die Landwirtschaft, aber auch für einige andere Wirtschaftszweige. Wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie in ihrer Strukturpolitik keinerlei gewaltsame Lösungen vom grünen Tisch durchführt, sondern immer davon ausgeht, die betroffenen Wirtschaftszweige in ihrer Gesamtheit zu sehen und mit ihnen die notwendigen Maßnahmen abzustimmen.
    Eine Politik ständiger Vorleistungen allerdings — ich wiederhole, was ich im Zusammenhang mit der D-Mark-Aufwertung gesagt habe —, wie wir sie bei der EWG auf dem Agrarmarkt erlebt haben, kann auf die Dauer doch nur zu neuen Desastern führen. Wir halten sie deshalb für falsch. Wir bleiben dabei, daß das Leitbild unserer Agrarpolitik der rationell bewirtschaftete Familienbetrieb, der seine Selbständigkeit und seine wirtschaftliche Unabhängigkeit festigt, sein soll. Aber die Möglichkeiten, geeignete Formen der freiwilligen Kooperation zu finden, müssen nach unserer Überzeugung gefördert werden. Es muß auch Ziel der Agrarpolitik sein, national wie im europäischen Bereich durch Ausnutzung aller Möglichkeiten der Rationalisierung und durch Maßnahmen einer gerechten Preispolitik ein Marktpreisniveau sicherzustellen, das den Kosten im rationell geführten Betrieb entspricht. Die Integration der Agrarwirtschaft in die Gesamtwirtschaft,



    Mischnick
    die wir uns als Ziel gesetzt haben, soll nach unserer Überzeugung zu einer Gleichstellung der in der Landwirtschaft tätigen Menschen sowohl in der gesamten Sozial- und Einkommens- wie auch in der Bildungspolitik führen, um das Gefälle, das wir heute noch haben, abbauen zu können.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der Regierungserklärung ist einiges gesagt worden zu den Fragen Länderneugliederung, Verwaltungsreform, Kabinettsreform. Wir begrüßen die Absicht der Bundesregierung, Art. 29 des Grundgesetzes zu erfüllen. Wir sind überzeugt, daß hier der Vorschlag der Freien Demokraten, zunächst einmal die Länder Hessen, Rheinland-Pfalz und Saar zusammenzufassen, ein guter erster Schritt zur Erfüllung dieses Artikels wäre. Wir stehen auch jenem Versuch aufgeschlossen gegenüber, im norddeutschen Raum zwischen den Küstenländern zu einer sinnvollen Neuordnung zu kommen. Wir halten allerdings nichts von der Parole, die öfter zu hören ist: „Alles oder nichts."

    (Abg. Stücklen: Wein- und Wasserstaat!)

    Auf den Bundesrat wird nach unserer Überzeugung eine große Bewährungsprobe zukommen, wenn diese Fragen zur Entscheidung anstehen. Aber hier wird sich auch zeigen, ob durch eine Neugliederung unser föderatives System effektiver gemacht und damit gleichzeitig das Gewicht des Bundesrates da, wo es notwendig ist, entsprechend gestärkt werden kann.

    (Beifall bei der FDP.)

    Meine Damen und Herren! Für uns ist mit der Auflösung und Verschmelzung verschiedener Ministerien das Problem der Kabinettsreform noch nicht abgeschlossen. Wir erwarten, daß nach einem gewissen Erfahrungszeitraum — —

    (Abg. Majonica: Soll es noch größer werden, Herr Mischnick?)

    — Aber Herr Kollege Majonica, das war doch einer der billigsten Zwischenrufe, die wir heute gehört haben.

    (Abg. Majonica: Nein, der war teuer!)

    — Im Gegenteil! Sehen Sie, bei Ihrer Rechnung, die heute früh aufgemacht worden ist, ob mehr Parlamentarische Staatssekretäre gegenüber Ministern vorhanden sind, haben Sie natürlich nicht daran gedacht, was durch Verschmelzung von Häusern z. B. an Zentralabteilungen, die zweimal vorhanden waren, und was in anderen Positionen wegfallen kann.

    (Abg. Lemmrich: Das werden wir ja bei den Haushaltsberatungen sehen! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    Das werden Sie alles sehen,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wenn die Stellenanforderungen kommen!)

    und Sie werden spüren,

    (Abg. Köppler: Also keine Mehranforderungen!?)

    daß die Reform der Regierungsarbeit nicht abgeschlossen ist, sondern fortgesetzt werden wird.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Barzel: Also Stelleneinsparungen! — Abg. Köppler: Sehr erfreulich zu hören!)

    Sie werden erleben,

    (Abg. Lemmrich: Können Sie sagen, was das in Geld ausmacht?)

    daß diese Regierung bemüht bleiben wird, eine optimale Zusammenfassung der Zuständigkeiten zu erreichen. Daß hier in den letzten Jahren vieles wild gewuchert, vieles falsch gelaufen ist, kann kein Mensch bestreiten, der sich den Haushaltsplan und die einzelnen Häuser einmal ansieht.

    (Abg. Baron von Wrangel: Werden Sie doch einmal genauer, Herr Mischnick!)

    — Herr Kollege, ich bin etwas erstaunt darüber, daß Sie auf der einen Seite in Ihrer Stellungnahme zum Ausdruck gebracht haben, was Sie alles machen wollen, ohne im Detail zu sagen, was es kosten soll, auf der anderen Seite aber, nachdem diese Regierung nicht einmal 14 Tage nach Konstituierung des Bundestages nicht nur steht, sondern eine Regierungserklärung abgegeben hat, glauben, daß entsprechende Gesetze schon verabschiedungsreif sein könnten. Das ist natürlich nicht möglich.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir erwarten, daß die Schaffung eines Rechtspflegeministeriums mit der Übertragung der Finanzgerichtsbarkeit und der Verwaltungsgerichtsbarkeit auf das Justizministerium nicht abgeschlossen ist, sondern weiter das Ziel geprüft wird, auch die Sozialgerichtsbarkeit und die Arbeitsgerichtsbarkeit in dieses Rechtspflegeministerium zu übernehmen. Wir wissen sehr genau, daß es hier noch manche Bedenken gibt und daß es vor allem darum geht, mit denen, die Bedenken haben, über die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit dieser Maßnahmen noch zu beraten. Ich bin aber überzeugt, daß wir auch hier, wie in vielen Ländern bereits geschehen, zu einer Lösung kommen werden, die dem Rechtsuchenden, ganz gleich in welchem Bereich es ist, für die Zukunft bessere, schnellere Möglichkeiten, sein Recht zu finden, geben wird.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einige Bemerkungen zu den Passagen der Regierungserklärung machen, die sich mit der Verteidigungspolitik befassen. Wir begrüßen es sehr, daß die Regierungserklärung auch dazu eindeutige Aussagen gemacht hat.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Eindeutige?)

    — Aber Herr Kollege Klepsch!

    (Abg. Lemmrich: Andeutungen!)

    Sie unterscheidet sich doch damit wohltuend positiv von der Regierungserklärung 1966,

    (Abg. Dorn: Sehr wahr!)

    in der kein Wort von der Bundeswehr enthalten war. Das ist der entscheidende Unterschied.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)




    Mischnick
    Hier werden die drängenden Fragen angesprochen und manche Überlegungen bereits dargelegt, wie es weitergehen soll.
    Wir hoffen, daß die neue Bundesregierung schnelle, wirksame Maßnahmen einleiten wird, um das drängende Problem der Wehrungerechtigkeit zu lösen. Wir sind überzeugt, daß das am Ende der Beratung nicht ohne eine Verkürzung der Dauer des Wehrdienstes geschehen wird. Sie haben natürlich recht, daß jetzt noch keine Festlegung — das gestehe ich freimütig — auf die Forderung der Freien Demokraten erfolgt ist.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Ausgeklammert!)

    — Im Gegenteil, es steht ausdrücklich drin, daß diese Frage im Zusammenhang mit der Wehrgerechtigkeit geprüft werden soll. Sie haben immer davon gesprochen, Sie würden genau darauf achten, ob die Kontinuität auch gewahrt werde. Es gehört zur Kontinuität, daß diese Frage gemeinsam geprüft wird. Welches Ziel wir dabei verfolgen, haben wir offen dargestellt;

    (Zuruf des Abg. Lemmrich)

    das weiß jedermann. Sie können hier also gar keine Kritik üben, die berechtigt wäre.
    Mein Fraktionskollege Schultz wird zu diesen Fragen im einzelnen noch Stellung nehmen. Ich möchte aber schon hier sagen, mit einer Verkürzung der Wehrdienstzeit ist für uns nicht automatisch ein Verlust an Kampfkraft verbunden. Unserer Meinung nach kann er dadurch vermieden werden, daß das bisher weitgehend ungenutzte Reservistenpotential in Zukunft besser genutzt wird als bisher.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Wir erwarten jedenfalls, daß das für 1970 angekündigte Verteidigungsweißbuch erkennen läßt, wie die Verteidigungsanstrengungen der Bundesrepublik in Zukunft effektiver werden können.
    Herr Kollege Barzel hat bei seinen außenpolitischen Ausführungen sowohl zu Beginn als auch am Ende seiner Darlegungen davon gesprochen, daß dieser Regierung, diesem Bundeskanzler — so mußte man ihn verstehen — zu Beginn seiner Tätigkeit größere Möglichkeiten geboten werden, als es früher der Fall war.

    (Abg. Dr. Barzel: Nicht wegen des starken Koalitionspartners!)

    Da kann ich nur sagen: Vor Tische hörte es sich ganz anders an.

    (Abg. Dorn: Genau!)

    Denn noch bis zum 28. September mußten wir immer wieder hören, daß alles, was darauf aus sei, zu glauben, man könne in Gespräche mit Moskau kommen, daß sich das Klima verbessere, daß es sinnvoll sei, mit Polen ins Gespräch zu kommen, daß das alles eine Gefährdung der deutschen Position sei.

    (Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Haben Sie mich nicht gehört? Sechsmal habe ich das vorgeschlagen! — Abg. Majonica: Wer hat das gesagt? — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU.)

    — Sehr verehrter Herr Kollege Kiesinger, ich kann mich noch sehr genau erinnern, daß gerade Sie es waren, der vor der Wahlentscheidung immer wieder gesagt hat, Überlegungen in dieser Richtung, wie sie die Freien Demokraten anstellten, seien eine Gefährdung unserer Position

    (Abg. Köppler: Das allerdings!)

    und würden Erschwerungen für uns mit sich bringen. Offensichtlich ist hier die Beurteilung des bisherigen Bundeskanzlers eine andere als die des Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU.
    Ich hatte allerdings auch früher schon den Eindruck, daß der Kollege Barzel in allen Fragen der Deutschlandpolitik

    (Abg. Stücklen: ... sehr vorsichtig ist!)

    die Dinge realistischer beurteilt, als es der damalige Regierungschef getan hat.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Barzel: Immer vorsichtig sein!)

    - Wenn Sie meinen, ich müßte hier vorsichtig sein, Herr Kollege Barzel — —(Abg. Dr. Barzel: Nein, nein, ich habe gesagt: Vorsichtig!)

    - Sie haben gesagt, Sie wären vorsichtiger. Herr Kollege Barzel, daß Sie als Chef der damaligen Regierungsfraktion in der Öffentlichkeit gegen Ihren Bundeskanzler natürlich vorsichtiger formulieren mußten, verstehe ich völlig.
    Daß wir hier gemeinsam in der Deutschlandpolitik zu einem Akkord kommen wollen, haben wir gern gehört. Wir können uns aber — leider muß ich das sagen — daran entsinnen, daß in den letzten zweieinhalb Jahren alle Versuche der damaligen Opposition nicht an unserem heutigen Koalitionspartner, sondern leider an der damaligen Regierungsmehrheit gescheitert sind.

    (Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Das ist ein starkes Stück! — Abg. Rasner: Er hat keine Ahnung! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU.)

    - Wenn Sie sagen: „Das ist ein starkes Stück!", dann muß ich hier feststellen,

    (Abg. Rasner: Sie haben doch keine Ahnung!)

    daß mehrfach das Angebot, die Bitte, die Bereitschaft vorhanden war, mit Ihnen, Herr Kollege Kiesinger, als Bundeskanzler über diese Fragen zu sprechen. Nur einmal, als am 21. August 1968 eine besonders schwierige Situation war, wurden wir von vornherein zu den Beratungen gebeten. Aber anschließend gab es — bis auf eine Frage betreffend Berlin-Sitzung — leider keine Bereitschaft der Regierung, direkt mit uns zu sprechen. Zwischen den Fraktionen war dieses Gespräch immer vorhanden, aber zwischen Regierung und Opposition ist das leider nicht zustande gekommen. Wir gehen davon aus, daß es jetzt wieder so wird, wie es früher einmal war und wie es selbstverständlich sein sollte, daß nämlich in Fragen der nationalen Politik alle



    Mischnick
    Kräfte dieses Hauses mit der Regierung, soweit es irgend geht, zusammenarbeiten.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Der Herr Bundeskanzler hat mit klaren Worten dargelegt, daß die Erhaltung und die Sicherung des Friedens in Europa und in der Welt die vorrangige Aufgabe der Außenpolitik dieser Bundesregierung sein wird. Wir sind überzeugt, daß wir nur dadurch die Probleme in Europa lösen können. Damit kommt dem europäischen Zusammenschluß, der Aussöhnung Deutschlands mit den osteuropäischen Staaten sowie der Errichtung einer europäischen Friedensordnung entscheidende Bedeutung bei der Überwindung der deutschen Teilung zu. In dieser europäischen Friedensordnung muß dem deutschen Volk das selbstverständliche Recht gewährt werden, nach seinen Vorstellungen zu leben. Davon werden wir nicht abgehen, und hier besteht volle Übereinstimmung mit dem, was Herr Kollege Barzel in dieser Richtung sagte.
    Wir sind der Meinung, daß der Weg zu diesem Ziel über Nichtangriffspakte zwischen den Staaten West- und Osteuropas führt, über die Schaffung von Zonen verminderter Rüstung in Europa, bis hin zu einem gesamteuropäischen Sicherheitssystem, und über den Verzicht der Bundesrepublik — aber auch der DDR und anderer europäischer Staaten — auf Herstellung und Mitbesitz von Massenvernichtungswaffen.
    Meine Fraktion begrüßt es daher, daß die neue Bundesregierung den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnen und die Bemühungen um eine europäische Sicherheitskonferenz unterstützen will.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir halten das für einen wesentlichen, notwendigen Auftakt.
    Eine Friedenspolitik erfordert zudem nach unserer Meinung den Ausbau der industriellen Zusammenarbeit zwischen Staaten verschiedener Gesellschaftsordnung, die gemeinsame Erforschung und Entwicklung neuer Produktionsmethoden sowie einen umfassenden wissenschaftlichen und kulturellen Austausch. Die europäische Zusammenarbeit ist nach unserer Überzeugung zugleich eine Voraussetzung für eine wirkungsvolle und umfassende wirtschaftliche Kooperation mit den Entwicklungsländern.
    Die Teilung unseres Vaterlandes erfordert neue Maßnahmen, um das Zusammengehörigkeitsgefühl der Deutschen wachzuhalten, eine der weltpolitischen Entwicklung angepaßte Politik der Zusammenarbeit der beiden Teile Deutschlands zu versuchen und den Zugang sowie die Sicherheit Berlins zu garantieren. Wir unterstützen alle Überlegungen, die von der Bundesregierung in dieser Richtung dargelegt worden sind.
    Eine Politik des vertraglich geregelten Nebeneinanders von Bundesrepublik und DDR, wie es die FDP immer gefordert hat und wie es jetzt angestrebt werden soll, würde darüber hinaus nach unserer Überzeugung den Prozeß der europäischen Annäherung beschleunigen und allen Völkern Europas die
    Schritte zur europäischen Zusammenarbeit erleichtern. Wir meinen, daß unser Vertragsentwurf hierzu eine gute Diskussionsgrundlage bildet, die selbstverständlich der jeweiligen Entwicklung angepaßt werden muß.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werden in den nächsten Tagen noch Gelegenheit haben, unsere Auffassung zu den Fragen, die hier aus zeitlichen Gründen in der ersten Stellungnahme nicht angesprochen werden konnten, darzulegen. Eines darf ich aber hier für meine Fraktion feststellen: Wir werden in der Koalition nicht wie eineiige Zwillinge handeln,

    (Lachen und Zurufe von der CDU/CSU)

    aber wir werden immer die gemeinsam übernommene Verantwortung vor die taktischen Erfordernisse der Partei stellen und das gemeinsame Ziel als das Entscheidende in dieser Koalition ansehen.
    In diesem Sinne sind wir überzeugt, daß wir nach vier Jahren Rechenschaft ablegen können über eine Politik der Reformen, die unserem Volk den Schritt in die Zukunft ermöglicht, den Sie mit Ihrer Parole in bezug auf die 70er Jahre versprochen haben und den die Koalition gemeinsam gehen wird.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Rasner: Sie sind ein hübscher Zwilling!)